BRANDSCHUTZTECHNISCHE BEWERTUNG VON DACHTRAGWERKEN IN VERSAMMLUNGSSTÄTTEN UNTER ANWENDUNG VON FELDMODELLEN UND RÄUMLICHEN STABWERKEN

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Transkript:

BRANDSCHUTZTECHNISCHE BEWERTUNG VON DACHTRAGWERKEN IN VERSAMMLUNGSSTÄTTEN UNTER ANWENDUNG VON FELDMODELLEN UND RÄUMLICHEN STABWERKEN Börger, Kristian, BFT Cognos Aachen EINLEITUNG Die Nutzung von Turnhallen, Aulen, Mensen und vergleichbaren schulischen Veranstaltungsräumen als Versammlungsstätte geht einher mit erhöhten Anforderungen an die Feuerwiderstandsfähigkeit von tragenden und aussteifenden Bauteilen. Nach 4 MVStättVO [1] müssen Tragwerke von Dächern, die den oberen Abschluss solcher Versammlungsstätten bilden, mindestens feuerhemmend (R 30) ausgebildet werden. Um die in der Regel großen Spannweiten von Dachkonstruktionen in Versammlungsstätten freitragend zu überbrücken, wurden in der Vergangenheit häufig gewichtsoptimierte Fachwerkkonstruktionen in Stahlbauweise ausgebildet. Da der Nachweis der Feuerwiderstandsklasse nach deskriptiven Vorgaben für ungeschützte Stahltragwerke jedoch nicht möglich ist, muss die Standsicherheit im Brandfall entsprechend den baurechtlichen Anforderungen individuell überprüft werden. Als Alternative zu einer kostenintensiven Ertüchtigung durch das Aufbringen von Brandschutzanstrichen oder -bekleidungen und den damit einhergehenden Schwierigkeiten in Hinblick auf eine zulassungskonforme Ausführung werden heute die Nachweise mit Ingenieurmethoden des Brandschutzes auf Basis der Eurocodes als Lösungsansatz herangezogen. Durch standardisierte Rechenverfahren kann auf der Basis nutzungsspezifischer Einflussgrößen sowie geometrischer Randbedingungen ein sicherheitsorientiertes Brandszenario abgebildet und eine thermische Beanspruchung der freiliegenden Stahlbauteile berechnet werden. Anhand einer anschließenden thermischen und mechanischen Analyse des statischen Rechenmodells lassen sich daraufhin die im Brandfall zu erwartenden Verformungen sowie die voraussichtliche Feuerwiderstandsklasse ermitteln und daraus ggf. erforderliche Maßnahmen ableiten. Der Vortrag verdeutlicht, wie durch individuelle, entsprechend der Raumgeometrie und der Nutzung als Versammlungsstätte entwickelte Feldmodelle die thermischen Auswirkungen eines Brandes auf das Dachtragwerk ermittelt werden können. Die Untersuchung der Auswirkungen von variierenden Eingangsparametern erfolgt dabei für unterschiedliche Brandverläufe. 1

BRANDSZENARIEN FÜR VERSAMMLUNGSSTÄTTEN Vorgehensweise Anhand von zwei Praxisbeispielen (im Folgenden als Brandraum A und Brandraum B bezeichnet) soll anschaulich dargelegt werden, wie die Feuerwiderstandsfähigkeit von Dachtragwerken in Versammlungsstätten unter Anwendung von Naturbrandmodellen bewertet werden kann. Die dafür erforderlichen Berechnungen lassen sich grundsätzlich in drei Arbeitsschritte unterteilen: Berechnung der Wärmefreisetzungskurve nach DIN EN 1991-1-2/NA [4] unter Berücksichtigung des semi-probabilistischen Sicherheitskonzeptes Berechnung der für den Standsicherheitsnachweis im Brandfall maßgebenden Heißgastemperaturen unter Anwendung von Zonen- bzw. Feldmodellen Standsicherheitsnachweis im Brandfall gemäß DIN EN 1993-1-2 [6] Mit Ausnahme der von der Raumgeometrie abhängigen Einflussgrößen kann aufgrund der vergleichbaren Nutzung und der brandschutztechnischen Infrastruktur für die beiden betrachteten Objekte ein identisches Sicherheitskonzept gemäß DIN EN 1991-1-2/NA [4] zu Grunde gelegt werden. Basierend auf den daraus resultierenden Wärmefreisetzungskurven werden unter Anwendung des Fire Dynamics Simulators (FDS 6) die tatsächliche Raumgeometrie der beiden Brandräume detailgetreu abgebildet und die jeweils bemessungsrelevanten Temperaturen der Brandgase ermittelt. Für den Brandraum A wird darüber hinaus aufgrund der großen Fensterflächen und den damit verbundenen komplexen Ventilationsbedingungen anhand einer Parameterstudie das maßgebende Brandszenario ermittelt. Die brandschutztechnische Bemessung auf Basis der zuvor berechneten Heißgastemperaturen erfolgt anschließend exemplarisch für einen Fachwerkträger des Brandraumes B. Sicherheitskonzept Im Rahmen des semi-probabilistischen Sicherheitskonzeptes der Eurocodes sind Grenzzustände für die Tragfähigkeit und die Gebrauchstauglichkeit von Tragwerken definiert. Die Größen der Einwirkungen und Widerstände unterliegen dabei jeweils einer statistischen Verteilung, was die separierte Betrachtung sowie die Beaufschlagung mit individuellen Teilsicherheitsbeiwerten rechtfertigt. Die verbleibende Schnittmenge der beiden Verteilungen stellt schließlich das verbleibende Risiko bzw. die akzeptierte Wahrscheinlichkeit eines Tragwerksversagens dar (im Bauwesen gilt: p~10-6 ). Die Größenordnung der jeweiligen Teilsicherheitsbeiwerte orientiert sich dabei in erster Linie an der statistischen Streuung der Einflussgrößen bzw. den jeweiligen Auftretens- oder Ausfallwahrscheinlichkeiten. Die charakteristischen Werte der mechanischen Einwirkungen in der außergewöhnlichen Bemessungssituation (Brandfall) sowie 2

