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Die Schweizer Bundesräte Ein biographisches Lexikon (Buch 1991 erschienen) Nur wenige Bundesräte bleiben in der Erinnerung des Volkes haften; so etwa Rüedu Minger im Bernbiet, Giuseppa Motta im Tessin, Louis Ruchonnet im Waadtland. Je anonymer und komplexer die politischen Entscheidungsprozesse und Sachgeschäfte geworden sind, desto mehr personalisieren und emotionalisieren die Bundesräte die Politik, in der die Konsensdemokratie vielen als ein abgekartetes Spiel erscheint. I. Der Bundesrat zwischen Regieren und Verwalten Das Dilemma des schweizerischen Regierungssystems ist offensichtlich: Von der idealen Konzeption her sollte der Bundesrat alle wichtigen Staatsentscheide als kollektives Regierungsorgan treffen, in Wirklichkeit aber besitzen die Departemente und ihre Vorsteher ein viel grösseres Gewicht. Damit büsst die Kollegialbehörde ihre eigentliche Regierungsfunktion ein und wird zur blossen Sanktionsinstanz departementaler Politikgestaltung. Der Ruf nach Reform des Bundesrates ist fast so alt wie der Bundesstaat selbst. Bereits in den 1860er Jahren plädierte Bundesrat Jakob Dubs dafür, dass man zwischen Regierung und Verwaltung besser unterscheiden solle. Die Reorganisation von Bundesrat und Verwaltung wurde in den 1890er Jahren zu einem Dauerthema in Parlament und Öffentlichkeit. Zur Diskussion standen unter anderem die Volkswahl des Bundesrates (BR) und die Erhöhung d Anzahl der Bundesräte. Nach dem 2. WK verschärften sich die Probleme, die das Nebeneinander von Kollegialund Departementalsystem hervorriefen. Die erweiterte Staatstätigkeit, der wachsende Verwaltungsapparat und die zunehmende internationale Abhängigkeit setzten die siebenköpfige Landesregierung einer Problemfülle aus, die sie auf die Dauer nicht mehr richtig bewältigen konnte. In der Folge kam es zu kleinen Reformen, so etwa 1968 zur Aufwertung des Bundeskanzlers und 1978 zur Schaffung von Staatssekretären. 1. Das Dilemma zwischen Gesamtkollegium und Einzeldepartement 1

Laut Artikel 95 der BV ist der Bundesrat die oberste vollziehende und leitende Behörde der Eidgenossenschaft. Der BR bildet somit Regierung und Spitze der Verwaltung zugleich. BR sind mit Minister zu vergleichen Die einzige Kombination zwischen Staatsoberhaupt, Regierung und Ministerien macht das Gleichgewicht zwischen Kollegial- und Departementalsystem zur Daueraufgabe des Cher Regierungssystems. In den ersten Jahrzehnten nach 1848 stand das Kollegialsystem im Vordergrund. Die einzelnen Sachgeschäfte waren noch relativ einfach und überschaubar, was die Zusammenarbeit der BR erleichterte. Das Kollegialsystem wurde durch den Brauch gestärkt, dass der Bundespräsident sein angestammtes Departement für ein Jahr verlassen musste, um das Politische Departement zu übernehmen. Diese Regel, die erstmals Ende der 1880er Jahre vorübergehend durchbrochen wurde, führte dazu, dass im BR- Kollegium regelmässig grössere und kleinere Rotationen stattfanden. BR-Neulinge mussten oft als Lückenbüsser fungieren Das System des jährlichen Wechsels im Politischen Departement verhinderte die Spezialisierung der BR in gewissen Geschäftsbereichen nicht. Es hatte aber zur Folge, dass zum mindesten die Aussenpolitik lange eine Angelegenheit des Gesamtkollegiums blieb. Eine herausragende Stellung nahm BR Emil Welti ein. Er sass von 1867 bis 1891 in der Landesregierung, bekleidete 6x das Amt des Bundespräsidenten und galt in den 1870er und 1880er Jahren als der schweizerische Bismarck. Starke BR-Figuren übernahmen in der Regel die Leitung von wichtigen Departementen und verstärkten so ihr Gewicht im Regierungskollegium. Im Unterschied zu den starken BR-Persönlichkeiten verblieben schwächere Regierungsmitglieder oft jahrelang in Randdepartementen (z.b. Dep. des Innern). Mit der Totalrevision der BV von 1874, die die Aufgabenbereiche des Bundes gewaltig ausweitete, kam das Kollegialsystem zunehmend unter Druck. Schritt für Schritt setzte sich eine Gliederung der Sachgeschäfte in eigentliche Spezialbereiche durch. Damit veränderte sich auch das Anforderungsprofil der BR. Standen bisher Allrounder im Vordergrund, wurden nun vermehrt tüchtige Fachminister und Spezialisten gesucht. Auf diese Weise rückte das Departementalsystem gegen Ende des 19. Jh. auf breiter Front vor und drängte im praktischen Regierungsalltag das Kollegium in den Hintergrund. 2

