Berg-Arbeiter am Bernina Words: Wolfgang Stolba Pictures: Robert Hack Bernina, MTU, Bahnmotor Im Herzen der Schweiz, unmittelbar vor der imposanten Kulisse der Bernina-Gruppe, zieht die neue Arbeitslokomotive RhB Class Gmf 4/4 234 der Rhätischen Bahn bei einer Testfahrt einen der legendären Bernina-Express-Züge bergan. Solche leistungsstarken Arbeitslokomotiven bilden das Rückgrat der berühmten, eigentlich von Elektroloks gezogenen Panorama-Züge, weil sie die hochalpine Bahn-Strecke ganzjährig sicher und befahrbar machen. Vier der mit je einem 12V-4000-Motor von MTU bestückten dieselelektrischen Schmalspur-Lokomotiven sowie vier Schneeschleudern mit OM500-Motoren erhielten mittlerweile die unbefristete Betriebserlaubnis. Während der Stuart ein 5-Stern-Menü mit einem Glas Veltliner serviert, geht es steil bergan. Über unzählige Kurven, Brücken, Viadukte, Galerien und den berühmten Albula-Tunnel geht die Fahrt von Thusis im Rheintal Richtung Sankt Moritz, vorbei an rauschenden Gebirgsbächen, tiefen Schluchten und steilen Zirbelwäldern. In Sankt Moritz folgt die Bernina-Strecke über den 2253 Meter hohen Bernina- Pass, zum Greifen nahe die schneebedeckten Berggipfel. Schweizer Bergpracht in allen Facetten gleitet im 30-Stundenkilometer-Tempo an den Augen der Fahrgäste vorbei, ein Postkartenmotiv folgt dem anderen, bis hinab nach Tirano in Italien. Panoramazüge wie Bernina- oder Glacier-Express vermitteln seit über 110 Jahren den Mythos Schweiz und die feuerroten Züge selber sind dessen fester Bestandteil.
Betreiber der Albula-/Bernina-Bahn ist die Rhätische Bahn, ein Bahnunternehmen, das ein 385 Kilometer langes Schienen-Netz in der Nordost-Schweiz unterhält. Die Berninabahn ist ihr touristisches Highlight, zumal dies die höchste Bahnstrecke der Alpen und mit bis zu 70 Promille Steigung eine der steilsten Adhäsionsbahnen der Welt ist. Das bedeutet, dass sich die Züge ohne Zahnstangen, allein durch die Reibung auf den Schienen halten. Auf der Südrampe schaffen sie 1077 Höhenmeter auf 17 Kilometern. Steile Rampen, enge Kurven und die schmale Spur von nur einem Meter erfordern leichte, wendige und dennoch starke und robuste Züge und Arbeitsloks. Im Winter kommen Schneestürme, meterhohe Verwehungen auf den Gleisen sowie Temperaturen bis minus 35 Grad Celsius hinzu. Der besonders feine, kristalline Schnee dringt in kleinste Ritzen der Antriebe. Einerseits brauchen wir offene Lüftungsschlitze für die Luftansaugung der Motoren und die Kühlung der Generatoren. Andererseits dürfen Schneekristalle nicht in den Maschinenraum eindringen, so Werner Camenisch vom technischen Bereich der Rhätischen Bahn.
Kraftpakete fürs Hochgebirge Unter solchen Bedingungen einen fahrplangenauen Zugbetrieb ganzjährig zu gewährleisten, erfordert es einen sehr hohen personellen und technischen Aufwand, sagt Werner Camenisch. Zu dessen Herzstück gehören Arbeitslokomotiven für Transporte, Gleisarbeiten, das Schieben von Schneeschleudern sowie bei Stromausfall auch für Abschleppdienste. Die vier neuen dieselelektrischen Lokomotiven des deutschen Herstellers Schalker Eisenhütte GmbH in Bochum sind jeweils mit einem 1800 kw starken MTU-Motor des Typs 12V 4000 R43 L ausgestattet. Mit Blick auf die sehr tiefen Temperaturen im Winter verfügt die Lokomotive über das Motor-Starter-System CaPoS, das gegenüber herkömmlichen Starterbatterien eine Reihe von Vorteilen bietet. Das wartungsfreie System ist gegenüber einer vergleichbaren Batterieanlage wesentlich leichter beziehungsweise kompakter und bietet einen enormen Vorteil in Bezug auf die Kaltstartfähigkeit unter extremen Kältebedingungen bis minus 40 Grad Celsius, sagt der zuständige Projektleiter Daniel Kloos aus der Entwicklung von Automationssystemen. Mit dem Ziel, weitere Anwendungen und höhere Stückzahlen zu erzielen, wurde die CaPoS smart edition entwickelt. Diese Variante wurde robuster gestaltet, das Ladegerät integriert und die Schnittstelle vereinfacht. Neben dem MTU-Motor ist ein 37 Kilowatt-Hilfsdiesel mit Generator installiert. Bei stehender Lok sorgt er für die Bordstromversorgung bei abgeschaltetem Hauptdiesel sowie die Versorgung von externen elektrischen Anlagen oder Arbeitsgeräten an Baustellen.
Hinzu kommen vier neue Schneeschleudern der Schweizer Firma Zaugg. Die großen Schneeschleudern, für Bernina-Einsätze mit je zwei OM500-Motoren, die kleineren mit je einem. Damit wird der Unterhalt der Strecke deutlich schlagkräftiger. Ausschlaggebend für die Anschaffung der Lokomotiven waren jedoch der Gesetzgeber und die Unfallversicherung: Für Arbeiten auf der Strecke, zum Beispiel Fahrbahnerneuerungen, muss die Fahrleitung ausgeschaltet werden. Dafür brauchen wir stromnetzunabhängige Lokomotiven, so Werner Camenisch. Die neuen Lokomotiven sind bestens fürs Gebirge gerüstet. Mit 64 Tonnen wiegen sie etwa 20 Tonnen
weniger als übliche Lokomotiven ihrer Leistungsklasse. Das macht sie leicht und wendig. Dabei sind die MTU-Antriebe stark genug für steile Steigungen und Zuglasten; in Doppeltraktion bis 150 Tonnen bei 70 Promille Steigung und einer Geschwindigkeit von mindestens 25 Stundenkilometern oder 420 Tonnen bei 30 Promille Steigung und mindestens 35 Stundenkilometern. Andere hohe Anforderungen sind Gleisbauarbeiten: Wenn Schotter auf die Gleise geschüttet wird, muss die Lokomotive die Schüttgutwagen extrem langsam und gleichmäßig mit zwei bis drei Stundenkilometern ziehen, auch an steilen Stellen. Das erfordert optimal abgestimmte Antriebe, betont Tobias Hagg, Projektleiter und Bahnanwendungsexperte bei MTU. Kontakt Tobias Hagg Tel.: +49-7541-90-7570 Email Tobias.Hagg@mtu-online.com