Kommentar des Hohen Flüchtlingskommissars. der Vereinten Nationen (UNHCR) zur. Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004

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Transkript:

Kommentar des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zur Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (OJ L 304/12 vom 30.9.2004)

Kommentar des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zur Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (OJ L 304/12 vom 30.9.2004) DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION - gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 63 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c), Nummer 2 Buchstabe a) und Nummer 3 Buchstabe a), auf Vorschlag der Kommission 1, nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments 2, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses 3, nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen 4, in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Eine gemeinsame Asylpolitik einschließlich eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist wesentlicher Bestandteil des Ziels der Europäischen Union, schrittweise einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, der allen offen steht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Gemeinschaft um Schutz ersuchen. (2) Der Europäische Rat kam auf seiner Sondertagung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 überein, auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem hinzuwirken, das sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 ( Genfer Konvention ), ergänzt durch das New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 ( Protokoll ), stützt, damit der Grundsatz der Nichtzurückweisung gewahrt bleibt und niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. (3) Die Genfer Konvention und das Protokoll stellen einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar. (4) Gemäß den Schlussfolgerungen von Tampere soll das Gemeinsame Europäische Asylsystem auf kurze Sicht zur Annäherung der Bestimmungen über die Zuerkennung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft führen. UNHCR-Kommentar zu Begründungserwägungen (1)-(4): UNHCR begrüßt die Absicht der EU-Mitgliedstaaten, ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu schaffen, das sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention stützt. Dies schließt den Non-Refoulement-Grundsatz sowie einen umfassenden Rechtekatalog mit ein, der Flüchtlinge in die Lage versetzen soll, Selbständigkeit zu erlangen und sich in ihr jeweiliges Aufenthaltsland zu integrieren. Darüber hinaus 1 ABl. C 51 E vom 26.2.2002, S. 325. 2 ABl. C 300 E vom 11.12.2003, S. 25. 3 ABl. C 221 vom 17.9.2002, S. 43. 4 ABl. C 278 vom 14.11.2002, S. 44. 2

verdeutlichen die Begründungserwägungen, dass die Richtlinie keine Änderung des bestehenden internationalen Flüchtlingsrechts bezweckt, sondern verbindliche Leitlinien für dessen Auslegung im Rahmen der Konvention festlegt. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass es sich bei der Konvention um ein multilaterales Rechtsinstrument mit weltweitem Geltungsbereich handelt. Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des internationalen Charakters der Konvention ruft UNHCR die EU-Mitgliedstaaten dazu auf, bei der Auslegung der Konvention die in internationalen Gremien, insbesondere dem UNHCR- Exekutivkomitee, erzielten Vereinbarungen sowie die Entwicklung der Praxis von Drittstaaten zu berücksichtigen. (5) In den Schlussfolgerungen von Tampere ist ferner festgehalten, dass die Vorschriften über die Flüchtlingseigenschaft durch Maßnahmen über die Formen des subsidiären Schutzes ergänzt werden sollten, die einer Person, die eines solchen Schutzes bedarf, einen angemessenen Status verleihen. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (5): UNHCR begrüßt die Tatsache, dass die Richtlinie einem ganzheitlichen Ansatz folgt und auch Regelungen hinsichtlich Personen enthält, die die Kriterien für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllen und dennoch internationalen Schutz benötigen. UNHCR weist darauf hin, dass viele dieser Personen unter sein Mandat fallen. UNHCR hält es jedoch für wichtig, dass nationale Umsetzungsvorschriften klarstellen, dass Asylanträge zunächst auf der Grundlage der Kriterien der Flüchtlingsdefinition der Konvention geprüft werden. (Siehe auch Kommentar zu Artikel 2 (g) und 15). (6) Das wesentliche Ziel dieser Richtlinie ist es einerseits, ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (6): Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Genfer Flüchtlingskonvention und aus Menschenrechtsabkommen sind verbindlich und sollten als Rahmen für jegliche Bemühungen der EU zur Einführung zusätzlicher Normen, einschließlich der bloßen Einführung von Mindestnormen, angesehen werden. Die Bestimmungen der Richtlinie sollten im Lichte dieser internationalen Verpflichtungen ausgelegt und angewendet werden. (7) Die Angleichung der Rechtsvorschriften über die Anerkennung und den Inhalt der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sollte dazu beitragen, die Sekundärmigration von Asylbewerbern zwischen Mitgliedstaaten, soweit sie ausschließlich auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruht, einzudämmen. (8) Es liegt in der Natur von Mindestnormen, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben sollten, günstigere Regelungen für Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die um internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat ersuchen, einzuführen oder beizubehalten, wenn ein solcher Antrag offensichtlich mit der Begründung gestellt wird, dass der Betreffende entweder ein Flüchtling im Sinne von Artikel 1 Abschnitt A der Genfer Konvention oder eine Person ist, die anderweitig internationalen Schutz benötigt. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (8): Siehe Kommentar zu Artikel 3. (9) Diejenigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen, nicht weil sie internationalen Schutz benötigen, sondern aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, fallen nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie. (10) Die Richtlinie achtet die Grundrechte und befolgt insbesondere die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätze. Die Richtlinie zielt insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde, des 3

