Wir bauen Barrieren immer weiter ab

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Transkript:

Wir bauen Barrieren immer weiter ab Rund 1,15 Milliarden Euro mehr als bisher könnten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch den seit 1. Januar 2013 geltenden Rundfunkbeitrag nach aktuellen Schätzungen der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) in den nächsten vier Jahren einnehmen. Dieser neue Beitrag wird pro Wohnung beziehungsweise Betriebsstätte, nicht mehr geräteabhängig erhoben. Auch bisher gebührenbefreite Menschen, etwa Schwerhörige und Gehörlose mit entsprechendem Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis, zahlen nun ein Drittel des Beitrags von 17,98 Euro pro Monat 5,99 Euro. Doch wofür wird das Geld eingesetzt? Wird die Barrierefreiheit wie geplant vorangetrieben? Wir baten im Interview den ARD-Vorsitzenden und NDR- Intendanten Lutz Marmor um eine Einschätzung.? Der seit 1. Januar 2013 geltende neue Rundfunkbeitrag hat nach zuletzt rückgängigen Gebühren wieder zu steigenden Einnahmen der öffentlichrechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender geführt. Auch für die kommenden Jahre wird mit leicht steigenden Einnahmen gerechnet. Wofür werden die Mehreinnahmen ausgegeben? Lutz Marmor: Uns geht es nicht anders als anderen Unternehmen und als den privaten Haushalten: Die Inflation macht vor den Sendern nicht Halt. Viele Dienstleistungen und Waren, die wir beziehen, sind nicht mehr zum gleichen Preis zu bekommen wie noch vor fünf Jahren. Das betrifft zum Beispiel Löhne und Gehälter sowie, mit besonders hohen Steigerungsraten, die Energiekosten. Zum Teil sollen Mehreinnahmen also dazu dienen, die Teuerung auszugleichen. Den entsprechenden Bedarf haben ARD, ZDF und Deutschlandradio bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) angemeldet. ARD, ZDF und Deutschlandradio dürfen keinen Cent mehr ausgeben, als die KEF zuvor anerkannt hat; gegebenenfalls könnten die Länder eine Beitragssenkung verabschieden, wenn die Mehrerträge höher wären als der von der KEF festgestellte Bedarf der Sender. Unsere Maßnahmen zur Erhöhung der Barrierefreiheit sind fest eingeplant und unabhängig von Mehreinnahmen.? Ergeben sich Einsparungen bei den Mitarbeitern der ehemaligen Gebühreneinzugszentrale (GEZ) durch die neue Datenerhebung der Beitragszahler (GEZ-Aufwendungen der ARD 2012: 140 Millionen Euro)? Lutz Marmor ist seit dem 13. Januar 2008 Intendant des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und seit dem 1. Januar 2013 ARD-Vorsitzender. Der gebürtige Kölner hat Betriebswirtschaftslehre studiert und ist seit 1983 in verschiedenen Positionen für die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender WDR, RBB, NDR und ARD tätig. NDR/David Paprocki Lutz Marmor: Ja, mittel- bis langfristig wird es insgesamt Einsparungen in Höhe von 20 Prozent geben. Vorübergehend hat der Beitragsservice allerdings seine Mitarbeiterzahl erhöhen müssen. Das liegt an dem zusätzlichen Aufwand, den die grundlegende Umstellung auf ein neues Finanzierungsmodell mit sich bringt.? Ziehen Sie Bilanz nach einem Jahr Rundfunkbeitrag auch für Schwerhörige. Was hat sich für diese bezüglich barrierefreien Fernsehens, vornehmlich hinsichtlich Untertitelung und Sprachverständlichkeit, getan? 50

