GLARNER ÜBERSCHREITUNGEN

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Transkript:

François Meienberg GLARNER ÜBERSCHREITUNGEN 18 Wanderungen zu Geschichte und Gegenwart eines engen Tals N A T U R P U N K T

VORWORT Die Herausgabe dieses Buches wurde unterstützt durch KANTON GLARUS REGION GLARNER HINTERLAND-SERNFTAL Allen Personen, die durch ihre Mitarbeit, Hinweise, Anregungen und Kritik mitgeholfen haben, dieses Wanderbuch entstehen zu lassen, möchte ich herzlich danken. Es waren dies unter anderen Daniel Anker, Martin Baumgartner-Marti, Mathias Blumer-Lötscher, Ruedi Blumer, Dominique Braun, Nina Brecher, Iris Brühwiler, George Christen, Andreas Denzler, Bernhard van Dierendonk, Linus B. Fetz, Herr Fäh, Andi Gähwiler, Patrizia Grab, Roland Gretler, Ernst Güttinger, Jacques Hauser, Thomas Heilmann, Patrick Hofstetter, Brigitte und Heini Honegger, Harald Horber, Albert Hösli, Hugo Inderbitzin, Erich Jud, Kaspar Marti, Herr F. Marti, Markus Kaufmann, Heinz Kindlimann, Guido Köhler, Weno Kubr, Dominique Krüsi, Klaus Küng, Susan M., Dominique Meienberg, Eva-Maria Neuburger, Marion Nitsch, Franziska Nyffenegger, Felix Ortlieb, Stefan Paradowski, Fridolin Rast, Hans Rhyner, Kaspar Rhyner, August Rohr, Barbara Sauser, Hans-Kaspar Schiesser, Dominik Siegrist, Andreas Simmen, Susanne Staubli, Matthias Stremlow, Thomas Strösslin, Myriam Stucky, Heinrich Stüssi, Rebecca Suter, Herr Tschirky, Erwin Tremp, Marco Volken, Fridolin Walcher, Christine Weilenmann, Peter Zopfi. 1999 Rotpunktverlag, Zürich www.rotpunktverlag.ch Gestaltung: Agnès Laube, Markus Kaufmann Routenskizzen: Guido Köhler Druck: fgb freiburger graphische betriebe www.fgb.de ISBN 98-3-85869-350-1 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage 200 Das Glarnerland einen Geheimtipp zu nennen, wäre übertrieben. Doch braust immer noch eine große Zahl bei Ziegelbrücke am Taleingang vorbei, zumeist dem Bündnerland zustrebend, ohne je ins enge Tal abzubiegen, um den kleinen Kanton, von einigen liebevoll»zigerschlitz«genannt, kennen zu lernen. Wer vorbeifährt, verpasst etwas. Zum einen unzählige Wandermöglichkeiten. Doch außerdem fördert das Stöbern in Vergangenheit und Gegenwart manch überraschende Geschichte ans Tageslicht. Einige davon kann man beim Lesen dieses Buches erfahren. Obschon zwischen hohen Bergen eingekeilt, war das Glarnerland seit jeher eng mit der Außenwelt verknüpft. Ein stetiges Ein und Aus charakterisiert diesen Kanton. Schiefertafeln, Fußballer, bedruckte Tüechli, Ziger, Eis, ein Riese und vieles mehr sind vom Glarnerland in die Welt oder zumindest bis nach Zürich aufgebrochen; Kurgäste, ganze Armeen, Autotouristen und die Pest sind über das Glarnerland hergefallen (oder aber bloß im Transit durchgebraust). Auch die meisten im Buch beschriebenen Wanderungen überschreiten die Glarner Grenze und folgen dabei den historischen wie auch den aktuellen Schauplätzen von diesem»rein und Raus«. Das Buch soll Lust machen, Geschichte und Geschichten, Land und Leute kennen zu lernen. Lust, auch kurz entschlossen die Wanderschuhe anzuziehen, in einer Hütte weit oben oder einem Hotel im Talboden zu übernachten und durch das Glarnerland zu streifen. Allen, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben, möchte ich herzlich danken. Ein besonderes Dankeschön gebührt Dominik Siegrist, Marion Nitsch und dem Team des Rotpunktverlages. Das vorliegende Wanderbuch enthält eine Fülle von aktuellen Angaben (Stand: Februar 200). Doch Telefonnummern, Öffnungszeiten oder Fahrpläne wechseln schneller, als Wanderbuchautoren lieb ist. Auf www.wanderweb.ch werden die wichtigen Informationen immer wieder auf den neuesten Stand gebracht. Die Leser und Leserinnen möchte ich dazu einladen, ihre Kritik und Anregungen zu äußern. Dafür findet sich auf www.wanderweb.ch die Rubrik Forum. François Meienberg, im April 200 5