die Bauteilwiderstände unterliegen in der Regel einer äußerst geringen Streuung, was sich auch in den entsprechenden Teilsicherheitsbeiwerten widerspiegelt ( = = =1,0). Das Ausmaß und die Auswirkungen eines Schadenfeuers sind demgegenüber weitaus schwieriger abzuschätzen. Die für die Bestimmung der Feuerwiderstandsfähigkeit eines Tragwerkes bemessungsrelevanten Heißgastemperaturen im Brandraum können im Zuge einer Brandsimulation berechnet werden. Durch die Anwendung des Naturbrandmodells nach DIN EN 1991-1-2/NA [4] kann in Abhängigkeit von der Nutzung und den geometrischen Gegebenheiten ein zeitbezogener Verlauf der Wärmefreisetzung definiert werden, der die Grundlage für eine darauffolgende Brandsimulation darstellt. Über das Sicherheitskonzept des nationalen Anhangs fließt darüber hinaus die brandschutztechnische Infrastruktur (anlagentechnischer Brandschutz, abwehrender Brandschutz) in die Berechnung mit ein. Das erforderliche Sicherheitsniveau wird seitens des Bemessungsbrandes über Teilsicherheitsbeiwerte für die Brandlastdichte, und die Wärmefreisetzungsrate, gebildet. Die beiden im Folgenden betrachteten Raumgeometrien werden entsprechend ihrer Nutzung als (schulische) Veranstaltungsräume mit erhöhtem Personenaufkommen als Versammlungsstätten im Sinne des 1 MVStättVO [1] bewertet. Unter Ansatz einer mittleren Schadensfolge ergibt sich nach den Richtwerten des nationalen Anhangs der DIN EN 1991-1-2 [3] eine zulässige Versagenswahrscheinlichkeit von Bauteilen von pf = 1,3*10-6. Die Auftretenswahrscheinlichkeit von mindestens einem Schadenfeuer innerhalb des betrachteten Nutzungsbereiches kann wie folgt ermittelt werden: p fi = p (1) 1 p2 p3 Dabei gilt: p 1 die jährliche Auftretenswahrscheinlichkeit eines Entstehungsbrandes in der Nutzungseinheit [a -1 ] p 2 die Ausfallwahrscheinlichkeit der manuellen Brandbekämpfung [-] p 3 die Ausfallwahrscheinlichkeit der Brandbekämpfung durch eine automatische Löschanlage im Anforderungsfall [-] In Tabelle 1 sind die gewählten Parameter und die sich daraus ergebenden Sicherheitsfaktoren zusammenfassend dargestellt. 3