GESELLSCHAFT dungen im Ersten Programm zu untertiteln. Dieses Ziel haben wir erreicht. Seit November werden auch alle Tagesschau-Ausgaben zwischen neun Uhr morgens und ein Uhr nachts sowie Tagesthemen und Nachtmagazin untertitelt, sodass inzwischen mehr als 90 Prozent des Ersten Programms mit Untertiteln versehen sind. 2012 waren es noch durchschnittlich 49 Prozent. Rundfunkbeitrag-Einnahmen Die Einnahmen aus den Rundfunkbeiträgen (hier: ARD-Anteil, der fast drei Viertel des Gesamtbetrags entspricht) gingen in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurück. Die Wende brachte nun die Reform der Rundfunkfinanzierung. Die Einnahmenhöhe 2013 beruht bisher nur auf Schätzungen, die insgesamt aktuell von Mehreinnahmen von etwa 286,5 Millionen Euro pro Jahr ausgehen (ARD-Anteil: circa 204 Millionen Euro). Die Sender dürfen jedoch nicht mehr Geld verwenden, als die KEF als Bedarf ermittelt hat. Daher empfiehlt die KEF nun eine Senkung der Rundfunkgebühr um 73 Cent auf 17,25 Euro ab 2015. Neben dem gemeinsamen Ausbau der Untertitelung im Ersten haben die Landesrundfunkanstalten auch in ihren Dritten Programmen wesentliche Fortschritte gemacht. In allen Programmen wurde das Untertitelangebot in diesem Jahr deutlich ausgeweitet. Für den NDR besonders wichtig war die Untertitelung der Landesprogramme, sodass nunmehr aktuelle Informationen aus den Ländern barrierefrei empfangbar sind.? Welche Möglichkeiten und Angebote bieten die Internetseiten von ARD und NDR Schwerhörigen? Lutz Marmor: In der Mediathek von ARD/Das Erste stehen nach der Ausstrahlung im Fernsehen viele untertitelte Sendungen zum Abruf bereit, sodass auch schwerhörige Menschen die Angebote problemlos nutzen können. Der NDR hat zum Jahresbeginn 2013 seine Mediathek überarbeitet. Seither können dort auch Sendungen mit Untertiteln angeschaut werden. Damit haben wir einen weiteren entscheidenden Schritt unternommen, schwerhörigen Menschen die Teilhabe an unseren Angeboten zu ermöglichen.? Der NDR ist einer der Vorreiter untertitelter und gedolmetschter Angebote und hat dafür das Projekt Barrierefreier Rundfunk ins Leben gerufen. Wie ist der aktuelle Stand des Projektes? Rundfunkgebühren im Vergleich mit anderen Ländern Die monatlichen Rundfunkbeiträge in Deutschland liegen im weltweiten Vergleich im Mittelfeld. In einigen Ländern wie den USA gibt es keine Rundfunkbeiträge. Dort werden entsprechende Angebote durch Sponsoren, Mitgliederbeiträge, Spenden und staatliche Förderung finanziert. Lutz Marmor: Die neun ARD-Sender haben in diesem Jahr große Anstrengungen unternommen, um den Ausbau der barrierefreien Angebote voranzubringen mit nachhaltigem Erfolg. Wir hatten es uns zur Aufgabe gemacht, bis Ende 2013 alle Erstsen- Lutz Marmor: Zweimal im Jahr trifft sich die NDR-Projektleitung mit Vertretern der Verbände für Menschen mit Behinderung, um zu erfahren, wie unsere Programme für blinde, gehörlose oder schwerhörige Menschen weiter verbessert werden können. Anschließend prüft eine ARD-Projektgruppe die konkrete Umsetzung. So bauen wir Barrieren immer weiter ab. Wir haben gezielt Personal für die Untertitelung, für Hörfilme und Gebärdensprachprojekte aufgestockt, obwohl wir ansonsten Personal abbauen müssen. Das Redaktionsteam kümmert sich auch um die Serviceseiten zur Barrierefreiheit auf ndr.de und darum, dass die untertitelten oder audiodeskribierten Fernsehsendungen im Internet bereitstehen. 1 2014 Spektrum hören 51

