Fokaltherapie - eine Herausforderung für die Daseinsanalyse? Peter Müller-Locher



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Transkript:

Fokaltherapie - eine Herausforderung für die Daseinsanalyse? Peter Müller-Locher Meine These lautet, dass eine hermeneutisch verfahrende Daseinsanalyse von ihrem Grundanliegen her sich durchaus für eine fokaltherapeutische Praxis eignen müsste. In meinen Ausführungen werde ich zunächst das psychoanalytische Verständnis von Rolf Klüwers Fokaltherapie darstellen, dann daran das Kernanliegen von Alice Holzheys hermeneutischer Daseinsanalyse unterbreiten, um schliesslich meine These zu begründen. Der Psychoanalytiker Rolf Klüwer hat in den letzten dreissig Jahren die Arbeiten von Balint und Malan zur Etablierung einer analytischen Kurz- bzw. Fokaltherapie weitergeführt. In seinen Publikationen (Klüwer 1995a, 1995b) zeigt er, wie klassisches psychoanalytisches Denken sich ein rascheres Verständnis über die Konfliktstruktur eines Patienten verschaffen kann und wie mit der Orientierungshilfe einer daraus gewonnenen Fokaldeutung in begrenzter Stundenzahl eine beschränkte, aber gute therapeutische Wirkungsweise zu erlangen ist. Psychoanalytischem Denken geht es auch in einer Fokaltherapie primär um ein Verstehen, genauer um ein psychoanalytisches Verstehen. Solches Verstehen ist auch bei Klüwer allgemein gefasst als Aufdecken eines verborgenen Sinngewebes (1995b, S.7), das die üblicherweise rätselhafte Leidenssymptomatik überhaupt erst in einen verstehbaren Sinnzusammenhang zu stellen vermag; einen Sinnzusammenhang, der biographisch, d.h. als Zusammenhang von Vergangenheit, vorab frühkindlicher Vergangenheit und Gegenwart, ausgelegt wird. Konkret spricht Klüwer zwar von der analytischen Aufgabe, eine Konfliktstruktur des Patienten* verstehen zu wollen. Er relativiert dann jedoch das damit assoziierte räumliche Modell der psychoanalytischen Strukturtheorie und wendet sich vermehrt einem zeitlichen Verstehen des verborgenen Konfliktmusters des Patienten zu, indem er als Konfliktmuster eine sich wiederholende Modalität des Umgangs des Subjektes mit seinen Objekten (1995b, S.10) bezeichnet. Diese Modalität eines bestimmten Beziehungsvollzuges sollte, so Klüwer, notwendigerweise sowohl in der äusseren Realität des Patienten, in der therapeutischen Beziehung und zwar bereits in der Interviewsituation, wie auch in der kindlichen Vergangenheit des Patienten zu erkennen sein. Diese Dreiheit von äusserer Realität, Uebertragung und Vergangenheit, das,dort,,hier und,damals, übernimmt Klüwer als so geheissenes Dreieck der Einsicht von Menninger. In allen drei Lebens- und Beziehungsvollzügen muss nämlich zur Geltung gebracht werden, warum der Patient etwas Bestimmtes in einer bestimmten Art und Weise abwehrt. Diese Abwehr gliedert sich - und hier folgt Klüwer Malan - wiederum als Dreieck. Dieses Dreieck der Abwehr ist gekennzeichnet durch die drei Eckpunkte Abwehr, Angst und Abgewehrtes. Für Klüwer sind diese Dreiecksgliederungen, das Dreieck der Einsicht, das Dreieck der Abwehr weitere werden noch dazukommen von grosser Bedeutung. Mit deren Hilfe,

