Beitrag: Wenn Mieter aus ihrer Wohnung müssen Trickserei mit Eigenbedarf

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Wenn Mieter aus ihrer Wohnung müssen Trickserei mit Eigenbedarf Sendung vom 16. April 2019 von Martina Morawietz und Astrid Randerath Anmoderation: Tut uns leid, Sie müssen raus! Der Schock ist groß, wenn eine Kündigung wegen Eigenbedarf ins Haus flattert. Und das kommt immer öfter vor - besonders in den Städten, wo Wohnraum knapp ist und immer teurer wird. In den vergangenen zehn Jahren stiegen die Mieten bei Neuverträgen beispielsweise in Hamburg um 59 Prozent, in Köln um 53 Prozent, in Stuttgart waren es 51 Prozent Steigerung und in Berlin sogar 90 Prozent. Bei solchen Zahlen ist die Verlockung für die Vermieter groß, beim Eigenbedarf zu tricksen. Wenn die rausgeekelten Mieter später noch mal nachschauen, finden sie ihre alte Wohnung dann womöglich in Annoncen wieder, nur eben viel teurer. Martina Morawietz und Astrid Randerath über verzweifelte und meist wehrlose Mieter. Text: Seit zwei Jahren leben Maria Schöller und ihre Kinder Nina und Antonia in dieser Wohnung in Hamburg. Die Sozialarbeiterin ist froh, für sich und ihre Kinder einen Platz gefunden zu haben. Aus der alten Wohnung mussten sie raus, weil die Vermieterin gekündigt hatte wegen Eigenbedarfs. Ich wurde schon immer nervös, wenn da wieder ein Brief vom Anwalt lag und ich nicht wusste, wie sieht s jetzt aus? Ist das jetzt rechtens, müssen wir dann und dann raus? Und wie mache ich das hier? Bekomme ich rechtzeitig eine Wohnung oder stehe ich auf der Straße mit den Kindern? Und das war äußert nervenaufreibend, ja. Für die neue Wohnung zahlt sie fast Euro - und sie hat ein Kinderzimmer weniger. Für die alte waren es nur 860 Euro. Die Wohnung, die die Eigentümerin selbst nutzen wollte, verkauft sie wenig später.

2 So nach einem halben Jahr wurde die Wohnung bei Immonet oder also bei nem Anbieter inseriert, zum Verkauf angeboten. Man fühlt sich verarscht, um es mal böse auszudrücken, ja, weil es von Anfang an im Grunde durchsichtig war: Was möchte sie? Sie möchte uns raus haben, damit sie es teuer verkaufen kann. Maria Schöller auf dem Weg zum Gericht. Sie klagt auf Schadenersatz. Die Eigentümerin will sich uns gegenüber nicht äußern. Bei Schöllers Anwalt häufen sich Fälle wie dieser. Ein Trend, den es schon einmal gab: O-Ton Martin Steins, Fachanwalt für Miet- und Eine ähnliche Entwicklung kenne ich nur aus Ende der 90er, nach der Wende gab es einen ähnlich engen Wohnungsmarkt in Hamburg: Mietpreisexplosion - und offensichtlich steht das im Zusammenhang. Also, die Immobilienpreise und die steigenden Mieten scheinen bestimmte Menschen zu motivieren, Gewinne zu machen, Gewinne machen zu wollen. O-Ton Ulrich Ropertz, Deutscher Mieterbund: Also, ganz sicher haben Zigtausende von Mietern mit dem Thema Eigenbedarf zu tun. Wir gehen davon aus - gestützt auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes und unserer Rechtsschutzversicherung - dass es im Jahr etwa Prozesse rund um das Thema Eigenbedarfskündigung gibt. Und wenn wir unsere Beratungen bei den örtlichen Mietervereinen anschauen, dann würden wir sagen, es gibt Beratungen zu diesem Thema. Und da auch andere noch beraten, dürften etwa Eigenbedarfskündigungen im Jahr realistisch sein. Fellbach-Lindle zwischen Stuttgart und Waiblingen. 30 Jahre lang war Alexandra Lefteris hier zu Hause. Als ihre alte Vermieterin stirbt, wollen die Erben mit einem neuen Mietvertrag die Miete um rund 50 Prozent erhöhen. Nachdem wir uns gegen den neuen Mietvertrag dann erfolgreich gewehrt haben, weil wir einen gültigen Mietvertrag ja hatten und die Mieterhöhung auch im Nachhinein über andere Wege nicht zustande kam, also nicht in dieser Höhe, ja, kam dann die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Alexandra Lefteris kontaktiert den Stuttgarter Mieterbund. Der Anwalt kann ihr nur raten, mit ihrer Familie eine neue Wohnung zu suchen.

