Folgen wir den Frauen Über Spielarten der Liebe, und wie sich damit umgehen lässt: Dies und noch viel mehr offenbart uns Wolfgang Amadeus Mozarts Le nozze di Figaro. Wie stehen Susanna und die Gräfin Almaviva zur Liebe und zu den Wunden? Eine Suche mit ihren Interpretinnen, Olga Kulchynska und Federica Lombardi. Foto Francesco Nazardo 32 Premiere Le nozze di Figaro
Federica Lombardi Gräfin Almaviva
Foto Francesco Nazardo Le nozze di Figaro zeigt alle Facetten der Liebe. Federica Lombardi Federica Lombardi wurde in Cesena / Italien geboren und studierte am dortigen Konservatorium Bruno Maderna sowie am Liceo Musicale Angelo Masini in Forlì Gesang. Seit 2010 studiert sie zudem an der Schule ART-musica bei Romualdo Savastano. Ihr Debüt gab sie 2014 als Donna Elvira (Don Giovanni) im Circuito Lirico Lombardo. Während der Spielzeit 2015 / 16 war sie Mitglied der Accademia di Perfezionamento per cantanti Lirici der Mailänder Scala. Weitere Engagements führten sie u.a. nach Como und Rom sowie zu den Salzburger Festspielen und an die Deutsche Oper Berlin. Zu ihrem Repertoire zählen Partien wie Musetta (La bohème), Nedda (Pagliacci), Micaëla (Carmen), Donna Anna (Don Giovanni), Fiordiligi (Così fan tutte), die Titelpartie in Anna Bolena und La Contessa di Almaviva (Le nozze di Figaro), mit der sie in dieser Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper debütiert. Wie schnell das Begehren kommt und geht. Wie schnell das Vertrauen kommt und wieder geht. Und wie doch die ideale Liebe stärker ist als alles Kommen und Gehen von Begehren und Vertrauen, das vor allem verhandelt die Oper Le nozze di Figaro. Wer wirklich liebt, ist großzügig. Wer liebt, verzeiht. Oder bittet um Verzeihung. Aber wer liebt, leidet auch. Und das ist das andere große Thema in Figaro, das allerdings fast untergeht in den Wirren eines turbulenten Tages, an dem man zwischendurch nicht einmal mehr weiß, wer überhaupt wer ist vor lauter Verkleidungen und Verwechslungen. Eigentlich, so scheint es, ist keine Zeit für Trauer. Keine Zeit, seine Wunden zu lecken. Besser, man schmiedet gleich wieder den nächsten Plan. Und doch gibt es Momente der Besinnung, klar und gewaltig, sehnsüchtig und erschütternd. Wenn die Gräfin Almaviva in der Arie Porgi amor den Gott der Liebe bittet, ihr des Gatten Herz wiederzugeben oder wenigstens ihren Schmerz zu lindern und sie sterben zu lassen. Nichts kränkt mehr als die Zurückweisung in der Liebe, meint die Sopranistin Federica Lombardi, die die Gräfin singt. Lombardi, dunkle lange Haare, die sie sich über die linke Schulter legt, hat eine Haut wie Sahne und dick getuschte Wimpern. Die Gräfin Almaviva, eine sehr poetische Rolle, gehört bereits fest zum Repertoire der 28-jährigen Italienerin. Lombardi schwärmt von der Vielfältigkeit des Figaro: Die Oper zeigt alle Facetten der Liebe, sagt sie. Die Liebe, die zur Routine geworden ist. Die außereheliche Liebe, die schwärmerische, die begehrliche, die freundschaftliche, die erwachsene, die jugendliche, die elterliche. Die Oper zeigt, dass die Liebe sich ständig verändert, dass Missgunst, Neid, Eifersucht, die Intrige, die Untreue, die Täuschung zwar vorkommen, aber die Untugenden allein die Liebe nicht ausmachen, auch wenn es im Figaro über lange Strecken so wirkt. Was