Nachhaltige Fischerei

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Nachhaltige Fischerei Gerd Hubold, Hamburg Zusammenfassung Fischerei ist eine ökonomische Aktivität und folgt als solche dem Zwang zu ständiger Leistungssteigerung. Das ökonomische Wachstum stößt jedoch dort an seine Grenzen, wo die natürlichen Produktionsmöglichkeiten der genutzten Bestände erreicht sind. Werden die Fangkapazitäten ungeachtet dieser Grenzen weiter gesteigert, entstehen unwirtschaftliche Flotten, die sich nur mit Subventionen über Wasser halten und deren Fangobjekte unter dem starken Konkurrenzdruck dem Risiko der Überfischung bis hin zum Bestandszusammenbruch ausgesetzt sind. Zu intensive Fischereien können zudem schädigende Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme haben und rufen dadurch negative Reaktionen in der Öffentlichkeit hervor, die zu politischem Druck auf die Fischerei führen. Es liegt deshalb in Interesse aller Beteiligten, Wege zu finden, die eine auf Langfristigkeit angelegte, ökonomisch erfolgreiche und ökologisch verträgliche Fischerei gewährleisten. In Erkenntnis dieser Zusammenhänge wurde im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU (GFP) damit begonnen, einerseits über die Mehrjährigen Ausrichtungsprogramme (MAP) Flottenkapazität abzubauen, andererseits neue Bewirtschaftungsmodelle einzuführen, die unter dem Titel Vorsorgemanagement oder nachhaltige Fischerei firmieren. Beide Maßnahmenbündel sind grundsätzlich geeignet, zu einer Verbesserung der Fischereisysteme beizutragen; in beiden Bereichen bestehen aber noch erhebliche Umsetzungsdefizite, die zum Teil auf ungenügender Kenntnis über die Zusammenhänge zwischen Fischereiaufwand (als technischem Parameter) und fischereilicher Sterblichkeit (als biologischem Parameter) beruhen. Vortrag anlässlich des Deutscher Fischereitages in 31.8.2000 Oldenburg: Thema der Veranstaltung: Die Fischerei in Nord- und Ostsee auf dem Weg zu einem Ressourcenmanagement? Der Artikel wird in den Arbeiten des Deutschen Fischereiverbandes veröffentlicht. Dr. habil. Gerd Hubold Direktor und Professor Bundesforschungsanstalt für Fischerei Institut für Seefischerei Palmaille 9 22767 Hamburg hubold.ish@bfa-fisch.de www.bfa-fisch.de Nachhaltige Fischerei Über Jahrtausende war die Fischerei eine umweltverträgliche Aktivität, die dem Meer weniger entnahm, als natürlich nachwachsen konnte. Den Menschen erschien das Meer unerschöpflich zu sein. Aber schon zum Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu ersten gravierenden Veränderungen in den Küstengewässern der Nordsee. Im Jahr 1890 tauchte der Begriff Überfischung im Jahresbericht über die deutsche Fischerei auf. Die durchschnittlichen Tagesfänge von Schellfisch, dem damals wirtschaftlich wichtigsten Fisch der deutschen Fischerei (65% Fanganteil), sanken um die Hälfte (von 12 t auf 6 t je Fangtag). Die Schellfische und die Schollen (14% Fanganteil) in der südlichen Nordsee nahmen deutlich in ihrer Größe ab.

