Herausforderungen der digitalen Betriebsprüfung, u.a. bei bargeldintensiven Betrieben. Dr. Egmont Kulosa Richter am Bundesfinanzhof

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Transkript:

Herausforderungen der digitalen Betriebsprüfung, u.a. bei bargeldintensiven Betrieben Dr. Egmont Kulosa Richter am Bundesfinanzhof

Gliederung I. Einführung II. Rechtsprechung zu der bis 2016 geltenden Rechtslage (Zeitreihenvergleich, andere Methoden elektronischer Betriebsprüfung) III. Neuerungen ab 2017 1. Zweite Kassenrichtlinie der Finanzverwaltung (Einzelaufzeichnungspflicht; Aufbewahrung nicht mehr ausschließlich in Papierform) 2. Gesetzliche Regelung zur Einzelaufzeichnungspflicht IV. Änderungen ab 2020 durch das Kassengesetz

Zeitreihenvergleich: Funktionsweise Variante höchster Zehn Wochen Durchschnitt Heranziehung der wöchentlichen Wareneinkäufe aus der Buchführung Abzug des (geschätzten) Eigen und Personalverbrauchs Verteilung des Wareneinkaufs auf die Zeit bis zum nächsten Einkauf gleichartiger Waren (Schätzung) Vergleich des so ermittelten Wareneinsatzes mit den Verkaufserlösen lt. Buchführung (ergibt einen individuellen Rohgewinnaufschlagsatz für jede Kalenderwoche) Bildung von gleitenden Durchschnittswerten für jeweils zehn Kalenderwochen der höchste sich für eine beliebige Zehn Wochen Periode des Jahres ergebende Rohgewinnaufschlagsatz wird auf den Wareneinsatz des Gesamtjahrs angewendet zahlreiche weitere Varianten denkbar!

Zeitreihenvergleich: Problembereiche diese Variante muss denklogisch immer zu Mehrergebnissen gegenüber der Buchführung kommen (aus dem Mehrergebnis kann daher nicht auf eine unrichtige Buchführung geschlossen werden) keine Eignung zur Aufdeckung von Doppelverkürzungen (sowohl Einnahmen als auch Betriebsausgaben werden nicht vollständig erfasst) enorme mathematische Hebelwirkungen bei nur kleinen Änderungen der Ausgangsparameter (insbesondere Verschiebungen des Wareneinsatzes) sehr umfangreiches Datenmaterial; für Steuerpflichtige / Berater / Gerichte kaum nachzuvollziehen

Drei Stufen Theorie 1. Buchführung formell (weitestgehend) ordnungsmäßig: Nachweis der materiellen Unrichtigkeit kann nicht allein durch die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden 2. nur formelle Mängel, aber keine materiellen Mängel konkret nachgewiesen: Zeitreihenvergleich ist zu genaueren Schätzungsmethoden nachrangig; gibt es keine andere Methode, können Ergebnisse des ZRV nur einen Anhaltspunkt bieten (keine schematische Übernahme) 3. gewichtige materielle Mängel sind (außerhalb des ZRV) konkret nachgewiesen: Ergebnisse eines ZRV können herangezogen werden, sofern sich keine andere Schätzungsmethode aufdrängt (technisch korrekte Durchführung des ZRV immer erforderlich)

Anforderungen an einen gerichtsfesten Zeitreihenvergleich fehlerfreie Übernahme der vorhandenen Buchführungsdaten Offenlegung der Tatsachengrundlagen, Kalkulationsschritte und Kalkulationsergebnisse (Transparenz, rechtliches Gehör); grds. Anspruch auf Überlassung von Kalkulationen in elektronischer Form (BFH X B 213/15) Vornahme einer einzelfallbezogenen Plausibilitätsprüfung durch das FA (Vergleich mit Richtsätzen genügt nicht) bei Unsicherheiten: Sensitivitätsanalyse Liefert das FA dies nicht (von Amts wegen), ist der auf dem Zeitreihenvergleich beruhende Steuerbescheid formell rechtswidrig (Begründungsmangel)!

