Kartenhaus Finanzmarkt Wer wird zahlen für die Gier?



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Transkript:

Kartenhaus Finanzmarkt Wer wird zahlen für die Gier? In der Reihe nachvorgedacht luden die Grünen Mödling zu einem Vortrag über die Ursachen, Auswirkungen und Perspektiven der größten Finanzkrise seit 1929 ein. Über achtzig Interessierte verfolgten gebannt den mit einprägsamen Bildern unterlegten Vortrag von Dr. Stephan Schulmeister, einem der anerkanntesten Wirtschafts- und Finanzexperten Österreichs. Nach seiner Einführung über gängige Diagnosen und Therapien fügte Stephan Schulmeister die Problematik zu einem klaren Gesamtbild zusammen. In der nachfolgenden, lebhaften Diskussion ging es um das Zukunftsszenario und um das, was die Politik nun vernünftigerweise tun kann. Stephan Schulmeister vorzustellen, ist müßig. Wer einmal einem seiner interessanten, anregenden, oft mit anschaulichen Bildern und Metaphern gewürzten Vorträgen lauschen durfte, wurde in die Lage versetzt, selbst einer so trockenen Materie wie der Finanzwirtschaft etwas abzugewinnen und auch deren Grundzüge zu verstehen. Wenn Stephan Schulmeister auch Rechtswissenschaften studierte, so hat er doch mehr durch seine Forschungen und Publikationen über Handelssysteme auf Finanzmärkten, über die Anwendung der technischen Analyse auf den Devisen- und Aktienmärkten, über die Industrieökonomie, Innovation und internationalen Wettbewerb von sich reden gemacht. Krise made in USA Nach der gängigen Erklärung entstand die Krise in den USA, wo die Banken in Erwartung von steigenden Immobilienpreisen grob fahrlässig Kredite an Mittellose vergaben. Der Fäulnisprozess begann mit dem Anstieg der Zinsen. Die Häuselbauer wurden zahlungsunfähig und unzählige Häuser kamen auf den Markt. Die Preise verfielen und die Spirale drehte sich nach unten. Dazu kam eine Besonderheit des amerikanischen Kredit-Systems: Der Kreditnehmer haftet nur über die Hypothek, nicht persönlich. Somit blieben die amerikanischen Banken auf einer Menge fauler Kredite sitzen und haben daraufhin auch die übrige Welt in den Genuss der Krise gebracht, indem sie aus diesen Krediten Wertpapiere machten und diese Ramschpapiere an ausländische Banken verkauften. Basierend auf dieser Diagnose erfolgte die Therapie: Entfernen der Tumore (faule Kredite) und rasch frisches Blut durch Zufuhr von Kapital (Bluttransfusion = Liquidität).So stellt zb allein der österreichische Staat den Banken 15 Mrd Euro zur Verfügung. Der Weg von der grenzenlosen Freiheit in die Sackgasse Diese Diagnose ist laut Stephan Schulmeister extrem oberflächlich. Sein Alternativansatz geht davon aus, dass sich eine Krise über viele Jahre aufbaut. Vergleichbar einem Dammbruch, wo sich alles auf das spektakuläre Ereignis fokussiert, dem aber jahrelanges Aufstauen vorangegangen ist. Im Gleichschritt mit der Ausbreitung des Neoliberalismus gab es immer mehr Akteure (Unternehmer, Banken, Staaten, Private), die sich an der Losung Lassen Sie Ihr Geld arbeiten orientierten. Die gegenwärtige Krise ist somit das Ende einer 3- bis 35jährigen Entwicklung, die von den Eliten als Weg der Freiheit angesehen wurde und sich jetzt als Weg in die finanzkapitalistische Sackgasse herausstellt. Zwischen dem Zeitpunkt, bei dem man spürt, dass es nicht weiter geht und Eine Krise baut sich über viele Jahre auf. neuen Konzepten vergehen viele Jahre. Diese Jahre sind die schwierigsten. Bei der Krise 1929 1

