Beitrag: Sprachlehrer für Flüchtlinge Schlecht bezahlt und ausgenutzt

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1 Manuskript Beitrag: Sprachlehrer für Flüchtlinge Schlecht bezahlt und ausgenutzt Sendung vom 15. März 2016 von Beate Frenkel und Michael Haselrieder Anmoderation: Wenn die Bundesregierung Vertrauen zurückgewinnen will, muss sie die Integration voranbringen. Eigentlich sollte sie längst wissen, wie das geht. Denn seit 2005 gibt es bereits staatliche Integrationskurse für Migranten. Damals mangelte es an qualifizierten Sprachlehrern. Und die wenigen Guten wurden auch noch schlecht bezahlt. Und heute? Hat die Politik aus den Erfahrungen gelernt und die Systemfehler behoben? Unsere Autoren Beate Frenkel und Michael Haselrieder haben das geprüft. Ihr Zwischenzeugnis: Flüchtlinge lernen manchmal schneller als Politiker. Text: Sana und ihr Mann sind Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Seit zwei Monaten sitzen sie in diesem Integrationskurs in Bonn und lernen deutsch. O-Ton Sana: Ich gehe zum Arzt. Stephan Pabel unterrichtet sie. Sprachlehrern soll das gelingen, was jetzt alle fordern: die Integration der Flüchtlinge. Doch im Klassenzimmer stößt Pabel oft auf Schwierigkeiten, die nicht im Lehrplan stehen: Erwachsene ohne Schulbildung, traumatisierte Menschen: O-Ton Stephan Pabel, Sprachlehrer: Also ich kann nur jedem Politiker raten: Kommen Sie mal in einen Integrationskurs und gucken sie sich das mal eine Stunde lang an, mehr brauchen Sie gar nicht. Der haben Sie schon ein ungefähres Bild, mit welchen Konflikten, mit welchen Problemen wir hier zu tun haben. Dabei betonen Politiker immer wieder, was für die Integration der Flüchtlinge wichtig ist: O-Ton: Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin am Dazu gehört, dass wir von ihnen erwarten, die deutsche Sprache zu erlernen und zu beherrschen.

2 Doch ausgerechnet die, die die Sprache vermitteln sollen, beutet der Staat aus. Dozenten wie Pabel sind selbständige Honorarkräfte. In Schulferien oder bei Krankheit verdienen sie gar nichts. O-Ton Stephan Pabel, Sprachlehrer: Je nachdem wie lange ich krank bin, nach drei, vier Tagen, nach einer Woche besteht die Gefahr, dass ich meine Miete nicht mehr bezahlen kann, dass ich die laufenden Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Ein Vollzeit-Dozent bekommt 23 Euro pro Unterrichtsstunde inklusive Vorbereitung. Macht im Monat maximal Euro brutto. Davon gehen Renten- und Krankenversicherungsbeiträge ab, die er als Selbstständiger komplett zahlen muss. Am Ende bleiben im Schnitt Euro netto im Monat. Zum Vergleich: Ein angestellter Berufsschullehrer verdient mehr als das Doppelte: rund Euro netto. Hartmut Wessel leitet die Sprachschule in Bonn mit derzeit rund 400 Schülern. Warum bezahlt er seine Lehrer wie Stephan Pabel so schlecht? Wessel bekommt das Geld für die Integrationskurse vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Und das zahle viel zu wenig. O-Ton: Hartmut Wessel, Geschäftsführer Sprachschule acb lingua Bonn Die Politik lässt uns da im Regen stehen. Wir haben das volle Risiko. Wir schließen Verträge mit den Dozenten. Wir bekommen ein kleines Geld und sollen damit eine super Leistung abliefern. Irgendwo hört das auf. Das muss schnellstens geändert werden. O-Ton: Demonstranten Unser Lohn ist ein Hohn! Vor wenigen Tagen: Demo der Sprachlehrer vor dem Innenministerium, das dem Bundesamt für Flüchtlinge vorsteht. Sie fordern eine angemessene Bezahlung. O-Ton: Corinna Kalbaß, Sprachlehrerin Wir sind alles qualifizierte, gut ausgebildete Lehrkräfte und werden eigentlich noch schlechter als der Mindestlohn bezahlt. O-Ton: Susann Günther, Sprachlehrerin Es ist einfach heuchlerisch, zu sagen, wir stellen Geld bereit, wir stellen Geld bereit. Bei uns kommt es nicht an, bei den Leuten, die die Arbeit wirklich machen, kommt es nicht an. Wir fragen den zuständigen Minister: Herr De Maizière, grüße Sie. Haselrieder, Frontal21. Wir berichten über Integrationskurse. Wieso werden gerade diese Leute so ausgebeutet? O-Ton: Thomas de Maizière, CDU Bundesinnenminister Wir geben ungefähr eine halbe Milliarde Euro aus, um

