Nein! Wir sehen das eng und wir werden nicht nachlassen, diese Errungenschaft aus dem vergangenen Jahrtausend zu verteidigen!

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1 Rede von Oberbürgermeister Stefan Wolf anlässlich der Verleihung des 22. Menschenrechtspreises der Stadt Weimar an Narges Mohammadi (Iran) am 10. Dezember 2016, 19 Uhr, im Festsaal des Stadtschlosses, Burgplatz 4 Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum 22. Mal verleihen wir heute den Weimarer Menschenrechtspreis. Nolens volens, nicht wollend wollend, begehen wir weltweit alljährlich am 10. Dezember den Tag der Menschenrechte und wir in Weimar seit 1995 diese festliche Preisverleihung anlässlich dieses Gedenktages. Nicht wollend wollend, weil wir es natürlich alle lieber sehen würden, wenn dieser Tag nicht notwendig wäre. Aber weil wir seine Notwendigkeit angesichts der täglichen Verletzung der Menschenrechte sehen, wollen wir ihn begehen! 1

2 Der heutige Tag der Menschenrechte ist der Gedenktag zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Das war vor nun 68 Jahren. Aber hat sich seitdem etwas gebessert? Bundesaußenminister Steinmeier hat erst vor wenigen Tagen sehr eindrücklich zur Situation der Menschenrechte gesprochen und aktuell auf Aleppo verwiesen, wo Menschen in Trümmern hausen, Kinder in Angst leben, Frauen kaum mehr Nahrung für ihre Babies finden und der Horror der Bombenangriffe tagtäglich weitergeht. 2

3 Was dort geschieht, meine Damen und Herren, ist schlicht ein Kriegsverbrechen. Derzeit sind mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht - ihr Leben bedroht durch Krieg, Gewalt und Verfolgung. Millionen Kinder können nicht zur Schule gehen. Menschen sterben, weil ihre elementarsten Bedürfnisse Nahrung, Gesundheitsversorgung, sauberes Trinkwasser nicht erfüllt werden. Anderswo werden Menschen ohne Aussicht auf einen fairen Prozess gefangen gehalten. Sie werden wegen ihrer Meinung, ihrer Religion oder aus Willkür misshandelt, gefoltert, getötet. 3

4 Wir alle sehen und hören, lesen und erleben täglich, dass wir vor gewaltigen Umwälzungen weltweit stehen oder auch schon in ihnen stecken. Strukturen verändern sich, Machtverhältnisse werden neu geordnet, unsere gewohnte Ordnung gerät durcheinander und all dies geht einher mit Konflikten, die manches Mal kaum beherrschbar erscheinen - siehe Aleppo. Aber wir müssen dagegen halten. Wir müssen ringen um die besseren Lösungen. Wir müssen auch zuhören das wohl, aber wir dürfen eines nicht zur Disposition stellen: die Unverletzlichkeit der Menschenrechte. 4

5 Aus den grauenhaften Erfahrungen des mörderischen Zweiten Weltkrieges und des Faschismus entstanden, müssen und werden sie heute und in Zukunft für uns weiter gelten. Und das teilen wir auch denen mit, die das nicht gerne sehen, denen, die meinen, dass man das nicht so eng sehen darf. Nein! Wir sehen das eng und wir werden nicht nachlassen, diese Errungenschaft aus dem vergangenen Jahrtausend zu verteidigen! Denn wenn wir eine friedlichere und gerechtere Welt gestalten wollen, - um noch einmal Frank-Walter Steinmeier zu zitieren - dann müssen wir die Achtung der Menschenrechte in den Mittelpunkt rücken! 5

6 Bundespräsident Joachim Gauck hat die deutsche Verantwortung für die Gräuel der Nazis als Verpflichtung zum Einsatz für Menschenrechte und europäische Werte hervorgehoben. Nach den Grausamkeiten und den Massenmorden im Zweiten Weltkrieg brauchte die Weltgemeinschaft eine neue geistig-politische, aber auch moralische Grundlage. Es war unabdingbar geworden, das Individuum und seine unveräußerlichen Rechte zu schützen unabhängig von seiner Ethnie, Religion, Hautfarbe oder seinem Geschlecht. Wir kennen die Geringschätzung und Marginalisierung von Menschenrechten, wenn es darum geht, etwa wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. 6

7 Wir kennen auch die Versuche, Menschenrechte aus vorgeblich religiösen, kulturellen nationalen und vielen anderen Gründen einzuschränken oder zu verweigern. Und genau dagegen müssen wir angehen. Tagtäglich, heute, morgen, hier und anderswo. Empathie lässt sich bekanntlich nicht mit Paragrafen verordnen. Aber wer wach und empfindsam ist, dem erschließt sie von ganz allein den Weg zum Mitmenschen. Es ist ein guter Moment, dass der Weimarer Menschenrechtspreis in diesem Jahr an Narges Mohammadi verliehen wird. Damit würdigen wir eine Frau, die Leid, Inhaftierung, Trennung und die Verletzung ihrer Menschenrechte auf sich genommen hat, um eben für diese zu kämpfen. 7