Asylrechts für Asylsuchende und die sie begleitenden Familienangehörigen sicherzustellen. (11) Bei der Behandlung von Personen, die unter den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, sind die Mitgliedstaaten durch die völkerrechtlichen Instrumente gebunden, deren Vertragsparteien sie sind und nach denen eine Diskriminierung verboten ist. UNHCR-Kommentar zu Begründungserwägungen (10) und (11): UNHCR versteht diese Begründungserwägungen als Aufforderung zur Auslegung der Richtlinie in Übereinstimmung mit internationalen sowie regionalen Menschenrechtsabkommen. Ergänzend zur Genfer Flüchtlingskonvention werden durch diese Rechtsinstrumente und ihre Auslegung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und durch Gremien internationaler Menschenrechtsabkommen Verpflichtungen begründet und wichtige Leitlinien zu den Kriterien für die Anerkennung internationalen Schutzes und zu Standards bezüglich der Behandlung von Flüchtlingen geliefert. (12) Bei Durchführung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten in erster Linie das Wohl des Kindes berücksichtigen. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (12): UNHCR begrüßt den Verweis auf den Grundsatz des Kindeswohl, der in Artikel 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes von 1989 (Kinderkonvention) niedergelegt ist. Er sollte stets als Grundlage für die Anwendung von Bestimmungen, die sich auf Kinder beziehen, herangezogen werden. Er ist beispielsweise maßgebend bei einer altersbezogenen Auslegung der Flüchtlingsdefinition (siehe Kommentare zu Artikel 4 (3) (c), 9 (2) (f) und 10 (d)) und im Hinblick auf den in Kapitel VII niedergelegten Standard zur Behandlung von Flüchtlingskindern (Inhalt des internationalen Schutzes, siehe insbesondere Kommentar zu Artikel 30). (13) Diese Richtlinie lässt das Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft unberührt. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (13): Siehe Kommentar zu Artikel 2 (c). (14) Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist ein deklaratorischer Akt. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (14): UNHCR begrüßt diese Klarstellung, die eine allgemein anerkannte Praxis wiedergibt und in Randnummer 28 des UNHCR-Handbuchs 5 niedergelegt ist. Personen gelten als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, sobald sie die Kriterien der Definition erfüllen. Dies ist zwangsläufig bereits vor dem Zeitpunkt der förmlichen Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gegeben. (15) Konsultationen mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge können den Mitgliedstaaten wertvolle Hilfe bei der Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft nach Artikel 1 der Genfer Konvention bieten. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (15): UNHCR begrüßt diese Begründungserwägung, die die Überwachungsfunktion von UNHCR anerkennt, welche sich allgemein aus der UNHCR-Satzung und speziell aus Artikel 35 der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt. UNHCR vertraut darauf, dass die Staaten bei der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder des komplementären/subsidiären Schutzbedarfs UNHCR konsultieren und dessen Standpunkt berücksichtigen werden. In diesem Zusammenhang 5 UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf, 1979. 4

wird auf das UNHCR-Handbuch und die UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz 6 verwiesen sowie auf sonstige rechtliche Kommentare von UNHCR, die den Mitgliedstaaten wichtige Leitlinien liefern. Zusätzlich sollten die Kommentare von UNHCR zu besonders schutzbedürftigen Gruppen berücksichtigt werden. Nach Auffassung von UNHCR sollte in den einschlägigen nationalen Regelungen auf die rechtlichen Hilfsmittel von UNHCR verwiesen werden. (16) Es sollten Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention zu leiten. (17) Es müssen gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 der Genfer Konvention eingeführt werden. UNHCR-Kommentar zu Begründungserwägungen (16) und (17): UNHCR begrüßt die Klarstellung, dass die Richtlinie die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ersetzen, ändern oder ergänzen, sondern bei deren Auslegung behilflich sein soll. (18) Insbesondere ist es erforderlich, gemeinsame Konzepte zu entwickeln zu: an Ort und Stelle ( sur place ) entstehender Schutzbedarf, Schadensursachen und Schutz, interner Schutz und Verfolgung einschließlich der Verfolgungsgründe. (19) Schutz kann nicht nur vom Staat, sondern auch von Parteien oder Organisationen, einschließlich internationaler Organisationen, geboten werden, die die Voraussetzungen dieser Richtlinie erfüllen und eine Region oder ein größeres Gebiet innerhalb des Staatsgebiets beherrschen. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (19): Siehe Kommentar zu Artikel 7. (20) Bei der Prüfung von Anträgen Minderjähriger auf internationalen Schutz sollten die Mitgliedstaaten insbesondere kinderspezifische Formen von Verfolgung berücksichtigen. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (20): UNHCR begrüßt den Verweis auf kinderspezifische Formen von Verfolgung und fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, die Flüchtlingsdefinition altersbezogen auszulegen (siehe Kommentar zu Artikel 9 (f) und Artikel 10 (d)). In diesem Zusammenhang sollte auch auf Artikel 22 der Kinderkonvention verwiesen werden, welcher die Mitgliedstaaten zur Sicherstellung eines angemessenen Schutzes verpflichtet. (21) Es ist ebenso notwendig, einen gemeinsamen Ansatz für den Verfolgungsgrund Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu entwickeln. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (21): Siehe Kommentar zu Artikel 10 (d). (22) Handlungen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt; sie sind unter anderem in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert, in denen erklärt wird, dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten 6 Bis Mitte 2004 wurden von UNHCR zu den folgenden Themen Richtlinien zum internationalen Schutz veröffentlicht: (i) geschlechtsspezifische Verfolgung, (ii) Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, (iii) Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) der Genfer Flüchtlingskonvention, (iv) interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative, (v) Ausschlussgründe (einschließlich angefügte Background Note) sowie (vi) Anträge aufgrund religiöser Verfolgung. UNHCR gibt diese Richtlinien in Wahrnehmung seines Mandats gemäß seiner Satzung sowie gestützt auf Artikel 35 der Genfer Flüchtlingskonvention heraus. Sie ergänzen das UNHCR-Handbuch und sind als Hilfsmittel zur Rechtsauslegung für Regierungen, Vertreter der Rechtsberufe, Entscheidungsträger und die Richterschaft gedacht. 5

