Benedikt Sauer. Elementgehalte und Stoffströme bei der Strom- und Wärmegewinnung im Bioenergiedorf Jühnde



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Transkript:

Institut für Bioenergiedörfer Göttingen e. V. Benedikt Sauer Elementgehalte und Stoffströme bei der Strom- und Wärmegewinnung im Bioenergiedorf Jühnde Schriftenreihe Fortschritt neu denken Heft 2 Göttingen 2010

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung...3 1.1 Bioenergiedorf Jühnde...6 Entstehung... 6 Eckdaten Jühnde... 8 Technisches Konzept... 8 Biogasanlage... 10 Biogasbildung... 11 Biomasselagerung... 12 Biogasleitung und Blockheizkraftwerk... 13 Holzhackschnitzelheizwerk... 14 Heizölkessel... 15 Nahwärmenetz und Wärmeverteilung... 15 1.2 Bioenergiehof Obernjesa...18 1.3 Planung und Ablauf des Forschungsvorhabens...19 2. Methoden...20 2.1 Probenahme...20 Bioenergiedorf Jühnde... 20 Güllevorgrube... 20 Fermenter... 21 Gärrestelager... 23 Silage... 24 Holzhackschnitzel... 25 Rost- und Flugasche... 26 Sonstiges Probenmaterial... 27 Energiepflanzen... 27 Bodenprobenahme Jühnde... 28 Bioenergiehof Obernjesa... 28 2.2. Analytik...30 Trockensubstanzgehalt... 30 Säuretotalaufschluss... 30 Optisches Spektrometer... 31 Massenspektrometer... 32 Kohlenstoff-, Stickstoff- und Schwefel-Bestimmung... 32 ph-werte der Böden... 32 Gemessenes Elementspektrum... 33 3. Ergebnisse und Interpretation...36 3.1 Böden...36 3.2 Energiepflanzen...39 Anhaftendes Material... 42 Transferfaktor Boden Pflanze... 63 Silage... 65 3.3 Gülle...76 1

3.4 Fermentermaterial, Gärrest...82 Elementinput in den Fermenter... 88 Schwellenwerte für Spurenelemente im Fermenter... 90 3.5 Gärrest, Biogasausbeute...97 Anreicherungsfaktoren... 97 Berechnung der Biogasausbeute aus Elementanreicherungen... 98 Düngung mit Gärrest... 101 3.6 Holz und Asche...106 3.7 CO 2 - und Luftschadstoffeinsparung durch die Umstellung der Energieversorgung in Jühnde...109 3.8 Bioenergiedorfpotenzial in Deutschland...112 4. Zusammenfassung...114 5. Ausblick...118 6. Literaturverzeichnis...120 Anhang 2

