Prof. Dr. Dieter Hart Patientensicherheit und Recht Befund und Perspektiven Vortrag auf dem 5. Bremer Qualitätsforum am 30. Januar 2008 in Berlin
Übersicht I. Perspektivenwechsel auch für Recht: von Schaden zu Sicherheit als Risikovorsorge II. III. Patientensicherheit: Themen für Recht 1. Rechtsgebiete 2. Empfehlungen als Standards 3. Empfehlungen und Risikomanagement 4. Strafe Ausgleich Prävention 5. Patientensicherheit und GKV-Recht Patientensicherheit und Information IV. Patienteninformation und Versicherung V. Resümee 2 2
I. Perspektivenwechsel auch für Recht von Reaktion und Schadensausgleich zu Prävention und Vermeidung von Haftung für pflichtwidrige Schäden zur Haftung wegen pflichtwidrig unterlassener Verhinderung von Schäden von Schaden zu Risiko = kritisches Ereignis = ein Ereignis, das zu einem unerwünschten Ereignis führen könnte oder dessen Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht = ein schädliches Vorkommnis, das eher auf der Behandlung denn auf der Erkrankung beruht. Es kann vermeidbar oder unvermeidbar sein. nicht Ausweitung, sondern Verlagerung des Schwerpunkts der Arzthaftung: von Individualhaftung zu Organisationshaftung ein rechtlich zu interpretierendes Schema: 3 3
I. [ue, vue] Fehler, Beinahe-Schaden = ke; Schaden >> RiMa Ereignis kritisches Ereignis Fehler Beinahe-Schaden unerwünschtes Ereignis vermeidbares ue Schaden 4
Pflichten Organisationspflichten Verletzung durch Unterlassen Schaden individuelle Pflichtverletzung 5
I. Perspektivenwechsel auch für Recht Die Organisationshaftung ist insofern neben den auf die - Behandlung, - Aufklärung und - Dokumentation bezogenen Pflichten insbesondere konzentriert auf ein gutes Qualitäts- und Risikomanagement. Risikomanagement nutzt Risikoinformationen, schätzt sie ab, bewertet sie und zieht aus der Bewertung Konsequenzen in der Form risikomindernder institutionell-organisatorischer Maßnahmen. Das ist eine Umsetzung der Patientensicherheitsperspektive im Haftungsrecht: Organisationshaftung! Patientenrechte verpflichten zu guter Organisation! 6 6
II. Patientensicherheit: Themen 1. Rechtsgebiete 2. Empfehlungen als Standards 3. Empfehlungen und Risikomanagement 4. Strafe Ausgleich Prävention 5. Patientensicherheit und GKV-Recht 7 7
II.1 Patientensicherheit: Rechtsgebiete Sicherheitsrecht Zulassungs- Recht Marktverkehrs- Krankenhaushaftungsrecht RiMa Ausgleichsrecht Arzthaftungsrecht Versorgungsrecht GKV-R 8 8
II.2 Patientensicherheit: Empfehlungen und Standards Die Patientensicherheitsbewegung arbeitet mit Empfehlungen. Je nach Qualität und Inhalt der Empfehlung kann sie sich zu einem (verbindlichen) Standard entwickeln. Beipiele: wrong site surgery clean hands CIRS Komplikationenliste der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin 9 9
II.2 Patientensicherheit: Empfehlungen und Standards 10 10 Der Standard ist definiert durch wissenschaftliche Erkenntnis, ärztliche Erfahrung und Akzeptanz in der Profession. Es geht bei diesen Empfehlungen aber prinzipiell um Organisationsempfehlungen, sodass die ärztliche Profession jedenfalls nicht allein ausschlaggebend bewertet. Recht hat in diesem Bereich eine originäre Bewertungsaufgabe. Eingeführte und bewährte risikomindernde Instrumente guter Organisation müssen rechtlich genutzt werden. Wer Schäden nicht vermeidet, die durch Organisation vermeidbar sind, riskiert die Organisationshaftung wegen Unterlassung.
