bav Symposium 2013 Die bav krisenfest oder fest in der Krise? Unisex Tarife Konsequenzen und Herausforderungen für die bav Dr. Richard Herrmann, Köln Köln, 27. Februar 2013
Agenda Unisex-Tarife - Konsequenzen und Herausforderungen für die bav 1. Folgen des EuGH-Urteils vom 1.3.2011 2. Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung 3. Kalkulation von Unisex-Tarifen in der bav 4. Zusammenfassung Seite 2
1 Folgen des EuGH-Urteils vom 1.3.2011 Was ist ein Unisex-Tarif? Unisex uni- < lateinisch unus = einer, ein Einziger > und sex < lateinisch sexus = Geschlecht > Duden: optische Annäherung der Geschlechter durch Auflösung typisch weiblicher oder männlicher Attribute in der Mode Unisex-Tarif geschlechtsunabhängiger Tarif für Männer und Frauen Bestimmung des Verhältnisses von Beitrag und Leistung ohne Berücksichtigung des Geschlechts Blick nicht nur auf geschlechtsunabhängig kalkulierte Hauptleistung Blick auch auf Überschussbeteiligung, Übertragungswert, Abfindungsbetrag, Ausgleichswert,. Seite 3
1 Folgen des EuGH-Urteils vom 1.3.2011 Folgerungen aus dem EuGH-Urteil Urteil gilt formal nicht für die betriebliche Altersversorgung Wie würde EuGH entscheiden, wenn ihm ein ähnlicher Fall mit Bezug zur betrieblichen Altersversorgung vorgelegt würde? Vorläufige herrschende Meinung: EuGH könnte ähnlich entscheiden Welche zeitlichen Konsequenzen? Unisex-Tarife in der bav - ab 21.12.2012? - ab 1.9.2011? - oder vollständig rückwirkend? Seite 4
1 Folgen des EuGH-Urteils vom 1.3.2011 Leitlinien der Europäischen Kommission vom 22.12.2011 Leitlinien zur Anwendung der Richtlinie 2004/113/EG des Rates auf das Versicherungswesen im Anschluss an das Unisex-Urteil des EuGH vom 1.3.2011 Unisex-Regel hat nach der Kommission ab dem 21. Dezember 2012 bei der Berechnung privater Versicherungsprämien und -leistungen für alle neuen Verträge zu gelten. Hinweise zur Abgrenzung von Neuvertrag gegenüber Altvertrag Weiterhin erlaubte geschlechtsspezifische Versicherungspraktiken nach Kommission u.a. Berechnung von Rückstellungen und interne Preiskalkulation Heranziehung des Geschlechts zur internen Risikobewertung, um erforderliche Rückstellungen zu berechnen, sei möglich Berechnung von Rückversicherungen Berücksichtigung des Faktors Geschlecht sei möglich, solange dies nicht zu geschlechtsspezifischen Unterschieden beim einzelnen Versicherungsnehmer führt Seite 5
1 Folgen des EuGH-Urteils vom 1.3.2011 Leitlinien der Europäischen Kommission vom 22.12.2011 Abgrenzung der Geltungsbereiche der RL 2004/113/EG und der für die betriebliche Altersversorgung einschlägigen Richtlinie 2006/54/EG Die RL 2004/113/EG gilt nur für private, freiwillige und von Beschäftigungsverhältnissen unabhängige Versicherungen keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit einer geschlechtsabhängigen Differenzierung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung, d.h. - es können für Frauen und Männer unterschiedliche Leistungsniveaus festgelegt werden, wenn dies aus versicherungsmathematischen Gründen gerechtfertigt ist. - Das Urteil hat keine Auswirkungen auf die Richtlinie 2006/54/EG, die sich auf einen völlig anderen Sachverhalt, nämlich den der betrieblichen Altersversorgung, bezieht und sich auch von der Formulierung her stark von Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 2004/113/EG unterscheidet. Seite 6
1 Folgen des EuGH-Urteils vom 1.3.2011 Leitlinien der Europäischen Kommission vom 22.12.2011 Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung? Leitlinien sollten nicht als pauschale Entwarnung für die Verwendung geschlechtsspezifischer Tarife in der betrieblichen Altersversorgung verstanden werden kein rechtsverbindlicher Charakter der an die Mitgliedsstaaten gerichteten Leitlinien keine Verhinderung einer abweichenden Entscheidung des EuGH Stärkung des Vertrauensschutzes für geschlechtsspezifische Gestaltungen in der bav? wohl ja hinsichtlich der vor dem 21.12.2012 erteilten Versorgungszusagen, da im Privatversicherungsbereich nur Neuverträge betroffen sein sollen zweifelhaft hinsichtlich ab dem 21.12.2012 erteilter Neuzusagen Stärkung der Position: Kein Bedürfnis für Unisextarife bei Rückdeckungsversicherungen? bei Rückversicherungen soll Berücksichtigung des Faktors Geschlecht unproblematisch sein, solange dies nicht zu geschlechtsspezifischen Unterschieden beim einzelnen Versicherungsnehmer führt Übertragung auf Rückdeckungsversicherung! Stärkung der Position: geschlechtsspezifische Berechnung von Rückstellungen (im weiteren Sinne) in der betrieblichen Altersversorgung zulässig Seite 7
