Berlin, den, 29. Juli 2014 Rede in Berlin aus Anlass der 70. Jahrestages des Warschauer Aufstandes

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Transkript:

Berlin, den, 29. Juli 2014 Rede in Berlin aus Anlass der 70. Jahrestages des Warschauer Aufstandes Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Sehr geehrte Damen und Herren, Lieber Freund und liebe Freunde der Freiheit, der deutsch-polnischen Aussöhnung und der deutsch-polnischen Zusammenarbeit! Geschichte lässt sich nicht ändern. Es lässt sich aber mit ihr besser oder schlechter leben und die Zukunft besser oder schlechter gestalten. Daher möchte ich sagen, dass es mir schwer fällt, meine Rührung zu verbergen, wenn hier in Anwesenheit des Bundespräsidenten eines freien und demokratischen Deutschlands, in Anwesenheit so vieler werter Gäste und der Einwohner von Berlin eine Austellung eröffnet wird, mit der wir des Warschauer Aufstandes auf besondere Art und Weise gedenken. Eines Aufstandes, der die blutigste Schlacht in der Geschichte Polens und eine der heroischsten Erhebungen in der tragischen Geschichte des gesamten Zweiten Weltkriegs darstellte. Der Aufstand richtete sich gegen die deutsche Besatzung. Er forderte 150.000 Menschenleben, Soldaten der polnischen Heimatarmee AK sowie der Warschauer Zivilbevölkerung. Opfer, die ihr Leben nicht nur im Zuge der Kampfhandlungen verloren haben, sondern auch, und vielleicht vor allem in Folge geplanter genozider Tötungsaktionen. Der Warschauer Aufstand prägte auch die Generation der Solidarność. Unsere Gedanken, voller Dankbarkeit und Respekt, richten sich an die hier heute zusammen mit uns anwesenden Aufständischen von damals. Ihr Heldentum, ihr Kampf vor 70 Jahren endete in einer Katastrophe, endete mit der Hekatombe Warschaus und des polnischen Volkes. Allein schon ihre Präsenz an diesem Ort, der in Zeiten des Dritten Reiches Sitz der wichtigsten Einrichtungen des NS-Regimes war, u.a. des Reichssicherheitshauptamtes, der Gestapo und der SS, die doch ihnen, den hier anwesenden Aufständischen, den Soldaten des Untergrunds so viele Leiden, so viele Verluste und Schmerzen zugefügt haben, ist ein Beispiel dafür, welche Fähigkeiten wir als Menschen selbst entwickeln können. Fähigkeiten, sich mutig der Vergangenheit zu stellen um dabei den Blick in die Zukunft zu richten. Die Anwesenheit der ehemaligen Teilnehmer des Aufstandes an diesem Ort macht uns auch deutlich bewusst, daß letzendlich auch der brutalste, schonungs- und rücksichtsloseste Totalitarismus ratlos ist gegenüber der Macht der Träume von Freiheit und Versöhnung freier Völker. 1