Tabelle 1 Parameter und Sicherheitsfaktoren nach DIN EN 1991-1-2/NA Parameter Brandraum A Brandraum B p 1 8,02*10-3 6,01*10-3 p 2 0,1 (öffentliche Feuerwehr, Vornahmezeit < 15 min ) p 3 1 (keine Löschanlage) p, = p p 1,58*10-3 2,13*10-3 f fi f fi, 1,17 1,15, 1,12 1,10 Wärmefreisetzungsrate nach Naturbrandmodell Als Eingangsgröße für eine Brandsimulationsberechnung mit einem Zonen- bzw. Feldmodell wird der Verlauf der Wärmefreisetzung für die beiden Brandräume jeweils auf Grundlage des Anhangs BB der DIN EN 1991-1-2/NA [4] bestimmt. Das darin beschriebene Naturbrandmodell unterstellt eine radiale Brandausbreitung von einer Zündquelle in Raummitte aus und bildet bei einer flächenmäßig annähernd konstanten Verteilung der Brandlast zugleich den ungünstigsten Fall ab. Unter Annahme einer schnellen Brandausbreitung (tα = 200 s für Versammlungsstätten) wird der charakteristische Wert der Wärmefreisetzungsrate zum Zeitpunkt t innerhalb der Brandentstehungsphase wie folgt beschrieben. Q& = t t (2) k 2 ( / α ) Die Annahme einer schnellen Brandausbreitung stellt für die betrachteten Räumlichkeiten aufgrund der offenen Bauweise sowie der nicht vorhandenen baulichen Unterteilungen einen sinnvollen und zugleich konservativen Ansatz dar. Die Brandausbreitungsphase geht schließlich in die Vollbrandphase über, sobald der Bemessungsbrand die vollständige potentielle Brandfläche einnimmt und somit die gesamte Oberfläche der Brandlasten am Brandgeschehen beteiligt ist. Sowohl die Dauer der Vollbrandphase als auch die maximale Wärmefreisetzungsrate werden dabei durch die Ventilationsbedingungen des Brandraumes bestimmt. Der Plateauwert der Wärmefreisetzungsrate ist 4

demnach der kleinere der beiden Werte des brandlastgesteuerten (Q max,f,k) bzw. des ventilationsgesteuerten (Q max,v,k) Brandes. Q & max, k = min{ Q& max, f, k ; Q& max, v, k } (3) Sobald insgesamt 70 % der im Brandraum vorhandenen Brandlast verbrannt ist, beginnt die Abklingphase und die Wärmefreisetzung nimmt unter der vereinfachten Annahme eines linearen Verlaufes auf Null ab. Brandraum A Der Brandraum A beschreibt die Mehrzweckhalle eines Gymnasiums, die typischerweise als Turnhalle und Veranstaltungsort für Theateraufführungen im Rahmen des Schulalltages genutzt wird. Der Raum ist als eigener Nutzungsbereich brandschutztechnisch zu den umliegenden Räumlichkeiten abgeschottet, wobei die Umfassungswände an zwei Seiten gleichsam die Außenwände des Gebäudes darstellen. Die quadratische Szenenfläche (ca. 200 m 2 ) wird an zwei Seiten von einer Empore (ca. 160 m 2 ) eingefasst, die auf einer Höhe von ca. 2,30 m darüber angeordnet ist. Die gesamte Raumhöhe beträgt im Lichten ca. 7,50 m. Die Empore ist von den Außenwänden hin zu der Szenenfläche abgetreppt und steht somit als Tribüne für Zuschauer zur Verfügung. Beginnend auf der Höhe der Empore sind in den Außenwänden umlaufende Fensterflächen mit einer Höhe von ca. 2,80 m vorhanden, von denen Teilbereiche als manuell öffenbare Rauchabzugsflächen ausgebildet sind. Im Bereich der Szenenfläche sind mehrere Türen gegenüber dem angrenzenden Schulgebäude sowie unmittelbar ins Freie angeordnet. Das Bild 1 zeigt einen schematischen Grundriss des Mehrzweckraumes. Die Bereiche der Fensterflächen sind zusätzlich grün markiert. Bild 1 Grundriss Mehrzweckhalle 5

