von links: Winfried Kalkmann, Martina Granaß und Dr. Stefan Schapöhler Lüneburger Versicherungsgespräche* Am Institut für Wirtschaftsrecht der Leuphana Universität Lüneburg diskutieren Fachleute aus der Versicherungspraxis mit Vertretern der Lehre aktuelle Themen aus den Bereichen Risikomanagement, Haftpflicht und Versicherungen. Die Versicherungswirtschaft veröffentlicht die Ergebnisse in loser Folge. 2: US-Exposure in deutschen Haftpflichtpolicen Mathias Paulokat: Herr Professor Hohlbein, lassen Sie uns gedanklich einen Ausflug in die USA unternehmen. Dieser Markt ist für viele Hersteller attraktiv trotz Wirtschaftskrise, überschuldeter Privathaushalte und spektakulärer Produkthaftpflichtprozesse mit absurd hohen Summen. Was halten Sie von den Gerichtsurteilen, die es immer wieder in die Schlagzeilen schaffen? 1
Bernhard Hohlbein: Lassen Sie uns das Thema versachlichen. Was die Urteile angeht, so sind einige von ihnen Fiktion. Ein Klassiker ist dabei wohl ein Haustier in einer Mikrowelle und die anschließende Klage gegen den Hersteller. Da solche Fälle aber häufig zitiert werden, klingen sie mittlerweile typisch amerikanisch für uns. Paulokat: Dennoch, ganz praktisch: Welche Tipps würden Sie deutschen Unternehmen geben, damit sich diese besser auf die USA vorbereiten können? Hohlbein: Tipps sind leicht gegeben, die Umsetzung ist die Herausforderung. Besonders wichtig sind aber wohl folgende Punkte: Produktkenntnis, Kenntnisse des materiellen Rechts und des Prozessrechts, strategisches Risikomanagement sowie ein adäquates Versicherungskonzept. Paulokat: Moment, Stichwort: Produktkenntnis. Herr Dr. Schapöhler, Hersteller werden ihre Produkte doch kennen, oder? Stefan Schapöhler: Grundsätzlich schon. Aber hier gilt es, zusätzlich zu den rechtlichen und technischen Produktanforderungen und der Schadenerfahrung im Heimatland die US-Besonderheiten zu sehen. Eventuell wird das in Rede stehende Produkt in den USA gefährlich, weil es anders gebraucht, anders eingesetzt, von anders ausgebildetem und anders geschultem Personal gewartet oder bedient wird. Paulokat: Das ist bei gewissen Produkten einleuchtend... Schapöhler:... ja, beispielsweise bei Schusswaffen und Dingen, die so eingesetzt werden könnten: Schmucksäbel, Sportbögen, Messer und eventuell auch Werkzeuge. Paulokat: Logisch. Was aber ist mit Produkten, die ungefährlich sind? Schapöhler: Auch Produkte, die auf den ersten Blick nicht gefährlich wirken, können Schadenpotenzial haben. Denken Sie nur an: Helme 2
Schutzhelme, Motorradhelme, Skihelme, die allesamt nach Unfällen kritisch betrachtet werden; Werkzeuge und Maschinen, deren Sicherheitseinrichtungen überbrückt werden können; Rasenmäher, deren Warnhinweise herzinfarktgefährdete Personen nicht hinreichend vor Überanstrengung warnen; Sportgeräte, Trampolin- oder Karussellanlagen, deren Hersteller oder Betreiber nicht angemessen auf mögliche Gesundheitsgefahren hinweisen; Kinderspielzeug, das Weichmacher enthält; technische Geräte, die von jungen Menschen zu lang und zu laut eingesetzt werden können und zu Schäden führen. Paulokat: Eine lange Liste. Schapöhler: Das waren nur einige Beispiele. Denken Sie auch an die Pharmazie: In den USA ist der medizinisch ursprünglich nicht vorgesehene Einsatz von Medikamenten, der sogenannte Off-Label-Use, ein Thema; ebenso die Tatsache, dass Drugstores Pillen ohne Beipackzettel verkaufen; auch Lifestyle-Präparate, die zur Nahrungsergänzung eingenommen werden, können zu Schäden führen. Paulokat: Herr Hohlbein, Sie erwähnten eingangs auch die Bedeutung des materiellen und des prozessualen Rechts. An was ist da besonders zu denken? Hohlbein: Materiellrechtlich ist die Situation nicht komplett anders als in Deutschland. Auch in den USA braucht ein Kläger Anspruchsgrundlagen, um Ansprüche durchzusetzen. Und auch in den USA führt nicht jede Klage eines Übergewichtigen automatisch zur Verurteilung des Nahrungsmittelherstellers. Im Kern werden sich Ansprüche dort auf Negligence, Warranty oder auf Strict Liability stützen. Paulokat: Das bedeutet konkret was? Hohlbein: Während Fahrlässigkeit im deutschen System keine Anspruchsgrundlage, sondern nur ein Verschuldensmaßstab ist, beschreibt Negligence in den USA eine verschuldensabhängige Anspruchsgrundlage, die weitere tatbestandliche Voraussetzungen hat. 3