INHALT VORWORT 5 KLEINE EINFÜHRUNG IN DAS GLARNERLAND 8 NÜTZLICHE HINWEISE 14 1 REICHENBURG NÖCHEN PLANGGENSTOCK HIRZLI NIEDERURNEN NAHER BERG MIT FERNER SICHT 20 Die Liaison der Eternit AG mit der Asbestfaser 28 2 BILTEN ZIEGELBRÜCKE OBERURNEN NÄFELS FABRIKTEMPEL UND ARBEITERHÄUSER 32»Freilich, diese Unternehmung geht ins Große«42 Aufstieg und Fall der Glarner Textilindustrie 46 3 INNERTHAL SCHWARZENEGGHÖCHI SCHEIDEGG BOGGENMOOR NÄFELS VOM WÄGITAL ZU DEN GLARNER MOOREN 50»Wer chauft es Zigerstöggli?«58 4 INNERTHAL ROSSALPELISPITZ BOCKMATTLI OBERSEE WIGGIS NETSTAL GIPFELSTÜRMEND INS GLARNERLAND 62 Auf die Berge, um dem Gefängnis zu entrinnen 6 5 MUOTATHAL PRAGELPASS RICHISAU KLÖNTALERSEE GLARUS DURCH URWÄLDER ZUM KLÖNTALERSEE 8 Die Verwandlung von Wasser zu Geld im Klöntal 92 Suworows Irrweg durch die Alpen 94 6 LINTHAL LUCHSINGEN SCHWANDEN SOOL ENNENDA GLARUS SPINNEREIEN, WEBERINNEN UND DRUCKER 98 Das harte Los der Fabrikler 110 BRAUNWALD ORTSTOCK GLATTALP CHARETALP BRAUNWALD DIE STILLE WEITE DER KARRENFELDER 114 Les Bains de Stachelberg 124 8 URNERBODEN (SONNE) CHAMERSTOCK FISETENPASS URNERBODEN (DORF) DIE VERLORENE ALP 128 Langsame und schnelle Passanten am Klausenpass 136 6 9 LINTHAL TIERFED MUTTSEEHÜTTE KISTENPASS BRIGELS MOLKENKUREN UND WEGE IM FELS 140 Strom statt strömendes Wasser 154 0 KIES SCHÖNAU LEGLERHÜTTE GANDSTÖCK METTMEN DURCHS ÄLTESTE JAGDBANNGEBIET 158 450 Jahre Freiberg Kärpf 168 ß ELM PANIXERPASS PANIX WALSER, RUSSEN UND WELSCHLANDFAHRER 12 Hinaus aus der Sackgasse 182 ELM NIDEREN SEGNESPASS NARAUS FLIMS ZUM MARTINSLOCH HINAUF 186 Die große Schieberei 196 Das Martinsloch 198 # GIGERWALD, STAUDAMM HEUBÜTZLIPASS FOOPASS ELM AUF DEN SPUREN DER WALSER 200 Naturkatastrophe von Menschenhand 210 Ç ENGI SPITZMEILENHÜTTE CHRAUCHTAL WEISSENBERGE MATT ENGI GIPFEL, DIE IHREN NAMEN VERDIENEN 214 Harte Arbeit im Landesplattenberg von Engi 226 [ MASCHGENKAMM MAGERRAIN MURGSEE GUFELSTOCK ÄUGSTEN ENNENDA ACHT SEEN UND SIEBEN GIPFEL 230 Ennenda, das Zentrum des Glarner Handels 240 ] GLARUS NATURFREUNDEHAUS FRONALP FRONALPSTOCK ROBMEN MÜHLEHORN AUF DEN JELMOLI-BERG 242 Die abenteuerliche Reise des Conrad Blumer nach Batavia 252 NÄFELS OBSTALDEN MÜLITAL WEESEN GLARUS TRANSIT AUF ALTEN WEGEN 256 Der Weg durchs Nadelöhr 266 { ZIEGELBRÜCKE NÄTEN FEDERISPITZ UNTERBÜTZ AMDEN HINAUS AUS DEM GLARNERLAND 22 Die Hölle und das erhoffte Paradies 282 ORTSREGISTER 288 BILDNACHWEIS 290 INHALT

»WER CHAUFT ES ZIGERSTÖGGLI?He! Wer chauft es Zigerstöggli? Wäärli, es isch steibeihert. Chänd, versueched nu es Möggli! Was es choschtet, isch es wert.«mit solchen Ausrufen zogen während Jahrhunderten die»zigermannli«und»zigerfraueli«durchs Land und verkauften Glarner Schabziger. Noch 1943 waren in der Schweiz rund 300 Zigerhändler unterwegs, von Haus zu Haus, und vertrieben auf diese Weise rund 50 Prozent des im Inland abgesetzten Zigers. Der Ziger hat das Glarnerland berühmt gemacht. Wenn irgendwelche welschen Kantone an Messen und Umzügen ihren Wein anboten, brachten die Glarner ihren Ziger mit. Manche nennen den Kanton Glarus deshalb heute noch liebevoll-abschätzig»zigerschlitz«. Doch die Bekanntheit des Zigers begrenzt sich nicht auf die Schweiz. Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts fand der Schabziger bis nach Norddeutschland, Italien und Frankreich Absatz. Im 1. Jahrhundert exportierte man bis Russland und Amerika. Der amerikanische Autor James Fenimore Cooper, mit seinem Roman»Lederstrumpf«weltberühmt geworden, schrieb in einem Reisebericht über seine Ankunft in Glarus:»Dies ist der Ort, wo der in Amerika so bekannte Schrapziegerkäse gemacht wird. Der eigentümliche Geruch dieses Käses war um die Stadt herum sehr merklich. Es war, als ob ich einem alten Bekannten begegnete, und da ich mich nur eine Stunde lang aufhalten konnte, so eilte ich nach dem Orte, wo er gemacht wird.«normaler weißer Ziger wurde im Glarnerland, wie überall im schweizerischen Alpenbogen, bereits im 8. Jahrhundert produziert. Große Teile des Glarnerlands gehörten damals dem Kloster Säckingen und mussten als Abgabe unter anderem Ziger abliefern. Im 11. oder 12. Jahrhundert kamen die Glarner durch den Klostergarten in Säckingen zur entscheidenden Ingredienz, die den Glarner Schabziger unverwechselbar macht, zum blauen Hornklee, heute oft auch Zigerklee genannt. Der hellblau blühende Klee, welcher in der Schweiz nie in der Natur vorkam, fand schon vor Christi Geburt bei den Griechen als Arzneipflanze Verwendung und gelangte vermutlich durch Kreuzritter nach Säckingen. Er wurde anschließend lange Zeit im Glarner Unterland angepflanzt. Heute wird er in der March produziert. Bereits 1463 erkannte die Glarner Regierung die Wichtigkeit des Zigerhandels für das Land Glarus und erließ zur Qualitätssicherung eine Verordnung, die jeden Hersteller verpflichtete, den verkauften Ziger mit seinem Zeichen zu kennzeichnen, und in der geschrieben stand:» das jedermann sin Zi- ger die er will verkoffen, süber und gütt machen, wol stampfen und saltzen«sollte. Im großen Landesmandat von 10 steht zu lesen, dass es bei Strafe verboten sei, das Kleekraut oder Kleesamen, diesen wichtigen Bestandteil bei der Zigerherstellung, außer Landes zu bringen oder an Fremde zu verkaufen. Diese Politik der Monopolsicherung hatte Erfolg. Vergeblich unternahmen Appenzeller und Toggenburger Sennen Versuche, die Glarner bei der Schabzigerherstellung zu konkurrenzieren. Der Glarner Schabziger wird in zwei Schritten hergestellt, die Rohzigerproduktion, zu großen Teilen auf der Alp, und die Verarbeitung zu Schabziger. Der Rohziger, den die alten Römer und die Kelten als»ihren«käse erkennen würden, kann als Magerkäse bezeichnet werden. Der frischen Kuhmilch wird mit einer Zentrifuge der Rahm entzogen, der später zu Butter weiterverarbeitet wird. Die zurückgebliebene Magermilch wird im»kessi«bis zum Siedepunkt erhitzt und mit einer Milchsäurekultur versetzt, worauf sich die Magermilch scheidet. Der Ziger, in dem das gesamte Milcheiweiß enthalten ist, sammelt sich am Boden des Kessis, oben schwimmt die gelbgrüne Schotte auf, die für die Schweinemast verwendet wird. Der Ziger wird in flachen Becken ausgekühlt. Noch handwarm wird er in Gärbehälter eingefüllt, in denen er, mit Steinen beschwert, vier bis zwölf Wochen reift. Der Zigersenn bringt den vergorenen und gereiften Rohziger in die Zigerfabrik, die Zigerribi. Hier wird der Ziger zerrieben, mit Salz vermischt und weitere drei Monate gelagert. Durch das Pressen und Salzen verliert der Rohziger nochmals an Feuchtigkeit. Er wird damit auf natürliche Art haltbar gemacht. Der Ziger kommt nun er- 5 Einer der letzten»zigermannli«war Erwin Wagner-Deucher (1916 1990), der von Basel aus in einer Trachtenbluse und mit einer Hutte auf dem Rücken bis in die welsche Schweiz seine Kundschaft belieferte. 3 INNERTHAL NÄFELS 58 59

