WILD, JAGD, JÄGER FOTO: BURKHARD WINSMANN-STEINS

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Transkript:

FOTO: BURKHARD WINSMANN-STEINS 20 WILD UND HUND 7/2009

JAGDFIEBER UND SEINE FOLGEN Tunnelblick Angst und Angriff liegen in der Biochemie des Menschen ganz nah beieinander. Jäger spüren das auf der Jagd besonders. Das Adrenalin im Blut schüttelt den Körper, die Beute wird fixiert, der Blickwinkel wird eng. JÖRG NAGEL ist dem Phänomen des Tunnelblicks nachgegangen. In wenigen Minuten heißt es Hahn in Ruh, doch der Jäger ist in Lauerstellung. In der Fichten-Naturverjüngung hat es mehrmals leise geknackt. Der Waidmann ist hochkonzentriert und fixiert seit Minuten die schmale Schneise, an deren Ende er auf seinem Sitzstock hockt. Da, der Körper der geringen Sau hat sich einmal gezeigt, um sofort wieder zu verschwinden. Mit der Doppelbüchse in Voranschlag gehen, und die Nervosität in den Griff kriegen, das nimmt sich der bislang beutelose Schütze vor. Die Gespräche der in Richtung Sammelplatz gehenden Treiberwehr vernimmt er wohl, zieht aber keine Schlüsse daraus. Auch gibt irgendwo ein Hund Laut. Alles nebensächlich, nur der Jagderfolg ist jetzt wichtig. In diesem Moment schiebt sich der Körper des Frischlings erneut aus den Fichten. Noch ein, zwei Gänge, und Du stehst frei, denkt sich der Jäger, dessen Sinne voll auf das Ziel gerichtet sind. Die Stimmen der vier Treiber mit ihren beiden Wachteln sind ganz nah und werden doch nicht gehört. Es dauert eine kleine Ewigkeit, ehe sich der Kujel in Bewegung setzt. Mittig auf der Schneise erhält er den tödlichen Schuss. Der vom Jagdfieber gebeutelte Erleger hört nun wieder die Stimmen und registriert sie plötzlich als lautstark: Hast Du noch alle Tassen im Schrank? Spinnst Du? Willst Du uns totschießen? Sein erschrockener Blick geht von der Sau weg und landet nur wenige Meter schräg dahinter bei den Treibern, von denen sich zwei vor Schreck auf den Boden geworfen haben... Die Schussabgabe ist für die meisten Jäger eine psychische Ausnahmesituation. Töten versetzt den Schützen in Alarmzustand. Bernd Pokojewski kennt Situationen wie die oben beschriebene sowohl bei Polizeibeamten als auch bei Jägern. Der ehemalige Ausbilder in verschiedenen Polizeisondereinheiten befasst sich seit langem mit dem mentalen Phänomen bei der ernsthaften Schussabgabe: Beim Schützen findet im vegetativen Nervensystem ein rasanter Anstieg der Herzfrequenz statt. In der Folge wird dessen Wahrnehmung eingeschränkt, es stellt sich der Tunnel- oder auch Scheuklappenblick ein. Dies sei in solchen WILD UND HUND 7/2009 21

Den Blick und Flintenlauf einzig und alleine auf die Beute fixiert: Für einen kleinen Moment nimmt dieser Niederwildjäger sein Umfeld nicht wahr. FOTO: KRISTOFER HANSSON Extremsituationen ein Vor-, aber auch ein Nachteil, erklärt der Polizeiausbilder: Der Tunnelblick lässt zwar das anvisierte Ziel klar erscheinen, alleine die Peripherie sprich die Umgebungssituation wird kaum noch realisiert. Ebenso werden in diesem Moment Geräusche nur noch vermindert wahrgenommen. Das Rufen der Treiber hört der Jäger jetzt nicht mehr. tion zwischen Hand und Auge kann deutlich reduziert sein. Starkes Zittern der Extremitäten kennen Jäger auch als das so genannte Jagdfieber. Zudem öffnet der Schütze häufig unmittelbar vor dem Abdrücken den Mund, und das Zielauge wird weit aufgerissen. Das Gehirn gibt diese Verhaltensorder weiter, um größtmögliche Informationen zu erlan- nur die theoretische Analyse dieser hormongesteuerten Bewusstseinsveränderung. Angst und Angriff sind die beiden Auslöser. Medizinisch ist