Unsere großen Afrikaner Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere

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1 Unsere großen Afrikaner Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere Ewald Banse Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung Max Paschke, Berlin Zweite, stark erweiterte und verbesserte Auflage. Diese digitalisierte Version 2014 by The Scriptorium. Alle Illustrationen stammen aus dem Original. Scriptorium dankt Herrn T. A. M. für seine großzügige Spende dieses Buches zwecks Digitalisierung auf unserer Netzseite! Druckversion 2015 gesetzt vom Hilfsbibliothekar, alle externen Verweise im Text führen zu den Quellen im Netz. Inhalt: Vorwort zur ersten Auflage Vorwort zur zweiten Auflage Der äußere Rahmen Wie Afrika aus dem Dunkel hervortrat Wie die Kolonien unser wurden Die geistige Besitzergreifung Heinrich Barth Gerhard Rohlfs Gustav Nachtigal Georg Schweinfurth Karl Mauch Die politische Besitzergreifung Hermann von Wissmann Adolf Lüderitz Carl Peters Paul von Lettow-Vorbeck Mehr aus unserem Archiv

2 Vorwort zur ersten Auflage Die Entdeckung des weiten Innern von Afrika ist großenteils durch deutsche Forscher vollzogen worden. Leuchtenden Namen wie Hornemann, Burckhardt, Barth, Rohlfs, Nachtigal und Schweinfurth haben höchstens die Engländer gleichstarke wie Mungo Park, Livingstone, Speke und Stanley gegenüberzustellen, während die anderen Völker betreten schweigen müssen. Und Feldherrntüchtigkeit von der Art Lettow-Vorbecks hat auf afrikanischem Boden weder England mit seinem Kitchener noch Frankreich mit seinen zahlreichen Generalen aufzuweisen. Wenn deutscher Geist und deutsches Blut sich um einen fremden Erdteil gemüht haben, dann ist dies um Afrika geschehen. Und wenn daraus ein Anspruch auf koloniale Geltung abgeleitet werden darf, dann gilt dies für Afrika. Von Friedrich Hornemann, der 1800 als erster die große Wüste Sahara durchquerte und am Niger sein Leben lassen mußte, bis zu dem General von Lettow-Vorbeck, der im Weltkriege länger als vier Jahre hindurch sich gegen siebzehnfache Übermacht siegreich behauptete, läuft ein langer, vielverschlungener Blutstrom, der den dunklen Erdteil in den Blutgang unseres Herzens einspannt und der uns das Recht gibt und den Anspruch, in den afrikanischen Angelegenheiten gehört und an ihnen beanteiligt zu werden. Die in diesem Buche behandelten deutschen Männer, in deren Wollen und Werk wir unseren afrikanischen Gültbrief verdichtet vorbringen und unseren Beitrag zur Vernichtung der Schuldlüge von unserer kolonialen Unfähigkeit entrichten wollen, diese Männer lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen. Die eine Gruppe, durch Barth, Rohlfs, Nachtigal und Schweinfurth vertreten, steht zu Afrika mehr in einem einzelpersönlichen und geistigen Verhältnis. Wenngleich Rohlfs und Nachtigal in die Frühgeschichte unserer afrikanischen Kolonien verstrickt wurden, so gilt doch von allen vieren, daß ihnen in der Zeit ihrer großen Reisen koloniale Bestrebungen noch fern lagen, ohne daß deshalb an ihrer Deutschheit auch nur der leiseste Zweifel geäußert werden dürfte. Die andere Gruppe, in Wissmann, Lüderitz, Peters und Lettow-Vorbeck verkörpert, tritt Afrika schon als Vertreter der kolonialen Wünsche unseres Volkes und sehr bald auch des Reiches gegenüber. Wissmann begann als Forschungsreisender von Rang und bewährte sich als Soldat und Gouverneur; Lüderitz und Peters brachten die junge deutsche Kolonialbewegung zur Tatleistung und sicherten uns Südwest- und Ostafrika; Lettow-Vorbeck hat Ostafrika vier Jahre lang gegen starke Übermacht verteidigt und damit die größte militärische Leistung vollbracht, die seit Bonaparte auf afrikanischer Erde ausgeführt worden ist. Leistungen solcher Art lassen sich auch durch Versailler Diktate nicht aus der Welt schaffen. Und um dies dem deutschen, dem jetzt großdeutschen Volke ins Gedächtnis zurückzurufen, ja es auf diesen kolonialen Gültbrief erst richtig aufmerksam zu machen, deshalb ist dieses Buch geschrieben worden, deshalb mußte es einmal geschrieben werden. Daß unser Volk seine Kolonien vor dem Weltkriege trotz einer Spanne von nur einem Vierteljahrhundert gut entwickelt hat, das bezweifelt bei uns wohl niemand mehr. Weniger bekannt ist leider, daß unsere afrikanische Leistung durch die hingebende Arbeit deutscher Entdecker und Gelehrten, deutscher Kaufleute und Pflanzer, deutscher Beamten und Soldaten während eines Zeitraumes von über hundert Jahren auf das glänzendste unter Beweis gestellt und mit Strömen von Blut auf unzerreißbares Pergament geschrieben worden ist. Über die hier angewandte Arbeitsweise sei kurz folgendes bemerkt. Es kam nicht allein darauf an, den Lebenslauf der Afrikaner zu schildern, denn das ist schon öfters mit mehr oder weniger Glück getan worden, sondern es sollte aus dem Lebenslaufe die Summe der Leistung gezogen und überdies noch der Charakter sinnvoll erklärt werden. Unter Charakter verstehen wir die aus der Grundlage einer rassisch bedingten seelischen Haltung herauswachsende Art und Weise eines Menschen in bezug auf seine Leistung und im Hinblick auf sein Verhalten zu anderen. Als Quellen standen uns dabei zur Verfügung: Kopfbilder und Lebensdaten, Urteile von Zeitgenossen und die

3 Werke der behandelten Männer selber; nur in einem Falle (v. Lettow-Vorbeck) konnten wir aus persönlicher Bekanntschaft etwas beisteuern und erhielten von einem bewährten Mitkämpfer des Beschriebenen, Herrn Oberregierungsrat Boell in Potsdam, wertvolle Ergänzungen. Als Grundlinien eines Charakters sehen wir seine Gefühligkeit, seine Willenhaftigkeit und seine Geistigkeit an, woraus sich dann alles Leisten und Nichtleisten ableitet. Der eigentliche Erfolg eines Menschen wird außerdem von Einwirkungen der Umwelt berührt, der äußere wird sogar entscheidend von der Mit- oder Nachwelt mitbestimmt. Scheitert ein bedeutender Mann, so kann das in Mängeln seines Charakters, es kann aber auch in Unverständnis oder Böswilligkeit anderer Menschen bedingt sein; in beiden Fällen sprechen wir von einer tiefen Tragik. Man kann ein Volk nicht allein nach seinen großen Männern an sich beurteilen, sondern auch danach, wie es selber sie behandelt, denn die großen Männer sind die Quecksilbersäulen in den Barometern ihrer Völker. [Betonung vom Scriptorium hinzugefügt, da diese Feststellung angesichts der heutigen Zustände ganz besonders vielsagend ist!] Der eine oder andere mag vielleicht fragen: Was hat der Charakter dieser Männer mit ihrer Leistung, was hat er mit Afrika, was mit den deutschen Kolonien zu tun? Nun, er hat sehr viel damit zu tun, denn die Leistung eines Mannes ist die Sichtbarmachung seiner ganzen Wesenheit für die Außenwelt. Wie einer ist, so handelt er; was einer kann, das zeigt als einziger Wertmaßstab seine tatsächliche Leistung. Ohne die in ganz bestimmten Charakterseiten wurzelnden Forscherleistungen eines Barth, Rohlfs, Nachtigal, Schweinfurth, Wissmann und anderer würde das deutsche Volk im Beginn der 1880er Jahre für Afrika nicht interessiert genug gewesen sein, um die wiederum auf gewissen Charakterseiten fußenden Kolonialerwerbsleistungen eines Lüderitz, Nachtigal, Peters stürmisch gutzuheißen, die nunmehr Erfüllung der Sehnsucht der Gesamtheit wurden. Und ohne die besondere Charakterlichkeit eines Wissmann wäre uns die Kolonie Deutsch-Ostafrika 1889 nicht gesichert und ohne jene eines Lettow-Vorbeck 1914 schnell verlorengegangen. Der Charakter eines Menschen, eines Volkes ist die Wurzel sämtlicher Meinungen und Handlungen desselben, und deshalb kann seine Erörterung gar nicht eingehend genug betrieben werden. Und auch abgesehen von dieser besonderen Zielsetzung ist die einsichtige Deutung eines menschlichen Charakters und damit seines ganzen Lebens alleweile eine an sich selber fesselnde und für jedermann lehrreiche Angelegenheit. Vorwort zur zweiten Auflage Während wir zur Herstellung der schnell notwendig gewordenen zweiten Auflage schreiten, kämpfen zum ersten Male in der Geschichte deutsche Truppen in Nordafrika, in jenen Gebieten, in denen Barth, Rohlfs und Nachtigal heimisch waren. Möge das der Anfang zur Gründung eines deutschen Afrikas sein, dessen Wegbereiter die in diesem Buche behandelten Männer waren. Die zweite Auflage ist um eine Lebensbeschreibung erweitert worden. Der Württemberger Karl Mauch, Kind ganz einfacher Leute, hat sich unter härtesten Entbehrungen zum Afrikareisenden von Rang emporgearbeitet, hat aber nicht die ihm gebührende Anerkennung gefunden. Es war nicht leicht, aus der großen Reihe bedeutender deutscher Afrikaner die Auswahl zu treffen, denn Burckhardt, von Heuglin, von Höhnel, Hornemann, Graf Götzen, Junker, Lichtenstein, Lenz, Vogel, um nur diese Namen zu nennen, ein jeder von ihnen verdiente es, dem deutschen Volke nach Charakter und Leistung nahegebracht zu werden. Wir haben uns für den Unteroffizierssohn Karl Mauch entschieden, der so arm war, daß er sein Reisegepäck auf dem eigenen Buckel durch die sonnverbrannten Öden zwischen Vaal und Sambesi schleppte und trotzdem Großes leistete - Vorbild zäher Willens- und heldischer Leistungshaftigkeit. Braunschweig, im Sommer 1941 Professor Banse

4 Der äußere Rahmen: Wie Afrika aus dem Dunkel hervortrat Ein Kosmograph von Anno 1490 Der alte Herr zog das Rauchwert seines Hausrockes enger über der Brust zusammen, streckte die Füße näher an den Kamin, in dem die Flammen gleich gierigen Schwertern sprangen, und blickte durch die Butzenscheiben in das Schneegestöber hinaus. Die Flocken wirbelten in wahren Böen vorüber und ließen die spitzen Giebel der gegenüberstehenden Häuser nur hin und wieder hervortreten. Aber seine Augen sahen dies alles nicht. Sie sahen nicht die dunkelbraune Holztäfelung des gotischen Zimmers, nicht das bronzene Astrolabium und nicht die schweren Schweinslederfolianten auf dem Eichentische, weder die ausgebreitete Kompaßkarte noch den gespreizten Zirkel auf ihr, ja nicht einmal den Dreimaster, der von der Decke herabhing und mit geblähten Segeln und Wimpeln ferne Meere zu durchpflügen schien. Der gelehrte Kosmograph hatte nämlich einen Brief seines in Lissabon lebenden Freundes Martin Behaim erhalten und in diesem die Nachricht, daß der portugiesische Capitano Bartolomeu Diaz das Kap an der Südspitze Afrikas umfahren habe, aber dann von seiner Mannschaft zur Umkehr gezwungen worden sei. Diese Neuigkeit hatte in dem alten Herzen mächtig gezündet: das mußte die große, die befreiende Tat sein! Jetzt lag der so lange gesuchte Seeweg nach Indien offen, jetzt konnten die portugiesischen Capitanos, denen Freund Behaim den Jakobstab und überhaupt die höhere Nautik gebracht hatte, die Schätze Indiens und Zipangus dem christlichen Abendlande zugänglich machen. Welche Aussichten! Die Welt würde ein anderes Gesicht bekommen... Bücher wurden gedruckt, und man konnte sich die Schriften der Alten leichter beschaffen. Von Byzanz her, wo jetzt die Heiden herrschten, hatten Gelehrte die Kenntnis der griechischen Sprache übermittelt, so daß man fortan Herodotos und Strabon in ihrer eigenen Sprache und arabische Kosmographen wenigstens in griechischer Übersetzung zu lesen vermochte. Die Berichte der Bibel - nichts gegen das Heilige Wort, natürlich nicht - erfuhren jetzt doch mancherlei Ergänzung. Das scholastische Denken erschien einem auch allmählich gar zu eng, und man sehnte sich nach freien, nach neuen Horizonten. Die stille Liebe des gelehrten deutschen Kosmographen hatte immer dem Erdteil Afrika gegolten, und er hatte alles gesammelt und sorgsam verzeichnet, was er in alten Schriften darüber gefunden hatte. Er mußte lachen: dieses Afrika oder Libya hatte voreinst als der kleinste Erdteil gegolten, und nunmehr wuchs es immer weiter nach Süden hin, Schritt um Schritt war es während der letzten beiden Menschenalter mit den Küstenfahrten der Portugiesen gewachsen. Aber eigentümlich war es doch, daß ein Ländergebiet, das schon im grauesten Altertum große Reiche getragen hatte, so völlig aus dem Gesichtskreise der Gelehrten verschwinden konnte. Herodotos schon erzählte von dem Bauernvolke der alten Ägypter, und Alexander hatte dort geherrscht. Die Hellenen hatten die Kyrenaika kolonisiert, und die Phönizier die Handelsstadt Karthago gegründet. Phönizische Schiffer waren schon sechshundert Jahre vor unseres Heilandes Auftreten an der Ostküste südwärts gesegelt, hatten das Kap umschifft und waren entlang der Westküste wieder in ihrem Ausgangslande Ägypten eingetroffen. Die Römer hatten jahrhundertelang den ganzen Norden Afrikas besessen, ja sie waren sogar tief in das Innere eingedrungen. Eratosthenes hatte schon im 3. Jahrhundert vor unseres Herrn Geburt zwischen Alexandria und Syene eine Gradmessung vorgenommen, der römische Geschichtschreiber Polybios hatte die Küsten der Atlasländer untersucht, und der Centurio Julius Maternus war durch die ganze Wüste bis zu den Äthiopen und Nashörnern des Landes Agisymba durchgedrungen. Schließlich war von Kaiser Nero eine Schar Männer ausgeschickt worden, die den großen Fluß Nilus weit ins Innere

5 hinein verfolgte, bis ihr in heißen Sumpfgebieten Torfbarren und Katarakte Halt geboten; das Mondgebirge und die Quellen des Nilus freilich hatten diese Männer nicht erreicht. Der Gelehrte schob die Pelzkappe zurück und stützte das bärtige Haupt in die Hand. Seine Augen glitten über eine alte Handschrift, die mit sonderbar krausen, aber wunderschön geschwungenen Buchstaben bedeckt war. Es waren arabische Worte, er konnte sie nicht lesen, aber er hatte sie sich mit großen Kosten verschafft, der Seltenheit wegen. Ja, diese Araber... Seitdem ihre Scharen den Norden Afrikas überschwemmt hatten, damals im 7. Jahrhundert und auch noch später, seitdem war die Verbindung des Abendlandes mit jenen Ländern abgerissen, das Kreuz hatte dem Halbmonde weichen müssen. Gewiß, die Handelsschiffe von Genua und Pisa und Marseille führen immer noch hinüber und holten Korn und Gewürze und Seide, auch die Kreuzfahrer waren dort gelandet; aber wie es in jenen Ländern aussah, davon ahnte man doch nichts mehr. Nur die Berichte einzelner arabischer Reisender waren neulich über die Byzantiner bekanntgeworden, voran der des weitgewanderten Ibn Battuta. Auch über die Ostseite Afrikas schienen die Araber seit alters gut Bescheid zu wissen. Der greise Kosmograph strich mit der flachen Hand über die müden Augen. Welche Gesichte, welche Gestalten! Durch den Schleier des Flockengewirbels erblickte er glänzende Meere, blau in blau, und darüber weite Länder, gelb und rosig schimmernd, belebt von Palmen und wilden Tieren und schwarzen Menschen. Auf dem Jahrmarkte hatte er einmal einen Mohren gesehen, kohlschwarz mit breiter Nase und dicken Lippen, der hatte einen Kriegstanz vorgeführt und zum Schluß ein lebendiges Kaninchen zerrissen und verschlungen, und dann hatte er auch noch Feuer gespien. Was für Menschen waren das doch, welche Geheimnisse barg dieser dunkle Erdteil Afrika! Wie die Küsten Afrikas bekannt und wie die ersten Vorstöße ins Innere gemacht wurden Seitdem die Portugiesen im Jahre 1415 das marokkanische Hafenstädtchen Ceuta besetzt und damit im Rücken des noch islamischen Emirates Granada auf afrikanischem Boden Fuß gefaßt hatten, richteten sie handelspolitisch ihr Augenmerk darauf, zur See die indischen Gewürzinseln zu erreichen, um deren hochwertige Erzeugnisse billiger und sicherer zu erlangen, als es durch Vermittlung des Morgenlandes möglich war. Als Weg dorthin kam lediglich die Fahrt an der Westküste Afrikas in Betracht oder eine solche quer durch das unbekannte Innere dieses Festlandes, in welchem, wie es hieß, ein großer Strom von Ost nach West laufen sollte. Die Mündung dieses Stromes aufzusuchen, das war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts das eifrige Bemühen portugiesischer Schiffer, doch gelangte keiner über die Bissagos-Inseln hinaus. Erst in den 1480er Jahren, als der deutsche Kosmograph Martin Behaim den Portugiesen die wissenschaftliche Nautik gelehrt hatte, wurden die Küstenfahrten südwärts vorgetrieben. Diego Cão, von Behaim als wissenschaftlicher Navigator begleitet, gelangte 1486 bis Kap Croß, d. h. bis an die Mitte der Küste des späteren Deutsch-Südwestafrika, so daß man sagen darf, daß der erste Befahrer des größten Teiles der afrikanischen Westküste ein Deutscher war, noch dazu ein Deutscher von hoher Gelehrsamkeit und großem Ruf. Im Jahre 1488 erreichte und umschiffte Bartolomeu Diaz das Kap der Stürme oder, wie es dann genannt wurde, der Guten Hoffnung, in dessen Kreuzseen er zwölf Jahre später den Schiffertod fand. Zwei Jahre vor diesem tragischen Entdeckerende umfuhr Vasco da Gama als zweiter das Kap, arbeitete sich entlang der Ostküste bis Melinde hinauf und segelte von dort nach Vorderindien hinüber. Aber schon vor Gama war die Ostküste von Sofala an nordwärts den Portugiesen bekannt geworden. Pero de Covilham nämlich hatte 1487 eine Erkundungsreise nach Ostafrika angetreten, die ihn bis zu dem von Mohammedanern bewohnten Hafenstädtchen Sofala und in das Innere von Abessinien geführt hatte, wo er ehrenvoll festgehalten wurde und noch 1520 lebte.

6 Nachdem den Portugiesen die Entschleierung des Küstenumrisses in allergröbsten Zügen gelungen war, kümmerten sie sich um das Innere nicht, sondern begnügten sich mit der Unterhaltung von Flottenstützpunkten zur Sicherung der Ostindienfahrt, die ihnen wirtschaftlich das Wichtigste war. Gelegentlich drangen Missionare tiefer ins Binnenland hinein. Aber schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erwuchsen den Portugiesen in den Niederländern, Franzosen, Engländern und Brandenburgern Nebenbuhler in Schiffahrt und Kolonialpolitik. Die wichtigste Leistung in diesem Zuge war die Festsetzung der Niederländer am Kap Hoffnung, wo 1652 die Kapstadt gegründet wurde, die dann die Beherrscherin des Ostindienhandels wurde. Die Schiffer jener Zeit beschränkten sich auf Sklaven- und Tauschhandel mit den Küstennegern, deren Erzeugnisse die Faktoreien sammelten. Von den Binnenräumen wußte man fast gar nichts. Noch die beste Kenntnis hatte man von den Nilländern. Über Ägypten unterrichteten die Reisewerke des Engländers Richard Pococke (1754) und des Deutschen Karsten Niebuhr (1774), über Abessinien das des Schotten James Bruce (1768), der die Quelle des Blauen Nils besucht hatte. Über Südafrika brachte Peter Kolbe 1719 die ersten näheren Nachrichten. Sonst wußte man eigentlich nur über Senegambien und die Berberei, hier durch den Engländer Th. Shaw (1738), leidlich Bescheid. Ein Festland dicht vor den Toren des Abendlandes, an dem die Schiffe aber doch nur flüchtig vorüberzogen! An der Nordküste Korsaren, welche jedes europäische Schiff kaperten, die Weißen in die Sklaverei schleppten und den Fremden fanatischen Haß entgegenbrachten. An den anderen Küsten nackte Schwarze und Braune, die um eine Glasperle oder um Tabak bettelten, armseliges Volk, das sich grade noch zur Sklaverei in den Plantagen Westindiens schickte. Alles abschreckend, nichts verlockend, dazu die grelle Sonne und die drückende Hitze, die quälende Langeweile und das todbringende Fieber in den Küstenfaktoreien. Und nichts zu holen als ein bißchen Palmöl und Rindvieh, ein wenig Elfenbein und Goldstaub, d. h. wenn man die schwere Brandung überwunden hatte, die auf den Küsten stand. Und doch, irgendwie war da etwas Lockendes, etwas, das die Einbildungskraft anreizte, ein Geheimnis voll der Rätsel. Da mußten doch gewaltige Ströme rauschen, da mußten endlose Urwälder wogen, da mußten Gebirge bis zum Himmel emporragen. Und von nie gesehenen Tieren und Untieren mußte das Land wimmeln, von Elefanten und Flußpferden und Nashörnern, von Giraffen und Antilopen und Buckelochsen, von Löwen und Pantern und Affen und Papageien... Wer kann alle die Namen wissen und behalten. Mohren ohne Köpfe, wohl aber mit Schwänzen oder mit einem Auge auf der Brust - all so etwas sollte es in Afrika geben. Und wenn nie jemand diese Wunder gesehen hat, dann... nun dann tragt sie wenigstens in die leere Karte dieses Festlandes ein, damit sie voller aussieht. Ja, die armen Kartenzeichner jener Zelt, was sollten sie denn anders anfangen? Der Umriß der Küste, eine Anzahl Hafenorte, etliche Mündungen oder gar Unterläufe von Flüssen, ein paar kleine Dreiecke, die ein Gebirge vorstellen sollten, ein paar Namen aus Altertum und Gegenwart - und das weite Innere wäre leer geblieben. Und das geht doch aus künstlerischen Rücksichten nicht gut an, auch will der Käufer der Karte etwas für sein Geld haben. Also laß die Phantasie den leeren Raum mit erfundenen Flüssen und nie gesehenen Bergketten, mit Fabeltieren und schönen Namen bevölkern, dann ist jeder zufrieden, und die Charte macht sich an der Wand so nett. In diesen Wirrwarr von Wissen und Wünschen, von Sinn und Unsinn, voll Ahnen und Raunen griff im Jahre 1749 mit unerbittlicher Kritik der Kartograph J. B. Bourguignon d'anville, indem er eine Karte von Afrika schuf, auf der er nur solche Angaben eintrug, die er für verbürgt hielt. Diese Karte ist die Operationsbasis für alle Entdecker geworden, die sich vom Ende des 18. Jahrhunderts an in steigender Zahl der Erforschung des dunklen Erdteiles zuwandten. Diese Karte bedeutete die erste klare Problemstellung der Afrikaforschung, und die Reisenden der African Association sind stets von ihr ausgegangen. Erst auf Grund dieser Karte wurde es möglich, einzelne Aufgaben klar ins

7 Auge zu fassen und von irgendeiner Seite her anzugreifen. Der Geograph James Rennell ergänzte 1790 d'anvilles Karte durch eine neue kritische Zusammenfassung des über Nordafrika vorhandenen Stoffes. Entsprechend der flachen Auffassung jener Zeit von einem Erdteil und einem Lande, deren Erfülltheit mit zahlreichen Gegenständen der Natur und Kultur nicht leicht als Ganzheit erfaßt wird, richteten die Entdeckungsreisenden ihr Hauptaugenmerk auf große Ströme, da diese sich mit klaren Linien auf einer Karte abheben. So haben in der Erforschungsgeschichte Afrikas Nil und Niger, Kongo und Sambesi, in zweiter Reihe Senegal und Gambia, Limpopo und Oranje im Vordergrunde gestanden. Die glänzenden Leistungen der ersten Durchquerungen der Wüste Sahara galten nur als Wege, die zu einem lohnenderen Ziele, dem Niger, führen sollten; hiermit hängt es zusammen, daß die Natur solcher Strecken damals wenig beachtet, nicht klar erkannt und meist schlecht geschildert wurde. Erst sehr spät hat das Abendland gute Landesbeschreibungen erhalten. Im Jahre 1788 wurde in London die African Association gegründet, eine Gesellschaft, die sich die Aufgabe einer Erforschung Afrikas auf wissenschaftlicher Grundlage stellte, aber zu Zwecken der Erkundung neuer Absatzgebiete für den englischen Handel und die damals aufkommende Industrie. England hatte seine vielversprechende nordamerikanische Kolonie verloren und hielt nach einem Ersatz Ausschau, wobei es ebenso vorsichtig wie planvoll vorging. Die Sendboten der Gesellschaft, großenteils übrigens Deutsche, setzten an den verschiedensten Punkten der Küste an und strebten nach einem ihnen im Binnenlande gesteckten Ziele hin. Viele kamen durch Tropenkrankheit oder durch Mörderhand um, andere erreichten ihr Ziel und kehrten ruhmgekrönt zurück. Daß damals schon die Abenteuerlust eine so große Rolle wie später gespielt hat, möchten wir bezweifeln. Uns will vielmehr scheinen, daß die Lust zum Abenteuer erst durch die Schilderungen jener frühen Afrikaforscher in der heranwachsenden Jugend des Abendlandes geweckt worden ist und dann freilich, etwa seit den 1830er Jahren, ein starker Anreiz wurde, Afrikareisender zu werden. Mit ihr paarte sich zuletzt auch die Sucht, berühmt zu werden, wie denn das Wort "Afrikareisender" in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geradezu eine ehrenvolle Berufsbezeichnung war. Sahara und Sudan Eines der Hauptziele der African Association waren die Länder des Sudans, in denen man eines oder mehrere Strom- und Seengebiete vermutete und in diesen gute Verkehrswege erhoffte. Senegal, Niger und Nil erschienen als ungelöste Rätsel, und die Stadt Timbuktu glitzerte wie ein Irrlicht mitten darin umher. Im Jahre 1796 glückte es dem Schotten Mungo Park, vom Gambia her den Niger bei Segu zu erreichen und seine östliche Richtung festzustellen, womit frühere Vermutungen, er sei nur der Oberlauf des Senegals, zusammenbrachen. Fünf Jahre später wurde der Niger viel weiter östlich von dem Deutschen Friedrich Hornemann, der hier an der Ruhr starb, im Raume Nufi berührt. Schon ein Jahr nachher äußerte der deutsche Stubengeograph C. G. Reichard die Ansicht, das Küstenland weiter im Süden müsse das Mündungsgebiet des Nigers sein. Mungo Park selber hat dann den Strom fast von der Quelle an auf dem größten Teile seiner Erstreckung verfolgt, bis er bei Nussa auf der Flucht vor Eingeborenen in ihm ertrank. Die alte Handelsstadt Timbuktu, die am Scheitel des Nigerbogens, aber etwas abseits vom Flusse liegt, wurde von Mungo Park nicht betreten; ihr erster europäischer Besucher war der Engländer Gordon Laing 1826, der aber auf der Rückreise ermordet wurde, ihr erster Schilderer war der Franzose René Caillié Der Unterlauf des Nigers aber wurde erst 1830 durch den Engländer Richard Lander erkundet. Mehrere zur Klärung der Nigerfrage bestimmte Expeditionen gingen von der Nordküste Afrikas aus oder endeten hier; sie trugen damit zur Erforschung der vorher nie bereisten Wüste Sahara bei. Der

8 erste Beschreiber des Südostens der Libyschen Wüste war der Engländer W. G. Browne, der erste Durchquerer der Sahara aber der Deutsche Friedrich Hornemann, der von Kairo über Audschila und Mursuk (mit Abstecher nach Tripolis) bis Kuta wanderte und von hier aus über Katsena und Sokoto zum Niger gelangte, so daß er auch als erster den mittleren Sudan kennengelernt hat. Leider hat sein früher Tod verhindert, daß seine Beschreibung der südlich von Mursuk gelegenen Strecken bekannt geworden ist. Auch von Gordon Laing gelangten keine Aufzeichnungen über seine Reise von Tripolis über Rhadames, Tuat und Taodeni bis Timbuktu in die Heimat. Dagegen konnte René Caillié über seine Durchquerung der westlichen Wüste von Timbuktu über Taodeni nach Fes ausführlich berichten. Noch vor diesen beiden Reisenden haben die Engländer Denham, Clapperton und Oudney die Sahara von Tripolis über Mursuk nach Kuka durchwandert und sind von hier über den Niger nach Lagos gegangen. Die Kenntnis der Natur der Sahara wie des mittleren und westlichen Sudans ist aber erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an so weit gefördert worden, daß man sich von der Gestaltung und Landschaft des Raumes sowie von den Verhältnissen seiner Bewohner ein zutreffendes Bild machen konnte. Hierzu trugen vor allem die Reisen der drei Deutschen Heinrich Barth, Gerhard Rohlfs und Gustav Nachtigal sowie des Franzosen Henri Duveyrier bei. Heinrich Barth, mit der englischen Expedition James Richardsons von Tripolis 1850 aufbrechend, erforschte den Weg von Mursuk über Rhat nach Katsena und Sokoto, unterwegs als erster auch einen Teil der Tuarigländer (Aïr) kennenlernend. Sodann reiste er nach Timbuktu, untersuchte das Negerreich Bornu genau, stieß als erster bis zum Benue vor und gab die erste eingehende und zuverlässige Schilderung von Timbuktu; 1885 kehrte er über Bilma und Mursuk nach Tripolis zurück. Barth hat die Unabhängigkeit des Tschadnetzes vom Nigernetze aufgedeckt und damit die alte Vermutung eines Zusammenhanges von Niger und Nil erledigt; die Entdeckung Aïrs, des Benue, des Mendifgebirges sind weitere Ruhmesblätter in seinem Kranze, dessen Fülle freilich in erster Linie aus der eingehenden und durchweg richtig unterbauten Beschreibung der durchreisten weiten Ländergebiete und ihrer Völkerverhältnisse erblüht. Gerhard Rohlfs hat sich vor allen Dingen um den Norden Nordafrikas verdient gemacht, den er zwischen 1862 und 1879 auf sechs Reisen durchwandert hat, wobei er die Sahara auch nach Kuka durchquert hat und dann durch den Sudan bis Lagos durchgestoßen ist. Treten Rohlfsens Beobachtungen zwar hinter denen Barths an Schärfe zurück, so stehen doch auf seinem Ehrenschilde: die erste wissenschaftlich gegründete Übersteigung des Hohen Atlasses in Marokko und die Entdeckung der großen Oasen Tuat, Tidikelt, Insalah und Kufra. Das Wüstengebiet zwischen Mursuk, Rhat und Südalgerien wurde zuerst von Henri Duveyrier bereist und ebenso umsichtig wie eingehend beschrieben. Gustav Nachtigal durchwanderte die mittlere Sahara und die Osthälfte des Sudans, wobei er als erster das Gebirgsland Tibesti, die Weideländer Kanem und Borku, den Scharistrom und das Land Barhirmi, endlich noch die Reiche Wadai und Darfor entdeckte. Sein Reisewerk zeichnet sich vor allen anderen durch groß angelegte und fein durchgeführte Landeskunden der durchwanderten Einzelgebiete aus, die ihn an die Spitze aller Afrikareisenden stellen. Neben diesen Heroen der Sahara- und Sudanforschung steht noch eine ganze Anzahl von Männern, denen das Geschick einen ersten Platz versagt hat, die aber doch auch ihr Teil zur Entdeckung beitrugen und von denen mancher es mit dem Leben bezahlte. Da sind die Deutschen Eduard Vogel, Moritz von Beurmann und Erwin von Bary, von denen keiner heimgekehrt ist. Vogel hat 1853 auf der Strecke Mursuk-Kuka die ersten astronomischen Ortsbestimmungen gemacht und ist bis Wadai gelangt, wo er ermordet wurde. Beurmann reiste 1861/62 von Benrhasi über Audschila durch Ostfesan nach Kuka und verlor 1863 sein Leben in Kanem. Bary, der 1875 bis 1877 in Tripolitanien reiste und bis nach Aïr vordrang, starb in Rhat. Eine bedeutende Reise machte 1880 der Deutsche Oskar Lenz, der von Marokko aus über Taodeni nach Timbuktu wanderte und eine weit bessere Beschreibung des Weges als sein wenig gebildeter Vorgänger Caillié lieferte.

