Bellis perennis Gänseblümchen (Asteraceae), Heilpflanze des Jahres 2017

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Bellis perennis Gänseblümchen (Asteraceae), Heilpflanze des Jahres 2017 CORINNE BUCH 1 Einleitung Das Gänseblümchen ist sicher eine der bekanntesten Pflanzenarten in Deutschland. Selbst Großstadtkinder schmücken heutzutage noch Haare und Ohren mit Gänseblümchen (Abb. 1) oder spielen das traditionelle Orakel "Er liebt mich Er liebt mich nicht". Und obwohl Bellis perennis wie Löwenzahn, Klee oder das Moos Sparriger Runzelpeter den Gräsern im Zierrasen den Platz streitig macht und dadurch den ordentlichen deutschen Rasenbesitzer zur Verzweiflung bringt, hat es erstaunlicherweise einen besseren Ruf als die anderen genannten Arten. Möglicherweise liegt das an den ihm zugeschriebenen Eigenschaften wie Unschuld und kindliche Verspieltheit, die man heute wie früher mit dem Gänseblümchen in Verbindung bringt. Zur Heilpflanze des Jahres 2017 wurde Bellis perennis gewählt, da über die Heilwirkung bislang nur wenig bekannt sei und man auf die Vielseitigkeit dieses Krautes aufmerksam machen möchte (NHV THEOPHRASTUSUS). Abb. 1: Großstadtkind mit Gänseblümchen im Haar (C. BUCH). Abb. 2: Gänseblümchenrasen (H. STEINECKE). 2 Morphologie und Ökologie Der Blütenstand des Gänseblümchens ist für die Familie der Korbblütler (Asteraceae) typisch aufgebaut. Das, was der Laie als Blüte ansieht, ist botanisch betrachtet ein als Körbchen bezeichneter Blütenstand aus mehr als hundert fünfzähnigen Einzelblüten (Abb. 3 7). Die Mitte wird dabei aus zahlreichen gelben fertilen Röhrenblüten gebildet. Die randlichen weißen sterilen Blüten des Gänseblümchens sind in zwei Reihen angeordnet. Ihre Blütenblätter sind zusammengewachsen, stark verlängert und bilden die "Zunge", was der Blüte das Aussehen eines einzelnen Blütenblattes verleiht. Diese weißen Zungenblüten können an der Spitze mehr oder weniger stark zartrosa bis rötlich überlaufen sein. Die Blüten des Gänseblümchens sind zwittrig. Am Grund des Körbchens stehen grüne Hüllblätter (Involucralblätter), die häufig mit den Kelchblättern anderer Pflanzenfamilien verwechselt werden, aber bei den Korbblütlern aus Hochblättern gebildet werden und eine Hülle (Involucrum) um die Blüten bilden (Abb. 4). 1

Abb. 3: Bellis perennis, Blütenstand mit weißen Zungenblüten und gelben Röhrenblüten (A. JAGEL). Abb. 4: Bellis perennis, Blütenstand von unten, Hülle (A. JAGEL). Bei genauer Beobachtung fällt sogar eine bestimmte Aufblühreihenfolge innerhalb des Körbchens auf, die sich von außen nach innen fortsetzt (Abb. 5 6). Dies ist eine Homologie zu der Aufblühreihenfolge der Blütenstände der meisten anderen Pflanzenfamilien, die von unten nach oben stattfindet, meist verbunden mit zeitlich versetzter Reifung der weiblichen und männlichen Blütenorgane zur Vermeidung von Selbstbestäubung. Abb. 5: Bellis perennis, junger Blütenstand, die äußeren Röhrenblüten öffnen sich (A. JAGEL). Abb. 6: Bellis perennis, alter Blütenstand, äußere Blüten verblüht, innere aufgeblüht (A. JAGEL). Abb. 7: Bellis perennis, Längsschnitt durch das Köpfchen (V. M. DÖRKEN). Abb. 8: Bellis perennis, Bestäubung durch eine Sandbiene (Andrena) (C. BUCH). 2

