Pensé: Lebenssituation haftentlassener junger Menschen 1 Transferprojekt: Berufswegeplanung und Übergangsmanagement Dokumentation der Transferveranstaltung mit dem RESO-Nordverbund 26./27. April 2007 in Berlin Die Lebenssituation haftentlassener junger Menschen Manuel Pensé (Übergangsmanager in der JVA Wiesbaden) Aus dem Strafvollzug entlassene junge Menschen nehmen nach der Verbüßung einer Haftstrafe meist noch viele ungelöste Probleme mit nach draußen. Hier soll exemplarisch zumindest schlaglichtartig und als Umriss skizziert werden, wie die Entlassungssituation Haftentlassener in der Regel aussieht und welche Probleme junge Haftentlassene häufig haben bzw. welcher Hilfe- und Betreuungsbedarf in der ersten Zeit nach der Haft daraus resultiert. Normalerweise beträgt die Verweildauer im Jugendvollzug durchschnittlich ca. 12 Monate. Dies bedeutet, dass für die Häftlinge meist nicht die Gelegenheit besteht, eine komplette Berufsausbildung bis zum Ablegen der Gesellenprüfung während der Haftzeit zu absolvieren. Andererseits führt die Inhaftierung meist dazu, dass die letzte Wohnung nicht mehr für die Dauer der Haft aufrecht erhalten werden kann und die Probanden nicht nur arbeitslos, sondern auch wohnungslos sind, wenn sie die Haftzeit beendet haben. Die Probanden, die eine Berufsausbildung während der Haft begonnen haben, erhalten einen Nachweis und ein Zertifikat über die bis zur Entlassung geleisteten Teilabschnitte der Ausbildung (von den Kammern anerkannt). Dennoch besteht häufig die Schwierigkeit, schon während der Haftzeit einen geeigneten Ausbildungsbetrieb zu finden, der eine Aufnahme im gewünschten Ausbildungsberuf zum einen, und zum Zeitpunkt direkt nach der Haftentlassung zum anderen, anbieten kann. Selbst wenn dem aber so ist, also der junge Ausbildungssuchende noch während seiner Haftzeit eine weiterführende Ausbildungsstelle findet, die er sofort nach der Entlassung aus dem Vollzug antreten könnte, sind häufig die Kostenübernahmen durch die zuständigen Träger und die Frage nach finanziellen Förderungsmöglichkeiten des Probanden seitens der Argen und der Jobcenter Fragen, die abschließend erst nach der Haftentlassung geklärt werden können. Zur Frage der Unterkunft nach der Haftentlassung ist zu sagen, dass der sicherlich überwiegende Teil der Gefangenen nach der Entlassung in den elterlichen Haushalt zurückkehrt und hier zunächst kein dringender Handlungsbedarf besteht. In vielen Fällen besteht diese Möglichkeit aber nicht und dann brauchen die jungen Haftentlassenen eine alternative Unterkunft. Meist stellen diese Probanden schon vor der Entlassung einen Antrag auf Zuweisung einer öffentlich geförderten Wohnung bei der Stadt bzw. der Kommune, in die sie gehen oder zukehren werden. Eine kurzfristige Unterbringung ist auch in so genannten
Pensé: Lebenssituation haftentlassener junger Menschen 2 Übergangswohnheimen möglich. Aber solche Übergangseinrichtungen finden sich nicht in jeder Stadt. Außerdem muss im Vorfeld geklärt werden, ob der zu Entlassende zur Einrichtung passt und ob er sich vorstellen kann, dort einzuziehen. In den ersten Tagen nach der Haftentlassung stehen die Probanden häufig vor einer ganzen Reihe von Ämtergängen und müssen existenzielle Entscheidungen und Weichenstellungen für ihre Zukunft aus eigener Kraft umsetzen und ihr Leben sozusagen von jetzt auf gleich selbst in die Hand nehmen. Man kann sich auch ohne allzu viel Phantasie vorstellen, über wie viel Frustationstoleranz man als Antragsteller heutzutage verfügen muss, um im verwirrenden Ämterdschungel zu bestehen. Am tatsächlichen Entlassungstag liegen bereits viele Hürden vor den jungen Menschen, die sie überwinden