Reaktionen der Finanzverwaltung einerseits: überraschende sofortige Akzeptanz der nur als Gerichtsbescheid ergangenen Entscheidung, Veröffentlichung im BStBl. II andererseits: ungewöhnlich heftige nachträgliche Kritik durch einzelne Vertreter der Finanzverwaltung in der Literatur der BFH habe angeblich die Methode nicht verstanden die Entscheidung sei überholt, weil der Zeitreihenvergleich heute in anderer Form durchgeführt werde es werde gar nicht der höchste Zehn Wochen Durchschnittswert angesetzt, sondern ein anderer die vom BFH bevorzugten Methoden seien auch nicht besser als der Zeitreihenvergleich

Weitere neue elektronische Methoden der Betriebsprüfung es gelten die allgemeinen Grundsätze für die Rechtmäßigkeit von Schätzungen Zeitreihenvergleich mit Quantilschätzung keine grundlegend neue Methode allerdings einige Verbesserungen gegenüber der vom BFH untersuchten Variante des Zeitreihenvergleichs Summarische Risikoprüfung (SRP) keine Schätzungs, sondern nur Verprobungsmethode Warenbestands Trendentwicklung im konkreten Fall vom BFH nicht akzeptiert, da das FA die Eignung der Methode nicht dargelegt hatte

Neue Kassenrichtlinie ab 2017 BMF Schreiben vom 26.11.2010 (BStBl. I 1342) Bei Erfassung von Bargeschäften mit Registrierkassen, Taxametern usw. Pflicht zur Aufzeichnung jedes einzelnen Umsatzes Aufbewahrungspflichtige Unterlagen dürfen nicht mehr ausschließlich in gedruckter Form aufbewahrt werden Vorhandene Geräte dürfen bis zum 31.12.2016 noch verwendet werden

Kein Vorhalten in ausschließlich gedruckter Form? eindeutige Rechtsgrundlage vorhanden? Wortlaut: Buch (vgl. Fahrten buch ) BMF: Rechtsgrundlage ist 147 II AO (bestimmte Unterlagen können auf Datenträgern aufbewahrt werden) aber: können heißt nicht müssen! 146 IIa, V, 147 V AO: sehen ebenfalls nur die Möglichkeit vor, Datenträger zu nutzen evtl. 147 VI AO: Die Finanzbehörde hat das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen (nicht eindeutig)

Einzelaufzeichnungspflicht (BFH, BStBl. III 1966, 371) Zwar erfordern die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung grundsätzlich die Aufzeichnung jedes einzelnen Handelsgeschäfts und damit auch jedes einzelnen Kasseneingangs. Dies gilt aber nur im Rahmen des nach Art und Umfang des Geschäfts Zumutbaren. Bei Barverkäufen in offenen Ladengeschäften an Kunden, die im Allgemeinen nicht der Person nach bekannt sind, wäre eine Identifizierung der Kunden technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich. Auch die einzelnen vereinnahmten Barbeträge müssen nicht festgehalten werden. Dies gilt auch bei der Verwendung von Registrierkassen, die lediglich für den Kunden Belege auswerfen, im Übrigen aber die Einzelbeträge so speichern, dass nur die Endsumme abgelesen werden kann.

Einzelaufzeichnungspflicht (Apothekenurteil BFH X R 42/13) Zunächst Verweis auf das Urteil aus 1966, wonach grundsätzlich eine Einzelaufzeichnungspflicht bestehe, sofern dies nicht unzumutbar sei, was der BFH bei einer Vielzahl barer Kleinbeträge bejaht habe (Rn. 18 20). Im Streitfall ist eine Unzumutbarkeit zu verneinen. Entscheidet der Steuerpflichtige sich für ein modernes PC Kassensystem, das jeden Vorgang einzeln und detailliert aufzeichnet und speichert, kann er sich nicht auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnung berufen (Rn. 23).

Gesetzliche Regelung zur Einzelaufzeichnungspflicht 146 I AO (in Kraft seit 29.12.2016) Ausnahme aus Zumutbarkeitsgründen beim Verkauf von Waren an eine Vielzahl nicht bekannter Personen gegen Barzahlung keine Ausnahme für andere Branchen als Warenverkäufer? Anwendung auf die Gewinnermittlung durch Einnahmen Überschuss Rechnung?

Gliederung I. Einführung II. Rechtsprechung zu der bis 2016 geltenden Rechtslage (Zeitreihenvergleich, andere Methoden elektronischer Betriebsprüfung) III. Neuerungen ab 2017 1. Zweite Kassenrichtlinie der Finanzverwaltung (Einzelaufzeichnungspflicht; Aufbewahrung nicht mehr ausschließlich in Papierform) 2. Gesetzliche Regelung zur Einzelaufzeichnungspflicht IV. Änderungen ab 2020 durch das Kassengesetz