produktion eine existenzielle Bedeutung. 12 Personen sind in der Zigerfabrik angestellt. Doch die Zukunft ist ungewiss, denn der Glarner Schabziger ist insbesondere bei älteren Personen beliebt. 2004 wurde das Produkt mit einer Werbekampagne neu lanciert, um es wieder trendiger zu machen. Die Zigerfabrik in Oberurnen kurz vor ihrer Schließung im Jahr 2000.»Heid er oder weid er alte guete, herte, Glarner Schabziger? Iir chänd nen usenii, iir chänd nen i d Hand nii, iir chänd nen ä all Wänd hare kye und er tuet ech nüd verhye.«3 INNERTHAL NÄFELS neut unter den Mühlstein und wird dort mit dem getrockneten und gemahlenen Zigerklee vermischt. In die Stöckliform gepreßt oder als Pulver gemahlen kommt der grünliche Schabziger in den Handel. Als Käse ist der Schabziger mit nur 0,5 Prozent Fett einzigartig. Er wird heute auch in einer weichen Form als Schachtelkäse oder mit Butter vermischt als Ankeziger angeboten. Auf gut 50 Zigeralpen werden heute im Kanton Glarus jährlich 1,2 Millionen Liter frische Kuhmilch zu Rohziger verarbeitet und dazu rund dreimal soviel ganzjährig in den Talkäsereien. Der einzige Abnehmer ist die Zigerribi in Glarus. Um 1920 zählte man im Kanton noch elf Zigerfabriken, 192 noch deren fünf. 1995 hat die zweitletzte Zigerribi, die 1651 gegründete Zigerribi in Netstal, den Betrieb eingestellt. Die Geska, zu der sich bereits 1924 die sieben größten Zigerfabrikanten zusammengeschlossen hatten, erklärte den Entschluss zur Schließung dieser Zigerribi auch damit, dass die notwendigen Investitionen, die nötig gewesen wären, um den hohen Anforderungen der EU-Organe an Lebensmittelimporte zu genügen, sich nicht mehr auszahlten. In Oberurnen waren die Investitionen für den EU-Markt, der rund ein Drittel der Produktion abnimmt (und über die Hälfte davon geht nach Holland), bereits getätigt. In Oberurnen wurde die Zigerproduktion Anfang 2000 eingestellt. Die einzige Zigerfabrik der Welt ist in den Kantonshauptort Glarus umgezogen. Sie ist heute im Besitz der Familie Trümpy. Zurzeit wird die Milch von 900 Kühen zu 366 Tonnen Ziger verarbeitet. Knapp 15 Prozent davon kommen von den Alpen. Für 55 Bauernbetriebe hat die Ziger- Für den Schabziger gibt es in der Küche unzählige Anwendungsmöglichkeiten. Man kann ihn dem Käse-Fondue beimischen, für eine Chäsröschti oder die bekannten Ziger- Höreli gebrauchen. Weitere Rezepte unter www.schabziger.ch. 5 Die Zigerstöckli werden manuell verpackt und in die ganze Welt, bis nach Amerika, Australien und Hongkong, exportiert (Aufnahme ca. 194). 60 61