müssen. Meist muss der Wohnsitz angemeldet werden, ggf. müssen ein neuer Personalausweis und die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises beantragt werden, ein Konto eröffnet werden, beim Sozialamt Arbeitslosengeld beantragt werden um nur die wichtigsten Posten zu benennen. Mentoren können dabei helfen, diese ersten Hürden mit Erfolg zu meistern. Die Rückbindung der Mentoren wiederum an die ansässigen Übergangsmanager in den jeweiligen Jugendstrafanstalten gewährleistet, dass auch die Mentoren in einen kontinuierlichen Beratungsprozess eingebunden sind. Dadurch ist gewährleistet, dass ehrenamtliches Engagement mit der professionellen Arbeit in der Entlassungsvorbereitung und der Nachbetreuung verbunden ist. Entlassene haben aber nicht nur Schwierigkeiten im Hinblick auf Ämter und Behördengänge. Sie wollen sich auch von alten Kreisen fernhalten, nicht mehr in die Drogenszene abrutschen, keine Kontakte mehr pflegen, die ihnen schaden können, nicht mehr nur Party machen und chillen und vieles mehr. Entlassene mit Drogenproblemen, die auch während der Haftzeit nicht bewältigt werden konnten, sind diesbezüglich nach der Haftentlassung in der Regel äußerst labil. Die Erfahrungen aus dem ArJuS Projekt zeigen leider, dass allzu viele junge Menschen ihre in der Haftzeit gefassten Vorsätze für ein geregeltes und drogenfreies Leben nach der Haft bereits nach kurzer Zeit aus den Augen verlieren, über Bord werfen und in alte Verhaltensmuster abrutschen. Die Probanden mit Drogenproblemen, die es nicht schaffen abstinent zu leben, rutschen wenn, dann meist direkt wieder tief ab und brechen dann in der Regel jeden Kontakt zu Begleitern ab. Mentoren können bei Ämter- und Behördengängen helfen, Hilfestellung bei der Wohnraumbeschaffung oder bei Alltagsfragen geben und nicht zuletzt, dem Probanden als unabhängiger Ratgeber und als Person und schlicht als Mensch in einem zwanglosen Rahmen zur Verfügung stehen. Für die Mentorentätigkeit ist die Bereitschaft und die Fähigkeit, anderen Menschen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen, wichtige Voraussetzung. Ebenso wichtig ist aber auch die Fähigkeit, die Grenzen der eigenen
Pensé: Lebenssituation haftentlassener junger Menschen 3 Handlungsmöglichkeiten im Verhältnis zum Probanden zu erkennen und annehmen zu können, wenn der Proband eine an sich notwendige Unterstützung nicht annimmt. Trotz allem ehrenwerten Engagement seitens des Mentors und trotz (oder vielleicht auch wegen) aller Freiwilligkeit als Grundlage der Zusammenarbeit, brechen Probanden immer wieder den Kontakt ab und entziehen sich den Unterstützungsangeboten. Für die Mitarbeit als Mentorin oder Mentor ist deshalb essentiell, dass diese die grundlegenden Probleme Haftentlassener kennen. Der Verein Holzstrasse e.v. verfügt über langjährige Erfahrungen im Gebiet der ehrenamtlichen Arbeit mit Gefangenen und hat seit 2005 auch Erfahrungen auf dem Gebiet der Nachsorge gesammelt und steht Mentoren als Partner für Begleitung, kollegialen Austausch und für Schulungen zur Verfügung. Strukturell bedeutet dies, dass neben der Einrichtung eines professionellen Übergangsmanagements direkt in den Vollzugsanstalten eine externe Struktur in Wiesbaden übernimmt genau diese Aufgabe der Verein Holzstraße e.v. angeboten wird, die Schulung und kollegiale Begleitung von Mentoren leisten kann. Kein Mentor soll mit den Problemstellungen, zu deren Lösung er meist mit viel Engagement und Enthusiasmus angetreten ist, alleine gelassen werden. Damit Mentoren nicht ohne jeden Rückhalt im luftleeren Raum agieren müssen, ist ehrenamtliche Arbeit professionell einzubinden. Zur Illustration des vorher Gesagten schließe ich hier