immerhin im Moment kurz vor der Schussabgabe eine Unterversorgung der großen Muskelgruppen mit Blut nachweisbar. Dies zum Vorteil des Gehirns, das sich ausschließlich auf die anvisierte Beute fixiert. Beim Beutemachen ist diese Konzentration der Sinne seit Anbeginn maßgeblich. Zum Tunnelblick kommen bei der Schussabgabe weitere Phänomene hinzu, weiß Bernd Pokojewski: Die hierfür notwendige Feinmotorik die Koordinagen. Der durch die Anspannung erhöhte Sauerstoffverbrauch wird kompensiert. Der Schütze muss sich diesen Phänomenen gegenüber allerdings nicht ausgeliefert fühlen. Durch rationale Steuerung lassen sich die Vorteile nutzen und die Nachteile minimieren. Bernd Pokojewski weiß wie: Der Schütze ist in der Lage, durch bewusstes Handeln die vor- Der Begriff Tunnelblick ist weder in der praktischen Medizin, noch in der Psychologie näher definiert. Es bleibt Anspannung kurz vor der Schussabgabe: Das Gehirn fordert nun mehr Sauerstoff, der Mund des Schützen öffnet sich leicht. FOTO: KARSTEN KRÖGER 22 WILD UND HUND 7/2009

genannten Instinkte zu unterdrücken. Zum Beispiel muss man reichlich mit seiner Waffe trainieren, um keine mentale Kraft an technische Fragen zu verschwenden, sondern geistig hellwach die Jagdsituation beherrschen. Das weiß auch Peter Schaab, der Schießausbilder bei der Polizei in Wiesbaden und Jäger ist: Es gibt Jäger, die sind mit dem Umgang ihrer Büchse oder Flinte nicht genug vertraut. Die Handhabung der Waffe, des Jägers Werkszeug, müsse sitzen, damit im Ernstfall mentale Kapazitäten frei seien, sagt auch er. Eine typische Drückjagdsituation kann so aussehen: Ein Jäger beschießt eine flinke Sau in der Schneise. Diese flüchtet in eine Dickung. Es raschelt. Der Hund ist hintendran. Menschenstimmen. Urplötzlich wieder Bewegung. Ein Moment, der mir volle Konzentration abverlangt. Wenn dem Jäger jetzt der Zustand der Waffe nicht instinktiv bekannt ist, verbraucht er zu viel geistiges Potenzial auf Kosten der Situationsbeherrschung. Im besten Falle ist er nicht schussbereit, im schlechtesten passiert ein Fehler, vielleicht folgenschwer, warnt Schaab. Üben, üben und nochmals üben, empfiehlt der Schießlehrer. Jeder Griff an der Waffe muss sitzen, jeder Zustand stets präsent sein. Die Vorbereitung der Polizisten auf die besondere Belastung bei der Schussabgabe in der Schießanlage ist Schaabs Tagesgeschäft. Um den Beamten sicherer zu machen, werden gezielt Stresssituationen beim Training hergestellt. Patronenhülsen liegen wild auf dem Boden verteilt, machen den Stand der Schützen unsicher. Immer wieder treten die Beamten auf die Munitionsreste und sind abgelenkt. Hinzu kommen Anfeuerungsrufe und laute Kommandos des Polizei-Ausbilders: Jetzt die Scheibe links! Beim Nachladen drei Schritte zurück und jetzt wieder vor auf die Linie! Schneller! Magazin raus und neues rein! Nur auf die Beine schießen...! Alles muss schnell gehen und dann noch die unerwarteten Berührungen kurz vor der Schussabgabe oder das überraschende Händeklatschen. Es herrscht ordentlich Hektik auf dem Schießstand der hessischen Landespolizei. Genau das möchte ich erreichen. Der Moment der Schussabgabe ist im Ernstfall eine stressbeladene Aktion, mit reichlich Hormonausschüttung und starker mentaler Belastung, sagt der verantwortliche Schießausbilder. Jäger erleben in vielen Situationen auf Gesellschaftsjagden den gleichen Stress. Der Jagdleiter hat um Strecke gebeten, und nun nähert sich das Treiben: Von wo kommt das Wild und um welches handelt es sich? Ist der Laut gebende Jagdhund unmittelbar am Stück oder folgt er auf der Fährte? Von wo kam eben der