Die Kom ple xi tät des Le bens und der Theo rien

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UHH Newsletter November 2011, Nr. 32

Transkript:

Die Kom ple xi tät des Le bens und der Theo rien - Ein lei tung - Wir le ben in ei ner Welt, in der sich al les im mer schnel ler be wegt und dich ter zu sam men rückt. Al les scheint mög - lich ein Um stand, den wir glei cher ma ßen als Se gen und Fluch er fah ren. Die wach sen den oder gar un end li chen Mög lich kei ten er le ben wir als Frei heit, in der wir je doch schnell die Orien tie rung ver lie ren. Die wach sen den Mög - lich kei ten füh ren gleich zei tig zu wach sen den Er war tun gen mit ent spre chen den An for de run gen. All dem müs sen wir uns stel len, wo bei Un ter neh men und Or ga ni sa tio nen ebenso be trof fen sind wie Sie und ich. Wo es in Un ter neh - men darum geht, ver schie dene Pro zesse auf ein an der ab - zu stim men, neue Pro dukte zu ent wi ckeln und Feh ler zu ver mei den, müs sen wir als Ein zel per son über le gen, wie wir un sere be ruf li chen und pri va ten Ziele un ter ei nen Hut brin gen, für un ser Le ben neue Per spek ti ven er schlie ßen oder Lö sun gen für die di ver sen Pro bleme fin den. Mö gen die In halte da bei noch so ver schie den sein, die zu grun de lie - gende He raus for de rung ist in den al ler meis ten Fäl len die - selbe: Kom ple xi tät. Da raus er gibt sich die Frage, wie wir Kom ple xi tät am be - sten be herr schen? Ein ver trau ter Me cha nis mus läßt uns nach Ant wor ten su chen, die uns im Prin zip ver traut sind. Wir tun das, was wir schon im mer ge tan ha ben, wenn es eng wurde: die Zähne zu sam men bei ßen, uns noch mehr an stren gen, noch ge nauer vor ge hen. Gleich zei tig ru fen wir nach bes se rer Kon trolle. Kurz, wir ma chen al les wie bis - her, nur ein fach et was bes ser. Kann das gut ge hen? Bei ein fa chen He raus for de run gen mag diese Stra te gie noch zum Er folg füh ren, aber in kom ple xen Si tua tio nen wird sie sich als fa tal er wei sen. Denn Kom ple xi tät ist nicht ein fach et was kom pli zier ter, son dern grund sätz lich an ders. Um Kom ple xi tät an ge mes sen be geg nen zu kön nen ob im Un - ter neh men oder im pri va ten All tag, müssen wir deshalb zuerst einmal ihre grundsätzliche Andersartigkeit ver ste - hen. 1

