Klassik Kompakt. Eine Stunde mit Beethoven. Sonntag, Uhr und Uhr Elbphilharmonie harmo Hamburg, Großer Saal

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Transkript:

Klassik Kompakt Eine Stunde mit Beethoven Sonntag, 06.05.18 16 Uhr und 18.30 Uhr Elbphilharmonie harmo Hamburg, Großer Saal

U T O THOMAS HENGELBROCK Dirigent P IE 27 Apr 30 Mai NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770 1827) Sinfonie Nr. 3 Es Dur op. 55 Eroica Entstehung: 1802 04 Uraufführung: Wien, 9. Juni 1804 Dauer: ca. 45 Min. I. Allegro con brio II. Marcia funebre. Adagio assai III. Scherzo. Allegro vivace Trio IV. Finale. Allegro molto Poco andante Presto Keine Pause Im Rahmen des 3. Internationalen Musikfests Hamburg www.musikfest-hamburg.de

LUDWIG VAN BEETHIVEN Ihrer Zeit voraus Die Sinfonie würde unendlich gewinnen, wenn sich Beethoven entschließen wollte, sie abzukürzen und in das Ganze mehr Licht, Klarheit und Einheit zu bringen, so urteilte die Allgemeine musikalische Zeitung nach der ersten öffentlichen Aufführung von Beethovens Eroica am 7. April 1805 im Theater an der Wien. Die Sinfonie enthalte des Erhabenen sowol als des Schönen sehr Vieles, bemerkte ein weiterer Rezensent derselben Zeitung im Jahr 1807, der ansonsten seiner Meinung treu blieb, dass dies aber auch mit manchem Grellen und allzu Breiten vermischt sey und nur bey einer Umarbeitung die reine Form eines vollendeten Kunstwerks erhalten könne. Der hier angeschlagene Grundtenor setzt sich noch in weiteren zeitgenössischen Kritiken des Werks fort. Beethovens Eroica : ein allzu langes und revisionsbedürftiges Werk? Aus heutiger Sicht erscheinen solche Wertungen geradezu unverständlich. Um wie vieles längere, monumentalere, kompliziertere Sinfonien hat das Zeitalter der großen romantischen Sinfonie gesehen! Beethovens Eroica, inzwischen ein echter Klassiker, steht ja nur am Beginn einer Entwicklung, die sich zunehmend vom alten Sinfoniebegriff der Wiener Klassik verabschiedete. Doch wie so oft muss man konstatieren: Das Neue und Unkonventionelle stößt anfangs eben auf Ablehnung heute wie damals. Beethoven spielte sie mir neulich, und ich glaube, Himmel und Erde muss unter einem zittern bei ihrer Aufführung. Ferdinand Ries über Beethovens Eroica (Brief an Simrock vom 22.10.1803) Bild links: Titelblatt der Abschrift der Eroica -Partitur mit Beethovens Tilgung der Widmung an Napoleon Bonaparte 5