Die Warschauer griffen 1944 an die Waffen, weil sie sich somit einen Freiheitsraum zwischen zwei Totalitarismen erkämpfen wollten: Dem der deutschen Okkupanten, die schon dabei waren den Krieg zu verlieren, und dem der vorrückenden Roten Armee. Diese Armee befreite zwar von einer deutschen Besatzung, die auch Völkermord nicht scheute, brachte jedoch eine neue, kommunistische Versklavung und neue Leiden mit sich. Der Warschauer Aufstand war eine Erhebung freier Menschen, die im polnischen Untergrundstaat organisiert waren. Es war keine rein spontane Bewegung, sondern die organisierte Existenz eines Volkes unter Bedingungen der Okkupation und der vollen Konspiration. Trotz des alltäglichen Terrors funktionierten während beinahe der gesamten Zeit der deutschen Besatzung nicht nur geheime unterirdische Verwaltungsstrukturen im zivilen Bereich, sondern es gab im Untergrund auch eine Heimatarmee, die Armia Krajowa, die stärkste Untergrundarmee im besetzten Europa. Es funktionierten auch Einrichtungen des Sozialfürsorgewesens, die bemüht waren die Leiden der Hungernden und Kranken zu lindern. Ebenso gab es auch ein konspiratives Unterrichtswesen, gedruckt wurden Zeitschriften und Bücher. Es ist interessant zu erfahren, daß in den okkupierten Gebieten im Rahmen der geheimen Bildungsstrukturen des polnischen Untergrundstaates ca. 1 Million Schüler den Grundschulunterricht besuchen konnten. Geheime Bildungsstrukturen der Sekundärstufe umfassten 100.000 Schüler und konspirative Hochschulen und Universitäten ermöglichten fast 10.000 Stundenten das Studium. Es funktionierte auch der Rat für die Unterstützung der Juden Żegota, der bemüht war, den von Vernichtung bedrohten Juden in Ghettos und ausserhalb von ihnen Hilfe zu leisten. Dies waren einmalige Aktivitäten, die es im damaligen okkupierten Europa nirgendwo auf diese Weise und in diesem Ausmaß gegeben hatte. Nirgendwo gab es eine spezialisierte geheime Verwaltungsinstitution, die zur Unterstützung von Juden unter Bedigungen der Besatzung und Konspiration eingerichtet worden wäre. Der Untergrundstaat wurde von den Besatzern erbarmungslos bekämpft. Allerdings leitete er seine Stärke von der Legitimation ab, die ihm durch den Willen der Bevölkerung gewährt wurde, denn es war das unterjochte und okkupierte Volk, das diesen Staat gegründet hatte. In der Erhebung von 1944 kam dieser Staat aus dem Untergrund heraus. In Warschau entstand eine Art von Republik freier Menschen. Frei trotz des Artilleriebeschusses, der ständigen Bombardements und dramatischer Kämpfe. Die Mitglieder dieser Freiheitsrepublik zahlten für Freiheit den höchsten Preis. Bereits am ersten Tag des Aufstandes wurde Krystyna Krahelska tödlich verletzt, die vor dem Krieg als Modell für die Skulptur des Stadtwappens der symbolträchtigen Seejungfer von Warschau posierte. Ihr Tod ist auch ein Symbol, ein 2

Symbol von Warschau, ein Symbol des Heldentums eines Volkes, des Überlebens trotz aller Umstände. Der Aufstand endete mit einer militärischen Niederlage und einer fast völligen Zerstörung Warschaus. Die damalige Führung des Dritten Reiches gab den Befehl, die Einwohner zu ermorden und die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. SS-Obergruppenführer von dem Bach-Zelewski berichtete nach dem Krieg in einer Vernehmung, daß es gleich am ersten Tag des Aufstandes einen Befehl aus Berlin gab: Alle Polen in Warschau, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht sind zu erschießen. Warschau muß dem Erdboden gleichgemacht werden und es soll in dieser Hinsicht ein abschreckendes Beispiel für ganz Europa geschaffen werden. An dieser Stelle wäre noch daran zu erinnern, daß auch damals die sowjetischen Machthaber, vermutlich der Kreml selbst, den Beschluß fassten, die Offensive der Roten Armee aufzuhalten, um somit de facto die Deutschen bei der Durchführung ihres verbrecherischen Plans nicht zu behindern. So haben noch einmal, genau wie 1939, zwei totalitäre Regime de facto zusammengearbeitet um das polnische Streben und den polnischen Traum von Freiheit zu unterdrücken. 1945 lag Warschau zu 80 % in Trümmern, zunächst zerstört während der Aggression von 1939, dann nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943, und schließlich auch während des Warschauer Aufstandes von 1944. Das gleiche gilt für die Verluste unter der Warschauer Bevölkerung. Zusammenrechnen müsste man die Toten von 1939, die Opfer der Liquidierung des Warschauer Ghettos von 1943 und die verheerenden Verluste des Jahres 1944. Das sind erschreckende Zahlen, Zahlen, die uns bis heute tief erschüttern, aber wir müssen auch bedenken und sind uns dessen auch bewußt, daß diese Leiden und Opfer trotz allem nicht umsonst waren. Der Warschauer Aufstand prägte nämlich die nächste Generation, meine Generation der Menschen der polnischen Solidarność, eine Generation, der man Träume von Freiheit nicht mehr wegnehmen konnte. Die Soldaten des Warschauer Aufstandes bezahlten für diese Staffel der Generationen, für die Vermittlung von Werten und Träumen an nachfolgende Jahrgänge der Polen, einen gleich hohen Preis während der Besatzung wie auch in der Nachkriegszeit, in Zeiten der Verfolgungen durch die kommunistische Regierung. Mit Bewunderung blicken wir auf die Schicksale jener, die ungebrochen diese schwierigen und schwierigsten Zeiten durchgestanden haben. Sie waren es, die hier anwesenden Soldatinnen und Soldaten des Aufstandes, die neben anderen den jungen antikommunistischen Opositionellen der 70er und 80er Jahre ein Vorbild waren. Die Erinnerung an den Polnischen Untergrundstaat, die 3

