Wartezeit versus Losverfahren



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Transkript:

Chancen in einem gewichteten Losverfahren als Alternativen zur Wartezeitquote Julius-Bernstein-Institut für Physiologie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 12 (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

Zulässigkeit von Zugangsbeschränkungen "Absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung sind nur verfassungsmäßig wenn die Auswahl und Verteilung der Bewerber nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber erfolgen." BVerfGE 33, 303 - Numerus clausus I (1972) Einführung der Wartezeit als leistungsunabhängiges Zulassungskriterium

Verteilung von Studienplätzen 20% Abiturnote (ZVS) Vorabquote für - nicht EU-Ausländer - Härtefälle - Zweitstudienbewerber - Sanitätsoffiziere der Bundeswehr 20% Wartezeit 60% Auswahl durch die Hochschule (AdH)

Entwicklung der Bewerberzahl Medizin (nur WiSe) 40000 Bewerber Studienplätze 4,8 : 1 30000 20000 2,4 : 1 10000 0

Entwicklung der Wartezeit (nur WiSe) Anzahl der Wartesemester 12 10 8 6 4 2 0

Individuelle Probleme aus langen Wartezeiten Besondere Situation nach 6-7 Jahren Wartezeit - zeitlicher Abstand zwischen dem schulischen Lernen und den hohen Lernanforderungen im Medizinstudium - veränderte persönliche Lebensumständen durch höheres Alter (z.b. eigene Kinder, mehr Nebentätigkeiten wegen geringerer finanzieller Unterstützung, höhere Ansprüche an den Lebensstandard nach der Berufstätigkeit) Studienproblemen der über die Wartezeit zugelassenen Studierenden (Verzögerung im Studienablauf, Studienabbruch) unerwünschten sozialen Selektion Dauer der Berufstätigkeit wird um die Wartezeit verringert

Grenzen der Wartezeitregelung BVerfGE 43, 291 - Numerus clausus II (1977) unzumutbar lange Wartezeit, wenn der Bewerber "bis zu sieben Jahren auf eine Zulassung zum Studium seiner Wahl warten muss". Zulässigkeit der derzeitigen Wartezeitregelung ist fraglich Diskutierte Lösungen: 1. Erhöhung der Wartezeitquote (>20% der Studienplätze) auf Kosten des AdH bzw. der Abiturbestenquote 2. Strengere Regeln für die Anrechnung von Wartesemestern Verschieben das Problem nur, lösen es aber nicht

Muss es eine Wartezeit geben? Anspruch auf einen Studienplatz BVerfGE 43, 291 - Numerus clausus II (1977): "In harten Numerus-clausus-Fächern, in denen eine Überzahl an Bewerbern um verhältnismäßig wenig Studienplätze konkurrieren, konnte er aber von Anfang an nicht so verstanden werden, als müsse eine Zulassung zum Studium garantiert werden. Schon begrifflich schließt die Einräumung von Chancen das Risiko des Fehlschlages ein. Hier kommt zunächst einmal ein sogenanntes leistungsgesteuertes Losverfahren in Betracht, bei dem die Zulassungschancen mit der Schulnote steigen."

Alternative zur Wartezeit - Juristische Probleme Vorschlag für einen Ersatz der Wartezeitregelung: - Vergabe der "Wartezeitquote" = 20% der Studienplätze - Gewichtetes Losverfahren (Wichtung über die Abiturnote) - Beschränkte Anzahl von Teilnahmen an diesem Losverfahren Was ist eine (juristisch geforderte) "ausreichende" Chance in einem Losverfahren?

Modellrechnung (1) Modell: - 20% der Studienplätze werden über gewichtetes Los vergeben - Jeder Bewerber kann je 3x für WiSe und SoSe am Losverfahren teilnehmen (z.b. über max. 4 Jahre nach Abitur) - Gewichtung erfolgt über die Abiturnote in vier Klassen: Klasse 1 1,0-1,7 Klasse 2 1,8-2,5 Klasse 3 2,6-3,3 Klasse 4 3,4-4,0 Einflussvariablen: 1. beeinflussbar: Wichtung der Notenklassen 2. nicht beeinflussbar: Anzahl der Bewerber, Anteil der Wiederbewerber

