Michèle Kälin. FreiSein

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Transkript:

Edition Lagarto 1

Michèle Kälin FreiSein 3

Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreies Papier gedruckt. 1. Auflage 2013 2013 Alle Rechte vorbehalten Titelbild: Romi Blank, Bäch SZ Titelgestaltung: Heinz Kasper, www.printundweb.com Satz: Heinz Kasper, www.printundweb.com Printed in Germany ISBN: 978-3-9524156-0-3 Herausgegeben von Michèle Kälin in Zusammenarbeit mit Edition Lagarto www.edition-lagarto.ch 4

Inhalt Einleitung / Vorwort 7 Meine Zwänge: Erlebnisbericht für den Newsletter der Schweiz. Gesellschaft für Zwangsstörung 11 Die Angst ist Teil der Liebe 30 Las arañas del Rancho Pitaya, Oaxaca (Die Spinnen der Ranch «Pitaya») 36 Das Versetzen des Verstandes in Frieden 42 Vom kleinen Lebenswillen, welcher Grosses bewirkt 44 Ich gebe mich mit ganzem Herzen hin! 47 Momentaufnahme Ein weiterer Prozess ist erlebt! 50 Sätze, welche mir geholfen haben 57 Was wäre, wenn mein Herz 59 Momentlebung 63 Sowohl als auch MenschSein 72 Jeder trägt sein Licht in sich! 85 Ein Wochenende im Juni 91 Ganzheitlichkeit 100 Ureigenes ICH 105 Interview mit meinem Mami / Für Dich / «Schneeflöckli» 107 Natur Heilung FreiSein 109 Was ich noch sagen wollte 113 Schlusswort 122 5

Einleitung / Vorwort Mein zu meiner Vision gehörendes, erstes Buch «FreiSein», war lange der einzige Grund, wieso ich überhaupt noch an mich glaubte, wieso ich überhaupt weiter leben wollte. Lange Jahre konnte ich nicht mehr schreiben. Der Glaube daran, wieder einmal einfach frei schreiben zu können, wie ich damals vor meinen Zwängen schrieb, hielt mich am Leben. In jener Zeit, in der ich wohl an das Buch glaubte, mir jedoch die Kraft fehlte, es wirklich zu schreiben, da hatte ich ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie dieses Buch aufgebaut werden sollte: linear, am besten wie eine Biografie, es sollte meine Zwänge beschreiben sowie auch das Leben nach den Zwängen und vor allem, wie man sie überwinden kann. Gerne hätte ich auch einen Text von meiner Mutter veröffentlicht, wie sie sich damals fühlte, jedoch wollte sie nicht unbedingt etwas schreiben, sie wollte lieber interviewt werden. Im Sommer 2011 fing ich an, an meinem Buch zu arbeiten und merkte schnell, dass sich etwas verändert hatte. Ich war nun frei und konnte das Buch nicht mehr so schreiben, wie ich es anfangs wollte. Ich glaube, mein Erlebnisbericht, welchen ich für die Schweizerische Gesellschaft für Zwangsstörung schrieb, hat vieles in sich erklärt und mich mit vielem versöhnt. Ich finde, wenn man frei ist, sollte man nicht über das schreiben, was einen lange Zeit eingeschlossen hat. Nach und nach spürte ich das Vertrauen in mich wieder, frei schreiben zu können und der Glaube wuchs, dass freie Geschichten viel mehr sagen können, als ein Leben linear zu beschreiben, was schlussendlich gar nicht möglich ist. Viel zu viel spielt in den Prozess der Heilung mit ein. Aus diesem Grunde sind Geschichten und Erzählungen aus dem Leben besser geeignet, um das weitergeben zu können, was mir geholfen hat und immer noch hilft. 7

Als ich einer Freundin erzählte, dass ich vorhatte, mehr Kurzgeschichten zu schreiben und diese zu veröffentlichen, da meinte sie, dass es für Menschen mit Zwangsstörungen aber doch sicher wichtig sei, könnten sie auch etwas über die Zwänge lesen. Ich wusste, was sie mir sagen wollte, bin jedoch nach wie vor der Meinung, dass das «FreiSein» den Menschen mehr Hoffnung gibt. Jeder Mensch, der Zwänge hat, könnte selbst ein Buch darüber schreiben, wie sehr ihm das Leben zusetzt, wie sehr es ihn einengt, gar plagt. Ich glaube, jeder Mensch macht sich selbst schon genug Gedanken, wie sein Leben mit seinen Zwängen aussieht. Der Heilungsprozess beginnt bei jedem in seinem Herzen und damit in sich selbst. Ich begegne jedem Lebewesen mit meinem Herzen und bin sehr dankbar dafür, dass ich bei den Menschen als erstes immer ihr Herz spüre, oft schon bevor sie es selbst spüren. Die Tiere und die Pflanzen, die Natur, mit all ihren wunderbaren Lebewesen, sind immer voller Leben und damit voller Liebe. Viele Menschen jedoch haben vergessen, auf ihr Herz zu hören und leben nach ihren Glaubenssätzen. Sie vergessen oft, dass sie mehr sind als das Um doch etwas von meinen Zwängen und damit aus einem grossen Teil meines Lebens zu berichten, veröffentliche ich meinen Erlebnisbericht, welchen ich in den ersten Monaten des Jahres 2011 geschrieben habe. Des Weiteren nehme ich auch einen Artikel in meinem ersten Buch auf, welchen ich für den Newsletter der Schweiz. Gesellschaft für Zwangsstörung im Jahre 2012 schrieb. Darin berichte ich von meiner Arbeit und wie ich die Menschen auf ihrem Weg zu ihrem freien Sein begleite. Dann folgen Geschichten, die mein Leben schrieb und mit unendlicher Dankbarkeit weiterhin jeden Tag in meinem 8

