Doris Knaier, Urbanes Wohnen e.v. München: Ist Gemeinschaftliches Wohnen Bürgerschaftliches Engagement?



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Transkript:

Fachtagung: Brauchen wir eine neue Solidarität Gemeinschaftliches Wohnen als gesellschaftliche Zukunftsaufgabe Forum Gemeinschaftliches Wohnen Bundesvereinigung e.v. in Göttingen am 12.11.2010 Doris Knaier, Urbanes Wohnen e.v. München: Ist Gemeinschaftliches Wohnen Bürgerschaftliches Engagement? Zusammenfassung: Bürgerschaftliches Engagement ist in Deutschland im Aufwind: ca. jeder 3. Bundesbürger engagiert sich - mit seit langem steigender Tendenz. Aus der Verpflichtung des Ehrenamts wurde eher die zeitlich überschaubare und gut mit eigenen Interessen verbundene Aufgabe, die neben dem guten Werk einen persönlichen Gewinn an Bedeutung und Kompetenz verspricht. Bürgerschaftlich Engagierte sind sich ihrer wichtigen Funktion als Bindeglieder zwischen den Nutznießern des Engagements und der Gemeinde bewusst. Die Bildung von neuen lebendigen Nachbarschaften, ist unbestritten Bürgerschaftliches Engagement. Sie gestalten vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der begrenzten Mittel des Sozialstaates das soziale Netz in einer Gemeinde und bilden so soziales Kapital. Bürgerschaftliches Engagements ist: gemeinwohlorientiert nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, freiwillig öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt und wird wird in der Regel gemeinschaftlich bzw. kooperativ ausgeübt stärkt das Soziale Kapital (nach Gensicke u.a., 2006, S. 34; vgl. auch Enquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements 2002, S. 15 26). Ist auch Gemeinschaftliches Wohnen im Wohnprojekt Bürgerschaftliches Engagement? Im Gemeinschaftlichen Wohnen werden langfristige finanzielle und rechtliche Bindungen eingegangen. Triebfeder für die Beteiligung an manchem Wohnprojekt ist die Tatsache, dass man sich zusammen mehr Ökologie leisten kann. Die Rechtsform ist konstituierendes Element.. Hier ist der eigene Nutzen durch die Gestaltung des eigenen Wohnens deutlich im Fokus. Doch entstehen durch Wohnprojekte auch Modelle für das Zusammenleben der Generationen und die Gestaltung des 3. und 4. Lebensalters, die über die Projektgrenzen ausstrahlen oder ökologische Modelle. Wohnprojekte antworten auf 1

gesellschaftliche Herausforderungen wie das auch vom Bürgerschaftlichen Engagement gefordert ist, Viele Projektgruppen machen es sich dezidiert zur Aufgabe, in die eigene Nachbarschaft die Intensität und Qualität des eigenen Zusammenlebens zu exportieren. Nachbarschaften auch im Wohnprojekt bilden einen weiteren Lebensraum neben der Familie und dem Freundeskreis einerseits und Arbeit und Öffentlichkeit andererseits. Nachbarn haben einen besonders niederschwelligen, weil alltäglichen Zugang zueinander. Damit ist die Integrationsfunktion einer gelingenden Nachbarschaft hoch. So gesehen sind Wohnprojekte neben den neuen lebendigen Nachbarschaften, die entstehen, Bürgerschaftliches Engagement. 2

1. Einführung 2 Schlaglichter: 1. Die Szene stammt aus einem Film: Die Koordinationsstelle Wohnen zu Hause in München hat ihn zu dem Thema: innovative Modelle für die Pflege im Alter drehen lassen. Hier werden ambulant betreute Wohngemeinschaften, betreutes Wohnen zu Hause, das Bielefelder Modell und stationäre Lösungen vorgestellt - in der ersten Sequenz auch der Grübelbunker, ein Wohnprojekt in Nürnberg. Die Familie Rieger und ihre Mitbewohner/innen zeigen das neue Zuhause und Frau Rieger sagt als Begründung, warum ihre Wahl auf ein Wohnprojekt gefallen ist: Mein eigenes Schicksal ist mir am nächsten. Die Reihenfolge ist: gemeinsam älter werden, sich kennenlernen, sich unterstützen und helfen, vielleicht auch einmal pflegen. 2. Auf der anderen Seite widmet das bayerische Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement den ersten Rundbrief im Jahr 2006 dem Gemeinschaftlichen Wohnen. Wohnprojekte aus Augsburg, Bamberg, Hettstadt, Nürnberg und München werden hier ganz selbstverständlich in den Kontext Bürgerschaftliches Engagement eingereiht. Zitat: Das Ziel neuartiger Wohnformen ist, der großen Bedeutung der Nachbarschaft durch entsprechendes Bauen bzw, entsprechende Gestaltung des Wohnraums Rechnung zu tragen. Gemeinschaftliche Wohnprojekte sollen aber kein in sich geschlossenes System sein: bei den meisten dieser Projekte endet die Nachbarschaft nicht an der Haustür oder der Grundstücksgrenze. Die erste Szene sagt aus: Wohnprojekte sind einfach nur zum Eigennutz der Bewohner/innen, das 2. Beispiel sagt: Wohnprojekte sind Bürgerschaftliches Engagement, weil die Nachbarschaft ausstrahlt. Eine kurze Bemerkung zu den Ausdrücken Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt. Ich spreche hier den wissenschaftlichen Gepflogenheiten gemäß in der Regel vom Bürgerschaftlichen Engagement. Doch ist diesen Übereinkünften zum Trotz in machen Gegenden und Feldern das Wort Ehrenamt nach wie vor gebraucht und gewünscht. Also verwende ich es auch in diesen Zusammenhängen. 2. Ist Gemeinschaftliches Wohnen Bürgerschaftliches Engagement? 2.1 Publikumsabfrage Das Publikum des Vortrags wird gebeten, die Frage auf dem Hintergrund des derzeitigen Wissensstands zu beantworten: 100% ist: Gemeinschaftliches Wohnen ist 100% Bürgerschaftliches Engagement! 0% ist: Gemeinschaftliches Wohnen ist keinesfalls Bürgerschaftliches Engagement! und die Zwischenwerte. 3

