Manuskript zum Vortrag vom 21.01.2016 in Lünen Straßen und Gewässer ein lästige Übel in der Stadtentwässerung Grenzen und neue Möglichkeiten im Bereich der Siedlungsentwässerung Dipl.-Ing. Reinhard Beck 1. Einleitung Zuletzt hat die Nacht des 28. Juli 2014 in Münster gezeigt, dass das Thema Starkregen aus Städteplanung, Stadtentwässerung und Risikomanagement nicht mehr wegzudenken ist. In Münster fielen rund 100 mm innerhalb von kürzester Zeit. Zunehmend wichtig ist es also auch Starkregenereignisse realistisch in Computermodellen abzubilden und deren Folgen vorherzusehen und die Wirksamkeit von Infrastrukturmaßnahmen zur Vermeidung zu belegen. 2. Stadtgebietsweite Rechenmodelle Aus Laserscanbefliegungen, die Höhenpunkte mittlerweile in einer Dichte von 4 Punkten pro m² und mehr liefern, können über geostatistische Kriging-Interpolationen feine Raster-DGM (Digitale Geländemodelle) erstellt werden, die Flächen von 300 km² und mehr mit einer Rasterweite von 25 cm abbilden können. Aus Basis dieser Raster-DGM können stadtgebietsweit Fließwege und Senken ermittelt werden. Mit diesem Werkzeug bekommt man eine erste Vorstellung, wie die lokalen Höhenstrukturen Niederschlagswasser führen und wo es sich sammelt. Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze die Fließwege auf der Oberfläche zu betrachten. Sogenannte single-flow Methoden berücksichtigen zur Bestimmung eines Fließweges nur die tiefste der 8 Nachbarzellen (Abbildung 1, links), während multi-flow Methoden alle 8 Nachbarzellen berücksichtigen (Abbildung 1, rechts). Da letztere Methode realistischere Ergebnisse liefert, wird diese im Ingenieurbüro Beck angewendet. Abbildung 1: Methoden der Abflussakkumulation: Single-flow Methode (links) & multi-flow Methode (rechts)
Für das Solinger Stadtgebiet (A = 89,5 km²) wurde ein Raster-DGM mit einer Rasterweite von 25 cm erstellt. Somit umfasst das Modell rund 1,4 Milliarden Rasterzellen. Folgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt des darauf aufbauenden Fließwegmodells. Dem Berechnungsergebnis gegenübergestellt sind zwei Aufnahmen, die während eines Starkregens in Solingen Gräfrath entstanden sind (Abbildung 2). Abbildung 2: Fließweg- und Senkenplan und Starkregenereignis in Solingen Gräfrath Aus den Fließwegmodellen können zahlreiche weitere Informationen gewonnen werden. Sogenannte Straßenbelastungskarten zeigen über welche Straßenabschnitte eine besonders große Fläche entwässert (Abbildung 3). Diese Informationen zeigen dem Straßenplaner, welche Straßenabschnitte in Zukunft wie zu sanieren sind. Der Erhalt eines Hochbordes oder die Profilierung der Straßenoberfläche helfen das Niederschlagswasser schadlos abzuführen.
Abbildung 3: Straßenbelastungskarte auf Basis der Fließweganalysen Weiterhin können Fließweg- und Senkendaten Grundlage für stadtgebietsweite Gefahrenanalysen sein. Die United Nations University in Bonn nutze zum Beispiel unsere Fließwege und Senken aus Wuppertal, um diese mit kritischer Infrastruktur zu verschneiden. Eigene Untersuchungen zeigten, dass besonders neben den Senken mit großem Einzugsgebiet und Zusammenflüssen größerer Fließwege noch andere topografische Indices zu einem erhöhten Gefahrenpotenzial beitragen. Abbildung 4: Pot. Risiko
Die Abschätzung des Schadenspotentials (Vulnerabilität) wird in der Regel durch einen Priorisierungsvorschlag auf den Weg gebracht. Abbildung 5: Schadenspotential Damit das Gesamtwerk Akzeptanz in der Gemeinde/Stadt findet, sollten bei den Festlegungen alle Akteure beteiligt werden, die vom Thema Sturzfluten/Hochwasser irgendwie betroffen sind. Abbildung 6: Beispiel einer Risikokarte zum Thema Starkregen Es wurden daraufhin bereits erste Vorschläge für Risikokarten zum Thema Starkregen in der Stadt entwickelt (Abbildung 6).