LUDWIG VAN BEETHIVEN LUDWIG VAN BEETHIVEN BEETHOVEN UND NAPOLEON Seine Eroica wollte Beethoven ursprünglich Napoleon Bonaparte widmen. In ihm fand er ein inspirierendes Idol, denn Napoleon war es ohne erbliche Privilegien gelungen, allein durch sein strategisches Genie und durch ständige Arbeit im Dienst seiner Sendung, für grundlegende gesellschaftliche Umwälzungen zu sorgen: Ganz nach dem Motto der Aufklärung, dass jeder vernunftbegabte Mensch die Gesellschaft voranbringen könne. Nachdem sich Napoleon 1804 in Paris allerdings selbst zum Kaiser gekrönt hatte, nahm Beethoven von der Widmung Abstand. Gedruckt wurde das Werk dennoch mit dem Zusatz komponiert zum feierlichen Andenken eines großen Menschen sehr zur Erleichterung des tatsächlichen Widmungsträgers Fürst Franz Joseph von Lobkowitz, der als österreichischer Patriot das Engagement des Komponisten für den Kriegs gegner kritisch beobachtet hatte. Einige Forscher vermuten, Beethoven habe mit dem großen Menschen auf den im Befreiungskampf gegen die Franzosen gefallenen preußischen Prinz Louis Ferdinand angespielt, der als Märtyrer fortan wie der bessere Napoleon erschien. Vergleicht man Beethovens Dritte Sinfonie mit einer mittleren Mozart-Sinfonie, wird man die eingangs zitierten, zeitgenössischen Urteile schon besser verstehen können. In weniger als 30 Jahren hatten sich Nimbus und Umfang dieser Gattung radikal geändert. Während die Sinfonie bei Haydn, Mozart und noch bis zu Beethovens beiden ersten Gattungsbeiträgen ein Genre der Instrumentalmusik war, in dem trotz des schon damals besonderen Anspruchs dieser Form nach wie vor die Prinzipien einer gehobenen, geistreichen Unterhaltungskunst griffen und man die Aufmerksamkeit des Publikums vor allem durch originelle musikalische Raffiniertheiten im sonst vertrauten Formgerüst fesselte, so reichten Beethoven solche rein kompositorischen Ideale bald nicht mehr aus. Musik war für ihn, den Schiller-Verehrer und anfänglichen Parteigänger der Französischen Revolution, keine Belustigung adliger oder bürgerlicher Gesellschaften. Der viel zitierte andere Weg, den Beethoven für seine Arbeiten ab 1801 einschlagen wollte, betraf in besonderer Weise auch die Sinfonik: Hier nämlich, in der bedeutendsten Gattung der Ins trumentalmusik, schien der rechte Platz, um große, übermenschliche, abstrakte Ideen auszudrücken, um die Musik auch an den großen Aufgaben der Zeit teilhaben zu lassen. Wurde Mozarts Jupiter-Sinfonie von der Nachwelt als Triumph der neuen Tonkunst gefeiert, womit man vor allem die geniale Vollendung und Aktualisierung der seit Jahrhunderten entwickelten Kompositionstechnik meinte, so ging es Beethoven jetzt um einen ganz anderen Triumph seiner Kunstform: denjenigen auf dem Gebiet der Sprachmächtigkeit von Musik. Seine Sinfonien sollten dem Hörer etwas mitteilen, eine Idee vermitteln, sollten ihn nicht passiv in Genießerpose verharren lassen, sondern zum Mitdenken auffordern. Dass Beethovens 1804 vollendete Dritte Sinfonie überhaupt Diskussionsgegenstand in den sonst eher Themen der Philosophie, Dichtung, bildenden Kunst oder Oper vorbehaltenen Kultur-Tageszeitungen des Bildungsbürgertums wurde, zeigt, dass Beethoven sein Ziel nicht verfehlt hatte. Nicht nur wegen der formalen Avanciertheiten und der prozesshaften Rast losigkeit dieser Musik, die bei manchem Hörer ein unangenehmes Gefühl der Ermattung hinterließ, wurde die Sinfonie zum Stadtgespräch: Wer im Finale ein tänzerisches Es-Dur-Thema aus Beethovens Ballett Die Geschöpfe des Prometheus wiedererkannte, der musste auch bemerken, dass just dieses schlichte Thema im Grunde als Ziel des niemals vollendet formulierten Hauptthemas aus dem 1. Satz gelten konnte und damit als Ziel der gesamten Sinfonie! Insofern konnte das Werk mit einigem Recht als Prometheus- Sinfonie erscheinen. Beethoven hatte ja mit der Charakterisierung Sinfonia Eroica schon den Weg gewiesen: Das Heroische war zugleich das Revolutionäre und Prometheus als der Menschenbefreier des antiken Mythos stand perfekt für die zeitgenössischen Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ein. Nicht zufällig hatte Beethoven zunächst geplant, die Sinfonie Napoleon, dem damaligen Hoffnungsträger und Prometheus des auf geklärten Bürgertums, zu widmen. Anspielungen auf Hymnen und Märsche der ersten französischen Republik im 2. Satz sollten diese Huldigung unterstreichen. Mit Napoleons eigeninitiativer Krönung zum Kaiser im Dezember 1804 hatten sich die Hoffnungen jedoch erledigt: Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, resignierte Beethoven und entfernte die Widmung. Auf der 1805 veröffentlichten Partitur blieb indes neben der gleichzeitigen Dedikation an Beethovens Mäzen, Fürst Lobkowitz der rätselhafte Zusatz komponiert zum feierlichen Andenken eines großen Menschen. Beethovens Heldensymphonie, Holzstich nach einer Zeichnung, wohl von Hermann Vogel (1889) BEETHOVENS PROMETHEUS Zwischen den Sinfonien Nr. 1 und 2 komponierte Beethoven die Musik zum Ballett Die Geschöpfe des Prometheus nach dem mythologischen Epos Il Prometeo, das der italienische Dichter Vincenzo Monti 1797 unter dem Eindruck der militärischen Siege Napoleons verfasste. Bereits Monti hatte in seiner Widmung den Zusammenhang zwischen Prometheus und Napoleon hergestellt, weshalb Beethoven die offizielle Hymne des französischen Konsulats zitiert. Man wird in dem Ballett eine Huldigung an Bonaparte als den zeitgenössischen Vollender mythischer Menschheitsbeziehungen sehen müssen, wahrscheinlich aber auch einen mythologisch formulierten Aufruf an den französischen Konsul, auch die anderen europäischen, immer noch unter feudalistischer Herrschaft schmachtenden Völker zu befreien (Peter Schleuning). 6 7

