Dr. med. Jan Leidel Ltd. Medizinaldirektor a. D.

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Transkript:

Dr. med. Jan Leidel Ltd. Medizinaldirektor a. D. Vorsitzender der Ständigen Impfkommission Aachener Str. 1313 50859 Köln e-mail: jleidel@t-online.de Tel.: 02234/75211 Köln, 25.08.2016 Landtag Nordrhein-Westfalen die Ausschussassistentin Frau Elisa Fuchs per E-Mail anhoerung@landtag.nrw.de Impfschutz Anhörung A 01 07.09.2016 16 STELLUNGNAHME 16/4105 A01 Sehr geehrte Damen und Herren, für die Gelegenheit, zu dem Antrag DS 16/12111 der Fraktion der FDP Impfen schützt Strategien zur Verbesserung des Impfschutzes in NRW Stellung nehmen zu können, bedanke ich mich. 1. Bedeutung der Schutzimpfungen für die individuelle Gesundheit und die Gesundheit der Bevölkerung Zu Recht führt die antragstellende Fraktion in der Darstellung der Ausgangslage aus, dass Impfungen zu den wirksamsten (und sichersten) vorbeugenden Gesundheitsmaßnahmen zählen. Das ist auch einer der Gründe, warum das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) 2002 postulierte, dass jedes Kind ein Recht auf Schutzimpfungen habe, um das Recht auf möglichst gute Gesundheit zu gewährleisten. Das Recht auf Gesundheit ist in der UN- Kinderrechtskonvention verankert, die auch die Bundesrepublik 1990 unterzeichnet hat. Das Besondere an den Schutzimpfungen ist, dass viele von ihnen nicht nur das geimpfte Individuum selbst zu schützen vermögen, sondern auch eine Schutzwirkung auf Bevölkerungsniveau aufweisen, die sog. Herdenimmunität. Übersteigt die Impfrate in der Bevölkerung einen bestimmten Schwellenwert, der von der Basisreproduktionsrate des jeweiligen Erregers abhängt (z. B. Masern 95%, Polio ca. 80%) leben auch die, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können (oder partout nicht geimpft werden wollen) im Schutz der geimpften Mehrheit. Diese Bedeutung für die öffentliche Gesundheit ist der Grund dafür, dass die Bundesländer gem. 20 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen oder andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe auf der Grundlage der jeweiligen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission aussprechen sollen. Diese öffentlichen Empfehlungen, die auch bereits das Vorgängergesetz zum IfSG, das Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG), seit 1971 kannte, stellen zum einen den dringenden Rat an die Bürgerinnen und Bürger dar, sich bzw. ihre Kinder im eigenen Interesse (Individualschutz), aber besonders auch im Interesse der Allgemeinheit (Schutz auf Bevölkerungsniveau) gegen bestimmte Krankheiten impfen zu lassen. Auf dem zweiten Aspekt, dem Allgemeinwohlinteresse, beruht die rechtliche Relevanz der Bestimmung: Die öffentliche Empfehlung der Bundesländer ist eine Voraussetzung für die

Gewährung einer Entschädigung im Falle eines etwaigen Impfschadens. Die Zusage einer solchen Entschädigung gibt es nur bei den Schutzimpfungen, weder bei unerwünschten Nebenwirkungen von Arzneimitteln, noch bei Komplikationen invasiver Eingriffe. Der Anspruch auf Entschädigung bei einem Impfschaden hat seinen gedanklichen Ursprung im Aufopferungsanspruch des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794: Wer einer im Interesse des Allgemeinwohls erfolgten Aufforderung des Staates folgt und dadurch einen Schaden erleidet, hat einen Anspruch auf Entschädigung. Hier wird also neben dem individuellen Nutzen der Impfungen das besondere staatliche Interesse an der Durchführung bestimmter Schutzimpfungen im Allgemeinwohlinteresse deutlich. In zeitlichem Zusammenhang mit der Regelung der Entschädigung bei einem Impfschaden im BSeuchG wurde 1972 die Ständige Impfkommission (STIKO) am damaligen Bundesgesundheitsamt ins Leben gerufen. Ihr Auftrag war es unter anderem, die Länder dabei zu beraten, welche Schutzimpfungen öffentlich empfohlen werden sollten. 