Im Laufe des Tages richtet das Gänseblümchen durch einseitigen Wuchs des Schaftes seine Blüten nach der Sonne aus, wie es vor allem von der Sonnenblume (Helianthus annuus) bekannt ist. Die einheitliche Ausrichtung der Blütenkörbchen kann auf einer besonnten, gänseblümchenreichen Wiese gut beobachtet werden. Nachts und bei Kälte schließen sich die Körbchen, was durch stärkeres Wachstum an der Zungenblütenaußenseite zustande kommt (DÜLL & KUTZELNIGG 2016). Das gesamte Blütenkörbchen steht einzeln auf dem Blütenstandsstiel, der einer grundständigen Rosette entspringt (Abb. 11). Die flachen Rosetten begünstigen das Wachstum der Art im Zierrasen, da sich die Rosette unterhalb der Rasenmähermesser befindet. Wird bei der Mahd der Blütenstand abgeschnitten, kann die Rosette selber zwar keinen neuen Blütenschaft bilden, wohl aber die zahlreichen von ihr an Ausläufern gebildeten Tochter-Rosetten, sodass der Rasen wenige Tage später wieder die typischen gelb-weißen Flecken aufweist. Die Bestäubung erfolgt hauptsächlich durch Insekten, vor allem durch Fliegen und Hautflügler wie Bienen (HEGI 1979, Abb. 8). Zur Fruchtzeit wölbt sich der Boden des Köpfchens konisch nach oben. Die Früchte (bei Korbblütlern: Achänen) sind nur sehr klein und besitzen anders als beispielsweise der Löwenzahn (Taraxacum spp.) keinen Flugapparat (Pappus) (Abb. 9). Daher ist ein fruchtendes Gänseblümchen eher unscheinbar. Die Ausbreitung der Früchte erfolgt in der Regel durch einfaches Ausstreuen mit dem Wind, wobei keine großen Distanzen zurückgelegt werden. Möglicherweise tragen einige Tiere wie Regenwürmer oder Weidevieh zusätzlich zur Ausbreitung der Früchte bei (Abb. 10 & 24). Abb. 9: Bellis perennis, Früchte (Achänen) (C. BUCH). Abb. 10: Kühe auf einer Weide (C. BUCH). Abb. 11: Bellis perennis, blühend mit Blattrosette (A. HÖGGEMEIER). Abb. 12: Bellis perennis, Blütenköpfchen schauen aus einem Rasen hervor (T. KASIELKE). 3

Abb. 13: Bellis perennis, Pflanze mit kurzen Ausläufern (C. BUCH). Abb. 14: Bellis perennis, Blatt (C. BUCH). Vegetative Vermehrung findet durch Ausläufer statt, die auch so kurz sein können, dass es scheint, als hätte eine Pflanze mehrere Blütenschäfte (Abb. 13). In Wirklichkeit stehen hier jedoch zwei verschiedene Rosetten so dicht beieinander, dass sie im Rasen optisch nicht zu trennen sind. Die Blätter sind spatelförmig, gestielt und leicht gekerbt (Abb. 14). Bellis perennis ist krautig und erreicht Wuchshöhen von 10 15 cm. Die Pflanze ist ausdauernd, die Überwinterung erfolgt als Rosette, wobei das ganze Jahr über Blüten beobachtet werden können. Die Art ist kaum frostempfindlich. Die Blüten können Temperaturen bis - 15 C ertragen (DÜLL & KUTZELNIGG 2016). Die Hauptblütezeit liegt allerdings im Frühling. Das Gänseblümchen benötigt offene und relativ nährstoffreiche Standorte ohne allzu hohe Vegetation. Es wächst daher bevorzugt in Gärten, Park- oder Zierrasen und auf Weiden (Abb. 2, 11-12, 24), wo es vom Tritt und Verbiss der Weidetiere und durch den häufigen Einsatz des Rasenmähers sogar gefördert wird. Auch in extensiven Mähwiesen ist es zu finden, in denen die Art die Phase vor dem Aufwachsen der konkurrenzkräftigen Obergräser nutzt. Schwerpunkte sind dabei jedoch extensive Fettwiesen, deren Boden zwar hier und da etwas lückig ist, aber nicht allzu mager oder trocken. Auf intensiv bewirtschafteten Grasäckern wird Bellis perennis wie alle anderen Beikräuter durch die stark geschlossene Grasnarbe und die schnell wachsenden Gräser verdrängt. Bellis perennis besitzt eine relativ hohe Toleranz gegen Salz, sodass es auch auf Salzwiesen zu finden ist. 3 Status und Verbreitung Bellis perennis ist ein typischer Kulturfolger. Die Art ist wahrscheinlich erst mit Beginn der Wiesenwirtschaft nach Mitteleuropa eingewandert und gilt somit als Archaeophyt. Heute ist das Gänseblümchen in ganz Mitteleuropa wohl eine der häufigsten Arten und kommt sowohl in der alten bäuerlichen Kulturlandschaft wie auch in Parks und Gärten der Innenstädte vor. Durch die allgemeine Häufigkeit der Art ist das Gänseblümchen auch gelegentlich an Waldwegen, Lichtungen oder Ruderalstellen zu finden und tritt daher in so gut wie jedem Messtischblatt in NRW bzw. Deutschland auf (HAEUPLER & al. 2003, FLORAWEB.DE). Dabei besiedelt es auch die Alpen bis in Höhen von über 2000 m ü. NN (HEGI 1979). Das Areal reicht vom beinahe gesamten Mittelmeerraum bis nach Nordskandinavien und Island, wo es als adventiv eingestuft ist (HEGI 1979). Von Europa aus wurde das Gänseblümchen als Neophyt fast weltweit in entsprechende Klimazonen verschleppt und wächst heute zum Beispiel auch in Nordamerika und Neuseeland (HEGI 1979, DÜLL & KUTZELNIGG 2016). 4

