Die Qual mit der Regel Wenn Menstruation zum Tabu wird

Transkript

1 1 Leonardo - Wissenschaft und mehr Sendedatum: 23. Juni 2015 Die Qual mit der Regel Wenn Menstruation zum Tabu wird von Dirk Gilson Eine Freundin von mir hat das oft gemacht. Sie hat ihren Körper verkauft, um an Geld zu kommen. Sie war sehr hübsch, es war leicht für sie, Männer zu finden. Angefangen hat sie damit, weil sie kein Geld für Monatsbinden hatte. Ich fühlte mich schlecht und ich war auch böse auf sie. Ich hab ihr gesagt, dass sie damit aufhören soll. Aber sie meinte nur, ich sei dumm und wüsste nicht, wie die Welt funktioniert. Die Welt das ist für die 15-jährige Faith eins der größten Slums Afrikas: Kibera, mitten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Knapp bis mehr als eine Million Einwohner hat Kibera, je nach Schätzung. Die Menschen leben hier in Wellblechhütten, auf den staubigen Wegen sammelt sich Müll, genauso wie an den Ufern eines kleinen Flusses, der durch Kibera fließt. In einigen Müllbergen stochern Jugendliche nach Brauchbarem. Atmo: am Fluss, Schritte im Sand, Wassergeplätscher Für Faith ist das Alltag auf ihrem täglichen Schulweg. Sie trägt Uniform: ein rotweiß kariertes Kleid, darüber ein blauer Pulli mit einigen Löchern und ausgefransten Bündchen. Ihr schwarzes Haar hat sie zu eng am Kopf anliegenden Zöpfen geflochten, zu Cornrows. Für sie und alle Mädchen in ihrem Alter kommt Monat für Monat ein Problem dazu. Eines über das man hier eigentlich nicht spricht. Doch heute soll sich das an ihrer Schule ändern. Atmo: Schule, Gesang

2 2 Sandra Achieng: Vielen Dank! Wir haben heute ganz besonderen Besuch. Das ist Maximilla. Sie ist hier, um mit euch über ein Thema zu sprechen, dass Mädchen in eurem Alter betrifft. Maximilla Imola: Ich will heute mit euch wie eine große Schwester sprechen. Die 25-Jährige Maximilla ist selbst im Slum aufgewachsen. Heute arbeitet sie als eine Art Aufklärungs-Trainerin für verschiedene Unternehmen und Organisationen. Ihr heutiges Thema: Menstruation. In Slums wie Kibera ist das mehr als Aufklärungsunterricht. Ihre Menstruation ist eine große Herausforderung für die Mädchen hier. Die meisten Eltern brauchen das Geld für Miete und Essen, für Monatsbinden bleibt da nichts übrig. Atmo: Klassenraum Etwa einen Euro kosten die Binden einmal pro Monat. Vor allem für größere Familien ist das zu teuer. Maximilla Imola: Ok. Was ist die Periode? Was ist Menstruation? Versucht es... Schülerin: Menstruation ist das Auslaufen von Blut. Für viele Mädchen ist die Schule der einzige Ort, an dem sie über dieses Thema sprechen können. Wie groß das Problem für die pubertierenden Mädchen tatsächlich ist, erfährt Maximilla aber nur in persönlichen Gesprächen. Atmo: Außerhalb Klassenraum

3 3 Sprecher : Zwei Freundinnen haben zugestimmt, vor dem Mikrofon mit Maximilla zu sprechen. Diana Auma: Ich habe manchmal Angst, in die Schule zu gehen, weil ich kein Geld für Binden habe. Dann bleibe ich zu Hause. Faith Mueni: Meine Mutter hat mir gesagt, ich solle Stofffetzen von alten Sachen nehmen. Das habe ich gemacht und sie als Binden genutzt. Damit habe ich mich aber überhaupt nicht wohlgefühlt. Tatsächlich nutzen die Mädchen nicht nur Fetzen von alten Kleidungsstücken, wenn sie kein Geld für Binden haben. Maximilla hat noch mehr Beispiele mitgebracht. Sie zeigt sie in Faith' Klasse. Als erstes ein zerschlissener Lappen, etwa so groß wie ein Geschirrhandtuch. Den falten einige und nutzen ihn dann als Binde. Oder ein Stück Baumwolle. Oder Klopapier. Und einige Mädchen nutzen auch getrocknete Blätter oder Baumrinde. Das ist nicht nur unbequem und unsicher, sondern auch unhygienisch. Die Mädchen haben aber vor allem eine Sorge. Schülerin: Wenn wir Blutflecken auf unseren Kleidern haben, machen sich die Jungs lustig. Maximilla Imola: Kommt das hier in der Klasse vor? Klasse: Yes. Maximilla Imola: Und wie fühlt ihr euch, wenn Jungs euch auslachen? Schülerin: Wir schämen uns dann und fühlen uns schlecht. Einige tun dann schlimme Dinge.