DAS HARTE LOS DER FABRIKLER Der Linthaler Pfarrer Bernhard Becker beschreibt in seinem kleinen Büchlein»Ein Wort über die Fabrikindustrie«, welches 1858 erschien und 1990 neu aufgelegt wurde, die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Glarner Textilindustrie und die daraus resultierenden sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen:»Bei unserer Fabrikindustrie arbeitet man in der Regel zu streng, namentlich wo Maschinen thätig sind. Die Maschine wird nie müde. [ ] Das glatte schöne Rad hat eine eiserne Seele, hat ein todtes Herz im Leibe. Du kannst mit ihm wetteifern, aber es tödtet dich, und wenn es dich getödtet, geht es kalt und stumm weiter und macht sich wieder an ein anderes armes Menschenleben. Stelle dir immer vor: das Rad ist Eisen, du bist nur Fleisch und Blut; das Wasser, das es treibt, rauscht 1000 Jahre so vorüber; dein Leben ist nur ein Augenblick.«Bernhard Becker, Kämpfer für soziale Reformen, wurde 1819 in Ennenda geboren und ging auch dort zur Schule. In Zürich studierte er Theologie und in Heidelberg Philosophie. 1848 wählte ihn die Gemeinde Linthal zum Pfarrer, ein Amt, das er bis zu seinem Tod innehatte. Unermüdlich versuchte er während seines 30- jährigen Wirkens, die Situation der arbeitenden Bevölkerung im Glarnerland zu verbessern. An den Erfolgen der glarnerischen Sozialpolitik war er maßgeblich beteiligt. Die Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter, im Volksmund Fabrikler genannt, war in der Mitte des 19. Jahrhunderts prekär. Das Überangebot an Arbeitskräften drücke die Löhne und»mache die Fabrikler zum handlichen Werkzeug der Fabrikherren«. So argumentierte 1854 in einem Landsgemeindeantrag Balz Winteler aus Mollis. Zu Beginn der Industrialisierung gab es überhaupt keine Reglementierung der Fabrikarbeit, der Wirtschaftsliberalismus dominierte, und jede Einmischung des Staates in die Verhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurde zurückgewiesen. Uneingeschränkt wurden die Arbeitsbedingungen vom Fabrikbesitzer diktiert. In den Drucksälen herrschte eine schwüle, feucht-heiße Atmosphäre. Die Räume waren schlecht beleuchtet, die Ventilation war ungenügend, Öl- und Farbgerüche stiegen auf und die repetitive Tätigkeit musste mit großer Hektik und oft in gebückter Arbeitshaltung ausgeführt werden. Die übliche Arbeitszeit lag bei 14 Stunden im Tag.»In den Spinnereien müssen die Kinder von morgens 05.00 bis Abends 19.30 Uhr, oft noch länger bis 20.00 Uhr aushalten. Haben sie, wie es in vielen Orten der Fall ist, noch einen weiten Weg bis zur Spinnerei, so müssen sie um 04.00 Uhr und vor 04.00 Uhr aus dem Schlaf genommen werden, aus dem Schlaf, der für Kinder in reichem Maße geradezu unentbehrlich ist.«(becker) In Niederurnen soll es vorgekommen sein, dass schulpflichtige Kinder mit einer Stunde Mittagessen von 04.30 Uhr bis 23.00 Uhr beschäftigt wurden. Menschen verachtendes Fabrikherrentum hatte einen Namen: Oberst Heinrich Kunz, Spinnereikönig aus dem Zürcher Oberland. Als der Industrielle in Linthal eine Spinnerei erbauen ließ, wurde er noch als Retter gefeiert, doch ein öffentliches Protestschreiben des Verhörrichters Josua Staub zeigte sein wahres Gesicht als Despot. Wie Staub berichtete, lasse Kunz seine Arbeiter von Viertel nach fünf in der Früh mit einem halbstündigen Unterbruch während der Mittagszeit oftmals bis achtzehn Stunden lang arbeiten. Der Molliser Pfarrer Johann Ulrich Wagner sprach von Menschenquälerei in Linthal: Immer wieder komme es vor, dass Kinder während der Arbeit, vom Schlaf überwältigt, zu Boden fielen. Doch ohne jedes Erbarmen würden sie von den Aufsehern wachgerüttelt und wieder an die Maschine befohlen. Auf diese Vorwürfe wurde von Kunz damit entgegnet, dass das Arbeiten über die gesetzliche Zeit hinaus von den Arbeitern selbst lebhaft gewünscht werde und dass die Kinder, da die Eltern am Abend sowieso arbeiteten, in der Fabrik wenigstens unter Kontrolle seien. Im Kanton Zürich wurde Kunz wegen Kinderausbeutung in seinen Fabriken verurteilt. Im Kanton Glarus wurde er im Februar 1854 mit einer symbolischen Buße von 40 Kronen bestraft. Mit Prämien für die größte Arbeitsleistung wurden die Arbeiter noch zusätzlich angeheizt. Für Bernhard Becker waren sie nur ein Mittel, um einen noch größeren Gewinn zu erwirtschaften:»hole der Teufel all diese Prämien! Sie sind nichts als Anweisungen auf das Leben der Arbeiter, Vampyre, die ihnen 1Der Pfarrer Bernhard Becker (1819 189) aus Linthal war maßgebender Initiator der sozialen Reformen im Glarnerland. 5 Kinderarbeit in einer Spinnerei am Ende des 19. Jahrhunderts. Das Foto stammt vermutlich aus dem Zürcher Oberland. 6 LINTHAL GLARUS 110 111

das Blut aussaugen, viel gefährlicher als die Vampyre auf den Pariser Friedhöfen sind. Der Teufel betrügt den Menschen gegen Geld um sein Leben.«Die Spinner in der Spinnerei Kunz versuchten einmal das Prämiensystem zu umgehen.»sie wollen einander nicht so hetzen, sondern die Prämie untereinander vertheilen. [ ] Das Ding wurde aber ruchbar und dann wurde auf das Complottiren [ ] eine Buße gesetzt.«diese Arbeitsbedingungen hatten auf das soziale Leben und die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung einen verheerenden Einfluss.»Der Fabrikarbeiter hat oft eine langweilige, gleichförmige oder gar häßliche Arbeit. Da nimmt man eine Frau; die bringt etwas Abwechslung in das eintönige Fabrikleben und etwas Schöneres als die Fabrikarbeit ist, will man doch auch von der Welt haben. [ ] Beide Theile heirathen früh. Dadurch wird man selber nichts. Fabrikweibchen, wenn sie ein oder zwei Kinder gehabt, kommen scharenweise auf den Friedhof und junge auszehrende Ehemänner gibt es im Glarnerland auch viel.«(becker) 182 bis 184 betrug die Sterblichkeit der Fabrikkinder im ersten Lebensjahr 28,5 Prozent, während sie bei den Bauern 22, Prozent und bei den Wohlhabenden 12,6 Prozent betrug. Die große Not bereitete den Boden für Reformen. 1816 wurde von den Arbeiterinnen und Arbeitern der Stoffdruckerei Egidius Trümpy in Glarus die erste Fabrik-Krankenkasse gegründet. In der gleichen Firma traten die Arbeiter 183 zwei Wochen in den Ausstand, um die Einführung einer Fabrikglocke, die Anfang und Ende der Arbeitszeit signalisierte, zu verhindern. Der Streik, von Emil Zopfi in seinem Roman»Die Fabrikglocke«nacherzählt, führte nicht zum Erfolg. Eine im November 1845 vom Regierungsrat erlassene Verordnung, die verbesserte Arbeitsbedingungen in den Fabriken vorsah, wurde auf Druck einiger Fabrikanten zwei Monate später wieder aufgehoben und durch die fabrikantenfreundliche»fabrikherren-verordnung«ersetzt. 1858 wurde aufgrund eines Begehrens von Pfarrer Becker die Sonntagsarbeit verboten. Substanzielle Reformen brachte das Fabrikpolizeigesetz von 1864, welches durch eine Eingabe von vier Fabrikarbeitern aus Luchsingen zuhanden der Landsgemeinde initiiert wurde. Das neue Fabrikgesetz, von wichtigen Persönlichkeiten wie Ständerat Johann Jakob Blumer, Fabrikant Jean Jenny und dem Gemeindepräsidenten Niklaus Tschudi aus Glarus unterstützt, wurde an der Landsgemeinde mit überwältigender Mehrheit angenommen. Fabrikant Hefti aus Hätzingen, der dagegen reden wollte, wurde niedergeschrieen.»ein reiferer Apfel ist im Glarnerland noch keiner zu Boden gefallen.«das Gesetz sah unter anderem vor, dass schulpflichtige Kinder nicht mehr zur Arbeit in der Fabrik herangezogen werden durften, die tägliche Arbeitszeit auf maximal zwölf Stunden beschränkt blieb, dass von acht Uhr abends bis fünf Uhr morgens in den Fabriken nicht gearbeitet werden durfte und Frauen vor und nach der Niederkunft, im ganzen während sechs Wochen, nicht arbeiten sollten. Die Einhaltung dieser Bestimmungen sollte durch zeitweise Inspektionen kontrolliert werden. Es war das erste Gesetz in Europa, das auch für erwachsene Männer einen Normalarbeitstag von zwölf Stunden festlegte. 182 wurde die tägliche Arbeitszeit gegen den Widerstand der Arbeitgeber auf elf Stunden reduziert. 18 wurde der Elfstundentag im neu- en eidgenössischen Fabrikgesetz, das stark durch die Glarner Erfahrungen beeinflusst war, übernommen. Die Führung des ersten eidgenössischen Fabrikinspektorates fiel dem Glarner Arzt Fridolin Schuler zu, der sich bereits als Arzt und später auch als Glarner Fabrikinspektor für die Anliegen der Arbeiterschaft stark gemacht hatte. Nachtrag: Schwanden, 14. November 1985. Illegal beschäftigt die Kunststoff Schwanden AG im Glarner Hinterland seit Jahren Frauen in Nachtarbeit. Als die Angelegenheit ans Licht kam, erhielt der Glarner Ständerat und Gemeindepräsident von Schwanden, Peter Hefti, nach persönlicher Vorsprache beim zuständigen Bundesamt die Zusicherung, dass die Nachtarbeit ( ) weiterhin geduldet werde. (Meldung der sda nach Zopfi 1991) 5 Die 1822 gegründete Spinnerei der Familie Paravicini in Schwanden war die erste mechanische Groß-Spinnerei des Kantons. 1989 wurde der Betrieb stillgelegt. 6 LINTHAL GLARUS 112 113

