Einführung in die Morphologie

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Transkript:

Polysemie Einführung in die Morphologie Derivation und Semantik In diesem Kapitel diskutieren AF die Interaktion der Semantik (Lehre von der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke) und der Morphologie, insbesondere der Derivation. Es wurde bisher nicht viel über die Bedeutung von Wörtern gesagt. Bei der Vorstellung des Kompositionalitätsprinzips wurde einfach vorausgesetzt, dass man weiß, was Wörter bedeuten. Der Teil der Linguistik, der sich mit der Bedeutung von Wörtern beschäftigt, ist die lexikalische Semantik. Typeset by FoilTEX 1 Typeset by FoilTEX 2

Polysemie 2 Polysemie 3 Es gibt Wörter, die Individuen bedeuten (auf Individuen referieren). Zum Beispiel Eigennamen (Fritz, Maria,...). Andere Wörter bedeuten Eigenschaften von Individuen. Zum Beispiel 1. Adjektive (unbezahlbar, attraktiv,...) 2. Nomen, die keine Eigennamen sind (Buch, Schwein,...) 3. intransitive Verben (schlafen, gehen,...) Von wieder anderen wird gesagt, dass sie Eigenschaften von Eigenschaften bedeuten; z.b. Artikelwörter (jeder, der,...) Man sagt, dass Wörter verschiedene semantische Typen haben. Das Hauptproblem der lexikalischen Semantik ist, dass ein und dasselbe Wort verschiedene Bedeutungen haben kann, polysemisch ist. Polysemie heißt Mehrfachbedeutung: unter ein und derselben Form werden verschiedene Bedeutungen zusammengefasst. Die verschiedenen Bedeutungen lassen sich oft etymologisch (Etymologie = Lehre der Herkunft von Wörtern) auf eine gemeinsame Quelle zurckverfolgen; die Unterschiede sind durch metaphorische Ausdehnung entstanden. Klassischerweise wird dies kontrastiert mit der Homonymie, bei der Ausdrücke gleicher Lautung unterschiedliche Bedeutungen haben, die etymologisch nicht auf diesselbe Quelle zurückgehen. Typeset by FoilTEX 3 Typeset by FoilTEX 4

Polysemie 4 Polysemie 5 Beispiel Polysemie: Pferd 1. Tier aus der Familie der Einhufer 2. Turngerät mit der einem Pferd ähnlichen Form 3. Schachfigur, die springen kann Beispiel Homonymie: Kiefer 1. ein dem Kauen dienender Knochen 2. Baum aus der Gattung der Koniferen Polysemie kann verschiedene Ausprägungen haben. (1) Massen- vs. Individueninterpretation a. Wassermelone mag ich nicht b. Hier sind drei Wassermelonen (2) Vordergrund vs. Hintergrund a. Fritz schlug das Fenster ein b. Fritz stieg durch das Fenster ein (3) Behälter vs. Inhalt a. Das Glas zerbrach in tausend Splitter b. Fritz trank das Glas in einem Zug leer (4) Gebäude vs. Institutionen a. Fritz betrat die Universität b. Die Universität führt den Bachelor ein Typeset by FoilTEX 5 Typeset by FoilTEX 6

Kontext und Sprecherfahrung Zur Bedeutung einiger Affixe Die Bedeutung eines Wortes hängt ab von 1. Weltwissen, Kontext, etc. 2. Erfahrung und Gebrauch eines Benutzers (5) a. barscheln (in der Badewanne ertrinken) b. beim Doppelkopf genschern (mitten im Spiel der Partner wechseln) Um barscheln und genschern zu verstehen, muss man die Politiker Barschel und Genscher kennen. Kinder sagen manchmal 1. Wau-Wau, um auf Tiere allgemein zu referieren (Überextension) 2. Hund, nur wenn sie auf prototypische Hunde referieren (nicht für Pekinesen; Unterextension) Affixe haben oft eine sehr spezielle lexikalisierte Bedeutung. Das Suffix -ism im Englischen bedeuted alternativ 1. doktrinistisches Prinzipiensystem (siehe (6)) 2. Eigenheit der Sprache (siehe (7)) (6) Catholicism Platonism romanticism McCarthyism Judaism Marxism realism socialism Buddhism idealism surrealism fascism (7) colloquialism spoonerism Reaganism Bushism Typeset by FoilTEX 7 Typeset by FoilTEX 8