1 Einleitung Die gegenwärtige landwirtschaftliche Praxis verursacht in den Böden Anreicherungen mit Nährstoffen sowie mit Pflanzenschutzmitteln. Hinzu kommen organische Stoffe und Schwermetalle, die durch Immissionen aus der Luft, aber auch durch Klärschlämme, Düngemittel etc. direkt in die Böden eingetragen werden. Diese Stoffe beeinflussen die Grund- und Oberflächenwasserqualität, das Pflanzenwachstum, das Bodenleben und die Atmosphäre. Ähnliches gilt auch für Wälder, in denen es durch Immissionen insbesondere von Säuren und Schwermetallen zu Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen und der Pflanzenentwicklung (neuartige Waldschäden) sowie der Wasserqualität kommt. Veränderte Bewirtschaftungsweisen wie z.b. extensive Landbaumethoden, erweiterte Fruchtfolgen, gezielter ganzjähriger Bewuchs von Ackerflächen und die Entnahme von Schwachholz aus Forstbeständen bieten die Möglichkeit, unerwünschte Umwelteffekte (z.b. Eutrophierung, Kontamination, Erosion) zu verringern. In dieser Arbeit werden die im Bioenergiedorf Jühnde (12 km südwestlich von Göttingen, Niedersachsen) veränderten Stoffflüsse, die sich durch Umstellung auf die Biomasseproduktion auf eine eigenständige Strom- und Wärmegewinnung ergeben, erfasst und entsprechenden Bilanzen herkömmlicher Energieträger gegenüber gestellt. Damit wird ermittelt, ob es durch das andere Anbau- und das resultierende Nährelementrecyclingkonzept bei den Nähr- und Schadstoffen zu Entlastungen kommt. Mit der Methode der Massenflussbilanzierungen werden die Schad- und Nährelementströme auf dem gesamten Weg des Energieträgers vom Anbau über den Vergärungs- bzw. Verbrennungsprozess bis zur Rückführung auf die Böden analysiert und bilanziert, um eine Einschätzung und Optimierung der Umweltverträglichkeit der Maßnahmen zu ermöglichen. Die gewonnenen Daten sind unter anderem die Basis zur Minimierung des Nährelementbedarfes (Düngemitteleinsatz mit resultierender Verringerung der Eutrophierung der Gewässer und des Nitratgehaltes des Grundwassers), aber auch für die Optimierung der technischen Verfahren (Emissionen, Ascheverwertung etc.). Die CO 2 -Bilanz des Bioenergiedorfes Jühnde rundet die Untersuchungen zur Umweltverträglichkeit ab. Nach Fertigstellung der Bioenergieanlagen im Dorf Jühnde im Jahr 2005 wurden systematisch die Elementgehalte, Stoffströme und die CO 2 -Bilanz über die Jahre 2005 2007 erforscht. Ziel der Errichtung des ersten Bioenergiedorfes in Deutschland 3

war die Umstellung der Strom- und Wärmeversorgung des Ortes auf die Basis von Energiepflanzen und Gülle. Die Energiepflanzen werden siliert und zusammen mit Gülle über einen Fermentationsprozess in Biogas umgewandelt, das wiederum zur Strom- und Wärmeproduktion in einem Blockheizkraftwerk verbrannt wird. Im Winter wird zusätzlich mit einem zentralen Holzhackschnitzelofen geheizt. Die Elektrizität wird in das normale Stromnetz eingespeist, die Wärme in ein Nahwärmenetz, das im Dorf verlegt wurde. Die vergorene Biomasse (Gärrest) wird bedarfsgerecht aus einem Gärrestbehälter zurück auf die Felder geführt. Um die Umweltverträglichkeit der Biomassenutzung bezüglich von Nähr- und Schadelementen zu untersuchen, wurden die Böden, die darauf wachsenden Energiepflanzen inklusive Holzhackschnitzel, das Silagematerial, der Fermenterinhalt, der Gärrest und die Holzaschen systematisch analysiert. Zusätzlich wurden die Energiepflanzen und dar Gärrest einer zweiten Biogasanlage (Bioenergiehof Obernjesa, 8 km südlich von Göttingen) mit untersucht, die nur mit silierten Energiepflanzen (d.h. ohne Gülle) beschickt wurde. Durch den Vergleich der beiden Biogasanlagen kann der Einfluss der zugeführten Elementgehalte auf die Gasausbeute ermittelt werden. Dies ist von großer Bedeutung für die Rentabilität einer solchen Anlage, da die Gasausbeute die Einnahmen aus der Energiegewinnung, also letztlich die ökonomische Tragfähigkeit, stark mit bestimmt. Durch die kontinuierliche Probenahme und geochemische Analyse der Elementgehalte und Stoffströme im Bioenergiedorf Jühnde und im Bioenergiehof Obernjesa konnten folgende neue Erkenntnisse zu folgenden Ansätzen gewonnen werden: Erstmals über zwei Jahre erfasste Stoffströme unterschiedlicher Nähr- und Schadelemente einer Biogasanlage auf Basis der Input/Output-Analyse wahre Element-Transferfaktoren vom Boden in die Pflanze und Erkenntnisse über die Bedeutung von anhaftendem Bodenmaterial an pflanzlichen Proben Schwellenwerte für essentielle Elemente in Biogasanlagen in Bezug auf die Methanausbeute eine neue Methode zur Berechnung der Biogasausbeute mittels Elementanalysen und Schrumpfungsfaktoren 4