2001 bekam dann die STIKO eine gesetzliche Grundlage in 20 Abs. 2 IfSG. Danach gibt sie insbesondere Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe. Obwohl also Schutzimpfungen für die individuelle Gesundheit ebenso wie für die Gesundheit der Bevölkerung von hoher Bedeutung sind, ist die Beteiligung der Bevölkerung an Schutzimpfungen in der Bundesrepublik und in NRW unzureichend. Auch dies wird von der antragstellenden Fraktion zu Recht beklagt. Die gravierenden Impflücken betreffen weniger die Säuglinge und Kleinkinder als vielmehr ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene. 2. Notwendigkeit aussagefähiger Daten zur Impfbeteiligung in der Bundesrepublik Dass dies so ist, wissen wir zuverlässig. Und wir wissen auch, welche Impfungen hiervon besonders betroffen sind. Das ist zum einen die Impfung gegen Masern und Röteln, deren Eliminierung daran bislang scheitert, obwohl die Bundesrepublik sich gegenüber der Weltgesundheitsorganisation zur Eliminierung verpflichtet hat. Es betrifft auch die Impfung gegen Humane Papillomviren. In der Bundesrepublik verfügen nur etwa 40% der jungen Mädchen über einen altersgerechten Schutz, während Länder wie z. B. Großbritannien mit schulbasierten Impfkampagnen einen Schutz bei über 80% der Mädchen erreichen. Betroffen sind u. a. auch die Impfungen gegen Hepatitis B, Pertussis (Keuchhusten), Pneumokokken und Influenza. Allerdings fehlt in der Bundesrepublik im Gegensatz zu einigen anderen Europäischen Staaten (Dänemark, Großbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Spanien) sowie Kanada und Australien ein nationales Impfregister, das kontinuierlich verlässliche altersstratifizierte Daten über die Beteiligung der Deutschen an Schutzimpfungen liefern würde. Solche aktuellen und belastbaren Daten zum Impfstatus der Bevölkerung sind für die zielgruppenspezifische Kommunikation zu Impfungen und zur Evaluation von Impfempfehlungen und Impfprogrammen unerlässlich. Als einzige dauerhafte systematische Quelle von bundesweiten Impfquoten werden in allen Bundesländern regelmäßig Daten bei Schulanfängern erhoben und jährlich im Epidemiologischen Bulletin des RKI veröffentlicht. Seit 2004 führt das Robert Koch-Institut (RKI) zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen außerdem das Projekt KV- Impfsurveillance durch. Weitere Daten stammen aus repräsentativen Befragungen des RKI wie z. B. dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) oder der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) sowie aus Erhebungen verschiedener weiterer Akteure. Da viele dieser Erhebungen sich in ihrer Methodik unterscheiden und nicht systematisch erfolgen, sind die Ergebnisse nur eingeschränkt vergleichbar. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass die Gesundheitsministerkonferenz Ende Juni in Rostock beschlossen hat, das Bundesgesundheitsministerium darum zu bitten, durch das Robert Koch-

Institut den fachlichen und finanziellen Aufwand und Nutzen eines bundesweiten Impfregisters ermitteln zu lassen. 3. Zersplitterte Zuständigkeiten Die dezentrale föderale Struktur der Bundesrepublik mit ihren subsidiären und freiheitlichen Rahmenbedingungen gilt auch für den Bereich des Impfens. Ein Preis hierfür besteht in einer mitunter dysfunktionalen Zersplitterung von Zuständigkeiten und in dezentralen Arbeitsabläufen. Dies erfordert das Zusammenwirken zahlreicher Akteure mit z. T. unterschiedlicher Zielorientierung. Für die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Gesundheit sind überwiegend die Länder zuständig. Maßnahmen gegen übertragbare und gemeingefährliche Krankheiten fallen allerdings in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, die öffentlichen Impfempfehlungen sind wiederum Angelegenheit der Bundesländer. Die Grundlage hierfür sind die Empfehlungen der STIKO, einer unabhängigen Kommission von durch das Bundesgesundheitsministerium im Benehmen mit den Ländern ad personam berufenen Experten. Für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, dessen Rolle beim Impfen zunehmend in den Hintergrund tritt und der vielfach nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben im Zusammenhang mit Schutzimpfungen flächendeckend zu erfüllen, liegt die Zuständigkeit bei den Ländern bzw. (bei zunehmendem Wandel von Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung in pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben) mehr und mehr bei den Kreisen und kreisfreien Städten. Die gesetzgeberische Rahmensetzung für den Bereich der Sozialversicherung obliegt dem Bund. Die weitere Ausgestaltung dieses Rahmens erfolgt überwiegend durch die Selbstverwaltung, wobei vor allem die gesetzliche Krankenversicherung, die Kassenärztlichen Vereinigungen und der Gemeinsame Bundesausschuss beteiligt sind. Für das Medizinstudium sind Bund und Fakultäten zuständig. Der Umfang, in dem Schutzimpfungen im Studium thematisiert werden, ist sehr verschieden. Fort- und Weiterbildung obliegen den 17 Ärztekammern, wobei es durchaus Unterschiede hinsichtlich des Themas Impfen gibt. Eine Kooperation und Koordination findet zwischen diesen verschiedenen Akteuren bis heute nur eingeschränkt statt. 4. Nationaler Impfplan Nicht zuletzt in der Absicht, diese Situation zu verbessern, beschloss die 80. Gesundheitsministerkonferenz im Sommer 2007, regelmäßig alle zwei Jahre Nationale Impfkonferenzen abzuhalten. Auf diesen sollten Wissenschaftler, Impffachleute sowie Vertreter der Gesundheitsbehörden und anderer mit Impfungen befasster Organisationen zum gegenseitigen Erfahrungs- und Wissensaustausch zusammenkommen und zur Verbesserung der Impfvorsorge beitragen. Die 1. Nationale Impfkonferenz fand 2009 in Mainz statt. Auf ihr wurden gemeinsame Ziele zur Verbesserung des Impfens in Deutschland formuliert. Im Juni 2009 haben die Länder dann beschlossen, zur Umsetzung dieser Ziele mit Unterstützung durch die Fachbehörden des Bundes einen Nationalen Impfplan zu entwickeln. 2012 wurde ein erster Nationaler Impfplan veröffentlicht, der allerdings in der Fachöffentlichkeit auf Kritik stieß, weil er eher eine Bestandsaufnahme des Impfens in der Bundesrepublik bot als einen tatsächlichen Plan mit konkreten Zielsetzungen.

Mittlerweile ist jedoch die Geschäftsstelle des Nationalen Impfplans am bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eingerichtet worden, und im Mai dieses Jahres fand die Gründungsveranstaltung der Nationalen Lenkungsgruppe Impfen (NaLI) in Schwerin statt. Dieser Lenkungsgruppe, die von der Geschäftsstelle des Nationalen Impfplans unterstützt wird, gehören neben den Gesundheitsministerien der Länder auch das Bundesministerium für Gesundheit mit seinen nachgeordneten Behörden, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der GKV-Spitzenverband, die Bundesärztekammer, der Verband der privaten Krankenversicherung sowie der gemeinsame Bundesausschuss an. Sie hat unter anderem die Aufgabe, den Nationalen Impfplan fortzuschreiben, Maßnahmen zu dessen Umsetzung vorzuschlagen, mit den landesspezifischen Umsetzungsgremien in den Ländern in Kontakt zu treten und sich für die Umsetzung, Kontrolle und Evaluation der vereinbarten Ziele und Strategien einzusetzen. 5. Zu den Beschlussvorschlägen im Einzelnen 1. Aufklärung über Impfungen sowie ärztliche Impfberatung stärken, um die Eigenverantwortung der Menschen zu fördern, Wissenslücken zu schließen, Misstrauen gegenüber Impfungen zu reduzieren und die Motivation zum Impfen zu steigern; Dies ist sicher eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung der Impfakzeptanz. Allerdings beruht nur ein Teil der Impfskepsis auf fehlenden oder falschen Informationen. Es gibt in unserer Gesellschaft eine zunehmende Anzahl von sozioökonomisch eher gut gestellten und gut gebildeten Menschen, die der wissenschaftlichen Medizin insgesamt mit Skepsis begegnen und nach sanften, ökologischen Alternativen zu ihr suchen. Der deutsche Medizinhistoriker und ethiker Christoph Gradmann, der heute in Oslo lehrt, sieht darin auch eine Enttäuschung, die auf den bis etwa zur Mitte des vorigen Jahrhunderts bestehenden ausgeprägten Fortschrittsoptimismus