Zur Bedeutung einiger Affixe 2 Zur Bedeutung der Nullderivation Das Suffix -ei, welches sich im Deutschen an ein Nomen N oder Verb V hängt, bedeuted alternativ 1. der Ort, an dem N arbeitet (siehe (8)) 2. der Akt, V tun (siehe (9)) (8) Bäcker Bäckerei Drucker Druckerei Sattler Sattlerei Tischler Tischlerei (9) plaudern Plauderei zittern Zitterei prügeln Prügelei quengeln Quengelei Erinnerung: Englisch hat den produktiven Prozess der Nullderivation, der aus Nomen Verben macht, ohne das Wort äußerlich zu verändern. (10) N V fool Narr shampoo Schampoo ship Schiff (11) N V to fool zum Narren halten to shampoo Schampoo benutzen to ship versenden Verben, die durch Nullderivation enstanden sind, sind oft polysem. Beispielsweise kann das Verb to sand bedeuten mit Sandpapier abschleifen oder mit Sand bedecken/bestreuen. Typeset by FoilTEX 9 Typeset by FoilTEX 10

Zur Bedeutung der Nullderivation 2 Zur Bedeutung der Nullderivation 3 Was bedeutet ein nullderiviertes V? Die Bedeutung von V muss etwas zu tun haben mit der Bedeutung von N. Aber wie genau? (12) N/V Vs Bedeutung blanket, saddle, N platzieren roof kennel, ground, etwas auf/in N legen cellar summer, holiday, die Zeit N verbringen vacation, weekend jockey, referee, N tut pilot fool, orphan zu N machen baby, widow cripple, powder ship, nail, N gebrauchen glue, shampoo Zwei Strategien: 1. Man schreibt explizite Regeln, die alle Bedeutungsaspekte ausdrücken können. 2. Man schreibt eine allgemeine Regel und lässt andere Module der Sprache ausbuchstabieren, wie sich die genaue Bedeutung ergibt. AF wählen die zweite Strategie. Danach gibt es also eine einfache Regel der Nullderivation, die aus Nomen Verben macht. Die Bedeutung des abgeleiteten Verbs soll sich dann aus der Pragmatik ergeben; genauer: aus den Konversationsmaximen von Grice (1975). Wie das genau funktioniert, bleibt das Geheimnis von AF. Typeset by FoilTEX 11 Typeset by FoilTEX 12

Zur Bedeutung der Nullderivation 4 Bedeutungsvariation anderer Derivationen Grice (1975): Menschen verhalten sich bei der Kommunikation kooperativ; dabei folgen sie vier Teilprinzipien. 1. Quantität: gib soviel Information wie nötig, aber nicht mehr. 2. Qualität: sag nur etwas, an dessen Wahrheit du glaubst. 3. Relevanz: sag nichts, was nicht zum Thema gehört. 4. Modalität: drücke dich klar und deutlich aus. To summarize the analysis we have just presented, the wide array of meanings of zero-derived verbs results from two properties. The first is that the rule by which they are formed is very simple, [...]. The second is that conversational convention dictates only that the verb have something to do with the noun. (AF 2005, 136) Bedeutungsvielfalt ist bei Nullderivationen besonders groß. Laut AF gibt es aber auch bei anderen Derivationen Variation. Beispiel: Das (komplexe?) Suffix -ousness. (13) a. His callousness suprised me Seine Dickfelligkeit überraschte mich Die Tatsache, dass er dickfellig ist, überraschte mich b. His callousness suprised me Seine Dickfelligkeit überraschte mich Der Grad, zu dem er dickfellig ist, überraschte mich c. Callousness is not a virtue Dickfelligkeit ist nicht eine Tugend Die Eigenschaft der Dickfelligkeit ist keine Tugend Typeset by FoilTEX 13 Typeset by FoilTEX 14