Es waren diese ersten Überfischungserscheinungen, die im Jahr 1901 zur Gründung der Deutschen Wissenschaftlichen Kommission für Meeresforschung (www.dwkmeeresforschung.de), und unter starker deutscher Beteiligung zur Gründung des Internationalen Rates für Meeresforschung (www.ices.dk) im Jahr 1902 führten. Trotz der frühen Überfischungserscheinungen stiegen seit Beginn des 20. Jahrhunderts, jeweils unterbrochen durch die Weltkriege, die Anlandungen aus der Nordsee aber von etwa 1 Mio. t auf 2,5 Mio. t, und zeitweise sogar fast 3,5 Mio. t an. In den 50iger Jahren wurde ein gewisses Plateau bei 1,5 bis 2 Mio. t erreicht. In den 60ern und 70ern verdoppelten sich dann aber die Fänge nochmals auf über 3 Mio. t. Diese Entwicklung war maßgeblich die expandierende Industriefischerei auf Stintdorsch und Sandaal zurückzuführen; sie reflektiert aber auch den in diesen Jahren in der Nordsee beobachteten Kabeljauboom (engl.: gadoid outburst ). Zum Ende der 70er Jahre gingen die Fänge zurück, und seit Anfang 80er Jahre scheint sich eine neuer mittlere Fangmenge von ca. 2,5 Mio. t/jahr eingestellt zu haben, die zwar erheblichen jährlichen Schwankungen unterliegt, aber im Mittel stabil zu sein scheint. Zu diesen 2,5 Mio. t hinzu zu rechnen sind Discards in Höhe von ca. 500.000 t jährlich. Man kann also konstatieren, dass in der Nordsee seit 1970 ein Fischertrag von ca. 3 Mio. t als nachwachsende Produktion konstant zu erzielen war. Das sind bei 500.000 km2 Fläche ca. 6 t/km2; ein Spitzenwert im Weltfischereivergleich. Eine Rückkehr zu den Spitzenerträgen der sechziger Jahre erscheint nicht wahrscheinlich, aber eine deutliche Absenkung der Gesamtfangerwartung erscheint aus der Fischereientwicklung der letzten 20 Jahre ebenfalls nicht zwingend. Bedeutender als die Gesamtfangmenge ist aber für die Bewirtschaftung die Aufteilung der Fänge auf Artengruppen. Die derzeitige Zusammensetzung der Fänge aus ca. 1,25 Mio. t Industriefischen, ca. 1,25 Mio. Konsumfischen und 0,5 Mio. t Discard ist mit Sicherheit weder ökologisch noch ökonomisch vernünftig und hat sich über die Jahre deutlich zu Ungunsten der wertvollen Speisefische verschoben. Während seit den siebziger Jahren die Fänge der Industriefischer und die Konsumfischerei auf pelagische Arten zwar stark variieren, aber keinen durchgehenden Trend zeigen, haben sich die Grundfischerträge innerhalb dieses Zeitraums von 1,2 Mio. t auf unter 0,5 Mio. t mehr als halbiert (ANON 2000, ICES ACFM). Dabei nahmen die einzelnen Arten wie folgt ab (1970/1998): Kabeljau von 230.000 t auf 120.000 t (und auf nur noch 80.000 t in 2000!) Schellfisch von 525.000 t (inkl. Industriefischerei: 700.000 t) auf 77.000 t (82.000) Seelachs von 160.000 t (220.000 t) auf 110.000 t Wittling von 83.000 t (200.000 t) auf 24.000 t (27.000 t) Scholle von 130.000 t auf 100.000 t Seezunge bei ca. 20.000 t konstant Fischer unzufrieden mit Management Folge dieser Entwicklung ist, dass die Fischer mit der Fanglage unzufrieden sind und dem Management und der Wissenschaft die Schuld daran geben. Die Manager und Wissenschaftler sind unzufrieden mit den Beständen und geben vor allem den Fischern 2

die Schuld an der Entwicklung. Bedeutender als die gegenseitige Schuldzuweisung der primär Betroffenen ist jedoch eine zunehmende Alarmierung der Öffentlichkeit, die über die Entwicklungen im Meer beunruhigt ist und Fischerei, Management und Fischereiwissenschaft gleichermaßen in der Verantwortung sieht. Verstärkt wird diese öffentliche Wahrnehmung durch zum Teil überhöhte Pressemeldungen, in denen die ökonomische Problematik einzelner Fischereien verkürzt als biologische Gefährdung von Arten vermittelt wird. Vorsorgeansatz Vor diesem Hintergrund abnehmender Fänge und des zunehmenden öffentlichen Drucks haben die Vereinten Nationen (UN), die Welternährungsorganisation (FAO), die Europäische Union (EU) aber auch USA, Island, Norwegen und andere Länder und Fischereikonventionen damit begonnen, nach