Erinnerung an den heroischen Kampf der Heimatarmee wurde in vielen Familien gepflegt, darunter auch in der meinen. Diese Erinnerung war uns dann eine Inspiration, wenn es darum ging neue Aktivitäten zugunsten eines freien Polens zu entfalten. Es passierte auch, daß die Soldaten der Heimatarmee, darunter sicher auch die Aufständischen, uns in die Geheimnisse des konspirativen Handelns einweihten. Wichtig ist aber, daß durch die Vermittlung von Erfahrungen, von tragischen Erfahrungen, von Berichten über dramatische Verluste, meine Generation zwar belastet war, aber auch bereichert durch die dramatischen Erlebnisse unserer Eltern und Großeltern, und daß diese meine Generation der Solidarność, im Kampf um die polnische Freiheit bewußt auf Gewalt und auf den Gebrauch von Waffen verzichtet hat. Menschen wie Prof. Władysław Bartoszewski, wie der nicht mehr lebende Marek Edelman, einer der Anführer des Aufstandes im Warschauer Ghetto und ein Aufständischer von 1944, wie Wiesław Chrzanowski, Soldat des Aufstandes, nach der Wende Parlamentspräsident des polnischenen demokratisch gewählten Sejms, waren für uns, Menschen der Solidarność, Autoritäten sowie Vorbilder und Quelle von Erfahrungen. Heute stehe ich unweit der Stelle, wo Entscheidungen über die Vernichtung Warschaus und seiner Bevölkerung getroffen wurden, und möchte deshalb mit Überzeugung feststellen, daß die Aufständischen von Warschau 1944 nicht nur um das heilige polnische Recht auf Freiheit kämpften. Sie kämpften nämlich auch gegen einen gefährlichen Totalitarismus, der Freiheit zerstörte, der eine Bedrohung darstellte für die gesamte westliche Zivilisation. Ich danke also der Generation der Aufständischen für die Anstrengungen bei der Überwindung von Erfahrungen der Besatzungszeit und für die Besiegung des kommunistischen Systems nach dem Krieg, für ihren Beitrag zum Sieg der polnischen friedlichen Revolution, der vor 25 Jahren möglich war. Sowohl 1944 als auch danach war es letztendlich ein Kampf um die gleichen universellen Werte, die wir bemüht sind im Rahmen der deutsch-polnischen Beziehungen, der polnischen Anwesenheit in der westlichen Welt und im Rahmen eines sich integrierenden Europas umzusetzen. Die Eröffnung einer Ausstellung über den Warschauer Aufstand in Berlin, bereits zum zweiten Mal nach der Schau von 2004, ist ein wichtiges Zeugnis der besonderen und tragischen Verbindungen der beiden Städte, Warschaus und Berlins, ein Zeugnis dafür, daß durch Dialog und bewusste Anstrengungen, die Lasten der in Vergangenheit begangener Verbrechen überwunden werden können. 4