Fußnote zu Nullderivation mit unbekannter Basis Nullderivation V N Im Englischen auch möglich: Nullderivation V N. Nullderivationen sind meist transparent, in dem Sinne, dass man das zugrundeliegende N erkennt. Es gibt allerdings nullderivierte Verben, deren zugrundeliegendes N den meisten Sprechern nicht mehr bekannt ist. Typischerweise handelt es sich bei N in diesen Fällen um Eigennamen. Beispiele: 1. Charles C. Boycott to boycott 2. Captain William Lynch to lynch So ein N denotiert meist eine Instanz oder das Resultat der Aktivität, die von V ausgedrückt wird. (14) to hit hit das Schlagen to run run das Rennen Man kann aus einem nullderivierten N wieder durch Nullderivation ein V machen: V N V. Das regelmäßige Past in (15-a) zeigt: run in (15-a) ist aus N abgeleitet. Nicht abgeleitets run bildet die Past-Form unregelmäßig (run-ran-run). (15) a. We outrunned them Wir haben mehr Rennen gewonnen als sie b. *We outran them Typeset by FoilTEX 15 Typeset by FoilTEX 16

Zur Bedeutung von -er-suffigierung im Englischen Zur Bedeutung von -er-suffigierung im Englischen 2 Nomina, die durch das Suffix -er im Englischen gebildet werden, fallen deskriptiv in vier Klassen. 1. Personen: baker, dancer, gambler, driver 2. Tiere: pointer, retriever, warbler, trotter 3. konkrete Objekte: blotter, eraser, fertilizer, shutter 4. abstrakte Objekte: reminder, clincher, thriller, eye-opener Man kann weiter unterschweiden zwischen 1. habitueller Bedeutung 2. nicht-habitueller Bedeutung (16) a. He is a gambler b. All ticket-holders may enter Die zweite Unterscheidung ist fließend. (17) She used my sweatshirt as a blotter Diesen Bedeutungsteil sollte man also nicht fest verankern, sondern anders ableiten. Als Alternative nennen AF die Prototypentheorie. 1. Es gibt Wörter mit Kernbedeutung (Prototypen) 2. Es gibt Wörter, deren Bedeutung abweicht Kern der -er-bedeutung wäre ein agentives, habituelles N baker, gambler, etc. Andere Formen wie screw-driver oder ticket-holder sind nicht agentiv oder habituell, und damit nicht prototypisch (aber wie funktioniert das genau?). Typeset by FoilTEX 17 Typeset by FoilTEX 18

Jóola Jóola 2 KJ macht reichlich Gebrauch von Derivation und Flexion. Was in anderen Sprachen, wie z.b. Deutsch, in einem Satz ausgedrückt wird, ist in KJ oft in einem Wort enthalten. (18) u- b - n - n - rut -al - 1pl schick inc inc neg 1pl 3sg Wir haben ihn noch nicht geschickt (18) ist folgendermaßen aufgebaut: 1. Den Kern bildet die Verbwurzel -b ( schick- ). 2. Der Rest sind Affixe, die die Verbbedeutung verändern. 3. Das Subjekt wird markiert durch das Zirkumfix u-...-al, welches die 1. Person Plural ausdrückt. Fortsetzung: 4. Das Suffix - n soll Unvollständigkeit und/oder Zweifel ausdrücken (sog. Dubitiv-inkompletiv- Affix). 5. Reduplikation dieses Affixes drückt Emphase (Betonung) aus. 6. Das Suffix - rut drückt noch nicht aus. 7. Das Objekt wird durch den Marker - realisiert. Mit Ausnahme des Subjektmarkers, der ein Zirkumfix ist, wird jedes (jedes?) der Merkmale durch genau ein Morphem ausgedrückt. Erinnerung: Eine solche Morphologie nennt man agglutinierend. Typeset by FoilTEX 19 Typeset by FoilTEX 20