Das System Droz koppelte im Jahre 1887 das Politische Departement vom Präsidialamt los. Damit blieben die jährlich stattfindenden Rotationen aus. Als erster langjähriger Aussenminister amtierte der Neuenburger Numa Droz, der von 1887 bis 1892 ununterbrochen dem EPD neu nun Departement des Äussern vorstand. In der Fülle der unzähligen kleinen Departementsgeschäften verloren sie die grossen politischen Grundsatzfragen aus den Augen. Ministeranarchie (Gefährdung der Einheit der Gesamtregierung) Wenn man sich diese Unbehagen vergegenwärtigt, erstaunt es nicht, dass man nach einem kurzen Intermezzo 1896 wieder zum alten System zurückkehrte. Wie in den ersten Jahrzehnten nach 1848 wurde nun das Präsidialamt erneut mit der Leistung des EPD verbunden. Auch wenn damit wieder das alte Rotationsprinzip eingeführt wurde, konnte die Entwicklung zu Fachministern nicht mehr aufgehalten werden. Je komplexer die politischen Sachgeschäfte wurden, desto stärker wurde das Gewicht der Fachminister. Schliesslich verhalfen der 1.WK und die anschliessende Ausweitung der Staatstätigkeit dem Departementalsystem zum endgültigen Durchbruch. In der Zwischenkriegszeit begann man, Departemente mit einzelnen BR zu identifizieren; man sprach für die Aussenpolitik von der Ära Motta, für die Volkswirtschaft von der Ära Schulthess, für das Innere von der Ära Etter. In der Regel konzentrierten sich die jeweiligen BR auf die Leitung ihres Ministeriums und vermieden es, die ministeriellen Reviergrenzen zu überschreiten. Damit spielte sich ein eigentliches Ministerialsystem ein, das immer weniger mit dem ursprünglichen Idealkonzept der Kollegialregierung übereinstimmte. Die 1959 eingeführte Zauberformel vertrug keine ausserordentlichen Führerpersönlichkeiten. Durchschnittsmänner waren gesucht. Das Konkordanzsystem konnte so lange funktionieren, bis sich im Gefolge des Wertewandels in den späten 1960ern die gemeinsame Basis aufzulösen begann. Erneut geriet das System der Fachminister unter Beschuss. Um ein neues Gleichgewicht zwischen Regierung und Verwaltung herzustellen, machte man Ende der 60er und Anfangs der 70er verschiedene Reformvorstösse. Im Vordergrund stand dabei die Einführung von Regierungsrichtlinien, die eine längerfristige Planung ermöglichten und der Bundepolitik eine klare Stossrichtung vermitteln sollten. Bis Ende 1990 war all diesen Reformbestrebungen kein oder nur ein geringer Erfolg beschieden. 3

2. Der Bundespräsident: Schattenkönig oder primus inter pares? Das Regierungssystem der CH kennt weder einen Regierungschef noch einen eigentlichen Staatspräsidenten. Der alljährlich wechselnde Bundespräsident ist primus inter pares, also den anderen BR praktisch gleichgestellt. Dem Bundespräsidenten kommt in erster Linie die formelle Leitung des Regierungskollegiums zu, eine Aufgabe, die ihm nach aussen kein grosses Prestige einbringt und ihn nach innen nur wenig über die anderen Regierungskollegen erhebt. Bei offiziellen Staatsbesuchen empfängt denn auch nicht der Bundespräsident, sondern stets der Gesamtbundesrat das ausländische Staatsoberhaupt. Der Bundespräsident hat im Verlaufe der Zeit an Bedeutung eingebüsst. (Denn die BV von 1848 liess ihn als Spitze des Cher Staatswesens erscheinen). Dem Politischen Departement gehörten der Verkehr mit auswärtigen Staaten und auch die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Landesinnern an. Der Zürcher Jonas Furrer, eine Führerfigur des ersten Regierungskollegiums, wurde 1848 zum ersten Bundespräsidenten gewählt und bekleidete in der Folge während seiner mehr als zwölfjährigen Regierungstätigkeit noch dreimal (1852, 1855, 1858) das Präsidialamt. Zur Kehrseite der verhältnismässig offenen Bundespräsidentenwahlen gehörte es, dass schwächere BR Mühe bekundeten, überhaupt das Präsidium zu erhalten. Die eigentlichen Machtkämpfe fanden nicht bei den Präsidenten-, sondern bei den Vizepräsidentenwahlen statt. Von Anfang an galt nämlich die ungeschriebene Regel, dass der Vizepräsident dem Präsidenten im Amt nachrückt. Die Vizepräsidentenwahlen blieben bis gegen Ende des 19. Jh. unberechenbar. Erst in den 1890er Jahren spielte sich das noch heute übliche Rotationsprinzip ein, wonach derjenige Bundesrat zum Vizepräsidenten und ein Jahr darauf zum Bundespräsidenten gewählt wurde, der nach der Anciennitätsregel an der Reihe war. Für diesen Wandel waren mehrere Faktoren verantwortlich: Mitte der 1880er Jahre ging in der Eidgenossenschaft eine politische Periode zu Ende, die durch die Hegemonialstellung der freisinnigen Parteifamilie geprägt war. Es setzte sich die Ansicht durch, dass die moderne Schweiz nur dann regierungsfähig bleiben könne, wenn die massgebenden politischen Kräfte ins Regierungssystem integriert würden. 1887 bestieg mit dem Luzerner Josef Zemp erstmals ein Vertreter der katholisch-konservativen Opposition den Präsidentenstuhl des Nationalrates. 4

