Beitrag: Wohlstand für alle? Junge Generation kämpft um Zukunft

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Tristan Lange
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1 Manuskript Beitrag: Wohlstand für alle? Junge Generation kämpft um Zukunft Sendung vom 18. Juli 2017 von Anna Feist, Stella Könemann und Karin Schilling Anmoderation: Weite Teile der deutschen Bevölkerung leiden offenbar an einer Wahrnehmungsstörung. Jedenfalls erklärt Angela Merkel dauernd, wie gut es Deutschland geht. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Vollbeschäftigung kommt wenn auch erst im Jahr Für viele Jüngere aber klingen Merkels frohe Botschaften wie Hohn. Denn ihre Wirklichkeit ist eine andere: befristete Verträge, Unvereinbarkeit von Familie und Beruf, Chancenungleichheit. Und ihre Zukunft: unsicher. Das zeigen unsere Autorinnen Anna Feist, Stella Könemann und Karin Schilling übrigens alle unter 40. Text: Hauptbahnhof, Berlin-Mitte. Dr. Matthias Völcker auf Durchreise - ganz normal in seinem Leben. Er ist Sozialwissenschaftler, pendelt zwischen der Uni in Göttingen, dem Privatleben in München und seinen Studien, die deutschlandweit stattfinden. Der 34-Jährige muss mobil sein, sein Büro auch. Fest ist nichts in seinem Leben - noch nicht mal der Vertrag. Erst drei Jahre, dann hatte ich noch mal drei Jahre, dann hatte ich ein halbes Jahr einen Vertrag, dann zweieinhalb Jahre. Und jetzt hab ich auch erst neu einen unterschrieben, der nur zusammengesetzt ist aus ganz unterschiedlichen Stellenelementen. Also, ich habe eine reguläre halbe Stelle am Lehrstuhl, dann hab ich eine Viertelstelle aus Studienqualitätsmitteln und eine Viertelstelle aus Hochschulpaktmitteln. Abitur, Studium, Doktortitel. Alles lief nach Plan. Aber zu

2 Wohlstand führt das nicht. Das ist schon ein bisschen frustriert, wenn man eine gute Ausbildung hinter sich hat und dann hat man am Monatsende so 1.200, Euro, muss davon eine eigene Wohnung oder WG letztendlich bezahlen. Also, ich hab dann auch für lange Zeit in einer WG gewohnt. Und irgendwie ist dann so das Leben, als ob man immer noch ein Student ist letztendlich. Völcker will Professor werden, doch die ältere Generation besetzt die Lehrstühle. So kämpfen im Schnitt 20 jüngere Bewerber um eine freie Stelle. Das ist ja momentan das Hauptproblem. Man kann keine Perspektiven wirklich entwickeln. Ich gucke momentan nur auf den September nächsten Jahres, wenn mein Vertrag ausläuft, weiter kann ich nicht gucken, das geht nicht. Befristete Verträge, fehlende Sicherheit. Viele Wissenschaftler entscheiden sich deshalb gegen Kinder: So verzichten 49 Prozent der weiblichen wissenschaftlichen Mitarbeiter auf Nachwuchs. Auch wenn die Geburtenrate in Deutschland leicht angestiegen ist, junge Frauen haben oft das Gefühl, sich zwischen Beruf und Kindern entscheiden zu müssen. Boutique Kasten, Berlin-Schönberg. Dorothee Kasten-Rudloff ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau. In Berlin-Schöneberg betreibt die 34-Jährige eine Boutique, verkauft exklusive Damenbekleidung. Sie liebt ihren Laden. Das ist alles, der Stellenwert das ist Mittelpunkt meines Lebens, klar, natürlich, das ist kein Job. Acht Jahre hat sie gebraucht, um ihr Geschäft zu dem zu machen, was es jetzt ist. Sie und ihr Mann sind Doppelverdiener. Eigentlich hat sie alles richtig gemacht. Nur eines fehlt zum Glück: Also, mein Mann hat immer angefangen über Kinder zu reden - und ich immer, ja wir haben ja noch Zeit und es kommt schon. Also, ich hab das immer noch ein bisschen so zur Seite geschoben. So, jetzt bin ich auf einmal 34, die Uhr tickt, ja. Ich bin niemand, der sagt, er möchte keine Kinder. Ich würde es wahrscheinlich irgendwann sehr bereuen, das nicht zu erleben. Weil es ist nun mal ein riesiges Geschenk,