neuen Wegen für eine Verbesserung des Fischereimanagements zu suchen. Unter dem Begriff Nachhaltige Fischerei oder Vorsorgeansatz wird angestrebt, einzelne Bestände nicht mehr bis auf unproduktive Größen absinken zu lassen, sondern die Nutzung vorher soweit wie nötig einzuschränken, bzw. durch Wiederaufbaupläne die Bestände auf stärkere Bestandsgrößen zurück zu entwickeln. Hierdurch soll einerseits erreicht werden, dass die Fischerei von weniger starken Schwankungen und Risiken betroffen wird, andererseits sollen die Ökosysteme durch stabilere Bestände weniger belastet werden. Diese politischen Vorgaben für neue Bewirtschaftungskriterien wurden im ICES in entsprechende wissenschaftliche Vorschläge umgesetzt, die sich seit kurzer Zeit in den Beratungsgutachten niederschlagen. (Diese hier vorgestellten Vorsorgekriterien beziehen sich auf einzelne Arten bzw. Bestände und sind nicht identisch mit dem in jüngster Zeit diskutierten Ökosystemansatz in der Fischerei. Der Ökosystemansatz wird wegen der Einbeziehung weiterer, auch nicht genutzter Arten sowie ökosystemarer Auswirkungen der Fischerei zu möglicherweise sehr viel stärkeren Einschränkungen von Fischereiaktivitäten führen als die derzeit entwickelten Managementinstrumente.) Biologische Grenzwerte Biologische Grenzwerte wurden bereits in den 80er Jahren in den Gutachten des ICES zur Bestandsbewirtschaftung berücksichtigt. Damals wurde der Begriff der sicheren biologischen Grenze eingeführt, die auf einem Mindestwert für eine biologisch notwendige Elternbiomasse (Minimum Biologically Acceptable Level; MBAL) beruhte. Die notwenigen minimalen Bestandsgrößen wurden aufgrund der vorliegenden Zeitreihen der Eltern-Nachwuchs-Beziehung definiert und geben die Bestandsgröße an, ab der die Wahrscheinlichkeit stark steigt, dass die Rekrutierung gefährdet ist und in einem sich verstärkenden Prozess ein Bestandszusammenbruch drohen kann. Wenn ein Bestand oberhalb der MBAL Grenze lag, war er innerhalb biologisch sicherer Grenzen, sonst außerhalb. Der MBAL Ansatz hat die negative Entwicklung in vielen Bodenfischbeständen aber nicht verhindern können. Ein Grund dafür ist, dass er keine Regeln beinhaltete, die vor dem Erreichen der Grenzwerte greifen konnten; die 3

Bewirtschaftungsmaßnahmen konnten deshalb den oftmals schnellen negativen Bestandsentwicklungen stets nur reagierend nachfolgen. Seit 1998 wurden nun neue Kriterien eingeführt. Die MBAL Grenze wurde durch vier neue Grenzwerte ersetzt, um dem von der EU geforderten Vorsorgekriterien zu entsprechen und eine vorausschauende Bestandsbewirtschaftung zu ermöglichen. F lim stellt den Grenzwert einer Befischungsintensität dar, über dem der Bestand zusammenbrechen kann. F lim darf nicht erreicht werden. B lim stellt den Grenzwert der Laichfischbiomasse dar, unter dem der Bestand zusammenbrechen kann. B lim darf nicht erreicht werden. Es wird ein Puffer eingeführt, der verhindern soll, dass F lim und B lim auch bei unsicherer Datenlage und unter schwer vorhersehbaren Umweltschwankungen erreicht werden. F pa stellt einen Grenzwert der Befischungsintensität dar, über dem die Wahrscheinlichkeit besteht, dass B lim erreicht werden könnte. B pa stellt einen Grenzwert der Laichfischbiomasse dar, unter dem die Wahrscheinlichkeit besteht, dass B lim erreicht werden könnte. B pa liegt für einige Bestände in der Nähe des alten MBAL, kann aber auch davon abweichen. Bei Erreichen der Vorsorgewerte sollen zuvor vereinbarte Management Pläne in Kraft treten, die eine sofortige Anpassung der Fischerei an die Bestandsentwicklung gewährleisten. Dabei ist der Abstand zwischen B pa und B lim (Fpa und Flim) umso größer, je unsicherer die Datenlage, und damit das Assessment ist; d.h. nur bei guter 4