100% 6 80% 10 60% 24 40% 19 20% 2 0% 5 Nun will ich Sie auf eine Tour durch das Gemeinschaftliche Wohnen, das Bürgerschaftliche Engagement und dann noch die Selbsthilfe mitnehmen und wir können anschließend sehen, ob sich Ihre Meinung geändert hat und in welcher Richtung oder ob Sie sich bestätigt fühlen. 2.2 Ansatz des Vortrages Ich stelle mich und gleichzeitig meinen Ansatz für dieses Referat vor: Freiberufliche Supervisorin und im Rahmen von Aufträgen für die Katholische Stiftungsfachhochschule als Sozialwissenschaftlerin tätig. Mitarbeit in der WohnWerkstatt des Vereins Urbanes Wohnen e.v./regionalstelle Bayern Süd des FGW e.v. In der Regionalstelle beraten wir Einzelne und Gruppen zu den Themen Gemeinschaftliches Wohnen und Neue Lebendige Nachbarschaft, wir haben den bayerischen Wohnprojektatlas in zwei Auflagen erstellt und führen für das bay. Sozialministerium InfoTage in allen bay. Regierungsbezirken durch. Das ist der eine für dieses Referat wichtige Hintergrund. Für die Nicht-Fachleute hier sage ich nun kurz die Basics des Gemeinschaftlichen Wohnens: Gemeinschaftliches Wohnen, auch Wohnprojekte benannt, geht im Idealfall von einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern aus, die sich verständigen darüber, wie und wo sie zusammen leben wollen. Das kann sein in Miete, Eigentum oder Genossenschaft, mit einem sozialen, ökonomischen, ökologischen oder kulturellen Fokus. Entweder finden sich Alt und Jung im Mehrgenerationen-Wohnen zusammen oder auch nur ältere Menschen oder nur Jüngere. In der Praxis gibt es Spielarten, die von Wohnungsbaugesellschaften oder Kommunen ausgehen, es gibt Gruppen die neu bauen oder die in ein Bestandshaus ziehen oder Projekte, die ganze Stadtviertel umgreifen. Es gibt die kleine Lösung für wenige Menschen, die Baugruppen und Genossenschaften bis hin zu den großen Lösungen z.b. der Ökodörfer. In der WohnWerkstatt des Vereins Urbanes Wohnen e.v. in München bewerben wir inzwischen auch intensiv die sogenannten Lebendigen Neuen Nachbarschaften Nachbarschaften, die ohne den großen Aufwand eines Umzuges da realisiert werden, wo ich lebe. Wir verwenden diesen Begriff Lebendige Neue Nachbarschaft als Markenzeichen für Nachbarschaften, die sich organisatorische Strukturen und/oder eine Rechtsform geben. Damit können sie vertragliche Bindungen eingehen. die über Räume innen oder außen verfügen. die ihre Aktivitäten nach außen präsentieren und Angebote machen wie z.b. eine Tauschbörse oder sie vermitteln nachbarschaftliche Hilfen. 4

Da sehe ich persönlich die Zukunft, denn die finanziellen Mittel und der persönliche Aufwand für ein Wohnprojekt mit Umziehen ist hoch. Der andere Hintergrund ist, dass ich 2008 mit Kolleg/innen ein Gutachten zum Wert des Bürgerschaftlichen Engagements in Bayern auch im Auftrag des Sozialministeriums erstellt habe. http://www.ksfh.de/forschung/abgeschlossene-projekte Ich will zentrale Aussagen aus dem Gutachten dem Gemeinschaftlichen Wohnen gegenüberstellen. Deshalb nenne ich jetzt nur Grundzüge zur Methodik und Vorgehensweise und später einige Punkte, die für die Gegenüberstellung zum Gemeinschaftlichen Wohnen/Neue Nachbarschaften aussagekräftig sind. In diesem Gutachten haben den monetären und nicht-monetären Wert des Bürgerschaftlichen Engagements untersucht das heißt, dass es um den geldwerten und den nicht in Geldbeträgen auszudrückenden sozialen Nutzen des Bürgerschaftlichen Engagements ging. Wir haben als Methoden die Kosten-Nutzen-Analyse und die Nutzwertanalyse angewandt. In der Kosten-Nutzen-Analyse haben wir mit Fragebögen die Institutionen des Bürgerschaftlichen Engagements zu einer Rechnung aufgefordert, in der die kommunalen Kosten einem Geldwert der erbrachten Stunde gegenübergestellt wird. Diesen Geldwert einer ehrenamtlichen Stunde haben wir wie in ähnlichen Studien mit 8.- also knapp über dem diskutierten Mindestlohn angesetzt. Auf diese Weise haben wir den monetären, also geldwerten Nutzen des Bürgerschaftlichen Engagements erfasst. Den sozialen Nutzen haben wir mit andern Fragen in dem Fragebogen erfasst. Mir diesen Fragen haben aus dem Wegfall des Engagements im Umkehrschluss auf den Nutzen geschlossen. Welche Folgen hätte der völlige Wegfall der ehrenamtlichen Hilfen für die Einrichtung z.b. einen Verband oder eine Freiwilligen-Beratungsstelle? für die Zielgruppe, also die Nutznießer des Engagements? für die Stadt oder den Landkreis? für die Helfer selbst? Den sozialen Nutzen haben wir außerdem noch mit der Nutzwert-Analyse untersucht. Die ausgewählten Modellregionen waren der Landkreis Cham im Bayrischen Wald und die Stadt Würzburg. In beiden Gebietskörperschaften findet sich eine lebhafte Kultur des Bürgerschaftliches Engagements und eine vorbildliche Unterstützung seitens der Kommunen. In Cham gibt es einen Treffpunkt Ehrenamt beim Landratsamt, in Würzburg das Selbsthilfebüro. Wir haben diese Engagementbereiche untersucht: - Freiwilligenagenturen, Koordinierungsstellen, Nachbarschaftshilfen, - Selbsthilfe - Mütter- und Familienzentren - Migration - Seniorenarbeit - Jugendhilfe - und Freiwillige Feuerwehr. 5