Nationen stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (22): Die allgemeinen und weit gefassten Bestimmungen der Artikel 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen, in denen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen dargelegt sind, bieten nur geringe Hilfestellung im Hinblick auf etwaige Verbrechen, die zu einer Versagung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Artikel 1 F (c) der Genfer Flüchtlingskonvention führen können. Im Lichte der schwerwiegenden Konsequenzen, die die Versagung des Flüchtlingsschutzes hat, sollte Artikel 1 F (c) restriktiv ausgelegt werden. Eine Auslegung des Wortlauts von Artikel 1 F (c) im Sinne einer Einbeziehung terroristischer Handlungen, ohne dass diese näher bestimmt werden, kann zu einer übermäßigen Erweiterung des Anwendungsbereichs dieses speziellen Ausschlussgrundes führen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass für den Begriff Terrorismus keine eindeutige oder weltweit akzeptierte Definition existiert. Bei der Auslegung und Anwendung des Artikels 1 F (c) sollten nur diejenigen Verbrechen zur Annahme eines Ausschlussgrunds im Sinne dieser Bestimmung führen, die im Rahmen der Antiterrorresolutionen der Vereinten Nationen liegen und das internationale Geschehen berühren in Bezug auf die Schwere der Verbrechen, ihre internationalen Auswirkungen sowie ihre Folgen für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. 7 (Siehe Artikel 12 (2) (c) für zusätzliche Kommentare zur Auslegung und Anwendung von Artikel 1 F (c) der Genfer Flüchtlingskonvention). (23) Der Begriff Rechtsstellung im Sinne von Artikel 14 kann auch die Flüchtlingseigenschaft einschließen. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (23): Siehe Kommentar zu Artikel 14 (4)- (6). (24) Ferner sollten Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale des subsidiären Schutzstatus festgelegt werden. Der subsidiäre Schutzstatus sollte die in der Genfer Konvention festgelegte Schutzregelung für Flüchtlinge ergänzen. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (24): Siehe Kommentare zu den Artikeln 2 (e)-(g) und 15. (25) Es müssen Kriterien eingeführt werden, die als Grundlage für die Anerkennung von internationalem Schutz beantragenden Personen als Anspruchsberechtigte auf einen subsidiären Schutzstatus dienen. Diese Kriterien sollten völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Rechtsakten im Bereich der Menschenrechte und bestehenden Praktiken in den Mitgliedstaaten entsprechen. (26) Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, stellen für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (26): Diese Begründungserwägung muss im Lichte der ausdrücklich erklärten Absicht der Verfasser ausgelegt werden, mit dieser Richtlinie den durch Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention gewährten Schutz zu erweitern. Artikel 15 (c) liefert die rechtliche Grundlage für die Gewährung subsidiären/komplementären Schutzes gegenüber Personen, die vor einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts fliehen. Eine Auslegung, die den 7 Siehe UNHCR, Background Note on the Application of the Exclusion Clauses: Article 1F of the 1951 Convention relating to the Status of Refugees, 4. September 2003, Absätze 46-49. 6