Abwehr und Einsicht, trifft er die Indikation für eine Fokaltherapie. Ein Patient ist seines Erachtens dann fokalisierbar, wenn die Analytikerin nach einer Abklärungsphase das Konfliktmuster des Patienten formulieren kann. Formuliert werden muss jedoch ein aktualisiertes, behandelbares fokales Muster zwingend als Dreieck der Abwehr im Rahmen des Dreiecks der Einsicht. Was heisst das nun und was ist damit impliziert? Was psychoanalytisch mittels Fokaltherapie angegangen und zu verstehen versucht wird, ist ein aktualisierter innerer Konflikt des Patienten. Der innere Konflikt ist ein infantiler, ein abgewehrter und darum unbewusster Konflikt. Seine neurotische Lösung ist durch gegenwärtige Umstände aktualisiert worden. Der Konflikt ist also alt bzw. auch tief und von einer gewissen Stabilität; aber auch aktuell in Erscheinung tretend und also lebendig. Deshalb rekurriert Klüwer besonders auch auf das szenische Verstehen von Lorenzer. Mit Hilfe einer Interviewführung in Form des szenischen Verstehens gelingt es der Analytikerin, in den meist ganz unscheinbaren Phänomenen ein Spiel von unwissentlichem Verbergen und gleichzeitigem Verraten zu erkennen und durch entsprechende Interventionen sofort mit der analytischen Arbeit zu beginnen. In diesem szenischen Verstehen ortet Klüwer ein weiteres Dreieck, das Dreieck des Handlungsdialogs. Damit bezeichnet er die Uebertragung, die Gegenübertragung und das Mitagieren. Das Mitagieren der Therapeutin, das heute als Regelfall im analytischen Prozess gilt, dient jedoch, wenn es erkannt wird, dem weiteren Aufschluss im analytischen Verstehen. Da in einer Fokaltherapie eine bedeutend geringere Menge an Einfällen zur Sprache kommen kann, muss alles ausgeschöpft werden, was erkennbar ist. Darum werden dem szenischen Verstehen und dem Erkennen des Handlungsdialogs deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Ganz besonders hilfreich ist in dieser Hinsicht für Klüwer eine die Fokaltherapie im Hintergrund reflektierende Fokalkonferenz. Sie soll insbesondere die im Handlungsdialog ersichtlichen Verwicklungen des Therapeuten besser erkennen und diagnostisch verwenden. Schliesslich kommt Klüwer in einem Aufsatz von 1992 auf eine vertiefende Zusammenschau dieser drei Dreiecke von Abwehr, Einsicht und Handlungsdialog zu sprechen. Als räumliches Gebilde gesehen stellen diese einen Tetraeder dar und bilden das psychoanalytische Verstehen gleichsam ab; ein Verstehen, das sehr wohl als hermeneutischen Prozess, ablaufend zwischen Oberfläche und Tiefe und zwischen Teil und Ganzem, begriffen werden kann. Seine Gedanken zum vierten Dreieck, das zu einem Tetraeder gehört, zum Dreieck, auf dem die Pyramide steht und welche nicht zu sehen ist, führen Klüwer zu einem eindrücklichen Appell an die Selbstrelativierung der Analytikerin. Er nennt diese Basis des ganzen psychoanalytischen Verstehens das Dreieck der Blindheit. Der Blindheit, weil wir geblendet sein könnten von der Fülle der Informationen, aber auch von der vermeintlichen Vollständigkeit der Erfassung aller Variablen, die die drei sichtbaren Dreiecke vermitteln, und weil wir immer in Gefahr sind, unser,nichtsehen zu übersehen (1995a, S.188). In der Folge spricht er sinngemäss vom technischen Denken, das die wesentlichen Aspekte des Menschlichen aus den Augen verliert, - die Unsicherheit, das Imperfekte, die Abhängigkeit, die Begrenzung -, und verweist auf unsere Neigung, in omnipotenter Beherrschung uns stattdessen in illusionärer Sicherheit über die Wahrheit hinwegzutäuschen; einer Wahrheit, die nur ertragen werden kann, wenn wir uns unserer Mangelhaftigkeit bewusst bleiben.