Jóola 3 Jóola 4 Die Reihenfolge unter Affixen ist in KJ recht rigide (wie auch in anderen Sprachen; hier zeigt sich ein wichtiger Unterschied zur Syntax!). Man kann die Verteilung der Affixe durch eine sogenannte Schablone darstellen, die anzeigt, welcher Typ von Affix an welcher Position relativ zum Verb (und zu anderen Affixen) steht. (19) 2-1- 0-1 -2-3 Res. Subj.StammAsp. Obj. Sub. Neg. Res. Rel. Modus Pass. Redup. Neg. Imp. Past Sub. Past Sub.Emph. Neg Direkt. Subj. Suffixe in Position 1 sind Morpheme, die 1. Aspekt und Modus markieren 2. Negation markieren 3. Direktionalität markieren 4. Subordination + Past markieren (zweiter Teil des Zirkumfixes) 5. Person/Numerus des Subjekts markieren (zweiter Teil des Zirkumfixes) Suffixe in Position 2 sind Morpheme, die 1. Passiv markieren 2. Person und Numerus von Objekten markieren 3. Emphase markieren Suffixe in Position 3 sind Morpheme, die 1. redupliziert wurden 2. Subordination markieren Typeset by FoilTEX 21 Typeset by FoilTEX 22

Jóola 5 Jóola 6 Präfixe in Position 1 sind Morpheme, die 1. Person/Numerus des Subjekts markieren (erster Teil des Zirkumfixes) 2. Relativpronomen ausdrücken Präfixe in Position 2 sind Morpheme, die 1. Resulative markieren 2. negierte Resultative markieren 3. negierte Imperative markieren 4. Subordination + Past markieren (erster Teil des Zirkumfixes) Erinnerung: 1. Monomorphemische Wörter nennt man Wurzeln (siehe (20)) 2. Wurzeln, die durch Affixe erweitert wurden nennt man Stämme 3. Stämme können ebenfalls durch weitere Affixe erweitert werden (und werden wieder zu Stämmen). (20) -t y- rennen -juk- sehen -manj- wissen -c fragen Typeset by FoilTEX 23 Typeset by FoilTEX 24

Jóola 7 Jóola 8 Die folgenden Wörter sind Wurzeln, die durch Derivationsaffixe zu Stämmen erweitert wurden. Beobachtung: (21) a. - n kausativ -lint- rumpeln -lint-en- rumpeln verursachen b. - reflexiv -bu - jmd. die Haare flechten -bu - - sich die Haare flechten c. - r stark reflexiv -buj- töten -buj- r - sich selbst töten d. - r reziprok -jim- vergessen -jim- r- einander vergessen e. -um direktiv -rib n- folgen -riben-um- folgen anhand 1. Wurzel -buj- ( töten ) mit Reflexivaffix - bedeutet anderes als mit starkem Reflexivaffix (- r ). 2. Dies hängt allerdings vom Verb ab (vgl. (23)). (22) -buj- r -buj- sich selbst töten verwundet sein (23) a. ni- p s - p s i- ban 1sg wasch refl redup 1sg beend Ich bin fertig damit, mich zu waschen b. ni- p s - r p s i- ban 1sg wasch refl redup 1sg beend Ich bin fertig damit, mich selbst zu waschen Schlussfolgerung: Die Bedeutung ist oft nicht vollständig kompositional, sondern lexikalisiert. Typeset by FoilTEX 25 Typeset by FoilTEX 26

Jóola 9 Jóola 10 KJ unterscheidet Stämme, die durch Derivationsaffixe erweitert wurden, von Stämmen, die durch Flexionsaffixe erweitert wurden. KJ behandelt Wurzeln und Stämme, die durch Anhängen von Derivationsaffixen entstanden sind, (oft) als wären sie dasselbe. Man sagt, Wurzeln und Stämme, die durch Derivation entstanden sind, bilden eine natürliche Klasse. Einfache Art dies auszudrücken: Wurzeln zählen zu den Stämmen (sind Teilkategorie der Stämme). Evidenz: 1. Wurzeln und derivative Stämme können beide als Imperative verwandt werden (siehe (24)). 2. Wurzeln und derivative Stämme können beide Reduplikation unterlaufen (siehe (25)). (24) pur b pur-um b Geh da raus! Geh diesen Weg raus! (25) a. na- b b l e- li w- ey 3sg brat redup Kl.3 Fleisch def3 Er hat das Fleisch gebraten b. na- b l - b l 3sg brat refl redup Er hat sich verbrannt Typeset by FoilTEX 27 Typeset by FoilTEX 28