2 Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung Haben wir schon Unisex-Tarife? Beispiele: Festrentenzusage auf Alters- und Invalidenrente Anwartschaftsbarwerte (Richttafeln 2005 G) x = 45 mit 60% Hinterbliebenenanwartschaft Prämie Barwert Zins Teilwert Zins Zins 5,15% 3,00% 1,75% 5,15% 3,00% 1,75% 5,15% 3,00% 1,75% Männer 2.205 4.147 6.088 70.542 130.179 191.149 44.069 71.774 96.340 Frauen 2.145 4.034 5.906 69.117 127.971 187.850 42.860 69.863 93.582 Abweichung 2,8% 2,8% 3,1% 2,1% 1,7% 1,8% 2,8% 2,7% 2,9% ohne Hinterbliebenenanwartschaft Männer 1.862 3.431 4.951 60.780 109.460 157.723 38.431 61.142 80.622 Frauen 2.047 3.870 5.680 66.887 124.059 182.247 41.831 68.308 91.584 Abweichung -9,0% -11,4% -12,8% -9,1% -11,8% -13,5% -8,1% -10,5% -12,0% Abweichung > 0 Vorteil für Männer bei Unisex-Tarif Seite 8
2 Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung Allgemein Darf der Versorgungsträger berücksichtigen, dass Männer und Frauen unterschiedliche Risiken darstellen? Wie kann der Versorgungsträger dies berücksichtigen in einer geschlechtsunabhängigen Kalkulation? Darf die Deckungsrückstellung niedriger sein als bei geschlechtsabhängiger Kalkulation? Wie erklärt der Aktuar eine höhere Deckungsrückstellung bei geschlechtsunabhängiger Kalkulation? Seite 9
Unter welchen Voraussetzungen sind Prämieneinnahmen und Deckungsrückstellung bei geschlechtsunabhängiger Kalkulation unverändert? Bei richtiger anteiliger Berücksichtigung der Ausscheidewahrscheinlichkeiten für Männer und Frauen. Aufgrund der unterschiedlichen geschlechtsabhängigen Ausscheidewahrscheinlichkeiten ist der Anteil Männer/Frauen jedoch altersabhängig. Es wäre also eine eigene Ausscheideordnung (Tafel) für jedes Eintrittsalter (zusätzlich zur Generationenabhängigkeit) und unterschiedliche Männer/ Frauen-Anteile erforderlich. in der Praxis nicht durchführbar vertretbare Näherung erforderlich Seite 10
1. Fall: Rentner Entwicklung eines Rentnerbestandes und deren Geschlechtszusammensetzung Aufteilung im Alter 65: 50 % Männer / 50 % Frauen 80% 70% 60% Anteil 50% 40% 30% Männer Frauen 20% 65 70 75 80 85 90 95 100 105 110 115 Alter Seite 11
1. Fall: Rentner Bei Rentnern ist die anfängliche Zusammensetzung des Bestandes maßgeblich Anstelle einer eigenen Unisex-Tafel können die bisherigen geschlechtsabhängigen Tafeln weiterverwendet werden, wenn die Barwerte entsprechend der Geschlechterzusammensetzung bei Rentenbeginn gewichtet werden Gewichtung nach Rentenhöhen ist der anzahlmäßigen Gewichtung vorzuziehen Seite 12
2. Fall: Anwärter Bei Anwärtern mindestens 2 Ausscheideursachen (Tod und Invalidität) Die Entwicklung der relativen Anteile Männer/Frauen ist altersabhängig Der relative Anteil Männer/Frauen ist in den Teilbeständen der Aktiven und Invaliden unterschiedlich Das Beginnalter ist von untergeordneter Bedeutung Seite 13
2. Fall: Anwärter 60 % Beginnalter 30 Anteile 50,0 % Männer, 50,0 % Frauen 55 % 50 % 45 % 40 % 30 35 40 45 50 55 60 65 Aktive Anteil Männer Aktive Anteil Frauen Seite 14
2. Fall: Anwärter Unterschiedliche Anwartschaftsentwicklung bei Männern und Frauen? Seite 15
2. Fall: Anwärter Bei Anwärtern ist die anteilmäßige Veränderung bis Alter 65 geringer als 5% Die relative Abnahme der Männer im Bestand der Anwärter wird in der überwiegenden Anzahl der Fälle durch eine geringere Anwartschaft der Frauen überkompensiert werden Gewichtung nach Rentenhöhen ist der anzahlmäßigen Gewichtung vorzuziehen Seite 16