3. Hydrodynamische Kanalnetz-Oberflächen Modelle Werden in den großflächigen Risikoanalysen besonders risikobehaftete Bereiche oder Teilnetze identifiziert, können diese mit hydrodynamischen Modellen genauer untersucht werden. Besonders die Interaktion zwischen Oberfläche und Kanalnetz über Schächte und Straßeneinläufe spielt dabei eine große Rolle. Diese Modelle sind oft rechenintensiver und können daher nur für Teileinzugsgebiete aufgestellt werden. Zum Nachweis des Entwässerungskomforts nach DIN EN 752, bei dem das Wasser im Kanalnetz verbleibt, liefern klassische Kanalnetzmodelle nach wie vor gute Ergebnisse. Bei selteneren Ereignissen ist die Betrachtung der Oberfläche äußerst wichtig. Erste Ansätze der sogenannten gekoppelten Abflussmodelle sahen die Abflussbildung im Kanal vor. Es wurde also angenommen, das alles Regenwasser problemlos in den Kanal gelangt, bevor es aus einem Schacht an die Oberfläche austritt (Abbildung 5, links). Abbildung 7: Hydrodynamische Kanalnetzberechnung/DYNA (links), Hydrodynamische gekoppelte Kanalnetzberechnung/GeoCPM klassisch (mitte), Hydrodynamische gekoppelte Kanalnetzberechnung/ GeoCPM detailliert (rechts) Die Realität sieht jedoch deutlich anders aus. An steilen Straßen fließt das Wasser oft über die Straßeneinläufe hinweg und verbleibt im Straßenraum. Die aktuelle Entwicklung in der Modelltechnik berücksichtigt die Abflussbildung auf der Oberfläche. Dabei werden die Modelle beregnet. Erst wenn Wasser im Modell zu einem Straßeneinlauf gelangt oder über die Dachflächen direkt angeschlossen ist, gelangt es in das Kanalnetz (Abbildung 7, rechts). Folgende Grafik zeigt die Anzahl der rechnerisch ermittelten Überstauschächte durch ein klassisches Kanalnetzmodell (V1), durch ein gekoppeltes Modell mit Abflussbildung im Kanal (V2) und durch ein gekoppeltes Modell mit Abflussbildung auf der Oberfläche (V3). Die Zahl der Überstauschächte sowie das austretende Volumen reduzieren sich erwartungsgemäß.
Abbildung 8: Reduzierung der errechneten Überstauschächte und -volumina mit detaillierterer Modelltechnik 4. Projektbeispiel Bismarckplatz Die Erkenntnisse aus den vorgestellten Modellen können genutzt werden, um die Abflusssituation innerhalb des Stadtgebietes zu verbessern. Im Falle des Bismarckplatzes in Solingen wurden Fließwegmodelle und Hydraulikmodelle genutzt, um die Regenwassereinleitungen einer Wohnsiedlung vom Mischwasserkanal abzukoppeln. Mit den Fließwegkarten kann leicht ermittelt werden, an welchen Stellen Flutmulden für das Niederschlagswasser sinnvoll sind. Aus dem Senkenplan wurde ersichtlich, an welcher Stelle das Wasser gesammelt werden kann in diesem Fall auf dem Bismarckplatz. Von dort aus kann das Niederschlagswasser dem nächsten Vorfluter, dem Weinsberger Bach, zugeführt werden. Folgende Abbildungen zeigen das Abführen des Niederschlagswassers aus einem Fallrohr über die Oberfläche (Abbildung 9, links) und eine größere Flutmulde im Starkregenfall (Abbildung 9, rechts). Abbildung 9: Abkopplung der Dachflächen einer Wohnsiedlung von der Mischwasserkanalisation (links) und große Flutmulde zum Ableiten von Niederschlagswasser an der Oberfläche (rechts)
5. Ausblick Da das Niederschlagswasser häufig nicht durch die Straßeneinläufe in die Kanalisation gelangt, ist die Vergrößerung der Kanäle häufig keine Lösung. Vielmehr müssen zukünftig durch die Netzbetreiber, Langschafts-, Verkehrs- und Städteplaner gemeinsam Konzepte entwickelt werden, um Niederschlagswasser schadlos abzuführen, zurückzuhalten oder zu versickern. Gleichzeitig müssen Lösungen gefunden werden, das Mikroklima im Stadtbereich wieder positiv zu beeinflussen. Gründächer können hier helfen, wieder näher an einen natürlichen Wasserhaushalt zu kommen. Für die Zukunft bieten sich Aktionsgruppen mit Akteuren aus den verschiedenen Fachbereichen an, die das Thema Wasser in der Stadt gemeinsam angehen. Fazit Die Modelltechnik bietet uns heute sowohl für eine stadtweite Identifikation von Risikopotentialen als auch für die detaillierte 2D-Berechnung (z.b. mit GeoCPM) die geeigneten Werkzeuge. Ein Dankeschön an dieser Stelle noch einmal an die Landesvermessungsämter, die die Laserscandaten zur Verfügung stellen. Die Wasserwirtschaft beschreitet hier einen vorgezeichneten weg, Mut braucht es eigentlich nur noch, um die Grenzen in den Köpfen der unterschiedlichen Akteure zu überwinden. Hierzu braucht es einen sensiblen, teamfähigen Kümmerer, der sich dem anspruchsvollen, gemeinsamen Thema Wasser in der Stadt annimmt. Technische Hürden und Beschränkungen lassen sich in der Regel viel schneller überwinden.