Die Trennung von Präsidialamt und Politischem Departement ermöglichte zwar eine kontinuierliche Führung der Aussenpolitik, trug aber zum Bedeutungsverlust des Bundespräsidenten bei. Da dieser keine besondere Stellung mehr einnahm, stand das Amt jedem BR-Mitglied offen. 1896: Abwendung vom System Droz. 1914 1917: Erneute Anwendung des System Droz 1920: Präsidialamt wird definitiv vom Aussenministerium abgekoppelt. Das Letztere wurde nun eigenständig. 3. Die Departemente: Reorganisationen und Namensänderungen Das Bundespersonal nahm von rund 3000 Funktionären im Jahre 1849 auf 140'000 im Jahre 1990 zu. Rund 70% der Beamten gehören der PTT und der SBB an. Guter Überblick S. 32 Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) Zunächst Politisches Departement (EPD) Das Rotationsprinzip im EPD war nur möglich, weil die Aussenpolitik anfänglich einen verhältnismässig kleinen Zeitaufwand erforderte (Die änderte sich mit den Natioanlstaatenkriegen im 18. Jh. und dem 1. WK). Durch das System Droz kam ein Argwohn gegen einen allzu selbständigen Aussenminister auf. 1896 zum alten System. 1920 definitiv ein vom Bundespräsidenten losgelöstes, selbständiges Aussenministerium. In den folgenden Jahrzehnten prägten 2 BR die Aussenpolitik entscheidend: Giuseppe Motta (1920-1940) Max Petitpierre (1945-1961) In der Periode des Kalten Krieges von 1945/48 bis 1989 hielt sich die Schweiz an ihre integrale Neutralität und beschränkte damit ihren aussenpolitischen Spielraum. Die wirtschaftliche Interdependenz machte die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes zu einer Art geheimen Aussenministerium. Dies hatte zur Folge, dass die EVD-Vorsteher Hans Schaffner, Ernst Brugger, Fritz Honegger, Kurt Furgler und Jean-Pascal Delamuraz über die Aussenwirtschaftspolitik in wichtigen Belangen auch die Führung der Aussenpolitik übernahmen. Departement des Innern (EDI) 5

Am Ende des 20. Jh. stellt das EDI einen Mammutbetrieb dar, der unterschiedlichste Ressorts umfasst. Demgegenüber war das EDI im 19. Jh. verhältnismässig bedeutungslos. Nach der Totalrevision der BV von 1874 kamen neue Aufgabenbereiche hinzu: vom Unterrichtswesen über die Jagd bis hin zur Forstpolizei. Das EDI erhielt nun die Funktion eines Sammeltopfes für alles. Erst als das EDI in den 1930er und 1940er Jahren mit der geistigen Landesverteidigung verbunden wurde, gewann es an Ansehen. Die unter BR Philipp Etter erfolgte Gründung der Pro Helvetia im Jahre 1939 weitete den kulturellen Tätigkeitsbereich aus. Weiterer Bedeutungsgewinn für das EDI 1945 mit dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Das Sozialversicherungswesen mit der AHV/IV, der Natioanlstrassenbau und der Umweltschutz erhielten einen derart zentralen Stellenwert, dass sich das EDI zu einem gesellschaftspolitischen Schlüsseldepartement entwickelte, in dem die politischen und wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der modernen Gesellschaft ausbalanciert werden müssen. Für die parteipolitische Arithmetik der Zauberformel-Regierung ist es typisch, dass zunächst der Sozialdemokrat Hans Peter Tschudi (1960-1973) und später ab 1974 die CVP BR Hans Hürlimann, Alphons Egli und Flavio Cotti das Innere führten. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) Staatspolitisch nahm das EJPD insofern eine zentrale Rolle ein, als ihm 1914 definitiv die innere Sicherheit als Aufgabenbereich zugeteilt wurde, welche anfänglich dem Politischen Departement übertragen war. Das EJPD war ein Querschnittsdepartement Die grossen Gesetzes- und Verfassungsvorlagen wurden unter der Federführung des EJPD ausgearbeitet: Totalrevision der BV 1874 und wichtige Gesetzeswerke wie das OR, ZGB und Strafrecht. Militärdepartement (EMD) In der zweiten Hälfte des 19. Jh. war die Armee neben der Schule die wichtigste Institution für die Förderung eines schweizerischen Nationalbewusstseins. Dementsprechend gross war das Ansehen und die politische Bedeutung des EMD. Die militärischen Mobilisierungen im Zusammenhang mit der europäischen Nationalstaatenbildung (1856/57, 1870/71) und in der Periode der beiden WK s erhöhten den Stellenwert der Armee. 6