II.3 Patientensicherheit: Empfehlungen und Risikomanagement Es gelten folgende Organisationspflichten: Eingerichtetes CIRS/RiMa pflegen; Komplikationenliste beachten Beobachten, Analysieren und Bewerten/ Reagieren Dienstleistungsbeobachtungs- und Reaktionspflicht Angebot von Informationssystemen über Risikokonstellationen eigenes CIRS: Analyse und Reaktion Instrumente der Reaktion: Organisation Regel: Wer über die Mittel verfügt, Schäden durch gute Organisation zu vermeiden, das aber unterlässt, riskiert die Organisationshaftung. 11 11
1. Risikokonstellationen aus einem CIRS-Projekt a) Verordnung 215 Medikationsfehler b) Ausgabe 29 c) Zubereitung/Gabe 388 632 35% 2. Verfehlung von Standards 436 24% 3. Kommunikation zwischen Ärzten + Pflege 50 3% 4. Kommunikation in Ärzteschaft oder Pflege 38 2% 5. Kommunikation zwischen Disziplinen 78 4% 6. Kommunikation bei Schichtwechsel 47 3% 7. Risikokonstellation durch Dokumentation 277 15% 8. Risikokonstellation durch Geräte / Material 71 4% 9. Risikokonstellation durch Organisation 168 9% 10. sonstige Risikokonstellationen 32 2% Summe 1.829 100% 12
II.4 Patientensicherheit: Strafe Ausgleich Prävention Nutzen Kosten Strafe Verfolgung, Buße Risikovorsorge Ausgleich Verantwortung [Ri-Vorsorge?]? Risikovorsorge + Sicherheit Verfolgung Bekenntnis Privileg + Vertraulichkeit Arzt-Patient- Beziehung Verfolgung 13 13
II.4 Patientensicherheit: Strafe Ausgleich Prävention Beispiel: CIRS Die Erkenntnis von kritischen Ereignissen, aus denen Fehler erwachsen können, ist wichtiger, als die Offenbarung individueller Berichte über sie. Informationsrechtliche Privilegierung von CIRS ist wünschenswert (Freistellung von Beschlagnahme). Allgemein: Konflikt zwischen allgemeiner Patientensicherheit und individuell-konkretem Interesse an Fehlererkenntnis (Strafe, Schadensersatz). 14 14
II.5 Patientensicherheit und GKV-Recht Sicherheitsrecht Zulassungs- Recht Marktverkehrs- Krankenhaushaftungsrecht RiMa Ausgleichsrecht Arzthaftungsrecht Versorgungsrecht GKV-R 15 15
II.5 Patientensicherheit und GKV-Recht Risikomanagement (Fehlervorbeugung) als Teil des Qualitätsmanagements stärker im Richtlinien- und Vereinbarungsrecht etablieren einschlägige Versorgungsforschung als Aufgabe und Möglichkeit auch der GKV definieren 16 16
17 IV. Patientensicherheit und Information Gute Patienteninformation über die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen nutzt der Patientensicherheit. Recht sollte die Rahmenbedingungen für die öffentliche wie private Patienteninformation verbessern. Qualitätsinformation (Struktur, Prozess, Ergebnis) umfassend ermöglichen: öffentliche Produkt- wie Dienstleistungsinformation Behandlungsinformation (Arzt, Krankenhaus): von Normativität zu Normalität; Patientenrechtegesetz Während wir im zweiten Bereich (ärztliche Patienteninformation) auf normativer Ebene verhältnismäßig weit sind, ist das im ersteren Bereich nicht der Fall. Wir haben dort einen Gesetzgebungsbedarf, der die Chance der eigenverantwortlichen Patienten- und Bürgerinformation erhöht. 17
V. Patienteninformation und Versicherung Anmerkung zum Beschwerdemanagement Berichten ist nicht Schuld anerkennen! Schaden melden ist nicht Schuld anerkennen! Mit dem Patienten über einen Zwischenfall sprechen, ist kein Schuldanerkenntnis! Sein Bedauern über einen Zwischenfall aussprechen, ist kein Schuldanerkenntnis! CIRS gefährdet nicht den Versicherungsschutz. 18 18
VI. Resümee Patientensicherheit ist ein Patientenrecht. Recht sollte sich mehr als bisher auf seine Präventionsfunktion konzentrieren. Das Recht der guten Organisation von Behandlungsprozessen kann Schadensverminderung bewirken. Individuelle Strafe behindert institutionelle Risikovorsorge; Ausgleich und Haftung können sie als organisationsbezogene fördern. Risikomanagement als Teil des Qualitätsmanagements im GKV- Recht stärker etablieren. Eine gesetzliche Privilegierung der Generierung von Sicherheitsinformationen ist wünschenswert, aber nicht unumgänglich. Im Bereich der Bürger- und Patienteninformation gibt es Normativitäts- und Normalitätsdefizite. 19 19