Von Adam und Eva bis zu den kleinen Propheten

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Von Adam und Eva bis zu den kleinen Propheten

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Martin Rösel Von Adam und Eva bis zu den kleinen Propheten Glaubenserfahrung im Alten Testament

Martin Rösel, Dr. theol., Jahrgang 1961, studierte Evangelische Theologie und Altorienta lische Religionsgeschichte in Bonn und Hamburg. Er unterrichtet Hebräisch und Altes Testament an der Universität Rostock. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind Bibelübersetzungen in Antike und Gegenwart. Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 2013 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH Leipzig Printed in Germany H 7696 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Verviel fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt. Cover und Coverfoto: Kai-Michael Gustmann, Leipzig Coverfoto: Menora vor der Knesset in Jerusalem (Foto: Proesi) Layout und Satz: Steffi Glauche, Leipzig Druck und Binden: BELTZ Bad Langensalza GmbH ISBN 978-3-374-03187-0 www.eva-leipzig.de

Inhalt Einleitung: Zwei Testamente, ach, in einem Buch................. 7 1 Das Umfeld............................... 10 1.1 Mein Vater war ein Aramäer................. 10 1.2 Ein Land voll Milch und Honig Die Geographie............................ 12 1.3 Ägypter, Amalekiter, Assyrer Die Nachbarn... 14 1.4 Götter und die Welt Religionen im Umfeld Israels.................................... 18 2 Die Geschichte............................. 22 2.1 Geschichten und Geschichte History and herstory........................ 22 2.2 Die Anfänge Israels......................... 23 2.3 Die Königszeit............................. 26 2.4 Das Exil.................................. 31 2.5 Von der Perserherrschaft zur Römerherrschaft... 33 3 Die Texte Das Buch der vielen Bücher........ 37 3.1 Name, Aufbau und Anordnung............... 37 3.2 Material, Text, Sprache und Übersetzungen..... 40 3.3 Die Tora Der Pentateuch................... 43 3.3.1 Genesis................................... 44 3.3.2 Exodus................................... 47 3.3.3 Levitikus und Numeri....................... 51 3.3.4 Deuteronomium........................... 52 5

3.4 Die Geschichtsbücher....................... 54 3.4.1 Josua, Richter, Rut.......................... 56 3.4.2 Samuel- und Königsbücher.................. 58 3.4.3 Chronik, Esra, Nehemia, Ester................ 61 3.5 Poetische und weisheitliche Bücher............ 63 3.5.1 Hiob Das Leiden des Menschen und die Gerechtigkeit Gottes........................ 64 3.5.2 Psalmen.................................. 65 3.5.3 Bücher Salomos............................ 67 3.6 Die Prophetenbücher........................ 70 3.6.1 Die Jesaja-Sammlung....................... 72 3.6.2 Jeremia und die Klagelieder.................. 75 3.6.3 Ezechiel.................................. 77 3.6.4 Daniel.................................... 78 3.6.5 Die Zwölf Propheten........................ 79 4 Die Themen Die Bedeutung des AT damals und heute................................. 84 4.1 Die Schöpfung............................. 85 4.2 Gott dienen und ihn loben................... 87 4.3 Gebote und Gesetze......................... 91 4.4 Der Messias und die Erwartung einer heilvollen Zukunft.......................... 94 4.5 Gottes Name, Gottes Wesen.................. 97 5 Warum das Alte Testament lesen?............ 101 Bildnachweis................................... 109 Editorial zur Reihe.............................. 110 6

Einleitung Zwei Testamente, ach, in einem Buch Auch ganz unkirchlich orientierte Menschen wissen, dass die christliche Bibel aus zwei Teilen besteht, dem Alten und dem Neuen Testament. Viele können sogar benennen, dass im ersten Teil Geschichten zu finden sind, die sich durch eine besondere,»alttestamentarische«härte auszeichnen. Im Neuen Testament würde sich demgegenüber die Religion der christlichen Nächstenliebe finden. Wer die Texte gelesen hat, weiß aber, dass es so einfach nicht ist. Auch im Neuen Testament werden schlimme Gewaltexzesse geschildert, etwa in der Apokalypse des Johannes. Und das Gebot zur Nächstenliebe findet sich ausgerechnet im Alten Testament, im Buch Levitikus, dem 3. Mosebuch, Kapitel 19, Vers 18. Wie kommt es zu solchen Missverständnissen, die ja immer auch einen antijüdischen Aspekt haben? Schließlich wertet man ja die Bibel des Judentums ab, wenn man pauschal das Alte Testament als Buch der Gewalt versteht. Wie kommt es überhaupt, dass die christliche Bibel aus diesen beiden Teilen besteht? Wie unterscheiden sich die Hebräische Bibel des Judentums und das Alte Testament der Christen? Weshalb gibt es Bibeln mit unterschiedlichem Umfang bei evange - lischen und katholischen Christen, und wie kommt es, dass sich die verschiedenen Übersetzungen so stark unterscheiden? Und schließlich: Was steht eigentlich drin im ersten Teil des»buches der Bücher«, welche Themen sind bestimmend und was geht uns das heute noch an? Auf diese Fragen will das vorliegende Büchlein eine Antwort versuchen und eine Ein- 7