9 Während Algerien im Gefolge seiner Besetzung durch die Franzosen (1830) sehr bald in amtliche Erforschung genommen wurde, entwickelte sich die Kenntnis des fremdenfeindlichen Sultanates Marokko sehr langsam und nur unter schweren Verlusten an Leib und Leben. Genannt seien hier lediglich der Franzose Charles de Foucauld ( ) und der Deutsche Theobald Fischer. Um die Kenntnis der Tuarigländer machte sich Ferdinand Foureau in den 1890er Jahren, um die der westlichen Sahara der Franzose Augiéras verdient, und Tibesti wurde 1915 durch Tilho von Süden her erreicht. In der Libyschen Wüste sind außer dem Engländer Harding King und dem Ungar L. E. Almásy zwei Ägypter gereist; 1923 querte Hassanein als erster den Südteil auf dem Wege von Kufra über Auenat zum See Merga, und 1925/26 hat Kemal e'din Hüssein von Dachel aus Auenat mit Raupenautos erreicht. Die Erforschung des westlichen Sudans machte namentlich durch Franzosen Fortschritte, und Louis Binger durchwanderte 1887/88 Senegambien und Oberginea. In dem durch Wüsten vom übrigen Nordafrika fast völlig abgesonderten Nilgebiete lockte die Forscher zuerst die Verfolgung des Nilstromes selber, dann aber besonders die Festlegung seiner Quellen, die man sich entweder auf dem seit dem Altertum sagenhaft vermuteten Mondgebirge oder in großen Seen vorstellte. Ägypten, die Eintrittspforte des Raumes, wurde durch die Gelehrten der Bonaparteschen Besatzungsarmee um 1800 eingehend durchforscht und dem Abendlande geistig erschlossen. Der Pascha dieser fast unabhängigen türkischen Provinz, Mehemed Ali, öffnete der europäischen Forschung durch seine im Jahre 1820 erfolgende Eroberung Nubiens ein neues Gebiet, in welchem aber der Deutsche Ludwig Burckhardt schon kurz vorher, nämlich 1813/14, durch Bereisung eines Teiles des Nilbogens und der Wüstenstraße Assuan-Schendi-Suakin grundlegende Forschungen ausgeführt hatte. Der Franzose Frédéric Caillaud durchforschte zwischen 1815 und 1822 die Nilländer aufwärts bis Sennar, sein Landsmann Adolphe Linant de Bellefonds erkannte 1827 den Weißen Nil, an dem er bis 13 südwärts vordrang, als den Hauptarm, wofür bis dahin der Blaue Nil gegolten hatte. Die Deutschen Eduard Rüppel ( ) und Joseph Russegger (1837/38) bereicherten die wissenschaftliche Kenntnis des Raumes bedeutend, und letzterer legte ebenso wie die beiden Brüder d'abbadie ( ) den Grund zur Landeskunde von Abessinien. Der englische Händler John Petherick bereiste in den Jahren zwischen 1853 und 1858 das Gebiet des Bachr el Rhasal, den er für den Hauptstrom des Nilnetzes hielt. Die eigentliche Beantwortung der Nilquellfrage aber wurde von der Küste Ostafrikas aus vorgenommen. Der Engländer John Speke erreichte 1858 vom Tanganjikasee aus den Viktoriasee, den er für einen der lang gesuchten Nilquellseen ansah. Im Jahre 1862 erreichte er in Uganda den Austritt des Nils aus dem Viktoriasee und verfolgte den Strom abwärts bis Gondokoro, wo er den Anschluß an das von Norden her erkundete Gebiet fand. Sein ihm hier entgegenkommender Landsmann S. W. Baker entdeckte 1863/64 den Albertsee und die Einmündung des Nils in ihn, doch fand die gar nicht weit davon entfernte Antrittstelle erst der Italiener Gessi im Jahre Die wirkliche Quelle des Nils, jene des in den Viktoriasee laufenden Kagera, entdeckte 1901 der Deutsche Richard Kandt. Um das weitverzweigte Flußnetz des Weißen und des Gebirgsnils haben sich in den 1860er Jahren vor allem die Deutschen Werner Munzinger und Theodor von Heuglin verdient gemacht. Die Übergangsräume vom Nil- zum Kongonetze aber haben grundlegend erforscht die Deutschen Georg Schweinfurth ( ) und sein Nachfolger Wilhelm Junker ( ). Namentlich der erstere hat das Gebiet des Bachr el Rhasal wissenschaftlich eingehend erforscht, hat mit der Entdeckung des großen Stromes Uelle den Anschluß an das Flußnetz des Kongobeckens gefunden und die Völker der Njamnjam, Monbuttu und Akkazwerge entdeckt.

10 Südafrika In der niederländischen Zeit reichte die weiße Besiedlung durch Buren noch nicht weit landeinwärts, wo überall unabhängige und z. T. sehr kriegerische Eingeborenenstämme hausten. Für die wissenschaftliche Erforschung geschah wenig, und eine Reise, wie Willem van Remen sie 1791/92 von der Kapstadt über das Hochland bis nordwärts Windhuk ausführte, sticht schon hervor. Die wissenschaftlich bedeutendste Reise der älteren Zeit machte der deutsche Zoologe Hinrich Lichtenstein , der das erste eindringliche und anschauliche Bild der Karru und der Bantu zeichnete. Den Buren wurde das innere Hochland erst durch die in den 1830er Jahren einsetzenden großen Trecks bekannt, doch hätte die wissenschaftliche Erforschung hiermit nicht ohne weiteres Schritt gehalten, wenn sich nicht 1834 eine Kapgesellschaft zur Erforschung Zentralafrikas gebildet hätte. Weiter im Norden, wo an der West- wie an der Ostküste die Portugiesen saßen, wurden von etlichen Mulatten (sog. Pombeiros) in den Jahren 1796, 1802 und 1814 größere Reisen von der Westküste aus unternommen, von denen die eine sogar das ganze Festland bis zur Ostküste durchquerte. Aber sie wurden erst Jahrzehnte später bekannt und blieben auch ohne bedeutenderen geographischen Ertrag; dies gilt ebenso von der zweiten westöstlichen Durchquerung Afrikas durch den portugiesischen Händler Silva Porto auf der Linie Benguela-Rovuma in den Jahren 1852/53. Über Südwestafrika brachten die Jagd- und Streifzüge des Schweden Karel Andersson, der nordwärts bis zum Ngamisee und Kubango gelangte, und über den Süden von Angola die Fahrten des Ungarn Ladislaus Magyar viel Neues; beide fallen in die 1850er Jahre. Alle diese Reisen treten aber weit zurück hinter denen des Schotten David Livingstone, der von den 1840er Jahren bis in den Anfang der 1870er Jahre die Erforschung Südafrikas von der Kalahari nordwärts bis zum Tanganjikasee geradezu in Pacht genommen hatte. In drei langjährigen Aufenthaltszeiten hat dieser Mann, der als Missionar nach Südafrika kam und im schwarzen Erdteil völlig heimisch wurde, seine Lebensaufgabe erfüllt. Während des ersten Aufenthaltes (1841 bis 1856) unternahm er in den Jahren von Betschuanaland aus weite Forschungsreisen nach Norden. Die Glanzpunkte der dabei gemachten Entdeckungen waren der Ngamisee und die Erkenntnis der Kalahari als schwellenumrahmtes Hochbecken 1849, ferner die Auffindung des Sambesi 1851 und die fast vollständige Festlegung seines Laufes (1852 bis 1856), wobei er die gewaltigen, von ihm zuerst gesehenen Wasserfälle seiner jungen Königin Viktoria zu Ehren benannte. In den Jahren 1855 und 1856 ergab sich aus diesen Reisen die erste Durchquerung Afrikas durch einen Abendländer (Loanda-Quelimane). Während seines zweiten Afrikaaufenthaltes ( ), diesmal nicht mehr als Missionar, sondern als englischer Beauftragter, vertiefte er auf acht Reisen die Kenntnis des Sambesigebietes und entdeckte 1859 den Njassasee und den Schirwasee. Der dritte Afrikaaufenthalt ( ) führte ihn zur Beschäftigung mit den zwischen Sambesi und Nil gelegenen Ländern und zum Suchen nach den Quellen des Nils. Er legte den Lauf des Rovuma fest, entdeckte das Südende des Tanganjikasees, den Merusee, den Luapulafluß, den Bangweolosee sowie schließlich den Lualabe(-Kongo), den er irrtümlich für den Quellauf des Nils hielt. In der Nähe des Bangweolosees ist er 1873 gestorben. Seine Forscherleistung steht, sowohl was das Glück des Zuerstkommens wie die wissenschaftliche Durcharbeitung der Beobachtungen angeht, in Afrika mit an erster Stelle. Ergänzende Arbeit zu Livingstones Sambesiforschungen lieferten die Engländer Thomas Baines und James Chapman, die von Walfischbai über den Ngamisee zu den Viktoriafällen des Sambesi wanderten, ferner der Portugiese Serpa Pinto, der von Benguela aus das Gebiet des oberen Sambesi bereiste und über die Viktoriafälle nach Pretoria ging, sowie schließlich seine Landsleute Roberto Ivens und Brito Capello, die 1884/85 im westlichen und nördlichen Sambesigebiete das Gewässernetz klären halfen. Der Deutsche Karl Mauch hat in der Zeit von in Transvaal und im Matabelelande, namentlich in den Grenzstrichen zwischen Limpopo und Sambesi, die Grundlagen der Kenntnis geschaffen; dort entdeckte er die alte Ruinenstätte Simbabje und ergiebige Goldminen. -

11 Die von Regenwäldern und Sawannen bedeckte Mitte des dunklen Erdteils ist zuallerletzt entschleiert worden. Im Jahre 1848 erblickten die deutschen Missionare L. Krapf und J. Rebmann aus der Ferne die Schneegipfel des Kilimandscharo und Kenia - ein Wunder, das ihnen kaum geglaubt wurde. Neun Jahre später durchquert der Engländer Richard Burton als erster das Hochland Ostafrikas von Bagamoso bis Udschidschi und entdeckte den riesigen Tanganjikasee. Sein Begleiter John Speke wandte sich von dort gen Nordosten und traf 1858 auf den Viktoriasee. Auf einer zweiten Reise wanderte John Speke von Sansibar quer durch das Hochland zum Viktoriasee und betrat Uganda, während sein Begleiter J. Grant Unjoro bereiste. Der Albertsee, 1863 von S. W. Baker entdeckt, wurde 1877 durch Mason genauer erforscht. Im Anfang der 1860er Jahre widmete sich der Deutsche Karl v. d. Decken wissenschaftlicher Einzelarbeit in Ostafrika. Die unerwartet gewaltige Größe des Viktoriasees wurde 1875 von dem Walliser H. M. Stanley festgestellt. Der Engländer Joseph Thomson trug viel zur Erkundung Uhehes und des Gebietes zwischen Tanganjika- und Njassasee bei; Geologe von Fach, war er es, der zuerst die Grabennatur des Tanganjika erkannte. Im Jahre 1883 hat er den Kilimandscharo und das Land der Massai genauer untersucht; doch ist als erster guter Beobachter der Massai der Deutsche G. A. Fischer (1882/83) zu nennen, der auch die Grabensenke des Natron- und Naiwaschasees sowie den Meru studierte. Weiter nördlich brachte die Reise des Deutschen Ludwig Höhnel in Begleitung des Grafen Teleki, die von Bagamojo ausgingen, 1888 die Entdeckung des Rudolfsees und des Stephanisees. Der Italiener Vittorio Bottego durchquerte 1892 von Berber aus über die Flüsse Webi und Dschubia und 1895 von Osten her nach dem Rudolfsee und bis in das Gebiet des Sobat hinein die nördlichen Teile Ostafrikas. Die beiden schneegekrönten Riesenberge Kilimandscharo und Kenia wurden zuerst von Hans Meyer (1889) und H. Mackinder (1899) bis zum Gipfel erstiegen. Die Boden- und Flußverhältnisse der westlichen Hälfte Mittelafrikas waren noch bis in die Mitte der 1870er Jahre vollkommen unbekannt. Zwar wußte man durch portugiesische Händler, durch L. Magyar und durch D. Livingstone, daß im Süden eine Anzahl nordwärts laufender Flüsse vorhanden war. Auch die Kongoquelle des Luapula und Lualaba waren 1868 und 1869 von Livingstone berührt worden. Dieser hielt sie für Oberläufe des Nils und sagte sich, nachdem er 1872 zusammen mit Stanley den Nordteil des Tanganjikasees befahren hatte, nur ungern von seiner falschen Meinung los; im Gegensatze zu ihm hatte der deutsche Stubengeograph Ernst Behm sofort scharfsinnig auf einen Zusammenhang des Lualaba mit dem (damals nur an seiner Mündung bekannten) Kongo geschlossen. Die Zugehörigkeit des Tanganjikasees zum Kongonetze wurde aber schon durch den Engländer Lovett Cameron erwiesen, der im Lukuga den Westabfluß des Tanganjikasees zum Lualaba entdeckte. Der Vergleich zwischen Meereshöhen des Lualaba bei Njangwe und der Austrittstelle des Nils aus dem Albertsee, die 130 m höher als jener liegt, vernichtete die Meinung, der Lualaba gehöre zum Nilnetze, endgültig. Camerons Reise von der Ostküste zur Westküste stellt übrigens die erste Durchquerung Afrikas in westlicher Richtung dar. Die Lösung der schwierigen Frage brachte 1870/77 die Befahrung des Kongolaufes von Njangwe bis zur Mündung durch den Walliser Henry Morton Stanley, der damit eine Glanzleistung afrikanischer Entdeckung ausführte. Hinterher ging er, im Bunde mit dem Könige der Belgier, sehr bald an die wirtschaftliche Ausbeutung des waldreichen Kongobeckens, das zu einem besonderen Kongostaate erklärt wurde. Von Forschern haben sich in dessen Süden besonders die Deutschen Paul Pogge ( ) und Hermann Wissmann verdient gemacht, welch letzterer 1884/85 mit seinen Mitarbeitern das Stromnetz des Kassai aufklärte. Stanley selber hat 1887/88 das Gebiet des Kongonebenflusses Aruwimi bereist. Graf Götzen entdeckte 1893 den Kiwusee und die Kirungafeuerberge. Das sumpfreiche Urwaldgebiet westlich des unteren Kongos und im Bereiche des Ogowe ist durch den Franzosen Savorgnan de Brazza zwischen 1876 und 1883 gründlich durchforscht worden. Im Hinterlande von Oberginea und bis zum Sudan hinein zeichneten sich in den 1870er und 1880er Jahren der Deutsche Robert Flegel und der Franzose Louis Binger aus, welch letzterer 1888 die sagenhafte Negerstadt Kong betrat. Zwischen Kongo und Tschad leisteten 1910 bis 1911 die Gelehrten der Expedition des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg Ersprießliches.

12 Wie die Kolonien unser wurden Die koloniale Idee beruht darin, daß ein Volk von großer Leistungshaftigkeit den Drang verspürt, über seinen engeren Rahmen hinaus auf andere Räume oder Völker zu wirken und deren Entwicklung in neue Bahnen zu lenken. Sie ist das volkliche Gegenstück zu dem Drange, den der einzelne Entdecker verspürt, wenn es ihn in nie betretene Länder treibt. Nur Völker, denen der eigene Raum nicht mehr genug ist, verschreiben sich der kolonialen Idee, sei es nun, daß der Boden die wachsende Bevölkerungszahl nicht mehr ernährt, oder daß die Industrie nach gesicherter und billiger Einfuhr von Rohstoffen verlangt, oder einfach, daß nationaler Ehrgeiz und Machtstreben nach einer Beherrschung recht weiter Ländergebiete streben und aus diesen farbige Rekruten zu gewinnen suchen. Auch rein militärische Notwendigkeiten können einen Staat veranlassen, zur Behauptung seines Lebensraumes und zur Sicherung seiner Weltstellung koloniale Stützpunkte anzulegen. Manchmal spielte auch der Wille nach Bekehrung Andersgläubiger mit, besonders bei Christentum und Islam. Die erste deutsche Kolonialbewegung - wir sehen von den germanischen früherer Zeiten ab, wie der Besiedlung Britanniens durch Angeln und Sachsen von Holstein und der Niederelbe her - begann im 12. Jahrhundert und gewann innerhalb von zweihundert Jahren ein menschenarmes Gebiet zurück, das dem Altsiedellande an Weite gleichkam und sehr bald nicht mehr als Kolonialland empfunden wurde. Die beiden nächsten Kolonialversuche waren handelspolitischer Art, indem die Welser 1527 in Venezuela und der Große Kurfürst von Brandenburg 1680 an der westafrikanischen Goldküste Faktoreien anlegen ließen. Die damalige staatliche Zerrissenheit des deutschen Volkes verhinderte jede Möglichkeit zu Kolonialgründungen, nur die Holländer schufen sich im 17. Jahrhundert ein stattliches Kolonialreich, dessen Schwerpunkt in Indien lag. Aber auch die Menschen im Reiche, aus dessen Verbande die Holländer 1648 austraten, verloren das Ausland keineswegs aus den Augen, ja sie blickten nur zu viel dorthin, denn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte eine Auswanderung meist ärmerer Volksgenossen ein, die sich im 19. Jahrhundert auf viele Jahrzehnte hin bis zu Jahressummen von fast einer Viertelmillion gesteigert hat. Die Besiedlung Ungarns, die Einführung des Ackerbaus in der südrussischen Steppe, die daraufhin zur Kornkammer des Zarenreiches entwickelt wurde, die Kolonisierung Nordamerikas von der Ostküste her, die Besiedlung eines Teiles von Südbrasilien und Südostaustralien - das alles sind Leistungen, welche die Besitzer jener Länder allein und von sich aus nicht in solchem Maße und solcher Schnelligkeit fertiggebracht hätten. Die neuzeitliche Kolonialidee erwachte im ersten Jahrzehnt des jungen Kaiserreiches, dessen außenpolitische Sicherstellung auf ihr Schicksal entscheidenden Einfluß ausübte. Bismarcks Politik lief auf Sicherung seiner Schöpfung hinaus, als deren Garantie er eine Isolierung Frankreichs und die Verhinderung eines französisch-russischen Bündnisses ansah. Deshalb legte er, neben der Freundschaft Österreich-Ungarns, den allergrößten Wert auf die Freundschaft Rußlands und durfte sich erst 1881 durch Errichtung des Dreikaiserbundes für gesichert halten. Dies um so mehr, als England wegen verschiedener Zerwürfnisse mit Frankreich, namentlich hinsichtlich Ägyptens, und auch in Besorgnis vor Rußlands Vordringen in Mittelasien, um seine Freundschaft warb. Niemals vorher hatte das junge Reich so gesichert dagestanden. Und das war der Augenblick, in dem Bismarck es glaubte wagen zu können, dem Drängen der Nation nachgebend, Übersee- und Kolonialpolitik zu treiben! Ungefähr gleichzeitig mit der Ausschaltung Österreichs aus dem Deutschen Bunde begannen im hansischen Nordwesten des Reiches Kauffahrteischiffahrt und Kolonialhandel sich stärker als vorher zu regen. Seit der Gründung des Reiches empfand der deutsche Kaufmann in Übersee, der ja jetzt stolz auf seinen Staat blicken durfte, daß er von dem überall vertretenen englischen Kaufmann und Beamten weniger duldsam als bisher behandelt wurde. Deutsche Kaufleute, die auf den Fidschiinseln lebten, vermochten in London trotz jahrelanger Bemühungen kein Gehör zu bekommen. Ende der 1870er

13 Jahre begannen die Bücher von Hübbe-Schleiden, Fabri und von Weber für koloniale Fragen im deutschen Volke Stimmung zu machen, wobei Fabri und Weber besonders auf Südafrika als ein neues Ziel der damaligen deutschen Massenauswanderung hinwiesen. Bismarck, der einen Finger stets am Pulse seines Volkes hielt, beschloß, dessen Stimmung für Gründung von Kolonien auf eine vorsichtige Probe zu stellen. Er brachte 1889 im Reichstag eine Vorlage ein, wonach dem in der Südsee arbeitenden deutschen Handelshause Godeffroy eine Unterstützung gewährt werden sollte. Als diese sogenannte Samoavorlage von der Mehrheit nicht angenommen wurde, schloß er, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit noch nicht reif für koloniale Politik sei, und stellte eine solche einstweilen zurück. Aber der Durchfall der Samoavorlage brachte trotzdem den Stein ins Rollen, denn die darob ausbrechende Entrüstung trieb eine erste Woge kolonialer Begeisterimg durch das deutsche Volk, und im Jahre 1882 entstand daraus der Deutsche Kolonialverein. Und als nun im gleichen Jahre England und Frankreich ihre Gebiete an der Küste von Sierra Leone abgrenzten, ohne sich um die Belange dortiger deutscher Kaufleute zu kümmern, da ersuchte Bismarck die Hansestädte um eine Stellungnahme zu den dort berührten Fragen. Im Juli 1883 erhielt er von der hamburgischen Handelskammer eine Denkschrift, in welcher um Verträge mit in Afrika beanteiligten Ländern, um Stationierung von Kriegsschiffen in den westafrikanischen Gewässern und gegebenenfalls um Besetzung der Bucht von Kamerun gebeten wurde. Schon vorher aber, nämlich im November 1882, hatte der bremische Kaufmann A. Lüderitz um den Schutz des Reiches für geplante Erwerbungen an der Küste Südwestafrikas nachgesucht. Es war die Zeit, als Bismarck das Reich in Europa für völlig gesichert ansehen durfte, und angesichts des Drängens der Volksmeinung war er durchaus nicht abgeneigt, Kolonialpolitik zu treiben. Allerdings wünschte er, wenigstens anfänglich, nicht eine Errichtung staatlicher Kolonien, da er dem Reiche hohe Ausgaben für Verwaltung und Sicherung ersparen wollte, sondern er dachte an die Tätigkeit geldkräftiger Privatgesellschaften, denen das Reich nur seinen Schutz für den Fall kriegerischer Verwicklungen zuzusagen brauchte. Diese Auffassung war ein Nachhall der liberalmanchesterlichen Lehre, daß es für einen Staat vollkommen genüge, ein Überseeland wirtschaftlich zu beherrschen, ohne es aber auch politisch zu besitzen - eine Lehre, die grade in jener Zeit in England der neuen imperialistischen Eroberungslehre zu weichen begann. Immerhin erkannte Bismarck, daß, wenn man schon Kolonialpolitik treiben wollte, man nicht lange zögern durfte, denn offensichtlich setzte damals eine Art Wettrennen um afrikanischen Boden ein, hatte doch Frankreich 1881 Tunisien, England aber 1882 Ägypten besetzt. Ein glückliches Zusammentreffen politischer Ereignisse erlaubte dem Reichskanzler, 1884 in Westund Ostafrika England gegenüber koloniale Wünsche anzumelden und mit schneller Energie durchzusetzen. England sah sich in Mittelasien durch das Vordringen der Russen gegen die Grenzen des Pufferstaates Afghanistan und am Nil durch den rasch um sich greifenden Aufstand des Mahdi bedroht. Außerdem war es mit Frankreich verfeindet, einmal wegen der Auseinandersetzung über die Finanzverhältnisse Ägyptens, aus welchem es Frankreich eben erst verdrängt hatte, andermal aber wegen eines mit Portugal abgeschlossenen Vertrages, der die französischen und belgischen Belange am Kongo berührte. Das war die Stunde, die Bismarcks feines Ohr genau schlagen hörte, und in dieser Stunde gab er den Bitten der hansischen Handelskammern und der Bitte des Kaufmanns Lüderitz um Reichshilfe für seine in Südwestafrika gemachten Landkäufe Gehör. Im Juli 1884 fuhr der deutsche Generalkonsul von Tunis, der berühmte Afrikareisende Gustav Nachtigal, als Reichskommissar nach Westafrika, um an verschiedenen Küstenpunkten die deutsche Flagge zu hissen. Im Jahre 1883 schloß Kaufmann Adolf Lüderitz von seiner an der Bucht Angra Pequena errichteten Faktorei aus mit etlichen Eingeborenenhäuptlingen Verträge über Landrechte ab. Im folgenden Jahre wurde sein Besitz, nachdem England ihm Schutz versagt hatte, unter den des

14 Reiches gestellt; doch hielt England weiter nördlich an der Walfischbai, die es 1878 in Besitz genommen hatte, fest. Im Jahre 1890 wurden die Grenzen der neuen Kolonie Deutsch- Südwestafrika gegen britischen und schon 1886 im Norden gegen portugiesischen Besitz festgelegt. Im Juli 1884 wurden an den Gineaküsten, wo deutsche Händler arbeiteten, durch Gustav Nachtigal die beiden Gebiete Togo und Kamerun für deutsch erklärt. Die Grenze Togos gegen den französischen Nachbar wurde 1887, die gegen den englischen 1890 festgelegt. Die Grenzen Kameruns erhielten 1893/94 eine klare Linienführung, aber im Jahre 1911 wurde dieses Schutzgebiet um über die Hälfte durch Angliederung französischen Raumes vergrößert, der uns bis an den Kongo und Uelle brachte. Ende 1884 ging Carl Peters nach Ostafrika und erwarb für seine Gesellschaft im Hinterlande Bagamojos von den eingeborenen Häuptlingen ein größeres Landgebiet, dem 1885 der Schutzbrief des Reiches ausgestellt wurde. Als aber die Gesellschaft im Jahre 1888 vom Sultan von Sansibar die Zollrechte an der Küste in Pacht genommen hatte, erhoben sich die arabischen Händler, die besonders um ihren Sklavenhandel fürchteten, und das Reich bestellte den Hauptmann und Afrikareisenden Hermann Wissmann, um den Aufstand niederzuwerfen. Im Gefolge dieses Rückschlages übernahm das Reich 1890 das Gebiet der Gesellschaft als Schutzgebiet; der Gedanke einer Kolonisierung durch eine private Gesellschaft hatte sich als nicht haltbar erwiesen. Im gleichen Jahre regelte der Sansibarvertrag die Abgrenzung, wobei Wituland sowie die Inseln Sansibar und Pemba an England kamen und auf das von C. Peters im gleichen Augenblick erworbene Uganda von vornherein verzichtet wurde. Die Erforschung der Kolonien Die erste Kunde von dem Raume unserer Kolonien drang zu ganz verschiedenen Zeiten ins Abendland. An der Küste von Südwest haben schon die ersten portugiesischen Schiffer Gedenkkreuze ihrer Fahrten errichtet: Diogo Cão 1485 am Kap Croß und Bartolomeu Diaz weiter südlich 1487 an der Lüderitzbucht. Und englische wie amerikanische Walfänger haben an dieser durch kaltes Auftriebwasser fischreichen Küste schon Ende des 18. Jahrhunderts Walfang betrieben, während Engländer seit 1843 auf Küsteninseln Guano abbauten. Es war auch schon 1761, daß der Bur Hendrik Hop von Kapstadt aus auf Goldsuche über den Oranjefluß in das große Namaland vorstieß, und 1791 gelangte Willem van Reenen, der die ersten Nachrichten über die Hereros und Bergdamaras heimbrachte, sogar bis in die Nähe des heutigen Windhuk. Im Jahre 1805 entstand in Warmbad die erste Missionsstation. Buren als Siedler dürften im Süden schon Ende des 18. Jahrhunderts eingetroffen sein. Auch Reisen, welche Beobachtetes berichten, wurden in Südwest ziemlich früh unternommen, so von dem Engländer James Alexander 1836/37 im Süden und besonders von dem Schweden Karel Andersson, der in den 1850er Jahren große Gebiete des Nordens durchzog. Noch weiter nördlich haben Hugo Hahn und Fr. Green 1857 das Kunenegebiet als erste bereist, während Thomas Baines und James Chapman 1861/62 von Walfischbai ostwärts nach Rietfontein am Rande der Kalahari gelangten. So war Südwest im Jahre 1884, als die deutsche Besitzergreifung erfolgte, in ganz groben Zügen leidlich bekannt. A. Lüderitz wußte übrigens von diesen Reisen so gut wie gar nichts. Die Küste Togos als Teil der Sklavenküste war seit langem dem europäischen Handel angeschlossen, und deutsche Kaufleute wirkten hier. Die Erforschung des Innern begann aber erst mit Christian Hornberger, der 1862/63 bis Atakpame vordrang. Der Norden wurde durch G. A. Krause bekannt, der 1887 von Norden her zur Küste reiste. Die Offiziere v. François und Wolf klärten 1888/89, jener den Westen, dieser den Osten auf.