eine Schilderung einer typisch verlaufenden Entlassungsbegleitung durch Übergangsmanagement und Mentoring an: Am 16.03.07 wurde ein 21-jähriger Wiesbadener nach 26 Monaten Haft im Rahmen einer Teilnahme am hessischen Fußfesselprojekt bedingt vorzeitig zur Bewährung nach Wiesbaden entlassen. Die zunächst anstehenden Ämtergänge habe ich selbst als zuständiger Übergangsmanager begleitet. Der Proband kehrte in den Haushalt der Mutter zurück. Es erfolgte die Anmeldung des Wohnsitzes beim Bürgeramt im Wiesbadener Stadtteil. Weiterhin wurde bei der Agentur für Arbeit Antrag auf Leistungen nach dem SGB III beantragt. Der Proband hatte, bedingt durch seine Beschäftigungsverhältnisse und Teilqualifizierungen während seiner Haftzeit, eine Anwartschaftszeit auf Arbeitslosengeld I erworben. Da die Reallöhne im Vollzug deutlich unter dem Niveau vergleichbarer Tätigkeiten außerhalb des Vollzuges liegen und die erzielten Einkünfte nur zu einem Arbeitslosengeld- Anspruch in sehr geringer Höhe führen, war die Grundannahme bei der Entlassung des Probanden, dass er zwar Leistungen bei der Arbeitsagentur beziehen kann, aber auch ergänzende Leistungen zum Lebensunterhalt beim örtlichen Sozialamt würde beantragen müssen. Der Proband erhielt zusätzlich Betreuung durch einen Mentor im Rahmen des Mentorings. Es wurde vereinbart, dass der Mentor in erster Linie als Ansprechpartner für soziale Fragen wie Freizeit, Sportverein, Aufbau neuer Kontakte etc. und als Mensch zur Verfügung steht. Der Proband, der in seine heimatliche Region zurückkehrte, hatte bereits vor seiner Entlassung wichtige Ziele formuliert. So wollte er sofort nach der Haftentlassung einer
Pensé: Lebenssituation haftentlassener junger Menschen 4 Beschäftigung nachgehen, zum Beispiel bei dem Garten- und Landschaftsbau-Betrieb zu dem er schon während der Haftzeit Kontakt aufgenommen hatte. Weiterhin wollte er eine Ausbildung zum Bäcker bei einem überbetrieblichen Ausbildungsbetrieb erhalten. Auch wollte er sich von den alten Freunden fernhalten. Den Kontakt zu der alten Clique schätzte der Proband als problematisch ein und er hatte entschieden, diesen Leuten am besten ganz aus dem Weg zu gehen. Deshalb kam es ihm sehr gelegen, dass sein Mentor sich ihm anbot um den Neuanfang in der alten Umgebung zu unterstützen. Am 19.03.07 habe ich den Probanden zum Vorstellungsgespräch für ein Praktikum bei einer Gartengestaltungsfirma begleitet. Er erhielt eine Zusage, es wurde vereinbart, dass er ab sofort ein dreimonatiges Vollzeit-Praktikum absolviert. Parallel hatte sich der Proband als Auszubildender beim Städtischen überbetrieblichen Ausbildungsbetrieb für eine Bäckerausbildung beworben. Dort hatte er schnell eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten und einen Eignungstest für die Bäckerausbildung mit gutem Erfolg abgeschlossen. Während das betriebliche Praktikum bereits begonnen hatte, hielt der Proband zu seinem Mentor Kontakt und es fanden Treffen statt, in deren Verlauf das begonnene Praktikum und die neue Lebenssituation nach der Haftzeit besprochen wurden. Beim ersten Amtsgang zur Arbeitsagentur hatte sich jedoch ein Problem gezeigt, das bis dato noch nicht gelöst werden konnte: Im vorliegenden Fall hatte die Agentur für Arbeit in Wiesbaden für die Bemessung des Leistungsanspruches im SGB III die Fiktivlohnberechnung angewendet. Die besonderen Probleme, die sich für den Probanden daraus ergaben, sollen hier kurz geschildert werden: Der Proband strebte eine Ausbildung beim außerbetrieblichen Ausbildungsträger an, das heißt, er bewarb sich um eine durch die kommunalen Kostenträger zu finanzierende, im SGB II-Bereich angesiedelte Ausbildung. Voraussetzung