mp3 und die Musikindustrie: Erfahrungen Karlheinz Brandenburg Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT TU Ilmenau, Institut für Medientechnik Berlin, 25. Januar 2017 1
Überblick Einleitung Es war einmal: Die Vorgeschichte Technologiewechsel ändern Geschäftsmodelle: Die Musikindustrie Stand heute Ein Paradigmenwechsel mit 10 Jahren Ankündigung Vom Standard ohne Anwender zum bestgehassten Kürzel in der Musikindustrie Mühsame Versuche zu neuen Geschäftsmodellen 2
mp3 überall?»mp3«= Musik im Internet!? Status 2017: ca. 8 Milliarden Geräte verstehen das Format Mobiltelefone, Autoradios, Computer: alle mit mp3 für viele gilt: digitale Musik =.mp3 Befreiung der Musik vom physikalischen Trägermedium Speicherung / Übertragung um Faktor 12 (oder mehr) billiger 3
»Once upon a time «Ein Märchen unserer Tage Träume 1979: Prof. Dieter Seitzer: warum über ISDN nicht Musik übertragen Ein anonymer Patentprüfer:»Nach Stand der Technik reichen 128 kbit/s nicht für Musik«1986: Der geplante digitale Hörrundfunk braucht hohe Tonqualität bei niedrigen Bitraten 1988:»Wenn alles gut geht, wird das System von Millionen Menschen genutzt werden«4
Erste Kontakte mit deutscher Industrie 1983: ein (damals) großer deutscher Unterhaltungselektronik-Hersteller Wird nicht funktionieren Wer braucht das? 1986: erste Konferenzveröffentlichungen Wird nicht funktionieren Wer braucht das? 1988: Das Patent ist nichts wert Wir haben uns schon für andere Technik entschieden 5
Das Team 1987 Bild: Fraunhofer IIS/Kurt Fuchs 6
Standardisierung: Der Weg in MPEG Dezember 1988: Erstes Treffen von MPEG Audio Alle bekannten Forschungsgruppen nehmen teil Fraunhofer stellt OCF-Echtzeitsystem vor MPEG erzwingt Zusammenarbeit Am Ende haben zwei Vorschläge die höchsten Punktzahlen Einer mit Beteiligung des IRT in München (+ Phillips und CCETT) Einer mit Fraunhofer IIS (+ AT&T und Thomson) Daraus werden verschiedene Modi des Standards La ye r 2: DAB, DVB, CD-I Layer 3: Tonübertragung über ISDN (und heute: Internet Streaming + alle portablen Geräte) 7
Digitale Medien verändern die Wirtschaft: Das Beispiel Musikindustrie 1995: Die großen Musikfirmen auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Macht: Warner, BMG, Sony Music, Universal Music Eine technologische Revolution kündigt sich an, beteiligt sind: PCs mit der Fähigkeit, Musik abzuspielen, zu übertragen, zu speichern CD-Laufwerke an Computern, CD-Brenner Das Internet MP3 8
1994: Was wird aus anderen Formaten? Ein Fraunhofer-Mitarbeiter 1994: 9
1995: Fraunhofer setzt auf das Internet als Vertriebsweg Worldspace entscheidet sich für Layer-3, erste Consumeranwendung PC' s werden schnell genug für Echtzeit-Decodierung erster WinPlay Erste Kontakte zur Musikindustrie und Rechteorganisationen (über ein EU-gefördertes Projekt) Ricki Adar will gesicherten Musikvertrieb mit MP3 und Kopierschutz starten Bewusstes Setzen auf das Internet als Marketing-Instrument Erste Kopierschutzsysteme aus Erlangen 10
Wie mp3 sich im Internet durchsetzte 1995 Winplay3 als Demo, Filenamen enden mit.mp3 (14.7.95) IUMA mit Musik im Layer-2-Fo rma t Macromedia lizenziert Layer-3 1996/1997 Andere Decoder werden geschrieben Ein Encoder wird gestohlen und kostenlos verbreitet Erste Lizenz an Microsoft, ab 1997 in jeder Lizenz von Windows»die La w ine rollt«2003 Apple startet den itunes music shop (mit AAC) 11
Probleme der Musikindustrie mit mp3: Folgendes wurde plötzlich um den Faktor 12 (die typische Kompressionsrate) billiger: Kosten der Speicherung von Musik am PC Kosten des Transfers von Musik über CD-ROM Kosten der Übertragung von Musik über Internet Beginnend mit amerikanischen Studenten, wurde der Austausch von mp3- Musik zum Volkssport Analoge Kassetten erlauben keine Kopie der Kopie, mp3's behalten ihre Qualität (solange nicht zwischendurch decodiert/encodiert wird) die Herkunft von mp3s ist nicht feststellbar (anonymes Veröffentlichen ist möglich) 12
Reaktionen der Musikindustrie zunächst:»geht uns nichts an«ab 1997: langsames Verstehen der Situation, Versuch durch Schließung von Web-Sites.mp3 zu verbannen Noch um 2000 war es schwierig, legale elektronische Vertriebsrechte zu bekommen: wer soll in Zukunft das Geschäft betreiben? oft war die Rechtslage völlig unklar seit Ende 1997 Entstehen einer»alternativen«musikverlagsbranche: elektronischer Vertrieb ohne Sicherheitssysteme SDMI als (letzter) Versuch zur Kontrolle des Vertriebs gesicherte Systeme zum Download setzen sich nicht durch 13
Piraten und die Musikindustrie erste mp3-websites Ende 1996 / Anfang 1997 Sommer 1997: Gerichtsbeschlüsse, Bekanntmachung in USA Today Reaktion: mehr Piraten Rio PMP300 (erster mp3-player in den Läden) im Sommer 1998 angekündigt Herbst 1998: Gerichtsverfahren gegen Diamond Die RIAA verliert das Gerichtsverfahren Reaktion: mehr Piraten Ende 1999: Napster tritt auf... 2001: viele der neuen Firmen werden aufgekauft 2003: die Musikindustrie kündigt wieder einmal neue Services an, Apple ist erfolgreich 14
Und die Folgen für die Musikindustrie? Umsätze der klassischen Labels: ca. 60% der Werte bezogen auf 1990 Umsätze mit Musik insgesamt (mit Konzertveranstaltungen) Ungefähr gleichgeblieben Selbst Musikinstrumente haben keinen Einbruch im Umsatz»Digital«(Download und Streaming-Services) erzeugt schon in vielen Ländern mehr als 50% des Umsatzes mit Musikkonserven Es gibt keine klaren Sieger im Wettbewerb um die Vertriebsform der Zukunft 15