15 Von Kamerun war das nördliche Hinterland bis etwa nach Ngaundere vom Sudan her durch unsere großen Entdecker H. Barth und E. Vogel schon in den 1850er Jahren erkundet worden. Richard Burton erstieg 1862 den Kamerunberg, und Robert Flegel arbeitete 1882/83 im Gebiete des oberen Benue. Aber sonst war zur Zeit der Besitzergreifung nur der Küstengürtel bekannt und von europäischen Händlern bewohnt. Die Küstenstämme widerstrebten jedem Eindringen ins Innere, da sie den gewinnbringenden Zwischenhandel zu verlieren fürchteten. Erst 1888 gelang es Kundt als erstem, von dem Hafenorte Batanga aus aufs Hochland nach Jaunde durchzustoßen. Etwas später drang E. Zintgraff von Duala durch den Urwaldgürtel auf das Bali-Hochland, also zur offenen Sawanne, und gelangte weiter zum mittleren Benue und bis Jola; hierdurch wurde eine Verbindung zwischen den Kartenaufnahmen des Südwestens und des Nordens hergestellt. In den Jahren 1891/92 erforschte Kurt Morgen den Sanagafluß und zog von Jaunde über Joko nach Ngaundere, wo er den Anschluß an Flegels Feststellungen fand. Die Erkundung des Urwaldgebietes im Südosten fand erst durch Stein statt. In Deutsch-Ostafrika, dessen erste Entdeckungen schon S. 23 geschildert wurden, brachte die deutsche Besitzergreifung eine Reihe namhafter Forschungsreisen, besonders seit Beendigung des Araberaufstandes. Franz Stuhlmann führte 1890 bis 1892 eingehende Untersuchungen im ganzen Norden von der Küste bis zum Zwischenseengebiet aus. Oskar Baumann betätigte sich 1892/93 gleichfalls vorwiegend im Norden, wo er Urundi als erster betrat und den Ejassisee entdeckte. Graf Adolf Gustav von Götzen widmete sich 1893/94 ebenfalls vorwiegend dem Norden, durchquerte als erster Ruanda und entdeckte den Kiwusee sowie die Kirungafeuerberge. Oberst von Schele bereiste 1893/94 den Rufidschi-Ulanga zum Njassagebiete hin. In den mittleren Teilen der Kolonie, von der Küste bis zum Tanganjikasee und nach Ruanda hin, führte Hauptmann Ramsay 1896 eine aufschlußreiche Reise durch, während Glauning 1896 und 1900 im abflußlosen Grabengebiete, im Westen und im Raume des Kilimandscharo, arbeitete. Schließlich sei noch Richard Kandt namhaft gemacht, der im Zwischenseengebiete tätig war, die Quelle des Kageranils entdeckte und ein besonders gut lesbares Reisebuch schrieb. Der Verlust Unsere vier afrikanischen Schutzgebiete entwickelten sich namentlich in jenem dem Weltkriege vorhergehenden Jahrzehnt sehr gut. Die Eingeborenen lernten die deutsche Verwaltung und die unter ihr herrschende Sicherheit von Gut und Blut allmählich schätzen. Der Plantagenbau in den drei Tropenkolonien und die Viehwirtschaft in dem subtropischen Südwest entfalteten sich so vorzüglich, daß ihre Erzeugnisse für den deutschen Markt schon eine Rolle spielten, besonders Kopra und Kautschuk, Palmöl und Palmkerne, Kakao und Kaffee, Baumwolle und Erdnüsse sowie Sisalhanf. Auch die Ansiedlung von deutschen Farmern in dem gesundtrocknen Südwest und in den fieberfreien Höhenlagen Ostafrikas ging voran. Die Bekämpfung der Tropenkrankheiten durch Bakteriologen übertraf alle ähnlichen Maßnahmen anderer Kolonialgebiete. Wären unseren Kolonien noch zehn oder gar zwanzig Friedensjahre beschieden gewesen, so würden sie in prangender Blüte dagestanden haben. Der Krieg traf die Kolonien völlig unvorbereitet, zumal die tropischen, die sich auf Grund der Kongoakte im Falle eines europäischen Krieges für neutralisiert halten durften. Die Gesamttruppenzahl belief sich auf nur ungefähr 2500 weiße und 4500 farbige Soldaten, die im Laufe des Krieges auf einen Höchststand von 7700 weißen und farbigen Soldaten gebracht wurden. Dieser Zahl von äußerstens deutschen Kämpfern gegenüber stand im Weltkriege die ungeheure Zahl von wohl Kämpfern, weit überwiegend von britischer Seite gestellt. Dabei ist zu beachten, daß den Deutschen alle modernen und schwereren Waffen, besonders Flugzeuge und Panzerwagen fehlten, daß sie so gut wie gar keinen Nachschub aus der Heimat erhielten und

16 mit notdürftig hergestellten Ersatzstoffen arbeiteten, während dem Feinde alles Wünschbare in überreichem Maße zur Verfügung stand. Das kleine Togo mit seiner bescheidenen Streitmacht, die eigentlich nur eine Polizeitruppe ohne Geschütze war, insgesamt 200 Weiße und 700 Neger, erlag dem konzentrischen Einmarsche ziemlich bald. Südwest, das nur von 3000 Mann weißer Truppen und sechs Batterien verteidigt wurde, hielt den von West und Süd erfolgenden Einmarsch von weißen und farbigen Streitkräften der Südafrikanischen Union ziemlich lange auf. Als aber der Feind im Februar 1915 von Swakopmund längs der Bahn und von Süden her vorrückte, mußte sich die Schutztruppe fechtend auf Windhuk zurückziehen und bald darauf in den Raum um den Waterberg und nach Otawi ausweichen, wo schließlich nach heftigem Ringen nichts anderes als Übergabe blieb. In Kamerun kämpften 1460 Weiße und 6550 Farbige gegen Engländer und Franzosen, die über 34 Geschütze verfügten. Das Küstengebiet ging bis zum November 1914, der Norden großenteils bis zum Frühling 1915 verloren. Im Raume Jaunde-Ebolowa hielt sich die Truppe während des Sommers 1915 unter heftigen Kämpfen, bis schließlich Ende des Jahres die Höhen von Jaunde von Westen her genommen wurden. Im Februar 1916 rückte die Truppe, begleitet von dem Jaundevolk, südwärts und ging über die Grenze in das spanische Munigebiet, damals noch 600 Weiße und 6000 Farbige zählend. Am heldenhaftesten war die Verteidigung Deutsch-Ostafrikas, von dem Oberstleutnant von Lettow-Vorbeck geleitet, trotzdem nur 3000 Weiße und Farbige als Höchstzahl einer Übermacht von britischen, belgischen und etlichen Tausend portugiesischen Truppen gegenüberzustellen waren. Im Jahre 1914 wurden hauptsächlich an der Nord- und Westgrenze feindliche Vorstöße abgewiesen, wobei die Schlacht von Tanga (1000 Verteidiger gegen 8000 Angreifer und Kriegsschiffe) als besonders glänzende Waffentat hervorsticht. Erst vom Frühling 1916 an wurde die Lage infolge Übermacht des Feindes bedenklicher. Die Schutztruppe mußte aus dem Kilimandscharogebiete weichen, ja im Juli ging auch Tabora an der Mittellandbahn verloren. Anfang 1917 rückte die Schutztruppe noch weiter südwärts und suchte sich in zahlreichen Gefechten der drohenden Einkreisung zu entziehen, wobei die siegreiche Schlacht von Mahiva im Oktober wieder hervorragt. Aber im November gelang es doch nur unter Zurücklassung aller nicht mehr voll frontfähigen Männer, über die portugiesische Grenze auszuweichen. Auf portugiesischem Kolonialboden rückte die Schutztruppe, immer von einem überlegenen Gegner verfolgt, im Sommer 1918 südwärts bis fast nach Quelimane. Von dort marschierte sie dann, stets unter Gefechten, wieder gen Norden, kehrte Ende September über den Rovuma in die eigene Kolonie zurück und bog dann um den Njassasee herum westwärts nach Rhodesien ins Britische ab. Hier erhielt sie nach einem letzten Gefechte am 12. November die Mitteilung vom Waffenstillstande. Die Truppe zählte noch 155 weiße und 1200 farbige Soldaten sowie 2000 farbige Träger. Schon im Kriege hatten Engländer, Franzosen und Belgier die deutschen Kolonien in Afrika unter sich aufgeteilt, doch setzten Wilson und Nansen es in Versailles durch, daß die Kolonien ihnen nur als Mandate, d. h. als Aufträge des Völkerbundes, zugeteilt wurden - nicht tatsächlich, aber immerhin völkerrechtlich ein gewisser Unterschied. Ein Recht auf Kolonien wurde uns abgesprochen, weil wir nicht die Fähigkeit besäßen, farbige Völker zu regieren, weil wir sie grausam behandelt hätten, und weil wir die Kolonien lediglich als Ausgangsstellungen zur Bedrohung anderer Mächte betrachtet hätten. Diese koloniale Schuldlüge war erst während des Krieges als Kampf- und Propagandamittel erfunden worden. Nicht allein der aufblühende Zustand der Kolonien, sondern auch die Treue vieler Eingeborenen, namentlich Ostafrikas, straft die dreiste Erfindung Lügen. Da nun die Farbigen selber vorläufig noch nicht reif zur Selbstregierung seien, so müsse ihre Aufsicht "fortgeschritteneren" Nationen anvertraut werden. Mit Ausnahme von

17 Südwestafrika wurden die Deutschen aus allen Kolonien vertrieben und ihr Eigentum ihnen geraubt, wobei die Entschädigung dem - Reiche auferlegt wurde. Wie sehr die Deutschen sich für koloniales Wirken eignen, erhellt u. a. daraus, daß sie das Germanin erfunden haben, das einzige Mittel gegen die in Tropisch-Afrika so verheerend wirkende Schlafkrankheit; erst nach dem Kriege geschaffen, kommt es den anderen Nationen zugute. Die Engländer wie die Franzosen und auch die Belgier bekamen also einen ansehnlichen Zuwachs ihrer ohnehin schon viel zu großen Kolonialreiche. England erhielt Ostafrika, Südwestafrika, den Westen Kameruns und den Westen Togos. Frankreich bekam den größten Teil Kameruns und den größeren östlichen Teil Togos. Belgien empfing den Nordwesten Ostafrikas. Alle drei verfügten schon nicht über genügend Weiße, um ihre alten Kolonialgebiete wirtschaftlich zu einem Höchst zu entwickeln, und erstickten in einem Übermaße von Kolonialerzeugnissen - die Deutschen aber standen mit leeren Händen da. Artikel 22 des "Friedensvertrages" von Versailles besagt u. a.: "Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker (der Farbigen also) bilden eine heilige Aufgabe der Zivilisation, und es erscheint zweckmäßig, indirekte Sicherheiten für die Erfüllung dieser Aufgaben aufzunehmen. Der beste Weg, diesen Grundsalz praktisch zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschritteneren Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrung oder ihrer geographischen Lage am besten imstande und bereit sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen." Ferner ist davon die Rede, daß Mißbräuche im Sklaven-, Waffen- und Alkoholhandel hinfort aufhören und daß die Freiheit des Gewissens und der Religion gewährleistet sein müßten. Wüßte man nicht, daß der ganze "Friedensvertrag" von A bis Z eine bewußte Diffamierung des Deutschen Reiches und Volkes ist, welche aber den Anschein einer Rechtfertigung der Brutalität der Siegermächte vortäuschen soll, dann müßte man wirklich über die koloniale Fähigkeit der Deutschen bedenklich werden. Dabei ist nicht eine einzige der deutschen Kolonien durch einen Eroberungskrieg, sondern durch Verträge mit eingeborenen Herren in unsern Besitz gekommen, während Indien, Kanada, Südafrika und Ägypten durch Waffengewalt in englische, Algerien, Tunisien, Marokko, die Sahara, Dahome und Madagaskar ebenso in französische Hände gekommen sind. Man hat nie gehört, daß die Eingeborenen dieser oder anderer englischer und französischer Kolonialgebiete erklärt haben, sie möchten nie unter anderer Herrschaft leben. Es ist auch nie bekanntgeworden, daß die Inder oder die Ägypter oder die Araber oder die Malgaschen unter englischer oder französischer Herrschaft glücklicher und wohlhabender geworden seien. Nie hat ein Reisender dort den Eindruck gewonnen, daß "fortgeschrittene" Nationen eine "heilige Aufgabe" erfüllen. Jeder sah vielmehr, daß sie drüben bloß Geld scheffeln wollten, wobei den Eingeborenen stets nur eine Nebenaufgabe, nämlich die der sauren, ungedankten Arbeit zufiel. Hier waltet eben der ähnliche Cant ob, der sich die Taschen füllt und scheinheilig die Daumen über dem satten Bäuchlein dreht. Sie sagen Christus und meinen Kattun. In den deutschen Kolonien war das anders. Wenn anfangs nicht alles so ging, wie es aber 1914 schon ging, so lag das daran, daß der Deutsche im Kolonisieren noch keine Erfahrung besaß. Aber er hatte einen großen Vorzug vor den anderen: er dachte tatsächlich mehr an das Wohl der Kolonien als an sein eigenes. Seiner Art gemäß ging er sachlich an die Aufgabe heran und strebte pflichthaft nach deren Erfüllung. Während der Engländer die Kolonien nur als riesige Geldaufbereitungsgebiete ansieht, an die er nur grade soviel Sorge wendet, daß der Gewinstvorgang möglich reibungslos läuft - während der Franzose aus seinen Überseebesitzungen recht viel Kanonenfutter zur Gewinnung und Aufrechterhaltung seiner Vorherrschaft in Europa herauszuholen strebt - sah der Deutsche seine Kolonien als eine Art Selbstzweck an und suchte jede von ihnen zu einer harmonischen Ganzheit zu entwickeln. Es ist eben deutsche Auffassung, einem jeden Ding sein eigenes Daseinsrecht einzuräumen. Wenn die "fortgeschrittenen" Nationen da von einer mißbräuchlichen Verwaltung reden wollen, dann stellen sie einfach die Wahrheit auf den Kopf.

18 In den Kolonien nun setzte mit der Austreibung der deutschen Pflanzer, Händler und Beamten wirtschaftlicher Verfall ein, die Seuchenbekämpfung ging zurück, und erhöhter Steuerdruck plagte die Farbigen. Erst später, als man die Deutschen wieder zuließ, wie im englischen Westkamerun, setzte ein neuer Wirtschaftsaufschwung ein; die Deutschen erhielten Erlaubnis, ihre alten Farmen - zurückzukaufen oder, wie in Ostafrika, zu pachten. Die Zahl unserer Landsleute in Südwest beläuft sich auf gut , in Ostafrika auf 2500 Köpfe, in Kamerun sind es aber nur wenige Hundert. Der neue Krieg hat wieder zur Gefangensetzung der Männer in Konzentrationslagern, zur Austreibung der Familien sowie zur Vernichtung von Vermögen und wirtschaftlicher Existenz geführt - das war von so "fortgeschrittenen" Nationen wie den Engländern und Franzosen nicht anders zu erwarten. Die geistige Besitzergreifung Heinrich Barth Als die Schatten der Kamele länger wurden, befahl der junge Dr. Barth aus Hamburg - er zählte erst fünfundzwanzig Jahre - seinen arabischen Knechten, die Tiere abzuladen und das Zelt aufzuschlagen. Die Gegend erschien ihm hierfür ganz geeignet, eben und übersichtlich, etwas Gras für die Höcker und etwas Gestrüpp für das Kochfeuer. Er wäre gerne noch weiter marschiert, aber der Abstieg zur Küstenebene der Marmarika lag vor ihnen, und diesen Akabet el kebira oder, wie er als klassischer Philologe gern sagte, diesen Katabathmos mußte er am Tage und genauer studieren. Trotzdem hatte er einen Augenblick geschwankt, denn hier am Golfe von Solum befand man sich im Grenzgebiete der Paschaliks Tripolitanien und Ägypten, der beiden Beduinenstämme Haradi und Uelad Ali, und mancherlei Gesindel trieb sich da herum. Und richtig - er sah grade dem Einschlagen der Zeltpflöcke zu, da gewahrte er zwischen etlichen dünn stehenden Tamariskenbüschen drei, nein fünf Reiter dahersprengen, drei auf Pferden voran und zwei zu Kamel hinterdrein, aber alle fünfe die langen bajonettgespitzten Flinten zum Stoße eingelegt. Doch der junge Doktor verlor den Kopf nicht, sondern rief seine Leute zu den Waffen und trat den Fremden als erster entgegen. Als die Angreifer ihre Hoffnung auf Überrumpelung vereitelt sahen, setzten sie nach arabischer Art eine freundliche Miene auf und grüßten höflich mit Selaam aleekum, ja der älteste, er hieß Bu Berda, reichte dem Franken sogar die Hand. Dieser aber war immerhin schon zehn Monate lang im Morgenlande und hütete sich, die Hand zu nehmen, die ihn sofort festgehalten und wehrlos gemacht haben würde. Der Araber verzog sein falsches bärtiges Gesicht zu einem höhnischen Grinsen und wandte sich ab. Der junge Reisende, in solchen Vorfällen noch recht unerfahren und ohne den Rat eines älteren Mannes, war sich der Gefahr seiner Lage sofort bewußt. Unter seinen Leuten war Verlaß nur auf Hammed und Salem, die aber selber jung und unbedarft waren, von den übrigen durfte er nichts erhoffen, ja die beiden Führer mochten gar mit den Wegelagerern unter einer Decke stecken. Unklar über das, was hätte getan werden müssen, nämlich sofortiges Vertreiben der Kerle, tat er das Falsche - er ließ sie gewähren und in unmittelbarer Nähe seines Lagerplatzes niederhocken. Und damit begannen für den jungen Doktor vier leidvolle Tage. Zuerst verlangten die Räuber zu essen, indem sie von dem Franken als einem vornehmen Schech Gastfreundschaft beanspruchten. Nach einer kleinen Mahnrede wurde ihnen Essen und Futter gereicht. Immerhin verhielten sie sich während der Nacht ruhig. Am andern Morgen sahen die Kerle beim Aufladen des Gepäcks zu und betrachteten mit besonderer Aufmerksamkeit den großen roten Daguerreotypkasten, den der Franke zwecks photographischer

19 Aufnahmen - er war ein sehr moderner Mann - mit sich führte. Es war ihm sofort klar, daß die Beduinen ihn für eine Geldkiste hielten, und suchte ihnen deshalb seinen wirklichen Zweck klarzumachen, aber sie lächelten nur geringschätzig, denn durch so dumme Finten ließen sie sich weder von ihrer Überzeugung noch von ihrem Vorhaben abbringen. Während des Marsches ritt Bu Berda rechts hinter Barths Maultier und fragte ihn listig, wie viele Schüsse seine Doppelflinte fasse. Dabei zog er vorsichtig seine lange Steinschloßpistole, aber schon schlug der treue Salem die seine auf den Meuchelmörder an, worauf dieser die Waffe mit frechem Lachen wieder einsteckte. Nachdem die kleine Karawane mitsamt ihren Belästigern den Paß Katabathmos überwunden hatte - das griechische Wort heißt "Abstieg", und es wurde für Barth wirklich ein solcher - mußten sie rasten, da weder Mensch noch Tier am frühen Morgen etwas genossen hatte. Dem wißbegierigen jungen Forscher blutete das Herz, daß er diese in der antiken Geographie so berühmte Gegend nicht näher untersuchen konnte, aber er erkannte immer mehr, daß es hier um Leib und Leben ging. Die Wegelagerer schrien den beiden Führern zu, wie sie sich hätten unterstehen können, einen Christenhund ins Land zu bringen, noch dazu einen solchen, der seinen Gästen ein schlechtes Abendessen vorgesetzt habe. Brüllend und schimpfend rückten die Kerle jetzt näher auf Barth los, aber dessen Diener Hammed und Salem stellten sich entschlossen vor ihn. Es erhob sich ein längeres Streiten mit Waffenschütteln und Worten, während dessen ein alter Araber des Weges kam, der den Räubern unter Aufwand vieler Koransprüche die Gemeinheit ihres Tuns vorhielt. Auf die Vorstellungen seiner Leute hin ließ der Reisende sich bereit finden, den Gaunern Basina zum Essen und Gerste zum Futter auszuhändigen, worauf sie beim Propheten schwuren, aller Krieg solle damit abgetan sein. Die Karawane setzte ihren Marsch durch ein von Trockentälchen zerschnittenes Gelände fort. Nach einer Weile kamen die Räuber hinterhergeritten und verlangten Wasser. Auch dieses wurde ihnen gegeben. Über Tag, als beim Bir Adscherud die Schläuche gefüllt werden mußten, versuchten die Araber eine neue List. Bu Berda schritt, seine lange Flinte auf der linken Hand wiegend, scheinbar friedlich auf Barth zu und sagte, sie hätten sich bis jetzt zwar übel aufgeführt, wollten aber fortan als wahre Freunde mitreiten. Dann bat er den Forscher, er möge sein Gewehr nehmen und daraus ersehen, wie gut sie es jetzt meinten. Barth aber bemerkte deutlich, daß der hinterlistige Schurke die Rechte am Kolben der unter dem weißen Mantel steckenden Pistole hielt, und er war sich sofort klar, daß der Kerl sie auf ihn abgedrückt hätte, sobald Barths Hand durch das Ergreifen der Flinte gebunden war. Er sagte deshalb kalt, Bu Berda solle seine Flinte nur behalten, da an seiner freundschaftlichen Gesinnung kein Zweifel mehr bestünde. Der Beduine zog verblüfft über diesen unerwarteten Ausgang ab. Es folgte eine schlimme Nacht. Die Räuber ließen sich wieder ein Abendessen rüsten und schossen dann mehrmals ihre Waffen ab, um der Karawane zu zeigen, daß sie mit Pulver und Blei gut versehen seien, und um sie noch mehr einzuschüchtern. Nachdem der Forscher, dem immer unheimlicher zumute wurde, vergeblich versucht hatte, seine Leute zu einem Angriff auf die Wegelagerer mitzureißen, blieb er, die Waffen zur Seite, die ganze Nacht in seinem Zelte wach. Dies war auch sehr gut, denn um Mitternacht gewahrte er im Funkellichte der zahllosen Sterne, wie Bu Berda um das Zelt herumschlich, sich aber zurückzog, sobald er den Franken mit der Pistole in der Hand seine Bewegungen verfolgend erblickte. Die Räuber heckten nun einen neuen Plan aus. Der Leser, der mit morgenländischen Anschauungen nicht vertraut ist, wird sich wundern, daß die Kerle den Reisenden, der sich nur auf zwei seiner Leute einigermaßen verlassen konnte, nicht offen angriffen. Aber das ist nicht die Art der

20 Orientalen, die zwar liebendgerne Hab und Gut rauben, ihr kostbares Leben aber keinesfalls gefährden wollen. Der Räuber nähert sich allermeist mit freundlicher Miene und wirft die Maske erst dann ab, wenn er seines Vorteils vollkommen gewiß ist. In diesem Falle machten sie am andern Morgen folgendes. In der Frühdämmerung weckte Barth seine Leute und legte sich dann, völlig zerschlagen von der langen aufregenden Nacht, auf sein Lager. Plötzlich vernahm er den Ruf: "Jetzt reiten sie endlich fort!" Und wirklich, er konnte sehen, daß sie schon zu Pferde saßen, nur einer, ein junger, hagerer Ueled Ali, kam zu dem Zelte und schoß, ehe Barth noch Böses ahnen und sich erheben konnte, seine Steinschloßpistole auf ihn ab. Die Gewalt der Ladung, die aus einer gebissenen Bleikugel und etwa zehn Schrotkörnern bestand, wurde glücklicherweise durch den mehrfach zusammengelegten Burnus abgeschwächt, traf wegen der Eile und Aufregung des Kerls auch nicht den Leib, wohin sie wohl gezielt war, sondern den Oberschenkel, ja die Kugel berührte, wie die ärztliche Untersuchung in Alexandrien dann zeigte, den Knochen nur leicht und fuhr aus dem Fleische wieder heraus. Inzwischen waren Barths Leute und freilich auch die Reiter herbeigeeilt, und es entspann sich ein kurzes Handgemenge, an dem Barth trotz seiner starken Blutung teilnahm und in dem er Bu Berda verwundete und ihm die Flinte entriß. Die Feinde zogen sich dann zurück und warteten in einiger Entfernung, was die Karawane nunmehr tun werde. Man trat den Weitermarsch an, wobei der Überfall in den Reiseplan schon insofern eingriff, als Barth die Absicht, hier nach der Ammonsoase Siwah abzubiegen, aufgeben mußte. Unterwegs schossen die Beduinen mehrfach, und Bu Berda warf mit großen Steinen, worin er eine fabelhafte Gewandtheit entwickelte. Dabei kam er dem jungen Forscher einmal sehr nahe, was diesen veranlaßte, in seinem Grimm mit geschwungenem Säbel auf ihn loszustürzen. Aber der Araber wich gewandt aus und traf Barth durch zwei Steinwürfe äußerst schmerzhaft an Hals und Unterleib. Ebenso wie die meisten seiner Leute kampfunfähig gemacht, mußte der Deutsche jetzt mit ansehen, wie die Räuber sich auf die inzwischen weiter vorgegangenen Tiere stürzten und sie unter Triumphgeschrei forttrieben. Die beiden Führer folgten ihnen zu Fuße, ihre beiden Kamele waren von den Räubern nicht angerührt worden. Dies wurde immerhin die Rettung, denn die beiden verwundeten Diener Hammed und Mohammed kletterten auf das eine, Barth selber auf das andere, und so zog die Karawane in trübster Stimmung langsam weiter gen Osten. Nach einiger Zeit erschienen auch die beiden Führer wieder, und zwar mitsamt dem Apfelschimmel und dem Maultiere Barths, die sie den Wegelagerern abgebettelt hatten, nämlich mit dem Hinweise, zwei so auffällige Tiere würden sie später doch nur verraten. Aber was halfen dem Forscher diese beiden Tiere, waren doch sein Geld, sein Schießbedarf, sein Mundvorrat, seine Instrumente, seine Zeichnungen und vor allem der größte Teil seiner sehr sorgfältig geführten Tagebücher verloren! Und selbst um ihr Leben mußten die Wanderer noch besorgt sein, denn nach mehrstündigem, mühseligem und schmerzensreichem Marsche erschienen die Räuber schon wieder in vollem Galopp auf der Bildfläche. Glücklicherweise wurde grade jetzt ein kleines Zeltlager ärmlicher Beduinen erreicht, das wenigstens leidliche Sicherheit gewährte. Mit Mühe erhielt man etwas zu essen, aber zu einem Angriff auf die Räuber ließen sich die Beduinen nicht bereit finden, da sie sich mit deren mächtigen Stämmen, den Harabi und Uelad Ali, nicht verfeinden wollten. Es gelang Barth nur, zwei der Beduinen als Schutz für die Weiterreise nach Alexandrien zu gewinnen, wo sie ihre Bezahlung erhalten sollten. Daß die Räuber aber trotzdem noch nicht von den Verfolgten abließen, zeigte sich noch am selben Tage. Da erschienen nämlich zwei wohlbewaffnete Beduinen und suchten Barth auszuforschen, ob er etwa noch bares Geld gerettet habe. Die Lage sah einen Augenblick so bedrohlich aus, daß Salem mit schußbereiter Pistole neben seinen Herrn trat. Damit aber hatte die Geschichte schließlich ihr Ende gefunden, denn am 10. Juni, nachdem die

21 Räuber die Karawane fünf Tage lang verfolgt und belästigt hatten, ließen sie sich nicht mehr sehen. Die Weiterreise war jetzt freilich eine offene Flucht geworden, wobei man sich tagsüber in Mulden verborgen hielt und vorwiegend nachts marschierte. Halb verhungert langte man endlich in Alexandrien an. Der junge Doktor hatte den größten Teil seiner Aufzeichnungen verloren, aber er hat vermöge seines ausgezeichneten Gedächtnisses und der nach Hause geschickten Briefe seine Beobachtungen doch noch in einem starken Bande zu schildern vermocht. Außerdem hat er den Mut nicht verloren, sondern ist, von seinem Vater mit neuen Geldmitteln versehen, noch anderthalb Jahre lang durch Ägypten und Vorderasien gewandert. Der Lebensgang eines Einspänners Es gibt, von der Arbeitsleistung aus auf die ihr schicksalsmäßig zur Verfügung gestellte Lebenszeit angesehen, intensive und extensive Lebensführung. Mancher braucht achtzig Jahre, um sein Werk aufzubauen, und manchem ist nur die Hälfte davon vergönnt. Letzterem geht das Leben oft in rastloser Arbeit dahin, gleichsam als schwinge im Unterbewußten eine Ahnung mit, daß er sich beeilen müsse, da der Tod schnell näherkommt. So ist es mit Heinrich Barth beschaffen, dem nur vierundvierzig Erdenjahre verstattet waren, der davon den sechsten Teil auf afrikanischer Erde zubrachte und hier den Weltruhm des Bahnbrechers der neueren Afrikaforschung erwarb. Ein Leben der Gedrängtheit und der Fülle, der Sucht nach Arbeit und der Flucht vor Zerstreuung, der Selbstverzehrung und der Selbstbehauptung, der Erfolge und der Enttäuschungen. Heinrich Barth wurde am 16. Februar 1821 als Sohn eines Kaufmannes zu Hamburg geboren. Er war aber kein blutgebundener Holsteiner, denn der Vater war als vierzehnjähriger verwaister Knabe aus dem Thüringer Walde in die Hansestadt zu einem Verwandten gekommen, und die Mutter stammte aus Hannover. Dem Vater glückte es aus eigener Kraft sowie durch Energie, Fleiß und Sparsamkeit, zu ansehnlichem Wohlstande zu gelangen. Er galt als sehr rechtlich, gewissenhaft und ordnungsliebend, besaß zwar keine geistigen Interessen, achtete aber des Sohnes rein geistig gerichtetes Streben und war jederzeit zu geldlichen Opfern dafür bereit, so daß Barths Lebensweg von dieser Seite her nie Hemmungen erfuhr. Für die drei ersten Reisen gab ihm der Vater das Geld. Von der Mutter ist nur bekannt, daß sie häuslich und sittenstreng war, in Bildungsdingen aber wenig bedeutete. Der Anteil der Eltern an des Sohnes Erziehung bestand in ihrem untadeligen Leben und darin, daß sie ihm gymnasiale Ausbildung zuteil werden ließen - unmittelbaren Einfluß auf seine geistige Entwicklung vermochten sie nicht zu nehmen. Das Verhältnis namentlich zwischen Vater und Sohn war stets ausgezeichnet, und der Vater hatte ein Jahr vor seinem Tode noch die Freude, den Sohn als berühmtesten Afrikaforscher heimkehren zu sehen. Von dem Gymnasiasten ist bekannt, daß er ein bienenfleißiger und sehr guter Schüler war, daß er aber noch mehr daheim als im Unterricht lernte. Seine Wißbegier wurde durch die Lehrer so wenig befriedigt, daß er die antiken Schriftsteller zu Hause durcharbeitete. Des Vaters Mittel erlaubten ihm, sich frühzeitig eine ansehnliche Bücherei aufzubauen; diese ging übrigens später in seiner Universitätszeit bei dem großen hamburgischen Brande verloren. Schon als Schüler stand er unter seinen Klassenkameraden für sich, schloß sich von ihnen ab und verachtete sie, unter denen wohl keiner war, der mit so früher Zielstrebigkeit seinen Weg ging. Auch die Mitschüler selber wollten nicht viel von ihm wissen, fanden den schweigsamen, schroffen Knaben unleidlich und erklärten ihn in ihrer frischen Unbedarftheit für einen hölzernen Pedanten. Die Umwelt der Hafen- und Kaufmannsstadt scheint nicht ganz ohne Einfluß auf die Richtung von Barths Interessen geblieben zu sein. Die damals zwar schon Einwohner zählende, aber

22 noch ganz altertümliche Stadt mit engen krausen Gassen und malerischen Giebelhäusern, am Hafen mit Segelschiffen und Warenballen angefüllt, diese auf das Weltmeer hinausblickende, vom Binnenlande abgewandte Stadt der Kaufleute und Schiffer beschäftigte nicht nur die Einbildungskraft des Knaben stark, sondern pflanzte eine gewisse Neigung zu Handelsfragen in ihn, die ihn von seiner Studentenzeit an den antiken Mittelmeerhandel und später den innerafrikanischen Handelsverkehr besonders aufmerksam beachten ließ. Dieses Interesse darf aber nicht mit einem angeborenen Triebe verwechselt werden, denn in der ganzen Gestaltung seines Lebensganges haben wirtschaftliche Rücksichten nie eine größere Rolle gespielt, als jedes Lebewesen ihnen nun einmal zuzugestehen gezwungen ist. Nach gut bestandener Abschlußprüfung bezog Heinrich Barth im Herbst 1839 die Universität Berlin, die er bis zum Sommer 1844 besuchte. Es kann nicht wundernehmen, daß er auch hier jede heitere Zerstreuung und jeden ablenkenden Verkehr mied, um sich ausschließlich den Studien hinzugeben. Ein froher Bursch wie Rohlfs, Nachtigal und Peters ist er nicht gewesen. Sein Bemühen ging dahin, sich eine möglichst allseitige und eingehende Kenntnis des klassischen Altertums zu verschaffen, weshalb er sich nicht auf das Philologische, Historische und Archäologische beschränkte, sondern auch der Geographie, dem Corpus juris und der Handelsgeschichte sein Augenmerk zuwandte. Von den Professoren nahmen der Altphilologe August Böckh und der Geograph Karl Ritter am meisten Einfluß auf ihn. Mit Hilfe von Böckhs gründlicher klassischer Schulung und mit Blick auf das von Ritter in die Erdkunde eingeführte geschichtliche Element trat er dann in sein Lebenswerk ein, das durch Bereisung weiter fremder Länder mit der Zeit immer mehr von der Archäologie zur Geographie, vom Altertum zur Gegenwart hinführte. Im Sommer 1844 schloß er seine Studien mit einer sehr gut beurteilten Dissertation ab, deren Titel für den hamburgischen Kaufmannssohn bezeichnend war. Er lautete nämlich: "Corinthiorum commercii et mercaturae historiae particula." Aber noch während seiner Universitätszeit, und zwar schon in seinem dritten und vierten Semester (1840/41), machte er eine zehnmonatige Studienreise durch Italien, die für seine geistige Lebenslinie richtunggebend wurde. Noch keine zwanzig Jahre alt, lernte er den Süden kennen, erblickte zum ersten Male andere Natur und fremdes Volksleben und stand endlich den Zeugen des klassischen Altertums leibhaftig gegenüber. In Rom blieb er vier Monate lang, woraus sich ersehen läßt, wie ernst er alles schon damals nahm; schrieb er doch auch nach Hause, es käme ihm gar nicht darauf an, vieles zu sehen, sondern gründlich. Für Vergnügen hatte er wenig übrig, er wanderte und beobachtete und arbeitete nur immer. Der wesentlichste Ertrag der Reise aber war eine Ideenreihe, die ihm in Sizilien auf den Trümmern von Selinunt als Einfall ins Bewußtsein trat. Umfangen von weißen Säulen und dunklen Zypressen, umflutet von rosigem Glast und tiefblauem Meer, erblickte er plötzlich die ganze Antike wie aus einem Grabe auferstehend und zum Bilde sich formend. Aber es blieb nicht bei dieser Vision, sondern aus ihr ergab sich sofort die gebieterische Forderung nach ihrer wissenschaftlichen Gestaltung. Damit war Barth der erste, der die Mittelmeerländer als große organische Einheit sah und der sein ganzes Lebenswerk darauf ausrichtete, jenes Ländergebiet als solches zu schildern. Diese Idee steht wie ein hoher Stern am Beginn seines wissenschaftlichen Lebensweges. Alle seine Reisen, mit Ausnahme jener großen nach Innerafrika, hat er in den Dienst seiner Mittelmeeridee gestellt. Wenn er nicht dazu gelangt ist, das geplante große Mittelmeerwerk zu schreiben, so liegt das lediglich an seinem frühen Tode. Nach der Promotion lebte Barth ein halbes Jahr lang in der väterlichen Familie in Hamburg, von der er sich vorher zusichern ließ, daß man ihm täglich zehn Stunden Zeit zu wissenschaftlicher Arbeit einräume. Nebenher ging sein Bestreben dahin, eine Stellung zu erlangen, die ihn geldlich