benötigte man 15 2 Jahre für den Aufbau einer neuen Wirtschaftsordnung. Die schleichende Umwandlung in ein Wirtschaftssystem, das immer mehr von dem Gedanken lassen Sie Ihr Geld arbeiten beherrscht wurde, begann Anfang der 7er Jahre mit der Aufgabe des Systems der festen Wechselkurse. Dies führte zur Dollarabwertung, zum ersten Ölschock und hat eine Inflationsbeschleunigung und damit die ersten zwei globalen Rezessionen ausgelöst. In den 8er Jahren haben die Banken darauf mit einer exorbitanten Hochzinspolitik reagiert, was zum Spekulieren verführte. Die Umstellung des Pensionssystems auf Kapitaldeckung in den USA löste einen Aktienboom aus. Der bewirkte, dass die Unternehmen nicht mehr real investieren, sondern ihr Geld auf dem Finanzmarkt vermehren wollten. Das systemische Problem Das systemische Problem dabei ist, dass einzelne, die geschickt agieren, sehr schnell reicher werden, aber das System selbst wird nicht reicher. Das ganze nahm den Charakter eines Pyramidenspiels an. Die realen Investitionen gingen zurück, dadurch wurde das Wirtschaftswachstum gedämpft, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung stiegen an. In den 9er Jahren wurde mit der Sparpolitik begonnen, die Einkommensverteilung wurde immer ungleicher. Gleichzeitig stiegen die (Renditen-)Ansprüche an das Finanzkapital, wo real nichts mehr war. Das funktionierte eine Weile. Aber scheinbar unbedeutende Dinge haben eine enorme Rolle gespielt, wie zb die neuen Bilanzierungsverfahren. Es wurde begonnen, Vermögensbewertungen zu laufenden Kursen vorzunehmen. Aufgrund dessen mussten neue Veranlagungsformen gesucht werden. Das Eigenkapital wurde immer größer. Früher große Banken zu Spekulations- In den letzten Jahren wurden waren die Banken Unternehmensdienstleister der Realwirtschaft. In den künstlern. letzten Jahren wurden große Banken zu Spekulationskünstlern. Zwischen 23 und 27 gab es nochmals einen gewaltigen Aktienboom, eine exorbitante Aufwertung des EURO, die Immobilienpreise in Amerika stiegen an, was zu Subprime-Hypotheken führte. Im Sommer 27 brach Reis wurde zu einem Instrument, um Geld zu machen. Es wird vergessen, dass Reis etwas zum Essen ist. dann der Immobilienmarkt zusammen, es folgte die Hypothekarkrise. Die Finanzinvestoren warfen sich auf die Rohstoffe, was letztendlich einen massiven Rohstoffpreisverfall zur Folge hatte. Da alle Spekulationsspieler dem gleichen System folgen, verstärkt die Aktivität der Spieler den Verfall der Kurse. Der gleichzeitig verlaufende Entwertungsprozess von gleich drei Vermögenswerten (Aktien, Immobilien, Rohstoffe) ist einem Tsunami vergleichbar (Verzögerung zwischen Beben und Welle). Da dieser Prozess aber weiterhin aktiv ist sozusagen ein dynamisches Epizentrum darstellt - werden auch immer weitere Wellen produziert, die uns nach und nach erreichen werden. Stephan Schulmeister rechnet mit Februar April 29. Besorgniserregend ist die Geschwindigkeit dieses