Treiberruf, und warum sehe ich den Standschützen rechts von mir nicht mehr? Diese und weitere Gedanken, um Schussfeld, Kugelfang oder auch Freigabe und Gewichtsbeschränkungen, treiben bei manchem Jäger den Adrenalinspiegel nach oben es entsteht Stress. Polizeiausbilder Schaab weiß, wie der Jäger das Unfallrisiko auf Bewegungsjagden reduzieren kann. Er empfiehlt: Der Schütze muss sich Grenzen setzen und sich bescheiden. Nicht nur die Plötzliche und unerwartete Berührung an der Schulter, Konzentration ade? Mit solchen Überraschungsmomenten werden Polizisten beim Schießen bewusst gestresst. Kontaktaufnahme mit den Nachbarschützen, die Ermittlung des Schussfeldes und die des Kugelfangs seien selbstverständlich, ebenso müsse dem Jäger eine Ortsbeschau in Fleisch und Blut übergehen. Geistig wach muss der Jäger erkennen, in welche Richtung und auf welche Maximalentfernung geschossen werden darf. Dabei spielt natürlich auch die Temperatur eine Rolle, denn ein vom vereisten Baum oder Boden abprallender Schuss kann bei einem Einschlagswinkel von 20 Grad noch in drei bis vier Kilometern Unheil anrichten. Diese Vorarbeiten können die Risiken eines weiteren mentalen Phänomens minimieren: Der so genannte Tunnelblick spielt sowohl bei Jägern wie Polizeibeamten eine Rolle. Das Fokussieren des Blicks und die mentale Fixierung auf einen bestimmten Punkt unter Ausschaltung des nebensächlichen Umfelds war und ist die Voraussetzung für einen gezielten Schuss. Schaab: Beamte des Sondereinsatzkommandos las- FOTO: HANS JÖRG NAGEL WILD UND HUND 7/2009 23

Deutsche jagen mit Vorsicht Dr. Bernd Hugenroth (59) ist seit 25 Jahren Sachverständiger für Jagd. Seit 42 Jahren ist der Soester Jagdscheininhaber. Hans Jörg Nagel sprach mit ihm über seine Arbeit vor Gericht. WuH: In welchen Fällen stehen Sie dem Gericht als Sachverständiger zur Verfügung? Hugenroth: Immer dann, wenn es zu einem Jagdunfall mit Personenschaden oder gegebenenfalls auch Sachschaden gekommen ist, werden auf Antrag des Gerichts Sachverständige hinzugezogen. Mitunter berührt einen die Tragik der Ereignisse dabei schon sehr. So wurde einmal eine Drückjagd juristisch beurteilt, in deren Verlauf lediglich ein Schuss gefallen war. Auf dem Streckenplatz lag kein einziges Stück Wild, aber ein Jäger hatte sein Leben verloren. WuH: Wie schätzen Sie das Unfallgeschehen in Deutschland im internationalen Vergleich ein? Hugenroth: Bei rund 350 000 Jägern und der hohen Bevölkerungsdichte schneidet Deutschland sehr gut ab. Das liegt sicherlich auch an den hohen Standards bei uns, wie zum Beispiel der Unfallverhütungsvorschrift und weiteren eng gestrickten rechtlichen Vorgaben und Regelungen für die Jagdausübung. Andere EU-Mitgliedsstaaten weisen hier in Relation zum Anteil der jagenden Bevölkerung entschieden höhere Unfallquoten auf. So zum Beispiel Norwegen (Büchsengeschosse) und Spanien (Flintenlaufgeschosse). WuH: Welche Risiken im Jagdverlauf erkennen Sie? Hugenroth: Nicht immer ist der Schütze alleine schuld. Natürlich sind bei solchen Unfällen häufig Schusshitzigkeit, nervliche Überforderung, fahrlässiger Umgang mit der Waffe oder auch ungenügendes Ansprechen schuld, aber in manchen Fällen macht sich auch der Jagdleiter durch mangelhafte Organisation schuldig. Anweisungen bei Gesellschaftsjagden, wie: Such Dir Deinen Platz selbst, oder Ihr verteilt Euch irgendwo in der Abteilung 11 machen den Jagdleiter zum Mitschuldigen. Dr. Bernd Hugenroth ist amtlich bestellter Sachverständiger für Jagd. WuH: Wie erstellt ein Sachverständiger sein Gutachten? Hugenroth: Auf Grundlage der polizeilichen Ermittlungsakte findet