Im All tag be nut zen wir häu fig den Be griff der Kom ple xi tät, um da mit ei nen kom pli zier ten Zu sam men hang zu cha rak - ter isie ren. Für das Ver ständ nis der Sys tem theo rie ist es je - doch von grund le gen der Be deu tung, klar zwi schen kom plex und kom pli ziert zu un ter schei den. Ge gen über dem weit ge - fass ten All tags sprach ge brauch be zeich net Kom ple xi tät in den Na tur wis sen schaf ten und der Tech nik eine klar um ris - sene, ei gene Klasse von Phä no me nen, wel che sich ent ge - gen dem me cha ni schen Den ken nicht aus der ge nauen Kennt nis der be tei lig ten Ele mente oder der ein zel nen Ver - än de rungs schritte er klä ren las sen. Mit an de ren Wor ten: Das Ganze ist mehr als die Summe sei ner Teile. Mit der Be - we gung und der Steu er bar keit solcher Ganzheiten oder Systeme wollen wir uns in diesem Buch beschäftigen. Zum We sens zug der Kom ple xi tät ge hört, dass sie aus ganz ein fa chen Struk tu ren her vor ge hen kann. Das Ver - damp fen oder Zu-Bo den-fal len ei nes ein zel nen Was ser - trop fens ist durch aus ein fach und be re chen bar. Wie sich da ge gen eine Viel zahl von Was ser trop fen ver hal ten, ent - zieht sich je der ex ak ten Pro gnose. Das er le ben wir bei der Wet ter vor her sage täg lich neu. Es ist ein ty pi sches Kenn zei - chen kom ple xer Sys teme, dass sie trotz ein fa cher und be re - chen ba rer Ein zel ele mente eine ge wisse Un vor hers ag bar keit und Ei gen dy na mik ent wi ckeln. Da bei tre ten Phä no mene auf, wel che für das Ge samt ver hal ten cha rak ter is tisch sind. Weil bei kom ple xen Sys te men häu fig die Ein zel teile oder Ein zel schritte so klar und be re chen bar sind, fällt es uns schwer, die tatsächliche Unvorhersagbarkeit des Ganzen zu akzeptieren. Diese Un vor hers ag bar keit kom ple xer Sys teme kon fron - tiert uns mit im men sen He raus for de run gen: Wie sol len wir die Fer ti gungs ab läufe steu ern, un se rem ganz all täg li chen Le ben eine Rich tung ge ben oder ganz all ge mein Pro bleme lö sen, wenn sich al les der Be re chen bar keit ent zieht? Das ist eine der Kern fra gen, die die so ge nannte Systemtheorie zu beantworten versucht. Auch oder ge rade wenn wir über Sys tem theo rie spre chen, stür zen wir uns mit ten in ei nen sys tem theo re ti schen Zu - sam men hang bzw. in eine kom plexe Un si cher heit. Da es die Sys tem theo rie als ein klar ab ge grenz tes Fach ge biet ebenso we nig gibt wie den Sys tem theo re ti ker ste hen wir vor ei nem Pro blem. Spre che ich als Ein zel ner über die Sys tem theo rie, muss ich mir be wusst sein, dass ich mich in den meis ten, 2

viel leicht so gar all ih ren Teil ge bie ten nicht rich tig aus - kenne, zu min dest unter streng wis sen schaft li chen An for - de run gen. An die ser Stelle wird fast im mer eine Art re duk tio nis ti - scher Re flex aus ge löst, mit dem im Hand streich alle dem je wei li gen Sys tem theo re ti ker frem den Dis zi pli nen als mar - gi nal ent tarnt und das ei gene Fach wis sen als das ei gent - lich ent schei dende präsentiert wird. Die Al ter na tive be steht in ei ner of fe nen Be kennt nis der ei ge nen Schwä che oder sys tem be ding ten Un schärfe, bei gleich zei ti ger Orien tie rung am über ge ord ne ten Ziel. Um mit den Fach leu ten der ein zel nen Dis zi pli nen ge mein - sam an ei ner Sys tem theo rie zu ar bei ten, fra gen wir da bei zu erst nach dem je wei li gen Ziel. Bei ei nem ge mein sa men Ziel wer den wir zu sam men wei ter ge hen, an dern falls tren - nen sich un sere Wege. Was spielt es in die sem Mo ment für eine Rolle, wer Recht hat? Das wer den die zu künf ti gen, kon ti nu ier li chen Rich tungs über prü fun gen er wei sen, wel - che dann, sollte es not wen dig sein, zu einer Kor rek tur führen. Ein sol ches Vor ge hen er for dert eine ge hö rige Por tion Mut. Denn mit der Er klä rung der ei ge nen Schwä che le - gen wir gleich sam alle Waf fen ab und tre ten un se rem bis an die Zähne be waff ne ten Kri ti ker nackt ge gen über. Denn aus kri ti scher Sicht ist diese Hal tung eine fun da men tale Bank rott er klä rung. Er wird nun mit sei nen schar fen Werk - zeu gen un ser Sys tem aus ein an der neh men und fein säu - ber lich vor uns aus brei ten, um dann zu ver schwin den. Eine Al ter na tive, ei nen Vor schlag, in wel che Rich tung wir uns statt des sen be we gen sollten, lässt er nicht zurück. Was also ist damit gewonnen? Wir se hen uns in al len Be rei chen der Wis sen schaf ten, aber auch des Le bens mit kom ple xen Sys te men kon fron - tiert. Mich in ter es sie ren vor al lem jene Sys teme, für die die ser Be griff eher nüch tern oder ab schre ckend klingt, näm lich un ser Den ken und Han deln, so wohl im per sön li - chen als auch im gemeinschaftlichen Sinn. Viele Men schen weh ren sich ge gen die Vor stel lung als Sys tem be trach tet zu wer den. Das ist in ge wis ser Weise ver ständ lich, doch letzt lich nicht be rech tigt. Denn bio lo - gisch oder neu ro lo gisch be trach tet, sind wir zwei fel los ein (Zell-)Sys tem. Doch ich glaube, dass auch ein so zia les, phi lo so phi sches und re li giö ses Den ken von uns als 3