Vermögensverfalls, der wesentlich schneller vor sich ging als 1929. Der Grund dafür mag darin liegen, dass es diesmal mehr Akteure gibt, die die Entwicklung beeinflussen. Ich sehe den Entwertungsprozess als dynamisches Epizentrum 1929 gab es nur einige wenige Menschen mit Aktien, heute ist der Aktienbesitz weit gestreut (Pensionsfonds, Tilgungsfonds der Häuselbauer usw.). Ausblendungen Bei der gängigen Erklärung der Krise als Kreditkrise, Bankenkrise, Vertrauenskrise herrscht die Meinung vor, dass man nur wieder das Vertrauen aufbauen bzw. Geld zuführen muss, damit wieder alles in Ordnung wäre. Dabei wurden folgende Kleinigkeiten ausgeblendet: Die gegenwärtige Krise stellt das Ende eines über 3 Jahre laufenden Prozesses dar. Die Annahme der Handelsdynamik ist systemisch falsch: Die Preisbewegungen der wichtigsten Preise (Rohstoffe, Wechselkurse usw.) unterliegen manisch-depressiven Schwankunen und produzieren permanent unternehmerische Unsicherheiten. Was aber die neoliberalen Akteure nicht einsehen (können), ist die Tatsache, dass die freien Märkte Fehlsignale produzieren. Und so passiert das Unfassbare, dass diejenigen, die immer gegen eine Regulierung der Märkte waren, jetzt dem Staat die Schuld geben, weil er regelnd eingreifen hätte müssen! Das Dogma höhere Inflation höhere Zinsen kann verhängnisvoll sein: Zinsen sind Kosten für Unternehmer. Bei Erhöhung der Zinsen steigen die Kosten und erschweren die Situation. Das Problem der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Das Akkumulationsverhalten der Unternehmen. Der Markt ist ein Instrument, kein Heiligtum Die Alchimie der Finanzen: Der Versuch, sich mit Zauberformeln und Spekulation mehr Finanzvermögen zu verschaffen. Und schlussendlich das ANWN-Gesetz: AUS NIX WIRD NIX 2

Arbeit Realkapital - Finanzkapital Bei der Tradition der politischen Grundsätze (sowohl Marxismus als auch katholische Soziallehre) waren es die Interessensgegensätze von Kapital und Arbeit, die integriert werden mussten. Die er Jahre waren geprägt von den Interessensgegensätzen Arbeit Realkapital: Wenn einer reicher werden wollte, konnte er das, aber auf den Realmärkten, die Zinsen wurden gering (unter der Wachstumsrate) gehalten, das förderte unternehmerische Investitionen. Und es gab stillschweigende Bündnisse Arbeit-Realkapital, wie die Sozialpartnerschaft. 198 begann die Hochzinspolitik (Zinsen über der Wachstumsrate) der Notenbanken, was einen unmittelbaren Lenkmechanismus hin zu den Spekulationen darstellte. Es etablierte sich das stillschweigende Bündnis Realkapital-Finanzkapital gegen die Interessen der Arbeit. Interessanter ist es, mit einer Triade von Interessensgegensätzen zu arbeiten: Real- Kapital Arbeit Finanz- Kapital Arbeit Realkapital (niedrige Zinsen, stabile Finanzmärkte) Finanzkapital (hohe Zinsen, hoher Wechselkurs, instabile Finanzmärkte. Der Mensch ist ein Individuum, aber der Mensch ist auch ein soziales Wesen. Diese widersprüchlichen Eigenschaften müssen bedacht und integriert werden. Er ist sowohl ArbeitnehmerIn als auch FinanzkapitalistIn (Sparbuch). Ist man sich dieses Interessenskonfliktes nicht bewusst, ist man verführbar. Das wirtschaftspolitische Machtzentrum verschiebt sich: