Somatopsychische Zusammenhänge bei Diabetespatienten in Psychotherapie



Ähnliche Dokumente
Gefährlich hohe Blutzuckerwerte

Der schwierige Fußpatient

Kann man dem Diabetes davonlaufen?

Diabetes mellitus : Folgeschäden

Labortests für Ihre Gesundheit. Volkskrankheit Diabetes 32

Behandlung von Diabetes

!!! Folgeerkrankungen

KOPIE. Diabetes in Kürze. «Schritt um Schritt zu mehr Gesundheit!»

86 Prozent der Befragten finden den Erfahrungsaustausch von Betroffenen, wie er in Selbsthilfegruppen stattfindet, besonders wichtig.

INFORMATIONEN FÜR TYP-2-DIABETIKER. Warum der HbA 1c -Wert für Sie als Typ-2-Diabetiker so wichtig ist!

Die Invaliden-Versicherung ändert sich

Diabetische Retinopathie

Wie oft soll ich essen?

SVEN-DAVID MÜLLER CHRISTIANE WEISSENBERGER

WAS IST DIABETES? 1. Zucker - Kraftstoff des Menschen

Immer alles im Blick. Ihr Insulinpass.

Bis zu 20% aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an Depression. Damit ist Depression eine der häufigsten seelischen Erkrankungen.

So hab` ich meinen Blutzucker im Griff! Voraussetzungen für ein erfolgreiches Diabetes-Management

Honigsüßer Durchfluss

Labortests für Ihre Gesundheit. Blutzucker- und Cholesterintests 11

Technische Universität München. Patienteninformationstag Prostatakrebs. TU München. P. Herschbach Roman-Herzog-Krebszentrum München

Palliativtherapie durch den Hausarzt

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Tab. 5-9 Auswahl bevorzugter Ansprechpartner bei Depressionen

BLUTZUCKER- UND BLUTDRUCK- TAGEBUCH FÜR MENSCHEN MIT DIABETES GEEIGNET FÜR ALLE INSULIN-THERAPIEFORMEN

Appetit... Essen... sich wohler fühlen. Diabetes mellitus. Ein paar grundlegende Gedanken. Was ist Diabetes mellitus? Was ist die Ursache?

Gestationsdiabetes, insulinpflichtig. Intensivierte Insulin- Therapie und Insulinpumpentherapie. Konventionelle Insulin-

WICHTIG Der normale Blutzuckerspiegel liegt zwischen 70 und 100 mg/100 ml Blut.

SPIELREGELN. Punktezahl: 3 Punkte für das Beenden des Spiels und 1 Punkt für jede Tippkarte.

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

FIT 1 Herzlich willkommen

Gestations- Diabetes. Referentin: Agnes Ruckstuhl

Wie ist das Wissen von Jugendlichen über Verhütungsmethoden?

Patienteninformation Ich bin schwanger. Warum wird allen schwangeren Frauen ein Test auf

Auswertung des Einflusses einer Hypoglykämie

Übersicht Verständnisfragen

Pflegefall wer bezahlt, wenn es ernst wird?

ADHS: Chancen und Grenzen regionaler Versorgungskonzepte/-verträge

Diabetes kompakt für die Hausarztpraxis


Was sind die Gründe, warum die Frau, der Mann, das Paar die Beratungsstelle aufsucht?

Möglichkeiten der Bolusvariablen (CSII) unter Berücksichtigung der Fett- und Eiweißmenge

Hypo- und Hyperglykämie

Erwachsenen- Psychotherapie

Umfrage zum Thema Diabetes

WAS IST DIABETES MELLITUS? URSACHEN UND FOLGEN. Leben so normal wie möglich. Lilly Deutschland GmbH Werner-Reimers-Straße Bad Homburg

SWOT Analyse zur Unterstützung des Projektmonitorings

INSIEME BERATUNG: Burnout Scheck Detailinformation

Pädagogik. Melanie Schewtschenko. Eingewöhnung und Übergang in die Kinderkrippe. Warum ist die Beteiligung der Eltern so wichtig?

Mein persönliches Diabetes-Tagebuch.

Leichte kognitive Beeinträchtigung, Demenz und Depression Leichte kognitive Beeinträchtigung, Demenz und Depression

Das ICD-Patientenzufriedenheitsbarometer

Verarbeitung von ZV-Dateien im Internetbanking. Inhalt. 1. Datei einlesen Datei anzeigen, ändern, löschen Auftrag ausführen...

Tag der offenen Tür, 9. Oktober Psychiatrie erleben und verstehen. Depression. erkennen und behandeln. Klaus-Thomas Kronmüller

Stellvertretenden Genehmiger verwalten. Tipps & Tricks

Die Wirtschaftskrise aus Sicht der Kinder

2250 Deutsche Internetadressen, für kostenlose Kleinanzeigen"

Pflegende Angehörige Online Ihre Plattform im Internet

Welchen Nutzen haben Risikoanalysen für Privatanleger?