In Polen vergessen wir nicht und werden es auch nicht vergessen, daß gerade in Berlin die Entscheidungen getroffen wurden über die Aggression auf Polen 1939, über die Bombardements von Warschau, über den Terror der Besatzungszeit, das eben hier 1944 das Todesurteil für eine ganze Stadt verhängt wurde, ein Urteil, das eine völlige Zerstörung der gesamten polnischen Hauptstadt zum Ziel hatte. Gleichzeitig wissen wir es auch zu schätzen, daß nun nach Jahren die deutsche Gesellschaft dieses für die Polen so schmerzhafte Kapitel der Geschichte allmählich immer besser erkundet und versteht. Ein Kapitel nicht nur der polnischen oder auch nur der deutschen Geschichte, sondern auch ein Kapitel der Geschichte eines vom Zweiten Weltkrieg tief verwundeten Europas und der ganzen Welt. Hierfür spricht unter anderem die würdige Haltung der derzeitigen Stadtverwaltung von Westerland auf Sylt, die bereit ist sich kritisch mit der Vergangenheit von SS-Gruppenführer Reinefarth, des jahrelangen Bürgermeisters dieser Stadt in der Nachkriegszeit und für Polen eines der schlimmsten Henker der zivilen Bevölkerung im Warschauer Aufstand, auseinanderzusetzen. Wir, die Polen und die Deutschen, erinnern uns gemeinsam, und sogar noch mehr, wir schreiben gemeinsam die nächsten Kapitel eines positiven Schicksals unserer beiden Länder nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Wende von 1989. Wir erinnern uns daran, daß von Polen und der Danzinger Werft jener Impuls hinausging, der die Wiedervereinigung Deutschlands herbeiführte. Diese Tatsache wurde durch ein Stück der Danziger Werftmauer gewürdigt, das vor 5 Jahren als Denkmal in unmittelbarer Nähe des Reichstagsgebäudes aufgestellt wurde. Wir erinnern uns daran, daß der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl vom Fall der Berliner Mauer in Warschau während seines Gesprächs mit Premierminister Tadeusz Mazowiecki erfahren hat, dem ersten nichtkommunistischen Regierungschef in diesem Teil Europas. Wir erinnern uns ebenfalls daran, daß drei Tage später, am 12. November 1989, sich die beiden Staatsmänner während eines Gottesdienstes in Kreisau das Zeichen des Friedens gaben, und somit symbolisch eine neue Etappe in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen eröffneten. Berlin wurde damals für Polen zum wichtigen Anwalt auf seinem Weg zur NATO und der Europäischen Union, der Institutionen der westlichen Welt. Diese manchmal dramatisch komplizierte und schmerzhafte Geschichte bildet eine besondere Verbindung zwischen dem modernen Polen und dem Deutschland von heute, und bildet auch eine Beziehung besonderer Art zwischen den beiden Hauptstädten unserer Staaten, die durch eine Städtepartnerschaft dauerhaft miteinander verbunden sind, wobei eine der Städte den 5

einstigen Aggressor symbolisert und die andere steht für jenes Land, das sich als erstes diesem widersetzt hat. Beide Städte waren doch so bitter erfahren und so sehr zerstört im Zweiten Weltkrieg, und beide vermochten es, aus der Asche wieder aufzusteigen. Deshalb darf ich vom ganzen Herzen dafür danken, daß es möglich ist, diese Sonderausstellung über ein erschütterndes Kapitel nicht nur der polnischen sondern auch der gesamteuropäischen Geschichte an diesem besonderen Ort zu zeigen. Die Worte des Dankes begleitet auch meine Hoffnung, daß es eine Chance geben möge darauf, daß hier in Berlin, der Partnerstadt Warschaus, aufgrund eben dieser dramatischen Geschichte der gemeinsamen Verbindungen, ein bleibendes Zeichen gesetzt werden kann, welches ein Gedenken sowohl der Opfer des Krieges und der Okkupation in Polen, als auch der Helden des Kampfes gegen den Totalitarismus, für Freiheit der Polen, der Deutschen und von ganz Europa, ermöglichen wird. Vielleicht wäre es möglich, daß gerade an diesem Ort, im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, an dem vor 70 Jahren die Entscheidung über die Vernichtung der polnischen Hauptstadt vorbereitet und getroffen wurde, mit einem bleibenden Zeichen nicht nur der tragischen Zeit der Verachtung der europäischen Werte gedacht wird, sondern auch der Verteidigung dieser Werte. Zu verewigen ist die freie Republik freier Menschen, die zunächst im Untergrund und dann in aller Öffentlichkeit tätig waren. Eine Republik, die umgeben war vom braunen und roten Totalitarismus. Dieses wichtige Zeichen der Erinnerung würde, meines Erachtens, wie kaum ein anderes Symbol und kaum eine andere Geste der weiteren Aussöhnung und Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen förderlich sein. Gerade durch das Bewußtsein einer gemeinsamen, schwierigen Vergangenheit und im Sinne einer gemeinsamen guten Gegenwart und einer guten Zukunft. 6