für eine Kostenzusage für eine derartige Ausbildung ist unbedingt der vorgängige SGB II Leistungsbezug. Da der Proband aber wegen der zum Tragen kommenden Fiktivlohnberechnung nunmehr ausschließlich Anspruch auf Arbeitslosengeld I für die Dauer von zehn Monaten hatte, würde er in dieser Zeit überhaupt keine Leistungen nach dem SGB II erhalten und somit wären auch nicht die Voraussetzungen für eine Ausbildungsstelle bei einem geförderten Träger erfüllt.. Anders herum würde er dadurch, dass er ausschließlich über die Arbeitsagentur gefördert würde, nicht in eine außerbetriebliche Ausbildung vermittelt werden, da dies nur für SBG II Leistungsempfänger Praxis ist. Als sei diese schwierige Lage für den Probanden nicht schon verzwickt genug, kommt noch der Umstand hinzu, dass seit 01.04.06 junge Menschen unter 25 Jahren nicht ohne besonderen Grund eine eigene Wohnung unterhalten dürfen, solange sie auf institutionelle Unterhaltsleistungen angewiesen sind und weiterhin, dass sie seit 01.07.06 keine eigene Bedarfsgemeinschaft mehr ohne Einrechnung des elterlichen Einkommens realisieren dürfen. Ironischerweise würde im vorliegenden Fall aber genau die erste dieser
Pensé: Lebenssituation haftentlassener junger Menschen 5 Bedingungen die Rückkehr des Probanden in den Haushalt seiner Mutter zur Möglichkeit, doch noch an ein Ausbildungsangebot im Sinne des SGB II Leistungskataloges zu kommen. Der Grund dafür besteht darin, dass die Mutter des Probanden selbst im SGB II Leitungsbezug ist. So jedenfalls, erhielten wir beim Gang zur Agentur für Arbeit auf unsere Anfrage Auskunft. Insofern der Sohn keine eigene Bedarfsgemeinschaft begründet, sondern der bereits bestehenden Bedarfsgemeinschaft mit Arbeitslosengeld II-Leistungen im elterlichen Haushalt zugerechnet wird, könne er über diesen Weg doch noch eine Förderung erhalten. Zwischenzeitlich entwickelte sich die davon unbenommen getätigte Bewerbung des Probanden beim außerbetrieblichen Träger in ungünstiger Weise. Der Proband hatte den Eignungstest zwar bestanden, aber wegen der Konstellation der Azubi-Gruppe in der Bäckerei der Einrichtung sah der pädagogische Leiter der Einrichtung Probleme, wenn der Proband im Jahr 2007 aufgenommen würde. Das heißt, trotz belegter fachlicher Eignung aber wegen einer unglücklichen Gruppenkonstellation, die sich in der Konsequenz ergeben hätte, wurde dem Bewerber keine Ausbildungsstelle beim Träger angeboten. Es folgte eine Bewerbung bei einem anderen außerbetrieblichen Träger der Stadt. Weiterhin offen ist, ob eine Kostenübernahme für eine überbetriebliche geförderte Ausbildung in naher Zukunft überhaupt absehbar ist. Ein erstes Krisengespräch mit Bewährungshilfe, Mentor und Übergangsmanager wurde durchgeführt und die Situation des Probanden neu bewertet. Ein Termin beim Berufsberater der Arbeitsagentur soll weitere Klärung bringen. Die Erkenntnisse, die sich aus dem vorliegenden Fall ableiten lassen, sind: Es ist unbedingt von Vorteil, wenn Probanden, die nach einer Haftstrafe einen Neustart realisieren müssen, durch Mentoren und durch geeignetes Übergangsmanagement unterstützt werden. Im Dickicht der gesetzlichen Lage von Hartz IV ist es schwer zu durchschauen, wer wem was fördert und genehmigt und welche Voraussetzungen man als Bewerber mitbringen muss und was alles zum Ausschlusskriterium für Förderungen wird. Benachteiligte Jugendliche benötigen deshalb in besonderem Masse tatkräftige Unterstützung und praxisnahe kompetente Hilfe in der Entlassungsvorbereitung und nach der Entlassung. ArJuS hat eine praxistaugliche und funktionierende Struktur für entsprechende Angebote entwickelt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.