23 unabhängig machte. Hierfür mußte die als Beruf ersehnte Universitätslaufbahn vorläufig ausscheiden, denn es war Brauch, sich nicht vor drei Jahren nach abgelegter Doktorprüfung zu habilitieren. Die Übergangszeit irgendwo als Hauslehrer zu überbrücken, glückte nicht; bei der geringen Einfügsamkeit seines Charakters würde er voraussichtlich bald Schiffbruch erlitten haben. Da schlug ihm ein Freund vor, zu heiraten oder eine - Reise zu machen, etwa nach Griechenland und Kleinasien, wobei er gleich Stoff und Kenntnis für seine Universitätslaufbahn sammeln könne. Damit freilich war dem jungen Doktor der Star gestochen worden, und der Vater erklärte sich bereit, die Mittel herzugeben. Er fuhr zuerst nach London und hielt sich hier zwei Monate auf, um Arabisch schreiben und sprechen zu lernen und sich in Museen und Büchereien auf den Süden vorzubereiten. In London lernte er den preußischen Gesandten von Bunsen kennen, der vier Jahre später seinen Anschluß an die große englische Innerafrika-Expedition vermittelte. Mit Empfehlungen an englische Konsuln und Kaufleute gut versehen und mit Instrumenten ausgerüstet, unter denen sogar der erst sieben Jahre vorher erfundene photographische Apparat nach Daguerre nicht fehlte, reiste Barth nach Paris. Länger als vier Monate fuhr er kreuz und quer durch Südfrankreich und Spanien, bis er Anfang August 1845 in Tandscha, Marokko, eintraf. Zehn Monate lang hat er die Nordküste Afrikas mit Ausnahme des marokkanischen Teiles, zu Schiff und im Sattel durchwandert. Etliche Tagereisen vor Alexandrien erlebte er jenen Überfall, den wir eingangs geschildert haben und der ihn des größten Teiles seiner Tagebücher und seiner Habe beraubte. Trotzdem ließ der Fünfundzwanzigjährige sich nicht entmutigen, sondern bereiste noch Ägypten, Syrien, Zypern und Kleinasien bis nach Konstantinopel und besuchte zum Schlusse noch Griechenland. Nach fast dreijähriger Abwesenheit langte er am dritten Weihnachtstage des Jahres 1847 wieder in Hamburg an. Diese Reise von ist in der Würdigung Barths immer stark vernachlässigt worden, sie mußte hinter der ihr sehr bald folgenden großen Reise durch Innerafrika vollständig zurücktreten. Und doch hat sie ihre Bedeutung, sowohl an und für sich selber wie auch für seine innere Entwicklung. Barth ist auf dieser Reise zum Manne geworden. Von jeher sich selbständig und überlegen fühlend, gewann er auf der Reise nun ein gültiges Recht dazu. Was vorher nur Anspruch war, ward jetzt vollzogene Leistung. Als Kind eher etwas schwächlich und kränklich, empfand er sich nunmehr stark und spannkräftig, trat hart und geradezu gebieterisch auf, verhielt sich in Gesellschaft schweigend und zurückhaltend. Außerdem war seine Einstellung zum Mittelmeergedanken wesentlich gefestigt worden. Sagte er doch selber im Vorworte seines Reisewerkes: "Es entwickelte sich bei mir stets lebendiger die Anschauung jenes Bassins, das wie ein großartiger Marktplatz zwischen den drei Ländermassen zwischengelagert die Völker hier zum friedlichen, großartigen Verkehr einladet, als einer Einheit, und es bildete sich der Plan in mir aus, dieses Bassin womöglich in seinem ganzen Umfange zu durchwandern und seine Gestade rund umher aus eigener Anschauung kennenzulernen." Diese Reise betrachtete er nicht als eine Reise schlechthin, die der Kenntnisnahme der zurückgelegten Wegstrecken dienen sollte, sondern als eine Vorbereitung oder, besser gesagt, als den Teil einer Vorbereitung, die der großen Überschau des Mittelmeerraumes dienen sollte. Aber das Werk, das er über die Reise oder vielmehr nur über die nordafrikanische Küste schrieb, hat, für sich selber betrachtet, einen hoch einzuschätzenden Wert. Sein Schwerpunkt liegt in der zwischen der Kleinen Syrte und dem Golf der Araber liegenden Küstenstrecke, die zwar schon vor Barth ein- oder zweimal bereist, aber nie so eingehend wie von ihm war beschrieben worden. Das Werk heißt Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres und trägt für den ersten Band den Sondertitel Wanderungen durch das Punische und Kyrenäische Küstenland oder Mag'reb, Afrika und Barka; es erschien im Sommer 1849 in der Besserschen Buchhandlung von Wilhelm Hertz in Berlin. Das Buch, in Ermangelung der geraubten Aufzeichnungen größtenteils aus dem

24 Gedächtnis geschrieben, ist rein sachlich und gewiß trocken, aber es ist sehr gründlich und verarbeitet viel antikes Material, indem es dieses zu Dingen der Gegenwart in Beziehung setzt. Vor der Fülle der Einzelheiten kommt der Verfasser selten zum Entwerfen größerer Zusammenhänge, geschweige denn lebensvoller Bilder. Bei allem Mangel an Anschaulichkeit bleibt das Werk aber doch eine wichtige Quelle für die Küstengebiete Nordafrikas. Der buchhändlerische Erfolg war, wie dies bei Erstlingswerken sehr oft der Fall ist, äußerst bescheiden. Die große afrikanische Entdeckungsreise In einem tunisischen Orte hatte ein Haussasklave, mit dem Barth sich über dessen innerafrikanische Heimat unterhielt, zu ihm gesagt: "Inschallah sollst du noch dich aufmachen und Kano besuchen." Diese Prophezeiung mußte damals, 1846, so unwahrscheinlich wie die meisten Prophezeiungen anmuten, denn Barths Interessen gingen über das Mittelmeergebiet nicht hinaus, und doch sollte sie sehr bald Wahrheit werden. Freilich bis es so weit kam, stand vor dem Heimgekehrten erst noch die große Frage: Was nun? Wenn irgendwann, mußte jetzt nach erfolgreicher Forschungsreise der richtige Zeitpunkt für eine Habilitation sein, mochte auch die revolutionäre Unruhe der Zeit von geistigen Bestrebungen ablenken. Er selber, ganz von seinen morgenländischen Studien gefesselt, hielt sich der Politik vollkommen fern, versagte sich auch trotz Drängens seiner Bekannten einer Teilnahme an den Kämpfen gegen die Dänen, in welchen wenig später der junge Gerhard Rohlfs sich auszeichnete. Lieber bemühte Barth sich, mit Hilfe seines früheren Lehrers Böckh, als Privatdozent an der Universität Berlin zugelassen zu werden, was im Oktober 1848 gelang. Allerdings erlebte er wenig Freude, denn er mußte gleich die erste, für das Sommersemester 1849 angekündigte Vorlesung über die Bodengestaltung Nordafrikas abbrechen, weil ihm die wenigen Hörer, die überhaupt erschienen waren, sehr bald fortblieben. Es heißt, er habe bei den Studenten zuviel vorausgesetzt und ihnen zuviel schwerverständlichen Stoff zugemutet, habe auch nicht zu fesseln verstanden - mag sein. Aber wer Hochschulverhältnisse kennt, der weiß, wie schwer es ein nichtbeamteter und nicht prüfender Dozent hat, sich bei denen durchzusetzen, die nur möglichst billig in die Prüfung und an die Futterkrippe heranwollen. Barth, der allein der Sache hingegeben war, verfiel einer tiefen Enttäuschung und Entmutigung. Dazu kam, daß sein Reisewerk nicht gehen wollte und daß Bemühungen um ein Mädchen von diesem abgewiesen wurden. In dieser Niedergeschlagenheit traf es sich nun, daß der berühmte Geograph der Universität Berlin, Professor Karl Ritter, Anfang Oktober 1849 seinem früheren Schüler und bedauernswerten Privatdozenten folgendes mitteilte. In England bereite man eine große Expedition vor, die unter Leitung des in Nordafrika schon mehrfach gereisten Missionars James Richardson stehe, um die Handelsverhältnisse des Sudans aufzuklären und dem Sklavenhandel entgegenzuwirken. Der preußische Gesandte von Bunsen nun habe in London angeregt, einen deutschen Gelehrten zuzulassen, und habe sich an ihn, Ritter, um Vorschläge gewandt. Der Teilnehmer müsse aber 200 aus eigenen Mitteln zu den Reisekosten zuschießen. War Barth zwar nur auf die Mittelmeerländer eingestellt, so konnte ihm doch in seiner gegenwärtigen Lage nichts erwünschter kommen. Er griff mit beiden Händen zu und bat seinen Vater brieflich um Bewilligung jener Summe. Wider Erwarten aber verweigerte der Vater sie ihm, und zwar lediglich aus Besorgnis um das Leben des Sohnes, der ja erst drei Jahre vorher in der Marmarika mit genauer Not dem Tode entgangen war. Inzwischen aber hatte das Foreign Office Barths Teilnahme genehmigt und wollte auch nicht von ihm absehen, als er seinen Rücktritt erklärte. Und des weiteren hatte die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin von sich aus einen anderen Anwärter in Vorschlag gebracht, den jungen Geologen Adolf Overweg, der ebenfalls Hamburger,

25 Barth aber nicht bekannt war. Und als nunmehr der Vater doch noch seine Einwilligung gab, da waren es statt eines zwei junge deutsche Gelehrte, welche die englische Expedition mitmachten. Overweg freute sich sehr, er ahnte nicht, daß nur die anfängliche Weigerung des alten Barth es war, die ihn in den Tod treiben sollte, denn er ist im Sudan geblieben. Anfang November 1849 fuhren die beiden Deutschen nach London und schlossen mit Richardson den Vertrag ab. Hiernach sollte dieser von Tripolis bis zum Tschad die Leitung des Unternehmens haben sowie Weg und Zeitmaß bestimmen. Vom Tschad sollte Richardson nach Norden zurückkehren, Barth und Overweg aber sollten ostwärts vorzudringen suchen - man überließ ihnen also den gefährlichsten Teil der Reise, denn dort war noch nie ein Weißer gewesen; gewisse Beträge wurden ihnen garantiert. Richardson bekam das Recht, im Namen Englands Verträge mit einzelnen Herrschern abzuschließen, und es wurde ihm zur Pflicht gemacht, Handelsbeziehungen zwischen England und Innerafrika anzuknüpfen, indem er die besten Verkehrswege und die Art von Ein- und Ausfuhrwaren feststellte. Barth selber drang auf stärkere Berücksichtigung wissenschaftlicher Belange, als eigentlich vorgesehen war, denn Richardson war ziemlich ungelehrt. Übrigens hat dieser sein Ziel, den Tschad, nicht erreicht, sondern starb im März 1851 wenige Tagereisen vor Kuka. Overweg ist anderthalb Jahre später am Ufer des Tschad gestorben. Als Heinrich Barth am 16. Januar 1850 in Tripolis landete, wo er schon vier Jahre vorher geweilt hatte, da mag ihm sonderbar zumute gewesen sein, denn es sollte diesmal in Länder gehen, in welche die antike Kultur nicht mehr gereicht hat, in die Heimat der langlebenden Äthiopen. Daß er antike Zeugen noch tief in der Sahara antreffen und mit seinem sicheren Griffel zeichnen würde, konnte er nicht ahnen. Aber das wußte er, daß unendliches Neuland vor ihm lag, denn was Hornemann und die Engländer Lyons und Ritchie von Fesan und was ihre Landsleute Denham und Clapperton von den zum Tschad führenden Wegen berichtet hatten, war im ganzen genommen so dürftig, daß man sich kein Bild von der Natur jener Gebiete machen konnte. Und dann: mit Mungo Parks und René Cailliés Schilderungen vom Niger und von Timbuktu war ebenfalls nicht viel anzufangen. In dieses dunkle Innerafrika Licht zu bringen, namentlich die Fluß- und Seenverhältnisse des Sudans aufzuklären, das gab einem doch die Zuversicht einer höheren Sendung. Zuerst einmal, denn Mister Richardson ließ einige Zeit auf sich warten, durchwanderten Barth und Overweg während dreier Wochen allein den Dschebel des nordwestlichen Tripolitaniens und brachten die erste recht gute Karte und Beschreibung desselben in die Scheuer. In einem farbigen Bilde suchte Barth die Landschaft des Gebirges festzuhalten, doch müssen wir gestehen, daß sein Auge die Art des verkarsteten Gebirges ziemlich mißverstanden hat; es fehlte damals noch die morphologische Schulung. Endlich am 31. März 1850 brach die stattliche Karawane von Tripolis in die Sahara auf. Nach fünf Jahren und fünf Monaten, am 27. August 1855, marschierte Barth ohne seine beiden Gefährten wieder durch das Oasentor in Tripolis ein. Den Verlauf der Reise möge man auf der Karte verfolgen. Die Hauptpunkte der Ausreise waren Mursuk, Rhat, Agades, Katsena, Kano, Kuka. Von Kuka aus unternahm Barth fünf Expeditionen nach verschiedenen Richtungen. Die erste führte südwärts über den Benue bis Jola in Adamaua; die andere nordostwärts nach Kanem; die dritte südostwärts nach Mandara und ins Land der Musgu; die vierte mehr ostwärts nach Barhirmi zu den Flüssen Logone und Schari bis nach Massenja. Die fünfte und größte Expedition ging von Kuka westwärts nach Sokoto, setzte bei Sai über den Niger und erreichte in grader Linie Timbuktu, von wo sie entlang dem Niger bis nach Sai zurückführte und schließlich wieder in Kuka ausmündete. Im Jahre 1855 endlich kehrte Barth über Kauar, Mursuk und Sokna, also auf ganz anderem Wege nach Tripolis zurück. Er ahnte nicht, daß er der erste Deutsche, ja überhaupt der erste Europäer war, der den Norden des späteren deutschen Schutzgebietes Kamerun betreten hatte.

26 [Vergrößern] Rein äußerlich war dies eine gewaltige Reise, denn sie umfaßte etwa Kilometer zurückgelegter Wegstrecken und brachte darüber hinaus Nachrichten über einen Flächenraum von rund 11 Millionen Geviertkilometern; dieser Raum erstreckt sich von der Syrte bis zum Nigerdelta, von der Westküste der Sahara bis fast an die Nilländer heran. Barth war unterwegs unermüdlich in der Wegaufnahme mit Kompaß und Uhr, und er hat durch seine Itinerare der Karte der durchreisten Gegenden überhaupt erst Inhalt gegeben. Von seinen kritischen Zeitgenossen ist getadelt worden, daß er keine geographischen Ortsbestimmungen angestellt hat; sie übersahen aber dabei, daß die Erfüllung des Kartenbildes mit zahlreichen Einzelangaben schließlich doch das länder- und völkerkundlich weit Wichtigere ist. Nie untersucht worden aber ist, ob Barths Wegaufnahmen wirklich so fabelhaft genau sind, wie stets behauptet wird. Dies ist nämlich, wie wir aus eigener Nachprüfung in Nordtripolitanien sagen können, nicht immer der Fall, so exakt die Karten auch aussehen. Durch unsere Bemängelungen seines zeichnerischen Blickes und seiner Aufnahmekunst soll dem Andenken des Mannes durchaus keine Beeinträchtigung erwachsen, denn man muß das ermattende Klima und die überlange Dauer und Eintönigkeit einer solchen Reise in Rechnung stellen, um kleine Unterlassungen zu erklären und zu entschuldigen. Die Routenaufnahme muß während des Marsches ohne Unterbrechung gemacht werden und nimmt den ganzen Menschen so stark in Anspruch, ja sie reibt ihn für die Dauer so auf, daß vorübergehende Ablenkung oder Unlust begreiflich wird. Auf dem Marsche also ununterbrochen in Anspruch genommen, arbeitete Barth die Aufzeichnungen im Lager oder Quartier aus und zog weitgehend Erkundigungen über Nebenwege und abseits gelegene Örtlichkeiten sowie über die Völkerstämme, ihre Geschichte und ihre Sprachen ein, die zu erlernen er sich ebenfalls stets die größte Mühe gab. Um nicht gar zu sehr aufzufallen, trug Barth einheimische Tracht und führte den arabischen Namen Abd el Keriem, "Diener des Barmherzigen". Er wußte die Eingeborenen anscheinend recht geschickt zu behandeln und spendete reichlich Bachschiesch, was den Verkehr sehr erleichterte. Um in das sagenhafte, sehr fanatische Timbuktu zu gelangen, gab er sich eine Zeitlang als Mohammedaner aus, während er sonst seinen christlichen, genauer gesagt abendländischen Charakter nicht verheimlichte. Die Ergebnisse der großen Reise brachten der europäischen Wissenschaft eine Fülle länder- und völkerkundlicher, geschichtlicher und sprachwissenschaftlicher Stoffe, die bis in ihre letzten

27 Einzelheiten auch heute noch nicht restlos verarbeitet worden sind. Leider ist Barth selber im allgemeinen nicht von der Form der tagebuchartigen Aufzeichnung abgewichen, vielleicht weil es ihn nach der Rückkehr drängte, der englischen Regierung möglichst schnell die Ergebnisse vorzulegen. So fehlt es an zusammenfassenden Übersichten über die einzelnen Länder, etwa in der Art, wie sie zwanzig Jahre später Gustav Nachtigal in so mustergültiger Weise in die Beschreibung seiner Reise eingliederte. Wahrscheinlich hatten Sahara und Sudan für Barth längst nicht jenes Gesamtinteresse, das er für den geschlossenen, antik unterbauten Raum des Mittelmeerbeckens empfand. So ist sein Reisewerk mehr ein großartiger Torso als ein durchgearbeitetes Kunstwerk. Die fünf starken Bände von 3500 Seiten Umfang, die es umfaßt, erschweren es ungemein, einen Gesamtüberblick über die Leistung zu gewinnen, und stellen an die Anteilnahme des Lesers reichlich hohe Anforderungen, da er in Gefahr gerät, im Einzelstoffe zu versinken. Versuchen wir die Hauptergebnisse der Reise herauszuschälen, so erhalten wir etwa folgende. Als sein Hauptverdienst nahm Barth selber mit Recht in Anspruch, daß er durch unermüdliche Routenaufnahmen die vorher sehr ungewisse Topographie in Sahara und Sudan als erster gründlich geklärt habe. Innerhalb der Sahara hat er die erste Karte des Dschebel von Nordwesttripolitanien und der gesamten Karawanenstrecke von Tripolis bis zum Sudan geschaffen. Innerhalb dieser Strecke hat er als erster betreten und beschrieben die wasserlose Hochfläche der Hammada el homra und das Hochland von Aïr. Seine Schilderungen gaben zum erstenmal Aufklärung über die wahre Oberflächengestalt und Natur der Sahara. Innerhalb des Sudans hat Barth als erster Europäer die Länder Kanem, Barhirmi, Musgu und Adamaua betreten und beschrieben, das Land Bornu, das Gebiet zwischen Tschad und Niger, also das Reich Sokoto, als erster eingehend geschildert und die Geschichte jener innerafrikanischen Reiche aufgezeichnet. Außerdem hat er die Flüsse Benue, Logone und Schari entdeckt und nachgewiesen, daß der Benue vom Tschad unabhängig, sowie daß er die gegebene Wasserstraße zur Aufschließung dieses zentralafrikanischen Raumes sei. Sodann hat er die zwischen Timbuktu und Sai gelagerte Laufstrecke des Nigers als erster gut kartiert und festgelegt. Ferner hat er die Natur des Tschad als seichtes Süßwasserbecken nachgewiesen, das mit dem Meere in keiner Verbindung steht. Und schließlich hat er die ersten guten und ausführlichen Beschreibungen über die Völker der Tuareg und Fulbe, der Haussa und Kanuri, der Sonrhai und Musgu sowie anderer Neger gegeben. - Als Heinrich Barth Mitte September 1855 über Paris in London eintraf, da war er, kaum fünfunddreißig Jahre alt, ein berühmter Mann. Bereits einmal totgesagt, erschien er nun doch als einziger Überlebender - leider nicht Richardson, mag sich damals mancher Engländer gesagt haben. Und dieser Mann trat nicht als zag dienender, nach huldvollen Blicken haschender kleiner Deutscher auf, sondern als selbstsicherer, seiner Leistung bewußter Mann, denn er hatte den Engländern die Schlüssel von Innerafrika zu überreichen. Von London eilte Barth nach Hamburg ins Vaterhaus und dann nach Berlin. Es kamen mehrere Orden, von der Vaterstadt Hamburg der Ehrenbürgerbrief, von der Pariser Geographischen Gesellschaft die große Goldene und von Preußen der Rote Adler Dritter. Mit dem Verlage J. Perthes in Gotha schloß er einen Vertrag über das vorhabende Reisewerk ab, der ihm ein Honorar von 5500 Talern in Aussicht stellte - für damalige Zeit eine recht anständige Summe, zumal wenn man bedenkt, daß der Verlag Longmans in London ihm für die gleichzeitig erscheinende englische Ausgabe nur 500, also kaum zwei Drittel jener Summe zahlte. Aber sonst - ja sonst stand Barth eigentlich genau an dem gleichen Punkte, an dem er schon acht Jahre vorher nach der großen Mittelmeerreise gestanden hatte, nämlich vor der Wahl einer bürgerlichen Lebensstellung. Es gab zwei Möglichkeiten, entweder eine Professur an einer deutschen Universität, möglichst

28 Berlin, oder aber eine von der Regierung garantierte Stellung in England. Nach Verabredung mit Karl Ritter, dem Ordinarius der Geographie, stellte er schon Mitte Oktober 1855 an die Philosophische Fakultät der Universität Berlin den Antrag, das Kultusministerium möge ihm eine Anstellung als Professor Ordinarius der Geographie für das Jahr 1857 mit einem Gehalte von 1500 Talern zusichern, und der König möge ihm eine Unterstützung von Talern zur Herausgabe des Reisewerkes bewilligen. Gleichzeitig hiermit schlug Humboldt Barth eine Anstellung an der Scharnhorstschen Sammlung vor. Diese günstigen Aussichten wurden aber von anderer, Barth ebenfalls wohlwollender Seite durchkreuzt. Bunsen nämlich, jetzt nicht mehr Gesandter in London, aber für alles Englische sehr eingenommen, suchte seinen Schützling für - England zu retten, erklärte ihm, daß er es dort viel besser haben werde, und riet ihm, dann freilich die Bemühungen um eine Professur in Berlin einzustellen, da er als deutscher Professor den größten Teil seiner Aussichten in London verlieren und wesentlich geringere Gelder erhalten werde. Er gab ihm auch zu bedenken, daß er jenen Berliner Geographen Heinrich Kiepert, der schon lange auf das Freiwerden von Ritters Lehrstuhl warte, sowie dessen großen Anhang gegen sich haben und damit in sehr unerquickliche Verhältnisse geraten dürfte. (Letzteres sollte sich tatsächlich bewahrheiten, als Barth im Jahre 1863 endlich die Bestallung als Professor gelungen war.) Vor allem aber begründete Bunsen seine Darlegungen damit, daß er bei der englischen Regierung folgende Summen für Barth beantragen wolle: 1600 als Entschädigung für Reiseausgaben, 3000 an nachträglichem Gehalte, da er ja seit Richardsons Tode Leiter der englischen Handelsexpedition gewesen war, ferner 2000 für die Herausgabe des Reisewerkes. Die englische Regierung bewilligte ihm statt der nachgesuchten 6600 nur 5280, immerhin runde Mark. Solcher Verlockung vermochte Barth nicht zu widerstehen. Diese Summen sahen ja auch wirklich anders aus, als was Berlin ihm zu bieten hatte, nämlich nicht mehr als auf die Dauer von zwei Jahren eine Jahressumme von 1000 Talern, die erst 1861 verlängert und auf 1500 Taler erhöht wurde. Freilich hat Barth das englische Geld mit einer Unsumme von Ärger quittieren müssen. Ende November 1855 siedelte er nach London über, wo er sich ein hübsches kleines Landhaus mietete. Sogleich machte er sich an die Ausarbeitung seiner Tagebücher für das große Reisewerk, doch fiel es ihm anfangs schwer, sich an das lange Sitzen am Schreibtisch zu gewöhnen. Und sehr bald geriet er in Streit mit der Royal Geographical Society, mit der Anti-Slavery Society - beides sehr angesehene und einflußreiche Gesellschaften - und schließlich noch mit dem Foreign Office selber. Die Geographical Society erhob Anspruch auf seine Tagebücher, den er zurückwies. Der Streit mit ihr spitzte sich so schnell und stark zu, daß Barth von der ihm zu Ehren stattfindenden Sitzung fortblieb und auch die ihm zugedachte goldene Medaille nicht annahm; erst im März 1856 ließ er sich dazu bereitfinden. Die Anti-Slavery Society, eine richtige Muckergesellschaft puritanischen Schlages, beschuldigte ihn, sein Christentum verleugnet, ja sogar - Sklaverei getrieben und begünstigt zu haben. Das Foreign Office versuchte ihn als seinen Angestellten zu behandeln und weiterhin auszunutzen. Auch dies ging dem Privatgelehrten gegen den Strich. Außerdem erbitterte es ihn, daß im Foreign Office seine im Sudan für Englands Handelspolitik geleistete Arbeit jetzt plötzlich vollkommen verneint wurde. Die Handelspolitik, die zu Beginn der Reise auf wirtschaftliche Erschließung des Sudans gerichtet gewesen war, hatte sich inzwischen insoweit vollkommen verändert, als England fortan Rücksicht auf das ihm im Krimkriege verbündete Frankreich nahm und es in Afrika nicht vor den Kopf stoßen wollte. Eine von Barth in auftragsgemäßer Wahrnehmung der englischen Belange veranlaßte Gesandtschaft des Herrn von Timbuktu wurde in Tripolis vom englischen Generalkonsulat angehalten und zur Rückkehr genötigt, ohne bis nach England durchgelassen zu werden; hierdurch empfand Barth sich im Sudan um sein ganzes Ansehen gebracht. Er sah alle seine Wirtschaftsarbeit, die er mit Hingebung geleistet hatte, zur Nutzlosigkeit verurteilt und fühlte sich als das Opfer der Politik. Wie oft ist es

29 doch schon vorgekommen, daß ein Gelehrter mitsamt seinem Lebenswerk schuldlos zwischen den politischen Mühlsteinen zerrieben worden ist! Von den in diesem Buche behandelten Männern haben dies auch Rohlfs, Wissmann, Lüderitz und besonders Peters erfahren müssen. Angewidert von dem englischen Cant, sich im Mittelpunkte eines wahren Netzes von Intrigen wähnend, lechzte Barth nach anderen, nach heimischen Verhältnissen, nach Selbständigkeit innerhalb eines wenn auch engeren Rahmens. Von seiner früheren Liebe zu England war er gründlich geheilt, er mochte eingesehen haben, daß ein Mann in sein Volk gehört, nirgend woanders hin. Barth selber mag bei seiner kantigen, unverbindlichen Art nicht ganz ohne Schuld an seinem schlechten Verhältnisse zu den Engländern gewesen sein, aber es gab eben in England einflußreiche Kreise, die dem Deutschen die Krone der Afrikaforschung mißgönnten. Im Jahre 1861 hatte er die Genugtuung, daß England sich plötzlich seiner Wirtschaftskenntnisse von Innerafrika erinnerte und ihn zur Rückkehr nach England zu bewegen suchte; ja bald darauf schickte man ihm den schon 1855 versprochenen Bath-Orden. Aber Barth hütete sich, darauf einzugehen, hatte er doch auch sofort erkannt, daß es nur die Besorgnis um den Ausfall der - Baumwolle war, den der drohende amerikanische Bürgerkrieg in Aussicht stellte, was die Engländer zu verspätetem Einlenken bewog. Damals, im Jahre 1858, verließ Barth, sofort nachdem er den fünften Band seines Reisewerkes abgeschlossen hatte, das unholde Albion. Das große Reisewerk, auf dem der Glanz seines Namens beruht, trägt den Titel: Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren Tagebuch seiner im Auftrage der Brittischen Regierung unternommenen Reise. 5 Bände von zusammen 3504 Seiten mit zahlreichen Bildern und 10 Karten zumeist im Maßstab von 1 : 1 Mill. oder 1 : 0,8 Mill. Eine kleine Ausgabe in 2 Bänden, von Lorentzen bearbeitet, erschien 1859/60. Beide verlegte J. Perthes in Gotha. Als Ganzes genommen ist es ein gründliches und aufschlußreiches Werk, in dem eine Fülle treffender und anschaulicher, durchaus lebendiger Schilderungen enthalten ist. Wenn manche Kritiker es trocken und ermüdend gefunden haben, so ist das nicht ganz richtig, denn eine gewisse Ermüdung und das Gefühl eines Untergehens in Einzelheiten führen mehr auf den riesigen Umfang zurück, als daß sie auch auf einen einzelnen Abschnitt zuträfen. Als Barth im Herbst 1858 England verließ und nach Deutschland zurückkehrte, konnte der erst Siebenunddreißigjährige nicht ahnen, daß nur noch sieben Lebens- und Wirkensjahre vor ihm liegen sollten. Und noch weniger ahnte er, daß auch in der Heimat genug Intrigen gesponnen wurden, um ihm das Dasein schwer und bitter zu machen. Zuerst aber, und zwar zum dritten Male in seinem Leben, stand er erneut vor der Frage eines festen Berufes, wenn er nun auch, weil er inzwischen in den Besitz des väterlichen Erbes gelangt war, keine Not zu fürchten hatte. Da die Fäden mit der Universität Berlin nicht mehr so fest wie früher waren, so dachte Barth anfangs an einen Konsulatsposten im Morgenlande, und er unternahm noch im Jahre 1858 eine Reise dorthin, teils um die fraglichen Verhältnisse, teils um im Dienste seiner Mittelmeeridee Nord-Kleinasien kennenzulernen. Begleitet von dem hanseatischen Konsul in Konstantinopel, Dr. A. Mordtmann, ritt er im November und Dezember, also zu reichlich später Jahreszeit, von Trapezunt über Tokat, Amasia und Angora nach Konstantinopel. Er hat die Reise in dem Buche Reise von Trapezunt durch die nördliche Hälfte Kleinasiens nach Skutari, das 1860 bei J. Perthes erschien, gut und umsichtig beschrieben. Da die Hoffnungen auf ein Konsulat sich aber zerschlugen, so ließ Barth sich im Januar 1859 in Berlin nieder. Anfangs gefiel es ihm dort recht gut, aber seine alten Gönner Humboldt und Ritter starben noch im selben Jahre, so daß niemand mehr selbstlos um ihn bemüht war. Von der seinerzeit

30 in Aussicht gestellten Professur war keine Rede mehr, und Ritters Nachfolger an der Universität wurde nicht er, sondern Heinrich Kiepert, der sich um die geschichtliche Geographie der Antike und um die Kartenkunde Kleinasiens sehr verdient gemacht hatte, dem heutigen Leben der Länder und Völker aber vollkommen fernstand. So mußte sich Barth mit einer Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft für Erdkunde begnügen, in welcher er Ende 1859 zweiter und 1863 erster Vorsitzender wurde. Hier setzte er sich eifrig für den Fortgang der Erforschung Afrikas ein und erteilte zahlreichen Reisenden Rat und Hilfe. Die Gründung der Karl-Ritter-Stiftung zur Unterstützung von Forschungsreisenden war hauptsächlich sein Werk. Er verstand es, Geld für andere zu sammeln und schoß auch aus eigenem Besitze namhafte Summen dazu. Allein für Eduard Vogel, den er 1854 im Sudan getroffen hatte und der dann in Uadai verschollen war, hat er drei Hilfsexpeditionen zusammengebracht, nämlich die von Th. v. Heuglin, die von M. v. Beurmann und die von K. v. d. Decken. Auch für Rohlfs und Schweinfurth hat er sich noch einsetzen können. Um so unbegreiflicher ist es für den, der nicht hinter die Kulissen blickt, daß der berühmte Mann, den Ritter schon 1855 als eine glänzende Akquisition für die Universität Berlin erklärt hatte und dessen Namen die ganze gebildete Welt kannte, in der amtlichen Wissenschaft keine besondere Rolle spielte. Als er Ende 1862 der Philologisch-historischen Abteilung der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften als ordentliches Mitglied vorgeschlagen wurde, lehnte die Mehrzahl der Akademiker seine Wahl ab, darunter selbst sein alter Lehrer Böckh und sein Studienbekannter Mommsen, außerdem u. a. der Indienreisende Schlagintweit und der Ägyptologe Lepsius, die ihn nicht leiden konnten; Lepsius hat bekanntermaßen vielen aufstrebenden Talenten, so z. B. dem Ägyptologen Brugsch, böse Hindernisse in ihren Lebensweg gewälzt. Die Philologen erklärten, Barth habe sprachwissenschaftlich doch noch nichts geleistet, deshalb liege kein Grund vor, ihn der höchsten Auszeichnung zu würdigen. Heinrich Barth, ohnehin leicht verletzt, wußte seine Empörung kaum zu bändigen. Vor allem fort von Berlin. Aber als sich die Universität Jena ihm geneigt zeigte, da erinnerte sich auch das Preußische Kultusministerium plötzlich wieder seiner und berief ihn im Mai 1863 wenigstens als ao. Professor mit 1500 Talern Jahresgehalt an die Universität Berlin. Intrigen, in denen u. a. der o. Professor Kiepert eine große Rolle spielte, hatten dies vier Jahre lang zu verhindern gewußt. Wie manchem tüchtigen Gelehrten, und grade wenn er etwas Ungewöhnliches geleistet hat, ist nicht durch Blindschleichen und Maulwürfe der Weg verschüttet und das Leben vergiftet worden, sobald es ihnen gelungen ist, sich in den Vordergrund zu drängen. Im Wintersemester 1863/64 las Barth zum ersten Male, und zwar über Allgemeine Erdkunde und über Geschichte der geographischen Entdeckungen. Das erstere Kolleg wurde von sechzig, das letztere von zehn Hörern besucht. Er seufzte glücklich auf: "Gott sei Dank, daß ich nun einen wissenschaftlichen Rückhalt habe und vollauf zu arbeiten." Und daß er zu arbeiten hatte! Da war neben der Vorbereitung der Vorlesungen die Ausarbeitung der zahlreichen sprachlichen Einsammlungen aus dem Sudan, die sich auf die Sprachen der Kanuri, Teda, Haussa, Fulbe, Sonrhai, Wandala, Barhirmi und Maha erstreckten. Das große Werk darüber begann 1862 unter dem Titel Sammlung und Bearbeitung Central-Afrikanischer Vokabularien bei J. Perthes in Gotha zu erscheinen. Welche wichtigen Ergebnisse es enthält, kann man beispielsweise daraus ersehen, daß er den Weg der Einführung des Pferdes in den Sudan auf rein etymologische Weise erschloß. Trotzdem er noch am Tage vor seinem Tode daran arbeitete, ist es doch unvollendet geblieben, und mehrfache spätere Versuche, seine Aufzeichnungen auszuarbeiten (woran sich u. a. auch Nachtigal beteiligte), führten zu keinem Erfolg. Sodann wirkte er sehr eifrig an der Vorbereitung seines schon seit langer Zeit geplanten großen