Die Trapezblecheindeckung, die den oberen Raumabschluss der Halle bildet, liegt auf einem räumlichen Kugelknoten-Fachwerk auf, das freitragend über die gesamte Fläche gespannt ist und auf den Stahlbeton-Außenwänden aufliegt. Als maßgebendes Brandszenario wird auf der sicheren Seite liegend ein Vollbrand untersucht, bei dem unabhängig von der Lage der Zündquelle sämtliche Brandlasten im Szenenbereich und auf der Empore mit in das Brandgeschehen einbezogen werden, so dass die Brandfläche Af mit Ausnahme des Treppenraumes der horizontal projizierten Grundfläche des Raumes entspricht. Nutzungsbedingt wird für das 90 %-Quantil der Brandlastdichte qf,k = 417 MJ/m 2 gewählt, so dass sich der Bemessungswert der Brandlast unter Ansatz einer Verbrennungseffektivität nach DIN EN 1991-1-2/NA [4] von χ = 0,7 wie folgt berechnet: Q f, d = Af χ γ fi, q q f, k = 346 0,7 1,17 417 = 118. 166MJ (4) In Anlehnung an die Empfehlungen des vfdb-leitfadens [8] wird aufgrund der fest montierten Holzbestuhlung für den Wert der maximalen flächenbezogenen Wärmefreisetzungsrate RHRf = 250 kw/m 2 (Versammlungsstätten ohne gepolsterte Sitze) gewählt, so dass sich der charakteristische Wert der maximalen Wärmefreisetzungsrate für einen brandlastgesteuerten Brand in der Vollbrandbrandphase wie folgt ergibt: Q & A γ RHR = 346 1,12 0,25 96, MW (5) max, f, d = f fi Q f = 8, & Bedingt durch die im Falle eines Brandereignisses auftretenden Temperaturen kann davon ausgegangen werden, dass große Teile der vorhandenen Fensterflächen zerstört werden und infolge dessen als Ventilations- sowie als Wärmeabzugsflächen zur Verfügung stehen. Im Zuge einer Parameterstudie wird der zeitliche Verlauf der Wärmefreisetzung durch die Variation der Ventilationsflächen für die daraus resultierenden Brandverläufe berechnet. Durch eine anschließende Brandsimulationsberechnung mit einem Zwei-Zonen-Modell (CFAST) kann unter Berücksichtigung der zuvor ermittelten Wärmefreisetzungskurven das maßgebende Brandszenario bestimmt werden. Als Öffnungsflächen (Ventilationsflächen + Wärmeabzugsflächen) werden für das Zonenmodell dabei ausschließlich die bei der Berechnung der ventilationsgesteuerten Wärmefreisetzung berücksichtigten Flächen angesetzt. Dieser Ansatz stellt eine worst case -Betrachtung innerhalb der zuvor definierten Randbedingungen dar, da somit in keinem Fall mehr Wärmeabzugsflächen als die zum Erreichen der maximal möglichen Wärmefreisetzungsrate erforderlichen Ventilationsflächen zur Verfügung stehen. Vereinfacht werden sämtliche Öffnungsflächen von Beginn an und über den gesamten Brandverlauf hinweg als offen angesetzt. Bei der Berechnung der Wärmefreisetzung werden die Ventilationsöffnungen in einem Spektrum von 20 m 2 bis zu 47 m 2 variiert. Der untere Grenzwert entspricht dabei der Fläche sämtlicher geöffneter Türen im Bereich der Szenenfläche, die im Brandfall als 6

Angriffsweg für die Feuerwehr dienen und der Fläche der bauordnungsrechtlich geforderten Rauch- und Wärmeabzugsflächen. Ab einer Ventilationsfläche von ca. 47 m 2 geht der ventilationsgesteuerte in einen brandlastgesteuerten Brand über, so dass darüber hinausgehende Öffnungsflächen lediglich dem Wärmeabzug dienen. In Bild 2 ist der zeitliche Verlauf der Wärmefreisetzungsrate für die untersuchten Brandverläufe dargestellt. Bild 2 Wärmefreisetzung für variierende Ventilationsflächen Der zeitliche Temperaturverlauf in der oberen Heißgasschicht steht in direkter Analogie zu der jeweils vorgegebenen Wärmefreisetzung und validiert den Ansatz des brandlastgesteuerten Brandes als maßgebendes Brandszenario (vgl. Bild 3). Es wird deutlich, dass der Einfluss der Öffnungsflächen auf die Größe der maximalen Heißgastemperatur als Ventilationsfläche deutlich größer ist als der als Wärmeabzugsfläche. 7

Bild 3 Heißgastemperatur CFAST Unter Ansatz des zuvor validierten Brandszenarios werden die für die Bemessung des Dachtragwerks im Brandfall bemessungsrelevanten Temperaturen mit dem Feldmodell FDS (Version 6) berechnet. Bei der Modellierung des Brandraumes gelten folgende Randbedingungen: Die Brandfläche entspricht der gesamten Grundfläche des Brandraumes. Die Umfassungsbauteile werden gemäß den tatsächlichen geometrischen Gegebenheiten sowie den thermischen Baustoffeigenschaften (Dichte, Wärmeleitfähigkeit, spezifische Wärmekapazität) entsprechend berücksichtigt. Als Ventilations- und Wärmeabzugsflächen werden maximal die zum Erreichen des brandlastgesteuerten Brandverlaufes erforderlichen Öffnungsflächen angesetzt. Die Türen im Bereich der Szenenfläche sind über den gesamten Zeitraum des Brandverlaufes hinweg offen (Angriffsweg für die Feuerwehr). Ein Öffnen der Rauchabzugsflächen erfolgt 2 Minuten nach Beginn des Berechnungszeitraumes. Die Zerstörung der Fensterflächen erfolgt bei 350 C über Temperatur-Messpunkte (Devices) vor den Fenstern. Die 8

