Gesellschaftliche Teilhabe aus Sicht von Eltern im Hartz IV- Bezug Prof. Dr. Werner Wüstendörfer GSO-Hochschule Nürnberg
Gliederung 1. Einführung 2. Zur Teilhabe von armen Kindern und Jugendlicher 3. Erziehungspräferenzen 4. Einschränkungen und Prioritäten 5. Nutzung von Unterstützungs- und Hilfeangeboten 6. Was ist zu tun?
1. Einführung
Hartz IV Regelbedarfssätze (Grundsicherung) in nach 5,6 RBEG Einzelpositionen Alleinlebende Erwachsene Kinder 0 bis unter 6 Jahre Kinder 6 bis unter 14 Jahre Jugendliche 14 bis unter 18 Jahre EVS Abt. 1 Nahrungsmittel, alkoholfrteie Getränke 128,46 78,67 96,55 124,02 Abt. 3 Bekleidung, Schuhe 30,40 31,18 33,32 37,21 Abt. 4 Wohnen (ohne Mietkosten) also Energie, Wohnungsinstandh. 30,24 7,04 11,07 15,34 Abt. 5 Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände 27,41 13,64 11,77 14,72 Abt. 6 Gesundheitspflege 15,55 6,09 4,95 6,56 Abt. 7 Verkehr (Öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad, sowie Zubehör) 22,78 11,79 14,00 12,62 Abt. 8 Nachrichtenübermittlung z.b. Telefon, Fax 31,96 15,75 15,35 15,79 Abt. 9 Freizeit, Unterhaltung, Kultur 39,96 35,93 41,33 31,41 Abt. 10 Bildung 1,39 0,98 1,16 0,29 Abt. 11 Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen 7,16 1,44 3,51 4,78 Abt. 12 Andere Waren und Dienstleistungen 26,50 9,18 7,31 10,88 Gesamt 361,81 211,69 240,32 273,62 Monatl. Gesamtbedarf nach 7 IV RBEG ab 1.1.2011 364,00 213,00 242,00 275,00 Täglicher Durchschnittsbedarf 12,13 7,10 8,07 9,17 Lesebeispiel: Ein Kind bis zu 6 Jahren erhält im Monat einen Regelsatz von 213,--. Das ist pro Tag 7,10 (darunter 2,62 für Essen und Trinken; Bekleidung und Schuhe 1,04). Hinzukommen Leistungen aus BuT ( 100 Schule /Jahr 10 pro Monat mus./kult. Teilhabe) Quelle: Der Paritätische, Regelsatzvergleich; eigene Anpassung an die neuen Regelsätze
Leistungen nach BuT ( 28 SGB II) Aufwendungen für Schul- und Kita-Ausflüge sowie für mehrtägige Klassen oder Kita-Fahrten Persönlicher Schulbedarf ( 100,-- p.a.) Fahrkarten für notwendige Schülerbeförderung Ergänzende angemessene Lernförderung Mehraufwendungen für gemeinschaftl. Mittagsverpfleg. Max. 10 im Monat für Mitgliedschaft in Vereinen, musischem Unterricht, Freizeiten u.ä.
Zugrundegelegte Untersuchungen Elternbefragungen Nürnberg Osnabrück Grundgesamtheit Eltern von Kindern im Grundschulalter mit Nürnberg-Pass Eltern mit minderjährigen Kindern im SGB II Bezug N=1024 N=3091 Erhebungszeitraum 2007 2010 Erhebungsmethode Rücklaufquote (verwertbare Fragebögen) Schriftl. Fragebogen in dt., russ., türk., engl. und frz. Übersetzung Schriftl. Fragebogen 45,1% (n=476) 20,6% (n=636) Vgl. Wüstendörfer 2008; Wirth/Gerhards 2011
Kurzinformation Nürnberg und Osnabrück 2009 Grundinformation Nürnberg Osnabrück Mainz (RLP) Bevölkerung 503.573 163.514 197.778 SGB II-Quote 12,6% 12,7% 9,2% (7,7%) Kinderarmut 21,9% 23,1% 17,9% (9,1%) Anmerkung: Kinderarmut ist operationalisiert als Anteil Kinder < 15 J., die Sozialgeld erhalten Quelle: Bertelsmann-Stiftung Wegweiser Kommune
2. Zur Teilhabe von armen Kindern und Jugendlicher
Materielle Teilhabe: Taschengeld 6-7-jährige 57,1 16,8 26,2 4 bis 7 8-9-jährige 42,7 13,5 43,8 8 bis 11 10-11-jährige 37,9 10,3 unterhalb Richtlinie 51,7 12 bis 15 oberhalb Gesamt 47,8 14,3 37,9 0 20 40 60 80 100 Vgl. Wüstendörfer 2008
Materielle Teilhabe: Zitate Das Geld reicht von vorne bis hinten nicht. Die Fahrkarten kosten uns ca. 120 im Monat. Ziemlich oft muss ich meinen Kindern sagen, dass das was sie wollen, können wir uns nicht leisten.... Dass man immer nein sagen muss, wenn die Kinder sich etwas wünschen, da das Geld das man vom Sozialamt bekommt nicht mal für einen Monat zum Essen reicht.