31 Werkes über die Mittelmeerländer. In den Jahren machte er noch vier Reisen dorthin, und zwar zwei durch die Balkanhalbinsel, eine durch Italien und eine durch die Alpen. Zur Bearbeitung jenes Werkes ist er nicht mehr gelangt, denn sieben Wochen nach der Rückkehr aus Albanien und Montenegro erkrankte er urplötzlich unter furchtbaren Magenschmerzen und starb schon am zweiten Tage, dem 25. November 1865, in Berlin. Virchow stellte bei der Sektion eine Zerberstung des Magens infolge akuter Magen- und Darmentzündung fest. Auf dem Jerusalemer Kirchhofe wurden Heinrich Barths sterbliche Reste beigesetzt. Gustav von Schubert, sein Schwager, veröffentlichte 1897 eine Lebensbeschreibung Barths. Das Charakterbild Heinrich Barth war ein sehr eigengearteter Mann, der gefühlsmäßig ganz in sich gekehrt, tathaft aber weit nach außen wirkend seinen Weg durchs Leben als Einsamer ging. Ohne Weib noch Freund, unbegriffen und ungeliebt stand er zwischen seinen Zeit- und Berufsgenossen, argwöhnisch und mißtrauisch gegen andere, die ihm diese Empfindungen mit Unverstehen und Intrige vergalten. Aber er ging seinen Weg fast ohne Schwanken, geistig schon seit seinem zwanzigsten Lebensjahre völlig im klaren über das Lebensziel, nur in der bürgerlichen Berufsfrage ein paarmal zaudernd und ein einziges Mal fehlgreifend. Aber nicht nur ein einsamer Mensch, auch ein früh vollendeter Mensch war er. Alles kam bei ihm sehr zeitig. Der Primaner war geistig seinen Altersgenossen weit voraus und arbeitete schon für sein späteres Lebenswerk. Der zwanzigjährige Student machte eine zehnmonatige Italienreise und empfing die Intuition der Mittelmeeridee, die hinfort der Leitstern seiner Arbeit blieb. Der achtundzwanzigjährige Privatdozent brach zu einer der größten Entdeckungs- und Forschungsreisen auf afrikanischer Erde auf und kehrte als vierunddreißigjähriger berühmter Mann zurück. Dann kam der Tod schon mit vierundvierzig. Und diese kurzen Jahrzehnte waren mit rastloser Arbeit vollgestopft, die mit einem geradezu unheimlichen Fleiße ausgeführt wurde. Es mutet fast wie die Vorahnung frühen Todes an, die nur darauf bedacht ist, von der Frucht noch möglichst viel in die Scheuer zu bringen. Selten hat größere und selbstlosere Hingabe all das geistige Werk, selten tiefere Überzeugtheit von einer höheren Sendung in einem Manne gelebt als in Heinrich Barth. Und trotzdem, trotz aller Frühvollendetheit, blieb er ein Unvollendeter, da der jähe Tod ihm verwehrte, jenes Werk zu schreiben, welches er seit vierundzwanzig Jahren für die Erfüllung seines Lebens hielt. - Über die Abstammung von Barths Mutter ist nichts weiter bekannt, als daß sie in Hannover gebürtig war, einer Stadt also, die noch heute auffallend viel hochgewachsene nordische und fälische Menschen hat und damals, Ende des 18. Jahrhunderts, ihrer verhältnismäßig noch mehr gehabt haben wird. Der Vater wurde zu Willmersdorf bei (heute Groß-)Breitenbach geboren, das 600 m hoch am Nordhange des Thüringer Waldes zwischen Wald, Acker und Talwiese gelegen ist. Er entstammte einer Heinrich Barth, ca. 1860

32 Weberfamilie, die möglicherweise von der Südseite des Thüringer Waldes, von Waffenrod, also aus mehr fränkischem Stammesgebiete herübergekommen ist. Noch heute leben in Willmersdorf Barths, die alle von einem älteren Oheim des Afrikareisenden abstammen und eine Art Intelligenzschicht im Dorfe bilden. In der Kirche von Herschdorf, wohin Willmersdorf früher eingepfarrt war, steht ein eisernes Altarkruzifix mit der Inschrift "J. C. Barth 1849". Möglicherweise hat der Vater des Reisenden es anläßlich der Errettung des Sohnes aus Todesnot oder des Antrittes seiner neuen gefährlichen Reise gestiftet. Wir verdanken diese Angaben dem Pfarramte zu Herschdorf. Bei der Beurteilung von Barths rassischer Zugehörigkeit müssen wir uns an zwei Bilder halten, von denen das eine ihn als etwa achtundzwanzigjährigen Privatdozenten vor Antritt der großen Afrikareise zeigt, während das andere ihn in seinem letzten Lebensjahre, also als Frühvierziger und mit Orden geschmückt darstellt. Was sich trotz Vollbart sicher erkennen läßt, ist, abgesehen von der etwa mittelblonden Farbe des Haares, die breite und freie Stirn, die blaue Farbe der Augen und, auf dem späteren Bilde, die Breite, die Höhe und das leichte Hervortreten der Jochbögen, wodurch hier die Augen von unten herauf gedrückt, also schmaler erscheinen. Sehr auffallend ist auf dem späteren Bilde der durch die schmalen Augen und durch die von der Nase zum Mundwinkel ziehenden Furchen erzeugte Ausdruck des Argwohns und des Hinter-dem-Berge-Haltens, der den Mann zu isolieren scheint. Um den Mund, dessen Oberlippe unter dem Schnurrbarte verborgen bleibt, spielt es wie Lächeln der Verachtung. Das frühere Bild zeigt noch nichts von dieser charakterlichen Artung, sei es, weil die Enttäuschungen noch fehlten, sei es, daß der Zeichner oder Holzschneider seiner Aufgabe nicht gewachsen war. An eine rassische Analyse möchten wir uns nur mit Vorsicht heranwagen. Das Antlitz ist nicht rein nordisch und auch nicht rein fälisch, das Ostische könnte immerhin in den hochgezogenen Jochbögen zum Ausdrucke gelangen. Der Körper wird als mittelgroß, fest und gedrungen geschildert - Angaben, mit denen auch nicht viel anzufangen ist. Sein Charakter jedenfalls zeigt entscheidend fälische Züge, denen ein Schuß nordischer Weitzügigkeit beigemischt war. Sein Gesicht wies, nach dem späteren Bilde zu urteilen, einen Ausdruck auf, der mehr thüringisch als niedersächsisch war. Anscheinend haben unausgeglichene blutliche und stammliche Unterschiede, die nicht zum Einhall gelangten, Spannungen in ihm erzeugt, die ihn als zerrissenen, unfrohen Menschen erscheinen ließen. Mehr dürfte sich über das Äußere kaum sagen lassen, dagegen sind wir über sein Charakterbild im einzelnen recht gut unterrichtet. Wir werden es nach seiner Gefühligkeit, Willenhaftigkeit und Geistigkeit genauer betrachten. Heinrich Barth wirkte auf die meisten Menschen hart und schroff, abweisend und oft abstoßend; er erschien ihnen kalt und herzlos, ohne innere Anteilnahme an Dingen, die nicht sein Ich berührten. Und es ist wirklich so, er wahrte immer den Abstand und verblieb im Mittelpunkte eines kühlen Raumes, dessen Luft die anderen frösteln machte. Nebensächliches und Alltägliches ließen ihn vollkommen unberührt. Zurückhaltend und mißtrauisch gegen alle Welt, vergalt diese es ihm mit Zurücksetzung und Mißgunst. Schon auf dem Johanneum war er unter seinen Mitschülern wenig beliebt, erschien ihnen als trockner Pedant, wohl auch als Streber; dabei war seine eifrige Lektüre der alten Schriftsteller keineswegs dem Dienste der Schule gewidmet, sondern entsprang seiner Liebhaberei, die mit dem schon unklar geahnten Lebensziel in Zusammenhang stand. Später entwickelte sich in ihm eine Unfügsamkeit und Reizbarkeit, die besonders seit der innerafrikanischen Reise zunahm, als er des großen Erfolges stolz und der Besonderheit seiner Bedeutung sich voll bewußt war. Der langjährige Tropenaufenthalt mag seine Reizbarkeit und sein Mißtrauen gesteigert haben. Jedenfalls sind seitdem, also seit seinem fünfunddreißigsten Jahre, Ärgereien und Mißverständnisse gegenüber die Mitwelt für seine Gefühlslage gradezu bezeichnend gewesen. Der Abgrund, der zwischen seinem Gemüte und der Menschheit klaffte, war

33 unüberbrückbar, denn es scheint Barth an Humor völlig gefehlt zu haben. Er war ohne Frohsinn, lachte selten, verzog sein Antlitz höchstens in spöttischer Verachtung oder bitterem Groll. Findet sich in seinen Reisebeschreibungen einmal ein nicht ganz ernst gemeintes Wort, dann ist es ironisch gemeint. So fehlte seinem Innern eine befreiende Tür nach außen, alle seelischen Vorgänge vollzogen sich in folgerichtiger und unerbittlicher Reihenfolge, es gab keine munteren Sprünge, es gab keine drolligen Fehlgriffe, es gab kein überschäumendes Toben, wie es für Nachtigals Entwicklung so bezeichnend gewesen ist. Barth kannte nur eisernes Pflichtgefühl für sich selber und Mißtrauen gegen die anderen. Wenn er als Knabe, in der Pause und für sich stehend, Freiübungen machte, dann tat er dies nicht aus Freude an der körperlichen Bewegung, sondern weil der Arzt es als heilsam für seine damalige körperliche Schwächlichkeit empfohlen hatte; er tat es mit zusammengebissenen Zähnen und ohne auf die Bemerkungen zu hören, mit denen die Mitschüler sicherlich nicht sparten. Nie hat er, soweit uns bekannt ist, getollt und sich verschwendet, ewig blieb er der unantastbare, ernste Pflichtmensch. Ja, er konnte finster und gewaltsam erscheinen, so wenn er dem Bräutigam seiner Schwester schrieb: "Wenn Sie meine Schwester unglücklich machen, schieße ich Sie tot." Als er nach fünfeinhalbjahriger Abwesenheit in Afrika zu seiner elterlichen Familie nach Hamburg zurückkehrte, da begrüßte er sie so ruhig, als hätte er einen kurzen Ausflug gemacht. Und doch war er, der schon einmal totgesagt worden war, innerlich von dem Wiedersehen erschüttert. Er war ja gar nicht so gefühlsarm und gefühlskalt, wie die Menschen glaubten. Sein Familiensinn war sogar sehr ausgeprägt, die Liebe besonders zu seinem Vater, dessen er stets mit wärmsten Worten gedenkt, war groß und scheint nie gewankt zu haben. In vertrautem Kreise konnte der sonst so Schweigsame mitteilsam und anregend sein, sobald es große Fragen der Wissenschaft oder der Politik betraf. Dann ging er wohl gar einmal aus sich heraus und fand freimütige und kräftige Worte. Wie empfindsam er zu fühlen und wie aufgeschlossen sein tiefstes Inneres zu sein vermochte, zeigen gelegentliche Stellen seiner Reisewerke, z. B. dort, wo er nach fünfeinhalbjähriger Abwesenheit in Tripolis sein geliebtes Mittelmeer wiedersah. Da "wallte mein Herz vor Freude über" und "fühlte ich mich von solcher Dankbarkeit gegen die göttliche Vorsehung erfüllt, daß ich nahe daran war, von meinem Pferde abzusteigen, um am Gestade des Meeres dem Allmächtigen ein Dankgebet darzubringen". Sein Verhältnis zur Frau ist anfänglich positiv gewesen, wenigstens hat er sich 1848 um eine solche bemüht, aber freilich einen Korb erhalten, was ihn mit zur Teilnahme an der englischen Expedition bewogen haben soll. Und nach Rückkehr aus Innerafrika hat er nach einer Frau und nach Begründung einer eigenen Familie gradezu gelechzt. Aber sein Selbstgefühl scheint doch in diesem Punkte durch jenen Mißerfolg gelitten zu haben, denn damals in London vertröstete er sich selber auf das Erscheinen des ersten Bandes, der ihm schon Gelegenheit geben werde, "entsprechende Naturen" kennenzulernen. Offenbar aber sind ihm solche niemals begegnet. Nicht verschweigen wollen wir, daß uns im Jahre 1906 in Tripolis der Saharareisende Hanns Vischer, Assistentresident der englischen Bornuprovinz, Northern Nigeria, erzählt hat, in Kuka lebten einige farbige Nachkommen Heinrich Barths. Über den nationalen Gehalt seiner Gefühligkeit sind wir wenig unterrichtet. Im großen und ganzen scheint er im kosmopolitischen Gelehrtenfahrwasser jener Zeit geschwommen zu sein. Die Märzrevolution von 1848, von der er in Hamburg hörte, dürfte keinen sonderlichen Eindruck auf ihn gemacht haben, und zu einer Teilnahme an den schleswig-holsteinischen Freiheitskämpfen gegen die Dänen ließ er sich trotz Drängens seiner früheren Studiengenossen Mommsen und Droysen nicht bewegen; er war zu sehr auf seine wissenschaftliche Lebensarbeit eingestellt. Dagegen war er, der schon mit vierzehn Jahren gut Englisch verstand, ein Bewunderer des englischen Volkes, was bei einem Hanseaten damaliger Tage nicht ganz unverständlich ist, zumal er die Macht Englands und den Schutz seiner Konsuln auf seiner Mittelmeerreise kennengelernt hatte. Als er freilich die Kälte und Unbeständigkeit der englischen Regierungsmethoden, die Abneigung

34 weiter englischer Kreise gegen alles Fremde, besonders auch die Anmaßung und den Cant aus allernächster Nähe kennenlernte, da ward er sehr bald ernüchtert und begann dieses Volk des schönen Scheines und der eisigen Rechenkunst zu verachten und zu hassen. Hierdurch dürfte er sich auch seines deutschen Herzens erst recht bewußt geworden sein, war doch inzwischen auch die Zeit gekommen, die dann sehr schnell zur Einigung der deutschen Bundesstaaten im Zweiten Reiche führte. Wir würden seine Gefühligkeit nicht erschöpfend behandeln, wenn wir nicht auch seinen Idealismus hervorheben würden. Hier zeigte sich eine uneingeschränkte und auch für jedermann unmißverständliche leidenschaftliche Hingabe an unmaterielle Ziele, die ihn keine Mühe, keine Gefahr, keine Kosten scheuen ließ. Gewiß wurde ihm dieses Streben durch geldliche Gesichertheit erleichtert, aber wir glauben uns nicht zu täuschen, daß Heinrich Barth auch als armer Teufel seinen Weg in ähnlichem Sinne gemacht haben würde. - Einer derart angelegten Gefühligkeit entsprach eine Willenhaftigkeit von unbändiger Stärke, die sich nie und vor niemandem beugte. Sein Wille war von urhafter Selbstverständlichkeit, er bedurfte nicht der geringsten Aufsicht oder gar Antriebes durch Überlegung, sondern war einfach da; man möchte sagen, Barths Wille war stärker als Barth selber. Der Körper erschien nur mehr als Hülle, gradezu als Gefängnis dieser urtümlichen Willenhaftigkeit, die ihn zu sprengen drohte. Die meisten Menschen hätten die erste Mittelmeerreise nach Überfall und Verwundung abgebrochen, und sie hätten es mit Anstand tun können, denn die Bereisung der gesamten Nordküste Afrikas allein schon war grade in damaliger Zeit eine hochachtbare Leistung. Aber nein, Barth schloß noch anderthalb Jahre in Ägypten und Vorderasien daran. Und dann die endlosen Jahre im Innern Afrikas, jahrelang ohne Aussprache mit einem weißen Manne, immer beargwöhnt, ohne Geld, nicht selten inmitten lauernder oder offener Gefahren - was denkt ihr, Barth hielt aus, es scheint ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen zu sein, abzubrechen und heimzureisen. Welcher gebildete Europäer vorher hatte so lange im unbekannten Mittelpunkte Afrikas unter Schwarzen verbracht? Livingstone hatte damals immerhin Weib und Kind bei sich. Mut und Beharrlichkeit zeichneten diesen Mann aus. Er schrak vor nichts zurück, sondern ging dem Ungewissen mit zusammengepreßten Zähnen entgegen. Und er beharrte unerschütterlich in der Verfolgung eines Zieles, wenn er dieses als erstrebenswert erkannt hatte. Eine Entmutigung durch Fehlschläge gab es überhaupt nicht, Fehlschläge waren doch nur dazu da, zu einer ganz besonderen Anstrengung anzuspannen. Sein Mut war nie Tollkühnheit, vielmehr behielt sein Verstand stets eine Stimme dabei. Auf der großen innerafrikanischen Reise begab er sich niemals in neue Gegenden, bevor er nicht in der alten Gegend, die er verließ, einen vertrauenswerten Freund gefunden und zurückgelassen hatte, auf den er sich notfalls zurückziehen konnte. So eignete er sich nicht nur geistig, sondern auch willensmäßig trefflich zum Entdecker. Nicht allein, daß Reisen seine Leidenschaft war; "nichts in der Welt macht mich so glücklich als eine weite offene Landschaft, ein bequemes Zelt und ein schönes Pferd". Nein, seine Entschlossenheit und Geduld, seine Genügsamkeit und Entsagungsfähigkeit, dies alles ließ ihn bis zur Selbstaufopferung einem gesteckten Ziele nachgehen, das er genau in der Stunde, welche die geeignetste war, zu erreichen wußte. Der Benue und Timbuktu sind hierfür leuchtende Beispiele. Solche Eigenschaften, unschätzbar für einen Entdecker in wildem Lande, sind oft nicht so schätzenswert für das Leben in der Heimat. Von seiner Mittelmeerreise kehrte der siebenundzwanzigjährige Privatdozent nicht nur als Mann zurück, sondern auch mit geprägtem Selbstbewußtsein, gebieterisch auftretend, durch seine Leistung vor ihm selber zu Höhen gehoben und in Kanten geschliffen, die zu dem bürgerlichen Kastengeiste einer Universität der Biedermeierzeit nicht gut passen konnten. Dieses Selbstbewußtsein versagte es ihm, sich im richtigen Augenblicke zu beugen. Er, der in der Wahl der Mittel in Afrika nie verlegen war und sich

35 anzupassen wußte, vergriff sich in Europa nur zu oft darin und wußte die Menschen nicht zu nehmen. Da kam es ihm nicht mehr in vorderster Linie darauf an, sein Ziel zu erreichen, sondern sich selber, seinen Willen zu behaupten und seinen harten Schädel durchzusetzen - und wenn er bis zur Zurückweisung der goldenen Medaille der angesehensten geographischen Gesellschaft der Erde gehen mußte. Im selben Augenblick, als er merkte, daß diese Gesellschaft Forderungen stellte, die er als unberechtigt ansah, da bäumte sich seine Selbstheit auf, und er führte von sich aus den Bruch herbei - sollte daraus werden, was auch immer. Mag dem sein, wie ihm will, mag er nicht in allen Fällen recht gehabt haben - subjektiv war er immer tief überzeugt davon - die grade Linie, die dieses Leben unbeirrbar innehielt, muß Bewunderung erregen. Unerschütterlich und unbeirrbar verfolgte Heinrich Barth seinen Weg zum selbstgesteckten Ziele, stellte seine geistige Arbeit darauf ab, ordnete ihm alles Behagen unter, opferte Geld dafür in jeder notwendigen Menge. Jede Zerstreuung, jeden fröhlichen Genuß empfand er als Beeinträchtigung seiner Lebensaufgabe und mied sie deshalb in strenger Selbstzucht. Und diese Ausschließlichkeit seines Wesens war es vor allem, die vielen Menschen unverständlich, ja unheimlich war und die sie durch die knorrige Eisschale seines Wesens nicht zu seinem edlen Kerne durchdringen ließ. Für seine Ideale und sein Recht war Barth allezeit zu jedem Kampfe entschlossen, sei es mit Räubern oder Universitätspäpsten, sei es mit Gesellschaften oder Behörden. Ein großer Teil von Barths Zurückhaltung und Kälte im Gegenüber mit anderen erklärt sich nicht durch mangelhaft entwickelte Gefühligkeit, sondern durch seinen ausgeprägten Individualismus, in welchem er ganz und gar Niedersachse war. Auch dieser war ihm angeboren, aber er wurde durch die Erziehung insofern noch begünstigt, als der Knabe meist sich selbst überlassen blieb. Schon als älterer Schüler lebte er in seinem mit Büchern gut versehenen Arbeitszimmer wie ein kleiner Gelehrter abgeschlossen für sich. In den Schulpausen stand er gewöhnlich allein und stumm da, mit Freiübungen beschäftigt. Die langjährigen Reisen, während deren er fast nur mit Farbigen zu tun hatte, verstärkten den Zug zum schweigsamen Alleinsein, zum herben Abstandhalten, zu stolzer, wenn nicht gar hochmütiger Zurückhaltung. Die Nachteile dieses Alleinstehens sah er verstandesmäßig sehr wohl ein, aber er vermochte den Hang nicht zu überwinden, da er ein fester Bestandteil seines Wesens war. So sagte er angesichts seiner in London gemachten bitteren Erfahrungen: "Es ist mein Hauptfehler, dieser Hang zur Einsamkeit und daß ich mich zu leicht von irgendeinem Kreise zurückziehe." Infolgedessen mußte er, nach seiner Ernennung zum Professor, in die Klage ausbrechen: "Anstatt entgegenkommende Hilfe zu finden, habe ich bisher nur Widerstand überwinden müssen, um überhaupt etwas zustande zu bringen." Das ist eigentlich kaum noch geprägte Form, das ist schon mehr Kerkerhaft in sich selber, das ist die Gefesseltheit eines Ichs, das wohl anders möchte, aber nicht anders kann. Nur sich selber, aber keinem andern vermochte dieses Ich sich einzufügen, sich unterzuordnen, und hier liegt die Quelle vieler Mißerfolge seines äußeren Lebens. Von Hause aus geldlich gut gestellt, war er nie gezwungen, sich unbedingt den Verhältnissen anzupassen, und vermaß sich in gigantischem Trotze, die Verhältnisse sich selber, seinen eigenen Wünschen untertanzumachen. Indem er durch Reisen und Studien Bedeutendes und für damalige Zeit Einzigartiges leistete, indem er seine angeborenen leidenschaftlichen Neigungen zu seinem Berufe machte, glaubte er der Mitmenschheit gegenüber ein Recht auf Alleingültigkeit erworben zu haben, und er fiel in tiefste Enttäuschung, als er erleben mußte, daß die Welt es ihm nicht zugestand. Sein Herrentum forderte eine Sonderstellung innerhalb der Gemeinschaft, aber diese räumte sie ihm nicht ein. Daß er unmittelbar und mittelbar doch für die Allgemeinheit arbeitete, indem er von seiner überlegenen Geistigkeit spendete und dem Abendlande einen riesigen Teil Innerafrikas erschloß und damit der Kolonialpolitik Englands, Frankreichs und Deutschlands vorarbeitete, das freilich übersahen seine Zeitgenossen. Sie waren fest überzeugt, er böte ihnen nur Geist und nicht Herz. Kein Blender und jedes Mittel, sich in Szene zu setzen verschmähend, stellte er die bloße Leistung vor die erstaunten Augen seiner Zeit und ließ es sich damit genügen, unverbindlich und brüsk; aber die Zeit hätte gern eine freundliche Geste

36 gesehen, und die zeigte er ihr nicht. So blieb er unverstanden und einsam. Man erkannte seine Arbeit an, aber über seine Person ging man einfach hinweg. Der äußerlich so gefestigt, wie aus Erz gegossen erscheinende Mann, dessen innere Lebenslinie auch ihm selber schon erstaunlich früh feststand, war in Wahrheit eine von Spannungen erfüllte Natur. Nicht ausgeglichen, insofern er anders war, als er erschien, und es nicht fertigbrachte, sein eigentliches Ich klar erkennbar zu machen. Polar, insofern er zwischen Tat und Geist schwankte, vom Arbeitszimmer in die Landschaft und von dieser an den Schreibtisch sich sehnte. Als er in London das fünfbändige Reisewerk ausarbeitete, seufzte er: "Wie sehne ich mich nach einem freien Nachtlager in der Wüste, in jenem unendlichen Raume... Fast bereue ich es, daß ich mich selbst in diese Ketten gelegt habe." Er begriff die Menschheit nicht, und die Menschheit verstand ihn nicht. - "Meine Philosophie ist nicht von dieser Welt und nicht für diese Welt", schrieb der einundzwanzigjährige Student an seinen Vater. Und kurz darauf: "Freilich kann eifriges Studium der Wissenschaft in ungeheuren Egoismus, in Sorglosigkeit um alles das, was außer einem vorgeht, ausarten. Während man so in seinen eigenen Gedanken alles Vergnügen findet, lernt man die anderen Menschen entbehren, fast verachten." Wir haben es bei Barth mit einem Individualismus zu tun, der zwar angeboren war, den er aber von der geistigen Seite her noch gestützt hat - ein Sonderfall also. Und schließlich anläßlich des Verlustes seiner Bücherei durch den hamburgischen Brand: "Nur das, was man in sich selbst trägt, hat man sicher... Die innere Kräftigung und Geschicklichkeit, die kann einem niemand rauben." Ebenso wie Barth ein Mann der Tat war, war er auch ein Mann des Geistes, ja die Tat diente ihm schließlich doch nur dazu, seinem Geiste besondere und große Möglichkeiten des Leistens zu erschließen. Auch seine geistige Entwicklung setzte sehr früh ein, wobei die Familie ihm keine Förderung zu geben vermochte. Rastloser Fleiß und Verständnis machten ihn zum Liebling der Lehrer, vorzügliche Sprachbegabung ermöglichte ihm schon mit vierzehn Jahren die Beherrschung des Englischen und trieb ihn etwas später dazu, es auch mit dem Arabischen zu versuchen, was seine Mitschüler für besonders verrückt hielten. Sein Selbststudium der klassischen Schriftsteller, deren Titel und verschiedene Ausgaben er genau kannte, führte ihn weit über das Ziel der Schule hinaus. Natürlich fehlte in diesen tastenden Versuchen des Schülers noch die klare Linie, und deshalb schwankte er bei der Wahl des Studiums zwischen reiner Altertumswissenschaft und, namentlich durch die Italienreise angeregt, Geschichte-Geographie. Aus dieser Weite seines Erkenntniswinkels strebte er nach einem möglichst allseitigen und umfassenden Studium des Altertums. Der Altphilologe Böckh selber wies ihn von der Archäologie auf die Geographie und zu Ritter hin, anfangs freilich ohne Erfolg, bis schließlich die beiden großen Reisen hier freie Bahn schufen und den Hang nach Universalität ins Geographische ausmünden ließen. So wie schon der Schüler heiß nach Büchern verlangte und der Student nach Italien wanderte, so ist der Drang nach Erweiterung und Vertiefung seines Wissens für Barth immer bezeichnend geblieben. Selbst in morgenländischen und innerafrikanischen Sprachen, die doch mit der alten Philologie nichts gemein haben, konnte er sich nicht genugtun. Barth verstand mit kleinen Mitteln Großes zu leisten - stets ein Kennzeichen des bedeutenden Mannes. Mit einer guten Beobachtungsgabe ausgestattet, die ihn auch zu einem sicheren, freilich nicht durchgeschulten Zeichner machte, entging ihm selbst das Kleinste nicht, und seine Gewissenhaftigkeit fühlte sich auch für dessen Vermerkung verantwortlich. Wenn dabei die Naturwissenschaften etwas zu kurz kamen, so lag das wohl mehr an dem Schulunterrichte jener Zeit, der die Sprachen einseitig bevorzugte. Trotzdem ist es falsch, was früher stets behauptet worden ist, daß Barth in Einzelheiten hängengeblieben sei. Eher ist das Gegenteil richtig, wenigstens wenn man bedenkt, daß alle seine Bücher Reisewerke, d. h. bloße Materialdarbietungen sind und daß das große zusammenfassende Werk über die Mittelmeerländer infolge seines frühen Todes nicht zur Ausführung gelangt ist.

37 Denn eins ist klar, und wir wundern uns, daß frühere Biographen das nicht erkannt haben: Barth war sowohl einer eingehend zergliedernden Analyse wie auch einer großzügig aufbauenden Synthese fähig. Selbst in seinen Reisebüchern beweisen die Bilder und die gar nicht so seltenen, wenn auch meist kurzen Ausführungen über Landschaften, die oft mit erstaunlicher Sparsamkeit des Ausdruckes klare Anschauung vermitteln, daß diesem Denker und Grübler das Künstlerische nicht so fern lag, wie immer behauptet wird. Seine geistige Entwicklung geht unzweifelhaft von der Analyse zur Synthese hin, ja genau gesagt, steht die Synthese in Gestalt der großartigen Intuition des Mittelmeergedankens sogar im Anfang seiner ganzen wissenschaftlichen Laufbahn! Mag sein Charakter von Spannungen zerklüftet gewesen sein, seine geistige Leistung ist ein geschlossenes Kunstwerk, das zu steiler Höhe aufsteigt und sicherlich in einer schöngeformten, ragenden Spitze würde gegipfelt haben, hätte nicht der Tod die Vollendung unterbunden. Weder starke Enttäuschungen noch früher Ruhm, der dann durch nörgelnde Kritik angenagt wurde, vermochten ihn im Aufbau seines Lebenswerkes irrezumachen. Seine Kritiker haben in unseren Augen, welche die Synthese über die Analyse, den Einhall des Wissens über das bloße Fachwissen stellen, sich selbst gerichtet, wenn sie, jeder in seinem kleinen Fache steckenbleibend, die Universalität seiner Lebensleistung nicht erkannten. Betrachten wir zum Schlusse Barth noch als Geograph. Er kam von Karl Ritter aus an die Geographie heran, infolgedessen war ihm Ritters "historisches Element", die Abhängigkeit des Menschen von der Gliederung des Raumes und ihre Erklärung der menschlichen Verhältnisse und Geschichte aus ihm, vollkommen geläufig. Und über diese Auffassung ist er nie hinausgelangt. So sagte er beispielsweise als Achtundzwanzigjähriger: "Eine Veranschaulichung ethnographischen Lebens in die Beschreibung der Gegenden verschmolzen, wo es sich entwickelte, war das Ziel, nach dem ich strebte... Ich schildere die Landschaften nach ihrer topographischen Gestaltung und nach ihren ethnographischen Eigenständigkeiten und suche ihre vergangenen Zustände an den dem Lande eingeprägten Zügen zu veranschaulichen." Und später als Sechsunddreißigjähriger: "Meine Art der Anschauung... ist der historische Zusammenhang des Menschen mit der reichen Gliederung der Erdoberfläche." Die Elastik des Bodens beschäftigte ihn auf der großen innerafrikanischen Reise und noch mehr auf seinen späteren Reisen in den Mittelmeerländern in immer steigendem Maße; ja nachdem er in Berlin von seinem Freunde, dem Geologen Prof. Beyrich, viel über Gesteine gelernt hatte, wandte er zuletzt auch diesen seine Aufmerksamkeit zu. Die Entwicklung seiner Veranlagung zur Synthese läßt sich an der Mittelmeeridee sehr gut verfolgen. Der zwanzigjährige Student empfing in Selinunt die Intuition der großen Einheit der Mittelmeerländer. Der junge Doktor machte seine weite Umwanderung des Mittelmeeres und schrieb das Reisebuch darüber in der ausgesprochenen Absicht, Vorarbeit zu leisten für "eine umfassende systematische Behandlung des ganzen Bassins des Mittelmeeres mit dem gesamten Kreise seiner Gestadeländer in physischer und ethnographisch-geschichtlicher Hinsicht". In seinen letzten Lebensjahren wurde er als Professor bei der Anlage seiner Vorlesungen immer mehr dahin gedrängt, Einzelheiten zu Übersichten zusammenzuschließen. Schon 1860 hatte er einen im Athenaeum zu Hamburg gehaltenen Vortrag "Das Becken des Mittelmeeres in natürlicher und kulturhistorischer Beziehung" bei Meißner in Hamburg als Sonderschrift von 32 Seiten Umfang drucken lassen. Wenn zwar diese kleine Arbeit von dem gesteckten Ideal, die Einheit des Raumes zu konstruieren, noch ziemlich fern bleibt, so ist sie doch der älteste literarische Niederschlag der Erfassung eines Erdraumes als organische Einheit außerhalb der üblichen schematischen Erdteile! Jene beiden Schriftsteller, die sich später einen Namen als Mittelmeergeographen gemacht haben, erwähnen ihren Vorläufer Barth als Schöpfer dieser Idee nicht mit einem einzigen Worte. Für das Wintersemester 1865/66 kündigte Heinrich Barth eine dreistündige Vorlesung "Physische und historische vergleichende Geographie des Mittelmeerbeckens" an, aber leider ist er nicht mehr dazu gekommen, sie zu halten.

