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Transkript:

Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Justiz Rainer Funke vor der 13. Vertreterversammlung des Bundes Deutscher Schiedsmänner am 17. Oktober 1992 in Braunschweig Mit besonderer Freude nehme ich die Gelegenheit wahr, zugleich im Namen der Frau Bundesministerin der Justiz die 13. Vertreterversammlung des Bundes Deutscher Schiedsmänner zu begrüßen. Vor vier Jahren, auf ihrer 12. Vertreterversammlung in Sankt Augustin, hat mein Vorgänger, der damalige Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn, zu Ihnen über»sinn und Perspektiven des Schiedsmannswesens«gesprochen. Heute ist die Frage nach den Perspektiven des Schiedsmannswesens, nach der Zukunft der außergerichtlichen Streitschlichtung durch Schiedsmänner und Schiedsfrauen, vor einem veränderten Hintergrund zu beantworten im Lichte wichtiger Ereignisse und neuer Erkenntnisse der vergangenen vier Jahre. Das herausragende Ereignis war sicherlich die demokratische Umwälzung in der früheren DDR und der Beitritt der fünf neuen Länder zur Bundesrepublik. Gerade in den neuen Ländern kommt dem Aufbau und dem Ausbau aller Formen vorgerichtlicher Streitschlichtung besondere Bedeutung zu. Dies zeigen die Ergebnisse einer rechtstatsächlichen Untersuchung, die von der Prognos AG, dem bekannten Schweizer Zentrum für angewandte Wirtschaftsforschung, im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführt wurde. Danach wird sich die Geschäftsbelastung der verschiedenen Gerichtsbarkeiten in den neuen Bundesländern im Zuge einer allmählichen Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West langfristig auf dem Niveau vergleichbarer alter Bundesländer einpendeln. Auf dem Weg dorthin werden jedoch bei einzelnen Gerichtsbarkeiten, so auch bei der allgemeinen Zivil- und bei der Strafgerichtsbarkeit, Belastungsspitzen auftreten, die erheblich über dem auf lange Sicht zu erwartenden Geschäftsanfall liegen. Wesentliche Ursachen hierfür sind u.a. eine Unsicherheit der Bürger der neuen Länder gegenüber dem für sie neuen Recht sowie im Umgang mit rechtlichen Auseinandersetzungen überhaupt und darüber hinaus ein im Vergleich zu den alten Ländern zunächst noch ungenügendes Angebot an Beratungs-, Schiedsund Schlichtungseinrichtungen. Dabei war aus ideologischen Gründen insbesondere auch wegen der Anleitung durch die SED in der früheren DDR die vorgerichtliche Streitbeilegung stark gefördert worden. So gab es in den Städten der DDR 5.800 Schiedskommissionen und in den Betrieben 28.600 Konfliktkommissionen, in denen über 300.000 Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich gearbeitet haben. Als gesellschaftliche Gerichte waren sie in die Gerichtsorgane integriert und ihnen war die Befugnis zur Rechtsprechung als Organe der Rechtspflege erteilt. Die Konfliktkommissionen Nachdruck und Vervielfältigung Seite 1/7

erledigten fast 75% der Arbeitsrechtsstreitigkeiten. Die Schiedskommissionen befassten sich im Wesentlichen mit zivilrechtlichen Streitigkeiten im Nachbarschaftsbereich und der kleineren Kriminalität. Auch wurden 20% der Ordnungswidrigkeits- und Verfehlungsrechtsverfahren und fast 30% der Fälle im Bereich der Jugendkriminalität an die Schiedskommission gegeben. Die Bürgerinnen und Bürger in der ehemaligen DDR waren folglich mit vorgerichtlicher Streitbeilegung mehr vertraut als wir hier in der alten Bundesrepublik. Die Auflösung der in diesem Bereich tätig gewesenen Gesellschaftlichen Gerichte wurde noch von der