Damit sind wir nun geradewegs beim Menschenverständnis Martin Heideggers angelangt, das dieser uns, schon vor seiner späteren Technikkritik, in Sein und Zeit vorlegt. Alice Holzhey hat in den letzten Jahren den Versuch unternommen, die Daseinsanalytik von Sein und Zeit als Grundlage für eine hermeneutische Psychopathologie zu gewinnen (vgl. Holzhey, A. 1994 und 1997). Ihr Konzept einer entsprechend hermeneutisch verfahrenden Daseinsanalyse setzt, wie sie darlegt, erstens an der gemeinsamen anthropologischen Basis von Freud und Heidegger an, der Einsicht in die fundamentale Endlichkeit menschlicher Existenz (1994, S.111); jener Basis, an die Klüwer die Fokaltherapeuten mit seinem Dreieck der Blindheit erinnert. Zur gemeinsamen anthropologischen Basis von Freud und Heidegger kommt zweitens ein gemeinsamer methodischer Ansatz hinzu. Dieser zeigt sich in der leitenden Frage nach einem verborgenen Sein im sich zunächst Zeigenden des Seienden. Psychopathologisch angewendet heisst das, es ist nach einem verborgenen Sinn der manifest unverständlichen Leidenssymptome zu fragen (1997, S.24). Die wesentliche Gemeinsamkeit in der anthropologischen Basis und im hermeneutischen Vorgehen machen es deshalb möglich, ein psychoanalytisches Kurztherapieverfahren wie die Fokaltherapie und ein daseinsanalytisches Therapieverständnis überhaupt in einen Zusammenhang zu bringen. Ich möchte nun neben dem Modell von Klüwers psychoanalytischer Fokaltherapie, veranschaulicht in seiner Pyramide, die hermeneutische Daseinsanalyse von Alice Holzhey skizzieren, um so darzulegen, wie nebst Gemeinsamkeiten und Unterschieden derselben eine daseinsanalytische Fokaltherapie denkbar ist. Der gemeinsame methodische Ansatzes von Freud und Heidegger wird von Alice Holzhey als Suche nach einem verborgenen Sinnzusammenhang, dem das sogenannt pathologische Erleben und Verhalten zugehört, bezeichnet. Seine Entwicklung geschehe jedoch, wie sie darlegt, entlang unterschiedlicher Fragestellungen. Würden in psychoanalytischer Hinsicht die unverständlichen psychischen Symptome als Teile eines z.t. verborgenen frühkindlichen Ereignis- bzw. Erlebniszusammenhanges und damit einer genetischen Bedeutungsganzheit interpretiert, könnten in der hermeneutischen Daseinsanalyse die nämlichen auffälligen Erlebens- und Verhaltensweisen als Teile einer verdeckten Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein und damit einer ontischontologischen Bedeutungsganzheit ausgelegt werden (1997, S.9). Diese ontologische Fragestellung relativiert natürlich die genetische Fragestellung in der Weise, dass ein ontologischer Anspruch die Geschichtlichkeit des Daseins in der Konkretion der Lebensgeschichte miteinschliesst. Das hat Auswirkungen auf das Verständnis des neurotischen Konflikts. Klüwers psychoanalytischer Ansatz erkennt darin, wie gesehen, einen aktualisierten infantilen unbewussten Konflikt. Alice Holzheys daseinsanalytischer Ansatz besagt hingegen, dass in ontisch-konkreten Erfahrungen und durch sie eine Auseinandersetzung mit der ontologischen Erfahrung der Nichtigkeit des eigenen Seins stattfinde und dass diese Auseinandersetzung deshalb in der Gestalt des Leidens geschehe, weil sie Grundbedingungen des eigenen Existierens die Anerkennung verweigere und damit etwas Unmögliches intendiere (1997, S.23).