Leben geschrieben werden. Ich bin unendlich dankbar, dass ich die Berge ansehen kann, und diese auch wirklich sehe, dass ich in der Natur sitzen und all die wunderbaren Lebewesen beobachten und von ihnen lernen kann. Das Leben hält viel Schmerz bereit, aber auch die Fülle. Wenn man beginnt, auf den Fluss des Lebens zu vertrauen, wenn man beginnt, sich für den Schmerz selbst in die Arme zu nehmen und damit Heilung zuzulassen, dann verstummen die Fragen, und es bleibt die Liebe zu einem selbst und damit die Freiheit, auch die Fülle wieder leben, spüren und fühlen zu können. Nach den gut 15 Jahren, die für mich sehr schwierig waren, vor allem aber auch sehr lehrreich, durfte ich wieder lernen, auch das Schöne in Frieden annehmen und leben zu können. Oft sagte ich mir: «Lebe nach der Fülle Michèle, das Weh hast du auch genommen, als es da war.» Liebe Leserinnen, liebe Leser: Glaubt an euer Herz und an das, was es glücklich macht. Haltet euch fest für das, was weh tut und oft schmerzt im Leben. Gebt eurer Gesundheit und eurem Körper acht, liebt euren Verstand, auch wenn er oft zu überborden scheint. Wer auch immer diese, meine Zeilen liest, es bedeutet mir sehr viel und ich hoffe, dass Ihnen meine Worte in irgendeiner Weise neue Perspektiven aufzeigen und auch das wirken kann, was Ihnen hilft, freier zu leben und zu sein Was mir an dieser Stelle noch wichtig ist, Ihnen mitzuteilen: Auch wenn ich mich mit gewissen Sätzen und Themen wiederhole, so durfte ich für mich selber lernen, dass jede 9

Wiederholung an sich immer wieder anders klingt, je weiter man mit sich und mit seinen ureigenen Prozessen ist. Und so glaube ich von ganzem Herzen daran, dass meine Texte Sie, liebe Leserinnen und Leser, genau da berühren dürfen, wo es für Sie wichtig ist Für die Zeit, die Sie sich nehmen, meine Texte zu lesen und auch dafür, dass Sie mein Buch gekauft haben, danke ich Ihnen herzlich. Ich wünsche Ihnen alles Liebe und Gute auf Ihrem Weg zu Ihrem ureigenen Sein sowie für Ihren Lebensweg. Vertrauen Sie auf Ihre ureigenen Prozesse, Ihr Herz und all Ihre Kraft und Lebensfreude! Michèle Kälin Mailadresse: michele.kaelin@nhfs.ch Internetseite: www.nhfs.ch 10

Meine Zwänge Erlebnisbericht für den Newsletter der Schweiz. Gesellschaft für Zwangsstörung Wenn ich heute auf meine letzten 15 Lebensjahre zurückblicke, dann bin ich tief berührt. Oft hat nur noch ein kleiner Funke daran geglaubt, dass ich in diesem Leben wieder einmal so frei leben könnte, wie ich es heute tue. Ich empfinde tiefe Dankbarkeit für meine Zwänge, für meinen Weg und dafür, dieses, mein Leben, gewählt zu haben. Auch wenn mein Leben mit den Zwängen so hart war, dass ich mich jetzt oft frage, wie ich das bloss alles geschafft habe, so hat es mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Ich lebe jeden Moment im Bewusstsein der Freiheit, dass ich die Wahl habe und frei atmen, laufen und denken kann. Ich spüre das Sein, nicht die Zwänge, ich wache mit Freude auf den Tag auf und gehe mit dieser Freude zu Bett. Ich spüre das, was ich mir in all den Jahren immer gewünscht habe: Momente voller Seelenfrieden. Heute sitze ich draussen, blicke in die Natur, die Berge, atme einfach und empfinde es als das grösste Geschenk, nach meinem Herz zu leben oder einfach nur Ruhe zu spüren. Mit 30 Jahren habe ich meinen Seelenfrieden wieder gefunden, und gebe ihn bestimmt nicht mehr her. Ich hüte mich davor, die letzten Jahre als «Kampf» zu bezeichnen, auch wenn es doch die Wahrheit ist, dass jeder Mensch, der Zwänge hat, ein Kampf mit sich selber führt. Ich empfand es immer als Ausbruch aus einem Gefängnis, in das ich mich selber hineingebracht hatte. Heute bin ich versöhnt, ich weiss, dass ich diese Erfahrungen machen musste, durfte: allein schon deswegen, jetzt heute diesen Bericht zu schreiben und damit vielleicht anderen Menschen ein Fünkchen Lebenswille und Hoffnung zu geben. Ja, es ist möglich, wieder frei zu leben, wenn man 11

