Five Years After: Finanzmarktreformen in der EU Eine kritische Bestandsaufnahme Wien, 8. 1. 2014 Peter Wahl Weltwirtschaft Ökologie & Entwicklung e.v. Berlin
Inhalt 1. Die EU-Reformagenda 2. Bilanz Five Years After 3. Strukturelle Ursachen der Reformblockaden 4. Alternativansätze WEED - PeWa
1. Die EU-Reformagenda
Ansichten und Einsichten (I) SPIEGEL 29.9.08 Und nach dieser Krise so viel ist klar wird die Welt nicht mehr dieselbe sein wie vorher. Peer Steinbrück, ibid Ein maßloser Kapitalismus, wie wir ihn hier erlebt haben mit all seiner Gier, frisst sich am Ende selbst auf. Peer Steinbrück, ibid Generell muss man wohl sagen, dass gewisse Teile der marxistischen Theorie doch nicht so verkehrt sind. Peer Steinbrück, ibid
Ansichten und Einsichten (II) Die Globalisierung der Finanzmärkte hat eine Welt hervorgebracht, in der dem Finanzkapital alles und nichts der Arbeit gegeben wurde, wo der Unternehmer nach dem Spekulanten kam, wo der Rentier Vorrang vor den Beschäftigten, wo die Hebelwirkung unvernünftige Dimensionen erreichte. All das hat einen Kapitalismus hervorgebracht, in dem es normal war, mit Geld zu spielen, vorzugsweise mit dem anderer Leute, leicht und extrem schnell zu gewinnen, ohne sich anstrengen zu müssen und oft ohne dass mit den riesigen Mengen Geld Wohlstand und Arbeitsplätze geschaffen worden wären.. Nicolas Sarkozy
Ein neuer Akkumulationstypus war entstanden Finanzialisierung Kasinokapitalismus Finanzmarktgetriebenes Akkumulationsmodell (FMK)
Große Erwartungen Das Reformprogramm von Pittsburgh: We will not allow a return to banking as usual. Erhöhung des Eigenkapitals Beschränkung von Hebelgeschäften Beendigung des Schattenbankensystems Standards für Gehälter und Boni Regulierung von Derivaten incl. OTC-Handel Geordnete Insolvenz ( too big to fail ) SIFI s Quotenreform in IWF und Weltbank Stärkung der Aufsicht Bekämpfung von Steuerparadiesen und Geldwäsche Beitrag der Finanzindustrie zu Krisenlasten Verbraucherschutz
In Kraft Neue Aufsichtsstruktur seit 1.1.2011 EBA European Banking Authority (Ldn) ESMA European Securities & Market Authority (Prs) EIOPA - European Insurance and Occupational Pensions Authority (Ffm) ESRB - European Systemic Risk Board (Ffm/EZB) Sie ersetzen: CEBS - Committee of European Banking Supervisors CEIOPS -Committee of European Insurance and Occupational Pensions Committee CESR - Committee of European Securities Regulators
Weitere beschlossene Projekte Ratings -CRA I,II (Verordnungen, in Kraft) Leerverkäufe von CDS (Verordnung, 1. 11. 2012 in D in Kraft) Hedge Funds AIFM (Direktive, 1. 1. 2013 in BRD in Kraft)
Im Gesetzgebungsverfahren oder geplant Eigenkapitalregeln CRD IV (EU-Version von Basel III) Derivate/OTC (EMIR, MIFID) FTT (über Enhanced Cooperation) Neue Aufsicht für Eurozone (bei EZB) Insolvenzverfahren (Crisis Solution Framework) Rettungsfonds; Einlagensicherung Teil der Bankenunion der Eurozone Deckelung von Boni Novellierung bestehender Direktiven (MIFID, MAD, Savings, Solvency u.a.) Shadow Banking Trennbankenregelung, too big to fail
Regionale Einführung Fallbeispiel FTT Steuerbasis: Aktien, Anleihen, alle Derivate Steuersatz: 0,1% Aktien & Derivate; 0,01 Derivate jede Transaktion wird besteuert (kein netting) Derivate nach Nominalwert des Underlying besteuert Käufer und Verkäufer zahlen jeweils die Steuer, d.h. pro Transaktion fällt die FTT zwei Mal an. Alle Akteurstypen zahlen (Banken, Fonds, Versicherungen, Pensionsfonds, SIVs) OTC Handel wird besteuert Einnahmeerwartung: 30 35 Mrd. Eingriff in Markt; Regulierungsfunktion Herkunftsprinzip Ausgabeprinzip
Herkunftsprinzip(I) 11er Zone Transaktion von 1Million Deutsche Bank Ffm BNP Paribas Paris FTT = 1.000 FTT = 1.000 Französischer Fiskus Deutscher Fiskus
Herkunftsprinzip(II) 11er Zone Transaktion von 1Million BNP Paribas Paris FTT = 2.000 Französischer Fiskus Extraterritrorialität Goldman & Sachs New York
Ausgabeprinzip 11er Zone Transaktion von Volkswagenaktien über 1Million HSBC Singapur FTT = 1.000 FTT = 1.000 Goldman & Sachs NY Deutscher Fiskus
Bedeutung von Ausgabeprinzip weit über FTT hinaus Ein Erzübel der Globalisierung wird angepackt: Kapitalmobilität entzieht sich der Regulierung
Mehr als eine Steuer Zivilgesellschaft als Vorreiter der FTT Exemplarische Auseinandersetzung Steuerpolitischer Paradigmenwechsel Regulierung der globalisierten FM
Aber... auf der Achterbahn 1. 2010 F und D Vorstoß in G20 scheitert 2. Beginn der Diskussion über FTT in EU 3. Februar 2011: Kommission gegen FTT 4. Druck von D und F auf Kommission 5. Sept. 2011: Direktiventwurf für EU 27 6. UK, S, CS, Lux lehnen ab 7. Informelle Versuche für Konsens (Merkel Cameron) scheitern 8. 2012 informelle Vorbereitung Enhanced Cooperation 9. Feb 2013 Start Enhanced cooperation 10. April 2013 UK klagt bei EUGH 11. Mai 2013 Studie gegen FTT von Goldman & Sachs 12. Medienkampagne der Finanzlobby 13. Finanzminister BaWü (SPD) kritisiert FTT 14. Sommer 2013: Kehrtwende Frkr. 15. September 2013 Negativ-Gutachten Rechtsabtlg, d. Rats 16. Dezember 2013 Gegengutachten Rechtsabtlg. Kommission
