Beitrag: Debatte um Spurwechsel Bleiberecht für Asylbewerber

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1 Manuskript Beitrag: Debatte um Spurwechsel Bleiberecht für Asylbewerber Sendung vom 28. August 2018 von Joachim Bartz, Hilke Petersen und Anna Warsberg Anmoderation: Nun geht es auf einmal schnell. Jahrzehntelang hat eine Bundesregierung nach der anderen kein Einwanderungsgesetz hinbekommen - oder wollte es auch gar nicht. Aber jetzt, schon morgen, sollen die Eckpunkte eines sogenannten Fachkräfte- Einwanderungsgesetzes beschlossen werden. Für Arbeitgeber ist das eine gute Nachricht. Eine schlechte gibt es aber auch für sie. Denn die Bundesregierung will zwar Fachkräfte aus dem Ausland zu uns locken, sie streitet aber zugleich über diejenigen, die schon hier sind. Flüchtlinge, deren Asylgesuch abgelehnt wurde und die nach Asylgesetz abgeschoben werden müssten. Joachim Bartz, Hilke Petersen und Anna Warsberg über das Dilemma beim Spur- und Richtungswechsel. Text: Nana und Gurami sind aus Georgien geflüchtet, vor drei Jahren. Gurami war im Militärdienst unter Druck geraten, Polizei durchsuchte die Wohnung der Familie. In Deutschland arbeitet Nana als Altenpflegerin, ihr Mann bei einem Stuckateur. So verdienen sie ihren eigenen Lebensunterhalt. Doch der Asylantrag der beiden wurde abgelehnt. Eine Bleibeperspektive haben sie bisher nicht. O-Ton Nana K., Asylbewerberin aus Georgien: Das kann ich nicht verstehen: Warum muss ich gehen? Das versteh ich nicht. Also, ich denke schon, dass ich hierbleiben darf, weil, wir machen alles dafür. Ich hab alles versucht, Deutsch gelernt, Arbeit gesucht gefunden, Ausbildung gemacht. Was man hier für hier leben braucht, ich mache alles. Ich denke schon. Gerichtstermin in Stuttgart am vergangenen Freitag. Ernüchterung. Die Flucht-Gründe des Paares erkennt die Richterin nicht an. Und nur das interessiert - nach Asylrecht.

2 O-Ton Nana K., Asylbewerberin aus Georgien: Sie fragen nur, warum wir hergekommen sind. Ja, okay, sind hergekommen, aber vielleicht muss man andererseits auch gucken, was wir hier machen, wie wir hier eingelebt haben. Die Ablehnung - ein großes Problem auch für Nanas Chef Ulrich Achilles, Leiter des Pflegeheims, in dem sie eine Ausbildung gemacht hat. Auch hier bekommen sie viel zu wenig Personal. Was, wenn Nana doch gehen muss? O-Ton Ulrich Achilles, Leiter Johanniter-Haus Pleidelsheim: Eine Katastrophe würde ich sagen. Das wollen wir uns gar nicht vorstellen. Wir setzen dem gegenüber alle Energien rein, um das zu verhindern. Wir profitieren ja heute schon von ihr, auch in der Zeit, wo sie noch in der Ausbildung steckt, schon ihre Spuren hinterlässt, schon Teil unseres Teams ist, ist sie eine wertvolle Mitarbeiterin. Von ihrer Berufsschule wurde Nana ausgezeichnet für ihre vorbildliche zweijährige Pflegerhelfer-Ausbildung. Die aber qualifiziert sie nicht zum Bleiben und arbeiten. Vor vier Monaten besucht Bundespräsident Steinmeier Nanas Ludwigsburger Schule und lässt schon mal durchblicken, was er sinnvoll findet: Geflüchteten den Aufenthalt erlauben, wenn sie integriert sind und arbeiten. O-Ton Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident, im April 2018: Ich glaube, das ist ein wirklicher Gewinn, den wir haben für die Ausbildung und möglicherweise für die Zukunft der Altenpflege - auch in Deutschland. Spurwechsel heißt der Vorschlag, um den jetzt gestritten wird: Abgelehnte Asylbewerber, die ihren Lebensunterhalt verdienen, gut integriert sind, sollen bleiben dürfen. Denen wollen wir eine Perspektive auf dem deutschen Arbeitsmarkt geben. Und damit das kein Anreiz ist, dass noch mehr Personen kommen, wollen wir es mit einer Stichtagsregelung begrenzen, 1. August Alle, die bis zu diesem Datum hier in Deutschland sind, eine Ausbildung absolvieren, einen Arbeitsplatz haben, die sollen bleiben können, auch wenn sie nicht asylberechtigt sind. Das ist der Spurwechsel. Nachfrage bei der CDU-Generalsekretärin: O-Ton Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU, Generalsekretärin Also, einen generellen Spurwechsel, so wie das heißt,