in Folge der wissenschaftlichen Bakteriologie folgte. Es hatte sich die Überzeugung herausgebildet, dass die als bedrohlich angesehene Natur (Krankheit) durch Wissenschaft und Technik (Hygiene, Impfungen, Antibiotika) völlig beherrschbar sei. Antibiotikaresistenzen, Hospitalinfektionen und neue Infektionskrankheiten führten zur Kritik am Weltbild der klassischen Mikrobiologie. Hinzu kamen Impulse aus der Ökologie- und Umweltbewegung. So wurde aus der Beherrschung der gefährlichen Natur durch Technik die Sorge einer Bedrohung der nicht mehr als gefährlich angesehenen Natur. Und dies führt zum Misstrauen gegenüber der Technik und deren Produzenten. Außerdem gibt es Erkenntnisse über psychologische Gründe für Impfskepsis, die wir besonders der Psychologin Cornelia Betsch von der Universität Erfurt verdanken. Ein Beispiel: Wenn ein Kind nach einer Impfung tatsächlich oder vermeintlich einen Impfschaden erleidet, fühlt sich die Mutter schuldig. Durch ihr aktives Tun wurde ihr Kind geschädigt. Kommt ein Kind aufgrund einer unterlassenen Impfung zu Schaden, so wird das eher als schicksalhaft angesehen. Dies soll keineswegs ein Votum gegen Aufklärung und Information sein, sondern eine Anregung, weitere Aspekte als die reine Wissensvermittlung zu berücksichtigen. Dazu gehört auch eine eindeutige und überzeugende politische Haltung zur Wichtigkeit von Schutzimpfungen, die ich vielfach vermisse.

2. ein Erinnerungssystem zu Impfterminen in Zusammenarbeit mit Krankenkassen auf den Weg bringen; Ein solches Erinnerungssystem ist sicher eine gute und hilfreiche Maßnahme. Es gibt bereits verschiedene Varianten von Praxissoftware, die dies sehr gut ermöglichen. Es wird allerdings zu wenig davon Gebrauch gemacht. Ob allerdings hier eine Zusammenarbeit mit den Krankenkassen sinnvoll wäre und von diesen überhaupt gewünscht ist, vermag ich nicht zu sagen. 3. den Abschluss einer Rahmenvereinbarung zu 20i SGB V zum Zusammenwirken von Krankenkassen und öffentlichem Gesundheitsdienst sicherzustellen; Dies ist sicher eine ganz wesentliche Forderung, die ich vorbehaltlos unterstütze. Der gesetzliche Auftrag an die Krankenkassen stammt aus dem Jahr 2007. Bis heute sind nur in etwa der Hälfte der Bundesländer entsprechende Rahmenverträge abgeschlossen worden. Und diese lassen sich wegen erheblicher bürokratischer Hürden nicht oder nur sehr eingeschränkt umsetzen. Herr Minister Gröhe musste daher das Präventionsgesetz nutzen, um vereinfachte Möglichkeiten für die Abrechnung der zu erstattenden Sachkosten vorzuschreiben. Es ist bedauerlich, dass die GKV dem gesetzlichen Auftrag nicht engagierter nachkommt. Aber auch seitens des Landes scheint mir eine zügige Umsetzung dieser seit 9 Jahren geltenden gesetzlichen Regelung nicht mit der wünschenswerten Anstrengung zu erfolgen. Ein Grund mag sein, dass der ÖGD in NRW nur noch sehr bedingt in der Lage ist, die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Maßnahmen tatsächlich umzusetzen. Schulbasierte Impfprogramme, wie sie auf dieser Grundlage erfolgen könnten, sind sehr wirkungsvolle Maßnahmen zur Reduzierung von Impflücken bei älteren Kindern und Jugendlichen. 4. landesweite Impfziele festlegen und regelmäßig überprüfen, um den Schutz der Bevölkerung messbarer zu machen; Hier handelt es sich um eine sicher wichtige Forderung zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor impfpräventablen Krankheiten. Es wäre m. E. aber wichtig zu klären, wer festlegt und wer überprüft. Landesspezifische Umsetzungsgremien die nach der Aufgabenstellung der Nationalen Lenkungsgruppe Impfen kontaktiert und unterstützt werden sollen, sind mir in NRW nicht bekannt. Eine Landesarbeitsgemeinschaft Impfen ist z. B. meines Wissens nicht vorhanden. 5. sich aktiv in die Nationale Lenkungsgruppe Impfen einbringen und deren Zielsetzungen und Empfehlungen in Nordrhein-Westfalen möglichst umgehend umsetzen. Dieser Forderung ist aus meiner Sicht uneingeschränkt zuzustimmen. Mit freundlichen Grüßen Dr. Jan Leidel