Mit dem Wertewandel, der seit den ausgehenden 60er Jahren die Gesellschaft erfasst, begann sich das Image der Armee bei einem Teil der jüngeren Generation tief greifend zu verändern. Man sah an der Spitze des EMD gerne Offiziere EMD war eine klassische Domäne des Freisinns Finanzdepartement (EFD) Nach heutiger Einschätzung stellt das EFD ein Schlüsseldepartement dar, das über das Instrument der Finanzierung bei allen Ministerien ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Man betrachtete das EFD zu Beginn als Einstiegsdepartement für BR-Neulinge (das es wenig zu tun gab). Mit dem Banknotengesetz (1881) und dem Alkoholmonopol (1887) kamen wichtige neue Aufgabenbereiche hinzu. Da die Finanzvorlagen äusserst schwierig durch Volksabstimmungen zu bringen waren und eine breite politische Konkordanz erforderten, überliess die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat dieses Schlüsseldepartement verhältnismässig häufig den Sozialdemokraten. Von 1944 bis Anfans 1954 sassen mit Ernst Nobs und Max Weber die beiden ersten sozialdemokratischen Bundesräte im EFD. 1980 übernahm der Solothurner Sozialdemokrat Willi Ritschard des Finanzressort.; ihm folgte 1984 Otto Stich. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) Allem Anschein nach gehörte das Volkswirtschaftsdepartement seit der Gründung des Bundesstaates zu den umfangreichen Departementen. Wie kein anderes Departement wiederspiegelt das EVD den wirtschaftlichen und sozialen Wandel, den die moderne Schweiz durchgemacht hat. Der Übergang vom Agrarland zum Industriestaat brachte den Abschied vom Wirtschaftsliberalismus und die Hinwendung zu einer staatinterventionistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zu Beginn des 20. Jh. drängte sich eine Reorganisation des überlasteten Departements auf, zumal es sich mit dem Ausbruch des 1. WKs 1914 zusätzliche Aufgaben der Kriegswirtschaft zu bewältigen hatte. 1914 erhielt das Departement den noch heute gültigen Namen Volkswirtschaftsdepartement 7

In den 1920er Jahren musste das EVD das Gesundheitswesen und in den 1950er Jahren das Sozialversicherunsgwesen an das EDI abtreten. Dafür kamen andere Bereiche wie die Konjunkturpolitik hinzu. Das politische Gewicht des EVD erklärt, warum der Freisinn bis heute dieses Departement wie kein anderes als seine Bastion betrachtet und auch am längsten für sich beanspruchen konnte. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) In den ersten Jahrzehnten nach 1848 spielte das heutige EVED keine wichtige Rolle. 1860 tart das Post- und Baudepartement (so der ursprüngliche Name des EVED) das Bauwesen an das Innere ab und hiess fortan einfach Postdepartement. Der Aufstieg des EVED begann mit dem Bedeutungsgewinn der modernen Kommunikations- und Transportmittel in der zweiten Hälfte des 19. Jh. 1879 kam zum klassischen Bereich der PTT das Eisenbahnwesen dazu. Das EVED nannte sich fortan Post- und Eisenbahndepartmenet. Im Vorfeld der geplanten Eisenbahnverstaatlichung entwickelte sich das Departement unter der Leitung von BR Emil Welti zu einem prestigegeladenen, gleichzeitig aber auch heftig angegriffenen Ressort. 1970er: Der Sozialdemokrat Willy Spühler reorganisierte das Departement und schuf 1962 das heutige EVED. Damals kam der Sachbereich der Atomenergie vom EPD zum EVED. Unter dem Eindruck des Ölschocks von 1973/74 traten Energiefragen schlagartig ins öffentliche Bewusstsein. Da in den 80ern der Strassenbau vom EDI ans EVED hinüberwechselte, erfuhr das Departement eine weitere Aufwertung. Das EVED hat keine besondere Affinität zu einer einzige Partei. 4. Die Bundeskanzlei: Von der Schreibstube zurück zur Stabsstelle 1848: Bundeskanzlei als Sekretariat des Bundesrates und der Bundesversammlung. Amtsdauer wie BR; Wahlen durch Bundesversammlung Erster Bundeskanzler: Ulrich Schiess (33 Jahre Amtszeit) In der ersten Hälfte des 20. Jh. verlor die Bundeskanzlei die bisherige Stellung im Regierungssystem. Die Reorganisationen von 1914 und 1919 stuften die Bundeskanzlei 8

als technische Behörde ein, die sich hauptsächlich auf die büromässige Kanzleiarbeit beschränkte. 1943: Erster Katholisch-Konservativer Bundeskanzler (Oskar Leimgruber) 1951: Kampfwahl (nach Rücktritt Leimgrunbers) es setzte sich Charles Oser, ein welscher Freisinniger, durch. Die Christlichdemokraten fühlten sich vom bürgerlichen Seniorpartner zurückgesetzt und näherten sich in ihrer Verärgerung den Sozialdemokraten. Diese apertura a sinistra (Öffnung nach Links) leitete nach Zwischenetappen in den Jahren 1953 und 1954 die heutige Zauberformel ein. Die Bundeskanzlerwahlen waren für die helvetische Konkordanz bedeutungsvoller, als gemeinhin angenommen wird. Der im November 1967 abgelieferte Hongler-Bericht führte zur politischen Aufwertung des Bundeskanzlers. Auch wenn die Experten die Kanzleraufwertung bloss als eine organisatorische Massnahme einstuften, war ihre Wirkung enorm. Die Bundeskanzlei wandelte sich nun von der Schreibstube, die Protokolle, Übersetzungen, Redaktionen und andere Sekretariatsarbeiten zu besorgen hatte, zur eg. Stabsstelle der Landesregierung, die die interdeparnamentale Koordination sicherstellte. Der Tätigkeitsbereich des Bundeskanzlers umfasst nach dem Verwaltungsorganisationsgesetz von 1978 neben der Verwaltungs- und Öffentlichkeitsarbeit die Planung und Koordination, Aufsicht und Kontrolle auf der höchsten Regierungsebene. Zur wichtigsten Aufgabe zählen die Regierungsrichtlinien, die die Bundeskanzlei vorbereitet und in ihrem Vollzug überwachen muss. Allerdings besitzt der Bundeskanzler keine eigentliche Regierungsbefugnisse. In der historischen Rückschau erweist sich die Neueinstufung des Bundeskanzlers als Paradestück der Regierungsreformen Ende der 60er und 70er Jahre ein Paradestück, das als Alternative zur politisch (noch) nicht realisierbaren Aufwertung des Bundespräsidenten zu sehen ist. 1967: Karl Huber ( Achter Bundesrat ) 1981: erstmals ein Sozialdemokrat (Walter Buser) 9