DIE STILLE WEITE DER KARRENFELDER Braunwald Ortstock Glattalp Charetalp Braunwald Der zweitägige Abstecher in den Kanton Schwyz führt uns vom autofreien Braunwald zuerst auf den Ortstock mit seiner spektakulären Rundsicht und hinunter zur Glattalp. Am zweiten Tag wandern wir durch die unendliche Weite der größten Schweizer Karstlandschaft zurück nach Braunwald. 115

Bisist hal Pfaff 2108 1896 N 1 km Charetalphüttli Glattalphütte SAC Glattalp 183 Pfannenstock Glattalp B C Glattalpsee Charetalp Erigsmatt 2082 Höch Turm Furggele 2395 Bös Fulen 2801 Gumen 1901 Bützi Oberstafel Braunwald 1602 Bärentritt 1256 E u l o c h A D Brächalp Ortstock 216 Linthal Charakter Lange Gipfelwanderung mit einer ausgesetzten Passage beim Bärentritt, die Trittsicherheit erfordert. Schwierigkeit T4. Verkehrsmittel,1 Mit der Bahn nach Linthal-Braunwaldbahn und von dort mit der Standseilbahn nach Braunwald. 1, Sessellift Gumen Braunwald (Der Sessellift ist erst wieder ab Winter 200/08 in Betrieb. Bis dann Weiterwanderung bis Seblen, plus 20 Minuten, und von dort mit Sesselbahn und Gondelbahn via Grotzenbühl nach Braunwald), von da mit der Standseilbahn und dann mit dem Zug Richtung Ziegelbrücke. Varianten 1 Es können auch nur einzelne Etappen der 2-Tages-Tour gewandert werden. In diesem Fall An- resp. Rückreise mit der Bahn via Schwyz und mit dem Postauto von/bis Sali-Glattalp Talstation (umsteigen in Muotathal), von wo eine Seilbahn zur Glattalp hinaufführt (Fahrten zu jeder vollen Stunde, Zwischenfahrten ab drei erwachsenen Personen, Tel. 041 830 13 59). 1 Die exponierte Stelle des Bärentritts umgehen und etwa 500 Höhenmeter einsparen, indem man von Braunwald die Sesselbahn nach Gumen nimmt, um von dort via Bützi das Euloch zu erreichen (Zeitersparnis 1 Std.). 1 Den Ortstock auslassen und von der Furggele direkt zur Glattalp absteigen (Zeitersparnis 1 1 2 Std.). Beste Jahreszeit Anfang Juli bis Ende September Wanderzeiten 1. Tag Braunwald Brächalp-Oberstafel 1 1 2 Std. Brächalp-Oberstafel Euloch 1 1 2 Std. Euloch Ortstock 2 1 2 Std. Ortstock Glattalp 2 1 2 Std. Total: 8 Std. Höhendifferenz: X 140 m, V 860 m Wanderzeiten 2. Tag Glattalp Charetalphüttli 1 3 4 Std. Charetalphüttli Erigsmatt 1 1 4 Std. Erigsmatt Gumen 2 Std. Total: 5 Std. Höhendifferenz: X 560 m, V 520 m Karten 113 Linthal (1:25 000); steigt man ins Bisisthal ab, braucht es zusätzlich 112 Muotatal oder 246 T Klausenpass (1:50 000) Sehenswertes A Aussicht vom Ortstock B Glattalpsee C Karstgebiet zwischen Charetalp und Bützi D Von Gumen aus erreicht man in wenigen Minuten den spektakulären Klettersteig am Eggstock. Eine Klettersteigausrüstung kann bei Kessler Sport in Braunwald gemietet werden (Tel. 055 643 22 22 oder 09 612 81 83) 116 Übernachten, Gasthäuser Breit gefächertes Angebot in Braunwald: Vom Vierstern-Märchenhotel Bellevue (www.märchenhotel.ch) bis zum einfach-trendigen Adrenalin (www.adrenalin.gl); diverse Gruppenunterkünfte. Einkaufsmöglichkeiten. Tourismus- Information. Tel. 055 653 65 65, www.braunwald.ch. Bergrestaurant Gumen (oberhalb Braunwald): Tel. 055 643 13 24, www.gumen.ch (3er-Zimmer/HP Fr. 88. p. P., 8er-Zimmer/HP Fr. 65. p. P.). Berggasthaus Glattalp: Tel. 041 830 12 04 / 052 386 30 04, geöffnet von Anfang Juni bis Anfang Oktober, an schönen Wochenenden auch schon im Mai (DZ/HP Fr. 95. p. P., Massenlager/HP Fr. 82. p. P.). Glattalphütte (SAC): Tel. 041 830 19 39 (Hütte), falls Hütte unbewartet: Tel. 041 830 0 01 oder 09 84 05 41 (Eliane Bürgler), www.sacmythen.ch. Von Juli bis September durchgehend bewartet, zusätzlich an Wochenenden von Mitte Juni bis Mitte Oktober. Für Selbstversorger ganzjährig geöffnet. Bisisthal: Hotel Schönenboden, Tel. 041 830 12 22 (DZ Fr. 54. p. P., auch Massenlager). 11