Schutz nicht auf Personen ausdehnt, die ernsthaften individuellen Bedrohungen ausgesetzt sind, soweit diese Teil eines größeren, von denselben Risiken betroffenen Bevölkerungssegments sind, würde sowohl dem eindeutigen Wortlaut als auch dem Geist des Artikels 15 (c) widersprechen. Darüber hinaus könnte eine derartige Auslegung eine nicht hinnehmbare Schutzlücke zur Folge haben, die im Widerspruch zum internationalen Flüchtlingsrecht und den Menschenrechten stehen würde. 8 (27) Familienangehörige sind aufgrund der alleinigen Tatsache, dass sie mit dem Flüchtling verwandt sind, in der Regel gefährdet, in einer Art und Weise verfolgt zu werden, dass ein Grund für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gegeben sein kann. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (27): Siehe Kommentar zu Artikel 23. (28) Der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gilt auch für die Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (28): Mit Besorgnis nimmt UNHCR den weit gefassten Wortlaut dieser Begründungserwägung zur Kenntnis, da er sich auf die Auslegung insbesondere von Artikel 32 und 33 (2) der Genfer Flüchtlingskonvention auswirken könnte. Beide Bestimmungen stellen Ausnahmeregelungen zu den allgemeinen Schutzgrundsätzen dar und sollten daher restriktiv angewendet werden. Artikel 32 der Genfer Flüchtlingskonvention ermöglicht die Ausweisung eines rechtmäßig in einem Gebiet aufhältigen Flüchtlings aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung, soweit strenge prozessrechtliche Schutzklauseln eingehalten werden. Artikel 33 (2) der Genfer Flüchtlingskonvention ermöglicht die Zurückschiebung eines Flüchtlings in ein Gebiet mit Verfolgungsrisiko, soweit bestimmte außergewöhnliche Umstände vorliegen, die mit vorrangigen Belangen der nationalen Sicherheit und der Sicherheit der Allgemeinheit des Aufnahmelandes verbunden sind. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation oder deren Unterstützung erfüllen für sich genommen nicht zwangsläufig die von diesen Bestimmungen aufgestellten Kriterien. In jedem einzelnen Fall müssen Struktur, Zielsetzung, Aktivitäten und Methoden der Vereinigung, die Rolle der betreffenden Person innerhalb der Organisation und das Wesen des sich daraus ergebenden Risikos geprüft werden (siehe auch Kommentare zu Artikel 14 und 21). (29) Familienangehörigen von Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, müssen zwar nicht zwangsläufig dieselben Vergünstigungen gewährt warden wie der anerkannten Person; die den Familienangehörigen gewährten Vergünstigungen müssen aber im Vergleich zu den Vergünstigungen, die die Personen erhalten, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, angemessen sein. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (29): Siehe Kommentar zu Artikel 23. (30) Innerhalb der durch die internationalen Verpflichtungen vorgegebenen Grenzen können die Mitgliedstaaten festlegen, dass Leistungen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung zur Sozialhilfe, zur medizinischen Versorgung und zu Integrationsmaßnahmen nur dann gewährt werden können, wenn vorab ein Aufenthaltstitel ausgestellt worden ist. 8 Siehe auch Begründung für den vorgeschlagenen Artikel 11 (c) in der von der Europäischen Kommission vorgelegten Begründung zum Richtlinienvorschlag des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen (KOM(2001) 510 endgültig, 12.9.2001), S. 20. 7

UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (30): UNHCR begrüßt den Verweis auf die internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und geht davon aus, dass hiervon sämtliche Entwicklungen auf dem Gebiet des Völkerrechts, insbesondere in Bezug auf die Menschenrechte, erfasst sind. (31) Diese Richtlinie gilt nicht für finanzielle Zuwendungen, die von den Mitgliedstaaten zur Förderung der allgemeinen und beruflichen Bildung gewährt werden. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (31): UNHCR weist darauf hin, dass diese Begründungserwägung im Lichte von Artikel 22 der Genfer Flüchtlingskonvention ausgelegt werden sollte, da gemäß dieser Vorschrift Flüchtlingen dieselbe Behandlung wie Inländern hinsichtlich des Unterrichts in Volksschulen zu gewähren ist. Siehe auch Kommentar zu Artikel 27. (32) Die praktischen Schwierigkeiten, denen sich Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, bei der Feststellung der Echtheit ihrer ausländischen Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise gegenübersehen, sollten berücksichtigt werden. (33) Insbesondere zur Vermeidung sozialer Härtefälle ist es angezeigt, Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, ohne Diskriminierung im Rahmen der Sozialfürsorge angemessene Unterstützung in Form von Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. (34) Bei der Sozialhilfe und der medizinischen Versorgung sollten die Modalitäten und die Einzelheiten der Gewährung der Kernleistungen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften bestimmt werden. Die Möglichkeit der Einschränkung von Leistungen für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen ist so zu verstehen, dass dieser Begriff zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft und bei Elternschaft umfasst, sofern diese Leistungen nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats eigenen Staatsangehörigen gewährt werden. UNHCR-Kommentar zu Begründungserwägungen (33)-(34): Siehe Kommentar zu Artikel 28. (35) Der Zugang zur medizinischen Versorgung, einschließlich physischer und psychologischer Betreuung, sollte für Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, sichergestellt werden. (36) Die Durchführung der Richtlinie sollte in regelmäßigen Abständen bewertet werden, wobei insbesondere der Entwicklung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Bereich der Nichtzurückweisung, der Arbeitsmarktentwicklung in den Mitgliedstaaten sowie der Ausarbeitung gemeinsamer Grundprinzipien für die Integration Rechnung zu tragen ist. UNHCR-Kommentar zur Begründungserwägung (36): Siehe Kommentar zu Artikel 26. (37) Da die Ziele der geplanten Maßnahme, nämlich die Festlegung von Mindestnormen für die Gewährung internationalen Schutzes an Drittstaatsangehörige und Staatenlose durch die Mitgliedstaaten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nach demselben Artikel geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (38) Entsprechend Artikel 3 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, hat das Vereinigte Königreich mit Schreiben 8