Realkapital Regierung, soziale und regulierte Marktwirtschaft Finanzkapital Notenbanken reine monetäre Wirtschaft. Szenario für die Zukunft Private Haushalte werden weniger ausgeben, es wird weniger angelegt, die Exporte werden sinken. Stephan Schulmeister glaubt, dass die Krise sehr lange dauern wird, weil das Verlernen einer in die Köpfe der Eliten infiltrierten Weltanschauung sehr schwierig ist. Doch der Staat muss nun ausgleichen und muss sich überlegen, wie er möglichst schnell Aufträge generieren kann. Weitere Lenkungsmaßnahmen wären höhere Arbeitslosenuntestützung, bedarfsgerechte Grundsicherung, Negativsteuern usw. Den Weg aus der Krise sieht Stephan Schulmeister mit der Entwicklung von grundlegend neuen Ideen. Damit diese wirksam werden, muss man die Menschen dort abholen, wo sie gerade sind. Man muss die Unternehmen langsam wegeisen von der Idee des Neoliberalismus, ein neues Wirtschaftsmodell andenken. Es gilt, neue Interessensbündnisse über die Parteien hinaus (NGO s, Kirchen usw.) zu schaffen. Wichtig sind Entschleunigung, Überdenken des Wachstumszwangs. Die Verbesserung der ökologischen Lebensbedingungen zu einem Jahrhundertziel machen. Im Sinne von: Wir gestalten die Welt zu einem neuen Leitbild. Der Autoindustrie wäre zb damit gedient, wenn man ihr hilft, zukunftsfähige Fahrzeuge zu entwickeln und herzustellen. Diskussion Wenn die Aktienwerte fallen, geht die Arbei weiter, also sagt der Aktienkurs nicht aus, wie es der Firma geht? Weil an dem Wert der Aktien andere Dinge angehängt werden, wird die Aktienentwertung die Nachfrage dämpfen. Die Gewinnerwartungen sinken, dann passt sich die Realwirtschaft partiell dem Aktienkurs an. Beispiel Osteuropa: Die Banken haben keine faulen Kredite nach Osteuropa vergeben. Die Kredite wurden im Hinblick auf eine hohe Wachstumsrate vergeben. Es ist ein großer Denkfehler dass es im abseits der Wirtschaftskrise Wachstumsbooms gäbe. Länder, die schnell gewachsen sind, haben sich stark exponiert. Gerade diese Länder können starke Dämpfer erfahren. Wenn die Rohstoffpreise verfallen, fallen dann nicht auch die Preise und Löhne? Die Verbesserung der ökologischen Lebensbedingungen zu einem Jahrhundertziel machen. 3

Wenn die Rohstoffpreise sinken, kann es eine Deflation auslösen. Sobald die Erwartungen steigen, fallen die Preise, die Akteure verändern ihr Verhalten, das ist eine Katastrophe. Warum hat man bisher nichts gemacht, wo ist die Verantwortung? Weil man die Welt ganz anders wahrgenommen hat. Der Prozess, als das monetaristische das keynsianische System ersetzt hat, war ein sehr komplexer und langfristiger. Das Verlernen einer Weltanschauung dauert lange. Am Ende einer Sackgasse entsteht ein ziemliches Durcheinander. Wie eine Prozession, an die sich immer mehr angeschlossen haben. Der Markt ist ein Instrument, kein Heiligtum. Auf der einen Seite sehen die Experten das Problem, auf der anderen Seite können sie das System nicht aufgeben. Die Zeit der Schizophrenie beginnt. Die Altersvorsorge basiert auf Aktien. Wie soll das in Zukunft ablaufen? Der Staat sollte die Altersvorsorge auf Aktien nicht fördern. Das Argument, dass die sich verändernde Demographie andere Finanzierungen erfordert, ist