führung geben. Vor allem aber will es dazu motivieren, diese faszinierende Schrift selbst zu lesen und sich so von fremden Vorurteilen unabhängig zu machen. Eine Frage soll bereits jetzt geklärt werden, weil sie direkt ins Zentrum des Themas führt: Woher stammt die Bezeichnung»Altes Testament«und welchen Sinn hat sie? Zunächst ist klar, dass es sich um eine christliche Benennung handelt,»man wertet die Bibel des Judentums ab, wenn man pauschal das Alte Testament als Buch der Gewalt versteht.«die vom Gegenüber zum Neuen Testament lebt. Doch wenn im NT auf das AT verwiesen wird, ist meist einfach nur von der»schrift«die Rede, oder die Bücher werden als»gesetz und Propheten«zusammengefasst. Die Auflösung findet sich schließlich bei Paulus in 2Kor 3,14 dort heißt es:»ihre (= der Juden) Sinne wurden verstockt. Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen.«dieser Satz weist zurück auf das Kapitel Ex 34 im AT. Dort wird beschrieben, dass Mose sein Gesicht mit einer Decke verhüllen muss, da es den Glanz Gottes widerspiegelt, den die Israeliten nicht ungefährdet sehen können. Dieses Bild vergleicht Paulus mit dem Bibellesen: Da das Judentum Jesus nicht als Messias, als Christus anerkennt, liegt für sie gleichsam eine Decke auf der Schrift. Für Christen aber ist die Decke abgetan, sie haben nun direkten Zugang zum rechten Verständnis der Bibel und damit zur Herrlichkeit Gottes. Ausdrücklich wurde vorher schon gesagt, dass die Christen Mitglieder eines neuen Bundes sind, in dem der Geist Gottes wirkt. Der alte Bund sei dagegen einer, der an den Buchstaben der Bundestafeln hängt, die Mose von Gott erhalten hat. 8

Die hebräischen und griechischen Worte für»bund«wurden später im Lateinischen mit»testamentum«übersetzt und, veranlasst durch den Text aus 2Kor 3,14, auf die Schriften des alten und neuen Bundes angewendet. Dabei ist wichtig»ein Christentum, das die Schriften des ersten Bundes Gottes mit seinem Volk zu wissen, dass die Erwartung eines neuen Bundes auch aus nicht kennt, weiß nichts dem Buch des alten Bundes von seiner Herkunft.«stammt. Sie wurde in Jer 31 geäußert, als man den Bund Gottes mit Israel als gebrochen ansah. An diese Vorstellung spielen die Abendmahlsworte Jesu an, vgl. 1Kor 11,15:»Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut«; er stellt sich also ausdrücklich in die Tradition dieser Erwartung des alten Israel. Dieses erste Beispiel macht bereits deutlich, dass das Alte Testament unverzichtbar ist, will man das Neue verstehen und richtig einordnen.»nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich«, so hat es Paulus in Röm 11,18 formuliert. Ein Christentum, das die Schriften des ersten Bundes Gottes mit seinem Volk nicht kennt, weiß nichts von seiner Herkunft und Geschichte. 9