1. Tag: Braunwald Bärentritt Ortstock Glattalp Wären wir vor 100 Jahren ins Glarner Hinterland gereist, hätten wir am Ort der heutigen Talstation der Braunwaldbahn unser Ziel vermutlich bereits erreicht. Hier stand einst das weitherum berühmte Bad Stachelberg, vor der Jahrhundertwende der größte Anziehungspunkt im Glarnerland (siehe S. 124 ff). Ein Gebäude der Hotelanlage blieb erhalten. Unbeachtet vom Touristenstrom, der nach Braunwald hinaufzieht, steht es hinter dem Parkhaus. Die 190 erstellte Braunwaldbahn bringt uns in wenigen Minuten auf die 600 Meter höher gelegene Sonnenterrasse von Braunwald (1256 m). Im Jahr 2001 wurde die wirtschaftliche Situation der Standseilbahn so schlecht, das sie nur noch dank der Übernahme durch den Kanton vor dem Konkurs gerettet werden konnte. Und neue Pobleme stehen bereits vor der Tür. Braunwald rutscht pro Jahr 2 bis 5 Zentimeter talwärts, alle 20 bis 30 Jahre auch mit ruckartigen Bewegungen. Teile des Dorfkerns und die Bergstation der Standseilbahn liegen im kritischen Gebiet, in dem auch ein Bauverbot erlassen wurde. In den nächsten Jahren soll deshalb die Bergstation 50 bis 100 Meter bergwärts verschoben und allenfalls durch eine Luftseilbahn ersetzt werden. Die Bahn ist nach wie vor der Lebensnerv des autofreien Kurortes, der außer per Bahn nur zu Fuß erreicht werden kann. Alles, was in Braunwald gegessen, getrunken und verkauft wird, ist mit der Seilbahn in den Ort gelangt. Mit seinen 1 Dieselfahrzeugen, die im Ort verkehren, gilt Braunwald jedoch als schwarzes Schaf unter den autofreien Kurorten. Dank Hansjürg Kessler, dem wohl weltweit besten Snowboardbauer, ist Braunwald heute eine Pilgerstätte für Snowboardprofis. 198 baute der Tüftler sein erstes Brett. Heute bedient er fast die gesamte Weltspitze und jeden dritten Profi, Tendenz steigend. Und dies, obwohl er kein einziges Inserat geschaltet hat und die Bretter in keinem Laden zu kaufen sind. Wer ein Kessler-Board will, muss schon selbst nach Braunwald kommen (und rund 1400 Franken hinblättern). Beim Verlassen der Bergstation tritt sofort unser Tagesziel, der mächtige Ortstock, ins Auge. Auch Tödi und Kärpf sind von hier sichtbar. Der durchgehend gut signalisierte Weg führt uns zuerst an der Seilbahnstation vorbei und später, gesäumt von großen Ahornbäumen, bis zu einer Brücke, wo unser Weg die Fahrstraße verlässt. Nach einer ersten Steilstufe erreichen wir das Plateau von Brächalp- Oberstafel (1602 m). Ein breiter, ebener Weg führt uns von hier nach Bergeten unterhalb des Bärentrittes. In dieser Gegend wurden in den 1950er- Jahren Spuren von Alpsiedlungen (Heidenhüttli) entdeckt, die bis zum Ende des 12. Jahrhunderts zurückreichen. Schon damals wurde das Gebiet während der Sommermonate rege zur Viehzucht und Milchverarbeitung benutzt. Bei den Ausgrabungen fand man Bären-, Hasen- und Gämsenknochen, was auf einen ansprechenden Speisezettel der damaligen Bewohner hinweist. Nach dem Aufstieg durch das steile Geröllfeld gelangen wir an den ausgesetzten, jedoch mit Drahtseilen gut abgesicherten Bärentritt. Oberhalb der felsigen 11Blick vom Pfaff (zu Beginn des 2. Tages) Richtung Osten. Links der Grisset, in der Mitte der Chilchberg und dahinter der Höch Turm, rechts der breite Ortstock und die Jegerstöck. Aussicht vom Ortstock Richtung Westen: Links der Urnerboden, in der Mitte die Jegerstöck und rechts die Glattalp. 5 Nach der anstrengenden Tour kann man sich im Glattalpsee abkühlen. Der unterirdische Abfluss des Glattalpsees verlässt die Glattalp in einem Druckstollen. BRAUNWALD GLATTALP BRAUNWALD 118 119