II. Die Bundesratswahlen und ihre Spielregeln Die Volkswahl des BR war immer wieder Gegenstand von Reformpostulaten (Volksinitiativen: 1900/1942) Zahlreiche ungeschriebene Spielregeln (Kantonsklausel, Minderheitsschutz, Prinzip der Repräsentation) 1. Die Parteien: Von der freisinnigen Vorherrschaft zur Zauberformel Parteipolitisch gesehen bestand die CH in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung des Bundesstaates aus zwei grossen Lagern. Da waren einmal die Radikal-Liberalen, die 1847 den Sonderbund der katholischkonservativen Stände mit Waffengewalt aufgelöst und damit den Weg zum modernen Bundesstaat freigelegt hatten Von ihnen unterschied sich die katholisch-konservative Opposition, die als parteipolitische Minderheit von den eidg. Pfründen lange Zeit ausgeschlossen blieb Zwischen den einzelnen Richtungen, Strömungen und Flügeln der freisinnigen Parteifamilie bestanden grosse Differenzen. Es lassen sich in en Eidg. Räten von 1848 bis etwa 1890 drei grosse Fraktions-Gruppen ausmachen: Die radikal-linke Die liberale-mitte (Zentrum) Katholisch-konservative Rechte Erst im letzten Viertel des 19. Jh. setzten sich allmählich feste Fraktions- und Parteibezeichnungen durch. 1878 konstituierte sich die radikal-demokratische Fraktion 1882 katholisch-konservative Fraktionsgruppe 1893 liberal-demokratische Fraktion (aus dem sich auflösenden Zentrum ) Erst 1911 kam es zur Konstituierung der SP-Fraktion Mit der Gründung der Sozialdemokratischen Partei 1888, der Katholischen Volkspartei (heute CVP) und der Freisinnig-Demokratischen Partei, beide 1894, erhielt die parteipolitische Landschaft der CH das heute noch gültige Gesicht. 1918 folgte die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), die sich 1971 zur SVP umwandelte. Die Sonderbundswirren von 1847 hatten zur Folge, dass die radikal-liberale Mehrheitspartei der katholisch-konservativen Opposition Spitzenpositionen im 10

Bundesstaat vorenthielten. Dies führte dazu, dass sich der Kampf um die Bundesratsposten bis ins letzte Viertel des 19. Jh. hauptsächlich zwischen den verschiedenen Flügeln der freisinnigen Grossfamilie abspielte. Liberales Zentrum Radikale Linke 1879: mit Friedrich Hertenstein ein dritter Mann in den BR Diese gemässigte freisinnige Mehrheit regierte jedoch nicht lange. Bereits 1883 musste sie ihre Führungsposition wieder an die Radikalen abtreten. Unbestrittener Führer der Zentrumsgruppe war der Aargauer Emil Welti. Erst als die Katholisch-Konservativen mit Hilfe des 1874 eingeführten fakultativen Referendums die freisinnige Regierungsmaschinerie zeitweise blockierten, sah sich der Freisinn gezwungen, die bisherige personelle Ausschliesslichkeitspolitik aufzugeben und erste Schritte zu einem freiwilligen Proporz zu machen. 1879 nahm erstmals ein katholisch-konservativer Einsitz im Bundesgerciht 1887 stieg zum ersten Mal ein katholisch-konservativer Politiker zum Präsidenten des Natioanlrates auf. In der Folge gab die katholisch-konservative Rechte ihre Oppositionspolitik gegenüber dem Bundesstaat auf und signalisierte die Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit mit der feisinnigen Regierungspartei. Mit der Wahl des Luzerners Josef Zemp im Dez, 1891 erlangten die Katholisch- Konservativen endlich den Status einer Regierungspartei. Um die Jahrhundertwende rückten die bisherigen Protagonisten unter dem Druck des aufkommenden Sozialismus zu einer bürgerlich-konservativen Sammlungsbewegung zusammen. Die bürgerlich Koalitionsregierung funktionierte gut. Der Landesstreik 1918 mit seinem bürgerkriegsähnlichem Ausmass und die 1919 erstmals durchgeführten Proporzwahlen setzten der freisinnigen Mehrheit in den eidg. Räten ein Ende. Der Freisinn war nun verstärkt auf bürgerliche Koalitionspartner angewiesen. Aus diesem Grunde baute er die Zusammenarbeit mit den Katholisch-Konservativen aus und gestand ihnen 1919 einen zweiten Sitz im BR zu. 1929 nahm auch die BGB Einsitz in der Landesregierung. Damit hatte sich ein antisozialistischer Bürgerblock zwischen Freisinn, politischem Katholizsimus und reformiertem Bauerntum gebildet. 11