angesetzten Öffnungen sind gleichmäßig im Bereich der tatsächlichen Fensterflächen verteilt. Das Berechnungsgebiet wird durch ein regelmäßiges Gitter mit einer Netzweite von 25 cm Kantenlänge unterteilt. Bild 4 Modellierung des Brandraumes in FDS Bedingt durch die detaillierte Modellierung der Brandraumgeometrie und der Lage der Ventilationsöffnungen werden die Strömungsbedingungen wirklichkeitsnah erfasst, so dass die Rauchgastemperaturen im Brandraum mit hoher räumlicher Genauigkeit berechnet werden können. Zu Beginn des Betrachtungszeitraumes stellt sich aufgrund der gleichmäßigen Verteilung der Brandfläche eine nahezu homogene Temperaturverteilung innerhalb der Brandgase im oberen Raumbereich ein. Im Bereich der Szenenfläche sind die Temperaturen - bedingt durch die nachströmende, kältere Außenluft - deutlich niedriger. Eine eindeutige Trennung zwischen einer oberen Heißgasschicht und einer unteren Kaltgasschicht stellt sich infolge der nicht vorhandenen lokal begrenzten Rauchgassäule in der Brandausbreitungsphase zunächst nicht ein. Diese Tatsache entspricht nicht der Realität, ist jedoch zu vernachlässigen, da für die anschließende Bauteilbemessung in erster Linie die Temperaturen in der Vollbrandphase bemessungsrelevant sind. Zwischen der 9. und der 11. Minute nach Beginn des Betrachtungszeitraumes werden sämtliche Fensterflächen im Bereich der Empore temperaturbedingt (Annahme 350 C) zerstört. Aufgrund der geänderten Strömungsverhältnisse treten nun im Abströmbereich unmittelbar vor den Fensteröffnungen die maximalen Heißgastemperaturen auf. Die für die Tragwerksbemessung relevanten Temperaturen im Deckenbereich treten ebenfalls oberhalb der Empore auf und sind geringfügig niedriger. Das Bild 5 zeigt den zeitlichen Verlauf der Heißgastemperatur für einen maßgebenden Punkt, der stellvertretend für die Bewertung des gesamten Tragwerks herangezogen werden kann. FDS generiert aufgrund der stark 9

turbulenten Strömung eine fluktuierende Temperaturkurve, die zur weiteren Verwendung geglättet wird. Bild 5 Heißgastemperatur über die Zeit (Brandraum A) Brandraum B Die im Folgenden betrachtete Aula einer Gesamtschule wird sowohl für schulische Veranstaltungen als auch für außerschulische Festivitäten genutzt. Die Aula mit den Abmessungen von 32,4 m x 22 m unterteilt sich in einen Zuschauerbereich und eine Bühne, die unterhalb der Decke durch ein 4 m tiefes Wandstück voneinander getrennt sind. Die Bühne weist Abmessungen von ca. 8,50 m x 22 m auf und ist - mit Ausnahme der Öffnung - durch eine Stahlbetonwand zum Zuschauerraum abgetrennt. Den oberen Abschluss bildet in diesem Bereich eine Stahlbetondecke. Im Dach befinden sich beidseitig der Trennwand zwischen Bühne und Zuschauerbereich Rauch- und Wärmeabzugsöffnungen mit einer Fläche von jeweils ca. 8,5 m². Darüber hinaus sind im Zuschauerbereich vier Türen (3 x 2 m Breite, 1 x 1,8 m Breite) vorhanden, die Öffnungen gegenüber einem eckübergreifenden Foyer bzw. dem Außenbereich darstellen. Die Umfassungswände sind als Massivwände mit einer hölzernen Vorsatzschale im Bestand vorhanden, die Decke besteht aus Leichtbetonplatten. Die Tragkonstruktion der Decke wird im Zuschauerbereich 10

(einschließlich Bewegungsflächen) durch regelmäßig angeordnete Stahl- Fachwerkträger gebildet, die aus HEA-Stahlprofilen (Ober- und Untergurt) sowie 2L-Profilen (Druck- und Zugstäbe) bestehen. Das Bild 6 zeigt einen Grundriss der Aula. Bild 6 Grundriss Aula Aufgrund der großflächigen räumlichen Trennung zwischen dem Zuschauerbereich und der Bühne durch brandlastarme Bewegungsflächen ist ein Brandüberschlag zwischen den beiden Bereichen nicht zu erwarten. Ein zeitgleiches Brandereignis auf der Bühne und im Zuschauerbereich stellt ein höchst unwahrscheinliches Ereignis dar und ist somit ebenfalls nicht anzusetzen. Bei einem Brand auf der Bühne wird durch die Umfassungswände und den Sturz im Deckenbereich eine unmittelbare Ausbreitung heißer Rauchgase im Deckenbereich verhindert, so dass eine signifikante Temperaturbeanspruchung des Stahltragwerks oberhalb des Zuschauerbereiches nicht zu erwarten ist. Da im Bestand eine automatische und funktionstüchtige Löschanlage im Bereich der Bühne für den Vorhang vorhanden ist, kann ein Brand auf der Bühne zudem als nicht bemessungsrelevant angesehen werden. Als maßgebendes Brandszenario wird somit im Folgenden ein Brandereignis im Zuschauerraum betrachtet. Bei der Brandfläche wird eine maximale Bestuhlungsfläche (Stühle mit Tischen) von ca. 170 m² berücksichtigt. Um die Brandlasten der hölzernen Vorsatzschale zu berücksichtigen, wird die Brandfläche um ca. 50 % auf 250 m² erhöht. 11