8 Der Iran ist ein wenig aus dem Fokus des Weltinteresses geraten genau deshalb ist es wichtig, dass wir an die Vorgänge in der islamischen Republik erinnern. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, die IGFM, hat Narges Mohammadi vorgeschlagen und setzt sich mit großem Engagement für ihre Freilassung ein. Die IGFM vermittelt Patenschaften für bedrohte Menschenrechtsverteidiger. Unser Weimarer Bundestagsabgeordneter Carsten Schneider hat eine Patenschaft für unsere Preisträgerin Narges Mohammadi übernommen. Vielleicht ist das auch für Sie von Interesse? Der Flyer der IGFM liegt auf Ihren Plätzen aus. 8

9 Wie helfend, aber manchmal auch scheinbar machtlos der Weimarer Menschenrechtspreis im internationalen Kontext sein kann, möchte ich Ihnen an zwei Beispielen erläutern: Der Preisträger von 2011, Biram Dah Abeid aus Mauretanien, der im November 2014 abermals wegen seines politischen Engagements - in diesem Fall seine Teilnahme an einer Anti-Sklaverei-Demonstration - inhaftiert und im Januar letzten Jahres zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, ist im Mai diesen Jahres nach 18 Monaten Haft endlich freigelassen worden. Dies nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Appelle durch uns, das Auswärtige Amt, der UNO, die ihn 2013 mit dem Menschenrechtspreis 9

10 der Vereinten Nationen ehrte, und natürlich durch die Appelle zahlreicher weiterer NGOs, wie beispielsweise der Gesellschaft für bedrohte Völker. Der zweite, weniger schöne Fall: Vor zwei Wochen erreichte uns die Nachricht, dass gegen die Weimarer Menschenrechtspreisträgerin von 1998, die kurdische HDP-Politikerin Meral Danis-Bestas, drei Ermittlungsverfahren laufen, unter anderem wegen Beleidigung des türkischen Staates und der türkischen Regierung". Im November begann der erste Prozess vor einem Strafgericht in Adana und allein in diesem Prozess hat die türkische Staatsanwaltschaft zwei Jahre Haft für Meral Danis-Bestas gefordert. 10

11 Die Immunität vieler türkischer Abgeordneter wurde in diesem Jahr im Zuge des Ausnahmezustands aufgehoben. Ich werde mich jetzt an den türkischen Botschafter wenden und mich beim Menschenrechtsausschuss des Bundestages darum bemühen, dass Danis-Bestas in das Projekt Parlamentarier schützen Parlamentarier" aufgenommen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen mittlerweile alle, dass die derzeitige Ruhe eine trügerische sein könnte. Auch wenn in Österreich der Rechtspopulist und Kandidat der FPÖ, Jan Hofer, bei der Wahl zum Bundespräsidenten ziemlich deutlich 11

12 gescheitert ist, so ist dies kein Moment des Innehaltens für uns Demokraten. Ich hoffe sehr, dass wir im kommenden Jahr in Deutschland oder Frankreich nicht ähnliches erleben werden wie in Österreich, wo ebenso wie in den USA die Grenze des Erträglichen in der politischen Auseinandersetzung schon längst unterschritten wurde. Auch im Iran stehen im kommenden Jahr Parlamentswahlen an. Nehmen die Spannungen zwischen Washington und Teheran zu, weil der künftige Präsident der Vereinigten Staaten vom ausgehandelten Atomabkommen abrückt, ist zu befürchten, dass es eine 12

13 Machtverschiebung zugunsten der klerikal-konservativen Kräfte im Iran geben wird. Dass dies nichts Gutes für bedrohte Menschenrechtsverteidiger im Land verheißt, ist abzusehen. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf Deutschland und auf Weimar zu sprechen kommen. Seit Herbst 2015 war Deutschland und auch Weimar geprägt von einem großem Thema: Flüchtlinge, die zumeist aus der Not zu uns kamen. 13

14 Ende 2015 engagierten sich zehn Prozent der Bevölkerung ehrenamtlich für Flüchtlinge. Das ist eine gewaltige Zahl und wir haben in Weimar erlebt, dass trotz der vielen Menschen, die auch zu uns kamen, ein menschenwürdiger Umgang mit diesen Flüchtlingen machbar ist. Doch die Reaktion auf die wachsende Zahl von Flüchtlingen ist nicht ausschließlich von Mitgefühl und dem Einsatz für die Menschenrechte der Schutzsuchenden geprägt registrierte das Bundeskriminalamt politisch motivierte Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte und damit viermal so viele wie im Vorjahr. Dieses hohe Gewaltniveau scheint sich zu verfestigen; 2016 waren es im ersten Halbjahr bereits 530 solcher Taten. 14

15 Hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir wachsam bleiben. Auch in diesen Fällen geht es um die Verteidigung der Menschenrechte was manchem nicht klar zu sein scheint. Die Menschen, die zu uns kommen ob berechtigt oder unberechtigt haben ein Verfahren vor sich, das klar stellt, ob sie anerkannt werden oder zurück in ihre Heimat müssen. Auf jeden Fall aber haben sie ein Anrecht darauf, menschenwürdig behandelt zu werden! Diese menschenwürdige Behandlung wünsche ich auch Narges Mohammadi. Mit der Verleihung des Weimarer Menschenrechtspreises 2016 an die iranische Menschenrechtsverteidigerin setzen wir ein 15

16 Zeichen, das mehr als ein symbolischer Akt ist. Es ist ein Zeichen für gelebte Menschlichkeit, für die wir uns auch weiterhin einsetzen werden. Vielen Dank. 16