Unsere Aufgabe war Politikberatung, denn die Ergebnisse werden als Grundlage für die weitere Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements genutzt. 2.3 Definition: Ist Gemeinschaftliches Wohnen Bürgerschaftliches Engagement? 2.3.1 Bürgerschaftliches Engagement und Gemeinschaftliches Wohnen in der Gegenüberstellung. Ich werde nun das, was wir in dem Gutachten herausgearbeitet haben in Beziehung setzten zu Gemeinschaftlichem Wohnen und Neuen Lebendigen Nachbarschaften. Bürgerschaftliches Engagement bezeichnet die Tätigkeiten von Menschen, die in einem öffentlichen, gemeinnützigen Raum (also weder durch wirtschaftliche Zweckmäßigkeit oder staatliche Gebote verpflichtet, noch durch familiäre Bedingungen bedingt) unentgeltlich, freiwillig und gemeinnützig zur Stärkung des Sozialen Kapitals ( ) beitragen. Bürgerschaftliches Engagement ist gemeinwohlorientiert nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, freiwillig öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt und wird wird in der Regel gemeinschaftlich bzw. kooperativ ausgeübt stärkt das Soziale Kapital (nach Gensicke u.a., 2006, S. 34; vgl. auch Enquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements 2002, S. 15 26). Ich halte Wohnprojekte dagegen: Bürgerschaftliches Engagement Gemeinwohlorientiert Kein wirtschaftlicher Zweck freiwillig öffentlich Gemeinschaftlich/kooperativ stärkt das Soziale Kapital Gemeinschaftliches Wohnen Zum eigenen Nutzen solange es nur im Projektrahmen bleibt. Wirtschaft als konstituierendes Element freiwillig wird öffentlich beworben Gemeinschaftlich/kooperativ stärkt das Soziale Kapital Wohnprojekte entsprechen diesen Kriterien in den Punkten - Freiwilligkeit - Öffentlichkeit - gemeinschaftlich und kooperativ. Wohnprojekte entsprechen den folgenden Kriterien nicht: Die Arbeit für das Wohnprojekt tun die Mitglieder zum eigenen Nutzen. Das Gemeinschaftliche Wohnen ist nicht gemeinnützig, auch nicht im Steuerrecht. Wohnprojekte verfolgen den wirtschaftlichen Zweck, ihre Mitglieder preiswert im Sinne des Wortes mit privatem, manchmal auch gewerblichem Raum, Gemeinschaftsräumen und -flächen zu versorgen daneben auch mit sozialer Nachbarschaft. Wohnprojekte haben das wirtschaftliche 6