Zur Ermittlung der Brandlast wird anhand der Vorgaben des nationalen Anhangs zur DIN EN 1991-1-2/NA [4] eine Bemessungsbrandlastdichte von qf,k = 417 MJ/m 2 gewählt, so dass sich der Bemessungswert der Brandlast wie folgt berechnet: Q f, d = Af χ γ fi, q q f, k = 250 0,7 1,15 417 = 83. 921MJ (6) Die Energiefreisetzungsrate wird entsprechend DIN EN 1991-1-2/NA für die Nutzung als Versammlungsstätte mit RHRf = 0,5 MW/m² angesetzt. Aufgrund der geringen Öffnungsfläche erreicht die Wärmefreisetzung nicht den maximal möglichen, sondern lediglich den nach Eurocode bestimmten Wert für ventilationsgesteuerte Brände: Q& max, v, d = 0 u W W = 7 fi, Q& Dabei gilt:,1 χ H A h γ = 0,1 0,7 17,3 33 2,1 1,10 63, MW (7) H U A W die Netto-Verbrennungswärme der maßgebenden Brandlast; im Hochbau gilt in der Regel: 17,3 MJ/kg die Fläche der Ventilationsöffnungen [m²] h W die gemittelte lichte Höhe der Ventilationsöffnungen [m] χ die Verbrennungsaktivität; im Hochbau typischerweise pauschal angenommen zu: 0,7 Es ergibt sich für den Brandverlauf die in Bild 7 dargestellte Wärmfreisetzungskurve. 12

Bild 7 Wärmefreisetzung für unterventilierten Brand Die vorhandenen Öffnungsflächen werden dabei auf der sicheren Seite liegend als konstant geöffnet angesetzt, so dass von Beginn an die maximal mögliche Sauerstoffzufuhr für die Verbrennungsreaktion zur Verfügung steht. Vereinfachend wird auch die RWA-Öffnung in der Dachebene von Beginn an als offen angesetzt. Fensterflächen, die aufgrund thermischer Einwirkung zerstört werden können, sind nicht vorhanden. Die Modellierung der Brandraumgeometrie erfolgt analog zu den Annahmen des Brandraumes A. Unter Ansatz der zuvor errechneten Wärmefreisetzungskurve wird mit FDS der für die brandschutztechnische Bemessung des ungeschützten Stahltragwerks relevante Temperaturverlauf im Brandraum bestimmt. Das Bild 8 zeigt exemplarisch die Temperaturverteilung im Brandraum zum Zeitpunkt von 30 Minuten nach Brandbeginn (Längsschnitt) mit Temperaturen im Wesentlichen zwischen 300 C und 620 C. 13

620 C 500 C 380 C 260 C 140 C 20 C Bild 8 Temperaturverteilung im Brandraum nach 30 Minuten Wie der Darstellung zu entnehmen ist, treten im Bereich der Decke links oberhalb der Brandfläche die höchsten Temperaturen auf. Das Bild 9 zeigt die von FDS berechnete Temperaturzeitkurve für den Punkt mit der höchsten thermischen Belastung im Bereich der Deckenebene. Die stark oszillierende Kurve wird geglättet und somit für die thermische Bemessung des Tragwerkes aufbereitet. Bild 9 Heißgastemperatur über die Zeit (Brandraum B) 14