3 Nachdem die Kündigung dann eingegangen ist, haben wir dann in zwei Monaten 80 Bewerbungen geschrieben. Die Wohnung ist jetzt um ein Zimmer kleiner. Das hat eben den Nachteil, dass nicht beide Kinder mit einziehen konnten. Also, es war schon eine sehr schwierige Situation, ja. O-Ton Frontal 21: Und Ihre Tochter wohnt dann in einer WG oder wie? Die wohnt in einer WG. Nach ihrem Umzug hätte Sie die Geschichte beinahe abgehakt. Doch Monate später erzählen ihr alte Nachbarn, dass jetzt neue Mieter in ihrer alten Wohnung leben, die angeblich deutlich mehr bezahlen. Alexandra Lefteris klagt, will Schadenersatz: die Mietdifferenz für 24 Monate und die Umzugskosten. O-Ton Markus Wüst, Fachanwalt für Miet- und Wir haben dann die Schadensersatzansprüche geltend gemacht bei der Vermieterin. Sie hat sich außergerichtlich geweigert, diesen Schadensersatz zu bezahlen, und daraufhin haben wir geklagt. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass entsprechende Unterlagen auch vorgelegt werden müssen. Und das ist seitens der Vermieterin eben nie geschehen und deswegen haben wir den Prozess gewonnen. Die Eigentümerin weist nicht nach, warum sie die Wohnung nun doch nicht selbst nutzen kann. Das Amtsgericht Waiblingen spricht daher der Mieterin fast Euro Schadenersatz zu. Ein Ausnahmefall. Meist gewinnen die Eigentümer, so Fachanwälte: O-Ton Markus Wüst, Fachanwalt für Miet- und Also, wenn er juristisch einigermaßen gut beraten ist, muss man davon ausgehen, dass eine Eigenbedarfskündigung in der Praxis durchgeht und der Mieter den Prozess verliert. Vor Gericht herrsche keine Waffengleichheit zwischen Mieter und Vermieter, beklagt der Deutsche Mieterbund. Der Bundesgerichtshof entscheide oft zugunsten der Eigentümer. O-Ton Ulrich Ropertz, Geschäftsführer Deutscher Mieterbund: Es reicht aus, wenn der Vermieter in der Wohnung eine Zweitwohnung errichten will oder wenn er die Wohnung als Ferienwohnung nutzen will. Es reicht aus, wenn die Wohnung einem Au-Pair-Mädchen zur Verfügung gestellt werden soll. Und das höhlt den Kündigungstatbestand Eigenbedarf aus. Das heißt, wenn man so will, Tor und Tür

4 sind hier geöffnet - auch für Missbrauch. Deshalb, so der Mieterbund, müsse die Politik eingreifen. O-Ton Ulrich Ropertz, Geschäftsführer Deutscher Mieterbund: Der Eigenbedarfsparagraf müsste enger gefasst werden. Das heißt, der Kreis der Berechtigten, zu deren Gunsten der Eigenbedarf geltend gemacht werden kann, ist einzuschränken auf den Vermieter selbst und nahe Familienangehörige, also Eltern und Kinder. Darüber hinaus müsste klargestellt werden, dass Eigenbedarf nur dann gegeben ist, wenn der Vermieter die Wohnung wirklich dauerhaft zu seinem Lebensmittelpunkt machen will also tatsächlich in die Wohnung einziehen will. Doch das Bundesjustizministerium hält die Rechtslage für ausreichend. Vage heißt es gegenüber Frontal 21, nur über den Kreis der Berechtigten werde weiter nachgedacht, Zitat: Grundsätzlich vorstellbar erscheint es demgegenüber, den Kreis der durch die Eigenbedarfskündigung begünstigten Personen klarer zu fassen und weiter einzuschränken. Nachfrage beim Eigentümer-Verband: Schärfere Gesetz seien nicht nötig. O-Ton Kai H. Warnicke, Präsident Haus & Grund Deutschland: Wir haben in Deutschland eine ganz klare Rechtslage mit Blick auf die Eigenbedarfskündigung, die eine Interessenerwägung von Mieter und Vermieter erfordert. Es ist natürlich Aufgabe eines jeden, seine Rechte auch wahrzunehmen. Mieter sind beim Mieterbund gut beraten und können dann ihre Rechte auch gut durchsetzen. Das Gesetz jedenfalls macht es für den Mieter sicher, dass er nicht unzulässig wegen Eigenbedarfs aus seiner Wohnung gekündigt werden kann. Maria Schöller musste ausziehen wegen Eigenbedarfs und jetzt mehr Miete zahlen. Ob das rechtens war, muss das Gericht klären. Jetzt werden die Anwälte wieder arbeiten und hin- und herschreiben und es geht ins schriftliche Verfahren und ja, weiter geht s. Der Mieterin steht ein jahrelanger Rechtsstreit bevor - mit ungewissem Ausgang.

5 Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.