vom 28. Januar 2002 mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen möchte. (39) Entsprechend Artikel 3 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, hat Irland mit Schreiben vom 13. Februar 2002 mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen möchte. (40) Nach den Artikeln 1 und 2 des Protokolls über die Position Dänemarks, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist, beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Richtlinie, die daher für Dänemark nicht bindend oder anwendbar ist HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN: Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen Artikel 1 Gegenstand und Anwendungsbereich Das Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung von Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, sowie des Inhalts des zu gewährenden Schutzes. UNHCR-Kommentar zu Artikel 1: UNHCR wiederholt seine Bedenken hinsichtlich dieser de facto-einschränkung der Flüchtlingsdefinition auf Drittstaatsangehörige und Staatenlose. UNHCR empfiehlt, durch die Umsetzungsgesetze klarzustellen, dass der auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährte Schutz allen Antragstellern zugute kommen sollte, die die Flüchtlingsdefinition der Konvention erfüllen. Artikel 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck a) internationaler Schutz die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben d) und f); b) Genfer Flüchtlingskonvention das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 in der durch das New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 geänderten Fassung; c) Flüchtling einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet; UNHCR-Kommentar zu Artikel 2 (c): Diese Definition ist keine exakte Wiedergabe des Wortlauts der Flüchtlingsdefinition gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967. Siehe auch Kommentar zu Artikel 1. d) Flüchtlingseigenschaft die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder eines Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat; 9

UNHCR-Kommentar zu Artikel 2 (d): UNHCR möchte hervorheben, dass der Begriff Flüchtlingseigenschaft je nach Kontext zwei verschiedene Bedeutungen haben kann. Wie bereits oben in der Begründungserwägung 14 erwähnt wurde, lautet Randnummer 28 des UNHCR-Handbuchs über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft: Personen gelten als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, sobald sie die Kriterien der Definition erfüllen. Dies ist zwangsläufig bereits vor dem Zeitpunkt der förmlichen Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gegeben. In diesem Sinne ist mit Flüchtlingseigenschaft der Umstand gemeint, ein Flüchtling zu sein. Dagegen scheint der Begriff Flüchtlingseigenschaft in der Anerkennungsrichtlinie im Sinne eines Katalogs von Rechten, Vergünstigungen und Pflichten, die sich aus der Anerkennung einer Person als Flüchtling ergeben, verwendet zu werden. Nach Auffassung von UNHCR wird der Begriff Asyl der zweiten Bedeutung besser gerecht und UNHCR empfiehlt dementsprechend eine Auslegung der Richtlinie in diesem Sinne. e) Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel 15 zu erleiden, und auf den Artikel 17 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will; f) subsidiärer Schutzstatus die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat; g) Antrag auf internationalen Schutz das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht; UNHCR-Kommentar zu Artikel 2 (e)-(g): UNHCR hält es für wichtig, dass diese Bestimmungen so ausgelegt werden, dass Asylanträge zunächst auf der Grundlage der Kriterien der Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention geprüft werden und nur bei Verneinung der Flüchtlingseigenschaft eine Prüfung auf Grundlage der Kriterien für subsidiären Schutz erfolgt (siehe auch Kommentare zu Artikel 5 (c)). Dies entspricht Begründungserwägung 24 der Richtlinie, nach der der subsidiäre Schutzstatus die in der Genfer Konvention festgelegte Schutzregelung für Flüchtlinge ergänzen sollte. Ferner muss sichergestellt werden, dass die Konvention bei Fällen, die tatsächlich von der Flüchtlingsdefinition der Konvention abgedeckt werden, nicht durch den Rückgriff auf subsidiären Schutz unterlaufen wird. UNHCR empfiehlt, dass in die nationalen Gesetze ausdrücklich die folgende Bestimmung aufgenommen wird: Sämtliche Anträge auf internationalen Schutz werden zunächst auf Grundlage der in der Genfer Flüchtlingskonvention enthaltenen Flüchtlingsdefinition geprüft, und nur bei Verneinung der Flüchtlingseigenschaft erfolgt eine Prüfung auf Grundlage der Kriterien für subsidiären Schutz. h) Familienangehörige die nachstehenden Mitglieder der Familie der Person, der die Flücht lingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus gewährt worden ist, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat: - der Ehegatte der Person, der die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus gewährt worden ist, oder ihr unverheirateter Partner, der mit ihr eine dauerhafte Beziehung führt, soweit in den Rechtsvorschriften oder in der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats unverheiratete Paare nach dem Ausländerrecht auf vergleichbare Weise behandelt werden wie verheiratete Paare; - die minderjährigen Kinder des Paares nach dem ersten Gedankenstrich oder der Person, 10