BRANDSCHUTZTECHNISCHE BEMESSUNG DES TRAGWERKES Allgemeines Die brandschutztechnische Bemessung, bestehend aus der thermischen Analyse der Bauteilquerschnitte sowie der mechanischen Analyse des Tragwerks, erfolgt im Folgenden exemplarisch für die Dachkonstruktion des Brandraumes B. Thermische Analyse Die Berechnung der Bauteiltemperatur erfolgt durch die Abbildung der einzelnen Bauteilquerschnitte als thermische Querschnitte mit der Hilfe des Brandschutzmoduls der Bemessungssoftware InfoCAD. Das über die Querschnittsgeometrie automatisch generierte Finite Elemente Netz dient dabei gleichzeitig zur Bestimmung der Bauteilspannungen in der mechanischen Analyse. Vereinfachend wird auf den gesamten Querschnittsrand sämtlicher Querschnitte der Tragstruktur die maßgebende Temperaturkurve als Randbedingung angesetzt. Als Wärmeübergangskoeffizient wird entsprechend den Anforderungen der DIN EN 1993-1-2 [6] αc= 35 W/m² K für allgemeine Brandmodelle gewählt. Mechanische Analyse Im Zuge der mechanischen Analyse wird das Trag- und Verformungsverhalten des brandbeanspruchten Deckentragwerkes auf Basis der vorangehenden thermischen Analyse berechnet. Um die im Brandfall auftretenden Verformungen und die daraus resultierenden Stabilitätsprobleme hinreichend zu erfassen, erfolgt die Berechnung gemäß der Theorie II. Ordnung an einem räumlichen Stabwerksmodell. Da die Tragwerksbemessung im Brandfall unter Ansatz eines Naturbrandmodells durchgeführt wird, muss die statische Bemessung über die gesamte Branddauer einschließlich der Abkühlphase berechnet werden. Der Nachweis einer ausreichenden Tragfähigkeit ist erbracht, wenn es über den Zeitraum des gesamten Brandverlaufes zu keinem Tragwerksversagen kommt, da die ungünstigste Beanspruchung des Tragwerkes nicht zwingend mit der maximalen Temperaturbeanspruchung einhergeht. Durch ein ungleichmäßiges Erkalten der einzelnen Bauteile kann ein Versagen aufgrund behinderter Kontraktionen auch in der Abkühlphase eintreten. Der Nachweis kann als gleichwertig gegenüber einem rechnerischen Nachweis über die Feuerwiderstandsklasse R 30 unter Ansatz der Einheitstemperaturzeitkurve angesehen werden. Modellierung des statischen Systems Die rechnerische Abbildung des Dachtragwerkes erfolgt anhand des mechanisch höchstbelasteten Fachwerkbinders durch ein räumliches Stabwerk. Unabhängig von der räumlichen Lage werden dabei die Bauteilquerschnitte des thermisch höchstbelasteten Binders zur Berechnung der temperaturbedingten Dehnungen 15

sowie der Festigkeits- und Steifigkeitsabnahme angesetzt. Eine geometrische Imperfektion in Form einer Vorkrümmung wird entsprechend den Anforderungen der DIN EN 1993-1-1 [5] zur Erfassung von Stabilitätsproblemen (Knicken) auf sämtliche Stäbe aufgebracht. Im Brandfall kann beispielsweise nicht ausgeschlossen werden, dass in den Zugdiagonalen oder dem Untergurt infolge thermisch bedingter Zwängungen auch Druckkräfte auftreten. Die einzelnen Fachwerkbinder des Deckentragwerkes sind auf Stahlbetonstützen axial frei verschieblich mit einem beidseitigen Abstand von jeweils ca. 7 cm zu den aufgehenden Umfassungswänden (Stahlbeton) der Aula angeordnet (vgl. Bild 10). Bild 10 Auflagerung des Fachwerkbinders vor aufgehender Stahlbetonwand Die Auflagersituation wird bei der Modellierung des statischen Ersatzsystems durch das Aufbringen einer Feder mit einer nichtlinearen Federkennlinie (Kontaktfeder) am rechten, horizontal verschieblichen Endauflager berücksichtigt. Die Feder simuliert nach Überschreiten des freien horizontalen Dehnweges ein Festlager. Das Bild 11 zeigt das für die Heißbemessung herangezogene statische System eines Fachwerkträgers. Bild 11 statisches System des Fachwerkbinders 16

Der Fachwerkträger weist eine Länge von 22,72 m auf und hat aufgrund der Neigung von 2 außen eine Höhe von 1,9 m und mittig eine Höhe von 2,3 m. Unter- und Obergurt sind als HEA 160 bzw. HEA 180, die Druckstäbe und Diagonalen mit Ausnahme der außenliegenden Stäbe (HEA 100) als 2L-Profile in der Stahlgüte S235 ausgebildet. In den Knotenpunkten sind die Bauteile auf Knotenblechen verschweißt. Die ständigen und veränderlichen Einwirkungen werden in der außergewöhnlichen Bemessungssituation kombiniert und durch entsprechende Teilsicherheitsbeiwerte und Kombinationsbeiwerte gegenüber dem Kaltfall abgemindert. Bild 12 Räumliche Darstellung des Fachwerkbinders mit Vorkrümmung des Untergurtes Auswertung Das Bild 13 zeigt die vertikale Deformation des Fachwerkträgers in Feldmitte über den Zeitraum der Brandbeanspruchung. Es ist zu erkennen, dass die anfängliche und somit rein lastinduzierte Verformung (27 mm) nach ca. 10 Minuten beginnt anzusteigen und nach ca. 28 Minuten einen Maximalwert von 48 mm erreicht. 17