Fast jeder zweite Deutsche würde gerne abnehmen

Inhaltsübersicht Produktinformationsblatt zur Jahres-Reiserücktritts-Versicherung der Europäische Reiseversicherung AG

Lehrer: Einschreibemethoden

Diabetische Netzhauterkrankung

Einstellung!der!österreichischen!Bevölkerung! zum!rechtssystem:!imas"umfrage!2013!

2. Schönheitsoperationen. Beauty S Lifestyle Lifestyle

»Ich fühle mich gut trotz Diabetes«

Entwicklung des Dentalmarktes in 2010 und Papier versus Plastik.

Patientensicherheit aus Patientensicht

Fernausbildung Fachberater/in für holistische Gesundheit. Modul 6

WEGWEISER ZUR EINLAGERUNG VON NABELSCHNURBLUT UND -GEWEBE

Strukturierte Blutzucker- Selbstmessung bei Diabetes Typ 2

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Erfolg beginnt im Kopf

Bundesweite Diabetes-Aufklärung mit Gesünder unter 7": Diabetiker brauchen Bewegung

» Ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt» Alle Fachdisziplinen in einem Haus» Medizinische Diagnostik & Therapie wissenschaftlich fundiert

Mag. Christina Mayr-Pieper, klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision, Psychoonkologin, Hypnotherapeutin

INSULIN-ABC WAS ES IST UND WIE ES VERWENDET WIRD

Ergebnisse der Befragung auf dem 11. Karrieretag Familienunternehmen

Vorgestellt von Hans-Dieter Stubben

Symptome KAPITEL 3. Symptome KAPITEL 3

ELTERNFRAGEBOGEN. Name: Vorname: Tel: Ausgefüllt am:

Der Kontowecker: Einrichtung

DMP - Intensiv Seminar. Lernerfolgskontrolle

Berufsunfähigkeit? Da bin ich finanziell im Trockenen.

Risikofaktoren für f r das Ausscheiden aus einem Disease Management Programm Befunde aus dem DMP Diabetes mellitus Typ 2 in der Region Nordrhein

Anspruchsvolle Dreierausdrücke zum selbstständigen Lernen

IHR WEG ZUM GESUNDEN GEWICHT. Gemeinsam bewegen, leicht genießen

Vorsorge für den Pflegefall treffen.

Depressive Patienten in der stationären Entwöhnungsbehandlung

Themenbereich "Trauer"

Was haben Beweglichkeit im Alter und Psyche mit einander zu tun?

Psychosen. By Kevin und Oliver

Gründe für fehlende Vorsorgemaßnahmen gegen Krankheit

Einen Detailierten Leitfaden für den Antrag einer Dolmetscherkostenübernahme, sowie die benötigten Anhänge finden Sie auf Seite 3.

Transkript:

Somatopsychische Zusammenhänge bei Diabetespatienten in Psychotherapie Dipl. Psych. Susan Clever Psychol. Psychotherapeutin/Psychodiabetologie Fachpsychologin DDG Diabetespraxis Hamburg-Blankenese

Für die Therapie und langfristige Prognose des Diabetes mellitus sind somatische und psychosoziale Faktoren gleichermaßen wichtig.

Was ist Diabetes mellitus? Typ1 Diabetes Tritt meist bei jüngeren Menschen auf, ab Säuglingsalter. In einzelnen Fällen bei älteren Menschen Autoimmuner Prozess zerstört die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse Ohne Insulin kann der Zucker im Blut nicht in die Zellen gelangen. Der Blutzucker steigt an. Die Zellen verhungern. Insulintherapie durch Injektion meist in eine Bauchfalte ist von Anfang an notwendig

Was ist Diabetes mellitus? Typ 2 Diabetes Tritt meist bei Menschen ab mittleren Alter auf, in einzelnen Fällen schon bei Jugendlichen Patienten haben eine Insulinresistenz,d.h.ihr körpereigenens Insulin reicht nicht aus, um den Blutzucker in die Zellen zu bringen Gewichtszunahme und Bewegungsmangel begünstigen die Insulinresistenz Patienten haben aber auch einen Abbau der insulinproduziernden Zellen in der Bauchspeicheldrüse Therapie: Bewegung und/oder Gewichtsabnahme und/oder Tabletten und/oder Insulin je nach Verlauf und Dauer der Erkrankung

Was ist Diabetes mellitus? Therapie Die Höhe des Blutzuckers wird durch das Stechen in die Fingerkuppe und das Einlesen des Bluttropfens über ein Teststreifen in ein Gerät gemessen. Patienten stellen ihre Therapie eigenständig nach diesen Messungen ein. Sie streben Werte zwischen ca. 80 und 140 mg/dl an. Die Güte der Diabeteseinstellung wird an dem HbA1c-Wert einmal im Quartal abgelesen. Ein Wert zwischen 6,5% und 7,5% ist sehr gut. Je höher der Wert, desto höher das Risiko für diabetesbedingte Komplikationen Ist die Einstellung wiederum zu niedrig, besteht eine größere Gefahr für schwere Unterzuckerungen Die Blutzuckerhähe ist nur begrenzt kontrollierbar