3 Kinder zu bekommen. Mindestens 60 Stunden die Woche investiert sie in die Boutique. Den Papierkram erledigt sie am Wochenende. Wann sollte sie sich da ums Kind kümmern? Und selbst wenn sie einen Kita-Platz finden würde, am Nachmittag müssen die Kleinen spätestens abgeholt sein. Da ist der Laden noch längst nicht zu. Und ich bin auch nicht der Typ, der jetzt sagt, okay, dann geb ich das jetzt alles auf, ist auch egal, kriegen wir irgendwie hin. Wir haben ja einen Verdiener und ich bekomm dann das Kind und sitz zu Hause. In Deutschland haben nur zehn Prozent der Mütter mit Kindern unter drei Jahren einen Vollzeitjob. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die meisten Frauen eine Illusion. Junge Frauen sind einfach tierisch unter Druck, die sind einfach richtig unter Stress. Ich sag mal, alle, die Politiker, die wollen, oder wir, überhaupt die Gesellschaft will: Kinder kriegen, Kinder kriegen, Kinder kriegen. Ja, aber wenn dann das Leben zusammenbricht oder die Existenz zusammenbricht, dann muss man sich entscheiden. Mutter Rose weiß auch keine Lösung. Dorothee Kasten-Rudloff, eine Frau, die es eigentlich geschafft hat und doch den sozialen Abstieg fürchtet. Wie ist das erst bei denen, die gar nicht so weit kommen? Gerade einmal 28 Prozent der unter 35-Jährigen verdienen mehr als Euro brutto im Monat. Die Kinderarmut wächst, 14 Prozent der unter 18-Jährigen leben von staatlichen Leistungen. Ihre Aufstiegschancen sind geringer denn je. Jeder Achte unter 30 hat noch nicht mal einen Abschluss. Ausbildungsrestaurant, Berlin-Lichtenberg. Arif steht gerne in der Küche. Zwei Jahre wird seine Ausbildung hier dauern. Es wäre die erste, die er beendet und das in seinem Alter, mit 26 Jahren. Also, wenn ich mir überlege so, dass meine Cousins und Cousinen zum Beispiel gerade mal 18 sind und ihre Ausbildung schon in der Tasche haben und schon komplett im Berufsleben drinnen stehen, denke ich mir so, okay, was hast du falsch gemacht im Leben. Aber im Endeffekt, es ist nie zu spät, um irgendwie was zu lernen. Berlin-Wedding.

4 Arif kommt aus dem Berliner Stadtteil mit den meisten armen Kindern, ihre Perspektive schlecht. So war es auch bei ihm. Normal lief es eigentlich bis zur sechsten Klasse, dann kam ich eben auf eine Haupt-/Gesamtschule in Neukölln und von dort an ging es irgendwie bergab. Ich hab angefangen die Schule zu schwänzen, im Unterricht nicht mit aufgepasst, um einfach mit zu der Clique zu gehören. Da bin ich komplett ausgerutscht aus der Bahn. Er wird straffällig, muss mehrfach in Haft und bereut es. Arif ist junger Vater und schämt sich, dass er seinem Sohn noch nicht mal ein Zuhause bieten kann. Er lebt bei seinen Eltern. Studien nennen das einen bildungsfernen Haushalt. Seine Mutter hat mit 41 ihren Hauptschulabschluss nachgeholt und eine Ausbildung gemacht. Sie will den Kindern ein Vorbild sein. Aber Hausaufgabenhilfe für die Tochter ist trotzdem nicht drin. O-Ton Rabia, Schülerin: Ich möchte eigentlich Erzieherin werden. O-Ton Frontal 21: Und was musst du dafür tun? Wie geht s jetzt da für dich weiter? O-Ton Rabia, Schülerin: Schule, MSA, falls ich es schaffen sollte, Inschallah, mein Abi, was ich aber eher nicht glaube. Rabia möchte was aus ihrem Leben machen, aber das ist gar nicht so leicht. Ihr älterer Bruder hat in seinem Freundeskreis nur wenige mit Schulabschluss - und Perspektive. Dass der Staat etwas für sie tun könnte, daran glaubt er nicht. Arif hält nichts von Politik. Investiert doch mal viel mehr in die Jugend heutzutage, in die Schulprojekte oder was auch immer, in die Clubhäuser, damit die Leute einfach mal von den Straßen kommen, damit sie gar nicht die Gelegenheit haben, Scheiße zu bauen. Seit 1980 sinkt die Wahlbeteiligung der jungen Erwachsenen aus armen Familien ohne Abitur, sie gehen fast gar nicht mehr zur Wahl. Michael Heinisch, dem Leiter der Ausbildungsstätte von Arif, macht das große Sorgen. O-Ton Michael Heinisch, Vorstand SozDia Stiftung Berlin: Für unsere Demokratie ist das eine Riesengefahr, weil

5 eigentlich sind diese Jugendlichen, halte ich ja für diejenigen, die unsere Welt verändern sollten, ne. Und die gehen uns komplett verloren, wenn wir da nicht entsprechend investieren. Arif hat nur noch ein Ziel: Die Umschulung schaffen, vernünftig arbeiten gehen, um irgendwann mal für meinen Sohn sorgen zu können, dass er eben ohne Probleme aufwachsen kann. Die junge Generation kämpft um ihre Zukunft - in einem Deutschland, dem es doch angeblich so gut geht und wo Politiker regelmäßig vor den Wahlen Wohlstand versprechen. Wohlstand für alle. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.

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