Wessen Geschichte? - Welche Geschichte? Ruth Wodak Markus Rheindorf
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- Caroline Böhm
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1 Wessen Geschichte? - Welche Geschichte? Ruth Wodak Markus Rheindorf
2 Geschichten als Fenster zu Identitäten Identität, die im Medium des Erzählens hergestellt und dargestellt wird, besitzt spezifische Eigenschaften und eröffnet eigene Erkenntisse über die erzählenden Individuen. Als empirisches Konstrukt vereint narrative Identität die diachrone, auf einen Plot hin orientierte Perspektive des Erzählens mit den alltäglichen oder institutionellen sprachlichen Praktiken der Identitätsherstellung und darstellung. (Lucius 2004: 167)
3 Theorie-Bausteine Chronotop (Bakhtin): (verfestigte) Ort-Zeit- Konfigurationen Erzähltheorien (de Fina, Schiffrin, Tannen, Baynham) Weitererzählen, von Generation zu Generation ( retold stories ) Vermittelte Erzählungen (Distanz und Vagheit) Generische Erzählungen (Geschichten mit Wiedererkennungswert) Szenische Erzählungen ( Tränengeschichten )
4 Methoden (große Datenmenge) Korpuslinguistik Frequenzen, Keywords, Kollokationen, Referenz-Korpus Soziale Netzwerkanalyse Qualitative Diskursanalyse Metaphorik, Benennungen, Eigenschaftszuschreibungen, Intonation..
5 Schlüsselwörter Gruppensprache?! Keyword Frequenz % der Texte Signifikant zum Referenzkorpus 1. Kommunistisch(e/n), Kommunist(en/in), KPÖ 2. Jüdische, Jude(n), Jüdin, Jüdischen, Jüdisch, Judentum 3. FÖJ KP Nazi(s) Linke(n), links Verfolgen, verfolgt Stubenbastei Israel Sowjetunion Moskau Lager Peter (Name) Emigration, Emigriert Identität Tod Milieu Auschwitz Sturmvögel Dachau Umgekommen 33 Ruth Wodak, Markus 62 Rheindorf
6 Wesentliche Themen der Kinderjause (1) politische Organisationen, Bewegungen und Parteien, teilweise metonymisch repräsentiert in Form historischer Persönlichkeiten (Marx, Stalin, Kreisky); (2) das Judentum bzw. Jüdisch-sein; (3) Verfolgung, Internierung, Lager (allgemein oder konkret benannt) und Tod; (4) Emigration, Flucht und damit in Verbindung stehende Länder und Städte; (5) Nazis, Gestapo und Nationalsozialismus; (6) die eigene Identität, besonders in Beziehung zu Eltern und (1)-(5) Geringe Rolle: Arbeit, Beruf, Karriere und persönliche Erfolge
7 STORY-PLOT
8 Vagheit und Deïxis Und dann war er ein Jahr bei der GESTAPO am Mittersteig. [ ] die waren am Mittersteig da zuerst noch. Und dann am Morzinplatz, glaube ich, auch. Da gibt es noch so als Erbstück von mir eine Art, also da ist er sozusagen im Gefängnis gesessen und hat nichts zu tun gehabt und da hat er sich ein Deutsch-Englisch Lexikon, einen Langenscheidt, hat er sich da irgendwie gewünscht oder organisiert und da steht die Adresse drinnen. Und dann hat er Englisch gelernt, also mit einem Wörterbuch kann man nicht Englisch lernen, aber er hat sich damit beschäftigt. Und dann war, so ein Jahr später ungefähr, war der Prozess dann. Das war ein Hochverratsprozess mit Androhung auf alles Mögliche Böse. Und da haben sie dann können irgendwie, einer von denen ist gestorben in der Haft, und dann haben sie sich können absprechen ein bisschen, und dann haben sie nur bekommen fünf Jahre Zuchthaus und dann fünf Jahre Ehrverlust oder wie das heißt. Und naja, dann ist er nach Deutschland in so ein Zuchthaus gekommen.