ersten und letzten demokratisch gewählten Volkskammer der ehemaligen DDR beschlossen. Zugleich wurde das Gesetz über die Schiedsstellen in den Gemeinden, das nach dem Einigungsvertrag in den fünf neuen Ländern weiter gilt, die Bildung neuer Institutionen der vorgerichtlichen Schlichtung vorgesehen, eben der Schiedsstellen. Ein Vergleich dieser Schiedsstellen mit den Schiedsmännern und Schiedsfrauen der alten Länder zeigt Gemeinsamkeiten, aber auch interessante Abweichungen: Beide, Schiedsstellen wie Schiedsleute, führen auf Antrag einer Partei ein Schlichtungsverfahren über vermögensrechtliche Ansprüche durch und sind Vergleichsbehörde im Sinne des 380 Abs. 1 der Strafprozessordnung für den dem Privatklageverfahren vorgeschalteten Sühneversuch. Während aber Schiedsmänner und Schiedsfrauen in den genannten Fällen alleine entscheiden, sind die Schiedsstellen stets mit 3 Schiedspersonen besetzt. Und schließlich sieht das Schiedsstellengesetz vor, dass die Staatsanwaltschaft bei geringfügigen Vergehen mit Zustimmung des Täters die Sache einer Schiedsstelle übergeben kann, wenn dadurch eine außergerichtliche Erledigung, namentlich im Wege der Wiedergutmachung oder des Täter-Opfer- Ausgleichs, zu erwarten ist. Leider liegen noch keine fundierten Erkenntnisse über die Tätigkeit der Schiedsstellen vor, weil sich deren Aufbau durch die Gemeinden in den neuen Ländern als sehr schwierig erweist und nur schleppend vorangeht. Aber es gibt auch schon neue Entwicklungen, die zu einer Rechtsangleichung in diesem Bereich führen: So will das Land Brandenburg die Besetzung der Schiedsstellen von drei auf eine Schiedsperson reduzieren und das Land Berlin hat sein Schiedspersonenrecht vom West- auf den Ostteil der Stadt erstreckt. So können dort Schiedsfrauen und Schiedsmänner so tätig werden, wie in den Ländern der alten Bundesrepublik. Auch die Bundesregierung legt großen Wert darauf, in Zusammenarbeit mit den Ländern die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu erhalten und zu verbessern, dass alle Angebote der vor- oder außergerichtlichen Konfliktregelung möglichst große Wirkung entfalten, sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern. Denn dies dient nicht allein der Entlastung der Justiz, vor- und außergerichtliche Streitbeilegung nützt vor allem auch den Betroffenen selbst, weil sie hilft, den Rechtsfrieden schnell, unbürokratisch und kostengünstig wiederherzustellen. Das ist Nachdruck und Vervielfältigung Seite 2/7

nicht zuletzt eine gesellschaftspolitische Aufgabe von höchster Bedeutung, die neben der Arbeit der Gerichte unerlässlich ist. Wichtige neue Einsichten in das Funktionieren, die Wirkung und die Zukunftsperspektiven der vor- und außergerichtlichen Streitbeilegung hat die 1988 begonnene Strukturanalyse der Rechtspflege (SAR) des Bundesministeriums der Justiz erbracht. In dem Gesprächskreis SAR und den projektbegleitenden Arbeitsgruppen ist der Bund Deutscher Schiedsmänner von Anfang an vertreten gewesen und hat zahlreiche weiterführende Anregungen gemacht. Das Bundesministerium der Justiz hat als erste Untersuchung im Rahmen dieses Forschungsprogrammes eine Studie mit dem Titel»Mögliche Entwicklungen im Zusammenspiel von außer- und innergerichtlichen Konfliktregelungen«in Auftrag gegeben. Bei dieser Untersuchung wurden erstmals auch Methoden der Wirtschaftsprognose auf die Rechtspflege angewandt. Für die allgemeine Zivilgerichtsbarkeit, die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Finanzgerichtsbarkeit, wurde