der die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus gewährt worden ist, sofern diese ledig und unterhaltsberechtigt sind, unabhängig davon, ob es sich dabei um eheliche, nicht eheliche oder im Sinne des nationalen Rechts adoptierte Kinder handelt; UNHCR-Kommentar zu Artikel 2 (h): UNHCR fordert die Mitgliedstaaten zur Verwendung einer Definition des Begriffs Familienangehörige auf, welcher nahe Verwandte und ledige Kinder umfasst, die als Familieneinheit zusammengelebt haben und gegenüber dem Antragsteller voll oder überwiegend unterhaltsberechtigt sind. UNHCR weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die in der Richtlinie zum vorübergehenden Schutz vereinbarte Definition diese Familienmitglieder umfasst 9. Dies deckt sich mit dem Recht der Einheit der Familie, das im UNHCR-Handbuch erläutert wird und beinhaltet, dass andere Unterhaltsberechtigte, die im selben Haushalt leben, normalerweise in den Genuss des Grundsatzes der Einheit der Familie kommen sollen 10. Ferner sollte nach Auffassung von UNHCR die Achtung der Einheit der Familie nicht von der Tatsache abhängig gemacht werden, ob die Familie vor der Flucht aus dem Herkunftsland gegründet worden ist. Auch Familien, die während der Flucht oder nach Ankunft im Asylstaat gegründet worden sind, müssen berücksichtigt werden. Unter Bezugnahme auf die Beschlüsse Nr. 24 (XXXII), Absatz 5 und Nr. 88 (L), Absatz (b) (ii) des UNHCR-Exekutivkomitees empfiehlt UNHCR im Hinblick auf die Förderung der Einheit der Familie die Anwendung liberaler Kriterien bei der Bestimmung derjenigen Familienmitglieder, die aufgenommen werden können. i) unbegleitete Minderjährige Drittstaatsangehörige oder Staatenlose unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines gesetzlich oder nach den Gepflogenheiten für sie verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in die Obhut einer solchen Person genommen werden; hierzu gehören auch Minderjährige, die ohne Begleitung zurückgelassen werden, nachdem sie in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist sind; UNHCR-Kommentar zu Artikel 2 (i): UNHCR hält es für wünschenswert, dass die Umsetzungsgesetze in Übereinstimmung mit der Terminologie des Übereinkommens über die Rechte des Kindes den Begriff Kinder statt Minderjährige verwenden. Ferner möchte UNHCR auf die verschiedenen Begriffe hinweisen, die auf internationaler Ebene bei der Unterscheidung zwischen unbegleiteten Kindern und von ihren Familien getrennten Kindern verwendet werden. Der Begriff unbegleitetes Kind bezieht sich auf Kinder, die von beiden Elternteilen und sonstigen Verwandten getrennt wurden und nicht von einem Erwachsenen betreut werden, dem ihre Betreuung durch Gesetz oder Gewohnheit obliegt. Der Begriff von ihren Familien getrennte Kinder umfasst Kinder, die sowohl von ihren Eltern als auch ihren bisherigen gesetzlichen oder gewohnheitsmäßigen Vormündern allgemein getrennt wurden. Sie können von sonstigen Verwandten oder Erwachsenen begleitet werden, die jedoch nicht in der Lage, geeignet oder willens sind, Verantwortung für die Betreuung des Kindes zu übernehmen. 11 UNHCR schlägt daher vor, in den Umsetzungsgesetzen beide Begriffe zu verwenden. Artikel 3 Günstigere Normen Die Mitgliedstaaten können günstigere Normen zur Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung 9 Richtlinie 2001/44/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, OJ L 212/12 vom 7. August 2001, Artikel 15. 10 UNHCR-Handbuch, Rn. 185. Siehe auch EXKOM-Beschlüsse Nr. 24 (XXXII) Familienzusammenführung, 1981, Absatz 5 und Nr. 88 (L), 1999, Absatz (ii). 11 Siehe Save the Children, UNHCR, Separated Children in Europe Programme Statement of Good Practice: Third Edition, 2004, Abschnitt A, S. 2; UNHCR, UNICEF, ICRC, IRC, Save the Children (UK), World Vision: Inter-Agency Guiding Principles on Unaccompanied and Separated Children, Genf 2003. 11