3 Integrationskurse für möglichst viele zu öffnen. Und deswegen muss man mit der Erhöhung der Vergütung vorsichtig sein, damit wir auch alle Plätze sozusagen vollkriegen. Wenn die Eigenbeteiligung der Asylbewerber höher wird, was ich für richtig halte, dann können wir auch den Lehrkräften mehr bezahlen. Aber die verdienen Euro netto. Die Flüchtlinge zur Kasse bitten? So lasse sich die Not der Sprachlehrer sicher nicht lösen, sagt Parteifreundin Annegret Kramp- Karrenbauer. Sie ist Präsidentin der Volkshochschulen, die den Großteil der Sprachkurse im Auftrag des Bundes anbieten: O-Ton: Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU Präsidentin Deutscher Volkshochschul-Verband Wer bestellt muss auch bezahlen. Und wenn man die Rahmenbedingungen so schlecht macht, dass man am Ende des Tages keine Lehrer mehr hat, weil einfach die Arbeitsbedingungen inakzeptabel sind, dann fällt das auch auf den Besteller zurück und deswegen: Es ist Verantwortung des Bundes und der Bund muss sich hier bewegen. Die Bezahlung ist schlecht, die Anforderungen sind hoch. Marieta Müller-Siderova unterrichtet seit zwölf Monaten Syrer in diesem Alphabetisierungskurs, mit Lehrbüchern, mit denen die Flüchtlinge nichts anfangen können. Die Lektion heute: Reisepläne. O-Ton: Syrer Wir fahren an den Atlantik. O-Ton: Marieta Müller-Siderova, Sprachlehrerin Atlantik Merkwürdige Hörbeispiele für Flüchtlinge. O-Ton: Lern-CD Wir fahren an den Atlantik, da gibt es tolle Wellen. Nein, wir fahren nach Ungarn. Ausgerechnet Ungarn. O-Ton: Marieta Müller-Siderova, Sprachlehrerin Wir fangen mit den Buchstaben an und wenn jetzt auch primär Analphabeten drinsitzen würden, müssen wir auch damit anfangen, wie man einen Stift hält. Also wie in der Grundschule, sage ich mal, aber in der Grundschule können die Kinder deutsch. Zwei Drittel der Erwachsenen aus Syrien können kaum lesen und schreiben, und bräuchten noch viel mehr Unterstützung, um auf dem Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance zu haben, sagen Bildungsforscher. O-Ton: Prof. Ludger Wößmann, Bildungsökonom Ludwig- Maximilians-Universität München

4 Ich glaube wir sind zur Zeit insgesamt bei uns noch sehr stark auf die Versorgung der Flüchtlinge fokussiert, dass sie eine Unterkunft haben, verpflegt sind. Und wir müssen dringend Umschalten hin zu Integration. Dafür müssen die die Sprache lernen und auch die Qualifikationen lernen. Ich glaube nicht, dass wir insgesamt deutschlandweit schon eine ausreichende Strategie haben, das zu schaffen. Und so können sogar Fahrschulen Sprachkurse für Flüchtlinge geben: Helfen und Geld verdienen - so wirbt der Verband für ein Sonderprogramm der Bundesagentur für Arbeit. Eine gute Gelegenheit, dachte sich Wilfried Bastian. Normalerweise bilden sie hier in Berlin Lkw-Fahrer aus. O-Ton: Wilfried Bastian, Leiter Verkehrsfahrschule Berlin Zieh weiter, zieh weiter! Und jetzt starte mal den Motor! Als der Fahrschul-Chef im Herbst von den Deutschkursen hörte, schlug er gleich zu. O-Ton: Wilfried Bastian, Leiter Verkehrsfahrschule Berlin Dann haben wir diese 320 Stunden inhaltlich vorbereitet, was ja nicht so einfach ist, das hat also schon paar Stunden gedauert. Ja und dann haben wir das gemacht. Die Flüchtlinge hat Fahrlehrer Uwe Stange unterrichtet. Das Lehrmaterial hat er sich im Internet zusammengesucht: Haben Sie schon mal Deutsch unterrichtet? O-Ton: Uwe Stange, Fahrlehrer Ne, das war das erste Mal. Aber ging. Diese Maßnahme wurde so kurzfristig eingeführt, dass keiner wusste: Was soll da rein? Wo ist das Ziel? Wo ist das Ende? Also wo sollte der Stand sein, wenn die damit fertig sind? Da gab s auch keine Vorgaben? O-Ton: Uwe Stange, Fahrlehrer Nein, es gab keine Vorgaben. Dafür aber viel Geld. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt hier fast 50 Prozent mehr, als es bei den offiziellen Integrationskursen mit ausgebildeten Lehrern üblich ist und begründet das so: Zitat: Unsere Intention war, die Förderung der Kurse schnell und unbürokratisch zu ermöglichen. Langfristig dient der Spracherwerb natürlich der Integration in den Arbeitsmarkt. Statt geplanter 100 Millionen Euro wird das Programm am Ende rund 400 Millionen kosten finanziert aus Beiträgen der

5 Arbeitslosenversicherung. O-Ton: Eckhardt Rehberg, CDU, Haushaltspolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion Na es war sicherlich gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Diese Sprachkurse liefen ohne zertifizierte Lehrer ab. Und die knapp 400 Millionen Euro, das ist Geld der Beitragszahler. Und hier stellt sich schon die Frage, ob man es nicht besser an anderer Stelle hätte verwenden können. Zertifizierte Lehrer wie Stephan Pabel hatten jedenfalls nichts davon - und kämpfen weiter für bessere Arbeitsbedingungen Unterschriften haben sie gesammelt. Ein Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Düsseldorf nimmt sie entgegen. Noch eine Frage von Frontal21. Wann ist mit einer Reaktion zu rechnen? O-Ton: Manfred Terfurth, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Düsseldorf Ich denke zeitnah. Sehen sie denn Handlungsbedarf? O-Ton: Manfred Terfurth, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Düsseldorf Vielen Dank. Die Integration hunderttausender Flüchtlinge wird ohne Menschen wie Stephan Pabel nicht gelingen. Und trotzdem lässt der Staat ausgerechnet sie im Stich. Abmoderation: Wenn die Integration der Flüchtlinge misslingt, kostet das nicht bloß viel Geld. Es kostet den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.