38 Er schrieb im Jahre 1860: "Ich hoffe, daß, wenn mir ein hinreichend langes Leben geschenkt wird, es mir gelingen soll, einen reichen Einzelstoff auch zu allgemeinen Ideen ganz zu bemeistern." Und er dachte dabei an zwei große Werke, eine Geographie der Mittelmeerländer und eine Geographie von Afrika. Daß er beide nicht mehr hat schaffen können, ist ein Verlust für die Entwicklung der Geographie gewesen. Eine wie hohe Auffassung er von dieser damals noch recht im argen liegenden Wissenschaft hatte, besagt folgender Ausspruch aus seinem letzten Lebensjahre: "Für mich selbst in der Tat ist diese Wissenschaft der Inbegriff, das einigende Band aller übrigen Disziplinen." Gerhard Rohlfs Die Vernichtung einer Expedition Der berühmte Afrikareisende - er war damals siebenundvierzig Jahre alt - saß beklommenen Herzens in seinem Zelte, und seine drei weißen Begleiter hockten schweigend um ihn herum. In dem mit Palmwedeln umsteckten Lager war ein ununterbrochenes Kommen und Gehen. Die Sujaaraber von Kufra standen herum und musterten gierigen Blickes die Koffer und Kisten, die Lebensmittelsäcke und Wasserschläuche, die Kamele und Pferde. Jedem war anzusehen, wie er sich schon seinen Teil der Beute aussuchte. Die eingeborenen Knechte wagten sich kaum noch zu bewegen, denn sobald man ihrer ansichtig wurde, prasselten Schimpfworte auf sie herab und Vorwürfe, daß sie Christenhunden dienten. Während die Dämmerung hereinbrach und schnell in Nacht überging, zogen vor dem inneren Blicke des Afrikareisenden die Bilder der letzten Wochen vorbei. Die Unfreundlichkeit des Senussiordens, der in Benrhasi jeden Empfehlungsbrief verweigerte, der kostspielige Vertrag mit diesem Bu Bekr Bu Gwettin, einem der Schechs der Sujaaraber von Kufra, der versprochen hatte, die Expedition für die unglaubliche Summe von 3300 Mark nach Uadai zu führen, ungerechnet die Kosten für Kamele. Und jetzt in seiner Heimat, wo er sich vor dem Zugriffe der Türken sicher fühlte, da warf der Schurke plötzlich die Maske ab, hetzte die Bevölkerung zu Fanatismus und Habgier auf und verlangte immer unverschämter Geld, Geld und stets erneut Geld. Schickte der Reisende einen Boten mit Briefen nach Benrhasi zum türkischen Pascha, dann ließ der Bote sich 200 Mark zahlen und blieb hübsch am Orte. Gut nur, daß der Reisende mit dem Pascha verabredet hatte, daß dieser nicht auf einen arabisch, sondern nur auf einen französisch oder italienisch geschriebenen Brief die vorsorglich als Geiseln eingekerkerten drei Sujaschechs freilassen solle; das gab doch wenigstens etwas Rückhalt gegenüber den Räubern hier. Und vor einer Woche, seitdem man schon etliche Zeit in dem noch nie von einem Europäer betretenen Oasenlande Kufra weilte, hatte der Bu Gwettin ihn und seine Gefährten plötzlich zu Gefangenen erklärt. Bösartig grinsend hatte er hinzugefügt, er werde in Ketten gelegt werden, wenn solches den Geiseln geschähe, ja er werde getötet werden, wenn die Geiseln getötet würden. Nun ja, Auge um Auge, Zahn um Zahn eben, uraltes Gesetz der Steppe. Nach einiger Zeit war ein neuer Quälgeist erschienen, ein besonders fanatischer Senussi, Sidi Agil mit Namen, der die Geldgier von der religiösen Seite her noch stärker zu schüren begann. Und heute morgen hatten die beiden Banditen Bu Gwettin und Sidi Agil eine Bande von dreißig Bewaffneten ins Lager geführt und unter lauten Todesdrohungen die erstaunliche Summe von 1000 Mariatheresientalern oder 4000 Mark verlangt. Was war ihm anderes übriggeblieben, als ihrem Toben nachzugeben und Geld herauszurücken, freilich nur 690 Mariatheresientaler - immer noch genug für solche Hungerleider, die kaum einen einzigen blanken Taler besaßen. Den Koffer, dem das Geld entnommen worden war, ließen sie heimlich auch gleich mitgehen.

39 Aber es gab doch selbst in diesem entlegenen und gesetzlosen Winkel der Welt rechtliche Menschen. Während der Entdecker noch finster vor sich hinbrütete, trat der Schech einer anderen Abteilung des Sujastammes, Krim Bu Abd e'rba, zu ihm herein, grüßte höflich und ließ sich nieder. Nach der üblichen formvollen Einleitung erklärte er den Fremden, daß Bu Gwettin ihn zu gewinnen gesucht habe, in der kommenden Nacht das Lager zu überfallen und zu plündern sowie die Weißen zu töten. Er fügte aber hinzu, dazu könne er seine Hand nicht bieten, ja er forderte den Bedrohten sogar auf, sich unter seinen Schutz zu stellen und noch heute abend in sein Lager zu Surk zu kommen. Er möge bloß sein Geld mitnehmen, alle anderen Sachen aber ruhig an Ort und Stelle lassen, denn an denen würden sich die Räuber nicht vergreifen. Gerhard Rohlfs, so hieß der Reisende, schöpfte Hoffnung und ging sofort auf den Vorschlag ein. Als es völlig dunkel geworden war, verließen die vier Deutschen, mit Revolvern bewaffnet und den größten Teil der Silbertaler in einem Sacke schleppend, das Lager und erreichten nach erschöpfendem Irrmarsche um Mitternacht Surk. Noch am gleichen Abend - die Reisenden waren kaum zwei Stunden fort - stürmte Bu Gwettin mit seiner Horde das Lager. Als man die fremden Vögel ausgeflogen fand, stürzte man sich auf die Zelte, Koffer und Kisten, zerschlug sie und suchte nach dem Gelde. Immerhin wurden noch 300 Mariatheresientaler, also 1200 Mark, gefunden, aber die Enttäuschung war doch so groß, daß die unersetzlichen Instrumente, die Konservenbüchsen, die Zelte und noch vieles andere in sinnloser Wut zerschlagen, zerstampft, zerrissen wurden. Selbst an Weinbrand, Spiritus und Dattelschnaps vergriffen sich die frommen Mohammedaner. Die Männer gebärdeten sich wie die Wahnsinnigen, tanzten im Flackerlichte der Fackeln umher und brüllten und knallten, daß es weit in die leere Wüste hinausschallte. Einer von ihnen schoß sich beim Laden eines ihm unbekannten Revolvers einen Finger ab. Niemand tat ihnen Einhalt, trotzdem die Zuschauer von weither geeilt kamen; nur ein einziger alter Mann war da, der fluchte ihrem unseligen Tun, doch wer hätte auf ihn gehört? Gegen Morgen begannen sie fieberhaft den ganzen Boden des Lagers umzuwühlen, tiefer und immer tiefer, denn sie vermeinten nicht anders, als daß der verdammte Christenhund sein Geld vor der Flucht vergraben hätte. Die Reisenden hatten die böse Nacht mit einiger Ruhe verbracht, denn sie durften sich - zum ersten Male seit Wochen - in leidlicher Sicherheit fühlen, doch hielt ihr Beschützer es für notwendig, sie durch eine starke Wache gegen Bu Gwettins bald zu erwartende neue Angriffe zu sichern. Aber waren auch Leben und Geld geborgen worden, wo blieben die Instrumente, wo die Tagebücher, wo die Aussicht, weiter vorzudringen durch die Libysche Wüste und nach Uadai? Es war eben doch vieles verloren, ja mit dem erhofften Ziele sogar die ganze Expedition gescheitert! Aber nun entstand den Reisenden ein neuer Beschützer, der Schech einer dritten Abteilung des Stammes der Sujaaraber, Dschib e'lab el Abid, der mit den Worten eintrat, jetzt, da der Christ im Unglück sei, wolle er ihm beistehen. Die Tatsache, daß nun zwei einflußreiche Schechs, Krim Bu Abd e'rba und Dschib e'lab el Abid, sich offen zu Beschützern der Fremden erklärten, bewirkte einen wesentlichen Umschlag der Stimmung unter den Sujaarabern zugunsten der Beraubten. Der größeren Sicherheit halber veranlaßt Schech Dschib e'lab el Abid die Reisenden, zu ihm nach dem Orte Dschof zu übersiedeln. Jetzt begannen manche Araber schon Teile der Beute zurückzugeben. Ein völliger Umschwung freilich trat erst ein, nachdem von Dscharabub, dem Hauptsitze des Senussiordens, zwei heilige Sendboten eingetroffen waren, welche die Grüße Sidi el Mahdis, des Großmeisters, überbrachten, den Christen in Kufra willkommen hießen und ihres Schutzes versicherten. Wieder begannen endlose Verhandlungen zwischen den Parteien. Zwar wurden auf Einwirkung der Senussi viele Stücke des Gepäcks zurückerstattet, doch das Geld rückte Bu Gwettin nicht heraus, und auch die Tagebücher blieben verloren.

40 Schließlich war es aber wenigstens so weit, daß die Reisenden es wagen konnten, unter einer Bedeckung von sechzig Bewaffneten die Oase zu verlassen. Bu Gwettin verfolgte sie noch eine Zeitlang, kam aber nicht zu dem ersehnten Schusse auf Rohlfs. Wutschnaubend sah er Opfer und Beute entrinnen. Rohlfs erreichte glücklich wieder die Hafenstadt Benrhasi, aber er war stark gealtert. Der Schreiber dieser Zeilen hat im Jahre 1906 zu Tripolis im Besitze eines alten, durch Whisky fast verkommenen Schotten O'Gready zwei zu Malta aufgenommene Photographien von Rohlfs gesehen; auf der einen stand: "Before going to Kufra", auf der andern "Coming from Kufra". Es war kaum zu glauben, daß der blühende Kopf und der abgemagerte, zergrämte, enttäuschte Kopf eine und dieselbe Person in einem Zeitabstande von nur einem Jahre darstellten. Wie ein Abenteurer entsteht Haben wir in Heinrich Barth einen äußerst intensiv arbeitenden Gelehrten und Afrikareisenden kennengelernt, dem nur die Kürze des Lebens das letzte Vollenden verwehrt hat, so tritt uns in Gerhard Rohlfs ein Afrikareisender entgegen, schlechtweg ein Afrikareisender, kein Gelehrter, sondern nur ein Reisender, der aus Abenteuerlust und Ehrgeiz hinauszieht, um durch Tilgung einiger weißer Flecke der Landkarte Ruhm zu erwerben. Ein Mann, der sich von anderen Männern Aufgaben stellen läßt, die er durch Wagemut, nicht durch Gelehrsamkeit zu lösen sich bestrebt. Da gibt es keine Probleme von tieferem geistigen Gehalte, wie doch ein solches in Barths Mittelmeeridee intuitiv gefunden war, da gibt es keine Ausrichtung des ganzen Denkens und aller Reisen auf solch ein Problem, sondern der Griff packt hier zu und dort zu, wo grade noch ein weißer Fleck ist - extensive Arbeit eben. Der Unterschied ist der: Barth wäre auch ohne seine innerafrikanische Reise, den großen Zufall seinen Lebens, und auch zu anderer Zeit ein bedeutender Geograph geworden; Rohlfs dagegen hätte, ein Menschenalter später geboren, ruhmlos gelebt und geendet, weil er keine weißen Flecke mehr dicht vor seiner Haustür, will sagen der Fremdenlegion, gefunden hätte. Gelegenheit macht nicht allein Diebe, nein, auch Entdecker. Gerhard Rohlfs kam am 14. April 1831 in dem Hafenstädtchen Vegesack an der Unterweser zur Welt. Sein Vater entstammte einer alten bremischen Ärzte- und Pastorenfamilie, die Mutter war in der Gegend von Quakenbrück gebürtig, Rohlfs kann deshalb wohl als reiner Niedersachse angesehen werden. Das elterliche Haus, auf eine gute ärztliche Praxis gegründet, war behäbig und von breiter Lebensführung, man hielt den Kindern einen Hauslehrer, schlachtete allwinterlich seine zwei Schweine, erntete, was in Feld und Garten zuwuchs, und trank selbstgemolkene Milch. Rund um des Knaben Kindheit stand das winzige Hafenstädtchen Vegesack mit seinen weltweiten Beziehungen, mit seinem von Segelschiffen belebten Strom, mit dem baumgrünen Steilhange, mit seinen gekrümmten Giebelgassen und mit seinen alten Kapitänen, die abends am Strande sitzen und sich die müden Augen vom frischen Winde kühlen lassen, bevor sie daheim mit Grog nachwärmen. Der Knabe wuchs als ein kleines Rauhbein auf, ging keinem dummen Streich aus dem Wege, kletterte gewandt, war mutiger Anführer in Raufereien, kurz, er bezeigte jede nur wünschbare Unternehmungslust und noch einiges darüber hinaus. Im Unterricht dagegen, na ja - was ihm nicht gefiel, da konnte er eben nicht heran, war in der Klasse unaufmerksam, machte keine Schularbeiten, versagte in allen mathematischen und altsprachlichen Dingen vollkommen und bezeigte nur etwas Anteilnahme für so unnütze Fächer wie Erdkunde und Geschichte. Mit fünfzehn Jahren wurde er auf das Gymnasium zu Osnabrück verschickt, rückte aber eines

41 Verweises wegen, der ihm nicht paßte, nach Holland aus, schrieb nach Hause und heuerte als Schiffsjunge an. Mit genauer Not grade noch konnten Mutter und Tante, in höchster Aufregung herbeieilend, den angehenden Weltumsegler zurückholen. Welche Demütigung vor den Jantjes! Jetzt schleppte man ihn auf das Gymnasium in Celle. Natürlich war es hier nicht schöner; aber wie es in den Geschichtenbüchern immer so trostvoll heißt: Gott verläßt keinen jungen Deutschen nicht. In diesem Falle erregte er in Schleswig-Holstein und auch anderswo allergrößten Zorn gegen die Dänen, welche Holstein vom Reiche trennen wollten, und erweckte in jungen Gemütern glühende Aussichten auf Kampf und Sieg. Nach diesem Strohhalme haschte der Gymnasiast Rohlfs, wanderte im Januar 1849, noch nicht achtzehn Jahre alt, nach Bremen und trat als Freiwilliger in das Füsilierbataillon ein. Obwohl schon im Mai zum Gefreiten befördert, verschwand Rohlfs noch im gleichen Jahre aus Bremen, da er erkannte, daß er von dort aus nicht ins Feld gelangen würde. In Kiel wurde er gleich als Unteroffizier in das 6. schleswig-holsteinische Infanterieregiment eingestellt, dem auch einer seiner Brüder als Militärarzt angehörte, und rückte bald zum Portepeefähnrich auf. Endlich im Sommer 1850 kam er ins Feld, machte die erfolgreich beginnende und dann doch verlorengehende Schlacht bei Idstedt mit und wurde noch auf dem Schlachtfelde zum Leutnant befördert. Als aber im Januar 1851 die Elbherzogtümer, von Rußland und Österreich verraten, dann auch von Preußen aufgegeben, auf eine Fortsetzung der Kriegführung verzichten mußten, lösten sie ihr kleines Heer auf. Ende März wurde der Leutnant Rohlfs verabschiedet und stand genau da, wo er schon zweidreiviertel Jahre vorher gestanden hatte. Ob und wie er die Abschlußprüfung erlangt hat, ist nicht bekannt. Aber wir finden ihn noch im gleichen Jahre als Studenten der Medizin, zuerst in Heidelberg, dann in Würzburg und zuletzt in Göttingen, allwo er im Korps Hannovera aktiv war. Er lebte flott, weit über den bescheidenen väterlichen Wechsel hinaus und geriet oft in drückende Schulden. Drei Semester hielt er das aus, dann genügte auch das Studentenleben dem unruhigen Sinne nicht mehr, den es wohl unbewußt nach einem Ziele verlangte - aber welchem? - und im Herbst 1852 fuhr er ins Österreichische und wurde wieder - Soldat. Natürlich gefiel ihm der Garnisondienst auch bei den "Holters" nicht, und so desertierte er eines Tages im Jahre Es kam eine aufreibende, jämmerliche Wanderung durch die Schweiz nach Frankreich hinein, und dann natürlich, es war in Nimes, der Eintritt in die Fremdenlegion: Deuxième régiment étranger. Noch im gleichen Jahre wurde sein Truppenteil nach Algerien geschickt, Rohlfs anscheinend als eine Art Sanitätssoldat - aber man weiß das nicht genau, denn er hat später nie über die sechs Jahre, die er in der Legion diente, gesprochen. Bekannt ist nur, daß er es bis zum Sergeanten brachte und mehrere Medaillen erhielt. Anscheinend ist er hier nicht ausgerissen, sondern entlassen worden. Es ist wohl der einzige Fall, daß ein Mann Afrikas Boden als gemeiner französischer Fremdenlegionär betreten und ihn dreißig Jahre später als gefeierter Afrikareisender und deutscher Generalkonsul verlassen hat. Wer es sechs Jahre in der Legion ausgehalten hat, die schon damals ein Sammelbecken von Gescheiterten und Verbrechern war, der ist gesalzen und hartgebeizt, den schreckt nichts mehr, der kann nur noch gewinnen, denn was hätte er noch zu verlieren? Rohlfs, damals immerhin schon dreißig Jahre alt, hatte gehört, der Sultan von Marokko wolle nach seinem soeben unglücklich ausgegangenen Kriege mit Spanien sein Heer umgestalten und suche europäische Helfer. Lediglich in dieser Hoffnung ging Rohlfs 1861 nach Marokko, nicht etwa in der

42 Absicht, Entdeckungsreisen zu machen. Die Art solcher Abenteurer und Glücksritter ist es, ihre Hoffnung eher auf ein nebelhaftes und höchst zweifelhaftes Ziel zu setzen, als durch fleißige Arbeit dem Erfolge zuzusteuern. In Tandscha angekommen, mußte er aber zu seiner Enttäuschung erfahren, daß jene Redereien Unsinn seien, daß der Sultan an so etwas gar nicht dächte und daß auch der im Lande herrschende Fremdenhaß christliche Reformer nicht herein und am Leben lassen würde. Und ins Innere gehen? Wer das wagen wolle, der müsse zuerst einmal Mohammedaner sein und selbstverständlich Arabisch sprechen können. Wie vor den Kopf geschlagen hockte der Abenteurer in den Kaffeehäusern des kleinen Sokko und zergrübelte sich das Gehirn, was er nun anfangen solle. Aber es war nicht seine Art, lange zu überlegen, er sprang auf und entschloß sich - allein und zu Fuß nach der Hauptstadt Fes zu wandern. Mohammedaner werden? Nun, warum nicht, wer glaubte noch an Kirche und Christentum - er jedenfalls nicht. Arabisch sprechen, hm ja, nur zwei oder drei Redensarten, wie man sie eben in der Legion aufschnappte. Ach was, nur los! Den Hauptbesitz, eine englische Fünfpfundnote, in die Mütze eingenäht, schnell noch zum Islam übergetreten, und zwei, drei Wäschestücke als Bündelchen an einen Stab gebunden und nach heimischer Sitte über die Schulter gelegt - so wanderte der frischgebackene Mohammedaner Mustafa schon nach fünf Tagen aus Tandscha fort. Nur keine Zeit verlieren, das Glück wartet nicht. Gleich unterwegs fand er schon einen Reisebegleiter, einen Marokkaner hoch zu Maultier. Im ersten Nachtlager schor man ihm, um ihn zum richtigen Moslem zu machen, den Kopf mit einem gewöhnlichen Messer kahl - ach, wie weh das tat - worauf er zum ersten Male in seinem Leben mit der rechten Hand in die gemeinsame Eßschüssel greifen mußte. Am andern Tage verschwand der Begleiter, als Mustafa den Schlaf des Vertrauens und der Erschöpfung schlief, mit dem Wäschebündelchen und mit der in ihm untergebrachten Kappe, allwomit die schöne Fünfpfundnote ebenfalls unsichtbar geworden war. Mustafa stand in Hemd, Jacke und Pantoffeln einsam und allein im weiten Marokko... Und dies war die Stelle der ernstlichen Prüfung. Er hätte ganz wohl nach Tandscha zurückschleichen können, aber er tat es nicht, denn er schämte sich, so schnell und so dumm übertölpelt dort wieder aufzutauchen. Er schleppte sich weiter, nach der Stadt Alkassar zu, nicht ahnend, daß er sich durch diesen Sieg des Willens das Tor zum Ruhme erschloß. Schließlich gelangte er in die heilige Stadt Uesan, wo der in Marokko hochverehrte Großscherif Sidi el Haddsch Abd e'salahm lebte. Dieser Heilige, nicht älter als der fremde Abenteurer, entpuppte sich unerwartet als Freund europäischer Ansichten und Einrichtungen, nahm den Wanderer äußerst zuvorkommend auf und verkehrte täglich mit ihm. Er ließ ihn nur ungern ziehen und gab ihm Maultier, Führer und Empfehlungen nach Fes mit. In Fes empfing ihn deshalb der Oberbefehlshaber des kleinen marokkanischen Heeres gut und ernannte ihn sofort zum Armeearzt - mit dreißig Pfennig Tagessold, was zum Auskommen grade reichte. Als das Hoflager nach etlichen Wochen nach Mekines verlegt wurde, ließ Rohlfs sich hier als Arzt Mustafa nieder und hängte sogar ein Schild vor seine Haustür, ein in Marokko noch nie gesehenes Etwas. Er stieg auch zum Leibarzte des Sultans empor, als welcher er tagtäglich unter Aufsicht von Eunuchen im Harem Besuche zu machen hatte. Aber Seide war auch damit nicht zu spinnen, und da der Arzt jedes Mittel, das er einem Großwürdenträger verordnete, erst selber nehmen mußte (um zu beweisen, daß es kein Gift war), so blieb die Heilkunde hier nicht ohne Dornen. Inmitten dieser unbefriedigenden Tätigkeit, die schließlich nichts anderes als Quacksalberei war,

43 empfand er immer drängender das Verlangen, von dem weiten und noch fast unbekannten Lande etwas kennenzulernen, aber man wollte auf seine wertvolle Hilfe nicht verzichten. Erst ein unbedeutender Zufall machte ihm im Sommer 1861 den Weg frei. Er begab sich nach Uesan zu seinem Freunde, dem Großscherifen, zurück und wurde von ihm mit größter Freude empfangen. Aber von Reisen wollte auch der nichts wissen, bis es Rohlfs schließlich nach einem Jahre gelang, die Erlaubnis zu einer ganz kleinen Reise zu erhalten. Die ersten Forschungsreisen ( ) Ohne wissenschaftliche Vorbildung, ohne Ahnung von dem Problem der marokkanischen Geographie, ohne Instrumente, nur mit Tagebuch und Bleistift machte sich Mustafa auf den Weg. Zuerst ging er nach Tandscha und wanderte dann an der ganzen Westküste Marokkos gen Süden. Anfangs begleitete ihn ein Spanier, ebenfalls zum Islam übergetreten, aber nicht lange, denn er verschwand bald unter Mitnahme des Esels und des bescheidenen Gepäcks des angehenden Forschers, natürlich auch mit dem größten Teile seines winzigen Geldsümmchens. Rohlfs stand wieder bettelarm da. Hierzu stellte sich Malaria ein, gegen die er erst in Saffi mit geschenktem Kinin ankämpfen konnte. Trotzdem verlor er auch diesmal den Mut nicht, pilgerte weiter, überstieg den westlichen Teil des Atlasgebirges und kam schließlich in Agadir an. Von Agadir gelangte er, mit einer Karawane mitlaufend, ins Binnenland. Um Essen zu erhalten, tat er Dienst als Kameltreiber und schleppte sich auf wunden Füßen über brennenden Sand und spitze Steine mit, nie richtig satt und ewig durstend. Über Tarudant ging es im Tale des Ued Sus gen Osten, durch ein noch nie von Europäern betretenes Land, sodann rechts abbiegend über ein kahles Gebirge zur Oase Tansitta, von wo er schließlich in die Oasengruppe Tafilet gelangte. Hier als französischer Spion verdächtigt und beschimpft, wurde er östlich der Oase Bu Amahn überfallen und schwer verwundet. Der Schech von Bu Amahn nämlich, der bei dem wandernden Mustafa, den er gut aufgenommen, etwas Geld gesehen hatte, folgte ihm heimlich, schoß ihn, als er schlafend dalag, in den linken Oberarm und schlug ihm dann noch die rechte Hand entzwei, da diese nach der Pistole greifen wollte. Als der Überfallene am nächsten Morgen aus langer Ohnmacht erwachte, fand er sich mit neun Wunden bedeckt und vollständig ausgeplündert. Außerstande, sich zu erheben oder nach einem ganz nahen Wasserloch zu rollen, verbrachte er in Wundschmerzen und Durstqualen zwei Tage und zwei Nächte, bis schließlich ein paar Männer über ihn kamen und ihn in ihr Dorf schleppten, wo er sich langsam erholte. Aber aus der Oberarmwunde eiterten noch sechs Jahre lang Knochensplitter heraus. In jämmerlichstem Zustande erreichte der Reisende schließlich die Oase Figig, von wo es nur noch etliche Tage bis zur französischen Grenze waren. In Alger angelangt, erhielt er sehr bald den Besuch seines ältesten Bruders, des Dr. med. Hermann Rohlfs, der immer sehr um ihn bemüht war und auch später viel für ihn tat. Der Bruder nahm die unterwegs gemachten Aufzeichnungen mit und schickte sie an den Kartographen August Petermann in Gotha, der sie 1863 in Aufsatzform in seinen Geographischen Mitteilungen abdruckte und die Reise auf einer Karte im Maßstabe 1 : 1 Mill. festzulegen suchte. Und er erst war es, der erkannte, daß Rohlfs folgende Entdeckungen gemacht hatte. Er hatte das Dasein des Antiatlas festgestellt, von dem man nichts ahnte, und er hatte die Draa-Oasen sowie die Oasengruppe Tafilet entdeckt und beschrieben, wobei bemerkt sei, daß Tafilet 1828 von René Caillié in einer Ecke flüchtig gestreift wurde. Die ganze Wegstrecke von Tarudant bis Figig war noch nie von europäischen Forschern begangen worden. Die Beschreibung

44 seiner ersten, doch schon 1862/63 gemachten Reise in Buchform gab Rohlfs erst zehn Jahre später heraus, sie trägt den Titel Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet, Bremen 1873, J. Kühtmann, 468 Seiten. Wer da glaubt, daß diese erlebnisreiche, abenteuerliche Reise höchst anziehend zu lesen sei, befindet sich in einem gewaltigen Irrtum, denn die Schilderung ist langatmig und hölzern und wenig anschaulich, sie trifft auch in der Darstellung oft nicht den Kern der Dinge. Man merkt, daß ein nicht sehr gebildeter Mensch sich an etwas gewagt hat, dem wohl seine Unternehmungslust, nicht aber sein geistiges Können gewachsen war. - Rohlfs saß in Alger und dachte sich eine neue Reise aus. Besonders stach ihm der von Paris für eine Erreichung Timbuktus ausgesetzte Preis von 8000 Franken ins Auge. Diese sagenhafte Stadt zu betreten, wollte er noch einmal Gut und Blut dranwagen. Blut, nun ja, davon hatte er genug, aber Gut? Und doch kam auch dieses. Es glückte, Petermann, der damals eine große Rolle als Anreger und Förderer von Forschungsreisen spielte, für Rohlfs zu interessieren, und auch Barth ließ sich gewinnen. So gelangte die Summe von 1100 Talern in seine Hände, während der auf Veranlassung von Barth gewährte Zuschuß der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 275 Taler, den Reisenden nicht mehr erreichte. Und dazu kamen noch etliche wissenschaftliche Instrumente, darunter auch Barometer zur Höhenmessung. Offenbar hat Rohlfs den Aufenthalt in Alger auch dazu benutzt, sich näher darüber zu unterrichten, was und wie man beobachten müsse, denn die Ergebnisse dieser zweiten Reise von 1864 sind schon erheblich besser und klarer als die der ersten. Um es gleich vorwegzunehmen, sein eigentliches Ziel, Timbuktu, hat Rohlfs nicht erreicht, auf dieser Reise nicht und auf der nächsten ebensowenig. Ja schon der erste Ansatz, der von Alger über Larhuat und Tuat gehen sollte, mißglückte und blieb in El Abiad Sidi Schech am Südrande des algerischen Atlas stecken, da weiter voraus Unruhen ausgebrochen waren. Deshalb kehrte Rohlfs nach Alger zurück und schiffte nach Tandscha, um es von dem ihm besser bekannten Marokko aus zu versuchen. Zuerst ging er, natürlich wieder als der Mohammedaner Mustafa, nach Uesan zu seinem Freunde, dem Großscherifen, der sich um so mehr freute, als schon die Kunde von seiner Ermordung hierhergedrungen war. Auch diesmal ließ Sidi el Haddsch Abd e'salahm ihn nur ungern weiterreisen. Rohlfs wanderte südwärts, überstieg den Mittleren, den Hohen und den Antiatlas als erster, der eine eingehende Schilderung zu geben und Höhenmessungen zu machen verstand (auch hier war nur Caillié Vorgänger), und gelangte wieder nach Tafilet. Auf diese Überquerung geht die Erkenntnis zurück, daß der Atlas in Marokko aus drei durch die Talungen der Muluja und des Ued Draa getrennten Parallelketten [Vergrößern]