Mensch und Sys tem sinn voll ist. Denn die Be rücks ich ti - gung der Phä no mene, die wir in tech ni schen Sys te men be - ob ach ten, kann auch un se rem all täg li chen Le ben zu noch mehr Ent fal tung ver hel fen. Mehr noch er wei sen sich ge rade die cha rak ter is ti schen Züge komplexer Systeme als das, was uns Menschen menschlich macht. Da rü ber hin aus se hen wir uns als Ge mein schaft, also in Or ga ni sa tio nen und Un ter neh men, zu neh mend mit kom - ple xen He raus for de run gen kon fron tiert, die wir ohne ein ent spre chen des Ver ständ nis nicht be wäl ti gen wer den. Doch das not wen dige Wis sen des Ma na gers oder Po li ti kers ist kein Fach wis sen in dem Sinn, dass es auf die je wei lige Tä tig keit be schränkt wäre. Der Ma na ger oder Po li ti ker wird mei ner Mei nung nach den Um gang mit Kom ple xi tät nur ver - ste hen, wenn er ihn, so wie wir alle, buch stäb lich in je der Le bens lage wie der fin det. Dann wird er sein Wis sen zum Um gang mit kom ple xen Sys te men nicht (nur) des we gen pfle gen, weil es seine Tä tig keit er for dert, son dern vor al lem, um sein ei ge nes Le ben stim mi ger zu ge stal ten. Denn es sind die gleichen Muster, die auf den ver schie de nen Ebenen des Denkens und Handelns wirksam sind. Im Mit tel punkt mei nes In ter es ses ste hen dem nach alle so zia len Sys teme, vor al lem aber die Frage, was das für un - ser Le ben kon kret be deu tet. Meine Ant wor ten be zie hen sich aber auch aus drüc klich auf die ver schie dens ten ge mein - schaft li chen Sys teme, für de ren Be trach tung und Ge stal - tung ich eine Reihe von eigenen Ideen präsentieren werde. Mit ei nem Mo dell, das kon kret Vor stel lun gen ent wi ckelt, wie das Ganze aus sei nen Tei len ent steht, er scheint die Kom ple xi tät un se res Den ken und Han delns mit un ter in ei - nem völ lig neuen Licht. Viele Sys teme, vom per sön li chen Le ben bis hin zu Or ga ni sa tions- und Fer ti gungs pro zes sen, las sen sich mit die sem Wis sen neu dis ku tie ren. Die Grund - prin zi pien blei ben je des Mal die glei chen, so dass wir nicht für je des Sys tem völ lig neue Re gel ler nen müs sen! Gleich - zei tig sind die ver schie de nen Sys teme eng mit ein an der ver - bun den, so dass sie sich ge gen sei tig be ein flus sen. Je der ist an ge spro chen: als Nach bar, als Po li ti ker, als Ma na ger, als Fa mi lien va ter. Doch nie be fin den wir uns nur in ei ner die ser Rol len, oder Sys teme; viel mehr durch drin gen sie sich ge - gen sei tig ein Sys tem von Sys te men. Die Mög lich keit, Sys - tem den ken in die verschiedensten Systeme zu tragen, ist buchstäblich vielschichtig, unbegrenzt und offen. 4