Ziel, kostendeckend zu arbeiten, allerdings meist nicht für den Profit eines einzelnen Unternehmens. Neue Genossenschaften wollen als Wirtschaftsbetriebe expandieren. Baugemeinschaften wollen sich gemeinsam mehr Ökologie leisten. Damit sind sie Teil der ganz normalen Wohnwirtschaft. Wohnprojekte antworten, wie das auch vom Bürgerschaftlichen Engagement gefordert ist - auf gesellschaftliche Herausforderungen. Wenn diese Herausforderung im einer Wohnform liegt, dann muss sie sich im wirtschaftlichen Rahmen bewegen. Das kann kein Ausschlussgrund sein. Bürgerschaftliches Engagement trägt nach Thomas Olk zur Erledigung gesellschaftlich wichtiger Aufgaben bei wie Gemeinschaftliches Wohnen auch. (Olk 2010) Wohnprojekte und Bürgerschaftliches Engagement mehren das sog. Soziale Kapital. Was ist Soziales Kapital? Weltweit bekannt wurde der Begriff des Sozialen Kapitals durch einen Aufsatz des Harvardprofessors Robert D. Putnam "Bowling Alone". In empirischen Untersuchungen zeigte er, dass bei einer hohen Dichte sozialer Netzwerke und sozialer Kontakte zwischen Menschen das gesellschaftliche Risiko von Arbeitslosigkeit, politischer Korruption, Zivilisationserkrankungen oder Drogenabhängigkeit vermindert werden kann. Erklärt wird dies durch die vielfältigen sozialen Kontakte, die ein Engagement mit sich bringt. (Putnam 2000) Unser letzter Bundespräsident Horst Köhler wies in seiner Rede zum Auftakt der Woche des Bürgerschaftlichen Engagements 2006 in Berlin darauf hin, dass nach wissenschaftlichen Untersuchungen Menschen, die sich engagieren, glücklicher sind und länger leben Das gilt für das Bürgerschaftliches Engagement und das tun Wohnprojekte: sie mehren das soziale Kapital, denn sie bilden neue soziale Netzwerke. 2.3.2 Ergebnisse der Nutzwertanalyse im Gutachten und Gemeinschaftliches Wohnen Die Nutzwertanalyse ist als Verfahren besonders geeignet zur Unterstützung von Entscheidungen und zu Evaluation der Fortschritte von Netzwerken hier dem Netzwerk rund um das Bürgerschaftliche Engagement. Wir haben nach den gesellschaftlichen und politischen Akteuren gefragt, die am Zustandekommen des Bürgerschaftlichen Engagements beteiligt sind und sie in Hauptkriterien gefasst: Hauptkriterium 1: Die Engagierten selbst Hauptkriterium 2: Die Nutznießer, also die Adressaten des Engagements Hauptkriterium 3: Die Institutionen, die das Engagement unterstützen Hauptkriterium 4: Gemeinde, Landkreise, Bundesländer und der Staat: Politik und Verwaltung Die Beteiligten werden zu einem Workshop eingeladen und erarbeiten die Ergebnisse der Nutzwertanalyse im Dialog. Wir haben in Prozent gefragt, wie wichtig die einzelnen Beteiligten für das Gelingen des Bürgerschaftlichen Engagements sind. Das Ergebnis war: Engagierte und Nutznießer sind mit 30% gleich wichtig, die Hauptkriterien 3 und 4 waren mit je 20% weniger wichtig. (vgl. Gutachten, Ergebnisse Würzburg S. 110) 7

Wer sind die Beteiligten bei einer Nutzwertanalyse eines Gemeinschaftlichen Wohnprojekts? die Bewohner/innen, der Träger = z.b. Verein oder Genossenschaft, die Nachbarn des Projekts, Vertreter beteiligten Professionen: Recht, Finanzdienstleister, Architektur, Landschaftsplanung, Soziale Arbeit, Vertreter der unterstützenden Institutionen z.b. Stattbau Hamburg, BürgerBau, Vertreter der Verwaltung und der Politik. Im Bürgerschaftlichen Wohnen gibt es Engagierte und Nutznießer, im Gemeinschaftlichen Wohnen sind die Nutznießer die Bewohner/innen selbst. Die beiden Personengruppen fallen hier zusammen. Wir haben im Gutachten nach einzelnen Unterkriterien gefragt: Hauptkriterium 1: Die Engagierten selbst: Unterkriterium 1: Die Engagierten machen eine für andere sinnvolle Arbeit. Unterkriterium 2: Die Engagierten verbinden ihr Engagement gut mit dem ihrem Leben. Unterkriterium 3: Die Engagierten können ihre Fähigkeiten einsetzen. Unterkriterium4: Die Engagierten gewinnen selbst beim Engagement. Hier kommt der eigene Nutzen der Engagierten ins Spiel. Kurz gesagt: Was haben sie selbst davon? Es geht z.b. um: Selbstbewusstsein, Gefühl für den eigenen Wert, Spaß finden, Kontakte, ( ) engagieren sich in der Öffentlichkeit, die Engagierten fühlen sich wohl in einer Gruppe von Engagierten (vgl. Gutachten, Ergebnisse Würzburg S. 85). Sie gewinnen selbst an Kompetenz und Bedeutung. Der eigene Gewinn war ähnlich wichtig, wie die Frage, ob die Nutznießer des Engagements im Endeffekt etwas Gutes (ebd.) bekommen. Also Bürgerschaftliches Engagement doch auch für sich selbst! Bei einem Vergleich des Hauptkriteriums 3 Institutionen stellt sich heraus, dass sie im Bereich des Bürgerschaftlichen Engagements wesentlich zahlreicher sind. Gemeinschaftliches Wohnen erfährt vergleichsweise weniger öffentliche Förderung. Doch gibt es auch beim Gemeinschaftlichen Wohnen unterstützende, mit öffentlichen Mitteln geförderte Institutionen. Die Mittel, die hier fließen sind jedoch ein Beleg dafür, dass das Gemeinschaftliche Wohnen auch im öffentlichen Interesse ist, nicht nur im Interesse der Bewohner/innen. Beim Hauptkriterium 4 Gemeinde, Stadt, Landkreis, Staat war als Ergebnis des Gutachtens die Integration der Nutznießer wichtig. Bürgerschaftliche Engagierte verstehen sind selbstbewusst als Brückenglieder in der Gemeinde. Damit haben sie zweifellos recht, denn Engagierte haben einen besonders niederschwelligen Zugang. Niederschwellig heißt am Beispiel des Betreuten Wohnen zu Hause: der ehrenamtliche Besuchsdienst bekommt einen ganz anderen Eindruck von den Nöten eines alten Menschen, als die Pflegedienstleitung des ambulanten Dienstes in der Einsatzzentrale und auch die Pflegerin, die ins Haus kommt und ihre Aufgaben erfüllt. Was ist mit der Integration im Gemeinschaftlichen Wohnen? Es gibt nichts niederschwelligeres als Nachbarschaft. Sie ist nah und ergänzt die professionellen Hilfen, im Notfall ersetzt sie diese sogar. Vom sozialen Kapital, dem Netzwerk war schon die Rede. 8