Auswirkungen der Hyperglykämie Akut: Durst, Energielosigkeit, Libidoverlust, Schlafstörungen, Polyurie.. Chronisch: Nephropathie (möglicher Endpunkt Dialyspflicht) Polyneuropathie (möglicher Endpunkt Amputation) Retinopathie (möglicher Endpunkt Erblindung) KHK, Hirninfarkt Infektanfälligkeit. Wie würde es Ihnen mit der Hyperglykämie gehen? Welche psychische Störungen könnten sich aus diesem Wissen und Erleben entwickeln?

Auswirkungen der Hypoglykämie Akut: 1. Herzrasen, Zittern, Blässe, weiche Knie, Schwitzen. 2. Verwirrung, Sprach-, Gang- und Sehstörungen Koma Chronisch: Hypowahrnehmungsstörung kognitive Veränderungen bei rezividierenden schweren Unterzuckerungen Wie würde es Ihnen mit der Hypoglykämie gehen? Welche psychische Störungen könnten sich aus diesem Wissen und Erleben entwickeln?

Clarke WL, Cox DJ, Gonder-Frederick LA, et al. The relationship between non-routine use of insulin, food, and exercise and the occurrence of hypoglycemia in adults with IDDM and varying degrees of hypoglycemic awareness and metabolic control. The Diabetes Educator 1997;23(1):55-8.

Spannungsfeld in der Selbstbehandlung des Diabetes Lebensqualität Therapieentscheidungen Folgeerkrankungen (diffuse, längerfristige Bedrohung) Hypoglykämien (akute Bedrohung) Wie würden Sie sich entscheiden?

Rückkoppelungsprozess in der Selbstbehandlung Überzeugungen: - subjektive Risikogrö ße - gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugungen - Effizienzerwartungen Gedanken: - hilfreich - dysfunktional kognitive Ebene Gefü hle emotionale Ebene Selbstbehandlung Verhaltensebene - Gü te der BZ-Einstellung - HbA1c - Hinweise auf Folgeerkrankungen somatische Ebene

Somatopsychische Zusammenhänge bei Diabetespatienten in Psychotherapie Somatische Grundlagen diabetesspezifische psychische Störungen

Patientencharakteristika einer Psychotherapiepraxis in einer Diabetesschwerpunktpraxis: April 2005 Januar 2007 (21 Monate) 133 Patienten im Rahmen des Konsiliardienstes vorgestellt. 52 direkt von der Praxis 40 von anderen regionalen Schwerpunktpraxen 12 von regionalen Hausärzten 18 von Schwerpunktpraxen oder Hausärzten außerhalb Hamburgs 10 auf Empfehlung von Diabeteskliniken 1 von einem Berufsbildungswerk Durchschnittalter 41,48 Jahre (12 77) Geschlechtsverteilung: Frauen 64% (n=85) 103 mit Typ 1 Diabetes 27 mit Typ 2 1 pankreopriver Diabetes 2 Paare: Typ 1 mit Komplikationen (schwere Hypos; diabetisches Fußsyndrom).

Verteilung der psychologischen Diagnosen Depression 38 Anpassungsstörung 36 Phobische Störung 13 (12 vor Hypoglykämien; 1 vor erhöhten Blutzuckerwerten) Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung 13 Essstörung 11 Erschöpfungszustand 10 Zwangsstörung 3 Sucht 3 Soziale Phobie 1 emotional-instabile Persönlichkeit 1 Dissoziative Reaktion 1 Schizoaffektive Psychose 1 Schmerzsyndrom 1 Hirnorganisches Psychosyndrom 1

Themen in der Psychotherapie mit Diabetespatienten Funktionieren müssen, mangelnde Selbstfürsorgefähigkeiten (z.b: frühe Verantwortung der Insulintherapie zur Entlastung der Eltern, jetzt BZ=200mg/dl) Angst vor Folgeerkankungen (z.b. Hyposurfer mit rezividierenden schweren Hypoglykämien) Angst vor Hypoglykämien mit phobischer Vermeidung und/oder sehr häufiges BZ- Messen (ca. > 10 mal tägl.) Hoffnungslosigkeit bei steigendem Gewicht und BZ-Werten (Insulinresistenz) Schlechtes Gewissen bei Therapievernachlässigung Minderwertiges Selbstbild als chronisch Kranke Verarbeitung akuter Stoffwechselentgleisungen (Kontrollverlust) Verarbeitung diabetischer Folgeerkrankungen (Unkontrollierbarkeit aversiver Endpunkte, Reue) Insulintherapie bei Typ 2 Diabetes erlebt als Kränkung