? Welche Fortschritte in Richtung Barrierefreiheit sind im Jahr 2014 bei der ARD wie beim NDR geplant? Lutz Marmor: Im Ersten werden inzwischen gut 90 Prozent des Programms untertitelt. Im kommenden Jahr wird die Projektgruppe weiter an der Aufgabe arbeiten, wie sich eine vollständige Untertitelung des Programms erreichen lässt. Von 2014 an werden alle Ausgaben der Politikmagazine im Ersten also Fakt, Kontraste, Monitor, Panorama, Report Mainz und Report München in der Mediathek auch in einer Gebärdensprachausgabe abrufbar sein. Im NDR-Fernsehen haben wir Ende 2013 mehr als die Hälfte des Angebots untertitelt, Tendenz steigend. Für 2014 haben wir uns einen weiteren Ausbau auf zwei Drittel zum Ziel gesetzt. Eine andere Aufgabe wird es sein, weitere untertitelte Sendungen in der NDR-Mediathek anzubieten. Außerdem arbeiten wir an einer Lösung, wie unsere Livestreams auf ndr.de untertitelt werden können. Das ist mit unseren derzeitigen technischen Möglichkeiten leider noch nicht umsetzbar.? Sollte es verpflichtende Quoten für Fernsehsender, zumindest für beitragsfinanzierte, bezüglich der Schaffung barrierefreier Zugänge geben? Lutz Marmor: In den vergangenen vier Jahren unserer Zusammenarbeit haben uns die genannten Verbände immer wieder versichert, dass sie den NDR als verlässlichen Gesprächspartner schätzen. Alle Zusagen, die den Ausbau der Barrierefreiheit betreffen, haben wir eingehalten. Auch auf ARD-Ebene haben wir uns nachdrücklich und erfolgreich für ein größeres Angebot eingesetzt. Im Einvernehmen mit diesen Verbänden haben wir uns entschieden, im Ersten und in den Dritten Programmen stärker auszubauen als in den Digital- und Spartenprogrammen. Wir untertiteln dort am meisten, wo wir die meisten Menschen erreichen. Folge einer verpflichtenden Quote wäre ein gleichmäßiger Ausbau über alle Programme gewesen, wodurch wir insgesamt weniger Menschen erreicht hätten. Insofern brauchen die öffentlichrechtlichen Sender eine solche Quote nicht, denn die Praxis zeigt: Ohne sie läuft es effektiver. Die Situation bei den privaten Sendern ist deutlich schlechter.? Schwierigkeiten bereitet nicht nur Schwerhörigen das Verstehen von Sprache, etwa Nachrichten oder Verkehrsinformationen, bei der oftmals im Radio eingesetzten musikalischen Untermalung (Musikbett) oder anderen störenden Hintergrundgeräuschen (wie Zuschauerjubel, Originalstimme Untertitelquote Die ersten Untertitel wurden ab 1. Juni 1984 bei der 20- Uhr-Ausgabe der ARD- Tagesschau eingeführt. Die erreichten Anteile untertitelter Sendungen schwanken auch heute noch erheblich bei den einzelnen Sendern, wobei die öffentlich-rechtlichen Sender generell die Nase vorn haben. Der Ausbau bei allen Sendern geht jedoch voran. Die Untertitelquote 2013 bezieht sich auf die Monate Januar bis November. Für die privaten Sender liegen bisher keine offiziellen Zahlen vor. Wie Untertitel entstehen, können Sie in Spektrum Hören 1/2013 nachlesen. (Quelle: Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten, NDR, eigene Recherchen) bei deutscher Übersetzung). Einige NDR-Sender achten bereits auf dezente oder gar keine Untermalung. Welche Verbesserungen sind hier im gesamten öffentlich-rechtlichen Radio geplant? Lutz Marmor: Anders als private Anbieter senden die öffentlich-rechtlichen Programme ihre Nachrichten in der Regel ohne Musikbetten. Dies dient der Verständlichkeit; wir finden aber auch, dass