Diese Qualität des Gemeinschaftlichen Wohnens ist dem bayerischen Sozialministerium eine Förderung wert: Mit der Richtlinie für die Förderung neuer ambulanter Wohn- Pflege und Betreuungsformen für Seniorinnen und Senioren (SeniWoF) des bayerischen Sozialministeriums werden generationsübergreifende Wohnformen, aber auch andere innovative Wohnformen gefördert. Gegenstand der Förderung ist die Öffentlichkeitsarbeit, fachliche Begleitung und Moderation sowie Fachberatung aus unserer Sicht und Erfahrung ein sehr sinnvolles Instrument. Es kommt also auf die Innovation an, die neuen Lösungen für gesellschaftliche Gegebenheiten! Wie verhält es sich mit dem sozialen Nutzen des Bürgerschaftlichen Engagements in der Kosten-Nutzen-Analyse? Wir haben ihn im Umkehrschluss erfragt und kamen zu einem drastischen Ergebnis: das soziale Klima in unserem Land würde sich bei Wegfall des Engagements total verändern, es würde kalt und rau, die Nutznießer des Engagements wären nicht mehr eingebunden und politisch vertreten, die Städte und Gemeinden hätten ein großes Imageproblem. Der rote Faden ist bisher eine Abwägung von Eigennutzen und Nutzen anderer. Auf den ersten Blick ist der große Unterschied zwischen Bürgerschaftlichem Engagement und Gemeinschaftlichem Wohnen, dass das erste für die anderen, das zweite nur zum eigenen Nutzen ist. Doch haben wir schon gesehen, wie wichtig der Eigennutzen der Engagierten ist. Und es gibt eine politische, gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Gemeinschaftliches Wohnen als Modell, weil es auch für andere als die Bewohner/innen von Nutzen ist. 2.3.3 Ergebnisse der Kosten-Nutzen-Analyse im Vergleich zum Gemeinschaftlichen Wohnen. Bisher ging es um den sozialen Nutzen. Nun will ich Ihnen weitere Ergebnisse der der Kosten-Nutzen- Analyse vorstellen. Wie wir zu den Ergebnissen gekommen sind, habe ich bereits kurz angedeutet. Hier war die Fragestellung: Ist Bürgerschaftliches Engagement wirtschaftlich d.h. wenn die Aufwendungen z.b. der öffentlichen Hand dem Ertrag gegenübergestellt werden kommt dann ein Gewinn oder Verlust heraus? Geldwerter Nutzen: Bürgerschaftliches Engagement: 1.- Aufwand der öffentlichen Hand erbringt ihr 6.- - 7.- Nutzen an Einsparungen (Gutachten S. 43 und 61) Gemeinschaftliches Wohnen: öffentliche Gesamtersparnis durch Gemeinschaftsorientiertes Wohnen bei ca. 1,3 Mrd. jährlich (Witterstätter 2004) 1 1 Eine genauere Berechnung des volkswirtschaftlichen Nutzens Gemeinschaftlichen Wohnens unter der Berücksichtigung von Familien findet sich in: Halfar, Bernd: Volkswirtschaftliche Effekte des Gemeinschaftlichen Wohnens. In: Schader-Stiftung; Stiftung Trias (Hrsg): Raus aus der Nische rein in den Markt! 2008 9

Einem aufgewendeten Euro beim Bürgerschaftlichen Engagement steht also ein Nutzen von sechs bis sieben Euro gegen. Das heißt: Jeder Euro, mit dem Engagement gefördert wird zahlt sich sechs bis siebenfach aus. Der Nutzen liegt in der Vermeidung von Kosten für Krankheit und soziale Ausgrenzung, im Zusammenhang mit der Mehrbelastung von Angehörigen für professionelle Hilfen, die dann einspringen müssten. für die Folgen von sozialer Ungleichheit für stationäre Unterbringungen, Schulungen, Nachhilfe, Sprachförderung, Informationsvermittlung etc. Wie steht es mit dem geldwerten Nutzen von Gemeinschaftlichem Wohnen? Die Kosten für das Gemeinschaftliche Wohnen werden im Wesentlichen aus privater Hand beglichen. Kosten für den Steuerzahler entstehen z.b. durch die einkommensorientierte Förderung, die jedoch nicht projektspezifisch ist. Ich stelle die Rechnung von Kurz Witterstätter, emeritierter Professor der evang. Fachhochschule Ludwigshafen nicht im Einzelnen, aber im Ergebnis vor: Durch Wegfall eines Teil der Heimkosten und Sozialhilfekosten für ältere Menschen, - gegen gerechnet mit den neuen Kosten für ambulante Betreuung - kommt er zu dem Ergebnis, dass die öffentliche Gesamtersparnis durch Gemeinschaftsorientiertes Wohnen bei ca. 1,3 Mrd. jährlich liegen könnte. Wir haben in der Kosten-Nutzen-Analyse nachgewiesen, dass Investitionen in Bürgerschaftliches Engagement sich lohnen. Wenn wir der Rechnung von Herrn Witterstätter folgen, dann zahlen sich auch Investitionen in das Gemeinschaftliche Wohnen aus. 2.3 4 Gemeinschaftliches Wohnen und Selbsthilfe Nun will ich noch den Bereich Selbsthilfe mit dem Gemeinschaftlichen Wohnen vergleichen. Der Hintergrund ist folgender: Gemeinschaftliches Wohnen ist, wie ich zu zeigen versucht habe, mit Einschränkungen Bürgerschaftliches Engagement. Selbsthilfe ist ohne Zweifel Bürgerschaftliches Engagement. Ich will fragen: Ist Gemeinschaftliches Wohnen näher an der Selbsthilfe als am Bürgerschaftlichen Engagement? Was ist Selbsthilfe? Selbsthilfe umfasst das gemeinsame Engagement innerhalb einer Gruppe Betroffener, (Selbstbetroffene, Angehörige, Freunde) zur gegenseitigen Hilfe und zum Erfahrungsaustausch. Öffentliche Aufklärung und Lobbyarbeit können auch Ziele und Aufgaben von Selbsthilfegruppen sein. Dabei liegt die Betonung des Expertentums auf der eigenen Erfahrung und der gegenseitigen Unterstützung. 10