ermittelt, von welchen Einflußgrößen die Inanspruchnahme der Gerichte abhängt, und abgeschätzt, wie sich diese Einflußgrößen bis zur Jahrtausendwende entwickeln werden. Auf dieser Grundlage konnten zwei Prognosemodelle für den voraussichtlichen Geschäftsanfall bei den einzelnen Gerichtsbarkeiten entworfen werden. Das erste Modell gibt an, welche Geschäftsbelastung im Jahre 2000 bei ungehinderter Weiterentwicklung der derzeitigen Verhältnisse zu erwarten ist. Im zweiten Modell wird dargestellt, wie sich die Inanspruchnahme der Gerichte bei einem gezielten Ausbau aller Angebote an vor- und außergerichtlicher Beratung und Konfliktregelung entwickeln würde. Dabei haben die Wissenschaftler auch versucht, den Effekt bestimmter Maßnahmen zur Förderung von Beratung und Schlichtung abzuschätzen. Da die Untersuchung bereits im Jahre 1988 begonnen wurde, konnten nur die alten Bundesländer einbezogen werden. Ich will die Ergebnisse und Empfehlungen der Studie, soweit sie den Bereich der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit betreffen, kurz zusammenfassen. Denn die dabei gewonnenen Erkenntnisse bilden eine wesentliche Grundlage aller rechts-politischen Überlegungen zur künftigen Ausgestaltung der vor- und außergerichtlichen Beratung und Schlichtung. Die Einflußfaktoren, die die Zahl der bei den Gerichten anhängig werdenden Zivilprozesse bestimmen, lassen sich in drei Gruppen einteilen: allgemeine gesellschaftliche Ursachen, Einflüsse aus dem Rechtssystem und Einflüsse aus der sog. Filterebene im vorgerichtlichen Bereich. Zu den gesellschaftlichen Ursachen zählen u.a. die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, die wachsende Mobilität der Bürger sie wirkt sich etwa auf mietrechtliche Streitigkeiten und auf Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen aus, die Ausbreitung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken sowie Veränderungen der sozialen Verhaltensweisen, z.b. im Verhältnis von Mann und Nachdruck und Vervielfältigung Seite 3/7

Frau, in der Gestaltung der Freizeit oder im Auftreten der Verbraucher gegenüber ihren Vertragspartnern. Nach Einschätzung der Wissenschaftler werden sich die genannten Faktoren mit einer Ausnahme steigernd auf die Zahl der Zivilklagen auswirken. Lediglich der verstärkte Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung verspricht in einigen Bereichen zu einem Abbau von Konflikten beizutragen, beispielsweise bei der Abrechnung von Mietnebenkosten. Einflüsse aus dem Rechtssystem auf die Klagefreudigkeit der Bürger gehen nach dem Ergebnis der Studie nicht alleine von kosten- und gebührenrechtlichen Bestimmungen aus, sondern auch und vor allem von der Eindeutigkeit des materiellen Zivilrechts, etwa des Mietrechts oder des Reisevertragsrechts, und von der Zufriedenheit der Bürger mit dem geltenden Recht. Nach Annahme der Forscher werden diese Einflußgrößen den Geschäftsanfall bei den Zivilgerichten auf lange Sicht ebenfalls deutlich steigern. Unter dem Begriff»Filterebene«werden alle Organisationen, Institutionen und Berufe zusammengefasst, die aufgesucht werden können, wenn sich ein rechtlicher Konflikt abzeichnet, die durch Beratung und Vermittlung helfen, den Konflikt zu vermeiden oder ihn zu lösen, und die damit wesentlich die Entscheidung der Parteien über eine Klageerhebung beeinflussen. Hierzu zählen beispielsweise die Verbraucherverbände, die Informationen über Produkte und Dienstleistungen sowie ausformulierte Musterverträge zur Verfügung stellen, die Rechtsanwälte, die ja