Da wir letzt lich alle an der Frage in ter es siert sind, was wir tun kön nen (um un ser Le ben zu ge stal ten und Lö sun - gen zu fin den), ist un sere grund sätz li che Frei heit von gro - ßer Be deu tung. Die von Neu ro phy sio lo gen und Phi lo so - phen hef tig dis ku tierte Frage nach der Frei heit, ge winnt vor dem Hin ter grund der von mir ent wi ckel ten sys te mi - schen Be trach tun gen eine neue Per spek tive. Diese ist nicht nur für den Neu ro phy sio lo gen und Phi lo so phen in - ter es sant, son dern vor al lem für die Ge stal tung un se res täg li chen Le bens, also für Sie und mich. Ich will das Sys - tem nicht nur be schrei ben, son dern auch be ein flus sen. Da für brau che ich die nötige Freiheit. Ich werde zeigen, wie diese aussehen kann. Un sere Welt mit ih rer Kom ple xi tät und Re la ti vi tät ist so an ders als wir sie uns vor stel len, dass es für den Ein zel nen gro ßer An stren gun gen be darf, um diese An ders ar tig keit vom Grund satz her zu ver ste hen. Doch es be trifft nicht nur den Wis sen schaft ler, der sich in sei nem Spe zial la bor mit selt sa men Phä no me nen be fasst, son dern uns alle. Da bei geht es nicht um die Ent wic klung ei nes wis sen schaft li chen Ver ständ nis ses, ein schließ lich der Be herr schung der ma - the ma ti schen Glei chun gen. Auch ist der Nut zen kein sol - cher, mit dem man nur beim Fern seh quiz punk tet. Denn Kom ple xi tät und Re la ti vi tät durch dringt buch stäb lich jede Le bens si tua tion. Sie vom Grund satz her zu ver ste hen, schafft die Vor aus set zun gen, un ser ganz alltägliches Leben zu meistern, auf persönlicher und auf ge sell schaft li - cher Ebene. Egal ob wir die Po li tik ei nes Lan des, die Stra te gie ei nes Un ter neh mens oder das Aben teuer un se res täg li chen Le - bens ge stal ten wol len, wir be geg nen da bei im mer wie der den glei chen Phä no me nen und He raus for de run gen. Um sie be wäl ti gen zu kön nen, be darf es ei nes grund sätz li chen Ver ständ nis ses der An ders ar tig keit: Ex akte Be re chen bar - keit, de tail ge naue Kon trolle, Ob jek ti vi tät ent pup pen sich in letz ter Kon se quenz als nicht halt bar. Erst wenn wir uns die sem Fron tal an griff auf un ser Da sein stel len, kann sich eine Weltsicht entwickeln, die uns den Dingen an ge mes - sen gegenübertreten lässt. Ein grund le gen des Ver ständ nis der Kom ple xi tät und Re - la ti vi tät un se rer Welt zu ent wi ckeln, ist keine Auf gabe, die man im Vor über ge hen er le di gen kann; es stellt sich auch nicht als un ver meid ba res Er geb nis von Le bens er fah rung 5