Ein Hersteller kann sich nur dann entlasten, wenn er das Produkt sorgfältig entwickelt, getestet, Herstellungsfehler vermieden und den Endverbraucher angemessen vor Risiken gewarnt hat. Warranty ist eine vertragliche Anspruchsgrundlage für Garantiezusagen; dafür haftet der Produzent verschuldensunabhängig. Und Strict Liability ähnelt unserer Gefährdungshaftung. Dieses Haftungsprinzip wird angewandt, wenn ein Produkt als unangemessen gefährlich angesehen wird. Paulokat: Und wie wird unangemessen gefährlich ausgelegt, Frau Granaß? Martina Granaß: Weit. Ein Klägeranwalt wird auf der Suche nach Fehlerquellen gewissermaßen am Produktionsprozess entlang auf Verbrauchererwartungen abstellen und sich beschäftigen mit Aspekten wie Konstruktion, Produktion, Gebrauchsanweisungen, Warnhinweisen, Marketing, Verkauf und Kundendienst. Dem Hersteller kann nur gutes Risikomanagement, ein Qualitätsprodukt und lückenlose Dokumentation helfen. Paulokat: Sagten Sie eben Marketing? Können dadurch Haftungsansprüche begründet werden? Granaß: Ja. Anpreisende Produktbeschreibungen können Zusagen enthalten oder fehlerhaft sein. Auch nach unserem Produkthaftungsgesetz kann ein Produkt unter Berücksichtigung seiner Darbietung als fehlerhaft angesehen werden. Von schwärmerischer Werbung und von Superlativen würde ich daher nicht nur in den USA abraten. Paulokat: Und wenn doch was schief geht, übernimmt die BHV den Rest? Granaß: Im Rahmen der Police. Produkthersteller und Händler sollten sich aber bewusst sein, das US-Risiken nicht automatisch in einer Haftpflichtpolice mitversichert sind. US-Risiken können aber in einer deutschen BHV mitversichert werden auch stufenweise. 4
Paulokat: Stufenweise? Wie meinen Sie das? Granaß: Das US-Exposure unter einer deutschen Haftpflichtpolice kann sich unterschiedlich darstellen, sich beispielsweise graduell entwickeln. Es könnte zunächst Risiken durch Kunden, Gäste oder Besucher geben, die aus den USA kommen und hier geschädigt werden. Wir würden hier von einem Lokalrisiko sprechen... Winfried Kalkmann:... weiter könnten auch Dienstreisen in die USA ein Thema sein. Außerdem könnten sich US-Produktrisiken bei direkten oder indirekten Exporten ergeben. Beim Vertrieb über das Internet kann das schnell der Fall sein. Ferner könnte es Vertriebsbüros und Kundendiensttätigkeiten in den USA geben. Schließlich kann ein Versicherungsnehmer eigene Betriebsstätten in den USA unterhalten. In jedem Fall ist ein Versicherungsnehmer gut beraten, den Umfang der US-Aktivitäten mit seinem Versicherer zu erörtern. Paulokat: Und was kostet die Mitversicherung des US-Risikos in einer deutschen BHV? Kalkmann: Abhängig vom Produkt und dem Grad des US-Exposures werden die skizzierten Phasen kostenfrei mitversichert sein, gegen Zusatzprämie versicherbar werden oder aber nur schwer und mit versicherungstechnischen Einschränkungen versicherbar sein. Die risikoadäquate Prämie kann bis zu einem Mehrfachen der Prämie betragen, die man in Deutschland für vergleichbares Risiko für angemessen hält. Paulokat: Aber wenn die Prämie zu teuer wird, lohnt sich der Export nicht. Hohlbein: Das ist denkbar. Aber bei der Prämienfindung wird kein böser Wille im Spiel sein. Mit der Prämie spiegelt der Versicherungsmarkt das Risiko des Herstellers. Der Effekt kann unter Risikomanagement-Gesichtspunkten eine hilfreiche Signalfunktion haben. 5