Vorgehensweise zur Aufstellung von Unisex-Tafeln Rentner Berücksichtigung der geschlechtsabhängigen Entwicklung in Abhängigkeit vom Geschlechtermix bei der Altersgrenze Gleiches gilt für die Hinterbliebenen-Bestände Wahrscheinlichkeiten für Hinterbliebenenleistungen erfordern eine gesonderte Betrachtung der (gegengeschlechtlichen) Bestandsentwicklung Anwärter Anteile Männer/Frauen im Anwärterbestand nur geringeren Veränderungen unterworfen Ansatz: Zusammensetzung bei Versicherungsbeginn wird bis zum Erreichen der Altersgrenze als konstant angenommen Seite 17
Vorgehensweise zur Aufstellung von Unisex-Tafeln Zwei Methoden zur Erzeugung von Unisex-Generationentafeln 1. Basistafel-Modell Mischung der Basistafeln für Männer und Frauen zur Unisex-Basistafel Anwendung einer gemischten Projektivität auf die Unisex-Basitafel um die Unisex-Generationentafeln zu erzeugen Spätere Modifikationen wie bei geschlechtsabhängigen Tafeln möglich 2. Generationentafel-Modell Mischung der Generationentafeln für Männer und Frauen zu Unisex-Generationentafeln Keine einheitliche Projektivität, da sich aus der Mischung ergebend für jedes Geburtsjahr unterschiedlich Für Übergang aus bestehenden Rechnungsgrundlagen geeignet, langfristig nicht sinnvoll, da bei Modifikationen immer auf geschlechtsabhängige Tafeln zurückgegriffen werden muss Seite 18
Beispiel für Unisex-Tafeln Ausgangsbasis: Richttafeln 2005 G Altersgrenze 65 Jahre Eintrittsalter 35 Geschlechtermix bei Beginn: Männeranteil 25%, 50%, 75% Geburtsjahr 1975 Basistafel-Modell und Generationentafel-Modell Gleichbleibende Anwartschaft auf Alters-, Invaliden- und 60% bzw. 0% Hinterbliebenenrente Vergleich von exakter Bewertung und näherungsweiser Vorgehensweise Barwertvergleich Abweichung Barwert nach Näherung im Verhältnis zu exakter Bewertung Einzeln für jedes Alter durchgeführt, nur das Minimum, Maximum und der Durchschnitt dargestellt Seite 19
Abweichung zwischen exakter Bewertung und Näherung Zins 2,25% w = 0 % 1,4% 1,2% 1,0% Abweichung 0,8% 0,6% 0,4% 0,2% 0,0% Basistafel-Modell 25 % M Basistafel-Modell 50 % M Basistafel-Modell 75 % M Generationentafel- Modell 25 % M Generationentafel- Modell 50 % M Generationentafel- Modell 75 % M Minimum Maximum Durchschnitt Seite 20
Abweichung zwischen exakter Bewertung und Näherung Zins 2,25% w = 60 % 1,4% 1,2% 1,0% Abweichung 0,8% 0,6% 0,4% 0,2% 0,0% -0,2% Basistafel-Modell 25 % M Basistafel-Modell 50 % M Basistafel-Modell 75 % M Generationentafel- Modell 25 % M Generationentafel- Modell 50 % M Generationentafel- Modell 75 % M Minimum Maximum Durchschnitt Seite 21
Abweichung zwischen exakter Bewertung und Näherung Zins 5% w = 0 % 1,4% 1,2% 1,0% Abweichung 0,8% 0,6% 0,4% 0,2% 0,0% Basistafel-Modell 25 % M Basistafel-Modell 50 % M Basistafel-Modell 75 % M Generationentafel- Modell 25 % M Generationentafel- Modell 50 % M Generationentafel- Modell 75 % M Minimum Maximum Durchschnitt Seite 22
Abweichung zwischen exakter Bewertung und Näherung Zins 5% w = 60 % 1,4% 1,2% 1,0% Abweichung 0,8% 0,6% 0,4% 0,2% 0,0% -0,2% Basistafel-Modell 25 % M Basistafel-Modell 50 % M Basistafel-Modell 75 % M Generationentafel- Modell 25 % M Generationentafel- Modell 50 % M Generationentafel- Modell 75 % M -0,4% Minimum Maximum Durchschnitt Seite 23
4 Zusammenfassung Zusammenfassung EuGH-Urteil für bav nicht in deutsches Recht umgesetzt Klarstellung der BaFin liegt vor Geschlechtsabhängige Kalkulation bei Entgeltumwandlung kritisch bav wird sich auf Unisex-Tarife einrichten (müssen) Unisex-Tarife beinhalten höheres Risiko als geschlechtsabhängige Tarife Deckungsrückstellung kann auch weiter geschlechtsabhängig kalkuliert werden aber unklar bei Portabilität und Versorgungsausgleich Erzeugung von Unisex-Tafeln in der bav sehr komplex Vermeidung ungewollter Zuschläge bei Unisex-Tafeln möglich Langfristig Unisex als drittes Geschlecht Seite 24
Dr. rer. pol. Richard Herrmann Diplom-Mathematiker Aktuar DAV/IVS HEUBECK AG Gustav-Heinemann-Ufer 72a D-50968 Köln Telefon: + 49 (0) 221 / 93 46 93-17 Telefax: + 49 (0) 221 / 37 88 89 e-mail: Internet: R.Herrmann@Heubeck.de www.heubeck.de Seite 25