Rede HBP Dr. Heinz Fischer anl. der Gedenkfeier zur. Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, 8. Mai 2005

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Transkript:

Rede HBP Dr. Heinz Fischer anl. der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, 8. Mai 2005 Bei den Gedenkfeiern aus Anlass des 60. Jahrestages der Wiedererrichtung unserer demokratischen Republik Österreich am 27. April ist eine Filmaufnahme von Szenen gezeigt worden, die sich vor genau 60 Jahren hier in Mauthausen unmittelbar nach der Befreiung des Lagers abgespielt haben. Zunächst sieht man einige bis zum Skelett abgemagerte halbnackte menschliche Körper von Häftlingen, die sich offenbar bereits an der Grenze zwischen Leben und Tod befinden und von amerikanischen Soldaten aus einer Baracke heraus getragen werden. Einer von ihnen kann die Tatsache der Befreiung offenbar noch gar nicht fassen. Auf dem Rücken liegend versucht er die Hände zu falten und man weiß nicht, ob es aus Dankbarkeit geschieht, oder ob er glaubt, noch um sein Leben bitten zu

müssen. Ob es eine Geste der Hoffnung oder eine Geste der Hoffnungslosigkeit ist. In der zweiten Szene sieht man, wie eine ländliche Arbeitskraft bis zum Skelett abgemagerte, aber offenbar schon leblose Körper von KZ-Häftlingen, die die Befreiung nicht mehr erlebt oder überlebt haben, zum Abtransport auf ein Fuhrwerk wirft. Der Bewegungsablauf war so, als ob es sich um geschlachtete Ziegen oder um verendete Schafe gehandelt hätte. Es waren Menschen. KZ-Häftlinge. Und obwohl das alles jetzt 60 Jahre zurückliegt, war und ist der Anblick einfach nicht zu ertragen. Er macht uns fassungslos. Dabei wissen wir und auch jene, die noch immer zu leugnen versuchen, wissen es, dass sich dieses Schicksal von

Menschen, dessen Zeugen wir durch Filmaufnahmen geworden sind, in Mauthausen nicht nur in Einzelfällen, sondern tausendfach, ja zehntausendfach abgespielt hat. Über 200.000 Menschen waren in Summe in Mauthausen inhaftiert, und rund die Hälfte von ihnen - Alte und Junge, Männer, Frauen und Kinder hat die Befreiung nicht mehr erlebt, weil sie planmäßig und grausam ums Leben gebracht wurden. Wenn man versucht, sich die Einzelschicksale in ihrer Summe vorzustellen, geht das weit über unser menschliches Vorstellungsvermögen hinaus. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, worum so vieles so lange verdrängt wurde. Trotzdem oder gerade deshalb ist Wegschauen und Verdrängen keine Antwort. Im Gegenteil: Wenn etwas die Menschheit retten kann, dann ist es die Erinnerung hat Elie Wiesel vor 10 Jahren in Auschwitz

gemeint und hinzugefügt Die Erinnerung an das Böse soll uns als Schutzschild gegen das Böse dienen. Das ist auch der Grund, warum wir auch heute und gerade heute 60 Jahre danach -, wieder an diesem Ort des Schreckens zusammengekommen sind. Warum die Erinnerung wach gehalten werden muss, und warum ausgesprochen werden muss, was geschehen ist: Was Menschen, die eine Mutter und einen Vater und vielleicht auch Geschwister und Kinder hatten, anderen Mitmenschen, die ebenfalls eine Mutter und einen Vater, und vielleicht ebenfalls Geschwister und Kinder hatten, angetan haben. Warum wurde ihnen das angetan? Die Antwort lautet:

Weil sie eine jüdische Mutter hatten. Oder weil sie aus einer Roma-Familie stammten. Oder weil sie beschuldigt wurden, homosexuell zu sein. Oder weil sie mit dem, was in Mein Kampf stand nicht einverstanden waren und keine Herrenrasse anerkennen wollten. Oder weil sie Christen oder Deserteure waren, weil sie Linke aus Italien, polnische Intellektuelle, oder russische Kriegsgefangene oder spanische Freiheitskämpfer waren. Meine Damen und Herren! Die Geschichte kennt leider viele Beispiele für das Bild von Kain und Abel. Aber in der Mitte Europas, in den Ländern der Dichter und Denker, gibt es kein Beispiel für Mauthausen oder Auschwitz.