1929 bewarb sich die SPS mit Emil Klöti erstmals vergeblich um einen Sitz im BR. (weitere Anläufe 1934, 1935, 1938) Aus aussenpolitischen Rücksichten wurde 1940 den Sozialdemokraten der Regierungseintritt wiederum verwehrt. Nach den Nationalratswahlen von 1943 war dies nicht mehr möglich, und mit dem Zürcher Ernst Nobs trat der erste Sozialdemokrat in die Landesregierung ein. Als das Volk 1953 eine Finanzvorlage ablehnte, trat BR Max Weber (SP) zurück Die SPS ging daraufhin in die Opposition (Wollten eine paritätische Zweiervertretung im BR). Ein Jahr später, 1954, beendete eine informelle schwarz-rote Allianz dieses Intermezzo. Die Katholisch-Konservativen errangen den dritten Sitz in der Landesregierung und stiegen damit zum gleichberechtigten Partner auf. Der Rücktritt von 4 BR im Jahre 1959 schuf die Voraussetzungen für eine vollständige Umkrempelung der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung. Zauberformel Da das bestehende System nicht in der Lage war, alle Interessen gleichmässig zu berücksichtigen, begann sich Mitte der 1960er eine schleichende Regierungskrise abzuzeichnen. ( helvetisches Malaise ) Die fehlende Opposition verstärkte nach der Einführung der Zauberformel die politischen Frustrationen (Lethargie und politische Vertrauens- und Legitimationskrise). Direkte Aktionen, Initiativen, Referendum 2. Die Kantone: Regionale Ausgewogenheit oder Territorialitis? Verfassungsmässige Wahlschranke: Dass nicht mehr als ein BR aus dem gleichen Kanton stammen darf. Die Auswahlmöglichkeiten bei BR-Wahlen wurde ferner dadurch eingeschränkt, dass bis ins 20. Jh. die Meinung vorherrschte, der zu wählende BR müsse aus einem Kanton stammen, in dem die von ihm repräsentierte Partei die Mehrheit besitzt. Blick auf die Kantone Zürich Von 1848-1989 ununterbrochen vertreten Bern 130 Jahre lang (also bis 1978) ununterbrochen 12

Waadt und französischsprachige Westschweiz Von drei kürzeren Perioden angesehen war der Kanton Waadt stets in der Landesregierung vertreten. Nordwestschweiz Häufig Sozialdemokraten (BL und BS nur 3 BR) Nord- und Ostschweiz Anfangs starke freisinnige Machtposition Innerschweiz Nach dem Bürgerkrieg von 1847 blieb der katholisch-konservativen Opposition, die sich v.a. in den Innerschweizer Kantonen gesammelt hatte, ein BR-Sitz verwehrt. Keinen BR-Sitz konnten bis 1990 die Urschweizer Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden stellen. Tessin 7 BR 3. Die Sprachen: Fragiles Gleichgewicht Deutschsprachige Mehrheit und lateinische Minderheit (5:2) Anfangs 20. Jh. war der einzige Vertreter der französischsprachigen Schweiz im BR Bundesrat Camille Decoppet (1912-1919). Diese Untervertretung wurde zum Politikum, als sich vor dem Hintergrund des 1. WK s zwischen der deutschen und französischen Schweiz ein Graben auftat. Die Hoffmann-Affäre im Jahre 1917 verschärfte die Krise. Nach dem Zwangsrücktritt von BR Arthur Hoffmann forderte die welsche Schweiz den freigewordenen Sitz einmütig für sich. Mit der Wahl des Genfers Gustave Ador konnte die gespannte Lage zwischen Deutsch- und Welschschweiz beruhigt werden. Angesichts der äusseren Bedrohung in der Zeit des 2. WK s traten die sprachlichkulturellen Gegensätze zurück. Einer der auffälligsten Vertreter der italienischsprachigen Schweiz war der BR Giuseppe Mottas (1911-1940) Felix Calonder (1913-1920) war ein Vertreter der rätoromanischen CH 13

4. Die Konfessionen: Ein verstecktes Problem Im Vergleich zur Sprachenfrage spielte der konfessionelle Faktor bei den BR-Wahlen eine bedeutend geringere Rolle. 1848 gehörten 5 der 7 neugewählten BR der evangelisch-reformierten Konfession an Die Formel 5:2 spielte sich in den folgenden Jahrzehnten ein. Erst mit dem historischen Kompromiss, den der Freisinn Ende 1891 mit dem politischen Katholizismus einging, beruhigte sich die konfessionelle Frage. 1891 trat erstmals ein Politiker der katholisch-konservativen Fraktion in die Landesregierung ein. Fortan nahmen die Katholisch-Konservativen die Katholikenvertretung für sich in Anspruch. Damit war der Freisinn vom heiklen Problem befreit, aus den eigenen Reihen Katholiken in die Landesregierung zu entsenden. Mit der fortschreitenden Säkularisierung rückte in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jh. die konfessionelle Frage in den Hintergrund. 1990/91 besassen die Katholiken zahlenmässig die Mehrheit im BR. 5. Die Frauen: Vormarsch trotz Hindernissen 1971 kamen die ersten 12 Frauen in die Eidg. Räte. 1976 erste Nationalratspräsidentin (Elisabeth Blunschy-Steiner) 1987 stellten die Frauen 29% aller Nationalratskandidaturen, eroberten aber nur 14.5% d.h. 29 der 200 Sitze. Im Dezember 1983 standen die Ersatzwahlen für den Sozialdemokraten Willi Ritschard und für den Freisinnigen Georges-André Chevallaz auf dem Programm. Die Sozialdemokraten portierten als erste offizielle Bundesratskandidatin die Zürcher Nationalrätin Lilian Uchtenhagen. Otto Stich gewann aber die Wahlen mit 124 zu 96 Stimmen. 1984: Elisabeth Kopp Brisant wurde das Frauenthema in den Jahren 1988/89 mit der Kopp-Affäre. Bundesrätin Elisabeth Kopp trat am 12. Januar 1989 mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt zurück. 14