die Liebe ausmacht, ist Großmut. Güte. Das Vertrauen in das eigene Gefühl, nicht in das des anderen. Es ist ja so: Figaro und Susanna möchten heiraten. Sie sind Kammerdiener und Kammerzofe des Grafen und der Gräfin Almaviva. Angesichts der bevorstehenden Hochzeit möchte der Graf, der seit einiger Zeit Verlangen nach Susanna empfindet, die erste Nacht mit ihr haben, das ist seine Bedingung, dann dürfen Figaro und Susanna heiraten. Die Hochzeit soll am Abend des Tages stattfinden, an dem die Oper spielt. Der glutäugige Figaro ist eifersüchtig, die sinnliche Gräfin am Boden zerstört, die kecke Susanna, die sich ihrer Anziehungskraft sehr bewusst ist, steckt trotzdem in einer Zwickmühle, weil sie ihren Figaro liebt, den Text Gabriela Herpell 35
Wenn man nicht vertraut, ist es Leidenschaft und keine Liebe. Und Leidenschaft vergeht. Olga Kulchynska 36 Grafen aber nicht kränken darf und sich auch durch sein Werben geschmeichelt fühlt. Es fällt ihr gar nicht leicht, ihn zurückzuweisen, sagt Olga Kulchynska, die die Rolle der Susanna singt. Die 27-jährige Ukrainerin schüttelt den Kopf und lächelt. Sie traut der Figur nicht so recht über den Weg. Für Olga Kulchynska, schulterlange schwarze Haare, ein Mund wie ein Herz, ist Susanna eher clever als tiefgründig. Aber sie treibt die Handlung an. Ersinnt die Listen, die den Grafen dazu bewegen sollen, zu seiner Frau zurückzufinden. Um alle herum tanzt und singt Cherubino, der Page des Grafen, der sich in jeder Minute frisch in eine andere verliebt. Cherubino ist eine Hosenrolle, wird also von einer Frau gespielt. Die merkwürdige Zwischenstellung, die dieser von einer Frau verkörperte junge Mann einnimmt, ermöglicht es ihm, Vertrauen zu Männern und Frauen aufzubauen. Er ist kein Fremdkörper in der Welt der Frauen, er kann dabei sein, wenn sie unter sich sind, wenn sie tuscheln und ihre Pläne schmieden. Vor allem, wenn er im Lauf der Handlung auch noch als Frau verkleidet wird. Die doppelte Feminisierung. Ein Junge in Frauenkleidern, eigentlich harmlos. Und für die Gräfin ist das erotische Interesse des jungen Mannes an ihr eine kleine Rettung. Er gibt ihr Selbstbewusstsein, sagt Federica Lombardi. Aber ihr Interesse an ihm, die Bereitschaft, die sie bei sich selbst spürt, sich auf jemand anders als den Grafen einzulassen, trägt auch dazu bei, dass sie den Grafen besser versteht. Cherubino leidet gern, genießt seine Wunden. Es scheint, als spüre er sich erst, wenn er leidet. Er ist vom Verlangen getrieben, bisher noch ohne tieferes Empfinden, denn er ist jung und sucht noch. Ich erfriere und dann fühle ich, wie meine Seele versengt wird, und in einem Augenblick werde ich wieder zu Eis, singt er. Ihn überraschen diese Gefühle, sie sind neu für ihn, und er möchte mitten in sie hineinspringen. Er hat noch keine Ahnung, dass er dabei auch verletzt werden kann, es ist ihm noch nicht passiert. Er findet zwar keinen Frieden, weder in der Nacht noch am Tag, aber er mag diesen Zustand. Und er möchte wissen, ob das Liebe ist, was er empfindet: Ihr, die wisst, was Liebe ist, ihr Frauen, seht, ob ich sie im Herzen habe. Die beiden Sängerinnen wiederum genießen es, Mozart zu singen und ihre Rollen zu spielen. Wir werden eine Menge Spaß miteinander haben, sagt Olga Kulchynska und schaut Federica Lombardi dabei lachend an. Lombardi nickt. Aber wir können auch weinen, das ist das Schöne an dieser Oper, fügt sie hinzu. Le nozze di Figaro ist amüsant, natürlich, es gibt genügend lächerliche und komische Momente, aber die Foto Gosha Pavlenko