Darum bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die diese Veranstaltung im Fernsehen mitverfolgen, alle Nationen, die hier vertreten sind, alle Mitmenschen, die sich zu den Menschenrechten bekennen, ihren festen Willen darauf zu richten, dass sich Derartiges nie wiederholen darf auch nicht in anderer Form, oder unter anderen Vorzeichen wiederholen darf. Auch nicht annähernd wiederholen darf. Wir müssen das, was sich in den Konzentrationslagern ereignet hat, als unüberbietbare Schande brandmarken. Wir müssen die Kraft haben, auch Jahrzehnte danach um Verzeihung zu bitten. Der Zivilisationsbruch der NS-Diktatur hat zu tiefe Spuren hinterlassen, als dass die Nachfolgegenerationen darüber unberührt hinwegsehen könnten.

Die starke Präsenz junger Menschen bei der heutigen Veranstaltung ist meines Erachtens ein Beweis dafür und auch ein Zeichen der Hoffnung. Natürlich gibt es auch Unbelehrbare. Solche, die nicht den Mut und den Charakter haben, der ganzen grausamen Wahrheit der Vernichtungsmaschinerie namens KZ ins Auge zu schauen. Dieses Gedankengut muss bekämpft und in seiner ganzen Unsinnigkeit bloßgestellt und isoliert werden. Auch aus diesem Grund und aus vielen anderen Gründen ist die Befassung mit den geschichtsmächtigen Daten und Fakten aus dem Jahr 1945 so wichtig. Am 7. Mai 1945 wurde das KZ-Mauthausen von amerikanischen Soldaten befreit.

Sieben Tage vorher (am 30. April 1945) hat sich Adolf Hitler seiner Verantwortung durch die feige Flucht in den Selbstmord entzogen. Am 8. Mai, also auf den Tag genau heute vor 60 Jahren, ging der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation des Deutschen Reiches zu Ende: Ende des Krieges und Ende der Hitlerdiktatur: Es war für uns eine doppelte Befreiung. Und ich gedenke bei dieser Gelegenheit mit großer Dankbarkeit und mit Anteilnahme der enormen Opfer, die von den Soldaten der Alliierten Armeen für die Befreiung von Nationalsozialismus und auch für die Befreiung dieses Konzentrationslagers erbracht wurden. Es ist völlig richtig, dass es auch nach dem Ende der Hitlerdiktatur, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa Diktaturen und Verbrechen gegeben hat.

Auch diese dürfen NICHT vergessen werden. ABER ich bin nicht zu einer Aufrechnung und damit Relativierung bereit. SCHANDTATEN der Geschichte sind jeweils einzeln zu benennen und zu verurteilen. Meine Damen und Herren! Immer geringer wird die Zahl jener, die Mauthausen überlebt haben. Umso größer aber wird die Zahl jener, für die Mauthausen nicht nur eine Gedenkstätte, sondern ein Denkmal und Mahnmal ganz besonderer Art ist. Mauthausen ist ein stummer, aber unwiderlegbarer Zeuge, dessen Zeugnis so großes moralisches Gewicht hat, dass jeder feige Zweifel, jeder Versuch der Relativierung und jede unmoralische Unbelehrbarkeiten erdrückt und hinweggefegt wird.

Hinweggefegt von der Größe der Verbrechen, die hier begangen wurden und von der Flut der Fakten, die von dieser untilgbaren Schande Zeugnis ablegen. Wir werden die Schande von Mauthausen nicht vergessen. Wir lassen dem Ungeist der Diktatur keine Chance. Wir bleiben verbündet im Kampf um Demokratie und Menschenrechte und eine friedliche Zukunft Europas.