Gesundheitliche Situation geistige Beeinträchtigung seelische Erkrankung/ Beeinträchtigung Eßstörung körperliche Beeinträchtigung Lernbehinderung Sprachstörung Hyperaktivität chronische Erkrankung Gewichtsprobleme 0,9 2,5 4,1 4,7 5,9 7,4 8,8 9,5 11,3 Konzentrationsprobleme 27,7 Anderes 7,7 nein, hat keine 50 Vgl. Wüstendörfer 2008 0 10 20 30 40 50 60
Gesundheitliche Situation: Zitate ( ) nicht genug Geld für gesunde Ernährung (Übergewicht). Unser Kind trägt meist Kleidung die wir geschenkt bekommen, diese ist oft schon sehr abgetragen, Ausflüge oder Urlaub können wir uns gar nicht leisten. Das Geld reicht nur für die billigsten Lebensmittel gesunde Ernährung ist somit so gut wie ausgeschlossen was leider zu Übergewicht führte ( ). sitzt er meistens nur vor dem PC und Fernseher
Soziale Teilhabe: Mitgliedschaft in einem Verein, einer Organisation oder regelmäßiger Kursbesuch ja 48,3% nein 51,7% Vgl. Wüstendörfer 2008
Soziale Teilhabe: Zitate Das Problem besteht darin, dass das Kind all das haben möchte was Gleichaltrige besitzen- Kleidung, versch. Freizeitaktivitäten, etc. Finanzielle Unterstützung wäre nötig- mit 127 Euro mntl. kommt man nicht weit Für meine Kinder mehr kostenlose Möglichkeiten für Sport, Spiel und Spaß (Einrichtungen) Vereine Kleiderkammern (Adressen per Post zuschicken oder auch vom Amt bekommen) mehr Tafel (Essen für wenig Geld) Adressen!
Kulturelle/ schulische Teilhabe Das Umfeld, in dem wir uns befinden und leben ist ein Problem. Meine Kinder können sich nicht in der Schule und bei den Hausaufgaben konzentrieren. Vieles was von meinen Kindern verlangt wird, kann ich nicht ermöglichen, da ich keine andere Möglichkeiten habe. Bitte leiten sie unsere Situation an das Schulamt weiter, welches uns unterstützen soll. Ich würde mir mehr Unterstützen vom Stadt wünschen in finanzieller Hinsicht. Für Schulmaterial und Lehrmaterial, Bücher auch für Kleidung und dass ich auch mal an Wochenend mit ihnen was unternehmen kann, nicht nur in der Ferien mit den Ferienpass
3. Erziehungspräferenzen
Erziehungspräferenzen Erfolgreiche Schul- und Berufsausbildung Selbstmanagement Disziplin und Einordnungsvermögen Menschlichkeit Toleranz und Hilfsbereitschaft
4. Materielle Einschränkungen und Prioritäten
Einschränkungen der Eltern oft manchmal selten nie Essen/Lebensmittel Ausgaben für Schule Kinderkleidung Hobbys Kinderspielzeug Ausgehen (z.b. Kinos) Kleidung Vater/Mutter Wohnungseinrichtung Ausflüge außerhalb Nürnbergs Urlaub 0% 20% 40% 60% 80% 100% Quelle: Wüstendörfer, 2008
Häufige Einschränkungen der Eltern im Vergleich N-OS Essen/Lebensmittel Hobbys Ausgehen (z.b. Kinos) Kleidung Vater/Mutter Wohnungseinrichtung Ausflüge außerhalb Nürnbergs Urlaub 18,8 30,8 40,8 53 53,3 57,2 57,5 70,5 78 73,3 70,1 75,3 70,6 83,6 Nur Osnabrück: Medizinische Versorgung Verkehr 26,3 39 Nürnberg Osnabrück Nur Nürnberg: Ausgaben für Schule 27,3 Kinderkleidung 32,4 Kinderspielzeug 42,8 0 20 40 60 80 100 Quelle: Wirth/Gerhards 2011; Wüstendörfer, 2008; eigene Darstellung
Einschränkungen Eltern zugunsten ihrer Kinder Nürnberg Osnabrück in Prozent Einschränkungen: Eltern mehr als bei ihren Kindern Eltern genauso wie bei ihren Kindern 41,7 51,3 ja 90,6% nein 9,4% Eltern weniger als bei ihren Kindern 7 0 10 20 30 40 50 60 Quelle: Wirth/Gerhards 2011; Wüstendörfer, 2008; eigene Darstellung