Kalkmann: Und wenn der Versicherungsnehmer in den USA bereits mit einer Niederlassung, einer Tochtergesellschaft oder mit einer Produktion vertreten ist, wird üblicherweise eine vor Ort eingekaufte Versicherungsdeckung sinnvoll sein. Damit wäre ein guter ortsüblicher Standard sichergestellt und die Deckung wäre, wir würden sagen: admitted was bei den unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesstaaten wichtig ist. Eine eventuell weitergehende Deckung könnte im Zusammenspiel mit der deutschen Haftpflichtpolice über einen Master-Cover arrangiert werden. Dabei ginge es dann um die Fragen, wie mit unterschiedlichen Deckungssummen oder unterschiedlichen Konditionen umgegangen werden soll. Paulokat: Im Zusammenhang mit der Deckung von US-Exposure erwähnten Sie mögliche versicherungstechnische Einschränkungen. Welche könnten das sein? Kalkmann: Da geht es um die Bedingungen, mit denen das Risiko versicherbar gestaltet werden kann. Anzusprechen wären: die Versicherungsfalldefinition (Claims-made-Prinzip oder Schadenereignis), der Selbstbehalt, die Deckungssumme, das Jahreslimit, ein eventuell erforderliches Sublimit, die Kostenklausel und die Prämie. Paulokat: Herr Hohlbein, Sie hatten eingangs auch prozessrechtliche Aspekte als Herausforderung genannt. Welche sind besonders erwähnenswert? Hohlbein: Da wären zunächst zu nennen: Prozesskosten, Erfolgshonorare, Gerichtsstand, Jury, die gefürchteten Strafschadenersatzzahlungen und die Theorie der Deep-Pockets. Paulokat: Können Sie bitte nur einige der Begriffe kurz erläutern? Hohlbein: Zunächst zu den Prozesskosten: Aus dem deutschen Zivilprozess kennen wir die Regelung, dass die unterliegende Partei die Kosten des gesamten Rechtsstreits zahlt. Damit gibt es bei uns auch 6
wirtschaftliche Gründe, die Erfolgschancen eines Prozesses ernsthaft zu prüfen. Das hat eine mäßigende Wirkung. In den USA mag die Entscheidung zur Klage etwas leichter von der Hand gehen, da jede Partei dort grundsätzlich nur ihre eigenen Kosten zahlt. Schapöhler: Überdies vereinbaren amerikanische Klägeranwälte oft Erfolgshonorare, Contingency-Fees. Im Rahmen einer solchen Vereinbarung trägt der Kläger kein Prozesskostenrisiko, zahlt allerdings, wenn er gewinnt, rasch bis zu einem Drittel des dem Kläger zugesprochenen Betrages an den Anwalt. Granaß: Und bei der Frage des Gerichtsstands, Forum, kann in den USA bereits ein beiläufiger Kontakt zu einem Bundesstaat genügen, um die dortige Zuständigkeit eines Gerichts zu begründen. Ein Klägeranwalt wird geneigt sein, diese Option zu Gunsten seines Mandanten zu spielen. Dies mag prozessrechtliche oder materiellrechtliche Gründe haben, von der dort zu wählenden Jury abhängen oder von der Aussicht auf besonders hohe Strafschadenersatzzahlungen geleitet sein. Kalkmann: Übrigens, solche Punitive Damages werden nicht versicherbar sein, sind haftungsmäßig also eine besondere Bedrohung. Paulokat: Frau Granaß, gibt es noch einen letzten Begriff, der Ihnen ganz wichtig ist? Granaß: Das ist die Deep-Pocket-Theory. Sie spielt auf die Tatsache an, dass ein US-Anwalt versuchen wird, für seinen Mandanten einen solventen Anspruchsgegner zu finden. Das ist oft ein Beklagter mit einer guten Haftpflichtversicherung aber deswegen keine Haftpflichtversicherung abzuschließen, ist auch keine empfehlenswerte Alternative. Paulokat: Danke. Für deutsche Produkthersteller scheint es also wichtig, sich vor dem Markteintritt umfassend zu informieren und geeignete Risikostrategien zu erarbeiten. 7
* Martina Granaß, Winfried Kalkmann und Dr. Stefan Schapöhler sind Underwriter der E+S Rückversicherung AG und für das Thema Haftpflicht zuständig. Dr. Bernhard Hohlbein ist Professor für Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Versicherungen an der Leuphana Universität Lüneburg. Mathias Paulokat ist Diplom- Wirtschaftsjurist (FH), MBA und arbeitet als Unternehmens- Pressesprecher im Bankgewerbe sowie als freier Automobil- und Wirtschaftsjournalist. 8