ein Vor-Ort-Termin zur Situationsanalyse statt. Neben Parteien nehmen oft auch Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung hieran teil. In den meisten Fällen werden die Positionen der Schützen und des Opfers mit Fluchtstangen markiert und mögliche Schusswinkel und Flugbahn der Geschosse analysiert. Natürlich werden hierbei Faktoren wie Munitionskaliber und Geländebesonderheiten berücksichtigt. WuH: Wie lautet die Zielsetzung ihrer Arbeit vor Ort? Hugenroth: Mein Auftrag ist es, die im Beweisbeschluss vom Richter an mich formulierten Fragen objektiv zu beantworten. Dies geschieht im Rahmen eines schriftlichen Gutachtens, das dann an das zuständige Gericht geht. WuH: Warum passieren solche Unglücke im Jagdbetrieb? Hugenroth: In der Stresssituation unmittelbar vor der Schussabgabe gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, Fehler zu machen. Einer dieser Risikofaktoren ist der Scheuklappen- oder Tunnelblick. FOTO: HANS JÖRG NAGEL sen sich beim Erstürmen von Räumen durch einen Hintermann führen, da ihr Blick ausschließlich auf frontale Zielerfassung ausgerichtet ist, das Geschehen links und rechts wird völlig ausgeblendet. Im Falle von zu erwartender Gegenwehr sei der Tunnelblick von großem Nutzen, während er in jagdlichen Situationen auch gefährlich sein könne. Kein Objekt außer dem Ziel wird registriert. Um mit diesem und dem Jagdfieber fertig zu werden, empfiehlt Schaab regelmäßiges Training an Gewehr und Kurzwaffe. Rund 50 Schießkinos in Deutschland stehen für diese Ausbildung bereit. Anders als die klassischen Schießstände werden hier Filmsequenzen eingespielt und die Schussabgabe so unter realitätsnahen Bedingungen geübt. Rund 70 Prozent meiner Kunden sind Jäger. Fast alle üben auf Schwarzwild, erläutert Guido Koch, Betreiber des Schießkinos in Cramberg im Rhein-Lahn-Kreis. Je nach Wunsch des Schützen oder per Zufallsauswahl werden auf der 30-Meter- Bahn Filmausschnitte von verhoffenden Sauen, hochflüchtigen Stücken oder auch ganzen Rotten auf die Leinwand projeziert. Es wird also nicht nur die Schießfertigkeit, sondern auch das rasche Ansprechen trainiert. Jagdfieber beobachtet Koch auch in seinem Schießkino: Manche Jäger schüttelt es schon vor der ersten Einblendung gewaltig. Bei den Sequenzen mit Ton war es besonders auffällig, deshalb zeige ich seit einiger Zeit nur noch Stummfilme. Rund 800 Filme von Rot-, Schwarz- und Rehwild hat Koch gedreht und dabei auch bewusst Jagdhunde mit aufgenommen, um die Besucher seines Schießkinos mit jagdrealistischen Situationen zu konfrontieren. Optimal wäre es, wenn man auch mal einen Treiber hinter einem Busch oder den knienden Pilzesucher in der Dickungsschneise auf Leinwand bringen könnte, um den Stressfaktor des Schützen so noch einmal zu erhöhen. Aber das ist nach Gesetzeslage in Deutschland 24 WILD UND HUND 7/2009

FOTO: KRISTOFER HANSSON Hier muss alles schnell gehen: Schussfeld und Kugelfang erfassen, Hund und Frischling im Auge behalten... Bei alldem muss man hochkonzentriert sein und darf keinen Gedanken an die Waffe verschwenden müssen. verboten, um Schützen nicht die Möglichkeit zu geben, auf menschliche Ziele zu üben, erklärt der Kinobetreiber und Jäger. Koch bestätigt, dass der Umgang mit der Waffe bei einigen Jägern alles andere als sicher ist. Ebenso beobachtet er, dass die Anspannung der Schützen selbst in seinem Kino so groß ist, dass hier unglaubliche Geschichten passieren: Es ist schon vorgekommen, dass Schützen auf Film-Sauen schießen, die bereits seit ein, zwei Sekunden von der Leinwand verschwunden sind. Der Höhepunkt aber war ein Teilnehmer, der