LUDWIG VAN BEETHIVEN LUDWIG VAN BEETHIVEN Erstausgabe der Eroica, Beginn des 1. Satzes (Partiturauszug) ZEITGENÖSSISCHE KRITIK Eine ganz neue Sinfonie Beethovens, (zu unterscheiden von der zweyten), ist in einem ganz anderen Styl geschrieben. Diese lange, für die Ausführung äußerst schwierige Komposition, ist eigentlich eine sehr weit ausgeführte, kühne und wilde Phantasie. Es fehlt ihr gar nicht an frappanten und schönen Stellen, in denen man den energischen, talentvollen Geist des Schöpfers erkennen muss: sehr oft aber scheint sie sich ganz ins Regellose zu verlieren. Allgemeine musikalische Zeitung, 13. Februar 1805 Beethoven hat den großen Menschen ebenso wenig identifiziert wie er der Sinfonie konkret fassbare inhaltliche Kommentare beigegeben hat. Die Eroica ist demzufolge keine Programmsinfonie, allerdings ist ihre Tonsprache auch keineswegs frei von äußeren Einflüssen. Erstmals in der Musikgeschichte erscheint hier der Begriff Ideenkunstwerk angebracht, vermittelt die Sinfonie doch gleich einer Volksrede an die Menschheit (Theodor W. Adorno) politisch-moralische Ideale, die mit Worten nur unzulänglich darstellbar sind. Als Träger solcher Botschaften aber entfesselte die Musik unter Beethovens Händen freilich auch kompositionsgeschichtlich revolutionäre Kraft: Zwei Tutti-Schläge in Es-Dur und wir befinden uns sofort mitten im Geschehen in einem Geschehen, das keinesfalls mehr nebenbei zu goutieren ist, sondern absolute Aufmerksamkeit vom Hörer verlangt, wenn man nicht den Faden der allmählichen Themenfindung verlieren will. So wird das aus Mozarts Oper Bastien und Bastienne entnommene Dreiklangs- Thema des 1. Satzes oftmals als Beispiel für die neue, entwickelnde Kompositionsweise Beethovens genannt: Ständig ist das Material einem Wandlungsprozess ausgesetzt und die Melodie biegt harmonisch schon nach wenigen Takten unerwartet ab. Erstaunlicherweise erscheint erst in der Durchführung (also im Mittelteil des Satzes) als neuer Einfall eine wirklich geschlossene, melodisch abgerundete thematische Gestalt! Ansonsten bestimmt motivisch-thematische Arbeit diesen Satz, dessen Energien sich in der Durchführung in einer mächtigen Tutti-Stauung entladen. Man kann ihn als Begräbnis-Szene für den großen Menschen verstehen, an dessen vorbildliches Leben man sich im freundlicher gestimmten Mittelteil erinnert. Die erschütternde Wirkung, die der Einbruch eines sich breit entfaltenden und dramatisch steigernden Fugatos in die Marsch-Reprise erzielt, gehört vielleicht zu den ergreifendsten Momenten der Sinfonik überhaupt. Trostlos wird das Thema am Ende in seine einzelnen Bausteine zerbrochen: Der Held wird zu Grabe getragen Weniger beun ruhigend ist das tänzerische Scherzo, in dessen Trio sich Beethoven mit drei statt zwei Hörnern auch instrumentatorisch innovativ zeigt. Formal besonders fortschrittlich fällt schließlich der 4. Satz aus, der Sonatensatz, Variationen und Fuge, aber auch unterschiedliche musikalische Idiome wie Choral und Csárdás vermischt (worin mancher Interpret gar die Idee des napoleonischen Vielvölkerstaats verwirklicht sah). Über das anfangs nur als Bass stimme vorgestellte Thema wird die Tanzmelodie aus den Geschöpfen des Prometheus gelegt und anschließend variiert eine Variationskette mit Sym bolik, könnte man sie doch geradezu als Bild des wiederauferstehenden Befreiers Prometheus und damit als Vision der neu erwachenden Menschheit wahrnehmen. Julius Heile Seine Symphonien bauen an dem Gebäude menschlicher Errungenschaften im Idealen, wie die Jahrhunderte der polischen Schicht an den Geschicken der Menschlichkeit im Realen. Die Symphonie Beethovens ist der Sieg des Orchesters über die Welt, der Sieg des Idealen über das Reale. Wilhelm von Lenz in Beethoven. Eine Kunst-Studie (1860) Der 2. Satz bietet sodann programmatischen Assoziationen eine beinahe konkrete Basis: Er bezieht erstmals den Trauermarsch als ursprünglich der Oper angehörigen Charaktersatz in eine Sinfonie ein. 8 9