Olga Kulchynska Susanna 37
Olga Kulchynska Susanna
Foto Gosha Pavlenko Wenn man die Sängerinnen nun fragt, ob man sich wirklich nicht vor Verletzungen schützen kann, schütteln sie den Kopf. Olga Kulchynska wurde in der Ukraine geboren und studierte zunächst Musiktheorie in Kiew und anschließend Gesang an der Nationalen Musikakademie der Ukraine Peter Tschaikowsky bei Maria Stefiuk. Bekanntheit erlangte sie durch ihr Debüt als Giulietta (I Capuleti e i Montecchi) am Opernhaus Zürich. 2013 wurde sie Mitglied des Jungen Ensembles des Bolschoi-Theaters Moskau, wo sie von Dmitry Vdovin und Svetlana Nesterenko unterrichtet wurde und u. a. als Marfa in Die Zarenbraut zu sehen war. Von 2014 bis 2017 war sie am Bolschoi-Theater Ensemblemitglied. Weitere Engagements führten sie u. a. an das Gran Teatre del Liceu in Barcelona, das Lincoln Center in New York und das Theater an der Wien. Zu ihrem Repertoire zählen Partien wie Norina (Don Pasquale), Juliette (Roméo et Juliette), Musetta (La bohème), Gilda (Rigoletto), Adina (L elisir d amore), Ilia (Idomeneo), Zerlina (Don Giovanni) und Susanna (Le nozze di Figaro), die sie nun in der Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper singt. Oper berührt eben auch. Sie hat diese Tiefe, sagen die Sopranistinnen, die in der Musik liegt, mehr als im Stück von Beaumarchais. In dieser Oper ist überall Erotik. Das ist eben auch Mozart, erklärt Olga Kulchynska. Le nozze di Figaro galt immer als das große Revolutionsstück. Die Vermischung der Stände. Und natürlich der Aufstand der Frauen. Die Frauen tun sich gegen die Männer zusammen, obwohl sie Gräfin und Zofe sind. Leicht hätten sie zu Gegenspielerinnen werden können. Und sie bilden nicht nur eine Allianz, als wären sie Schwestern oder beste Freundinnen und nicht Herrin und Untergebene, sie tauschen auch noch ihre Rollen und damit ihren gesellschaftlichen Rang: In den Kleidern ihrer Zofe verführt die Gräfin ihren Mann. Der wiederum begehrt seine Frau, die er nicht mehr zu begehren glaubt, in den Kleidern einer anderen. Diese Maskeraden im Figaro sind, wenn man so möchte, auch ein Verweis auf das echte Leben, damals wie heute. Man verhält sich in verschiedenen Kontexten so, wie man gesehen werden möchte. Oder wie man meint, sein zu müssen. Also ist man auch immer der Mensch, den andere in einem sehen. Vielleicht ist die Gräfin in den Kleidern einer anderen tatsächlich eine andere Frau. Aber wie kränkend muss das sein für eine Ehefrau wie die Gräfin, wenn der Mann, den sie ernsthaft liebt, sich von einer anderen Frau derart beeindrucken lässt. Wenn er es in Kauf nimmt, seine Frau zu verletzen, nur um sein momentanes Verlangen und seine Besitzansprüche zu befriedigen. Denn der Graf ist ja keine lächerliche Figur, sondern ein starker, impulsiver, energischer Mann, ein großer Liebender, den eine Frau wie die Gräfin bewundern kann. Wäre er das nicht, wären alle Figuren um ihn herum unglaubwürdig. Die Gräfin Almaviva steht, so sieht es Federica Lombardi, für die zärtliche Liebe, die