wissenschaftlicher Kenntnis und einer korrekten Fischereistatistik kann das Ertragspotenzial sehr weitgehend ausgeschöpft werden. Bewirtschaftungsbereiche In dem Schema (Abbildung 1) sind die Bewirtschaftungsbereiche modellhaft dargestellt. Ein fiktiver Bestand mit einer Biomasse größer als B pa und einer fischereilichen Entnahme kleiner als F pa befindet sich im linken oberen Bereich der Bewirtschaftung. Eine weitgehend freie Fischerei kann stattfinden. Bei Abnahme des Laicherpotenzials unter die B pa Grenze (Überfischungsbereich unten links) bewegt sich der Bestand außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Ein Managementplan zur Erhöhung des Laicherbestandes muss in Kraft gesetzt werden. Aber auch im Falle ausreichender Biomasse, jedoch einer aktuellen übermäßigen Entnahme (B über B pa, aber F über F pa) besteht Handlungsbedarf, und ein Managementplan zur Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit muss in Kraft gesetzt werden. Die Bezeichnung für diesen Überfischungsbereich im Modell oben rechts lautet: Der Bestand wird außerhalb sicherer biologischer Grenzen bewirtschaftet. Werden beide Vorsorgegrenzen B pa und F pa unter- bzw. überschritten, ist besonderer Handlungsbedarf gegeben. Bei Überschreiten eines der beiden lim -Grenzwerte muss die Fischerei sogar zeitweise eingestellt werden. Die Beurteilung der Bestände nach den neuen zweiseitigen Vorsorgekriterien wurde im ICES Bereich erstmals für die Jahre 1999 und 2000 praktiziert, mit dem Ergebnis, dass nun einige Bestände als außerhalb sicherer biologischer Grenzen definiert wurden, die zuvor noch innerhalb dieser Grenzen lagen. Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass der Begriff sichere biologische Grenzen nicht glücklich gewählt wurde, da er nahe legt, dass die betroffenen Bestände oder Fischarten an dieser Grenze in ihrer biologischen Existenz bedroht seien. Dies ist aber in den meisten Fällen nicht gegeben, da die Grenzen so gewählt sind, dass eine Artengefährdung auszuschließen ist (z.b. wird bei Nordsee Kabeljau eine Mindestbiomasse von 60.000 t als B lim definiert, die unter Schonung jederzeit einen Wiederaufbau des Bestandes sichern dürfte). Zutreffender wäre also hier im Management von sicheren ökonomischen Grenzen zu sprechen. Aussichten Die neuen Vorsorgekriterien können, da sie jetzt beide Faktoren F und B gleichzeitig betrachten, zu erheblich reduzierten Fangempfehlungen führen. Das Ziel, die Laicherbiomasse (SSB) aufzubauen und die Bestände in einer sicheren Entnahmezone zu halten, ist aber durch TAC- Absenkungen allein wohl nicht immer zu erreichen, denn die jährliche Nachwuchsproduktion kann sehr stark schwanken. Diese Schwankungen des Nachwuchses unterliegen auch stark klimatischen Einflüssen und können für die Fische günstig oder ungünstig sein. Deshalb ist es von außerordentlicher Bedeutung, vor allem die aufkommenden Jungfische zu schonen. Um dies zu gewährleisten, muss der Vermeidung von Beifängen untermaßiger Fische allerhöchste Priorität eingeräumt werden. Die bestehenden Gesetze erreichen den Schutz der Jungfische nicht. Die derzeit vorgeschriebenen Maschenöffnungen selektieren nicht ausreichend, so dass erhebliche Anteile von Jungfischen mitgefangen und vernichtet werden. Die getätigten Beifänge werden nicht auf die Quoten angerechnet, und damit kann die wirkliche Entnahmemenge aus dem Bestand nicht 5

berechnet werden. Die Grenzen für die Untermaßigkeit sind nicht realistisch: Beim Kabeljau stützt sich die Fischerei auf die hereinwachsenden Fische, die bei einer viel zu gering angesetzten Mindestanlandelänge von 35 cm noch nicht einmal gelaicht haben. Aus einer EU Studie ist bekannt, in welcher Größenordnung die Beifangverluste bei Dorschen in der Ostsee liegen (Working Group on Baltic Fish Stocks 2000 p 493): in der Westlichen Ostsee (Div 22+24) betrugen die Discards von Jungdorsch in der Dorschfischerei 1998 mehr als 6000 t, entsprechend 29 Mio. Individuen. Angelandet wurden 44 Mio. Dorsche. Im Jahr 1999 lag die Menge bei 4516 t Discard (15 Mio. Individuen) verglichen mit 34 Mio. angelandeten Individuen. Setzt man diese Zahlen in Relation zu der mittleren