ein. Statt des sen müs sen wir Zeit, Auf wand, Übung und An - stren gung in ves tie ren. Dazu wer den wir aber nur in der Lage sein, wenn wir auf eine ge wisse Art ver ste hen wol len, wie un sere Welt funk tio niert, ohne da raus un mit tel bar einen handfesten Nutzen ableiten zu wollen. Diese Kom bi na tion des tief lie gen den Wun sches nach Welt ver ständ nis und der da rauf auf bau en den me tho di - schen Su che, er in nert an re li giöse Mo ti vat io nen. Wer hier nun den Schluss zieht, al les sei in letz ter Kon se quenz be - reits be kannt, um dann, über die Hin ter tür, die al ten Dog - men neu zu be le ben, der un ter liegt ei nem gro ben Miss ver - ständ nis. Starre hie rar chi sche Struk tu ren und Steue rung durch (wie auch im mer ge ar tete) äu ßere Mächte, schei nen mir un ver ein bar mit dem We sen der Welt, so wie es sich in sei ner Kom ple xi tät und Re la ti vi tät prä sen tiert. Kom ple xi tät und Re la ti vi tät sind keine Werk zeuge ei nes mäch ti gen Herr - schers, schon gar keine gött li chen Stra fen. Viel mehr glei - chen sie Mus tern, wel che al les durch drin gen, all ge gen wär - tig sind oder al les ver bin den (wie Ba te son es sa gen würde). Wenn wir also dem Steue rungs- und Kon troll den ken ab - schwö ren und die Mus ter der Kom ple xi tät ge wahr wer den, kann es sein, dass wir an ei nen Punkt gelangen, der dem Ursprung der Religion nahe zu stehen scheint oder vielleicht sogar mit ihm übereinstimmt. Aber das muss je der selbst ent schei den, frei lich erst, nach dem sie oder er die Ge stal tung ih res kom ple xen Le bens selbst in die Hand neh men, ohne die Lö sung von ei nem mäch ti gen Gott oder star ken Kanz ler zu fordern. Am Ende bleibt ein win zi ges Pro blem: Wir kön nen nicht über kom plexe so ziale Sys teme und de ren Ky ber ne tik spre - chen, wie über ei nen Zu stand. Eine Theo rie so zia ler Sys - teme muß ih rer seits sys te misch er kannt, ver mit telt und wei ter ent wi ckelt wer den. Au ßer dem fra gen wir uns nicht zu un recht, mit wel chem der oben ge nann ten Ec kpunkte wir be gin nen sol len? Um den Punkt A zu er klä ren, werde ich mit un ter auf B, C und D zu rüc kgrei fen müs sen... Al les hängt eben zu sam men ein ty pisch kom ple xes Pro blem. Die sem Pro blem läßt sich mei ner An sicht nach auf eine ein - fa che, an schau lich und oben drein an ge nehme Weise be geg - nen, näm lich durch den kon ti nu ier li chen Be zug auf das kom plexe Sys tem un se rer ei ge nen Be we gun gen. Wenn es mir bis her ge lang, Men schen für meine tro cke nen sys te - 6

mi schen Vor stel lun gen zu interessieren, dann geschah es mit Hilfe dieses anschaulichen Modells: unser Körper. Dass un sere Be we gun gen und die Ent wic klung der Bewe gungs fä hig keit ei ner ky ber ne ti schen, sich selbst or - ga ni sie ren den Ent wic klung fol gen, diese An sicht ver trat Ni ko lai Alex an dro witsch Berns tein mit sei ner Be we gungs - phy sio lo gie be reits Mitte des letz ten Jahr hun derts. Ein Gross teil sei ner Ideen hat bis heute keine Ak tua li tät ver lo - ren. Seine Be schrei bun gen der Ent wic klung und des Er ler - nens von Be we gun gen die nen mir als ein Bei spiel für die grund sätz li che Funk tions weise kom ple xer so zia ler Sys - teme. Be denkt man die enge Ver bin dung von Den ken, Han deln und Be we gen, dann wird die Be schäf ti gung mit dem Mo dell der Kör per be we gun gen zu mehr als nur ei ner bild li chen An schau ung. Un ter an de rem er öff net sie uns eine ein ma lige Mög lich keit, näm lich die Be schäf ti gung mit den ei ge nen Bewe gun gen zu nut zen, um die kom ple xen Sys teme un se res Den kens und Han delns zu ver ste hen (und ganz ne ben bei viel leicht auch uns selbst). Ich weiß nicht, ob ein ent spre chen des Vor ge hen in ei - nem Buch ge lingt, und Sie wer den meine Ideen auch ohne die klei nen Be we gungs-ex kurs io nen ver ste hen, die ich Ih nen als Fel den krais-leh rer ge le gent lich vor schla gen werde. Aber die be ste Mög lich keit, um eine ge mein same Ge sprächs grund lage für mein Mo dell so zia ler Sys teme zu ent wi ckeln, wäre, Sie leg ten sich auf den Rü cken und folgten mir durch eine Fel den krais-lek tion. Dann ließe sich ganz ein fach auf Ba sis des kom ple xen Sys tems Ih res Kör pers eine ge mein same Spra che mit den pas sen den Bil - dern ent wi ckeln. 7