Bochumer Botanischer Verein www.botanik-bochum.de Pflanzenporträts 2017 Weitere europäische Arten sind Bellis annua (Abb. 15), das im Mittelmeerraum und auf den Kanarischen Inseln wächst, sowie Bellis sylvestris (Abb. 16), das nur selten im südöstlichen Mittelmeerraum, z. B. in Istrien, vorkommt. Weltweit existieren je nach Auffassung ca. 10 15 Bellis-Arten, darunter einige Lokalendemiten (HEGI 1979). Abb. 15: Bellis annua (Griechenland, Lakonien, Elafonisos, 03.04.2011, A. JAGEL). Abb. 16: Bellis sylvestris (Griechenland, Peloponnes, Parnon, 17.11.2013, A. JAGEL). Darüber hinaus existieren Zuchtsorten im Gartenhandel, die als "Bellis" oder "Tausendschönchen" in verschiedenen Farben verkauft werden (Abb. 19-23). Abb. 17: Bellis perennis, abweichende Wildform mit vervielfachten Reihen von weißen Zungenblüten (V. M. DÖRKEN). Abb. 18: Bellis perennis, abweichende Wildform bei der zusätzlich einige Zungenblüten anstelle von Röhrenblüten stehen (V. M. DÖRKEN). Abb. 19: Bellis perennis, weiße Tausendschönchen mit teilweise "gefüllten Blüten" (29.04.2009, A. JAGEL). Abb. 20: Bellis perennis, rosa Tausendschönchen mit komplett "gefüllten Blüten" (28.03.2010, A. HÖGGEMEIER). 5

Bochumer Botanischer Verein www.botanik-bochum.de Pflanzenporträts 2017 Abb. 21: Bellis perennis, rosa blühendes Tausendschönchen im Schnee (07.04.2008, H. STEINECKE). Abb. 22: Bellis perennis, rot blühendes Tausendschönchen (29.04.2009, A. JAGEL). Abb. 23: Bellis perennis, in einer Blumenrabatte im Frühling (13.04.2008, H. STEINECKE). Abb. 24: Bellis perennis, Gänseblümchenrasen mit Nilgans (15.04.2008, H. STEINECKE). Diese Pflanzen sind wesentlich kräftiger und besitzen in der Regel "gefüllte Blüten", bei denen durch Zucht die äußeren Röhrenblüten zu Zungenblüten umgewandelt wurden. Solche abweichenden Formen sind auch gelegentlich in der Natur zu finden (Abb. 17-18) und entstehen wahrscheinlich durch Mutation. Tausendschönchen sind ebenfalls zwei- oder mehrjährig, blühen lange und werden für die Bepflanzung von Blumenkübeln und Balkonkästen ab dem Spätwinter empfohlen. 4 Name Neben der Bezeichnung "Gänseblümchen" existieren regional noch zahlreiche weitere deutsche Namen wie Tausendschön, Maßliebchen oder Marienblume. Der Gattungsname Bellis bedeutet aus dem lateinischen übersetzt "schön" (= bellus) und findet seine direkte Übersetzung in dem deutschen Namen Tausendschön. Im Mittelalter wurden jedoch zunächst verschiedene Wiesenblumen, wie auch die Margerite (Leucanthemum vulgare agg.) als Bellis bezeichnet, bis LINNÉ ihn dann auf die Gattung Gänseblümchen beschränkte (KRAUSCH 2007). Der Name Gänseblümchen stammt wohl daher, dass die Art früher häufig auf Gänseweiden zu finden war (Abb. 24). Da es bei uns nur einen Vertreter der Gattung Bellis wildwachsend gibt, reicht die umgangssprachliche Gattungsbezeichnung "Gänseblümchen" zur Benennung aus. Genau genommen müsste die Art aber als "Ausdauerndes" oder "Mehrjähriges Gänseblümchen" übersetzt werden, um dem Artnamen "perennis" gerecht zu werden. 6