des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind. UNHCR-Kommentar zu Artikel 3: UNHCR begrüßt diese Bestimmung, mit der bekräftigt wird, dass die Richtlinie Mindestnormen festsetzen soll, die den Mitgliedstaaten die Beibehaltung oder Einführung höherer Schutznormen ermöglichen, soweit sie dies wünschen. Wie in diesem Kommentar bereits erwähnt, geben die Bestimmungen der Richtlinie die Standards der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vollständig wieder. UNHCR drängt darauf, dass die Mitgliedstaaten sorgfältig in Absprache mit UNHCR prüfen, ob günstigere Vorschriften erlassen oder beibehalten werden müssen, um die Einhaltung des internationalen Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang sollten günstigere nationale Normen, die bindende internationale Verpflichtungen widerspiegeln, stets als mit der Richtlinie vereinbar verstanden werden. Dies ergibt sich unter anderem aus den Begründungserwägungen (2) und (3) der Richtlinie, die die Konvention als Grundlage und wesentlichen Bestandteil des internationalen rechtlichen Rahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellen. UNHCR fordert die Mitgliedstaaten ferner dazu auf, die Einführung von besten Standards zu erwägen, einschließlich der im Rahmen der Staatenpraxis in Europa oder anderen Regionen entwickelten Standards. Kapitel II: Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz Artikel 4 Prüfung der Ereignisse und Umstände (1) Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen. UNHCR-Kommentar zu Artikel 4 (1): In Übereinstimmung mit dem UNHCR-Handbuch (Rn. 196) sollte die Verpflichtung zur Ermittlung und Bewertung aller maßgeblichen Anhaltspunkte als gemeinsame Aufgabe des Antragstellers und des Antragsprüfers angesehen werden. Soweit der Antragsteller nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu liefern, muss der Antragsprüfer alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um die zur Stützung des Antrags erforderlichen Nachweise beizubringen. UNHCR möchte darauf hinweisen, dass die Asylsuchenden möglicherweise nur begrenzt in der Lage sind, Nachweise zu liefern. Den Umständen des Einzelfalls muss gebührend Rechnung getragen werden. Personen, die internationalen Schutz benötigen, kommen oftmals nur mit dem Allernotwendigsten an, häufig ohne Ausweispapiere. Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, dass verschiedene Umstände wie z. B. in der Vergangenheit erlittene Traumata, Unsicherheitsgefühle und Sprachschwierigkeiten die angemessene Begründung des Antrags verzögern können. Nach Auffassung von UNHCR sollten solche Umstände je nach Verspätungsgrund und Begründetheit des Antrags berücksichtigt und verspätete Vorbringen akzeptiert werden. (2) Zu den in Absatz 1 genannten Anhaltspunkten gehören Angaben des Antragstellers zu Alter, familiären und sozialen Verhältnissen - auch der betroffenen Verwandten -, Identität, Staatsangehörigkeit(en), Land/Ländern und Ort(en) des früheren Aufenthalts, früheren Asylanträgen, Reisewegen, Identitätsausweisen und Reisedokumenten sowie zu den Gründen für seinen Antrag auf internationalen Schutz und sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen hierzu. (3) Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist: a) alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden; b) die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, 12

einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen sonstigen ernstahaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte; c) die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind; UNHCR-Kommentar zu Artikel 4 (3) (c): Sind Familienangehörige oder enge Vertraute des Antragstellers Verfolgungen ausgesetzt gewesen, ist dies ein wichtiger Anhaltspunkt bei der Prüfung des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung des Antragstellers. d) die Frage, ob die Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen wurden, um die für die Beantragung des internationalen Schutzes erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, um bewerten zu können, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt oder ernsthaften Schaden erleiden würde; e) die Frage, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte. UNHCR-Kommentar zu Artikel 4 (3) (e): Das in Absatz 3 (e) aufgeführte Kriterium sollte kein Bestandteil der Prüfung zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sein. Antragsteller sind völkerrechtlich nicht dazu verpflichtet, den Schutz eines anderen Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie für sich geltend machen könnten. Die Verfasser der Konvention haben diese Frage ausdrücklich erörtert. Sie ist in Artikel 1 A (2) (letzter Satz) im Zusammenhang mit Antragstellern, die die doppelte Staatsangehörigkeit besitzen, sowie in Artikel 1 E der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt. Die Grenzen dieser Bestimmungen lassen keinen weiteren Spielraum zu. Für die Anwendung von Artikel 1 E muss eine sonst von der Flüchtlingsdefinition erfasste Person in dem Land ihren Aufenthalt genommen haben und von den zuständigen Behörden des Landes als eine Person anerkannt werden, welche die Rechte und Pflichten hat, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind. Da Artikel 1 E bereits in Artikel 12 (1) (b) der Richtlinie seinen Niederschlag gefunden hat, sollte Artikel 4 (3) (e) nicht in die nationale Gesetzgebung und Praxis übernommen werden, wenn eine uneingeschränkte Vereinbarkeit mit Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention sichergestellt werden soll. (4) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. UNHCR-Kommentar zu Artikel 4 (4): UNHCR würde nichtsdestotrotz in Übereinstimmung mit allgemeinen humanitären Grundsätzen befürworten, dass selbst wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führen sollte, dass der Antragsteller nicht erneut von ernsthaftem Schaden bedroht wird, zwingende sich aus früherer Verfolgung ergebende Gründe dennoch die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen können. Dieser Grundsatz könnte durch die folgende Formulierung in der nationalen Umsetzungsgesetzgebung festgeschrieben werden: Zwingende sich aus früherer Verfolgung oder ernsthaftem Schaden ergebende Gründe können für sich genommen dennoch die Gewährung von Asyl rechtfertigen (Siehe auch Kommentar zu Artikel 11). (5) Wenden die Mitgliedstaaten den in Absatz 1 Satz 1 genannten Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für 13

Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu substanziieren; b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde; c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen; d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; UNHCR-Kommentar zu Artikel 4 (5) (d): UNHCR weist darauf hin, dass eine verspätete Antragstellung nicht zu verschärften Beweisführungsanforderungen an den Asylbewerber führen sollte. e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist. UNHCR-Kommentar zu Artikel 4 (5) (e): UNHCR begrüßt die Erkenntnis, dass Antragsteller nicht unter allen Umständen zur Vorlage urkundlicher Belege in der Lage sind. Bei der Anwendung dieser Bestimmungen sollte bei einer generellen Glaubwürdigkeit des Antragstellers eine für den Antragsteller günstige Auslegung zweifelhafter Umstände erfolgen. Die Beweisanforderungen sollten ausgewogen und mit der jeweils erforderlichen Flexibilität angewandt werden, um die besondere persönliche Lage von Asylbewerbern zu berücksichtigen, die (aufgrund der Umstände ihrer Flucht) häufig die regulären Beweisanforderungen nicht erfüllen können. Es wird den Mitgliedstaaten bewusst sein, dass Fälle, in denen ein Antragsteller seine Erklärungen vollständig nachweisen kann, eher die Ausnahme denn die Regel bilden. 12 Der Grundsatz, im Zweifel zugunsten des Antragstellers zu entscheiden, ist auch im Hinblick auf asylsuchende Kinder relevant. Hier sollte die Beweislast flexibel und liberal unter Ausnutzung sämtlicher Möglichkeiten der Tatsachenfeststellung und Erhebung unterstützender Beweise angewendet werden. Bei der Bewertung der Darstellung der Umstände durch das Kind sollten Reifegrad und Fähigkeiten des Kindes berücksichtigt werden. UNHCR möchte ferner darauf hinweisen, dass es unabhängig von der Glaubwürdigkeit des Antragstellers Fälle geben kann, bei denen sonstige Beweise zur Stützung des Antrags vorliegen. In diesen Fällen befürwortet UNHCR die gebührende Berücksichtigung derartiger Beweise. Artikel 5 Aus Nachfluchtgründen entstehender Bedarf an internationalem Schutz (1) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Antragsteller das Herkunftsland verlassen hat. (2) Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. UNHCR-Kommentar zu Artikel 5 (2): UNHCR begrüßt die Einbeziehung von Ansprüchen, die auf Nachfluchtgründen basieren, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Auch wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass der Antragsteller bereits im Herkunftsland die Überzeugung oder Ausrichtung vertreten hat, hat der Asylsuchende innerhalb der durch 12 Siehe auch UNHCR-Handbuch, Rn. 203-204 sowie UNHCR, Note on Burden and Standard of Proof in Refugee Claims, 16. Dezember 1998. 14

Artikel 2 der Genfer Flüchtlingskonvention und anderer Menschenrechtsabkommen festgelegten Grenzen ein Recht auf Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit. Diese Freiheiten beinhalten das Recht auf den Wechsel der Religion oder Überzeugungen, der nach der Ausreise stattfinden kann, z. B. aufgrund von Unzufriedenheiten mit Religion oder Politiken des Herkunftslands oder eines gewachsenen Bewusstseins für die Auswirkungen bestimmter Politiken. (3) Unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat. UNHCR-Kommentar zu Artikel 5 (3): Es kann Fälle geben, in denen eine Person, die anderenfalls keine begründete Furcht vor Verfolgung hätte, außerhalb ihres Herkunftslands Handlungen unternimmt, die allein dem Zweck der Schaffung eines Asylanspruchs dienen. UNHCR erkennt an, dass die Bewertung der Begründetheit solcher Ansprüche den Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bereiten kann, und UNHCR stimmt mit den Mitgliedstaaten überein, dass diese Praxis unterbunden werden sollte. Es wäre jedoch wünschenswert, dass schwierige Beweis- und Glaubwürdigkeitsfragen auf der Grundlage geeigneter Glaubwürdigkeitsprüfungen gelöst würden. Ein solcher Ansatz würde sich auch mit Artikel 4 (3) (d) der Richtlinie decken. Nach Auffassung von UNHCR ist es für eine solche Bewertung nicht erforderlich, die Bösgläubigkeit des Asylsuchenden zu prüfen, sondern es sollte wie in jedem anderen Fall geprüft werden, ob die Kriterien der Flüchtlingsdefinition tatsächlich erfüllt sind, wenn alle maßgeblichen anspruchsbezogenen Tatsachen berücksichtigt werden. Es gibt keinen logischen oder empirischen Zusammenhang zwischen der Begründetheit der Furcht vor Verfolgung oder vor Erleidung eines ernsthaften Schadens einerseits und andererseits der Tatsache, dass Personen möglicherweise Handlungen unternommen haben, mit denen sie die Schaffung eines Asylanspruchs beabsichtigten. Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält weder ausdrücklich noch implizit eine Bestimmung, derzufolge Personen kein Schutz gewährt werden kann, soweit deren Asylansprüche sich aus Handlungen im Ausland ergeben. Die Formulierung Unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention in Artikel 5 (3) würde daher einen solchen Ansatz erfordern. Artikel 6 Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von a) dem Staat; b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen; c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. Ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten. UNHCR-Kommentar zu Artikel 6: Eine der wichtigsten und von UNHCR uneingeschränkt befürworteten Regelungen der Richtlinie ist die feste Regel der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Ursprung der Verfolgung und vom Verfolger, so dass auch Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure erfasst wird. UNHCR vertritt seit langem die Auffassung, dass die Genfer Flüchtlingskonvention Verfolgung nicht auf Handlungen beschränkt, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Verfolgungshandlungen, die von nichtstaatlichen Akteuren begangen werden und vor denen der Staat nicht wirksam schützen kann oder will, begründen die Flüchtlingseigenschaft gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass die übrigen Kriterien der Flüchtlingsdefinition erfüllt sind. In diesem Zusammenhang kommt der Frage, 15