falsch. Das demographische Problem hat mit der Art der Finanzierung nichts zu tun. Gerade für die Altersvorsorge ist ein System, das auf Aktien basiert, aufgrund seiner Instabilität ungeeignet. Außerdem sind die Kosten das kapitalgedeckten Systems ungleich größer. Wie groß ist die Gefahr der Deflation bzw. Inflation? Schon wenn die Rohstoffpreise um 1 2 Prozent fallen, ist die Gefahr einer Deflation gegeben. Die Welt hat nie gelernt, mit einer Deflation umzugehen. Die Gefahr einer wirklich starken Inflation sehe ich überhaupt nicht. Alle Kosten sind reale Kosten. Trotz Jahrzehnten Neoliberalismus sind die Reaktionen auf die Krise viel besser als 1929/193. Dumm wäre es, wenn man jetzt auf das Nulldefizit pochen würde. Wer ist schuld? Hier muss ich die Politik in Schutz nehmen. In einer Mediendemokratie muss ein Politiker schauen, wie er in den Medien rüberkommt. So starke Politiker, die es sich leisten können, gegen den Mainstream zu schwimmen, gibt es nur wenige. Wenn etwas schief läuft, gibt es einen Entlastungsmechanismus, indem man einen Hauptschuldigen sucht. Es lenkt ab von der Spielanordnung. Denn es kann nicht sein, dass das System schuld und nicht das Verhalten einzelner weniger. Sonst müsste man ja das ganze System der letzten Jahre entsorgen. So reagieren aber Eliten nicht. Sie stellen andere Gründe in den Vordergrund und versuchen, den Staat als Schuldigen hinzustellen. Solche, die immer gegen Regulierung waren, sagen jetzt, dass der Staat schuld ist, weil er nicht reguliert hat. Ja, das gibt s und das fällt ihnen gar nicht auf. Wenn man ein System verstehen will, muss man die Akteure amoralisch betrachten. Trotzdem: Wenn die politischen Anreize, die an die Unternehmen gegeben worden sind, eine bestimmte Richtung favorisieren, muss man sich nicht wundern, dass sie das ausnützen. Ein Videozusammenschnitt auf DVD kann per e-mail (inge.hasenoehrl@gruene.at) bestellt werden. Inge Hasenöhrl Mag. Dr. Stephan Schulmeister Jahrgang 1947, Studium der Rechts- und Finanzwissenschaften, seit 1972 am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Forschungsschwerpunkte: Industrieökonomie, Innovation und internationaler Wettbewerb, Außenwirtschaft und internationale Wirtschaftsbeziehungen, Finanzmärkte und Unternehmensstrategien, Spekulation auf den Finanzmärkten und ihre realwirtschaftlichen Konsequenzen, Einfluss des Zinsniveaus auf das Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Staatsverschuldung, Analyse der längerfristigen Entwicklung der Weltwirtschaft. Lehrtätigkeit an der Universität Wien und an der Wirtschaftsuniversität Wien. Verpflichtung an ausländischen Universitäten: Universitiy of New Hampshire, New York University Die nachfolgenden Diagramme zeigen anschaulich die Entwicklung der Finanzwirtschaft 4