es inhaltlich angemessen ist. Nicht völlig verzichten möchten wir dagegen auf übersetzte Originalstimmen oder Publikumsreaktionen sie sind Teil des journalistischen Inhalts der Berichte. Die Hörer bekommen auf diese Weise einen unmittelbaren Eindruck davon, ob beispielsweise Präsident Obama in einer Rede sachlich, entschlossen oder aufgewühlt klingt, oder ob ein Publikum begeistert oder ablehnend reagiert. Ein weiteres Thema ist das so genannte Lautheitskonzept, an dem die Häuser der ARD arbeiten. Es zielt auf einheitliche Empfehlungen zur Audiokompression. Sie kann derzeit dazu führen, dass beispielsweise höhere Frauenstimmen schlechter zu verstehen sind. Die neuen Lautheitsregeln sollen einen transparenteren Klang der öffentlich-rechtlichen Radioprogramme ermöglichen.? Mit der separaten Tonspur Easy Listen stünde eine Technik zur Verfügung, die Schwerhörigen das Hören deutlich erleichtern könnte. Gibt es Pläne, eine solche zusätzliche Tonspur einzurich- 52

GESELLSCHAFT ten? In welchem Zeitrahmen? Können die Kosten aus den Einnahmen der Rundfunkbeiträge gedeckt werden? Lutz Marmor: Die Wünsche der Fernsehzuschauer an uns sind vielfältig. Vertreter der Gehörlosen möchten beispielsweise, dass wir viel mehr Angebote in Gebärdensprache machen; Vertreter der Schwerhörigen möchten geräuschreduzierte Tonmischungen, die auf separaten Tonspuren ausgestrahlt werden sollen. Die ARD hat sich für den Ausbau der Untertitelung entschieden, denn mit diesem Angebot erreichen wir alle, die das gesprochene Wort gar nicht oder schwer verstehen: gehörlose und schwerhörige Menschen, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund. Zudem arbeiten wir im NDR derzeit daran, bei der Fernsehproduktion noch stärker auf Sprachverständlichkeit zu achten. Dies halten wir insgesamt für zielführender, als eine separate Tonspur. Insofern ist im NDR derzeit nicht vorgesehen, dieses Verfahren zu nutzen.? Es gibt nach wie vor Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Untertitelung. Dazu gehören beispielsweise zu schnelle Wechsel der Untertitel, die Sendung falscher Untertitel etwa aus der Vorwoche, zeitversetzte Ausstrahlung von Untertiteln, schlecht lesbare Untertitel durch fehlende Abstimmung mit dem Hintergrund, teilweise zu kleine Schrift sowie plötzlicher oder völliger Ausfall von Untertiteln ohne Begründung. Wie sollen derartige Mängel künftig vermieden werden? Lutz Marmor: Zu diesen Detailfragen, die mit der genutzten Technik und den Arbeitsabläufen zusammenhängen, habe ich mich bei den Fachkolleginnen und -kollegen aus dem NDR erkundigt. Zu den einzelnen Punkten kann ich danach Folgendes sagen: a) zu schneller Wechsel der Untertitel Die Lesegewohnheiten und auch die Lesekompetenz der Menschen sind unterschiedlich. Was für den einen zu schnell ist, unterfordert den anderen. Auch in diesem Punkt gilt: Wir müssen einen Kompromiss für möglichst viele Menschen finden. Deshalb orientieren sich alle deutschsprachigen Sender bei der Standzeit der Untertitel an einem Richtwert von 13 Zeichen pro Sekunde. Dies entspricht einer empirisch ermittelten durchschnittlichen Lesegeschwindigkeit. b) Sendung falscher Untertitel etwa aus der Vorwoche Bei der Untertitelung haben alle Häuser der ARD derzeit eine große Herausforderung zu bewälti- Anzeige Stumme Stimmen Reise in die Welt der Gehörlosen von Oliver Sacks Um die visuelle, sich im