4 4 In ihrer Not prostituieren sich einige Mädchen sogar, um an Geld für Binden zu kommen. So wie Faith' Freundin. Faith Mueni: Inzwischen geht sie nicht mehr zur Schule. Sie hat drei Kinder...von verschiedenen Männern. Maximilla Imola: Von verschiedenen Männern? Und sie ist in deinem Alter? Faith Mueni: Ja, in meinem Alter. Sie ist 16. Für Maximilla sind solche Geschichten Alltag. Es passiert häufig, dass junge Mädchen die Schule verlassen müssen, weil sie früh Kinder bekommen. Und wenn ich sie dann frage was los war, höre ich immer wieder, dass sie Binden für ihre Tage haben wollten, aber kein Geld hatten. Dann entscheiden sich einige, mit Männern zu schlafen, um an Geld zu kommen. Maximilla zeigt den Mädchen eine mögliche Lösung des Problems. Es ist aus medizinischem Silikon. Sie hält einen Becher zwischen Daumen und Zeigefinger. Er erinnert ein bisschen an einen Eierbecher. Er ist hellgrau, leicht durchsichtig und elastisch. Diese so genannte Menstruationstasse soll die Mädchen unabhängig von Binden machen. Eine solche Tasse wandert von Hand zu Hand, die Mädchen prüfen sie sorgfältig mit großen Augen. Vorne erklärt Maximilla, wie sie verwendet wird. Man faltet sie und führt sie ein ähnlich wie ein Tampon. Im Körper öffnet sich die Tasse und fängt das Blut auf.

5 5 Bis zu 30 Milliliter. Die Mädchen können die Tasse morgens zu Hause einsetzen und müssen sie meist erst abends leeren. Maximilla erklärt wie das geht. Ihr müsst die Tasse unten etwas zusammendrücken, dann kommt sie langsam raus, ohne dass es wehtut. Dann leert ihr die Tasse aus und spült sie einmal mit klarem Wasser durch. Keine Seife! Dann einfach wieder falten und einführen. Zwischen den Zyklen muss die Tasse einmal ausgekocht werden, zum Desinfizieren. So kann sie bis zu zehn Jahre genutzt werden. Jedes Mädchen bekommt heute eine Tasse geschenkt. Auf lange Sicht sollen die Menstruationstassen aber nicht verschenkt, sondern verkauft werden. Aktuell liegt der günstigste Preis in Kenia bei rund drei Euro. Damit ist die Tasse auf Dauer gesehen zwar deutlich günstiger als jeden Monat Binden zu kaufen. Doch für die meisten Familien hier ist sie in der Erstanschaffung noch zu teuer. Der deutsch-dänische Hersteller hofft, durch gesteigerten Verkauf der Tassen in Deutschland und anderen Industrienationen, den Preis in Kenia in Zukunft noch weiter senken zu können. Dass es sich lohnen könnte, zeigen Beispiele anderer Schulen. Maximilla besucht Mädchen einer benachbarten Schule, die vor sechs Monaten eine Tasse bekommen haben. Die 15-jährige Wendy findet sie sogar besser als Binden. Als ich Binden benutzt habe und es sonnig war, haben die Beine gejuckt. Kannst dann nicht gut laufen. Du hast Angst zu spielen oder irgendwas zu machen. Mit den Tassen ginge das besser, sagt Wendy. Und auch Faith hofft, dass sich ihre Situation dank der Tassen verbessern wird.

6 6 Ich denke es ist besser, als die Dinge, die ich benutzt habe. Meine Kleider hatten oft Flecken.