Ein KZ, ein Schild und viel Zynismus

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1 Bürgerinitiative Berlin * PF * Berlin Ein KZ, ein Schild und viel Zynismus Betrifft: KZ Sachsenhausen und die Agentur für Arbeit Wie ein Vorgang vor einem Barockschloß an Zynismus nicht zu überbieten ist. Ein Verkehrsschild verbindet in Oranienburg Hinweis auf Gedenkstätte Sachsenhausen mit Standort der Agentur für Arbeit. Frage: Wieviel Gedankenlosigkeit oder Dummheit erlauben wir uns? Linkerhand erhebt sich monumental eine der Wiegen des niederländischen Königshauses, Schloß Oranienburg - barocker Prachtbau von Kurfürstin Louise Henriette.

2 In unmittelbarer Nähe zum Schloß befindet sich ein großes, gelbes Verkehrs-Hinweisschild. Gleich daneben sind zahlreiche Stolpersteine in Erinnerung an ermordete jüdische Mitbürger in den Bürgersteig gepflastert.!2

3 !3 Schaut der Betrachter auf das Verkehrsschild, könnte der Text zynischer nicht sein: Gedenkstätte Sachsenhausen und direkt darunter Agentur für Arbeit. Lautete der mörderische NS-Spruch nicht Arbeit macht frei, und befindet er sich nicht bis heute am eisernen Eingangstor zum ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen? Sprachlos fand im Herbst 2015 ein Mitglied der Bürgerinitiative Berlin bei einem Besuch der Stadt diese Situation vor. Er reagierte umgehend, suchte in der im Schloß einquartierten Stadtverwaltung sofort Bürgermeister L a e s i c k e (SPD) auf, schilderte ihm die Situation und traf auf einen sprachlosen Amtschef. Weder ihm - noch offenbar den tausenden von Autofahrern und Passanten, die täglich diese wichtige Kreuzung vor dem Schloß passieren - war diese, die Ehre und Würde der NS- Opfer verletzende Aufschrift seither aufgefallen. Der Kommunalpolitiker überzeugte sich, noch immer völlig konsterniert, von den Angaben seines überraschenden Besuchers aus Berlin. Er wolle, versprach er, unmittelbar mit dem zuständigen Landesministerium in

4 !4 Potsdam telefonieren und um sofortige Abhilfe bitten. Zugleich bat er, den Vorgang vorerst nicht öffentlich zu machen. Diese, keineswegs selbstverständliche Zurückhaltung wurde zugesagt. Alles weitere wurde in einem späteren Telefonat, noch am selben Tag, verabredet. Gelang es nun, binnen kurzer Frist diese zum Verkehrsschild geronnene Neigung zur Verdrängung, zur leicht erträglichen Gedankenlosigkeit wenigstens aus der Welt zu schaffen? Weit gefehlt: Der Hinweis Agentur für Arbeit ist bis heute lediglich mit einem weißen Balken anscheinend unsichtbar gemacht worden - doch das Gegenteil ist richtig. Vor allem bei Sonnenlicht sind die sechzehn Buchstaben plötzlich wieder gegenwärtig.

5 Stand in dieser unendlichen Geschichte des Nicht-Verstehens oder Nicht-Verstehen-Wollens: Der mühselig überklebte, wenngleich sichtbare!5

6 Hinweis auf die Agentur für Arbeit findet durch den Hinweis anderer Verkehrsschilder mit Aufdruck Gewerbepark Nord unter dem Fingerzeig!6

7 !7 auf die Gedenkstätte - ja, ein mörderisches Gewerbe gab es dort in Sachsenhausen wohl - seinem Höhepunkt. Hinzu kommt die fragwürdige Tatsache, daß unmittelbar unter dem Hinweis Gedenkstätte Sachsenhausen das Logo der Deutschen Bahn (Bahnhof-Symbol) angebracht ist. Zehntausende von Häftlingen sind während des Nazi-Terrors mit der Deutschen Reichsbahn (die dafür kassierte) von Oranienburg nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager transportiert worden.

8 !8 Zur Erinnerung: KZ Sachsenhausen: Zehntausende von Häftlingen fanden hier den Tod (detaillierte Zahlen liegen nicht vor). Zwischen 1936 und 1945 waren insgesamt mehr als Häftlinge aus 40 Nationen inhaftiert: Hunger, Krankheiten, Mißhandlungen, medizinische Experimente und schwere Zwangsarbeit führten zum Tode. Regelmäßig fuhren Todes-Transporte in andere Vernichtungslager, insbesondere nach Auschwitz. Die SS installierte eine Genickschußanlage und eine Gaskammer. Im Herbst 1941 wurden in einer Aktion mindestens sowjetische Kriegsgefangene erschossen. Stalins Sohn kam in Sachsenhausen ebenfalls um. Zwischen 1942 und 1945 mußten speziell ausgesuchte jüdische Häftlinge in einer Fälscherwerkstatt britische Pfundnoten in Milliardenhöhe herstellen. Ein Land, nicht fähig, mit seismografischem Fingerspitzengefühl die Emotionen um den beispiellosen Holocaust - in deutschem Namen und mit vielen deutschen Helfern an wehrlosen Opfern verübt - zu begreifen oder wahrzunehmen?

9 !9 Mußte der französische Regisseur ( Shoa ) Claude Lanzmann kommen, um unlängst zu entdecken, daß die Vorwahl von Israel im Kempinski Hotelverzeichnis fehlt - wohl aber Angaben zu fast jedem Dritte-Welt-Land ausgewiesen sind! Oranienburg - wieder ein Zeichen, ein kaum zu übersehender Hinweis auf zwar verdeckten, aber nach wie vor virulenten Antisemitismus - in immer wieder neuen Ausformungen, scheinbar kleiner Dosis - aber denkbar vorhanden. Alltag in Deutschland? Gedankliche Unfähigkeit, versagendes Gedenken? Fragen über Fragen. Zachor - Gegen das vergessen! Bürgerinitiative Berlin * PF * Berlin * post@bürgerinitiative-berlin.de *