III. Herkunft, Karriere und Idealbild Tatsächlich bestimmten seit 1848 in erster Linie parteipolitische und regionale, sprachliche und konfessionelle Faktoren den Ausgang der Wahlen. 1. Der politische Cursus honorum: Parlamentarier und Regierungsrat Die politische Laufbahn als eidg. Parlamentarier bildet nach wie vor die beste Voraussetzung für die Wahl in den BR. Von den bisherigen 99 Bundesräten gehörten zum Zeitpunkt ihrer Wahl nur 17 nicht den Eidg. Räten an. Allerdings hatten 8 davon früher einmal im Nationalrat oder Ständerat gesessen. Nur gerade 9 BR waren im Verlaufe ihrer vorbundesrätlichen politischen Karriere nie Mitglied des eidg. Parlaments gewesen. Oft waren spätere BR National- oder Ständeratspräsidenten, Fraktions- oder Parteipräsidenten, hatten regionale Regierungserfahrung und/oder waren Stadtpräsidenten von Hauptorten. 2. Das Sozialprofil: Juristen, Offiziere und Verbindungsstudenten Rund die Hälfte der BR stammt aus der Oberschicht oder aus der oberen Mittelschicht. Fast jeder 9. BR gehörte dem Advokaten- und Richterstand an. Die grösste Gruppe der Oberschicht stellen die Fabrikanten und Grosshändler dar. Etwa gleich gross ist die Anzahl der BR, die aus der breiten Mittelschicht stammen Deutlich untervertreten ist die Unterschicht. 90% haben ein Hochschulstudium absolviert (Davon wiederum die Mehrzahl Juristen). Bundesbarone (z.b. heute Ueli Murer; Charismatische einflussreiche Abgeordnete die die Fäden hinter der Bühne ziehen). BR waren ausserdem oft Offiziere oder Majore. Rund ¾ aller BR gehörten in ihrer Studienzeit einer Studentenverbindung an. (Zofingia, Helvetia, Studentenverein) 3. Das Idealbild: Landesvater aus Durchschnittsholz Idealbild: Nach einem Hochschulstudium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät schlägt der künftige BR in verhältnismässig jungen Jahren eine politische Laufbahn ein, wo er zunächst auf der kommunalen Ebene seine Lehrjahre absolviert und schliesslich in die Eidg. Räte gewählt wird. Nach rund 10-jähriger Tätigkeit als eidg. Parlamentarier gelingt ihm der Sprung in die Landesregierung, wenn die äusseren Konstellationen von 15

der Kantonszugehörigkeit bis zur Sprachenfrage stimmen. Am grössten sind die Wahlchancen für den Politiker, wenn er vorher auf kommunaler und noch besser auf kantonaler Ebene Regierungserfahrungen gesammelt hat. Persönliches Anfoderungsprofil: Ohne Fehl und Tadel Teamfähigkeit und Konzilianz Fremdsprachenkenntnisse Verheiratet Fazit: Die Wahl zum BR hängt mehr von äusseren Kriterien wie der Kantonszugehörigkeit oder d Sprache als von persönlichen Faktoren und Eigenschaften ab. Zunächst geht es darum parteipolitische, regionale und sprachkulturelle Ansprüche zu befriedigen. So kommen fachliche und persönliche Eigenschaften oft zu kurz. Faceless men helvetisches Mittelmass Durchschnittsholz Positiv: Bevölkerung kann sich mit den BR identifizieren (Wichtig für eine direkte Demokratie). 16