Aussagen zur Qualität des Gärrestes als Düngemittel im Vergleich zu anderen Düngemitteln Daten zur Umweltverträglichkeit (CO 2 -Äquivalente und SO 2 -Äquivalente) der Maßnahme Bioenergiedorf Jühnde im Vergleich mit der herkömmlichen Strom- und Wärmeproduktion in Deutschland Durch diese neuen Erkenntnisse ergeben sich Möglichkeiten, die Energiegewinnung mittels Biomasse unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit weiter zu verbessern. Die Ergebnisse sind bedeutsam für die Optimierung aller Biogasanlagen, die mit einem Gemisch aus Pflanzen und Gülle oder nur mit Pflanzen beschickt werden. Mit dieser Arbeit soll ein Beitrag zur Stärkung des regenerativen Energieträgers Biomasse als Ersatz von fossilen Energieträgern zum Klimaschutz geleistet werden. 5

1.1 Bioenergiedorf Jühnde Entstehung Das Konzept Bioenergiedorf wurde im Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Göttingen (IZNE) bereits Ende der neunziger Jahre erdacht. Mitarbeiter und Professoren aus den Disziplinen Geowissenschaften, Ökonomie, Bodenkunde, Nutzpflanzenkunde, Soziologie, Psychologie und Politologie entwickelten gemeinsam die Idee, in einem Dorf die Strom- und Wärmeversorgung auf regenerative Energieträger umzustellen. Dem Zeitgeist einen Schritt voraus erkannten diese Wissenschaftler die große Notwendigkeit, einen Lösungsbaustein anzubieten für die vorhersehbaren Probleme wie die Begrenztheit fossiler Energieträger den Anstieg der Energiepreise den durch die massive Freisetzung von Kohlendioxid bei der Verbrennung fossiler Energieträger verursachten Klimawandel die Importhängigkeit von Ländern mit großen Öl- und Gasreserven den Rückgang landwirtschaftlicher Betriebe die Verschlechterung der Lebensqualität und der Attraktivität des Landes. Das interdisziplinäre Pilotprojekt mit dem Titel Das Bioenergiedorf Voraussetzung und Folgen einer eigenständigen Wärme- und Stromversorgung durch Biomasse für Landwirtschaft, Ökologie und Lebenskultur wurde von 2000-2008 durch Fördermittel der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) vom Bundesministerium für Ehrnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) unterstützt. Nach Bekanntwerden des Bioenergiedorfgedankens wurden die Wissenschaftler des Projektes bereits im Jahr 2000 zu insgesamt 17 Dorfversammlungen eingeladen, um das Projekt vorzustellen und Initiativen vor Ort zu schaffen. Anschließend wurden in vier ausgewählten Dörfern technische Machbarkeitsstudien erstellt. 2001 wurde das Dorf Jühnde (Abbildung 1) von der Projektgruppe der Universität als erstes Bioenergiedorf ausgewählt. Im Jahre 2005 startete mit der Inbetriebnahme der Biogasanlage die Wärme- und Stromversorgung auf Basis des erneuerbaren Energieträgers Biomasse. 6

Abb. 1: Kühe vor der Biogasanlage und dem Bioenergiedorf Jühnde Die Definition für ein Bioenergiedorf aus dem Leitfaden Wege zum Bioenergiedorf (RUPPERT et al., 2008) lautet: Es ist mindestens so viel Strom durch Biomasse zu erzeugen, wie in dem Ort verbraucht wird Der Wärmebedarf des Ortes wird mindestens zur Hälfte auf Basis von Biomasse abgedeckt. Um eine hohe Energieeffizienz zu erreichen, sollte dies durch Kraft-Wärme-Kopplung erfolgen Die Bioenergieanlagen befinden sich zu mehr als 50 % im Eigentum der Wärmekunden und der Biomasse liefernden Landwirte. Möglichst alle Beteiligten sollten Anteile an den Bioenergieanlagen besitzen 7