Passage erreichen wir Euloch (2009 m), das sich bereits auf Schwyzer Gebiet befindet. Im Sommer eine riesige Schafweide, ist das Euloch Teil des Jagdbanngebietes Silbern-Jägern-Bödmerenwald, welches bis zum Pragelpass reicht. Die Sicht auf den Höch Turm, den Ortstock und hinunter nach Braunwald ist beeindruckend. Die nächste Geländestufe kann im Frühsommer noch lange mit Schnee bedeckt sein, was den Aufstieg durch den Geröllkessel um einiges erschwert. Auf der Furggele öffnet sich uns auf einen Schlag ein neuer Horizont mit den Windgällen und dem Glattalpsee, und der vorher unbezwingbar scheinende Ortstock zeigt uns seine sanfte Schulter. Bloß 320 Höhenmeter und ein Felsband, das wir mit Hilfe von zwei fixierten Seilen überwinden, trennt uns hier noch vom Gipfel. Erwischt man einen guten Tag, bietet sich vom Ortstock (216 m, Gipfelbuch) eine phänomenale Aussicht: In der Ferne sieht man den Greifensee und die Stadt Zürich, den Mythen und die Rigi, den Zugersee, die Berner Alpen, den Titlis, die Urner Alpen, den majestätischen Tödi, den Glärnisch, die Churfirsten und den Säntis. Und tief unter uns den Urnerboden und das Tal der Linth. Auf gleichem Weg geht es zurück zur Furggele und dort links über Geröllfelder Richtung Glattalpsee. Unmittelbar vor dem See queren wir auf einer Brücke nochmals den Bach und folgen ihm auf seiner linken Seite. Die Glattalp ist im Winter eine extrem kalte Gegend. Am. Februar 1991 maß der Wasserwärter des Elektrizitätswerkes Schwyz, Josef Föhn, hier oben ganze mi- nus 52,5 Grad was absoluter Schweizer Rekord wäre. Nur glaubt ihm niemand, weil damals Fasnacht war. 1998 maß man minus 40,4 Grad. Was immerhin die kälteste je im November gemessene Temperatur wäre. Im Restaurant Glattalp (1860 m) gibts was das Herz begehrt, vom Steak bis zur Meringue. Wer in der SAC-Hütte übernachtet oder die Seilbahn nimmt, erreicht beides in rund 10 Minuten. 2. Tag: Glattalp Pfaff Charetalphüttli Erigsmatt Gumen (Sesselbahn) Braunwald Via SAC-Hütte folgen wir dem markierten Wanderweg Richtung Charetalp/Braunwald. Nach einer ersten Stufe, auf welcher der Weg in der Nähe des Baches verläuft, kann man entweder rechts direkt zum Übergang zur Charetalp aufsteigen oder den linken Weg bis zu einer Schulter gehen und von dort ohne Weg, jedoch problemlos über Wiesen den Pfaff (2109 m) besteigen. Von hier oben bietet sich eine wunderbare Aussicht auf die Berge der Innerschweiz, die Glattalp, die Charetalp und das Karstgebiet der Silberen. In den 190er-Jahre ließ die Gemeinde Muotathal die Möglichkeit einer Erschließung des Pfaffs für den Wintersport prüfen. Wegen der Lawinengefahr auf der Abfahrtspiste zur Talstation der Seilbahn Sali Glattalp riet man von der Investition ab. Favorisiert wurden im Bericht eine Anbindung des Muotatals an das Skigebiet Hoch-Ybrig und eine Erschließung des Blüembergs. Weder das eine noch das andere wurde je konkretisiert. Eine touristische Entwicklung der Glattalp schlug 6 Auf der Glattalp bietet neben der SAC-Hütte auch das Berggasthaus Glattalp (Bild) Unterkunftsmöglichkeiten. 5 Aus der Weite der Karrenfelder ragt der Grisset, auch Guter Faulen genannt, empor. BRAUNWALD GLATTALP BRAUNWALD 120 121

192 bereits Xaver Kündig aus Schwyz in einem Reisebericht vor:»da sollte dem einfachen Wanderer ein einfaches Gasthaus zur Ruhe und Erholung winken. Diese Höhe gleicht derjenigen von St. Moritz im Engadin, die würzige Bergluft, die echte Einsiedlerlandschaft, der zum Gondeln einladende See ist wie zum Nerven stärkenden Kurort geschaffen. ( ) Könnte aus dieser Alpennatur durch Tatkraft nicht auch ein kleines schwyzerisches Maloja geschaffen werden, das der einheimischen Bevölkerung Arbeit und Brot geben und sie vor Abwanderung schützen würde?«vom Pfaff sind wir in fünf Minuten auf dem in nördlicher Richtung liegenden Sattel und somit auch wieder auf dem markierten Wanderweg. Wir gehen nach links zur Charetalp hinunter, zur grünen Oase inmitten der Steinwüste, queren die Wiesen auf dem Talboden und gelangen so zum Charetalphüttli (183 m). Wir schlagen nicht den direkten Weg zur Erigsmatt ein, was auch möglich wäre, sondern nehmen den markierten Weg schräg aufwärts, Richtung Brunnalpelihöchi, und tauchen voll ins Karstgebiet ein. Man kann sich in dieser Einöde leicht verlaufen und sollte deshalb besonders achtsam auf die Wegzeichen achten (Vorsicht bei Nebel und alten Schneefeldern). In diesem Gebiet gibt es keine oberirdischen Gewässer. Das Schnee- und Regenwasser zerfrisst den bloßliegenden Fels und sucht sich längs feiner Risse im Kalkgestein seinen Weg in die Tiefe. So entstehen die Schratten- oder Karrenfelder mit Rinnen, zwischen denen scharfe Rippen stehen bleiben. Das mit löslichem Kalk gesättigte Wasser dringt bis zu einer Höhle oder Kluft vor und bildet dort beim Ver- dunsten Stalagmiten und Stalaktiten, welche den Höhlen ihr märchenhaftes Gepräge geben. Der Sage nach war es nicht das Wasser, sondern der Teufel, mit Riesenpflug und Feuergäulen, der die Karrenfelder in die Landschaft pflügte. Nach einer knappen halben Stunde erreichen wir in einem kleinen Tal eine Weggabelung und biegen dort rechts ab (nehmen also nicht den Weg Richtung Silberen). Nach der Abzweigung ist der Weg um einiges schlechter markiert. Wir halten die zu Beginn eingeschlagene Richtung. Allmählich kommt zwischen den Felsen wieder mehr Gras zum Vorschein. Nach einer weiteren halben Stunde erreichen wir einen überaus deutlich markierten Weg, folgen diesem nach rechts und erreichen kurz darauf die Erigsmatt (2082 m). Und weiter geht es durch Karrenfelder (mit der Zeit kann diese Ödnis auch aufs Gemüt schlagen) Richtung Braunwald. Bei Bützi erreichen wir das Ende der Karstlandschaft und Glarner Boden. Zuerst steil hinab, später ebenaus, gelangen wir zum Bergrestaurant Gumen (1901 m) und zur Bergstation der Sesselbahn. Die Sportbahnen Braunwald standen in den letzten Jahren finanziell nah am Abgrund. Die Sesselbahn auf den Gumen war aus Sicherheitsgründen 2 Jahre geschlossen. In der Not hat der Glarner Bauunternehmer Fritz Trümpi vom Kanton Glarus und der Gemeinde Braunwald die Aktienmehrheit der Sportbahnen übernommen. Dank einer Finanzspritze und Neuinvestitionen soll es nun wieder bergauf gehen. Die Charetalp: grüne Oase inmitten der Karstwüste. BRAUNWALD GLATTALP BRAUNWALD 122 123