Ist Gemeinschaftliches Wohnen Selbsthilfe? Selbsthilfe Gemeinschaftliches Wohnen Gleiches Problem Gleiches oder vergleichbares Problem Kooperation und Hilfe Kooperation und meist Hilfe Keine/geringe Mitwirkung von Profis als fachliche Dienstleister Profis Keine Gewinnorientierung Wirtschaft als konstituierendes Element Ziel: Selbst- und/oder soziale Ziel: Eigenes Wohnen/Nachbarschaft, auch Veränderung gesellschaftliche/politische Veränderung. Braun und Opielka nennen nach Trojan fünf Kennzeichen der Selbsthilfebewegung, denen ich Gemeinschaftliches Wohnen gegenüber stelle (Braun/Opielka 1992): Betroffenheit der Mitglieder durch das gleiche Problem (ebd.): In klassischen Selbsthilfegruppen besteht das gemeinsame Problem in einer eigenen Krankheit, in der eines Angehörigen oder in einer besonderen Lebenssituation. Im Wohnprojekt führen unterschiedliche Motivationen zu der gleichen Lösung: Motivationen sind z.b. Mietkostensteigerungen, die Aussichten der Demografie, der Wunsch nach einer andern Kindheit für die Kinder. Gemeinschaftliches Wohnen ist nicht die Lösung im demografischen Wandel, aber ein Beitrag dazu. Die Betonung gleichberechtigter Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe (ebd.): In Selbsthilfeprojekten wird gleichberechtigt zusammengearbeitet. Die gegenseitige Unterstützung ist konstituierend. Die Organisationsform ist in der Regel der eingetragene Verein. Wohnprojekte im Sinn dieser Arbeit bilden sich ebenfalls in der Regel von unten nach oben, d.h. aus einer Kerngruppe wird langsam eine Projektgruppe, die sich für eine bestimmte Grundsätze und eine Organisationsform entscheidet. Wohnprojektgruppen achten in der Regel auf das gleichberechtigte Mitbestimmungsrecht aller Mitglieder, auch wenn die finanziellen Beteiligungen ungleich sind. Gegenseitige Hilfe wird nicht immer vereinbart, wird jedoch häufig praktiziert. (Knaier 2003) Hier gibt es starke Parallelen, doch gibt es auch Wohnprojekte ohne gleichberechtigte Entscheidungsstrukturen im Eigentumsrecht. Keine oder geringe Mitwirkung professioneller Helfer (ebd.): Selbsthilfegruppen finden sich in einem Feld, das häufig zunächst von professioneller, d.h medizinischer Versorgung, bestimmt ist. Sie bilden sich in Abgrenzung zu diesem Feld, nutzen aber auch Fachwissen. In Einzelfällen gehen sie manchmal soweit, eigene professionelle Versorgungsstrukturen zu schaffen. Wohnprojektgruppen nutzen das Fachwissen der Berufe rund um s Bauen, von Juristen und Finanzdienstleistern und von Fachleuten in sozialen Prozessen. Keine Gewinnorientierung (ebd.): Selbsthilfegruppen legen Wert auf immaterielle Werte, wie Kompetenzerweiterung, praktizierte Solidarität oder politische Veränderungen. Wohnprojekte wollen und müssen wirtschaftlich arbeiten, die Wirtschaft bildet den Rahmen. Selbst- und/oder soziale Veränderung als gemeinsames Ziel (ebd.) Mitglieder von Selbsthilfegruppen wollen kompetenter werden, die Gesundheitsversorgung verändern oder ergänzen und die Lage der Mitglieder 11