häufig eine außergerichtliche Einigung versuchen, die vielfältigen Schieds- und Schlichtungsstellen von Handel, Gewerbe, Handwerk und Dienstleistungsberufen, die bei den Rechtsantragsstellen der Gerichte tätigen Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger und schließlich Sie, die Schiedsmänner und Schiedsfrauen. Als Hamburger sei mir gestattet der Vielfalt noch eine Institution hinzuzufügen, die es nur dort gibt: Die Öffentliche Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle kurz ORA genannt, die schon 1922 eingerichtet wurde. Außer für den Bereich der Gerichts- und Sühneverfahrens ist die ORA auch für Rechtsauskunft und Rechtsberatung mit praktischer Hilfeleistung zuständig. Viele der 275 ehrenamtlichen Mitarbeiter, insbesondere der 131 Juristen sind mir bekannt, so dass ich ihre Arbeit gut beurteilen kann. 1990 wurden von der ORA 30.700 Rechtsauskünfte erteilt und 1.800 Güteverfahren durchgeführt. Es wäre interessant zu wissen, wie viel Gerichtsprozesse insgesamt dadurch vermieden worden sind. All die genannten Organisationen, Einrichtungen und Personen führen schon jetzt einen erheblichen Teil der zivilrechtlichen Auseinandersetzungen einer vorgerichtlichen, einvernehmlichen Lösung zu. Ihre große zukünftige Bedeutung zeigt sich, wenn man die beiden Prognosemodelle miteinander vergleicht, die in dem PROGNOS-Projekt für die allgemeine Zivilgerichtsbarkeit erarbeitet wurden: Wird Nachdruck und Vervielfältigung Seite 4/7

das bestehende Angebot an vor-gerichtlicher Beratung und Schlichtung nicht weiter ausgebaut, so wird aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung die Zahl der Zivilklagen von rund 1,6 Mio. im Jahre 1987 auf etwa 2,5 Mio. im Jahre 2000 ansteigen. Durch geeignete Förderung der vorgerichtlichen Beratung und Schlichtung kann dagegen die Zahl der Neueingänge erster Instanz bei den allgemeinen Zivilgerichten im Jahre 2000 auf dem Stand von 1987 gehalten werden. Die Verfasser der Studie empfehlen verschiedenste Maßnahmen, um dieses Potential zu nutzen. Dabei werden nicht nur die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder angesprochen, sondern auch die Rechtsanwaltschaft und die Verbände. Sie, meine Damen und Herren, werden vor allem interessiert sein, die Empfehlungen der Studie bezüglich der schlichtenden Tätigkeit der Schiedsmänner und Schiedsfrauen in Zivilsachen zu erfahren. Die Verfasser der Untersuchung kommen zu dem Ergebnis, dass die Schiedsleute einen wesentlichen Beitrag zur vorgerichtlichen Streiterledigung bei solchen Auseinandersetzungen leisten können, bei denen den Betroffenen ansonsten kein Ansprechpartner zur Verfügung stünde. Durch die Einführung einer Erscheinenspflicht der Parteien bei zivilrechtlichen Streitigkeiten und durch eine vorsichtige Ausweitung der Schlichtungszuständigkeit der Schiedsmänner und Schiedsfrauen etwa auf nachbarrechtliche Konflikte werde zwar die Bedeutung der Schiedsleute gestärkt, ein nennenswerter Zuwachs an Schlichtungsverfahren sei davon jedoch nicht zu erwarten. Von einem obligatorischen Güteverfahren in Zivilsachen wird abgeraten. Diese Folgerungen mögen Sie vielleicht enttäuschen. Nun bilden diese Erkenntnisse und Empfehlungen zwar eine wichtige Grundlage für rechtspolitische Entscheidungen, aber sie legen diese Entscheidungen noch nicht fest. Allerdings zeigt sich bei kritischer Würdigung der Untersuchungsergebnisse, dass diese begründet und nachvollziehbar sind. Ich möchte dies an einigen wenigen statistischen Daten verdeutlichen: Die Zahl