Die Herleitung des Namens "Maßliebchen" ist unklar, wahrscheinlich kommt die Bezeichnung aus dem niederländischen Raum und bezieht sich entweder auf das Wort "matelief", das Esslust bedeutet und sich wohl auf die appetitanregende Wirkung bezieht. Oder es stammt von dem Wort "mate" = Wiese ab und könnte somit als "Wiesenblume" übersetzt werden (DÜLL & KUTZELNIGG 2016). Im englischen Raum heißt das Gänseblümchen "daisy", was sich von day's eye (= Auge des Tages) ableitet. 5 Symbolik Die Symbolik des Gänseblümchens in der Mythologie ist vielseitig und teils unklar, ebenso seine Anwendung in der Kräuterheilkunde. Zunächst war das Gänseblümchen in der nordischen Mythologie der Göttin FREYA geweiht, der Göttin der Liebe und Ehe. Im Zuge der Christianisierung wurde Bellis dann umgedeutet als Pflanze, die Mutterliebe, Reinheit, Bescheidenheit und kindliche Unschuld symbolisiert und somit meist mit MARIA und dem Jesuskind bzw. mit christlichen Tugenden in Verbindung gebracht (SCHERF 2003, BEUCHERT 2004). Daher stammt auch die Bezeichnung "Marienblümchen". Eine Legende besagt, dass MARIA einst Blumen aus Seide für ihr Jesuskind bastelte. Dabei verletzte sie sich am Finger, sodass sich die Blütenspitzen rot färbten. JESUS gefielen die Blumen so gut, dass er sie zum Leben brachte. Und um alle anderen Kinder ebenfalls zu erfreuen, ließ er die Blume das ganze Jahr über blühen. Weiteren Legenden zufolge entwuchsen die Gänseblümchen MARIAS Tränen während der Flucht nach Ägypten. Diese Legende wird wiederum vielfach abgewandelt. So ist es im osteuropäischen Raum MARIA MAGDALENA, die aufgrund ihres sündigen Lebens weinte, während es in der griechischen Mythologie die schöne HELENA war, die die Art durch ihre Tränen erschuf (DUVE & VÖLKER 2002, SCHERF 2003). Durch seine Symbolik fand das Gänseblümchen auch vielfach Eingang in Kunst und Literatur. In SHAKESPEARES HAMLET sagt OPHELIA: "Da ist Fenchel für Euch und Akelei. Da Raute für Euch, und hier auch für mich, wir könnens auch Gnadenkraut nennen am Sonntag. Oh, ihr müsst Eure Raute auf andere Art tragen. Da ist ein Gänseblümchen. Ich würde Euch Veilchen geben, doch alle verwelkten, als der Vater starb sie sagen, er nahm ein gutes Ende". Auch auf Gemälden ist die Art abgebildet. In BOTTICELLIs berühmtem Bild "Die Geburt der Venus" bekommt die in einer Muschel strandende Venus von einer Nymphe einen mit Gänseblümchen bestickten Mantel überreicht. Heute ist Bellis perennis vor allem als Orakelpflanze beliebt und durch das Spiel "Er liebt mich Er liebt mich nicht" bekannt. Dabei wird jeweils eine der Zungenblüten abgerissen, während der Spruch aufgesagt wird. Endet die letzte verbleibende Randblüte auf "Er liebt mich nicht", werden von schlauen Kindern beliebig viele weitere Blütenköpfe verwendet, bis das gewünschte Ergebnis zustande kommt. Tatsächlich wird dieses Spiel bereits in GOETHES Werk "FAUST" erwähnt, in dem GRETCHEN dieses Spiel mit einer "Sternblume" spielt, die als Gänseblümchen oder Margerite gedeutet wird. Für das seit dem Mittelalter praktizierte Spiel wurden teils auch weitere Pflanzen wie Halmknoten von Gräsern zum Abzählen verwendet (SCHERF 2003). Einem Aberglauben in Frankreich und Dänemark nach soll das Verspeisen der ersten drei Gänseblümchen des Jahres vor verschiedenen Krankheiten wie Zahnschmerzen oder Fieber schützen. Erfolg bei Verhandlungen hat indes, wer am Johannistag (24. Juni) zwischen 12 und 13 Uhr Gänseblümchen pflückt, diese trocknet und bei sich trägt (SCHERF 2003). 7