Jóola 11 Aufgaben 5.1 Fortsetzung Evidenz: 3. Wurzeln und derivative Stämme können beide als nominale Stämme dienen. (siehe (26)). (26) a. - j j Kl.3 sammel sammeln b. ka- j j- n Kl.7 sammel kausativ zum versammeln bringen c. fu- j j Kl.5 sammel Versammlung d. ka- j j - n -a Kl.7 sammel kausativ agentiv jmd., der Leute zusammenbringt Die folgenden Nomen im Englischen haben keine Pluralform (oder einen Plural mit ganz bestimmter Bedeutung). Schlagen Sie vor, was die Gemeinsamkeit dieser Nomen ist, die diesem Verhalten zugrunde liegen könnte. (27) a. water b. fish c. rice d. air e. courage f. heat g. humidity Typeset by FoilTEX 29 Typeset by FoilTEX 30

Aufgaben 5.2 Aufgaben 5.3 Hebräisch hat eine Wurzel- und Mustermorphologie. 1. Schreiben Sie die Muster der folgenden Adjektive auf ( C für einen Konsonanten, der Vokal kann direkt wiedergegeben werden). 2. Gibt es ein semantisches Muster, das das morphologische Muster widerspiegelt? Wenn ja, welches? 3. Gibt es Ausnahmen? Wie könnte man sie erklären? (28) ka eh kaxol rax adom nakiy maluax ga um varod yarok texelet hart blau weich rot sauber salzig regnerisch rosa grün hellblau Ordnen Sie die folgenden Wörter in zwei Gruppen, in Abhängigkeit von der Bedeutung des Suffixes -ful. Beschreiben Sie die beiden Bedeutungen von -ful. (29) careful deceitful prayerful handful sorrowful earful mouthful playful bagful Typeset by FoilTEX 31 Typeset by FoilTEX 32

Aufgaben 5.4 Aufgaben 5.5 Wir haben gesehen, dass Reflexivaffixe in KJ eine recht idiosynkratische (nicht vorhersagbare, nicht kompositionale) Bedeutung haben. Kennen Sie andere Fälle (in anderen Sprachen, vielleicht sogar Deutsch) wo ein reflexiv markiertes Verb eine andere Bedeutung hat, als üblicherweise andere reflexiv markierte Verben (die Markierung muss nicht morphologisch sein)? Die Affixe in KJ, die Kausativität, Reflexivität und Reziprozität ausdrücken, wurden von AF als Derviationsaffixe eingeordnet. Was spricht dafür, dass dies korrekt ist, und dass es sich nicht um Flexionsaffixe handelt? Typeset by FoilTEX 33 Typeset by FoilTEX 34

Aufgaben 5.6 Literatur Vergleichen Sie das folgende Paradigma aus dem KJ mit den deutschen Übersetzungen. 1. Welche Eigenschaften unterscheiden KJ und Deutsch (falls Sie mit dem Deutschen nicht vertraut sind, wählen Sie eine andere Sprache)? 2. Ignorieren Sie, dass die beiden Sprachen offensichtlich verschieden lautende Morpheme haben. 3. Machen Sie bei der Beantwortung der Fragen von den Fachbegriffen Gebrauch, die eingeführt wurden, wenn möglich. Grice, H. P. (1975): Logic and Conversation. In: P.Cole & J. L.Morgan, eds, Speech Acts. Vol. 3 of Syntax and Semantics, Academic Press, New York, pp. 41 58. (30) -s k a-s k ku-s k ji-s k mu-s k ba-s k fu-s k i-s k Frau Frau Frauen kleine Frau kleine Frauen viele kleine Frauen große Frau große Frauen Typeset by FoilTEX 35 Typeset by FoilTEX 36