DIRIGENT IMPRESSUM HÖHEPUNKTE MIT DEM NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER (2011 2018) Eröffnung der Elbphilharmonie Hamburg Gastspiele u. a. im Concertgebouw Amsterdam, Wiener Konzerthaus, Festspielhaus Baden-Baden, in der Münchner Philharmonie und im Théâtre des Champs-Élysées in Paris Asien-Tournee mit Konzerten in Seoul, Beijing, Shanghai, Osaka und Tokio Eröffnung des Festivals Prager Frühling TV-Produktionen wie Musik entdecken mit Thomas Hengelbrock CD-Einspielungen mit Werken von Mendelssohn, Schumann, Dvořák, Schubert, Mahler sowie zuletzt erschienen mit den Sinfonien Nr. 3 & 4 von Johannes Brahms, erstmals aufgenommen in der Elbphilharmonie Thomas Hengelbrock Thomas Hengelbrock ist Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, Gründer und Leiter der Balthasar- Neumann-Ensembles sowie Chef associé des Orchestre de Paris. Er zählt zu den herausragenden Opern- und Konzertdirigenten unserer Zeit. Neben zahlreichen Konzerten und Gastspielen mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester dirigiert Hengelbrock in der Spielzeit 2017/18 im Rahmen seiner Position als Chef associé regelmäßig auch das Orchestre de Paris, u. a. zu dessen Jubiläumsfeierlichkeiten in Paris. Weiterhin eröffnete er mit dem Royal Concertgebouw Orchestra die Saison in Amsterdam und gastiert mit seinen Balthasar- Neumann-Ensembles deutschlandweit sowie in Wien, Brüssel, Luxemburg, San Sebastián und Paris. Prägend für Hengelbrocks künstlerische Entwicklung waren seine Assistenztätigkeiten bei Antal Dorati, Witold Lutosławski und Mauricio Kagel, die ihn früh mit zeitgenössischer Musik in Berührung brachten. Neben der umfassenden Beschäftigung mit der Musik des 19. und 20. Jahrhunderts widmet er sich intensiv der historisch informierten Aufführungspraxis und trug maßgeblich dazu bei, das Musizieren auf Originalinstrumenten dauerhaft im deutschen Konzertleben zu etablieren. In den 1990er Jahren gründete er die Balthasar-Neumann-Ensembles, mit denen er regelmäßig für Aufsehen sorgt. Auch als künstlerischer Lei ter der Kammerphilharmonie Bremen, des Feldkirch Festivals und als Musikdirektor der Wiener Volksoper realisierte er szenische und genreübergreifende Projekte. Regelmäßig ist Hengelbrock an der Opéra de Paris, dem Festspielhaus Baden-Baden oder dem Teatro Real Madrid zu Gast. 2016 wurde ihm der Herbert von Karajan Musikpreis verliehen. Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping Redaktion des Programmheftes Julius Heile Der Einführungstext von Julius Heile ist ein Originalbeitrag für den NDR. Fotos AKG-Images / Fototeca Gilardi (S. 4) Beethoven Haus Bonn (S. 7, 8) Florence Grandidier (S. 10) NDR Markendesign Design: Factor, Realisation: Klasse 3b Druck: Nehr & Co. GmbH Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 10 11

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