9 Erzählschleier Es war Thema, nicht nur, aber doch größtenteils in einer sehr allgemeinen Form. Die konkrete Geschichte weiß ich wenig. Ich weiß, dass meine Eltern im Juni 1938 aus Österreich geflüchtet sind und eigentlich nach Frankreich wollten, und sie sind aber über Italien gefahren. [ ] Wirklich Genaues weiß ich nicht, das war nicht so konkret.
10 60 Zeit-Bezüge
11 Wiederkehrende Geschichte Da wäre spontan eine Sache, wo ich nicht weiß, ob es eine Stereotype ist - in dem Sinn, dass es oft passiert ist, dass es zu den Standard- Methoden der SS-Bewacher gehörte. Zu dieser Zeit war das KZ kein Vernichtungslager - es gab, glaube ich, ein Krematorium, aber von der Größe her eher so wie Mauthausen. Ich glaube, das war der Horror. Eine der Geschichten: Da gab es so einen Draht, der war gespannt und über den durfte man nicht drübersteigen - wer darüberstieg, wurde erschossen. Da war ein Häftling und ein SSler schmeißt ihm die Mütze vom Kopf und da fliegt ihm die Sträflingskappe über den Zaun und sagt zu ihm, er soll sie holen. Der Häftling sagte: "Die hole ich nicht." - "Dann erschieße ich dich wegen Befehlsverweigerung." Dann steigt der Häftling drüber und der SSler sagt: "Jetzt erschieß' ich dich wegen Verbots-überschreitung." Das ist etwas, was sich mir als Kind sehr eingeprägt hat
12 Szenische Geschichte Die erste Riesenwut, die ich bekommen habe, war viel, viel später. Viel, viel später und zwar in dem Moment, als meine Mutter angefangen hat, dement zu werden. Im Pensionisten Heim war, in einem normalen der Gemeinde Wien, also nicht in [...] das. Weil ich das auch nicht vorhergesehen habe. Ich Nachhinein denke ich mir, hätte ich tun sollen, aber ja. Und ich komm eines Tages, da war sie schon auf der Pflegestation dann, in das Zimmer und sehe schöne bunte, große Tafeln mit Namen überall montiert und [...], also sehr liebevoll gemacht. Nur bei ihr steht kein Name. Und ich sage: "Mutti, ich sehe, das ist so schön gemacht. Wieso bei dir nicht?" "Nein." Gut. Dann hat man mich schon geholt zu einer Besprechung und da war dort eine junge Ergotherapeutin, die das alles gemacht hat und die gesagt hat, sie weiß nicht, was sie angestellt hat, meine Mutter hat sich mit Händen und Füßen gewehrt dagegen. Sie durfte das nicht machen, und sie hat es bewusst groß gemacht, dass die alten Leute das auch lesen können. Und dann habe ich noch einmal mit meiner Mutter gesprochen und dann hat sie zu mir gesagt: "Ich will nicht, dass man das lesen kann. Wenn die kommen und mich holen, dann sehen sie gleich wo ich bin." Meine Mutter ist nie geholt worden, muss man dazusagen. Es war nur die Angst. Und da habe ich es da gehabt. Das war entsetzlich für mich. Und da habe ich dann eine Wut bekommen, weil ich mir gedacht habe, wie kommt diese 82, 83-jährige Frau dazu sozusagen, in dem hohen Alter, krank, hilflos, ausgeliefert eigentlich, wirklich schon, dazu, von solchen Ängsten nach Jahrzehnten noch gepeinigt zu werden.
13 Ergebnisse Erzählschleier durch sprachliche Vagheit und explizite Distanzierung (Formen des Wissens/Nicht-Wissens/ Nicht-Wissen Wollens) Heroisierung der Eltern (Kämpfergestalten) Diskontinuierliche Mobilität (Momentaufnahmen von Zuständen) Interdiskursivität mit hegemonialem österreichischen Nachkriegsdiskurs ( hin-wegum-zurück-kommen ) Szenische Erzählung als Indikator für Emotion und Trauma
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