LES BAINS DE STACHELBERG Oberhalb diesem Dorff, an dem Fuß des Stahlbergs, an einem sehr gähen Ort, in Hrn. Landvogt Stüssis Gütern ist ein Alaun-Wasser, welches innerhalb einer kleinen Zeit das eingelegte Silber vergüldet, so aber ohne Gebrauch ist, weilen es an einem ungelegenen gefährlichen Orte, und nur tropfenweise aus den Felsen hervorquillet«, schrieb Anfang des 18. Jahrhunderts der Zürcher Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer. Als 168 die Pfarrersfrau von Linthal einen Schlaganfall erlitt, halbseitig gelähmt war und ein Transport nach Baden zur Kur nicht in Frage kam, erinnerte sich der behandelnde Arzt Dr. Marti an die Quelle am»ungelegenen«ort. Er ließ Wasser holen und badete die Frau Pfarrer darin. Bald war sie wieder auf den Beinen. Kurz darauf riet Dr. Marti einem Mädchen aus Rüti, dessen ganzer Körper mit Krätze überzogen war, im Wasser des Stachelbergs zu baden. Das Mädchen ging gleich selbst zur Quelle, begoss sich mit Wasser, und die Krätze trocknete aus und fiel ab. Auf Drängen von Dr. Marti eröffnete der Besitzer der Quelle, der Wirt und Ratsherr Georg Legler, einen kleinen Kurbetrieb. In einem Stall neben seinem Gasthaus stellte er fünf Badewannen auf und ließ das schweflige Wasser in hölzernen Röhren in sein kleines Bädlein leiten. Das Wasser für Trinkkuren wurde an der Quelle von einem Wasserschöpfer in Literflaschen abgefüllt und den Kurgästen verkauft. Legler versuchte durch Sprengungen und Bohrungen die Wassermenge zu vergrößern. Das Bad erhielt immer größeren Zulauf, und 1830 nahm das neu erstellte Kurhaus Bad Stachelberg, unmittelbar bei der heutigen Talstation der Braunwaldbahn, seinen Betrieb auf. 28 gediegene Gästezimmer, Speisesaal, Spielzimmer, Billardzimmer, Kegelbahn, eine gedeckte Terrasse und ein gepflegter Hausgarten mit Springbrunnen standen den Kurgästen zur Verfügung. Zehn Badezimmer mit je zwei hölzernen Badewannen, einige sollen auch aus Zinn gewesen sein, wurden im separaten Badehaus untergebracht. Bereits 1860 war das Kurhaus wieder zu klein, und ein zweiter großer Trakt mit 50 zusätzlichen Gästezimmern und einem Ballsaal wurde gebaut. Aus ganz Europa strömten die Kurgäste nun nach Stachelberg. Der zweite Trakt wurde noch vergrößert und daneben entstand zudem ein Speisesaal für 300 Personen. Nach dem Bau einer Dependance und eines zusätzlichen Baukomplexes verfügte das Bad im Jahr 1900 über 150 großzügig ausgestattete Zimmer. Eine Größe, die für das Glarnerland bis heute einmalig geblieben ist. Der Bau eines Tennisplatzes machte»les Bains de Sta- chelberg«vollends zum Treffpunkt der internationalen High Society. Ohne umzusteigen konnte man mit der Bahn von Paris in direkten Wagen nach Linthal gelangen. Man traf sich im Bad Stachelberg, spielte Tennis, machte Ausflüge ins Tierfed oder auf den Klausen, lauschte dem Kurorchester. Gespeist wurde an der Table d hôte, einem riesigen, kunstvoll gedeckten Mittagstisch, an dem die Kurgäste gemeinsam dinierten. Der Schriftsteller Carl Spitteler erlebte die Table d hôte wie folgt:»was für ein feierliches Schweigen! Was für ein vorsündflutlicher Ernst! Was für Toiletten! Was für ein geschraubtes Benehmen! Wenn man doch wenigstens dieses Spießrutensitzens enthoben sein könnte [ ]. Die einzige Würde einer Table d hôte besteht in der Anwesenheit oder in der Möglichkeit der Anwesenheit von Damen. Diese Möglichkeit oder Tatsache bestimmt das Gesetz. Folglich ist fleckenlose Reinheit der Wäsche und der Haut das erste Gebot; das zweite diejenige Zurückhaltung, die man vor fremden Damen überhaupt übt. Das ist aber auch alles. Ein Gespräch mit den Tischnachbarn und -nachbarinnen soll nicht vermieden, sondern gesucht werden; wem es gelingt ein solches anzubahnen, erwirbt sich Dank, denn niemand speist im Grunde gerne stumm wie ein Tier.«Die gediegenen Räumlickeiten des Bades wurden vermehrt auch von Glarnern benutzt. Die offizielle Einweihung etwa der Bahnlinie nach Linthal oder der Klausenpassstraße, aber auch Hochzeiten der Glarner Fabrikantenfamilien fanden im Bad Stachelberg statt. Doch mitten in der Blütezeit begann auch schon der Niedergang. Der Höhenkurort Braunwald gewann zunehmend an Bedeutung: 189 wurde das Lungensanatorium, 5 Kurgäste des Bades Stachelberg (um 1900). BRAUNWALD GLATTALP BRAUNWALD 124 125

Der Stich des Bades Stachelberg zeigt den Endausbau der Anlage um 1905 mit Parkanlage und Tennisplatz. Erhalten blieben nur das Kurhaus von 1830 (ganz links) und die Dependance, das Chalet Seggen (unten). BRAUNWALD GLATTALP BRAUNWALD kurz darauf die Hotels Niederschlacht, Alpina und Alpenblick eröffnet. 1906 bekam die Entwicklung Braunwalds mit der Planung der Braunwaldbahn eine zusätzliche Dynamik. Die Stachelbergbad AG war sich unschlüssig, ob sie das Bahnprojekt bekämpfen oder fördern sollte. Einerseits war die Bahn eine zusätzliche Attraktion für die Kurgäste, anderseits war mit dem Bau des Grand Hotel in Braunwald eine ernst zu nehmende Konkurrenz im Anzug. Schließlich versuchte man miteinander ins Geschäft zu kommen: Das Bad sollte der Bahn kostenlos Licht und Wasser liefern und durfte im Gegenzug ein Buffet in der Talstation betreiben. Doch ein Streit, noch vor Eröffnung der Bahn im August 190, machte das Geschäft wieder zunichte. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges versetzte dem Bad Stachelberg den Todesstoß. Die wichtigsten Kurgäste, Deutsche, Franzosen und Engländer, reisten Hals über Kopf ab. Am 30. Juli 1914 schrieb sich der letzte Gast ins»livre des Etrangers«ein. 1915 erklärte die Stachelbergbad AG den Konkurs. Zwei Gebäude wurden abgebrochen an deren Stelle steht heute das Parkhaus der Braunwaldbahnen und die eleganten Gärten wurden in Wiesen umgewandelt. Geblieben ist einzig das erste Kurhaus von 1830. 126 12