45 besteht. Sodann querte er als erster die zwischen Tafilet und Ued Rhir sich ausbreitende Hammadawüste und betrat als erster Europäer die Oasenländer Ued Rhir, Ued Saura, Tuat und Tidikelt mit dem Hauptorte InSalah. Von hier aus nach Timbuktu zu reisen, wurde ihm aber durch den Fanatismus der Eingeborenen, die den Christen in ihm argwöhnten, verwehrt, so daß hier die Reise, soweit es das Ziel Timbuktu anging, scheiterte. Rohlfs wandte sich ostwärts und wanderte über Temassinin nach Rhadames und weiter nach Tripolis. Der Hauptwert dieser Wüstenwanderung von Tafilet bis Rhadames liegt darin, daß sie etliche von Norden her schon früher vorgenommene Vorstöße in durchgehender Querverbindung miteinander verknüpfte und genauere Schilderungen der Oasengebiete Tafilet, Tuat und Tidikelt lieferte. Was die Menge des neu erkundeten Stoffes angeht, so ist diese Reise eigentlich seine erfolgreichste gewesen, und ihre Schilderung steht schon auf einer wesentlich höheren Stufe als die der vorhergehenden. Ihr Verlauf ist auch durch eine befriedigende Wegaufnahme gestützt, und die Höhenverhältnisse sind barometrisch gemessen worden, so daß die Kenntnis der Bodenplastik großen Gewinn daraus zog. Die Dauer der Reise war nicht sehr lang, sondern betrug nur neuneinhalb Monde. Das Werk auch über diese Reise erschien erst später, nach vier Jahren. Es trägt den Titel Reise durch Marokko, Übersteigung des großen Atlas, Exploration der Oasen von Tafilet, Tuat und Tidikelt und Reise durch die große Wüste über Rhadames nach Tripolis, Bremen 1868, J. Kühtmann, 228 Seiten und 1 Karte. - Rohlfs hatte sein Ziel Timbuktu noch nicht aufgegeben, und um die zu einer neuen Reise erforderlichen Mittel zu erhalten, fuhr er von Tripolis in die Heimat, die er seit zehn Jahren nicht gesehen hatte. Hier stellte er sich vor allem Petermann und Barth vor, um ihnen seinen neuen Reiseplan zu erläutern. Aber während Petermann, der von orientalischen Verhältnissen nichts verstand, ihn ohne weiteres guthieß, äußerte Barth Bedenken. Er hielt nämlich unserem Reisenden vor, daß er es nicht wagen dürfe, wieder in Rhadames zu erscheinen, da dort und in allen anderen Oasen inzwischen bekanntgeworden sein müsse, daß er in Tripolis die Maske des Mohammedaners abgeworfen habe. Rohlfs aber ließ sich hierdurch nicht beeinflussen, doch sagte ihm bald darauf der türkische Pascha von Tripolis das gleiche, und auch der Verlauf der Reise sollte dem vielerfahrenen Barth recht geben. Immerhin gelang es, die Summe von 2500 Talern zu sammeln, so daß Rohlfs sich in Paris gut ausrüsten und überhaupt diese seine dritte Reise von etwas behäbiger zu gestalten vermochte. Barths Warnung hatte aber doch so viel gefruchtet, daß Rohlfs in Tripolis nicht erneut als Moslem auftrat. Er war schon Anfang März 1865 wieder in Afrika, denn die Winterkälte in Deutschland bekam seinen immer noch offenen Wunden nicht. Ende Mai ging er mit einer kleinen Karawane von Tripolis über Misda nach Rhadames, erfuhr hier aber, daß der Mann, der ihn nach Timbuktu bringen sollte, inzwischen nach Alger gereist war und erst nach Monaten zurückerwartet werde. Um nicht so lange untätig dasitzen zu müssen, entschloß er sich, nach Mursuk zu gehen, um von dort den Vorstoß nach Timbuktu zu versuchen. Es sei gleich gesagt, daß auch dieses Vorhaben mißglückte. So kam denn eine Durchquerung der Sahara auf der Linie Tripolis-Mursuk-Kuka zustande, mithin auf Strecken, die im großen ganzen bekannt waren, wenngleich Rohlfs manchen neuen Seitenweg beschritt und aufnahm. Von Kuka aus, wo Sultan Omar ihn freundlich empfing, ging er über Garori Bautschi, Keffe, Lokodscha und Ibadan nach Lagos an der Gineaküste. Neu aufgenommene Strecken waren in der Sahara Misda-Derdsch, Garia Schergi-Bir Um el Chel; im Sudan Kuka- Uandala, vom Gongula über Kefsi zum Benue, schließlich Ibadan-Lagos. Die Neuentdeckungen waren also verhältnismäßig gering, aber trotzdem war diese Reise es, eine Durchquerung des dunklen Festlandes doch, die seinen Namen bekannt, ja berühmt machte. Zahlreiche Vorträge, die er in den folgenden Jahren hielt, brachten ihn in persönliche Berührung mit der deutschen Öffentlichkeit, die Geographischen Gesellschaften von Paris und London verliehen ihm ihre

46 goldene Medaille, und die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin machte ihn zum Ehrenmitgliede. Der König von Preußen empfing ihn und zeichnete ihn aus. Rohlfs beschrieb die Reise, die genau zwei Jahre gedauert hatte, in zwei größeren Werken. Das eine trägt einen wissenschaftlichen, das andere einen volkstümlichen Charakter. Ersteres heißt Gerhard Rohlfs' Reise durch Nord-Afrika vom Mittelländischen Meere bis zum Busen von Guinea 1865 bis 1867 und erschien 1871/72 als Ergänzungsheft von Petermanns Mitteilungen bei J. Perthes in Gotha. Das allgemeinverständliche Werk trägt den Titel Quer durch Afrika. Reise vom Mittelmeer nach dem Tschad-See und zum Golfe von Guinea, 2 Bde., Leipzig 1874/75, F. A. Brockhaus, 352 und 298 Seiten. Dieses Werk Quer durch Afrika ist sein bekanntestes und auch am meisten fesselndes Buch, es erzählt in anschaulicher Weise und verrät recht gute Beobachtung. Freilich mischt es solche und schiefes Theoretisieren gelegentlich bunt durcheinander, wie denn Rohlfs niemals ein wirklicher geographischer Fachmann geworden ist. - Im Sommer 1867 nach Deutschland zurückgekehrt, fand Rohlfs sich schon so bekannt und auch von höchsten Stellen beachtet, daß er Ende November auf Wunsch des Königs von Preußen als Beobachter zu der englischen Expedition stoßen mußte, die im Winter 1867/68 in Abessinien eindrang, um den Negus Theodor für schlechte Behandlung und Gefangennahme der dort ansässigen Engländer zu strafen. Rohlfs beschrieb seine Reise in dem Werke Im Auftrage Seiner Majestät des Königs von Preußen mit dem englischen Expeditionskorps in Abessinien, Bremen 1869, J. Kühtmann. Da die Reise für seine Laufbahn als Entdecker nicht von Bedeutung ist, so gehen wir nicht näher auf sie ein, sondern wenden uns seiner vierten eigentlichen Forschungsreise zu. - Im Sommer 1868 regte Rohlfs beim König von Preußen an, dem Sultan Omar von Bornu, der eine Anzahl deutscher Forschungsreisender gut aufgenommen und gefördert hatte - es handelte sich um Barth, Overweg, Vogel, v. Beurmann und Rohlfs - Geschenke zu schicken. König Wilhelm willfahrte diesem Wunsche und beauftragte Rohlfs, sie nach Tripolis zu bringen und dort einen geeigneten Mann, etwa einen verläßlichen Eingeborenen, mit ihnen nach Kuka abzusenden. Rohlfs gewann dann den damals ganz unbekannten, in Tunis lebenden Arzt Dr. G. Nachtigal dafür, wie auf S. 126 näher geschildert werden wird. Er selber aber fuhr auf einem Segler nach Benrhasi und trat eine vom Könige finanzierte Reise durch die an antiken Trümmern reiche Kyrenaika an. Von dort wanderte er über die Oasengruppe Audschila-Dschalo und über Siuah nach Alexandrien. Die ganze Reise von Benrhasi nach Alexandrien dauerte nur zweieinhalb Monate. Neben einer ziemlich eingehenden Beschreibung von Tripolis und Tripolitanien sowie einigen aufgenommenen Strecken und neben den ersten genaueren Nachrichten über den christenfeindlichen Orden der Senussi machte er durch barometrische Höhenmessungen die völlig unerwartete Feststellung, daß sich entlang dem Südrande der Libyschen Küstenplatte eine Depression hinzieht, die 25 m unter dem Meeresspiegel liegt. Das diese Reise behandelnde Werk trägt den Titel Von Tripolis nach Alexandrien. Beschreibung einer im Auftrage Sr. Majestät des Königs von Preußen in den Jahren 1868 und 69 ausgeführten Reise, Bremen 1871, J. Kühtmann, 2 Bde., 197 und 148 Seiten. Mit der im Jahre 1869 erfolgenden Rückkehr aus Afrika waren fünfzehn Jahre vergangen, die Rohlfs fast ausschließlich in Nordafrika zugebracht hatte. Der Achtunddreißigjährige begann ein Verlangen nach Seßhaftigkeit und Ruhe zu empfinden. Abwechselnd in Bremen und Berlin wohnend, hielt er im Winter 1868/69 die erste jener vielwöchigen Vortragsreisen, die er von nun an jedes Jahr unternahm, um sich den Lebensunterhalt zu verschaffen. In Berlin und Potsdam war er beim Könige und den Prinzen ein gern gesehener, unterhaltsamer Gast.

47 Auf einer im Frühling 1870 durch Rußland führenden Vortragsreise lernte er in Riga eine Nichte des Afrikareisenden Schweinfurth kennen, verlobte sich, Draufgänger, der er war, nach sechs Tagen mit ihr und heiratete sie nach sechs Wochen. Er ließ sich mit ihr in Weimar nieder, da er Beziehungen zum Großherzog Carl Alexander angeknüpft hatte. Aber schon nach vierwöchiger Ehe mußte er fort und in geheimer Sendung in den Siebziger Krieg. Er erhielt nämlich Auftrag, mit dem Arabisten Wetzstein zusammen nach Tunis zu fahren und von dort aus Aufstände in Algerien anzuzetteln, damit die Franzosen ihre farbigen Truppen und die Fremdenlegion dort lassen müßten. Infolge der Franzosenfreundlichkeit des Beïs von Tunis gelang es aber nicht, über die algerische Grenze zu kommen, ja die beiden Agenten wurden sogar sehr bald nach Sizilien abgeschoben. Hier erfuhren sie die Nachricht von Sedan und erhielten Befehl, heimzukehren, weil ihre Aufgabe jetzt als unnötig erachtet wurde. Zu Weihnachten 1870 wurde Rohlfs, erst neununddreißig Jahre alt, zum Kgl. preußischen Hofrat ernannt. Aber nach etlichen Jahren geruhigen, gesellschaftlich angeregten Lebens in Weimar litt es den Abenteuerlustigen nicht länger in der Heimat, er mußte wieder hinaus. Auf Grund seiner Feststellung jener Depression im Norden der Libyschen Wüste kam Rohlfs auf den phantastischen Gedanken, die ganze Libysche Wüste läge möglicherweise bis zum Sudan hin tiefer als der Meeresspiegel und könne somit leicht unter Wasser gesetzt werden, wodurch das Klima weiter Teile Afrikas verbessert werden müßte. Dem war 1872 ein Dr. W. Zenker in einem Aufsatze entgegengetreten, und Rohlfs faßte jetzt den Entschluß, die Libysche Wüste zu bereisen, um ihre Höhenverhältnisse festzustellen. Es gelang ihm mit Hilfe des deutschen Generalkonsuls Dr. Jasmund, den Vizekönig von Ägypten zur Bereitstellung einer Summe von 4000 zu veranlassen. Eine so große Summe hatte dem Forscher noch niemals zur Verfügung gestanden, aber auch ein so scharf umrissenes Problem hatte er noch nie im Auge gehabt. Um die Untersuchungen möglichst sicher zu gestalten, warb er drei jüngere Gelehrte an, den Geodäten Prof. W. Jordan von der Technischen Hochschule Karlsruhe, den Geologen Dr. K. Zittel, den Botaniker P. Ascherson, und dazu den Photographen Remelé. Außerdem gestaltete er die Ausrüstung überaus reich. Die Karawane brauchte in Ägypten fünf Eisenbahnwagen; allein 500 eiserne Wasserkisten nahmen viel Platz fort. Und doch wurde es die am wenigsten ergebnisreiche Expedition des Entdeckers. Die Reise, die im Winter 1873/74 stattfand, verließ in Siut das Niltal und führte über die Oase Farafrah nach der Oase Dachel. Von hier wurde der Vormarsch westwärts in die Wüste angetreten, aber er kam sehr bald zwischen hundert Meter hohen Dünen zum Stocken, bog zwischen den Dünenketten nordnordwestwärts ab und endete in Siuah. Von hier kehrte man über Farafrah, Dachel und Chargeh nach Esneh am Nil zurück. Die ganze Reise hatte nur dreiundeinhalb Monate gedauert. Ihr Ergebnis war, daß von einer Tiefenlage der Libyschen Wüste gar keine Rede sein konnte, Rohlfs' Überflutungsplan also gegenstandslos war. Außerdem erbrachte sie die erste genaue geologische und botanische Aufnahme der Oasen und der zwischen ihnen liegenden Wüstenstrecken und wies unüberschreitbare Dünenwüsten nach. Rohlfs konnte nicht wissen, daß er grade an die breiteste Stelle des Dünengürtels geraten und daß dessen Westende gar nicht mehr sehr fern war. Rohlfs selber hat die Reise in seinem Buche Drei Monate in der Libyschen Wüste geschildert (Kassel o. J., T. Fischer, 337 Seiten). Auch seine Begleiter haben in besonderen Werken einzelne Untersuchungen veröffentlicht. - Von einer längeren Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt, fand Rohlfs eine Einladung Leopolds I., Königs der Belgier, vor, an einer afrikanischen Besprechung in Brüssel teilzunehmen; u. a. wohnten ihr auch Nachtigal und Schweinfurth bei. Auf dieser Tagung wurde die Gründung einer Association internationale zur Erschließung Tropisch-Afrikas

48 beschlossen, wobei hauptsächlich an Errichtung von Stationen gedacht war. Die Gründung des Kongostaates geht auf diese Association zurück. Mit ihrer deutschen Abteilung schloß sich die 1873 gegründete Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas zusammen. Und bei dieser regte Rohlfs 1878 eine neue Forschungsreise an, die letzte, die er unternommen hat. Rohlfs konnte noch nicht von der Libyschen Wüste lassen. Zwar schob er (vielleicht um die Afrikanische Gesellschaft zur Finanzierung zu veranlassen) als Ziel die Feststellung der Wasserscheide zwischen Benue, Schari und Kongo vor, in Wahrheit aber war es ihm wohl um die Libysche Wüste zu tun, denn er wollte von der Mittelmeerküste aus in jene Teile Innerafrikas gehen, die doch vom oberen Nil, vom oberen Kongo oder Benue aus leichter zu erreichen waren. Er gedachte von Benrhasi über Kufra quer durch die Libysche Wüste nach Uadai zu dringen, um dann von hier aus dem eigentlichen oder vorgegebenen Zwecke der Expedition nachzugehen. Einen gefährlicheren Zugang als über das noch nie von einem Europäer betretene und von fanatischen Arabern bewohnte Kufra konnte er sich gar nicht aussuchen. Die Expedition, 1879/80 unternommen, scheiterte denn auch sehr bald und kam nicht über Kufra hinaus. Rohlfs, jetzt schon achtundvierzig Jahre alt, war diesmal von einem jungen Zoologen, Dr. A. Stecker aus Böhmen, der auch die astronomischen und topographischen Arbeiten ausführte, sowie von zwei deutschen Dienern begleitet. Er ging Mitte Dezember 1878 von Tripolis ins Innere und über Sokna, Sella und Abu Naim nach Audschila; die Strecke Sella-Abu Naim war neu. Von Audschila bog er an die Küste nach Benrhasi ab, um hier den Marsch über Kufra besser vorzubereiten, denn sowohl von seiten der Sujaaraber Kufras wie von seiten des Senussiordens, der dort allergrößten Einfluß ausübte, erhoben sich Schwierigkeiten. Schließlich schienen diese beseitigt, und mit dem Sujaschech Abu Bekr Bu Gwettin war ein Vertrag geschlossen worden, der diesen verpflichtete, Rohlfs nach Uadai zu bringen. In Battiful, dem äußersten Punkte der Oase Dschalo, betrat Rohlfs völliges Neuland. Zuerst ging es in viereinhalbtägigem Gewaltmarsche täglich 95 km und fast ohne Schlaf über 450 km vollkommen platter Serirwüste nach Taiserbo, dem nördlichsten Teile des Oasenlandes Kufra, und nach notwendiger Rast weiter nach Kebabo, der Hauptoase Kufras. Hier aber kam die Katastrophe, indem der Führer Bu Bekr die Reisenden ausplünderte, so daß sie nur durch Beistand der beiden Sujaschechs Krim Bu Abd e'rba und Dschib e'lab el Abid dem Tode entgingen. Zwar retteten sie ihr Leben und einen Teil ihres Besitzes nach Audschila und Benrhasi, aber die Expedition als solche war vernichtet. Im einleitenden Teile dieses Abschnittes (S. 78) haben wir den Vorgang näher geschildert. Die Kufraexpedition im engeren Sinne, d. h. von Audschila nach Kebabo und zurück, hat zweieinhalb Monate gedauert, und von dieser Zeit entfallen etwa zwei Monate auf den erzwungenen Aufenthalt in Kebabo. Gleichwohl war das Ergebnis der Reise für die Erforschung der Sahara noch bedeutend, denn sie verstattete zum ersten Male einen tiefen Einblick in das Herz der Libyschen Wüste und lehrte das große Oasenland Kufra kennen. Das Werk, das Rohlfs darüber herausgab, trägt den Titel Kufra. Reise von Tripolis nach der Oase Kufra. Ausgeführt im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland, Leipzig 1881, F. A. Brockhaus, 560 Seiten, 2 Karten. In politischer Sendung Nicht lange nach der Rückkehr aus Kufra baute Rohlfs sich ein Haus in Weimar an der Belvedereallee, in dem er eine orientalisch breite Gastfreundschaft entfaltete. Die Bücherei ließ er durch den Maler Weihberger mit Fresken der von ihm entdeckten Oasen schmücken - eine stattliche

49 Reihe, waren es doch Ued Draa, Tafilet, Tuat, Tidikelt und Kufra. Ein Jahr nach der Kufrareise fragte Bismarck den bei ihm zu Gaste weilenden Rohlfs: "Haben Sie alle Lust zum Reisen verloren?" Der fast Fünfzigjährige erwiderte: "Lust bleibt mir immer, aber man wird alt, und Entdeckungen kann ich nicht mehr machen." Hierauf leitete der Reichskanzler das Gespräch auf Abessinien über, dessen Negus mit Ägypten in heftigem Streite lag. Er erklärte, daß er jemanden dorthin schicken möchte, und setzte hinzu: "Ich brauche zu einer solchen Mission einen zuverlässigen, wissenschaftlichen Mann; ich wünsche sehr, daß Sie hingehen." Und Rohlfs entgegnete ohne Bedenken: "Ich stehe wie immer zu Befehl Eurer Durchlaucht." Wieder in Begleitung Dr. Steckers führte Rohlfs 1881/82 die Sendung durch und durchwanderte ein halbes Jahr lang das Land in verschiedenen Richtungen. Er hat die Reise, mit der er sich Bismarcks Zufriedenheit erwarb, in dem Buche Meine Mission nach Abessinien geschildert, das 1883 im Umfange von 348 Seiten bei F. A. Brockhaus in Leipzig erschien. Im Jahre 1884 wäre er fast noch ein drittes Mal nach Abessinien gelangt. Rohlfs hatte nämlich in den Times einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er zur Rettung des von den Mahdisten in Chartum eingeschlossenen Engländers Gordon Pascha empfahl, in Abessinien ein Expeditionskorps aufzustellen und ihm von dort aus zu Hilfe zu eilen. Ganz unerwartet erhielt er daraufhin von einem englischen Komitee die Anfrage, ob er die Führung und Aufstellung dieses Korps übernehmen wolle. Er hatte große Lust dazu, hielt es aber für erforderlich, Bismarcks Genehmigung einzuholen. Der riet aber dringend ab, und so verzichtete Rohlfs. Eigentlich schade, daß wir den kühnen Abenteurer und Entdecker nicht auch als Heerführer behandeln können. Dafür aber brachte ihm das gleiche Jahr 1884 eine diplomatische Sendung, und zwar nach Sansibar. Der arabische Sultan von Sansibar, völlig unter englischem Einflusse stehend, leistete den jungen deutschen Kolonialerwerbungen in Ostafrika jeden nur möglichen Widerstand, da er durch sie seine Herrschaft bedroht wähnte. In dem deutsch-englischen Kampfe um den Sultan nun glaubte Bismarck den berühmten Afrikareisenden einsetzen zu sollen und sandte ihn Ende 1884 als Generalkonsul nach Sansibar. Ohne wirkliche Machtmittel hinter sich, auch in den Künsten der Intrige nicht geübt, gelang es Rohlfs nicht, die Engländer beim Sultan auszustechen. Und um den Sultan zur Anerkennung des kaiserlichen Schutzbriefes für die Erwerbungen von Carl Peters zu bewegen, fehlte das von Rohlfs beantragte Geschwader. Nach nur halbjähriger Tätigkeit in Sansibar wurde Rohlfs recht brüsk zurückgerufen. In der Meinung, es handle sich nur um eine Berichterstattung, ließ er Frau und Einrichtung in Sansibar zurück, aber in Aden erfuhr er zu seiner Bestürzung von deutschen Seeoffizieren, daß sein Nachfolger, ein Berufskonsul, schon unterwegs sei. Von amtlicher Seite hat er über die Gründe seiner Kaltstellung nie etwas erfahren. Möglicherweise lag es nur daran, daß er den Beamten des Auswärtigen Amtes als fremder Vogel unbequem war und daß sie einem der ihrigen den schönen Posten zuschieben wollten; Herbert Bismarck soll ihm nicht gewogen gewesen sein. Nach dem Urteil des Grafen Pfeil, der mit Carl Peters zusammen den Grundstein zu unserer Kolonie Ostafrika gelegt hat, ist Rohlfs seinem Nachfolger an Kraft der Entschlossenheit und Überzeugung sowie natürlich an Afrikakenntnis weit überlegen gewesen und würde die schwebenden Angelegenheiten mit geringeren Mitteln zu günstigerem Erfolge geführt haben. Rohlfs war selber der Meinung, daß er mit Unterstützung jenes Geschwaders, das seinem Nachfolger zur Hand war, es ebenfalls geschafft hätte. So mußte er die Faust in der Tasche ballen und sagte: "Als einzelner muß ich leiden, ich tröste mich damit, nur meine Pflicht getan zu haben." - So war auf Rohlfs' Lebensabend ein düsterer Schatten gefallen, dessen er wohl nie wieder ganz froh wurde. Von Bismarck scheint er nicht mehr eingeladen worden zu sein, und auch zum Berliner Hofe müssen sich die Beziehungen gelockert haben.

50 Als es gegen die Sechzig ging, begann er sich körperlich weniger frisch zu fühlen, und geistig - ja geistig, was hatte er noch zu geben? Er war kein Gelehrter, der eigene Ideen in großen Werken zu gestalten hatte, er vermochte nur Vorträge zu halten und Aufsätze zu schreiben, die nichts sonderlich Neues brachten und irgendwann einmal als wenig notwendig empfunden werden mußten. In mehreren schmalen Bändchen hat er solche Zeitungsaufsätze gesammelt, aber es ist nichts dabei, was besonderen Wert hat. Seine Rolle war ausgespielt, er hatte Neues auf der Erde finden können, aber er verstand es nicht, Eigenes und Fremdes zu großen Kompositionen zu verschmelzen. Als der Körper das rauhe Klima von Weimar nicht mehr recht ertrug und als die Einnahmen aus den Vorträgen zurückgingen, wurde das Haus auf der Belvedereallee mit seiner kostspieligen Gastfreundschaft aufgegeben, und man übersiedelte nach Godesberg, wo es keine gesellschaftlichen Verpflichtungen gab. Immerhin ein vom Kaiser ausgesetztes Jahrgeld und die Ersparnisse sicherten ruhige Behaglichkeit. In Godesberg hatte Rohlfs seinen Sonnabendstammtisch und schrieb Artikel für Zeitungen, jetzt besonders gern über kolonialpolitische Fragen. Dann traten Lähmungserscheinungen auf, zuletzt versagte das Sprechen, und am 2. Juni 1896 kam in Gestalt von Herzlähmung ein sanfter Tod. Rohlfs war fünfundsechzig Jahre alt geworden - kein Alter, aber um die Wahrheit zu sagen, er hatte sich selber schon ein wenig überlebt. Die Urne wurde auf seinen Wunsch in seiner Vaterstadt Vegesack beigesetzt. Hier hält das Heimatmuseum sein Andenken durch zwei Rohlfszimmer hoch. In ihnen hat Alwin Belger Bücher, Möbel, Ehrenurkunden, Orden, Briefe und noch vieles andere gesammelt und betreut es mit liebevollem Verständnis. In Vegesack, Bremen, Weimar und Godesberg gibt es eine Gerhard-Rohlfs-Straße. Sonderbar ist es, daß der Reisende auf der heute nach ihm benannten Straße geboren und, nach dem langen und mühsamen Umwege über Afrika, auf der gleichen Straße (oder doch ihrer Verlängerung) begraben worden ist. Konrad Guenther veröffentlichte 1912 eine Lebensbeschreibung von Rohlfs. Das Charakterbild Gerhard Rohlfs war nicht ein Charakter von jener gewaltigen einseitigen Ichhaftigkeit Heinrich Barths, er war auch nicht ein Ringer um schwierige originale Geistesprobleme, nein, er war ein Finder, der in bloßem Abenteuerdrange kam, sah und, da er rechtzeitig kam, auch siegte. Aber er blieb nicht in der primitiven Schichte des Abenteurers stecken, sondern wurde auch geistig ein Selfmademan, der es sich angelegen sein ließ, nachzuholen, was er als Schüler und Student versäumt hatte. Hier aber fand seine starke Willenhaftigkeit in seiner Geistigkeit Grenzen, die er niemals zu überwinden vermochte. Er ist nicht als Zufrühvollendeter wie Barth gestorben, er hat vielmehr sein Werk, so gut er es vermochte, getan. Aber darüber hinaus ging es nicht. Denn Willensmenschen pflegen ihren Weg schneller zu gehen als Geistesmenschen. Ist jenen das jüngere Mannesalter beste Zeit, so diesen die Reife, welcher der Körper nur noch Träger inneren Leistens bleibt. Kennzeichnet sich Barths Leben durch harmonische Ausgewogenheit von Tat und Traum, von Wille und Geist, so zeigt sich Rohlfs' Dasein als einseitig willenhaft bestimmt, und der Geist läuft mehr nebenher mit. Intensive und extensive Leistungshaftigkeit deutschen Menschentums offenbaren sich hier. - Die Eltern von Rohlfs waren Nordniedersachsen, er selber besaß rein nordische Züge, wie sich nach einer ganzen Anzahl von Photographien leicht feststellen läßt. Die hohe schlanke, sehnige Gestalt, die edle Regelmäßigkeit seines Gesichtsschnittes, die tadellose Haltung und eine gewisse Würde im

51 Auftreten fielen stets an ihm auf. Bilder aus seiner marokkanischen Zeit, also aus der ersten Hälfte seines vierten Lebensjahrzehntes, zeigen einen hageren, knochigen Mann mit eingefallenen Wangen, über denen die Jochbeine eckig hervorstehen; man merkt ihm die furchtbaren Leiden und Verwundungen an. Die Bilder des Vierzigjährigen lassen uns einen schönen Männerkopf mit blondem Lockenhaar, waagerecht gewichstem Schnurrbart und Henriquatre erkennen, den Kopf frei erhoben, den Blick offen gradeaus gerichtet. Der Fünfzigjährige, der Kufra hinter sich hatte, erscheint merklich gealtert und macht einen hofrätlichen Eindruck, das kühn Zupackende von früher ist verschwunden, und man kann nicht sagen, daß es durch geistige Bedeutendheit ersetzt worden wäre. Die Altersbilder des Sechzigers stellen einen freundlichen alten Herrn dar, dem Rock und Kragen zu weit werden und der nur noch verzichtend auf das Leben zurückblickt. Gerhard Rohlfs Ein unzweifelhaft nordrassischer Mensch, voll Wagemut und Leistungswillen, ein kühner Wiking mit feuerblauen, energieblitzenden Augen und großer Fähigkeit, körperliche Anstrengungen zu ertragen und lange durchzuhalten. Den Eil- und Gewaltmarsch von Dschalo nach Kufra - viereinhalb Tage ohne Rast und Schlaf - hat der Neunundvierzigjährige noch wie jeder andere ausgehalten. Wenn er sich schon vor dieser Zeit, in Hinblick auf seine zwanzig Jahre jüngere Frau, eine morsche Eiche nannte, so wird dies mehr kokett als richtig gewesen sein. Rassisch auffällig ist, daß er während und nach den Marokko- und Saharareisen stets als ungemein dunkelbraun oder bronzefarbig geschildert wird, nie krebsrot, wie es doch die Verbrennungsform rein nordischer Haut ist; er soll dann wie ein Araber ausgesehen haben. Aber vielleicht liegt nur Farbverkennung seitens der Zeitgenossen vor, die ein gebräuntes Rot einfach als Braun ansahen. Von seiner Gesamterscheinung wird gesagt, daß er jedermann durch sein Auftreten und seine sympathischen Züge für sich eingenommen, auch bei Vorträgen sofort Kontakt mit den Zuhörern gefunden habe. Im Gegensatze zu Heinrich Barth hat Rohlfs' Wesen nichts, das die Menschen ihm fernhielt oder gar abstieß, vielmehr trat er allen aufgeschlossen und zu Verkehr willig entgegen. Er gab sich und war von Natur ungezwungen, gefällig, verbindlich, hatte aber durchaus nichts Unterwürfiges, sondern blieb immer Herr. Seine im tiefsten Innern unkomplizierte Natur trat unbefangen unter die Leute, sein gutes Aussehen und der feste klare Klang seiner Stimme nahmen sofort für ihn ein; als Redner hatte er mit seinen einfachen, eindrucksvoll vorgebrachten und frei vorgetragenen Ausführungen stets Erfolg und fesselte die Zuhörer vom ersten Satze an. Gewandt wußte er seine Mitmenschen zu nehmen und für sich zu interessieren, nicht aus Berechnung, sondern aus angeborenem männlichen Scharm. Seine Wirkung beruhte durchaus auf der Macht seiner Persönlichkeit, ja der Großherzog Carl Alexander von Weimar sagte einmal zu ihm, er habe etwas suggestiv Zwingendes. Aber man wird ihm wohl auch angemerkt haben, daß er von lauterer Wahrheitsliebe war, durchaus kein Aufschneider und Großsprecher. Die Beschreibungen seiner doch z. T. sehr gefährlichen Reisen enthalten keine Spur von Aufschneiderei. Sie sind vollkommen strich- und farbecht, immer glaubwürdig und zuverlässig, zeigen ihn nie in der Pose des Helden, sondern offenbaren das Menschlein, das schwere Gefahren auf sich nahm, weil das nun einmal nicht anders ging. Rohlfs

52 konnte einfach nicht lügen, seine Handlungen wurden von seinem Gefühl für das Rechte diktiert: dies war sein sittliches Grundgesetz, nach dem er eben zwangsläufig handeln mußte. Als wahrer Mensch besaß er natürlich auch ein ausgeprägtes Empfinden für Recht und Unrecht. Sein tiefstes Inneres empörte sich gegen ein ihm angetanes Unrecht, aber er wußte auch klaglos zu leiden, wenn die Macht der Verhältnisse größer war als seine eigene Kraft. Er nahm es dann hin, fast wie ein Orientale, der sich mit dem Kismet abfindet. Hatte er selber ein Unrecht begangen, etwa eine Hausgehilfin ausgescholten, deren vermeintliches Vergehen sich dann als irrtümlich aufgefaßt herausstellte, so nahm er keinen Anstand, sich freimütig zu entschuldigen. Rohlfs rang schon als Knabe nach Selbständigkeit, aber dieses Ringen scheint sich nicht aus einem so ausgeprägten, ausschließlichen Individualismus wie jenem Heinrich Barths herzuleiten, vielmehr dürfte es einfach daher gekommen sein, daß dem Knaben die ihm vom Gymnasium gebotene Geisteskost und wohl auch die Lehrer nicht zusagten. Gegen sie sträubte er sich und riß aus, nicht gegen geistige Dinge als solche, denn er hat später immer gern dazugelernt und sich in wissenschaftliche Fragen einzuarbeiten versucht. Wir wollen mit dieser Auslegung seinen Drang nach persönlicher Freiheit keineswegs anzweifeln. Er ist immerhin dreimal ausgerückt, zweimal von der Schule, und einmal vom österreichischen Militär; auch ist bekannt, daß er als Soldat sehr oft Zapfen gewichst hat und dafür in Arrest geflogen ist. Mit diesem Freiheitsdrange, der doch stets innerhalb der Schranken der menschlichen Gemeinschaft blieb und nicht wie Barth sie zu verneinen suchte, mit diesem Drange paarte sich eine unbändige Abenteuerlust. Die Stufen ihres Suchens nach Neuem, Unbekanntem, Romantischem vermögen wir genau zu verfolgen. Der Fünfzehnjährige brennt durch, um an Bord eines Schiffes zu gehen; der Achtzehnjährige will in den Kampf gegen die Dänen und zeichnet sich dann bei Idstedt aus; der Vierundzwanzigjährige wird Fremdenlegionär; der Dreißigjährige wagt sich mit einem Nichts mitten in das damals noch unerschlossene, europäerfeindliche Marokko hinein; der Dreiunddreißigjährige lechzt danach, in die gleichen Gegenden zurückzukehren, in denen er etliche Monate vorher durch heimtückischen Überfall neun schwere Wunden erhalten hat - und selbst noch der Achtundvierzigjährige zögert nicht, die Reise nach Kufra anzutreten, trotzdem ihm als altem erfahrenen Saharareisenden die Gefahren von vornherein klar sein mußten. Auch Heinrich Barth besaß großen Wagemut und setzte sein Leben unbedenklich ein, aber er ging nicht tollkühn wie Rohlfs in das Unbekannte hinein, sondern suchte sich stets die Möglichkeit des Rückzuges zu sichern. Und noch ein Unterschied: für Barth war das Wagnis nicht Selbstverständlichkeit oder gar Selbstzweck wie für Rohlfs, sondern es blieb immer Diener seines geistigen Dranges, Unbekanntes aufzuhellen, es in klare Erkenntnis umzuwandeln und dadurch für geistige Werke nutzbar zu machen. Barth war eine haushälterische Natur, Rohlfs eine verschwenderische. Rohlfs gab sich ohne Besinnen hin, wenn ihn ein Verlangen erfüllte. Er überlegte nicht lange, ob das, was er vorhatte, leicht oder schwer zu erreichen, ob es ausführbar oder unausführbar war, er erwog nicht sorgsam die Folgen eines Entschlusses, sondern wagte frisch darauflos; er schonte sich nie, er setzte sich stets ganz ein, er verschwendete sich ohne Besinnen. Alles Kleinliche hassend, schritt er großzügig durchs Leben, später, als seine Einnahmen ihm das gestatteten, orientalisch weitgespannte Gastfreundschaft ausübend und gern Hilfe leistend, wo er darum angegangen wurde. Voll Wahrheitsliebe und Wagemut machte er aus seiner Gesinnung und aus seiner Ansicht über eine Sache kein Hehl. So finden sich in seinen Büchern zahlreiche Stellen, die sich gegen die Kirche aussprechen. Durch Zufall getaufter Christ und aus Überlegung übergetretener Moslim, mochte er beide Religionen nicht, er war schon in die naturwissenschaftlich aufklärende Zeit des 19. Jahrhunderts hineingeboren und stark darwinistisch beeinflußt, so eine Art Freidenker. Auf das Christentum war er schon deshalb schlecht zu sprechen, weil von kirchlicher Seite mancher Angriff gegen seinen Übertritt zum Islam gerichtet wurde; daß er das Bekenntnis La illaha il Allah, ue Mohammedu rassul Allah nur ausgesprochen hatte, um das verschlossene Land Marokko zu öffnen, ließen die gläubigen Christen als Entschuldigung nicht gelten.