1 Das Umfeld 1.1 Mein Vater war ein Aramäer... Wer aufmerksam die Nachrichten aus dem Nahen Osten verfolgt, weiß, wie komplex die Verhältnisse in der Region sind. Alles scheint miteinander verbunden zu sein, Stammesgebiete sind oft wichtiger als Ländergrenzen, Wassermangel kann zum Kriegsgrund werden. Im Altertum war das nicht anders, daher sind viele Texte des Alten Testaments nur verständlich, wenn man die Grundzüge von Geographie, Geschichte und Denkweise des Alten Orients kennt. Ein erstes Beispiel mag das verdeutlichen: Im Buch Deuteronomium ist ein Glaubensbekenntnis aufgezeichnet, das bei dem Opfer der ersten Früchte zu sprechen ist (26,5-9):»Mein Vater war ein Aramäer, dem Umkommen nahe, und zog hinab nach Ägypten und war dort ein Fremdling mit wenig Leuten und wurde dort ein großes, starkes und zahlreiches Volk. Aber die Ägypter behandelten uns schlecht und bedrückten uns und legten uns einen harten Dienst auf. [ ] Und der HERR erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsere Angst und Not und führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken, durch Zeichen und Wunder, und brachte uns an diese Stätte und gab uns dies Land, darin Milch und Honig fließt.«aufs Knappste werden hier wesentliche Etappen der Frühgeschichte Israels zusammengefasst: Ursprünglich liegen die Wurzeln der Israeliten im Aramäergebiet, im heuti- 10

gen Nordsyrien also. Als sie nach Ägypten fliehen und dort unterdrückt werden, befreit Gott sie durch eine wunderbare Rettungstat und führt sie dann in das gelobte Land Israel. Interessant ist, welche Elemente fehlen: Mose, der Führer des Exodus aus Ägypten, wird nicht erwähnt, ebenso wenig die Offenbarung am Sinai und die 40 Jahre in der Wüste. Alles ist konzentriert auf Gottes Rettungstat»mit starker Hand und ausgerecktem Arm«und die Gabe des Landes»in dem Milch und Honig fließen«. Interessanterweise kann nun das, was im Bekenntnis genannt ist, historisch wahrscheinlich gemacht werden.»der Name Israel ist erstmals in einer ägyptischen Inschrift aus dem Jahr 1208 v. Chr. belegt.«tatsächlich hat es im 2. Jahrtausend eine Wanderungsbewegung von aramäischen Stämmen aus dem Norden in das Gebiet Kanaan im Süden gegeben. Dass sich Nomaden in Zeiten der Not nach Ägypten gerettet haben, ist ebenfalls belegt. Dies hängt damit zusammen, dass Ägypten aufgrund des Nilwassers nicht so abhängig von Regenfällen wie die Region Syrien-Kanaan war. Für den Exodus gibt es keine Belege, doch immerhin ist der Name»Israel«erstmals in einer ägyptischen Inschrift aus dem Jahr 1208 v. Chr. belegt. Kurz danach hat sich dann tatsächlich im Bergland westlich des Jordans eine Volksgruppe formiert, aus der sich später das Königreich Israel mit seiner Hauptstadt Jerusalem entwickelte. Allerdings waren die Anfänge Israels höchst bescheiden, wie heute die Archäologie nachweisen kann. Sicher ist kein großes Volk mit über 600 000 Menschen aus Ägypten geflohen, wie es im Buch Numeri vorgerechnet wird, sondern höchstens eine kleine Karawane. Auch ist das Land Kanaan sicher nicht in einem großen Feld- 11

»Die Erzählungen des Alten Testaments wollen zuallererst die geglaubte Geschichte darstellen.«zug erobert worden. Viel eher war es so, dass sich verschiedene Nomadengruppen niederließen und mit schon Ansässigen neue Stammesverbände gründeten. Später wird diese frühe Geschichte in Sagen und Erzählungen verherrlicht und immer weiter ausgestaltet, bis hin zu den Erzählungen von Mose und dem Pharao oder Josuas wunderbarer Eroberung von Jericho. Diese Geschichten wurden gesammelt und bilden den Grundstock der Bücher Genesis bis Josua. Das»kleine geschichtliche Credo«, wie das Bekenntnis aus Dtn 26 in der Forschung genannt wird, geht dann später den umgekehrten Weg und verdichtet die Geschichte wieder, um auf diese Weise Gott als Retter die Ehre zu geben. So wird beispielhaft deutlich, dass die Erzählungen des Alten Testaments zuallererst die geglaubte Geschichte darstellen wollen und nicht den Anspruch haben, historisch zuverlässige Geschichtsschreibung zu sein. Unsere modernen Erwartungen an eine Darstellung der Geschichte gehen also vorbei an den Absichten der Literaturwerke des Alten Orients seien es die Bibel Israels oder die Überlieferungen anderer Völker. 1.2 Ein Land voll Milch und Honig Die Geographie Die Geschichte Israels wird wesentlich durch die geographischen Gegebenheiten bestimmt. Palästina, wie das Gebiet etwa seit dem 5. Jh. v. Chr. genannt wird, bildet zusammen mit Syrien die Landbrücke zwischen Mesopotamien im Nordosten und Kleinasien im Norden und Arabien und 12