2. Reformbilanz Five Years After
Resultate (immanent) Es gibt geschäftige Aktivitäten, aber : zu wenig zu langsam zu spät unsystematisch unwirksam, bzw. geringe Effekte wichtige Problemen (noch) nicht angepackt
Five years in limbo: the glass is, at most, only one quarter full; for most people, it is three-quarters empty. Stiglitz
3. Strukturelle Ursachen der Reformblockaden
Strukturelle Ursachen für Reformschwäche (I) Reduzierung der Problemlage auf Stabilitätsfragen Keine Korrektur der theoretischen Grundlagen Mehrfachkrise in EU: Finanzkrise + Krise der öff. Finanzen Absorption durch Management der Schuldenkrise Blockade durch Finanzlobby und ihrer politischen Repräsentanten in Regierungen, Medien, Gesellschaft
Strukturelle Ursachen für Reformschwäche (II) Personelle Kontinuität und Verfilzung in Finanzcommunity Spaltungslinien innerhalb Funktionseliten Mehrebenen-Governance zu komplex; EU überfordert Vorrang von nationalstaatlichen Interessen und Interessen der jeweiligen Finanzindustrie
Strukturelle Ursachen für Reformschwäche (III) Selbstentmachtung der Politik durch neoliberale EU- Regeln: Wettbewerbsorientierung Dogma freier Kapitalverkehr Konstruktionsfehler der EWU (Währung ohne Land, Mandat der EZB etc.) Abhängigkeit der öff. Finanzen von Finanzmärkten Ökonomische und außerökonomische Macht der FM
Wir haben die Kontrolle verloren. B. Bernanke Herr, die Noth ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los. Goethe, Der Zauberlehrling
4. Alternativen?
Welche Reformen? (I) Das Casino stabiler machen? Oder: Das Kasino schließen und Finanzsystem in den Dienst nachhaltiger Entwicklung stellen? Nothing short of closing down the big casino will provide a lasting solution. UNCTAD
Welche Reformen? (II) Schrumpfung des Finanzsektors Reduzierung von Komplexität Eindämmung der ökonomischen und außerökonomischen Macht der FM Entkopplung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten Umverteilung von oben nach unten Neues Paradigma in der Steuerpolitik
Danke für die Aufmerksamkeit WEED Eldenaer Straße 60 10247 Berlin www.weedonline.org
Annex
Unterschied zwischen Investition und Spekulation Zukünftige Produktion von Mehrwert Zukunftserwartung Wertschöpfung Akkumulation von Produktivkapital Unternehmensgewinn kontinuierlich aus Wertschöpfung Zukünftige Preisschwankungen Akkumulation von Geldkapital Rente statt Profit Unternehmensgewinn einmalig aus Preisschwankung
Abgesehen hiervon bildet sich mit der kapitalistischen Produktion eine ganz neue Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen, als bescheidene Beihilfe der Akkumulation, sich einschleicht, durch unsichtbare Fäden die über die Oberfläche der Gesellschaft in größeren oder kleineren Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller oder assoziierter Kapitalisten zieht, aber bald eine neue und furchtbare Waffe im Konkurrenzkampf wird und sich schließ-lich in einen ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentralisation der Kapitale verwandelt.im Maß wie die kapitalistische Produktion und Akkumulation, im selben Maß entwickeln sich Konkurrenz und Kredit, die beiden mächtigsten Hebel der Zentra-lisation. K. Marx, Kapital I, MEW 23, 655. Ist die kapitalistische Produktion entwickelt in der Breite ihrer Formen, und die herrschende Produktionsweise, so ist das zinstragende Kapital beherrscht durch das industrielle Kapital, und das kommerzielle Kapital ist nur eine aus dem Zirkulationsprozess abgeleitete Gestalt des industriellen Kapitals selbst. Aber als selbständige Formen müssen beide erst gebrochen und dem industriellen Kapital unterworfen werden. K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, MEW 26.3, 460.
Im zinstragenden Kapital erreicht das Kapitalverhältnis seine äußerlichste und fetischartigste Form. Wir haben hier G G', Geld, das mehr Geld erzeugt... ohne den Prozess, der die beiden Extreme vermittelt. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 404. Geldkapitalisten und Industriekapitalisten (die hier auch Kaufleute einschließen, wb) können nur zwei besondere Klassen bilden, weil der Mehrwert fähig ist, in zwei Zweige von Revenue auseinander zugehen (Profit und Zins). Die zwei Sorten von Kapitalisten drücken nur diese Tatsache aus; K. Marx, Grundrisse, 734f. Mit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweise zu verdreifachen durch die ver-schiedene Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur dieselbe Schuldforderung in verschiedenen Händen unter verschiedenen Formen erscheint. Der größte Teil dieses Geldkapitals ist rein fiktiv. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 488