sinnliche Liebe, die lang anhaltende Liebe, die ehrliche und echte Liebe, der das Berechnende und die unehrliche Begierde entgegengesetzt werden. Und die Gräfin ist die, die wirklich über ihren Schatten springt. Federica Lombardi sagt: Die Gräfin lernt, sich nicht von Enttäuschung und Schmerz besiegen zu lassen. Ein Happy End? Es scheint ja so, immerhin fällt der Graf vor seiner Frau auf die Knie und bittet um Vergebung. Und Susanna bekommt ihren Figaro. Auch sie steht am Ende zu ihren Gefühlen. Dennoch ist Olga Kulchynska nicht überzeugt davon, dass die Oper ein glückliches Ende hat. Für sie zeigt der Figaro vor allem die selbstsüchtige Liebe. Menschen, die nur sich selbst zufrieden stellen, die Spaß haben und nach Möglichkeit keine 39
Man ist immer auch der Mensch, den andere in einem sehen. Vielleicht ist die Gräfin in den Kleidern einer anderen tatsächlich eine andere Frau. Verantwortung übernehmen wollen. Aber Liebe basiert auf Vertrauen, sagt die Sopranistin ernst. Wenn man nicht vertraut, ist es Leidenschaft und keine Liebe. Und Leidenschaft vergeht. Die Liebe hingegen muss man mit Leben füllen, man muss sie kreieren, dann erst kann man sie irgendwann fühlen. Susanna lernt im Lauf der Oper, so sieht es Olga Kulchynska, dass man das Leben der anderen nicht kontrollieren kann. Und dass sie nicht so stark ist, wie sie anfangs dachte. Dass sie auch eifersüchtig ist, wie jede andere Frau. Und das ist ihre Chance, ihre und Figaros und die Chance aller Figuren: die Selbsterkenntnis. Ohne Selbsterkenntnis geht alles weiter wie zuvor, findet Olga Kulchynska. Aber wie macht man weiter, auch als starke Gräfin, wenn man so verletzt wurde? Heilen die Wunden? Kann man weiterlieben? Die Wunden heilen, wenn man lernt zu vertrauen, meint Olga Kulchynska. Und wenn man lernt, sich nicht abhängig von der Meinung anderer zu machen. Wenn man sich einlässt auf das Leben. Natürlich können Wunden heilen, findet auch Federica Lombardi. Es ist alles eine Frage der Liebe. Aber seine Gefühle einzuschließen, das bringt überhaupt nichts. Und wenn man die Sängerinnen nun fragt, ob man sich wirklich nicht vor Verletzungen schützen kann, schütteln beide den Kopf. Gerade sie als Sängerinnen machen sich ja immer verletzlich. Sie öffnen sich durch ihre Stimmen. Wer singt, hat kein Instrument, hinter dem er sich verstecken kann. Allerdings, und das ist beiden sehr wichtig, sind sie in den Arien, in denen die Gefühle besonders groß sind, besonders kontrolliert. Unemotional fast. Wenn ich jemanden weinen lassen möchte, dann darf ich selbst nicht weinen, sagt Federica Lombardi. Herzerweichend singe ich nur, wenn jeder Ton stimmt. Wenn ich perfekt singe. Und es bedarf der größtmöglichen Präzision, Mozart zu singen. Le nozze di Figaro Opera buffa in vier Akten Von Wolfgang Amadeus Mozart Gabriela Herpell ist Journalistin in München und schreibt vor allem für Magazine, derzeit für das SZ-Magazin, zuvor für Tempo, Glamour und den Stern. Federica Lombardi wurde fotografiert von Francesco Nazardo, Mailand. Olga Kulchynska wurde fotografiert von Gosha Pavlenko, Moskau. Premiere am Donnerstag, 26. Oktober 2017, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Samstag, 28. Oktober 2017, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 95 40