Eckdaten Jühnde Etwa 12 km südwestlich von Göttingen auf der Höhe von 310 m ü. NN liegt Jühnde. Der Ort hat circa 800 Einwohner und 9 landwirtschaftliche Betriebe (Stand 2005). Die Gemarkung umfasst 1300 ha landwirtschaftliche Nutzfläche und 800 ha Wald. Der Ort liegt nach der Klimaklassifikation von TROLL & PAFFEN (1963) in der kühlgemäßigten Zone mit subozeanischem Klima. Die frühere mittlere jährliche Jahrestemperatur beträgt 7-8 C und die Niederschlagsmenge beträgt nach KELLER (1979) im jährlichen Mittel 750-900 mm. Die landwirtschaftlichen Flächen in der Gemarkung Jühnde, auf denen Energiepflanzenanbau betrieben wird, befinden sich geologisch auf Böden, die aus dem Unteren, Mittleren und Oberen Muschelkalk entstanden sind. Dies entspricht nach AHL et al. (2002) folgender Entwicklungsabfolge: Rendzina Braunerde Pseudogley Terra fusca. Technisches Konzept Die technische Umsetzung der Bioenergieanlage gestaltet sich nach RUPPERT et al. (2008) in Jühnde folgendermaßen: Kernstück der Bioenergieanlagen (Abbildung 2) ist die Biogasanlage, in der in einem mesophilen (36-40 o C warmen) Nassvergärungsverfahren Mais-, Gras- und Ganzpflanzengetreidesilage, Gülle, vereinzelt auch Getreideschrot vergoren werden. Mit dem gewonnenen Biogas wird ein Blockheizkraftwerk (BHKW) betrieben, welches über einen Generator Strom erzeugt. Im Jahr 2006 konnten in Jühnde mit dem BHKW 4.160.000 kwh (2007: 4.930.000 kwh) elektrischer Strom erzeugt werden, was etwa dem doppelten Strombedarf des Bioenergiedorfs entspricht. Die Abwärme des BHKWs wird teilweise für die Heizung der Biogasanlage verwendet, der andere Teil gelangt über einen Wärmetauscher in das 5,5 km lange Nahwärmenetz, welches die Wärme an die angeschlossenen Haushalte in Jühnde verteilt. Wenn in den kälteren Monaten die Abwärme nicht mehr ausreicht, wird die zweite Komponente der Wärmeversorgung zugeschaltet, ein Holzhackschnitzelheizwerk (HHSHW). Die Holzhackschnitzel (HHS) bestehen aus unterschiedlichen Holzresten, Hölzern und Strauchschnitt aus der regionalen Forstwirtschaft. Seit Sommer 2007 laufen Versuche, in einem Trocknungscontainer in den warmen Sommermonaten die HHS mit überschüssiger Abwärme des BHKWs vorzutrocknen. 8

Sollte es ein paar extrem kalte Tage im Winter geben, oder das BHKW und/oder das HHSHW ausfallen, so kann als dritte Komponente der Wärmeversorgung ein Spitzenlastkessel auf Heizölbasis das komplette Dorf beheizen. Abb. 2: Skizze vom Anlagengelände: 1 = Fermenter, 2 = Nachgärbehälter = Gärrestelager, 3 = befahrbare Waage, 4 = Feststoffdosierer, 5 = BHKW- und Pumpencontainer, 6 = Güllevorgrube, 7 = Wärmepufferspeicher, 8 = Warte, 9 = Feuerlöschteich, 10 = Silageplatte, 11 = Holzhackschnitzellagerhalle, 12 = Holzhackschnitzelofen und Wärmeverteilung, 13 = Trocknungsanlage für Holzhackschnitzel und Korn 9