Bild 13 Vertikale Verformung uz in Feldmitte in Abhängigkeit von der Zeit Nach 20 Minuten ist die axiale Dehnung des Binders so groß, dass die Kontaktfeder eine weitere horizontale Ausdehnung verhindert und infolge dessen Druck auf den Untergurt ausübt. Die aus der Biegebeanspruchung resultierenden Zugkräfte im Untergurt werden infolge dessen im Bereich der Feldmitte fast vollständig überdrückt (vgl. Bild 14). Eine kritische Beanspruchung des Tragwerkes durch eine thermisch bedingte Zwangsbeanspruchung ergibt sich in Folge der Auflagersituation somit nicht. Bild 14 Normalkräfte nach 0 Minuten (oben) bzw. 20 Minuten (unten) 18

Eine Überschreitung der temperaturabhängig abgeminderten zulässigen Querschnittsspannung sowie ein Stabilitätsversagen treten über die gesamte Dauer des Bemessungszeitraumes nicht auf. Durch den auf Grundlage des gewählten Naturbrandszenarios erbrachten Nachweis kann auch die bauordnungsrechtlich geforderte Feuerwiderstandsklasse R 30 für das untersuchte Deckentragwerk als erfüllt betrachtet werden. ZUSAMMENFASSUNG Die untersuchten Praxisbeispiele demonstrieren wie das Gefährdungspotential eines Schadenfeuers hinsichtlich der thermischen Beanspruchung von Deckentragwerken in Versammlungsstätten beurteilt werden kann. Unter Anwendung von nutzungsspezifischen Bemessungsbrandszenarien nach DIN EN 1991-1-2/NA [4] sowie unter Berücksichtigung geometrischer und bauphysikalischer Gegebenheiten lässt sich ein praxisnahes und zugleich konservatives Brandereignis simulieren. Gleichsam wird verdeutlicht, welchen Einfluss die Variation von Eingangsparametern sowie die Wahl der Randbedingungen auf das Ergebnisspektrum haben können. Die thermische und mechanische Analyse eines Deckentragwerkes wird anhand eines räumlichen Stabwerkes modelliert, das sämtliche Randbedingungen aus behinderten Verformungen sowie möglichen Stabilitätsproblemen erfasst. Das Beispiel veranschaulicht, wie das statische System ausgehend von der Bestandsstatik rechnerisch abgebildet und für die brandschutztechnische Bemessung aufbereitet werden kann. Die Unsicherheiten bei den betrachteten brandschutztechnischen Nachweisen liegen in erster Linie auf der Einwirkungsseite. Die nutzungsabhängigen und somit zum Teil stark variierenden Einflussgrößen werden dabei auf der Grundlage statistischer Auswertungen über das Sicherheitskonzept der DIN EN 1991-1-2/NA [4] erfasst. Abgesehen von der normativen Regelung von Eingangsparametern und Randbedingungen für die Anwendung von Ingenieurmethoden des Brandschutzes muss es jedoch in erster Linie weiterhin dem bemessenden Brandschutzingenieur obliegen, ein realitätsgetreues und sinnvolles Brandszenario zu definieren. 19

LITERATUR [1] Muster-Versammlungsstättenverordnung - MVStättVO -: Fassung Juni 2015. [2] DIN EN 1990, Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Berlin: Beuth, 2010 [3] DIN EN 1991-1-2, Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-2: Allgemeine Einwirkungen - Brandeinwirkungen auf Tragwerke. Berlin: Beuth, 2010 [4] DIN EN 1991-1-2/NA, Nationaler Anhang - Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-2: Allgemeine Einwirkungen auf Tragwerke - Brandeinwirkungen auf Tragwerke. Berlin: Beuth, 2010 [5] DIN EN 1993-1-1, Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. Berlin: Beuth, 2010 [6] DIN EN 1993-1-2, Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall. Berlin: Beuth, 2010 [7] DIN EN 1993-1-2/NA, Nationaler Anhang - Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall. Berlin: Beuth, 2010 [8] vfdb-leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes, vfdb, Technischer Bericht TB 04/01, November 2013. [9] Society of Fire Protection Engineers, National Fire Protection Association (Hrsg.): The SFPE Handbook of Fire Protection Engineering. Quincy (Massachusetts, USA): National Fire Protection Association, 1990. [10] McGrattan, K., et al: Fire Dynamics Simulator - User s Guide, NIST Special Publication 1019, Sixth Edition, 2014. 20