Eltern als Nadelöhr für Bildung ihrer Kinder? Bildung und Teilhabe sind elementar, lassen sich aber nicht erzwingen. Das Bildungspaket richtet sich in erster Linie an die Eltern, die für ihre Kinder die Bildungsentscheidung treffen. In Wirklichkeit sind also die Eltern das Nadelöhr für die Bildung ihrer Kinder und nicht der Staat. Deutscher Landkreistag-Beigeordnete Dr. Irene Vorholz in einer Presseerklärung v. 2. 11. 2011 nach einem Treffen mit Bundesarbeitsministerin von der Leyen
Unterstützungsbedarfe für Kinder medizinische Versorgung Essen/Lebensmittel Ausgaben für die Schule Verkehr Wohnungseinrichtung/Möbel Ausflüge außerhalb der Stadt Spielzeug/Hobby Ausgehen Urlaub dringend benötigt benötigt selten benötigt gar nicht benötigt Kleidung/Schuhe 0% 20% 40% 60% 80% 100% Quelle: Wirth/Gerhards 2011; eigene Darstellung
5. Nutzung von Unterstützungsund Hilfeangeboten
Hilfe und Unterstützung durch Soziale Dienste Spieltherapie Ehe-/Partnerberatung Beratung durch Migrationsdienste Schuldnerberatung Familienbildungsstätten-Angebote Sozialpädaogog. Familienhilfe (SPFH) Beratung des Gesundheitsamtes Krankengymnastik Schulsozialarbeit/Vertrauenslehrer Erziehungsberatung Sprachförderung/Logopädie Ergotherapie Beratung des Jugendamtes Beratung des Sozialamtes Familienhilfe, ASD Nutze(n) ich/wir aktuell früher benützt Kein Bedarf Kenne ich nicht Keine Angabe Hausaufgabenhilfe Hort/Nachmittagsbetreuung Schulkinder Quelle: Wüstendörfer, 2008 0% 20% 40% 60% 80% 100%
Aktuelle oder früher benutzte Unterstützungsangebote Spieltherapie Ehe-/Partnerberatung Beratung durch Migrationsdienste Schuldnerberatung Familienbildungsstätten-Angebote Sozialpädaogog. Familienhilfe (SPFH) Erziehungsberatung Familienhilfe, ASD In Osnabrück zusammenfassend abgefragt: Beratung soziale Einrichtungen Beratung des Gesundheitsamtes Schulsozialarbeit/Vertrauenslehrer Sprachförderung/Logopädie Krankengymnastik/Ergotherapie Beratung des Jugendamtes Beratung des Sozialamtes Hausaufgabenhilfe Hort/Nachmittagsbetreuung Schulkinder Nürnberg Osnabrück Versorgung mit Lebensmitteln Andere Sachhilfen 0 20 40 60 80 100
Gewünschte Unterstützung - N Unterstützung im Alltag Erziehungsfragen,/-probleme Schulische Probleme (Kind) Probleme mit dem Partner/der Partnerin Partner Verwandte Freunde/Nachbarn Institut./Fachkräfte Brauche ich nicht Wohnungsprobleme Geldsorgen Gesundheitliche Probleme Berufliche Probleme 0 20 40 60 80 100
Erhaltene und gewünschte Unterstützung durch fachliche Stellen - OS Geldsorgen 5,3 42,1 berufliche Probleme 6,6 31,3 Wohnungsprobleme 3,3 26,1 gesundheitliche Probleme 7,9 19,8 Schulprobleme Kinder Unterstützung im Alltag 3,9 6,6 16 14,5 erhalte Unterstützung wünsche mehr Unterstützung Erziehungsfragen 11,8 13,8 Probleme mit PartnerIn 4,6 7,9 0 10 20 30 40 50 Quelle: Wirth/Gerhards 2011; eigene Darstellung
6. Was ist zu tun? Sozialpolitische/ bildungspolitische Maßnahmen Infrastrukturelle Maßnahmen Förderung des Kindes und der Familie
Armut ist der Mangel an elementaren Verwirklichungschancen oder Entfaltungsmöglichkeiten Nobelpreisträger Amartya Sen Schlussfolie Danke für die Aufmerksamkeit