Biogasanlage Die Biogasanlage besteht aus zwei Behältern, einem Fermenter und einem Nachgärbehälter. Der Fermenter weist ein Nutzvolumen von 3000 m³ auf, ist 8 m hoch und hat einen Durchmesser von 23 m. Das Dach des Fermenters ist ein Doppelmembran-Gasspeicher mit einem Volumen von 1300 m³. Der Inhalt des Fermenters wird mit vier Tauchmotorrührwerken durchmischt. Die Entschwefelung des Biogases findet über kontrollierte Zugabe von Luft in den Gasspeicher statt. Dadurch wird Schwefelwasserstoff an aufgespannten Netzen im Kuppelbereich oxidiert und somit dem Gas weitestgehend entzogen (Abbildung 3). Die Schwefelkristalle fallen zurück in das Gärsubstrat. Abb. 3: Schwefelkristalle am Netz im Fermenterdach. Die Maschenweite des Netzes beträgt etwa 8 cm Der Fermenter ist isoliert und wird über eine an der Innenwand angebrachte Heizleitung auf 39 C beheizt. Die mittlere Verweildauer der Biomasse im Fermenter beträgt je nach Fütterungsintensität 50-70 Tage. Die Materialabfuhr erfolgt über einen Freispiegelüberlauf in das Gärrestelager (Abbildung 4). 10

Abb. 4: Fermenter, Besuchergruppe an der Güllevorgrube, Gärrestelager Das Gärrestelager besitzt ein Nutzvolumen von 5000 m³, ist 6 m hoch und hat einen Durchmesser von 33,65 m. Das Dach ist wiederum ein Doppelmembran-Gasspeicher mit einem Volumen von 2700 m³. Der Inhalt des Gärrestelagers wird mit zwei Tauchmotorrührwerken durchmischt, ist nicht isoliert und kann auch nicht beheizt werden. Biogasbildung Biogas entsteht, wenn anaerobe Mikroorganismen organische Substanz zu Biogas vergären. Biogasbildung findet nach FUCHS & SCHLEGEL (2006) in Tundren, Süßwassersedimenten, Sumpfgebieten, Reisfeldern, in den Mägen von Wiederkäuern und in Biogasanlagen statt. Der Entstehungsprozess von Biogas wird in vier Phasen eingeteilt (KALTSCHMITT et al., 2009). 1. In der Hydrolyse werden komplexe Verbindungen des Ausgangsmaterials (z. B. Aminosäuren, Zucker, Fettsäuren) zerlegt. Bakterien setzten hierzu Enzyme frei, die das Material biochemisch zersetzen. 2. In der Versäuerungsphase (auch Acidogenese) werden die gebildeten Zwischenprodukte durch säurebildende Bakterien weiter zu niederen Fettsäuren (Essig-, Propion- und Buttersäure) sowie Kohlendioxid und Wasserstoff abgebaut. Zusätzlich werden auch geringe Mengen an Milchsäure und Alkohole 11

gebildet. 3. Diese Produkte werden in der Phase der Essigsäurebildung (Acetogenese) durch Bakterien zu Essigsäure, Wasserstoff und Kohlendioxid umgesetzt. 4. Ein zu hoher Wasserstoffgehalt ist für die Bakterien der Essigsäurebildung schädlich, und darum bilden sie eine enge Lebensgemeinschaft mit den Bakterien der Methanogenesephase, welche Wasserstoff verbrauchen und zusammen mit Kohlendioxid und Essigsäure den wertvollen Brennstoff Methan bilden (Abbildung 5). Abb. 5: Vereinfachte Darstellung der 4 Phasen der Biogasbildung nach INSTITUT FÜR ENERGETIK UND UMWELT GGMBH (2006) Biomasselagerung Die für den Fermenter bestimmte Gülle wird in einer in den Boden eingelassenen Güllevorgrube mit einem Volumen von 350 m³ zwischengelagert und kann mit einer Tauchmotorpumpe umgewälzt werden. Über den Pumpencontainer wird die Gülle in den Fermenter gepumpt. Zwei Mal pro Woche holt der Anlagenwart mit einem Vakuumfass Gülle aus den viehhaltenden Jühnder Betrieben ab. 12