«nur» sein Herz wieder schlagen und mit sich selber sprechen hört. Einfacher gesagt, als getan Ich war ein ausgesprochen freies, wissbegieriges, fröhliches und neugieriges Kind, was mit dem Gefühl gesegnet war, alles im Leben erleben und erreichen zu können. Dieses Gefühl, bzw. die Erinnerung daran, haben mir schlussendlich zu meinem Ausbruch geholfen. Ich hoffte immer, dass die Essenz meines Wesens immer noch da sein würde, auch wenn es von den Zwängen und meinem Verstand überschattet wurde. Mit etwa 16 Jahren haben meine Zwänge dann begonnen. Ich war damals so glücklich: Ich war immer eine der Besten in der Schule, konnte mir mit meinem fotografischen Gedächtnis alles merken, sodass ich einfach immer super Prüfungen schrieb, ich hatte viele Freunde und Freundinnen, genoss meine erste grosse Liebe und das Gefühl, das man in diesem Alter hat, dass einem irgendwie einfach die ganze Welt gehört. Meine Familie war mir immer sehr wichtig. Ich hatte das grosse Glück, dass meine Grosseltern mütterlicherseits unsere Nachbarn waren und ich somit praktisch mit ihnen aufwachsen durfte. Ich war immer sehr stolz, zu meiner Familie zu gehören. Irgendwie waren wir immer etwas «anders». Meine Grosseltern betrieben ein gut laufendes Restaurant, es war immer viel los und die Gäste erfreuten sich an den schönen Kellnerinnen mit den kurzen Röcken. Wir erlebten viel Freude, aber auch einige Schicksalsschläge. Meine Mutter hatte zwei jüngere Brüder. Als ich 4 Jahre alt war, erreichte uns die Nachricht, dass einer der beiden in Bangkok, wo er lebte, gestorben sei. Er hinterliess zwei kleine Mädchen. Zwei Jahre später starb der jüngste Bruder meiner Mutter mit 24 Jahren an einem Hirnschlag. Er war mein Patenonkel und damals natürlich, für mich als 12

Einzelkind, wie mein grosser Bruder. Meine Mutter erlitt bei ihrer ersten Schwangerschaft eine Fehlgeburt und musste bei ihrer 2. Schwangerschaft mit mir ganze 9 Monate liegen. So haben wir beide für mein Überleben gekämpft. Mit 9 Jahren liessen sich meine Eltern scheiden, was ich aber schon damals als Befreiung empfand. Nicht, dass sie sich sehr oft oder stark gestritten hätten, aber als Kind bekommt man einfach mit, wenn die Eltern nicht mehr glücklich sind miteinander. Auch wenn es schmerzte, so freute ich mich doch für sie, dass für sie beide ein neues Leben begann. Schon als kleines Kind habe ich immer mit Gott im Herzen gelebt. Ich erkannte ihn in den Wiesen und Wäldern und sprach mit ihm. Als ich dann in die Schule kam, mussten wir in den Religionsunterricht und in die Kirche. Ich habe nie verstanden, was ich da sollte, hatte ich doch «meinen eigenen Draht» zu Gott und verstand nicht, was die Priester und Religionslehrerinnen uns beibringen wollten. Vielleicht hörte ich auch einfach gar nicht zu. Für all meine Talente, mein ganzes Glück und meine Familie, war ich dem lieben Gott immer sehr dankbar. Plötzlich aber hat sich etwas in meiner Denkweise geändert. Ich bekam Angst. Angst davor, dass noch mehr aus meiner Familie sterben könnten. Schuldgefühle, dass es mir so gut ging, dass ich so Erfolg in der Schule hatte, eine wunderbare Jugendliebe erleben durfte, wo doch so viel in unserer Familie passiert ist. Mit was hatte ich all das Glück verdient? So fing ich an zu denken, dass ich dem lieben Gott eine Art Opfer für mein Glück bringen müsste, sodass ja nichts Schreckliches mehr passieren würde. Ich dachte, ich könnte etwas zurückgeben, indem ich mir mein Leben kompliziert gestalten und meinen Erfolg immer hart erkämpfen wollte. Ich wollte mein 13