Raum entfaltende Gebärdensprache zu erforschen, macht Oliver Sacks diverse Reisen im wörtlichen und übertragenen Sinne. Das Ergebnis seiner Erkundungen: Die Gebärdensprache ist kein primitiver Behelf, wie viele glauben, sondern eine strukturierte, differenzierte, feinste intellektuelle wie emotionale Nuancen vermittelnde Ausdrucksform, der Lautsprache ebenbürtig, ja in mancher Hinsicht überlegen. Über den Autor: Oliver Sacks, geboren 1933 in London, ist der Autor von acht Weltbestsellern. Nach einem Medizinstudium in Oxford und neurophysiologischen Forschungen übersiedelte er in die USA, wo er als Neurologe in verschiedenen Kliniken gearbeitet hat. Er lebt in New York City, 2007 hat er einen Ruf an die Columbia University angenommen. 9. Auflage 2012 252 Seiten Taschenbuch 9,99 Bestellnummer 49072 Ich höre, also bin ich von Joachim-Ernst Berendt Joachim Ernst Berendt hat mit Ich höre, also bin ich einen Klassiker der Wahrnehmungsliteratur geschaffen, der in einer überarbeiteten Neuauflage vorliegt. Nach dem Erfolg seiner zahlreichen Bestseller wie Das Dritte Ohr Vom Hören der Welt entwickelte Berendt ein Seminarprogramm mit Hörübungen. Diese Übungen setzen die theoretischen Erkenntnisse seiner Hörforschungen in ganz konkrete und für den Laien leicht anwendbare Übungen um. Heraus kam ein Hör Übungsbuch, das das Potential in sich trägt, Ihre Wahrnehmung der Welt und Ihren Umgang mit den Ohren und dem Hörsinn auf immer zu verändern. Zwischen den Praxisübungen brilliert Berendt mit seinen wie gewohnt sprachlich virtuos geschriebenen Beobachtungen unserer Art, die Welt zu sehen. Seine Hör Inspirationen sind ein Aufruf zur Demokratie der Sinne in einer Welt, die durch das Auge beherrscht ist, damit wir uns wieder mit der Welt in Einklang bringen können. 2009, komplett überarbeitete und erweiterte Neuauflage der Taschenbuch Ausgabe aus dem Goldmann Verlag 228 Seiten gebunden 19,95 Bestellnummer 49336 Median-Verlag von Killisch-Horn GmbH Buchvertrieb Postfach 10 1 2014 39 64 Spektrum 69029 hören Heidelberg 53 Telefon 0 62 21 / 90 50 9-15 Fax -20 E-Mail: vertrieb@median-verlag.de www.median-verlag.de

gen: Seit Einführung des sogenannten zweistreifigen Sendeverfahrens sind Film und Untertitel nicht mehr auf einem Band archiviert. Es handelt sich vielmehr um separate Objekte, die getrennt archiviert und nur bei der Ausstrahlung zusammengeführt werden. Unsere Fachleute arbeiten derzeit ARD-weit an einer Archivlösung und an Workflows für den Programmaustausch, so dass die Untertitelung dem Video eindeutig zugeordnet werden kann. c) zeitversetzte Ausstrahlung von Untertiteln Video und Untertitelfile von Vorproduktionen (Spielfilme, Serien, Dokus etc.) haben grundsätzlich denselben Timecode, sie werden von den Sendern synchron ausgestrahlt. Wenn Film und Untertitel nicht zeitgleich laufen, hängt dies oft mit dem Empfang zusammen. Darauf haben die Sender keinen Einfluss. d) schlecht lesbare Untertitel durch fehlende Abstimmung mit dem Hintergrund Die ARD hat sich auf Richtlinien für die Darstellung und Ausstrahlung von Untertiteln geeinigt. Generell ist dies bei Videotext-Untertiteln: weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund. Bei digitalen Untertiteln wurde der größtmögliche Kontrast (hell auf dunkel) gewählt. Die Festlegungen basieren auf Ergebnissen wissenschaftlicher Studien. Wie diese Untertitel dann auf den