verbessern. Die Wohnprojekte wollen Nachbarschaft für sich selbst und sie kann ausstrahlen. Wenn die Projekte sich untereinander organisieren, dann zur gegenseitigen Unterstützung und zu dem Zweck, Gemeinschaftliches Wohnen in die Wohnwirtschaft und die sozialpolitische Landschaft einbauen. Gemeinsamkeiten zwischen Selbsthilfe und Gemeinschaftlichem Wohnen sind deutlich. 3. Schlussfolgerungen. Die These ist: Lebendige Neue Nachbarschaften sind - wie auch Nachbarschaft im Wohnprojekt, die ausstrahlt - Bürgerschaftliches Engagement besonders, wenn modellhafte Lösungen entstehen. Gemeinschaftsorientiertes Wohnen hat ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zum Bürgerschaftlichen Engagement, wenn sich die Bildung der Nachbarschaft auf die Gruppe beschränkt und wenn sie keine Ambitionen hat auszustrahlen. Dann ist die Nachbarschaft Selbstzweck, man könnte sagen, eine reine kleine Selbsthilfegruppe z.b. in der Notwendigkeit für das eigene Alter vorzusorgen. Für Mehrgenerationenprojekte kann Ziel sein: Es braucht ein ganzes Dorf, um Kinder zu erziehen Das sagt ein Sprichwort. Auch das ist Selbstzweck. Doch wie viele Projekte gibt es, die so für sich bleiben wollen? Bei unseren InfoTagen haben wir Kontakt bekommen zu einer einzigen solchen Gruppe, die vor Jahren einfach ihr Ding gemacht hat. Die Bildung von organisierter Nachbarschaft ist wie eingangs zitiert Bürgerschaftliches Engagement. Dann kann man die Nachbarschaft, die sich im Wohnprojekt bildet, nicht ausschließen. Entsprechendes Bauen und die Gestaltung des Wohnraums überspitzt gesagt: das eigene Schöner Wohnen - kann da kein Ausschlussgrund sein, wenn die Nachbarschaft ausstrahlt und modellhafte Lösungen entstehen. Nochmal deutlicher: Wenn ich in meinem Haus eine gute Nachbarschaft organisiere, dann ist das privat und noch kein Bürgerschaftliches Engagement. Wenn die Nachbarschaft das gleiche und noch mehr weiter macht, an die Öffentlichkeit geht, sich organisiert und durch ihr Beispiel andere anregt, sich selbst zu organisieren, dann ist das Bürgerschaftliches Engagement, weil freiwillig, öffentlich, kooperativ, als Beispiel gemeinwohlorientiert. Ich sehe auch eine politische Seite: wenn ich mich frage, warum ich soviel Bürgerschaftliches Engagement in Form von Zeit und Geld für das Gemeinschaftliche Wohnen aufbringe, dann lautet eine Antwort: der Mensch braucht eine Gruppe, die ihn in politisch schwierigen Zeiten darin bestärkt anständig und solidarisch zu bleiben. Gemeinschaftliches Wohnen stärkt wie das Engagement die Demokratie. Der Titel der Fachtagung 2005 in Nürnberg hieß: Miteinander füreinander unter einem Dach: Keimzellen für solidarisches Handeln. 12

Diese Fragen stellen sich: Welche Auswirkung hat, dass Gemeinschaftliches Wohnen nur zum eigenen Nutzen geschieht? Ist es so, dass das nur zum eigenen Nutzen heute heißt: zum eigenen und zum Nutzen des Nachbarn? Ist es so, dass genau solche Eigeninitiative und Selbstsorge, die sich ja auch auf alternative Währungen, Einkaufkooperativen oder soziale/wirtschaftliche Selbsthilfe auf dem Dorf beziehen kann, inzwischen Modell und Motor für den gesellschaftlichen Umbau ist? Ist es so, dass das Gemeinschaftliche Wohnen sich mitten in einer Entwicklung befindet, in der das Bürgerschaftliche Engagement und die Selbsthilfebewegung schon viel weiter fortgeschritten sind? Sie wissen dass jeder 3. Bundesbürger bürgerschaftlich engagiert ist und alle zusammen 4,6 Milliarden Stunden jährlich unentgeltlich einbringen (nach SZ vom 11.05.2009). Engagement hat sich gewandelt: überschaubares, zeitlich begrenztes Engagement ist an die Stelle der lebenslangen Verpflichtung getreten. Das Gemeinschaftlichen Wohnen ist im Wohnprojekt aufwändig auf lange Sicht angelegt. An diese Zahlen werden wir vielleicht nicht hinkommen, aber wir sollten anstreben, dass man in Deutschland bei einem Umzug wieder in ein Projekt ziehen kann. In den Berufsjahren, die ich überblicke seit 1975 kann ich sehen, wie aus kleinen Selbsthilfe-Angehörigengruppen in der Psychiatrie Vereine geworden sind, die in der politischen Landschaft gefragt und gehört werden. Beispiel: Landesverband Bayern der Angehörigen psychisch Kranker e.v. http://www.lvbayern-apk.de/ http://www.lvbayern-apk.de/ In den 20 Jahren, die ich im Gemeinschaftsorientierten Wohnen freiberuflich und auch bürgerschaftlich engagiert bin, kann ich überblicken, welch andere Menschen sich interessieren: waren es am Beginn der 1990er Jahre mindestens in Bayern einzelne christliche oder eher links/ökologisch-orientierte Individuen, so sind es heute Bürgerliche aller politischer und weltanschaulicher Richtungen. Ich habe es immer als Vorteil gesehen, dass keine politische Partei das Gemeinschaftliche Wohnen für sich reklamiert. Gemeinschaftliches Wohnen ist normal, interessant und attraktiv geworden. Das Ehrenamt war vor 40 Jahren noch eher auf die traditionellen Felder in Kirchen und Vereinen beschränkt. Die professionellen Dienste haben sind seither ausgeweitet, ganze neue Zweige der Sozialen Arbeit, wie die Schuldnerberatung oder die Sozialpsychiatrie sind dazugekommen - in jüngerer Vergangenheit auch die Arbeit mit Freiwilligen, Bürgerschaftlich Engagierten man kann auch hinzufügen: die Unterstützung von Selbstorganisation. Wenn es da Parallelen gibt, können wir lernen aus den Entwicklungen des Bürgerschaftlichen Engagements oder der Selbsthilfe? Ich meine ja: Öffentliche Anerkennung und Förderung haben dazu beigetragen, dass heute Selbsthilfe und Bürgerschaftliches Engagement so stark geworden sind. In der Selbsthilfebewegung gab es zu Beginn große Ressentiments gegen Förderungen. Wolfgang Kraus nennt 13