Ein genetischer, z.b. ödipaler Konflikt, wird also in den ontisch-ontologischen Urkonflikt sozusagen eingebettet. Das in einer Fokaltherapie zu entdeckende Konfliktmuster, eine sich wiederholende Modalität des Umgangs des Subjektes mit seinen Objekten, wie Klüwer schreibt, kann daseinsanalytisch durchaus als sich wiederholender, typischer Vollzug einer verdeckten, konflikthaften Auseinandersetzung des Leidenden mit seinem eigenen Sein interpretiert werden. Auf strukturtheoretische Konstruktionen kann dabei verzichtet werden. Die Einsicht, bei Klüwer dreifach verlangt in äusserer Realität, Uebertragung und infantiler Vergangenheit, in welchem Dreieck das Abwehrverhalten des Patienten zwingend nachgewiesen werden muss, wird sich daseinsanalytisch nicht in dieser zwingenden geschichtlichen Breite belegen lassen müssen. Ist doch die Herkunft des neurotischen Leidens nicht in der frühkindlichen Vergangenheit zu suchen, sondern in der sich gegenwärtig zeigenden ontisch-ontologischen Auseinandersetzung. Diese Auseinandesetzung hat natürlich auch ihre geschichtliche Dimension und ihren Werdegang. Jedoch ist die Aufklärung des Patienten über sich selbst als Ziel daseinsanalytischer Psychotherapie nicht zwingend über geschichtliche Tiefe gleichsam über den Weg zurück zu den Anfängen, sondern viel eher über ontologische Tiefe als Weg zu den Grundbedingungen des eigenen Seins zu gewinnen; mit andern Worten nicht über Einsicht in (vermeintlich) früheste Störungen, sondern über einsichtige Anerkennung der fundamentalen menschlichen Basis, der Endlichkeit menschlicher Existenz. Das Dreieck der Blindheit - von Klüwer als memento mori für die fokaltherapeutisch gerüsteten Analytikerinnen konnotiert - erhält daseinsanalytisch grundlegendere Bedeutung. Es ist, meine ich, die Veranschaulichung für den abgründigen Grund, die pure Faktizität menschlichen Seins schlechthin. In einer strittigen Auseinandersetzung mit diesem menschlichen Grund-Riss, vielmehr diesem Riss im Grund, befinden sich beide, Analytikerin und Patient. Sensibler und gleichzeitig widerspenstiger der eine, der Patient, etwas selbstverständlicher und anerkennender hoffentlich die andere, die Analytikerin. In Klüwers Bild ist an der Oberfläche der sichtbaren Seiten der Pyramide zu erkennen, welche infantilen Konflikten im Innern des Tetraeders über die Jahre sich in neurotischen Lösungsversuchen niedergeschlagen haben, bis hin zur gegenwärtigen Aktualisierung. Daseinsanalytisch müsste man dem ganzen Volumen der Pyramide - dem Ontischen - in Auseinandersetzung mit der sie fundierenden Basis - dem Ontologischen - mehr Beachtung schenken; einer Auseinandersetzung, die sich im Gegenwärtigen und am deutlichsten wohl in der therapeutischen Beziehung zeigt. Damit ist zugleich gesagt, dass dem szenischen Verstehen und dem Erkennen des sich abspielenden Handlungsdialogs auch in einer hermeneutisch vorgehenden Daseinsanalyse bedeutend mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsste; allerdings nicht so sehr, um Einsicht in infantile Konflikte zu gewinnen, sondern um Einsicht in die Auseinandersetzung des Patienten mit den Grundbedingungen menschlichen Daseins zu erlangen. Die Beachtung des Abwehrverhaltens des seelisch leidenden Menschen wird sich auch daseinsanalytisch an die Frage halten, warum der Patient etwas Bestimmtes in einer bestimmten Art und Weise abwehrt. Auch die drei Eckpunkte Abwehr, Angst und Abgewehrtes werden erkennbar sein. Inhaltlich wird jedoch das Abwehrverhalten nicht nur auf konkret ontische Konflikte und Erfahrungen bezogen bleiben, sondern das Ab-