Aktienkurse Deutschland, Großbritannien, USA 4 3 DAX FTSE S&P 3 1995 = 1 2 2 1 1 Bild links: Unfassbare Schwankungen 1/9 1/93 1/96 1/99 1/2 1/5 1/8 Aktienkurse Österreich und Deutschland 4 ATX DAX 4 3 1995 = 1 3 2 2 1 1 1/9 1/93 1/96 1/99 1/2 1/5 1/8 Bild links: Durch die epidemische Ausweitung der Devise lassen Sie Ihr Geld arbeiten, gab es eine Verfünfffachung der Aktienkurse! Rohstoffpreise 8 S&P GSCI OIL 6 1995 = 1 3 2 1/9 1/92 1/94 1/96 1/98 1/ 1/2 1/4 1/6 1/8 Bild links: Noch besorgniserregender und wirtschaftshistorisch entwickelten sich die Rohstoffpreise. Reis wurde zu einem Instrument, um Geld zu machen. Der Denkfehler war, dass das Fallen der Rohstoffpreise gut für unsere Industrie wäre. Aber die Welt ist ein verflochtenes System. Wenn die Rohstofflieferanten kein Geld haben, können sie auch unsere Fertigprodukte nicht importieren. 5

Spekulationssystem: Erdölfutures. 12 11 WTI-Futures-Preis (NYMEX) -Tage-Durchschnitt 1 9 8 Dollar per Barrel 7 6 4 3 2 5/1/4 1/8/4 29/3/5 28/1/5 19/6/6 5/2/7 1/9/7 25/4/8 Spekulationssysteme: Dollar/Euro-Kurs 1.4 1.3 Daily price 35-day moving average (MAL) 4/12/3 1.2 1.1 US dollar per euro 1..9.8 1.19 1.18 1.17 /1/26 2/1/31 June, 6-13, 23 6/9:1 9/13:1 5-minute price 35-period moving average (MAL) 11/ 13 :4 5 13 / 2 1:5 5 13/12:35 Bilder links: Alle Spekulationsspieler folgen der gleichen Logik. Man ist versucht, das Spekuieren mit dem Glücksspiel im Casino zu vergleichen. Die Ähnlichkeit mit dem Glücksspiel im Casino besteht aber nur in der Umverteilung. Denn die Roulettekugel fällt nach dem Zufallsprinzip. Im Unterschied dazu entsteht bei der Spekulation ein Rückkoppelungseffekt auf die Preise. Es gibt Hunderttausende Systemspieler. Da alle dem gleichen System folgen, ist es vorgegeben, wohin die Kugel fällt. Das Geld der kleinen Häuselbauer schmilzt. In diese Umverteilungsprozesse müsste die Politik eingreifen. Tut sie aber nicht, weil sie dann einige Märkte sperren müsste. Das aber ist ein absolutes Tabu. 6/14:15 9/6:55 11/ 1:5 1.16 6

Dollarkurs und Ölpreis: 13 Effektiver Dollarkurs Ölpreis in $ (OECD Importpreis) 8 1986 = 1 12 11 1 9 8 7 7 6 4 3 2 1 1971 1975 1979 1983 1987 1991 1995 1999 23 27 Bild links: Durch die schwankenden Wechselkurse werden die unternehmerischen Aktivitäten erschwert, gleichzeitig aber die Spekulationen erleichtert, weil es interessanter erscheint. Handelsvolumen auf den globalen Finanzmärkten: Wettscheine (Finanzderivate) sind enorm gestiegen W elt-bip = 1 8 7 6 4 3 Insgesamt Kassamärkte Derivatmärkte Welt.-BiP = 1 45 4 35 3 25 2 Aktien und Anleihen (Spot) Devisen (Spot) Börsenderivate (Futures und Options) OTC-Derivate 15 2 1 1 5 1991 1993 1995 1997 1999 21 23 25 27 1991 1993 1995 1997 1999 21 23 25 27. Börsenhandel mit Finanzderivaten 6 Deutschland (Eurex) Europa 4 Bild rechts: Ende der 9er Jahre gibt es viel Finanzkapital, aber kaum Realkapital. BIP nominell = 1 3 2 1 1991 1995 1999 23 27 7

Vermögen der privaten Haushalte in den USA 3 Finanzvermögen 1) Immobilien 3 In % des verfügbaren Einkommens 2 2 1 Zu Bild links: Das ambitionierte Programm von Barack Obama sieht vor, dass 5 % des Bruttoinlandprodukts in die Wirtschaft hineingebuttert wird. Das soll 2 Mio. Arbeitsplätze schaffen. 1 199 1993 1996 1999 22 25 28 Langfristige Entwicklung in Europa 12 1 8 Arbeitslosenquote Lohnquote 75 7 in % 6 4 65 2 6 1952 1957 1962 1967 1972 1977 1982 1987 1992 1997 22 27 85 75 Staatsschuld brutto in % des BIP 65 55 45 35 1952 1957 1962 1967 1972 1977 1982 1987 1992 1997 22 27 8 6 4 in % 2-2 -4-6 Realzins Wachstumsrate 1952 1957 1962 1967 1972 1977 1982 1987 1992 1997 22 27 8