6 Heilwirkung Laut NHV (NHV-THEOPHRASTUS.DE) wirken Gänseblümchen insgesamt entzündungshemmend, wundheilend, schmerz- und krampflindernd. Medizinisch potentiell wirksame Inhaltsstoffe sind dabei unter anderem Saponine, ätherische Öle, Bitterstoffe, Flavonoide und Gerbstoffe. Darüber hinaus enthält die Pflanze die Vitamine A und C, Mineralien und Eisen (NHV-THEOPHRASTUS.DE, HEGI 1979). Als Heilpflanze soll das Gänseblümchen vor allem in der Kinderheilkunde gegen Erkältungsbeschwerden, Husten und Durchfall verwendet werden. Dazu werden einige Blütenköpfe in die Teemischung gegeben oder in Honig eingelegt. Äußerlich angewendet soll eine Tinktur aus Gänseblümchen bei Hautverletzungen, Ausschlägen oder Insektenstichen helfen (Abb. 26). Als erste Hilfe im Gelände kann, ähnlich wie beim Wegerich, auch einfach ein Gänseblümchen-Blatt zerdrückt und auf die entsprechende Stelle aufgetragen werden. Vor allem bei jüngeren Kindern wirkt diese Methode Wunder. Bei der Vielzahl von verschiedenen Anwendungen ist die entsprechende Wirkung allerdings fraglich und auch wissenschaftlich nicht belegt. Bei dem Argument, dass eine Pflanze bereits viele Jahrhunderte lang Anwendung fand, ist immer auch zu berücksichtigen, dass den damaligen Menschen auch nicht besonders viele Alternativen zur Behandlung ihrer Leiden zur Verfügung standen und natürlich alles Mögliche probiert wurde. Jedenfalls ist das Gänseblümchen ungiftig und seine Verwendung als Heilpflanze zumindest bei harmlosen Krankheiten nicht schädlich. Vielseitige Verwendung finden Gänseblümchen auch in der Wildkräuterküche (Abb. 25). Zum Beispiel können sie als Zutat in Salate und Kräuterquark gegeben oder schlichtweg als Dekoration verwendet werden. Die Blüten haben allerdings einen etwas bitteren Geschmack. In Essig eingelegt lassen sich die ungeöffneten Knospen wie Kapern essen (HENSCHEL 2002). Abb. 25: Butterbrot mit Bellis perennis (S. WIGGEN). Abb. 26: Tinktur aus Bellis perennis in Alkohol (C. BUCH). Danksagungen Ich bedanke mich herzlich bei Dr. VEIT M. DÖRKEN (Konstanz), ANNETTE HÖGGEMEIER (Bochum), Dr. ARMIN JAGEL (Bochum), Dr. TILL KASIELKE (Mülheim/Ruhr), Dr. HILKE STEINECKE (Frankfurt/Main) und SIMON WIGGEN (Bochum) für die Bereitstellung von Fotos. Literatur BEUCHERT, M. 2004: Symbolik der Pflanzen. Frankfurt, Leipzig. DÜLL, R. & KUTZELNIGG, H. 2016: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder, 8. Aufl. Wiebelsheim. 8

DUVE, K. & VÖLKER, T. 2002: Lexikon berühmter Pflanzen. München. FLORAWEB.DE Verbreitungskarte von Bellis perennis. http://floraweb.de/webkarten/karte.html?taxnr=814 [18.05.2017]. HAEUPLER, H., JAGEL, A. & SCHUMACHER, W. 2003: Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen Nordrhein- Westfalens. Recklinghausen. HEGI, G. 1979: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Band 6(3), 2. Aufl. Berlin, Hamburg. HENSCHEL, D. 2002: Essbare Wildbeeren und Wildpflanzen. Stuttgart. KRAUSCH, H.-D. 2007: Kaiserkron und Päonien rot... Von der Entdeckung und Einführung unserer Gartenblumen. München. NHV THEOPHRASTUS: Gänseblümchen Gesundes von der Wiese. http://nhv-theophrastus.de/site/images/docs/exkurs_gaensebluemchen.pdf [18.05.2017]. SCHERF, G. 2003: Zauberpflanzen, Hexenkräuter, 2. Aufl. München. 9