wehrverhalten auch auf seine strittige Auseinandersetzung mit der ontologischen Basis befragt werden. Bleibt noch die Frage der spezifischen Indikation für eine Fokaltherapie. Klüwer betont, dass es zwingend sei, das Konfliktmuster in den drei Bereichen aktuelle äussere Realität, Uebertragung und infantile Vergangenheit einsehbar zu machen. Wenn dies nicht gelinge, könne es nicht das aktualisierte, behandelbare fokale Muster sein. Der Aspekt der Aktualisierung sei in der Kurztherapie deshalb von besonderem Interesse, weil, wie er schreibt, wir den Konflikt sofort behandeln, zugleich aber keine schlafenden Hunde wecken wollen (1995b S.11). In einer Kurztherapie, schreibt er andernorts, wolle er mit dem Patienten einen Schritt machen und nicht mehr, einen Schritt im inneren Prozess jedes Menschen von Geburt bis zum Tod. Und dieser Schritt sei durch die innere Bearbeitung eines Themas bestimmt, den er in der Fokaltherapie in Form eines Fokus zu fassen versuche und dem ein nächster folge (1995a, S.192). Daseinsanalytisch wird sich das Problem der Indikation weniger auf die Frage nach der Aktualisierung eines abgewehrten frühkindlichen Konfliktes richten, sondern wenn schon darüber hinaus auf die ihm zugrundeliegende ontisch-ontologische Problematik. Und weil die Fragen der condition humaine uns Menschen ein Leben lang angehen, wir einige im Verlaufe des Lebens auch unterschiedlich beantworten, denke ich, wird auch die Indikation zu einer Fokaltherapie weniger genetisch oder gar strukturtheoretisch orientiert ausfallen. Daseinsanalytisch werden wir mehr die Bereitschaft des Patienten im Auge haben, ob dieser sich vom Erfüllungsanspruch nie befriedigter und nie zu befriedigender Wünsche verabschieden will; fokalanalytisch eingegrenzt auf eine jetzt aktuelle ontologische Problematik. Und dies kann ganz bescheiden auch nur einen Schritt im inneren Prozess jedes Menschen von Geburt bis zum Tod bedeuten. Die Orientierungshilfe der von Klüwer sehr elaborierten psychoanalytischen Fokaldeutung wird auch in einer daseinsanalytisch praktizierten Fokaltherapie nötig sein. Sie muss meines Erachtens allerdings wiederum nicht so stark genetisch verankert sein, sondern unterstützt von einer ontologischen Deutung (vgl. Holzhey, A. 1988) den nächsten Schritt vorbereitend reflektieren. Ich fasse zusammen: Eine hermeneutisch verfahrende Daseinsanalyse entwickelt auf der gemeinsamen anthropologischen Basis von Freud und Heidegger und innerhalb ihres gemeinsamen methodischen Ansatzes ein gegenüber der Psychoanalyse modifiziertes Leidensverständnis. Das Leiden an einer ontologischen Problematik lässt sich auch als ontologischer Fokus in kurztherapeutischen Verfahren als Orientierungshilfe herausarbeiten. Er ergänzt den psychoanalytischen Fokus des aktualisierten frühkindlichen Konfliktes um dessen ontologische Basis bzw. bindet die aktuelle Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein weniger an eine ausschliesslich genetische Bedeutungsganzheit der menschlichen Existenz. Literatur

Holzhey-Kunz, Alice: Seinsverständnis und Psychopathologie. Die existenzialontologische Deutung. In: Riss, Zeitschrift für Psychoanalyse 3. 8/9; 1988 S.110-128 Holzhey-Kunz, Alice: Leiden am Dasein. Die Daseinsanalyse und die Aufgabe einer Hermeneutik psychopathologischer Phänomene, Passagen Verlag, Wien 1994. Holzhey-Kunz, Alice: Die Daseinsanalytik von Sein und Zeit als Grundlage einer hermeneutischen Psychopathologie. Vortrag an den Wiener Tagungen zur Phänomenologie: Siebzig Jahre Sein und Zeit, 1997. Klüwer, Rolf: Einige Betrachtungen zur psychoanalytischen Kurztherapie. In: Studien zur Fokaltherapie. Klüwer, Rolf: Studien zur Fokaltherapie, Suhrkamp TB, Frankfurt a.m. 1995a. Klüwer, Rolf: Die verschenkte Puppe: Darstellung und Kommentierung einer psychoanalytischen Fokaltherapie, Suhrkamp, Frankfurt a.m., 1995b.