Wie gehen wir hier in Deutschland mit Tod und Sterben um? Tatsache ist, dass immer mehr Sterbende ihr Lebensende in Krankenhäusern,

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Transkript:

November 2007 S. 01 Liebe Gemeinde, in meiner Kaplanszeit machte ich jedes Jahr im November mit meinen Schülern und Firmbewerbern einen Ausflug: auf den Friedhof. Einmal standen 20 Jugendliche um mich herum 13, 14 Jahre alt, die Mädchen bauchfrei in Hüftjeans, die Jungs mit Schlabberhose und Basecaps. Die einen kicherten, die anderen rissen Witze, manche traten verlegen von einem Bein auf das andere. Eine Mischung aus Spannung und Unbeholfenheit lag in der Luft. Also gab es erst einmal eine Lektion in Sachen Benehmen. Ich fragte in die Runde: Was ist eigentlich verboten auf einem Friedhof? Musik hören, auf die Gräber treten, Blumen pflücken, Bier trinken... Zum Schluss ließ ich einen aus der Gruppe die Friedhofsordnung vorlesen: Tiere sind auf dem Friedhof verboten. Keine Fahrräder... Einer war sich sicher: Auch Kinder dürfen nicht mit auf den Friedhof. Könnten ja etwas kaputt machen oder zu laut sein. Ich bin oft auf Friedhöfen. Das gehört zu meinem Beruf: Menschen beerdigen, Trauernde begleiten und ihnen beistehen. Manche, die ich beerdigte, habe ich persönlich gekannt. Deswegen störte es mich, als Jasmin vor dem Grab von Frau Meier ihr Kaugummi ausspuckte oder Dennis und Mathias an der Urnenwand eine Rempelei anfingen. "Die Würde des Ortes ist zu wahren" heißt es etwas steif in der Friedhofsordnung. Ich sagte lieber: Ich möchte, dass ihr meine Gefühle und die der anderen, die hierher kommen, nicht verletzt. Das verstanden erstaunlicherweise alle sogar Dennis. Zum Schluss saßen wir in der Kapelle zusammen. Kühl war es hier und es roch etwas muffig nach Keller, Kerzenwachs und frischen Blumen. Manche von den Jugendlichen waren noch nie bei einer Beerdigung. Andere erzählten, wie es war, als Opa oder Oma starb. Dann merkte ich, wie es auf einmal ruhig wurde in der Gruppe. Und als der coole Mathias erzählte, wie das war, als sein bester Freund plötzlich durch einen schweren Unfall starb, da kicherte keiner mehr. Es war still - totenstill Auch die Großen wissen nicht immer, wie man sich auf einem Friedhof zu benehmen hat. Manchmal ist das noch harmlos, wenn zum Beispiel am offenen Grab geraucht wird. Aber es gibt auch Schlimmeres: Da werden Blumen geklaut, Grabfiguren abgeschraubt oder es verschwindet ein Kuscheltier von einem Kindergrab. Anderswo werden Steine beschmiert, Gräber oder sogar Leichname geschändet. Tote können sich nicht wehren. Da ist es offenbar für manche reizvoll, Macht über sie auszuüben. Macht, die man als Mensch über den Tod nicht hat. Totenschädel als Spielzeug titelte eine große deutsche Tageszeitung über deutsche Soldaten in Afghanistan, die sich mit solchen makaberen Trophäen fotografieren ließen. Mit Halloween wird die Welt der Toten und Untoten vermarktet eine gesellschaftliche Ursache für jedwede Art von Totenschändung, denn: Wie gehen wir hier in Deutschland mit Tod und Sterben um? Tatsache ist, dass immer mehr Sterbende ihr Lebensende in Krankenhäusern, Alten und Pflegeheimen finden (auch ich einmal) und so der Wahrnehmung vor allem junger Menschen entzogen werden. Demgegenüber lassen Computerspiele und immer brutaler werdende Horror und Actionfilme die Welt der Untoten, Zombies zu einem großen, reizvollen Spielplatz ohne Tabus werden. Auch ein Gunther von Hagens, der Leichen plastiniert und ausstellt (natürlich rein wissenschaftlich und aus rein künstlerischen Motiven) sorgt für Aufsehen und findet ein beachtliches, sensationsgeiles Publikum. Dem christlichen Auferstehungsglauben (der ohnehin selbst für viele Gläubige längst gestorben ist) wird eine Entsorgungsmentalität der Sterbenden und Toten gegenüber gestellt. Verstorbene werden zunehmend ohne Trauerfeier und Verabschiedungsritus anonym bestattet. So verabschieden wir uns außerdem immer mehr von unserer gewachsenen traditionellen Friedhofskultur (Stichwort: Friedwald). Die Gesellschaft verdrängt ihre Toten aus dem Alltagsbild (Friedhöfe, Gräber, Kreuze...) und das Bewusstsein um die Endlichkeit des eigenen Lebens. All das führt zu einem Realitätsverlust besonders bei Kindern und Jugendlichen. Der Tod aber ist fester Bestandteil des Lebens. Er ist eben kein schaurigschönes Gruselspaßspiel. Er ist mit Namen verbunden von Menschen, die gelebt, gehofft, geliebt, geglaubt haben dafür steht jedes einzelne Grab. Wer kein Verständnis mehr hat für das Geheimnis der Heiligkeit des menschlichen Lebens, für den wird alles zur Sache. Dann werden auch aus Totenschädeln Trophäen und Spielzeug! Kinder dürfen übrigens mit auf den Friedhof. Ich denke, es schadet ihnen nichts, wenn man mit ihnen hier lang spaziert und über das Leben - und den Tod spricht. Ich hoffe, dass meine Schüler und Jugendlichen von damals zwei Dinge gelernt haben: Vor einem Toten brauche ich keine Angst zu haben, weil ich glaube, dass Tote nicht herumgeistern, sondern geborgen sind bei Gott. Und: Die Würde jedes Menschen ist unantastbar und heilig - auch im Tode. Ihr Pfarrer Jürgen Heldmann

November 2007 S. 02

Sept./Okt. 2007 S. 03

November 2007 S. 04

November 2007 S. 05

November 2007 S. 06

November 2007 S. 07

November 2007 S. 08