der vor die Schiedsmänner und Schiedsfrauen der sieben Schiedsleuteländer gebrachten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten hat sich im vergangenen Jahrzehnt etwa verdoppelt, von 887 im Jahr 1980 auf 1678 im Jahre 1990. Sie ist damit zwar prozentual wesentlich stärker gestiegen als die Zahl der Neueingänge erster Instanz bei den allgemeinen Zivilgerichten dieser sieben Länder die stieg von rund 860.000 im Jahre 1980 auf etwa 1.050.000 im Jahre 1990, aber sie ist absolut gesehen weiterhin sehr gering. Die Schieds- und Schlichtungsstellen von Handel, Gewerbe und Handwerk werden von den Bürgern häufiger angerufen als die Schiedsmänner und Schiedsfrauen. So bearbeiten alleine die Schlichtungsstellen des Kfz-Handwerks, die sich vornehmlich mit Streitigkeiten aus Anlaß von Kraftfahrzeugreparaturen befassen, jährlich gut 10.000 Anträge. Der in dieser Zahl deutlich werdende Umfang der Tätigkeit der vielfältigen Schieds- und Nachdruck und Vervielfältigung Seite 5/7

Schlichtungsstellen des Wirtschaftslebens muss berücksichtigt werden, wenn über die Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens vor den Schiedsmännern und Schiedsfrauen nachgedacht wird. Vermittelnd wirkende Institutionen, die sich eines recht befriedigenden Zuspruchs erfreuen, sollten nicht ohne Not durch andere ersetzt werden. Wichtig ist es, durch andere Maßnahmen das verdienstvolle Wirken der Schiedsmänner und Schiedsfrauen auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten weiter zu fördern und bei der Bevölkerung bekannt zu machen. Ein wesentlicher Schritt wurde bereits von einigen Ländern gegangen durch die Einführung einer Erscheinenspflicht der Parteien in zivilrechtlichen Schlichtungsverfahren. Wie es aussieht, werden die übrigen Schiedsleuteländer folgen. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ist der Antragsgegner zum Erscheinen verpflichtet, in Niedersachsen und im Saarland besteht eine entsprechende Verpflichtung für beide Parteien. Im rheinlandpfälzischen Justizministerium wird derzeit geprüft, ob die in diesem Bundesland bislang nur den Antragsteller treffende Präsenzpflicht künftig für beide Parteien gelten soll. Hessen und Berlin erwägen, dem Beispiel der übrigen Länder zu folgen. Das Bundesministerium der Justiz begrüßt diese Entwicklung. Daneben bleibt intensive Öffentlichkeitsarbeit erforderlich. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung vertreibt seit mehreren Jahren eine kostenlose Broschüre mit dem Titel»Schlichten ist besser als Richten«, die mittlerweile in 9. Auflage erscheint und die u.a. über die Aufgaben und Funktionen der Schiedsmänner und Schiedsfrauen informiert. Und auch der Bund Deutscher Schiedsmänner war und ist ja stets darum bemüht, den Bürgerinnen und Bürgern den Gedanken der Schlichtung näher zu bringen. Wenn die in den Ländern in Gang gekommene Rechtsentwicklung von entsprechender Öffentlichkeitsarbeit begleitet wird, sollte es gelingen, Ihnen, den Schiedsmännern und Schiedsfrauen, auch künftig eine wichtige Rolle im Bereich der vorgerichtlichen Streitschlichtung zu sichern. Wobei ich hinzufügen möchte, dass die Bedeutung einer streitbeilegenden Tätigkeit nicht allein an der Zahl, sondern auch an der Art der gütlich bereinigten Konflikte zu messen ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es oft schwieriger ist, zwei zerstrittene Nachbarn zu einem Vergleich zu bewegen als eine gütliche Einigung zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmen zu erreichen. Sie werden dies