unterschiedlichen Fernsehgeräten dargestellt werden, können wir nicht immer vollständig beeinflussen, dafür sind die Hersteller verantwortlich. e) teilweise zu kleine Schrift In der Vergangenheit wurden fast ausschließlich einzeilige Untertitel produziert. Um die Untertitel älteren und sehbehinderten Menschen besser zugänglich zu machen, hat sich die ARD schon 2007 darauf verständigt, die doppelte Zeilenhöhe zu verwenden. Einzeilige Untertitel finden sich nur noch in Übernahmen älterer Sendungen. In allen neu produzierten Sendungen der ARD ist die Schrift größer. f) plötzlicher oder völliger Ausfall von Untertiteln ohne Begründung Die Untertitelredaktionen sind das letzte Glied in der Produktionskette. Sie können mit ihrer Arbeit erst beginnen, wenn die Fernsehredaktionen ihre Arbeit beendet haben. Viele unserer Sendungen werden sehr knapp vor der Ausstrahlung fertig, sodass es manchmal vorkommt, dass keine Zeit mehr bleibt, um die Untertitelung vorzubereiten. Wir bemühen uns in einem stetigen Prozess um eine weitere Optimierung dieser Abläufe, im aktuellen Geschäft gibt es allerdings immer wieder unvorhersehbare Entwicklungen. Mit diesem Problem müssen wir leben.? Im Juli einigten sich die Bundesverbände der Gehörlosen und Schwerhörigen auf einheitliche Untertitelrichtlinien für den deutschen Sprachraum. Wie ist der Umsetzungsstand in Deutschland? Lutz Marmor: Auf Wunsch dieser Verbände war das Thema Untertitelrichtlinien Mitte November auf die Tagesordnung der deutschsprachigen Untertitelredaktionen gesetzt. Fachleute von ARD, ZDF, ORF und SRF haben sich das Papier angesehen und zu den einzelnen Punkten Stellung bezogen. Das Ergebnis des Treffens wurde bereits an die Verbände kommuniziert.? Manche Sendungen wie Talkshows sind schwierig zu untertiteln, weil häufig alle durcheinander sprechen und auch zu schnell gesprochen wird. Kameraschwenks verhindern das unterstützende Absehen vom Mund. Sind hier eine Sensibilisierung von Gästen und Filmteam im Vorfeld der Sendung sowie gegebenenfalls ein Eingreifen des Moderators denkbar? Lutz Marmor: Talkshows sind eine Herausforderung für jeden Moderator und auch für die Untertitelteams. Wenn Sie regelmäßig Talks anschauen, wissen Sie, wie schwierig es oft für die Moderatoren ist, ihre Gäste zu bändigen. Talks leben auch von Emotionen. Sie sind wichtig, selbst wenn die Verständlichkeit manchmal etwas darunter leidet.? Aktuell zahlen Schwerhörige ein Drittel des Rundfunkbeitrages. Sollte dieser Beitrag parallel mit der zunehmenden Barrierefreiheit des Fernsehens steigen (beispielsweise 50 % Nachteilsausgleich = 50 % Beitrag)? Lutz Marmor: Eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags für Menschen mit Behinderung wäre Sache des Gesetzgebers, also der Länder. Uns sind keine Überlegungen in diese Richtung bekannt. Ich persönlich halte die derzeitige Regelung für gut vertretbar.? Wann rechnen Sie damit, dass bei der ARD eine Untertitelungsquote von 100 Prozent erreicht wird? Lutz Marmor: Im Ersten sind wir schon nahe an den 100 Prozent. Der Ausbau in den Dritten obliegt den einzelnen ARD-Sendern. Wir legen größten Wert darauf, dass das, was wir ankündigen, verlässlich, verbindlich und nachprüfbar ist. Für das NDR-Fernsehen wollen wir dieses Jahr von gut 50 Prozent im Jahresschnitt 2013 auf mehr als zwei Drittel Untertitelquote kommen. Vielen Dank für das Gespräch. 54