Modellrechnung (2) Annahmen für Simulation: - Bewerberzahlen der letzten 3 Jahre (seit WiSe 2009/10) - Notenverteilung der Bewerber wie in den letzten drei Jahren 8% 6% Bewerber WiSe 2011/12: 44022 Anteil [%] 4% 2% 0% 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4 2,6 2,8 3,0 3,2 3,4 3,6 3,8 4,0 Daten: Stiftung für Hochschulzulassung Abiturnote

Notenverteilung von Erst- und Wiederbewerbern im WiSe 2011/12 10% 8% Erstbewerber (31420) Wiederbewerber (12602) Anteil [%] 6% 4% 2% 0% 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4 2,6 2,8 3,0 3,2 3,4 3,6 3,8 4,0 Daten: Stiftung für Hochschulzulassung Abiturnote

Modellrechnung (2) Annahmen für Simulation: - Bewerberzahlen der letzten 3 Jahre (seit WiSe 2009/10) - Notenverteilung der Bewerber wie in den letzten drei Jahren - ca. 25-30% der Bewerber zum WiSe sind Wiederholungsbewerber aus den letzten Jahren (Daten: Stiftung für Hochschulzulassung) 40% der abgelehnten Bewerber werden sich erneut bewerben - zum SoSe bewerben sich alle im WiSe abgelehnten Bewerber erneut.

Einfluss der Notenwichtung auf die Loschancen Chance [%] 35 30 25 20 15 10 5 0 Note 1,0-1,7 Note 1,8-2,5 Note 2,6-3,3 Note 3,4-4,0 1:1:1:1 4:3:2:1 9:6:4:3 8:4:2:1 Wichtung

Anteil der Bewerber, die sich nach Ablehnung wieder bewerben (Auswirkung auf die Loschancen) Chance [%] 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Note 1,0-1,7 Note 1,8-2,5 Note 2,6-3,3 Note 3,4-4,0 ohne Wichtung 0 20 40 60 80 100 Anteil der Wiederbewerber nach Ablehnung [%] Wichtung 9:6:4:3

Simulationsergebnis Vorschlag für einen Ersatz der Wartezeitquote: - dreimalige Teilnahme an einem gewichteten Losverfahren (je 3x WiSe+SoSe) (innerhalb von 4 Jahren nach dem Abitur) - Gewichtung der Abiturnote 9 : 6 : 4 : 3 (niederländisches System) Ergebnis: Abiturnote 1,0-1,7 Chance = 26,0 % Abiturnote 1,8-2,5 Chance = 18,0 % Abiturnote 2,6-3,3 Chance = 12,3 % Abiturnote 3,4-4,0 Chance = 9,3 %

Gewichtetes Losverfahren statt Wartezeitquote Vorteile: - verfassungsrechtlich bedenkliche, überlange Wartezeit wird reduziert - Zulassungschancen für alle hochschulreifen Bewerber (Forderung nach Chancenoffenheit) - Leistungsmotivation bleibt erhalten - zeitnahe Entscheidung - mit wenig Aufwand umsetzbar - Zeit zwischen Schulabschluss und Studium bleibt überschaubar - jüngere Absolventen = längere Berufstätigkeit - voraussichtlich weniger Studienabbrüche Nachteile: - Lebenschancen und besondere Berufspositionen hängen (zum Teil) vom Zufall ab - ggfs. weiterhin Berufsausbildungsabbrüche zugunsten Studium

Zusammenfassung Offene Fragen: - Wie stark soll die Abiturnote gewichtet werden? Wichtung 9:6:4:3 konsensfähig? - Ist eine Chance von 9,3 % "ausreichend" für einen Bewerber mit schlechtem Abitur? - Ggfs. Neustrukturierung des Verteilungsablaufs: AdH vor Losverfahren Umsetzung: Änderung des Staatsvertrages Fazit: "Aber auch die Überlegungen zu den anderen Möglichkeiten bestätigen erneut, daß jedes Auswahlsystem unbefriedigend ist und daß selbst aufwendige Verbesserungen eines solchen Systems an diesem Dilemma nichts Prinzipielles ändern " (BVerfGE 43, 291) Dank an Dr. U. Bade, Dipl.-Math. R.C. Corbach, Stiftung für Hochschulzulassung