vermutlich aus eigener Erfahrung wissen. Abschließend möchte ich noch ganz kurz auf die Perspektiven der vorgerichtlichen Schlichtung im strafrechtlichen Bereich eingehen. Hier ist zunächst eine erfreuliche Entwicklung festzustellen: Der Anteil der erfolgreichen Sühneversuche an der Gesamtzahl der Verfahren ist im Jahre 1991 erstmals seit fünf Jahren wieder über die 50%-Marke gestiegen. Dies ist Ihr aller Verdienst! Die vorhin angesprochene Besonderheit des Verfahrens vor den Schiedsstellen der neuen Bundesländer, wo die Staatsanwaltschaft Strafsachen im Hinblick auf Schadenswiedergutmachung und Nachdruck und Vervielfältigung Seite 6/7

Täter-Opfer-Ausgleich an die Schiedsstellen abgeben kann, wirft zwangsläufig die Frage auf, ob eine entsprechende Regelung nicht auch in den alten Bundesländern eingeführt werden sollte. Diese Frage muss beantwortet werden, aber sie kann nicht kurzfristig entschieden werden. Denn zum einen fehlt es bislang an praktischen Erfahrungen aus diesem Tätigkeitsbereich der Schiedsstellen der neuen Länder, und zum anderen ist die rechtspolitische und wissenschaftliche Diskussion um die Ausgestaltung des Täter-Opfer-Ausgleichs im Strafverfahren noch längst nicht abgeschlossen. Sie, meine Damen und Herren, werden daher sicher Verständnis haben, dass ich mich heute auf einige Überlegungen zu dieser Frage beschränke. Wer den Ausgleich zwischen Täter und Opfer fördern will, muss berücksichtigen, dass in Gestalt des Schiedsleutewesens ein traditionelles bewährtes Instrument des Ausgleichs und der Konfliktlösung zur Verfügung steht. Bei einer Einbeziehung der Schiedsleute in die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs wäre dann aber auch zu prüfen, ob der Sühneversuch nicht von dem für den Geschädigten mühsamen Privatklageverfahren losgelöst werden muss. Und würden, wie es verschiedentlich vorgeschlagen wird, Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich als eigenständige strafrechtliche Reaktionsformen ausgestaltet, so käme man möglicherweise nicht umhin, das Sühneverfahren stärker zu formalisieren und ihm damit einen seiner wesentlichen Vorzüge, nämlich die flexible und informelle Gestaltung des Verfahrens, zu nehmen. All diese Probleme werden besser einer Lösung näher gebracht werden können, wenn fundierte Erkenntnisse über die Tätigkeit der Schiedsstellen in den neuen Ländern vorliegen. Dem Bundesministerium der Justiz ist bekannt, dass mehrere Wissenschaftler entsprechende Untersuchungen planen. So wird die Frage nach der Zukunft der vorgerichtlichen Schlichtungstätigkeit der Schiedsleute in Strafsachen bald klarer beantwortet werden können, als dies heute möglich ist. Für die Bundesregierung kann ich meine Ausführungen wie folgt zusammenfassen: Sie begrüßt die Rechtsangleichung im Schiedsamtswesen in den alten und neuen Bundesländern. Sie unterstützt die friedensstiftende und prozeßverhütende Tätigkeit der Schiedspersonen mit Nachdruck. Sie beobachtet die neue Entwicklung der vorgerichtlichen Schlichtungstätigkeit mit Hilfe rechtstatsächlicher Untersuchungen als Grundlage für notwendig werdende bundesgesetzliche Regelungen. Somit möchte ich schließen, nicht ohne jedoch allen Schiedsfrauen und Schiedsmännern für ihre ehrenamtliche Arbeit im Dienste des Rechtes ganz herzlich zu danken. In meinen Dank schließe ich auch die erfolgreiche Arbeit der Vertreter des Bundes Deutscher Schiedsmänner ein. Ihrer Veranstaltung wünsche ich einen guten Verlauf. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 7/7