3 lehne ich in der Form ab, denn das würde bedeuten, dass wir aus dem Asylrecht eine Art Ersatzeinwanderungsrecht machen. Wir haben in der Tat spezielle Fälle, wenn Menschen länger hier sind, wenn sie gut integriert sind. Dafür haben wir aber jetzt im Asylrecht auch schon Möglichkeiten von stichtagsunabhängigen Härtefällen oder von der sogenannten Drei-Plus-Zwei-Regelung. Die besagt, dass Asylbewerber innerhalb einer dreijährigen Berufsausbildung nicht abgeschoben werden dürfen und danach zwei Jahre in Deutschland arbeiten können. Eine solche Ausbildungsduldung könnte auch Nana aus Georgien noch bekommen - für sie jedoch keine Alternative. Sie hat zwei Söhne, die sie in Georgien zurücklassen musste. Doch selbst mit Ausbildungsduldung dürfte sie ihre Kinder nicht nachholen. Ausnahmeregelungen gibt es viele im Aufenthaltsrecht. Die aber tragen eher zu Verwirrung bei sagt die SPD. Wir haben festgestellt über die Jahre, dass das auch ein Wust ist, durch den kaum jemand durchblickt, weder die Menschen, die zu uns kommen, noch die zu uns gekommen sind aus unterschiedlichen Gründen, noch ehrlich gesagt, diejenigen, die in Verantwortung sind. Diese ganze Unsicherheit macht auch Markus Winter Probleme. Er ist CDU-Mitglied und Geschäftsführer bei der Firma IDS in Oberschwaben. Eine Region mit Vollbeschäftigung - schwierig, Leute zu finden. Bei IDS arbeiten derzeit 95 Flüchtlinge: ganze fünf mit sicherem Aufenthaltstitel. Alle anderen müssen täglich mit Abschiebung rechnen. O-Ton Markus Winter, geschäftsführender Gesellschafter IDS: Wenn die Flüchtlinge wieder nach Hause müssten, wäre das für uns sehr schlecht. Wir haben uns 2015 dazu entschieden, die herzuholen. Und ich bin der Meinung, wir haben uns dafür engagiert, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, zu Personen [zu machen], die Sozialabgaben zahlen, statt Transferleistungen zu empfangen. Und ich glaube, das wäre absolut ungerecht uns als Unternehmen gegenüber, die wir sehr viel getan haben und investiert haben in diese Flüchtlinge - aber auch der Gesellschaft gegenüber. Immer mehr Unternehmer machen jetzt Druck auf die Regierung, damit Einwanderung von Fachkräften endlich gesetzlich geregelt wird. Und den Spurwechsel will die Wirtschaft auch - dass also abgelehnte Asylbewerber mit Jobs bleiben dürfen. O-Ton Markus Winter, geschäftsführender Gesellschafter IDS:

4 Ich glaube, die Politik macht sich heute Gedanken über ein Einwanderungsgesetz, wo nach irgendwelchen Kriterien Leute sich bewerben können. Das ist ja wie ein Bewerbungsverfahren. Wir haben heute schon die Bewerber hier! Und wir wissen schon, welche Bewerber geeignet sind und welche nicht. Und ich glaube, man sollte das auch nutzen und diese Erfahrung nicht einfach wegwerfen. Doch die CSU ist dagegen: Noch mehr Zuwanderung lehnt die Partei ab - und deshalb auch den Spurwechsel. O-Ton Stephan Mayer, CSU, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium: Welches Signal ginge davon aus? Das klare Signal, dass es letzten Endes gar nicht darauf ankommt, ob das Asylverfahren positiv endet für den Asylbewerber oder nicht, sondern es kommt letzten Endes nur darauf an, ob jemand bereit ist, Arbeit aufzunehmen und sich einen Job zu suchen. Und das wäre aus meiner Sicht das falsche Signal. Immerhin: Im Bundestag soll bis Ende des Jahres das sogenannte Fachkräfte-Einwanderungsgesetz debattiert werden. Sehr spät, denn jahrzehntelang hat Deutschland Entscheidungen über Einwanderung verschoben. Schon im Jahr 2000 will der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ein Zuwanderungsgesetz, beruft eine Kommission unter Leitung von Rita Süssmuth. Die präsentiert 2001 Eckpunkte. Doch schon bald ist klar: Die Unionsparteien machen da nicht mit: O-Ton Edmund Stoiber, CSU, am : Deutschland kann nicht mehr Zuwanderung verkraften! O-Ton Günther Beckstein, CSU, am : Wir wollen aber Zuwanderung reduzieren! O-Ton Wolfgang Bosbach, CDU, am : Deutschland ist kein klassisches Einwanderungsland. O-Ton Angela Merkel, CDU, am : Wir haben die Sorge, die Befürchtung und auch die sichere Erkenntnis, dass hier wieder eine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme stattfinden wird. Immer wieder hatten die Unionsparteien Einwanderung zum Wahlkampfthema gemacht einigt sich die SPD mit der Union auf einen faulen Kompromiss - mit dem Namen Gesetz zur Begrenzung der Zuwanderung. Asylsuchende von Arbeitsmigranten zu unterscheiden - das hat das Gesetz nicht geschafft. Und so ist der politische Streit immer

5 noch da. Wenn wir jetzt schon ein Einwanderungsgesetz hätten, was klar und deutlich ist, Voraussetzungen aufstellt, wann jemand kommen kann, unter welchen Bedingungen jemand bleiben kann, dann bräuchten wir die ganze Debatte nicht. Und Deutschland steckte nicht in dem Dilemma, die abschieben zu müssen, die hier längst angekommen sind und den Unternehmen nützen. O-Ton Nana K., Asylbewerberin aus Georgien: Ich möchte positiv denken, ja. Was ich gemacht habe, angefangen in Deutschland, habe ich fast alles erreicht. Was ich gewünscht habe. Deutschkurs oder Arbeit, Ausbildung. Ich habe alles gemacht schon. Ich brauche nur Deutschland- Aufenthalt, dass ich hierbleiben kann. Nach jetzigem Recht werden sie wohl gehen müssen - zurück nach Georgien. Nur mit einem Spurwechsel könnten sie bleiben und ihre Kinder holen. Und Nana dürfte weiter als Altenpflegerin arbeiten. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.