IV. Rücktritte, Affären und Stürze Man spricht in der CH nicht von Regierungsumbildungen oder Ministerwechseln sondern von Bundesratsvakanzen Bestätigungswahlen und Neuwahlen als Ergänzungswahlen 1. Rücktritte aus Alters- und Gesundheitsgründen und Tod im Amt Die finanzielle Lage bewirkte, dass viele BR möglichst lange im Amt verblieben. Der Amtstod kam daher im 19. Jh. relativ häufig vor (22 von 99). Seit 1919 kommen alle al BR in den Genuss eines Ruhegehaltes. Im 20. Jh. traten die meisten BR aus Alters- und Gesundheitsgründen zurück. 2. Nichtwiederwahlen, Affären und Stürze Nichtbestätigung von amtierend BR 1854: Ulrich Ochsenbein 1872: Jean-Jacques Challet-Venel In der sogenannten Fusion arbeiteten die Radikalen und die Konservativen zusammen. Der gemässigt gewordene Radikale Ochsenbein geriet zwischen die Fronten. Seit 1919 wurden alle BR, die sich für eine weitere Legislaturperiode zur Verfügung stellten, im ersten Wahlgang wiedergewählt. So paradox es auf den ersten Blick erscheinen mag: Als 1919 der Freisinn die absolute Mehrheit verlor, gewannen die Erneuerungswahlen an Berechenbarkeit. Die labilen Mehrheitsverhältnisse in der vereinigten Bundesversammlung stärkten die Fraktionsdisziplin. Bundesratsrücktritte nach Niederlagen bei Volksabstimmungen Es gilt als ungeschriebenes Gesetz des schweizerischen politischen Systems, dass Volksabstimmungen über Sachvorlagen nicht zu Plebisziten für oder gegen einzelne Departementsvorsteher umfunktioniert werden. Dies verleiht der Regierungsmannschaft trotz der direktdemokratischen Einflüsse eine ausserordentliche Stabilität. In der bisherigen Geschichte des Bundesstaates wurde diese Spielregel dreimal offen durchbrochen: 1. 1891 zog sich BR Emil Welti zurück, nachdem sein Projekt der Eisenbahnverstaatlichung in einer Volksabstimmung gescheitert war. 17

2. Als das Stimmvolk 1934 ein Staatsschutzgesetz zum zweitenmal verwarf, trat der freisinnige Vorsteher des EJPD, Heinrich Häberlin, nach 14 Amtsjahren im Alter von 65 Jahren zurück. 3. Völlig überraschend dagegen kam 1953 der Rücktritt des 56-jährigen Sozialdemokraten Max Weber, der erst 2 Jahre im Amt war. Der Vorsteher des Finanzdepartementes reagierte auf die Verwerfung einer Finanzvorlage durch das Volk. Weber kritisierte die Abstimmungskampagne, in der einzelne Gruppen der bürgerlichen Parlamentarier aus der Abstimmungsfront ausgeschert seien und den BR im Stich gelassen hätten. Alle drei ungewöhnlichen Rücktritte fielen in Zeiten von innenpolitischen Unsicherheiten und Neuorientierungsversuchen und waren Ausdruck des erschütterten Regierungssystems. Der Rücktritt von Welti ermöglichte den Eintritt der katholisch-konservativen Opposition in die Landesregierung. Der Rücktritt Häberlins führte 1934 zu einer Machtprobe zwischen Links- und Rechtsbürgerlichen Flügeln im eidg. Parlament. Der offizielle freisinnige Kandidat für die Nachfolge Häberlins Johannes Baumann wurde daher erst im 3. Wahlgang gewählt. Der Rücktritt des sozialdemokratischen Webers 1953 gab dem linken Parteiflügel der SP Auftrieb. Die SP kehrte in die Opposition zurück. ( Wiedereintritt 1959) Affären und Stürze Es waren Ausnahmefälle Mit ausländischen Ministerstürzen am ehesten zu vergelichen ist der Rücktritt von BR Arthur Hoffmann (1911-1917) im Jahre 1917. Der St. Galler Freisinnige übernahm im Jahre 1914 das Politische Departement. 1917 setzte sich der ambitiöse und deutschfreundliche Aussenminister für eine Friedensvermittlungsaktion zwischen dem Deutschen Reich und Russland ein. Ein Telegramm Hoffmanns wurde von der Entente abgefangen und als Neutralitätsverletzung verurteilt. Um das Ansehen der neutralen CH zu retten und den aussenpolitischen Schaden in Grenzen zu halten, musste sich der Gesamtbundesrat vom Vorgehen seines Kollegen distanzieren. Hoffmann trat sofort zurück und die Bundesversammlung wählte den ententefreundlichen Genfer Gustave Ador zu seinem Nachfolger. Marcel Pilet-Golaz (1944) Jean-Marie Musy (1934) 18

Mitte der 1960er Jahre erregte der Mirage-Skandal öffentliche Aufmerksamkeit. Der freisinnige EMD-Chef Paul Chaudet wurde 1964 für massive Kostenüberschreitungen und unglaubliche Nachlässigkeit bei der Beschaffung von neuen Mirage-Flugzeugen verantwortlich gemacht. Er war massiver Kritik ausgesetzt, konnte sich vorerst aber halten. Rücktrittsforderungen stellten vorab die Sozialdemokraten. Als sich das politische Klima nicht beruhigte, liess die FDP den Chaudet fallen. Er erklärte daraufhin völlig verärgert den sofortigen Rücktitt. Die Justizministerin Elisabeth Kopp war 1988 wegen der Tätigkeit ihres Ehemannes, des Anwalts Hans W. Kopp, in die Schlagzeilen der Presse geraten. Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stand die Frage, ob die Bundesrätin zwischen ihrem Regierungsamt und dem Privatleben trennen könne. Auf Druck der eigenen Partei gab die Bundesrätin am 12. Dezember 1988 ihren Rücktritt auf Ende Februar 1989 bekannt. Als aber der vom BR ernannte besondere Vertreter des Bundesanwaltes in seinem Schlussbericht die EJPD-Vorsteherin der Verletzung des Amtsgeheimnisses verdächtigte, trat Kopp am 12. januar 1989 mit sofortiger Wirkung zurück. Zusammen mit der Fichenaffäre um den Staatsschutz löste der Kopp-Skandal eine schwere Vertrauenskrise aus. 19