geschossen hat, als auf der Leinwand nur die Windows-Oberfläche des Computers zu sehen war, ich also den Film noch gar nicht gestartet hatte. Der aufgeregte Mann sagte mir hinterher, er habe vor dem blauen Hintergrund deutlich eine Sau gesehen und beschossen. Das war tatsächlich das X im rechten oberen Feld des Computer-Bildschirms. Auch die hessische Polizei kennt solche Phänomene der mentalen Überforderung bei der Schussabgabe in Ausnahmesituationen. So zum Beispiel bei dem in jüngerer Zeit verstärkt vorkommenden polizeilichen Waffeneinsatz gegen Tiere. Spektakulärster Fall in Hessen war sicherlich die wilde Schießerei Ende September auf dem Parkplatz einer Fast-Food-Kette in Rüsselsheim. Ein Großaufgebot der Polizei hatte dort mit rund 100 Schüssen aus den Dienstpistolen sechs in die Innenstadt geflüchtete Wildschweine getö- Sicherheit auf dem Stand beginnt vor dem Treiben Um das Unfallrisiko auf Gesellschaftsjagden bei der Schussabgabe zu minimieren, empfiehlt sich:. Der Zustand der Waffe muss stets und ständig präsent sein, um mentale Kapazitäten zu schonen. Grenzen setzen und sich bescheiden (Schusswinkel, Distanzen, Zeitpunkt der Schussabgabe...). Kontaktaufnahme mit Nachbarn. Ermittlung des Schussfeldes. Ermittlung des Kugelfangs. Ortsbeschau des eigenen Stands (Sicherheit, Gewehrauflage, wackelige Sprosse...). mental fit sein (Müdigkeit, Alkohol, Unkonzentriertheit vermeiden)

Analyse von Schussverletzungen Risiko Klüngeljagd In seiner Dissertation Multifaktorielle Analyse von Schusswaffenverletzungen durch Jagdwaffen hat Frank Wissmann 260 Jagdunfälle zwischen 1961 und 1992 näher beleuchtet. Für Unfälle während oder abseits der Jagdausübung waren lediglich 6,2 Prozent Jungjäger verantwortlich, während mehr als 92 Prozent erfahrene Jäger Auslöser waren. 63 Prozent der Unfälle mit Personenschäden wurden durch Schrotschüsse verursacht (davon 16 Prozent tödlich), 37 Prozent durch Kugelschüsse (davon 43 Prozent tödlich). Eingeschränkte Sichtverhältnisse sind für 28 Prozent der Unglücke verantwortlich. Unfallträchtigste Jagdausübungsarten 30 % Einzeljagd FOTOS: BURKHARD WINSMANN-STEINS, HUBERT DEMMEL 51,4 % Gesellschaftsjagden mit bis zu zehn Personen (Klüngeljagden) 9,4 % Sonstiges 6,6 % Schuss ins Treiben 18,6 % Gesellschaftsjagden mit mehr als elf Personen Unfallursachen 37 % Falsche Handhabung 24,1 % Fehlende Umfeld - beobachtung 13,6 % Abpraller 9,3 % Falsches Ansprechen FOTO: HANS JÖRG NAGEL Den Gegebenheiten anpassen: Seit Kurzem trainieren hessische Polizeibeamte auch den Schuss auf Tiere, vorrangig auf verunfalltes Schwarzwild. tet. Nach harscher Kritik aus Reihen der örtlichen Jäger und des Landesjagdverbandes wurde kürzlich in Darmstadt eine so genannte Task- Force gebildet, die situationsbedingt sogar in besiedeltem Gebiet scharf schießen darf. Mitglieder dieser schnellen Einsatzgruppe sind jagderfahrene Polizeibeamte, Jäger und Mitarbeiter des Forstamts. Seit Kurzem trainieren unsere Beamten den sicheren Schuss auch auf Tierscheiben, die zum Beispiel Wildschweine, aber auch aggressive Hunde darstellen. Dies ist sinnvoll, da in der Vergangenheit doch der eine oder andere Kollege überfordert war, wenn er zu einem Wildunfall gerufen wurde oder sich wieder einmal Schwarzwild in besiedeltem Gebiet eingefunden hatte, berichtet Polizeiausbilder Peter Schaab. Diese zusätzliche Ausbildung der Polizeibeamten soll dazu führen, dass solche Unsicherheiten beziehungsweise Fehler künftig abgestellt werden. Ganz offensichtlich heißt es nicht nur für Jäger, sondern auch für Polizeibeamte: üben, üben, üben. e 26 WILD UND HUND 7/2009