Zitate: Wes Brot ich eß des Lied ich sing!, sich verkaufen sich verbiegen waren Stichworte. Ich zitiere Kraus sinngemäß: Diese rabenschwarzen Phantasien verflüchtigten sind bei der Betrachtung konkreter Gruppenschicksale schnell. Uns schien, als ob sich unsere Gesprächspartner/innen in dem Punkt selber misstrauten, als ob sie sich nicht sicher wären (Kraus in Kardorff 1989) Der Effekt von Förderungen war tatsächlich z.b.: dass die Gruppen ihr Anliegen mit dem Förderzweck abgleichen mussten, dass sie explizite Strukturen gebildet haben, indem sie eine Arbeitsteilung und Zuständigkeiten geregelt haben, dass sie verbindliche Planungen erarbeiten und einhalten mussten, Dass die internen Ziele über den Förderzielen aufrechterhalten werden müssen. Kurz gesagt, haben Förderungen zur Strukturierung der Gruppen beigetragen. Wesentlich ist, dass Förderungen sachgerecht sind. Im Gemeinschaftlichen Wohnen muss mit Förderungen ein Korridor getroffen werden: Selbstorganisation und Eigeninitiative muss unterstützt, nicht behindert werden. Die Freiwilligkeit muss respektiert werden, damit Gruppen gefördert werden, die lebensfähig sind - nicht nur dank der Förderung - und damit die gegenseitige Hilfe im Wohnprojekt nicht überfordert oder missbraucht wird. Spielraum muss eröffnet und gleichzeitig das legitime Interesse der Gesellschaft an praktikablen, modellhaften Lösungen berücksichtigt werden. Man kann die Parallele noch auf Institutionen erweitern. Arbeitsfelder von Selbsthilfe-Unterstützung sind nach Asam 1. Information und Beratung von Interessenten 2. Initiierung und Gründungshilfen für Selbsthilfegruppen 3. Unterstützung bestehender Gruppen 4. Vernetzung von Gruppen 5. Öffentlichkeitsarbeit 6. Kooperationshilfen bei der Kooperation der SH-Gruppe mit dem professionellen System (Asam et al. 1989): Erweitert um die politische Komponente ist das eine Aufgabenbeschreibung einer Unterstützungsstelle für Gemeinschaftliches Wohnen. Die Selbsthilfe ist zu einer Säule des Gesundheitssystem geworden, weil die Kommunen die Selbsthilfefreundlichkeit entwickelt haben. Gemeinschafliches-Wohnen- Freundlichkeit in Politik- und Verwaltungsstrukturen auf kommunaler Ebene ist das Anliegen unseres derzeitigen Vorsitzenden Albrecht Göschel. Zu dieser Freundlichkeit gehören auch eine Organisation der Verwaltung, die die Kooperation mit Gruppen erleichtert, passende Vergaberichtlinien oder Förderung von Nachbarschaft, die über das Projekt hinausgeht. Im Bereich des Gemeinschaftlichen Wohnens gibt es inzwischen viele auch potente Akteure, doch in kenne keinen, der so wie das Forum Gemeinschaftliches Wohnen genau diesen Korridor, die Förderung von Eigeninitiative und Selbstorganisation definieren und benennen kann. Ich würde gerne diesen Verein auf dem Weg in die 14

Politikberatung sehen, indem er mit Argumenten das Zusammenspiel des Gemeinschaftlichen Wohnens mit dem Bürgerschaftlichen Engagement und der Selbsthilfe darstellt. Neuerliche Publikumsabfrage: 15.40 Uhr 16.20 Uhr 100% 6 6 80% 10 15 60% 24 19 40% 19 13 20% 2 3 0% 5 4 15

Literatur: Asam, Walter H.; Heck, Michael (Hrsg.): Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Konzept zur Unterstützung von Selbsthilfegruppen. Institut für kommunale Sozialforschung und Sozialpolitik IKOS e.v. Kommunale Sozialpolitik 3. Saarbrücken 1989 Braun, Joachim, Opielka, Michael 1992: Selbsthilfeförderung durch Selbsthilfekontaktstellen. Abschlußbericht der Begleitforschung zum Modellprogramm Informations- und Unterstützungsstellen für Selbsthilfegruppen im Auftrag des Bundesministeriums für Familie und Senioren. Institut für sozialwissenschaftliche Analysen. Stuttgart, Berlin, Köln Gensicke, Thomas/ Sibylle Picot/ Sabine Geiss: Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 2004. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wiesbaden 2006 Kardorff, Ernst v.; Oppl, Hubert (Hrsg.): Selbsthilfe und Krise der Wohlfahrtsgesellschaft. Aspekte moderner Sozialarbeit. Soziokulturelle Herausforderungen Sozialpolitische Aufgaben 2. München 1989 Katholische Stiftungsfachhochschule München (hrsg.): Gutachten zum Wert des Bürgerschaftlichen Engagements in Bayern. München 2008. http://www.ksfh.de/forschung/abgeschlossene-projekte Knaier, Doris: Die nachbarschaftlichen Hilfen in Wohnprojekten, ihre sozialpolitische Bedeutung und ihr Verhältnis zu professionellen Diensten. München 2003 Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement in Bayern (Hrsg.): Informationsbrief Engagiert in Bayern 1/2006 http://www.wir-fuer-uns.de/ Olk, Thomas: Bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit Chancen, Hindernisse und Risiken. BBE Newsletter 12/2010 4 S. http://www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2010/06/nl12_olk.pdf Putnam, Robert D.: Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. New York. 2000 Witterstätter, Kurt: Rentabilität staatlicher Anlauf-Förderung Selbstbestimmten Wohnens im Alter. Zu beziehen beim Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.v. Bundesvereinigung. 16