Individuenzahl eines Nachwuchsjahrganges (82 Mio. 1-jährige), so erkennt man ohne weiteres, dass in diesem Gebiet durch eine Beifangvermeidung von Jungfischen wesentliche Bestandsaufbauleistungen erbracht werden könnten, die möglicherweise sogar weitere Fangeinschränkungen mit verhindern könnten. Die Vernichtung von Jungfischen ist nicht nur ein Ostseeproblem: in diesen Tagen im August 2000 gelangt der überaus starke 1999er Jahrgang des Nordsee Schellfisch mit Längen um 25 cm erstmalig in die Netze (Mindestanlandemaß: 30 cm). Von der englischen Ostküste wurden Fänge gemeldet, die zu 86% aus jungen untermäßigen Schellfische bestanden, die verworfen werden mussten (60% nach Gewicht).(Fishing News vom 11.8.00). In Forschungsfängen der Walther Herwig III wurden im selben Zeitraum Anteile von 88% untermaßiger Schellfische in Forschungsfängen festgestellt. Jeder Fischer weiß, dass ein Schellfisch von 25 cm und ein Kabeljau von 35 cm noch nicht gelaicht hat. Jeder Fischer weiß, wie er sei Netz einstellen muss, oder wo er fischen muss, um weniger kleine Fische zu fangen. Jeder Fischer weiß, dass ihm die kleinen Fische, die er heute wegwirft morgen im Fang fehlen werden. Und trotzdem wird nicht nach dieser Erkenntnis gehandelt. Warum nicht? Vielleicht, weil Beifänge und Discards in der EU legal sind. Aber auch wenn sie verboten wären, wäre eine Beifangvermeidung per Gesetz nicht durchsetzbar. Vernunft und Verantwortung kann man nicht staatlich vorschreiben, und eine ausreichende Kontrolle und Bestrafung von Übertretungen ist auf See nicht möglich. Der Gesetzgeber kann deshalb Beifang und Überfischung nicht verhindern, auch nicht mit weiteren technischen Vorschriften oder mit noch weiter abgesenkten Quoten. Aber der Fischer kann es. Es ist deshalb an der Zeit, dass die Fischer selbst die notwendigen Maßnahmen treffen. Es ist an der Zeit, dass die Fischerei selbst dafür Sorge trägt, dass nur das gefangen wird, was auch vermarktet werden kann, und das zu schonen, was für morgen ihre Lebensgrundlage darstellt. Ich plädiere deshalb dafür, dass innerhalb festgelegter Rahmenwerte die Fischerei selbst mehr, vielleicht sogar die volle Verantwortung für die Bewirtschaftung ihrer Bestände übernimmt. Wissenschaft als Partner Öffentliche Wissenschaft und Verwaltung können dann stärker beratend und helfend zur Seite stehen als Partner, nicht wie bisher oft als Gegner - und ihre 6

Forschungsergebnisse und Managementmodelle anbieten, wenn dies gewünscht wird, und - wenn die entstehenden Kosten von den Nutznießern mitgetragen werden. Die Aufgaben von öffentlicher Forschung und Verwaltung könnten sich dann auf die Bereiche konzentrieren, die zur Wahrung gesamtgesellschaftlicher Interessen unabdingbar sind, und die im Rahmen der bereits vollzogenen oder beschlossenen Einsparungen (Fischereiforschung: minus 30% Kapazität bis 2005) noch durchgeführt werden können. Dies sind z.b. Die Setzung des Grenzrahmens, und damit die Grundsicherung einer nachhaltigen Nutzung auf internationaler Ebene, sowie Untersuchungen, die zum Ökosystemerhalt unabdingbar sind Fragen der Biodiversität, Natur- und Artenschutz, Umweltschutz, usw. oder auch die bei Nutzungskonflikten durch Mehrfachnutzung der Meere auftretenden Probleme, z.b. in Zukunft bei der Errichtung großflächiger Windparks in fischereilich genutzten Gebieten. Die Bewirtschaftung und Kontrolle der Fischerei selbst aber sollte in dem gesetzten Rahmen von F lim und B lim diejenigen in Händen halten, die selbst von den Auswirkungen unmittelbar betroffen sind, im guten wie im schlechten: die Fischer. Sie sollten selbst entscheiden, wie Sie Ihre Fischbestände nutzen wollen, wie hoch Sie Ihr Risiko bei der Bewirtschaftung ansetzen wollen. Und Sie sollten sich dann selbst davon überzeugen, dass langfristig ein Überleben der Fischerei nur im Rahmen der biologischen Gegebenheiten, also im Rahmen einer nachhaltigen Bewirtschaftung unter Vorsorgegesichtspunkten möglich ist. 7