53 Man darf aus dieser Abneigung gegen die Kirche nicht schließen, daß Rohlfs nicht seinen Glauben hatte. Ist es nicht bezeichnend, daß er während seiner gefahrvollen Reisen stets ein aus dem Haar seiner Mutter gefertigtes Amulett auf der Brust trug? Und wird er nicht jedesmal, wenn es hart auf hart ging, an dieses Heiligtum gefaßt und in inbrünstigem Gebete um Rettung gefleht haben? Daß er von tiefem Gemüte war, erschließt sich auch daraus, daß er Musik liebte, besonders Beethoven, und sich allabendlich von seiner Frau vorspielen ließ - hierbei kämen ihm seine besten Gedanken, pflegte er zu sagen. Während er Opern gern besuchte, ging er nie in Schauspiele, weil er bei erschütternden Stellen mit Tränen zu kämpfen hatte. Franz Liszt war in seinem Hause zu Weimar ein oft und gern gesehener Gast, der es nicht verschmähte, auf dem Flügel der Frau Lony Rohlfs zu spielen. Wie gut Rohlfs sein Musikinteresse mit seiner Tierliebe zu verbinden wußte, erhellt aus der komischen Tatsache, daß er als Generalkonsul nach Sansibar seinen - Kanarienvogel mitnahm. Ausgeprägt war auch Rohlfs' Sinn für Humor, der aus der inneren Güte, Freiheit und Größe seiner Seele kam. Als Student liebte er derbe und übermütig aufschäumende Lustigkeit, und als reifer Mann machte er gar zu gern mutwillige Späße, die er mit todernstem Gesicht vorbrachte, so daß Fremde nicht gleich aus ihm klug wurden. Als er in den ersten Tagen des weimarischen Aufenthaltes mit seiner jungen Frau das Goethezimmer im Schloß besichtigte, fragte er in den Wortschwall der Kastellanin trocken hinein: "Wer war doch gleich Goethe?" Allworauf die Wortreiche jäh verstummte. Mark Twain hat das in Italien ähnlich gemacht. In ganz niedersächsischer Art liebte er es, komische Quiproquos herbeizuführen, die plötzliches Strahlenlicht auf eine ernste, vielleicht uninteressante Lage warfen. Seine Reisewerke verraten übrigens kaum etwas von seiner humoristischen Ader. Rohlfs' Stellung zur Frau ist nur aus seiner Ehe bekannt, die fest und glücklich gewesen sein soll. Immerhin scheint die Frau den zwanzig Jahre älteren und welterfahrenen Mann doch oft als eine Art Schulmeister empfunden zu haben, so daß das Wort Tyrannei nicht selten zwischen ihnen gefallen ist. Zu Anfang der Ehe ließ er es sich angelegen sein, sie nach seinem Geschmacke zu erziehen. Achtung vor Frau und Mutter zeigt die oben erwähnte Angelegenheit des Amuletts. Und Familiensinn? Vom Gymnasium in Celle sehnte er sich stark nach Hause, als Student in Würzburg aber klagte er: "Seit vier Jahren bin ich immer allein." Sein inneres Verhältnis zur Nation und zu den Arabern, Berbern und Negern Afrikas war nicht einfach. Als junger Mensch muß er starke Deutschheit empfunden haben, denn es wird ihn nicht nur Abenteuerlust in den Kampf gegen die Dänen gezogen haben. In Algerien aber scheint er von französischem Wesen angekränkelt gewesen zu sein, denn er schrieb sich damals Gérard und war 1863 vor Antritt der zweiten Marokkoreise bereit, sich als Franzose naturalisieren zu lassen, weil er gehört hatte, daß der von der Pariser Geographischen Gesellschaft für die Erreichung Timbuktus ausgesetzte Preis von 8000 Franken nur einem Franzosen erteilt werden sollte. Später aber, als er wieder ganz dem deutschen Wesen gewonnen war, erwachte sein deutsches Herz, und namentlich die zur Reichsgründung führenden Ereignisse von 1870 erweckten und hoben ausgeprägten Nationalstolz. Fortan vermied er französische Ausdrücke, die ihm in der Legion angeflogen waren. Daß er schließlich noch auf einem deutschen Kriegsschiffe als Vertreter des Reiches, ein Dreiundfünfzigjähriger schon, nach Afrika gehen durfte, galt ihm als der schönste Lohn seines Lebens und Schaffens. Ganz anders stand er zu den Orientalen. Er lebte viele Jahre lang unter ihnen, hatte in Marokko gelernt, einer der ihrigen zu scheinen, und war sogar Mohammedaner geworden, der in der Moschee sein Gebet verrichtete und hinterher mit der Hand aus gemeinsamer Schüssel aß. Und doch scheint ihm sein nordrassisches Blut nicht erlaubt zu haben, die Formen des Lebens und die arabische Sprache wirklich vollendet zu beherrschen. Er fiel stets als Fremder auf und erregte immer wieder den berechtigten Verdacht, ein verkappter Christ zu sein, woraus sich vielerlei Schwierigkeiten ergaben. Die arabische Sprache hat er, eigenem Eingeständnis nach, nur sehr

54 langsam erlernt und nie richtig beherrscht; letzteres hat dem Schreiber dieser Zeilen im Jahre 1906 zu Tripolis der hier geborene österreichisch-ungarische Konsul Rossi erzählt, der Rohlfs noch gekannt und dessen Vater dem Reisenden mehrfach Kamele gekauft und Leute gemietet hat. Rohlfs mochte die Orientalen auch nicht leiden, er sah von ihrer labilen Seelenhaltung vorwiegend die schlechten Seiten und wurde nicht müde, sie als durch den Islam entartet zu geißeln. Er scheint sich kaum Mühe gegeben zu haben, sie innerlich zu verstehen und das Schöne ihrer Kultur anzuerkennen. Sie waren ihm eine Art Wilde, vor denen man ständig auf der Hut sein muß. - Rohlfs war eine geborene Kämpfernatur und ein Mann der Tat. Mit festem Willen rang er sich durch widrige Verhältnisse, in die seine Abenteuerlust ihn verstrickt hatte, zu einer ehrenvollen Laufbahn empor. Erst nach dreizehn Jahren abenteuerlichen Tastens als deutscher Soldat und als Fremdenlegionär, als Student und als armer Glückssucher in Marokko, immer in kläglichsten Verhältnissen, fand er seinen Weg als Forschungsreisender. Und jetzt, immerhin schon dreiunddreißig Jahre alt, begann er jene Kenntnisse sich anzueignen, die notwendig waren, um auf dem neuen Lebensweg Erfolge zu erringen. Und er kämpfte sich dann noch eine Reihe von Jahren weiter, indem er lernte und forschte, bis es schließlich dem Mittvierziger einigermaßen genug zu sein schien. Bis dahin blieb Ringen und Arbeiten sein Lebensinhalt, und erst dann setzte langsam ein Hang zu beschaulichem Genießen ein, den sein Wille dann ganz nach seinem höchstpersönlichen Geschmack lenkte, nämlich gut zu essen und zu trinken, zu lesen und zu schreiben, schön zu wohnen und Verkehr mit bekannten Männern zu unterhalten. Er war ein Selfmademan in Gestalt eines Entdeckers, der sich kraft seines Drängens nach Unerforschtem und willens seines Ehrgeizes Ruhm, Auszeichnung, Einkommen erwarb. Rohlfs' Willenhaftigkeit erstreckte sich vornehmlich in zwei Richtungen, nämlich auf sich selber und auf seine Mitmenschen. An sich selber arbeitete er mit eiserner Energie, um sich vom bloßen Abenteurer und Glücksjäger zum Afrikareisenden von Rang zu entwickeln, und zwar obgleich er damals schon ein- oder zweiunddreißig Jahre alt war und ein Leben hinter sich hatte - fast die ganze erste Hälfte seines Lebens - in dem nahezu alle anderen Menschen verkommen wären. Er hätte doch, wie mancher andere in das Morgenland Verschlagene tat, in Marokko bleiben und ein beschauliches Dasein führen können! Aber er mußte ins Innere gehen, um Land und Leute kennenzulernen und damit das Sprungbrett für weitere Reisen zu schaffen. In der Richtung auf andere Menschen aber gebarte sich sein Wille, indem er lernte sich durchzusetzen, mochten die Widerstände auch noch so groß sein. Kühn, ja tollkühn ging er Menschen und Verhältnisse an, ohne erst lange zu fragen, ob es vernünftig sei oder nicht. Männer solcher Art sind in ihrem Erfolge natürlich davon abhängig, ob zufällig die anderen nachgeben oder widerstehen. Rohlfs mußte beides erfahren, heute Erfolg und morgen Scheitern, aber er ließ sich niemals entmutigen und wagte immer wieder Gut und Blut. Erst als Vierziger wurde er überlegter und vorsichtiger, unterzog sich aber noch als Endvierziger dem Kufrarisiko. Er hat viele Erfolge gehabt, besonders dann, wenn er nicht lange überlegte, und er ist oft gescheitert, zumal wenn er wägte, ehe er wagte. Die beiden größten Ziele, die er sich auf seinen Saharareisen steckte, hat er niemals erreicht: Timbuktu zu betreten und die Libysche Wüste zu durchqueren. Weder auf der zweiten Reise (1863/64) noch auf der dritten Reise (1865/67) gelang es ihm, einen neuen Weg nach Timbuktu zu erschließen, und weder auf der fünften (1874) noch auf der sechsten Reise (1879) glückte es ihm, die Libysche Wüste zu bezwingen. Und doch war nicht eine dieser Reisen ohne Erfolg, denn es gab eben noch genug andere unbekannte Teile der großen Wüste, die als erster zu betreten und zu beschreiben hohen Ruhm verbürgte. Gehen wir den letzten Gründen seines Scheiterns nach, so erkennen wir, daß es sich dabei nicht um Mangel an Entschlossenheit oder Mut handelte, sondern höchstens um ein nicht voll ausreichendes Maß an Beharrlichkeit. In solcher nämlich blieb er hinter den anderen beiden Saharareisenden Barth und Nachtigal zurück. Wie groß sein Mut war, ersieht man allein daraus, daß ihn der Diebstahl

55 seines bescheidenen Besitzes gleich am zweiten Tage seiner ersten Einreise in Marokko (1861) nicht davon abhielt weiterzupilgern, ebenso wie ihn die zweite Beraubung im folgenden Jahre nicht von der Bereisung des Landes abhielt. Und wie mancher hätte auf allen Entdeckerruhm verzichtet, nachdem ihm so furchtbare Wunden beigebracht worden waren, wie Rohlfs sie gegen Ende seiner ersten Forschungsreise erhielt! Er aber kehrte dann gar nicht nach Europa heim, sondern drängte trotz offener, Knochensplitter auseiternder Wunde sofort nach Marokko zurück. Nein, an Mut hat es ihm nicht gefehlt, aber er brachte nicht jene schier übermenschliche Geduld und Beharrlichkeit auf, um das gesteckte Ziel unentwegt im Auge zu behalten und auch einmal eine halbjährige Wartezeit an trostlosem Orte daranzusetzen, um die günstige Gelegenheit zum Vorstoß zu benutzen. Auf seiner zweiten Reise 1864 schreckte ihn in InSalah schon eine Wartezeit von vier Monaten, nach deren Ablauf er mit einer Karawane hätte nach Timbuktu gelangen können. Und als er, nun freilich schon neunundvierzig Jahre alt, 1879 in Benrhasi befürchten mußte, er habe längere Zeit zu warten, bis er nach Kufra gelangen könne, da rief er: "Ein solches Opfer zu bringen, war mir unmöglich." Für Barth und Nachtigal, auch für Burckhardt hätte das gar keine Rolle gespielt. Und auf Entdeckungsreisen ist eiserne Geduld oft wichtiger für den Erfolg als tollkühner Wagemut. - Der Erfolg von Gerhard Rohlfs beruht durchaus auf seinem frisch zupackenden Wagemut und seinem Glück, das ihn zufällig in ein Ländergebiet wies, in dem noch viel zu entdecken war. Demgegenüber tritt seine geistige Leistung zurück. Mit sehr mittelmäßigem Schulwissen und völlig unzulänglichem Universitätsstudium von nur drei Semestern, dann elf Jahre lang als Soldat und Abenteurer aus aller geistigen Beschäftigung herausgerissen, kam Rohlfs erst als einunddreißigjähriger Mann in seine eigentliche Laufbahn - als vollkommener Dilettant, und Dilettant ist er in Dingen der geographischen Wissenschaft immer geblieben. Wohl lernte er dann eifrig, las Bücher, eignete sich die (bescheidenen) Kenntnisse der Routenaufnahme und Höhenmessung an, aber ein umsichtiger, ideenreicher Geograph vom Range der Barth und Nachtigal oder Schweinfurth ist er niemals geworden. (Sein literarischer Geschmack hat sich nie hoch entwickelt, Romane las er nie, Gedichte nur selten und dann etwa den Mirsa Schaffy seines Freundes Bodenstedt; er behauptete, das Dichten sei nur einem noch im Kindesalter steckenden Volke artgerecht.) Wohl entwickelte er sich von einer Reise zur anderen, was in den Werken über die drei ersten Reisen sehr deutlich zu verfolgen ist, aber seiner geistigen Entwicklungsfähigkeit waren Grenzen gesetzt. Die dritte Reise ( ) offenbarte ihn als einen jener Afrikareisenden, wie sie damals üblich waren - wagemutige Finder neuer Wege, die sie unbeschwert von viel Wissen und ganz äußerlich beschrieben. In der Problemstellung war er meist von dem Kartographen August Petermann abhängig, der ihn deshalb auch förderte; die Tagebücher der ersten drei Reisen übergab er unverarbeitet Petermann, der sie für seine Zeitschrift auswertete und auch die Wegaufnahmen entwerfen ließ. Seine Wegaufnahmen ließen immer viel zu wünschen übrig, erst die beiden libyschen Reisen erhielten durch Jordans und Steckers Routenaufzeichnungen höheren Wert. Auf Reisen blickte Rohlfs frisch und frei in die fremde Welt hinein, weniger mit der Absicht zu beobachten, als vielmehr zu entdecken; die eingehende Arbeit überließ diese Art Reisender ohne weiteres ihren Nachfolgern. Reisen und Entdecken war ihm, mindestens auf den ersten drei Reisen, Selbstzweck; Ruhm, nicht wissenschaftliche Leistung war das Ziel. So fiel alle Beobachtung ungleichmäßig aus, für die Formen der Landoberfläche hatte er einen sehr unentwickelten Sinn, den Menschen wußte er besser zu erkennen. Die Naturschilderung ist deshalb unscharf und kalt, die Völkerschilderungen sind voller und farbiger, verharren aber ebenfalls an der Oberfläche. Ohne grade einseitig zu sein, blieb er doch immer begrenzt. Dabei neigte er nach Art der Dilettanten zu schnellem und schroffem Urteil, und in einer gewissen Selbstherrlichkeit merkte er wohl meist gar nicht, wenn er danebenhaute. Und trotz allem - die sechs Forschungsreisen in Nordafrika haben, besonders wenn man sie als ein Ganzes nimmt, volle Gültigkeit als Unterlage seines Ruhmes. Auf ihnen hat er zwischen 1861 und 1879 in zusammen rund acht Jahren des Wanderns über km Wüste zurückgelegt und die

56 Oasen Draa und Tafilet, Tuat und Tidikelt sowie schließlich Kufra, ferner den Mittleren, Hohen und Antiatlas in Marokko als erster Europäer betreten und beschrieben. Auch als Anreger in kolonialen Fragen darf man Rohlfs nicht unterschätzen. Schon in den siebziger Jahren wies er in Aufsätzen und Vorträgen auf die Bedeutung gewisser Gebiete der Erde für die Gründung deutscher Kolonien hin. Er dachte an Tripolitanien und Kyrenaika, an den mittleren Sudan und Kamerun oder an Somaliland. Sowohl Carl Peters wie Graf Pfeil, sowohl Adolf Lüderitz wie Hermann Wissmann haben sich bei Rohlfs Rat für ihre kolonialen Unternehmungen geholt. Ja zur Unterstützung seines Freundes Lüderitz veröffentlichte Rohlfs ein Heft Angra Pequena. Die erste deutsche Kolonie in Afrika. Gustav Nachtigal Eine denkwürdige Flucht Der angehende Afrikareisende Dr. med. Gustav Nachtigal benutzte einen erzwungenen längeren Aufenthalt in Mursuk, um in das noch niemals von einem Europäer betretene und selbst von den Arabern gemiedene Gebirgsland Tibesti einzudringen. Er hatte mit einem der einflußreichsten Edelinge der Tibbu, namens Arami, einen Reisevertrag abgeschlossen, wonach dieser ihn nach Tibesti führen und wohlbehalten nach Fesan zurückbringen sollte. Schon auf dem Hinwege erbettelte Arami, wonach seine Habgier Verlangen trug, denn er wollte noch vor Betreten des Hauptortes Bardai, wo eine Art Sultan hauste, möglichst viel von dem Besitze des Reisenden an sich bringen. Nachtigals Befürchtungen wurden immer größer, als sie sich diesem entlegenen Orte näherten und als Arami es vorzog, die kleine Karawane erst bei Nacht hineinzuführen, damit sie sicher bei seiner Wohnung anlange. Aber das Bauernvölkchen von Bardai empfing die Fremden mit brüllendem Geschrei und geschwungenen Waffen, die Männer trunken von Dattelschnaps, die Weiber mit ihren Zungen gellende Rufe ausstoßend. In seinem vor Aramis Palmblatthütte aufgeschlagenen Zelte verbrachte der Forscher dreieinhalb schreckliche Wochen. Während dieser Zeit kämpften zwei Parteien in endlosen Beratungen um ihn. Die ortsansässigen Bauern wollten, da sie von seinem Besitze nichts erwarten durften, wenigstens das Leben des Christenhundes, die Edelinge von der Westseite des Gebirges wollten nur seine ganze Habe, und der Sultan, ein uralter gebrechlicher Mann, erboste sich über die ihm gemachten Geschenke, denn sie waren ihm zu dürftig, und er argwöhnte nicht mit Unrecht, daß die Edelinge schon vorher aus dem Fremden das meiste und beste herausgezogen hatten. Nachtigal, von seinem italienischen Diener und seinen vier Schwarzen umgeben, mußte tagelang anhören, wie um sein Gut und Blut gestritten wurde. Er mußte hilflos zusehen, wie die Leute sein Gepäck wieder und wieder durchwühlten, um sich zu vergewissern, daß er tatsächlich kaum noch hatte, was ihre Habgier reizte. Als auch der Sultan dies getan hatte, ging er ernüchtert fort mit den Worten: "Ich habe das leere Holz gesehen und gehe nach Hause. Jener Mann hat das leere Holz gebracht, ich habe hier nichts mehr zu tun." Mit dem Worte Holz bezeichnete er verächtlich die Kisten. Und wieder hockten ein paar Dutzend Kerle da, auf den Fersen kauernd, die dunklen Gesichter hinter blauen Schleiertüchern verborgen, in der Rechten Lanze, Speer und Wurfeisen aufrecht auf die Erde gestemmt. Sie schrien viel und laut durcheinander und spritzten zischend den Saft des grünen Tabaks vor sich hin, den sie ebenso leidenschaftlich wie ihren Dattelschnaps genossen. Sehr

57 wortreich, ungemein gewandt und äußerst scharfsinnig brachte jeder seine Ansichten, Einwände, Ansprüche vor, sich bis zu überlautem Schreien steigernd, und doch mit stets unbewegten Gesichtszügen. Hatte einer der Redner sich einmal des Wortes allein bemächtigt, dann hockte er wohl da, zeichnete mit dem Finger verschlungene Linien in den Sand und blickte starr vor sich hin, wobei aber die Worte unaufhörlich hinter seinem Schleier hervorquollen. Und hungrig, durstig, schwankend zwischen Angst und Hoffnung, saß der Forscher in seinem Zelte und ließ sich vom obersten seiner Leute, dem alten Mohammed el Gatruni, der schon Barth und Rohlfs gedient hatte, das Würfelspiel um seinen Kopf ins Arabische übersetzen. Er mußte zusehen, wie sie paar- oder gruppenweise die Häupter zusammensteckten und unheimlich heisernd miteinander flüsterten, wobei sie bezeichnende Blicke auf ihn warfen. Mußte wahrnehmen, wie sie sich in immer noch ausschweifenden Hoffnungen ergingen und gar nicht begreifen konnten, daß ein Fremder mit so wenig Hab und Gut sich in ihr Land wagen mochte. Diese armseligen, zerlumpten, nie richtig satt werdenden Menschen gebärdeten sich, als gebührten ihnen alle Schätze Fesans, ja Tripolitaniens, nein der ganzen Türkei. Tag und Nacht sah der Reisende sich an sein Zelt gefesselt, unter dessen dünnem Leinendache die Hitze eine grauenerregende Höhe erreichte und die Fliegen ihn zu Tode peinigten. Zweimal hatte er es gewagt, sich ein paar Dutzend Schritte weit zu einem Palmenschatten hinauszustehlen, um in ihm erquickende Ruhe zu finden. Aber jedesmal hatten Kinder ihn aufgestöbert und sofort einen furchtbaren Steinhagel eröffnet, der ihm schmerzhafte Verletzungen beibrachte. Allmählich rückten Halbwüchsige dicht vors Zelt, spien hinein und schleuderten wohl auch eine Lanze durch die Leinwand. Es wurde immer offenkundiger, daß es darauf abgesehen war, die Fremden zu reizen, damit sie, sich zur Wehr sehend, Anlaß gaben, ihnen mit einem Anschein Rechtens den Garaus zu machen. Und Nachtigal saß in trübem Sinnen da, blickte in das palmgrüne Hochtal von Bardai hinein und auf die kahlen, malerisch geformten Felsberge Tibestis, sah eine unbekannte, nie betretene, nie erforschte Welt vor sich ausgebreitet und durfte keinen Schritt hineinwagen, bloß weil diese verblendeten Wilden an ihm nicht genug Geld verdienten. Wer jetzt noch zu ihm kam, forderte Zeug oder Piaster, um wenigstens etwas Vorteil zu erlangen, und malte ihm als Strafe seine baldige Ermordung aus. Einer bot dem Edeling Arami sogar ein Kamel an, wenn er ihm Nachtigal und den weißen Diener verkaufen würde. Und grade wie es zehn Jahre später Gerhard Rohlfs in Kufra geschah, auch diesmal gab es nur einen einzigen Menschen, der Mitleid hatte! Zweimal kam ein Mann von weither, der dem Gefangenen Wassermelonen brachte und sein Los bedauerte. Dafür aber wurde es jetzt dem "Gastfreunde" Arami allmählich zuviel, Nachtigal und seine Leute mit Datteln zu verpflegen - etwas anderes gab es überhaupt nicht. Anfangs hatte er morgens und abends Datteln und Wasser geliefert, nunmehr brachte er solche nur noch abends, so daß die Qualen des Hungers sich ins Unerträgliche steigerten. Aber obwohl der Deutsche dem Tibbu, sooft er ihn sah, wegen heimlicher Flucht zusetzte, wollte dieser noch nichts davon wissen, da es gegen seinen Stolz ging, wenn es ihm nicht gelingen sollte, die Leute von Bardai dahin zu beeinflussen, daß sie ihn mit den Fremden am hellen Tage ziehen ließen. Endlich nach drei qualvollen Wochen begann er einzusehen, daß er den Sinn seiner Landsleute nicht ändern konnte, und willigte in die Flucht. Eines Nachts wurden heimlich ein paar Kamele mit den Resten der Habe sowie mit Wasser und Datteln beladen, und um ein Uhr, als der Mond im letzten Viertel aufging, leise abgerückt. Die Schatten der Tiere huschten gespenstisch über die zackigen Felsen, aus deren Schlüften das schrille Kläffen der Klippschliefer drang. Mühsam schleppten sich und kletterten die des Gehens ungewohnt gewordenen Männer über Sand und Stein, über Krume und Kies. Tagsüber verbrannten und dursteten sie, nachts froren sie und hielten sich gegenseitig durch Klappern der Zähne wach. Die bloßen Füße rissen über den spitzen Steinen auf und bluteten, der spärliche Vorrat an Datteln

58 schrumpfte schnell zusammen, und an Wasser gebrach es meistens auch. Am lautesten jammerte der Piemontese, der an Plattfüßen litt. Am Westrande des Gebirges von Tibesti gab es bei ausreichendem Wasser etliche Tage Erholung. Aber hier wollte Arami sich von ihnen trennen, und er benutzte dies als Grund, den Reisenden einer letzten und gründlichen Schröpfkur zu unterziehen. Am liebsten hätte er die ganze Habe an sich gerissen, aber einiges wurde ihm mit Mühe doch noch vorenthalten. Er prahlte, daß er die Gäste einen Monat lang fürstlich bewirtet, daß er ihnen das Leben gerettet, ja daß er ihnen zur Flucht verholfen habe. Das stimmte ja schließlich, aber Nachtigals Dankbarkeit wurde durch seine unablässige und unverschämte Bettelei und Erpresserei jetzt endgültig erstickt. Der Piemontese riet zu Gewalt, und auch Nachtigal war so voll Gift und Galle, daß er am liebsten die Gewehre hätte sprechen lassen, doch er bezwang sich, denn er hatte einen der vier Tibbu als Führer bis zum Gebirge Tümmo an der Südgrenze Fesans nötig, und er wollte späteren Forschern das Eindringen in Tibesti nicht erschweren. Dann stand ihm noch die Überraschung bevor, daß von seinen vier Kamelen, die er auf der Hinreise an einem gewissen Orte gelassen hatte, nur eins zurückgebracht wurde, während die anderen angeblich gestorben waren. So mußte er drei neue Kamele um vierfachen Preis - gegen Schuldschein - mieten. Ja, der als Führer bis Fesan dienen sollte, ein Mann namens Kolokomi, versuchte sogar noch mit einem beladenen Kamele durchzubrennen, was Nachtigal mühsam verhinderte. Doch auch diese Tage bedingter Ruhe gingen vorüber, Arami und seine beiden Genossen verschwanden, und Nachtigal war mit seinen Leuten und dem letzten Tibbu allein. Er atmete erleichtert auf, trotzdem immer noch zweieinhalb schwere Wochen der Wüstenwanderung vor ihm lagen. Tagsüber rastend, um weniger unter Hitze und Durst zu leiden und um nicht von streifenden Tibbus gesehen zu werden, marschierten sie vorwiegend nachts, stets elf bis vierzehn Stunden, nur selten durch ausreichenden Schlummer erquickt, da der Hunger sie nicht fest schlafen ließ. Endlich zog auch Kolokomi ab, da er sich nicht nach Fesan hineinwagte, und zeigte ihnen in der Ferne die dunkle Zackenlinie des Tümmogebirges. Mit pochendem Herzen und klopfenden Schläfen, die verbrannte Haut schmerzend und die Zunge als dicken Klumpen in der Mundhöhle, bei jedem Schritte stöhnend und fast schreiend, so schleppte der Forscher sich über Sand und Stein, durch Sonnenglut und Nachtkälte, an den Skeletten umgekommener Sklaven vorbei - immer mehr an der Rettung verzweifelnd. Ein Kamel nach dem andern fiel aus und blieb in der Wüste liegen, so daß sie auch die Wasserschläuche noch selber schleppen mußten. Nachtigal trug einen alten Pariser Sommerüberzieher über dem bloßen Leibe und die zerfetzten Reste einer Hose an den Beinen. Der Piemontese hatte sich mit seinen unförmigen hohen Wasserstiefeln und einem baumwollenen Lendenschurze bekleidet, zwei der Schwarzen wankten vollkommen nackt dahin. Man war übereingekommen, daß, wer nicht mehr weiterkonnte, liegengelassen werden sollte - es ging hier um Leben und Tod, und für Mitgefühl war kein Raum mehr. Als sie endlich, nach dreieinhalb Wochen leidvollsten Marsches, die Oase von Tedscherri erreichten, da fielen sie über die erste beste Palme her und plünderten sie, denn es war glücklicherweise die Zeit der Dattelreife gekommen. Und dann tranken und aßen sie sich in dem Orte toll und voll, so daß keinem ein langwieriger Magen- und Darmkatarrh erspart blieb. Dieses war die erste Expedition, die unter schwarzweißroter Flagge ins tiefste Innere Afrikas eindrang. Und ihr Führer war ein Mann, der mit ganz bescheidenen Mitteln, mit unbeirrbarer Zähigkeit und mit klügster Menschenkenntnis jede Schwierigkeit zu überwinden, jedes Hindernis zu unterlaufen verstand. Er auch ist es gewesen, der später als erster Beauftragter des Reiches die schwarzweißrote Flagge in unseren westafrikanischen Kolonien hißte.

59 Entwicklung Gustav Nachtigal unterscheidet sich sowohl als Mensch wie als Forscher sehr scharf von Heinrich Barth und von Gerhard Rohlfs. Er war nicht trockner Gelehrter wie Barth und nicht unbedarfter Abenteurer wie Rohlfs, er suchte auch nicht wie jener eine vorher gefaßte Idee durch Reisen zu unterbauen oder wie dieser schlechthin den Ruhm eines Afrikareisenden zu erwerben. Nein, er kam, ungeachtet aller Sehnsucht nach Innerafrika, doch rein zufällig in die Laufbahn des Entdeckers und Forschers, aber er wußte sich erstaunlich schnell darin zurechtzufinden und auf Grund einer guten Allgemeinbildung sowie kraft seiner wissenschaftlich und künstlerisch gleich stark entwickelten Begabung die allerbesten Einzel- und Gesamtschilderungen afrikanischer Verhältnisse zu schaffen, die wir überhaupt kennen. Charakterlich wie geistesgeschichtlich liegt hier ein Sonderfall vor, wie ihn die Geschichte der Entdeckungen nicht zum zweiten Male bietet. Ein wegen seiner kranken Lungen an die Küste Nordafrikas geschickter, mittelloser Arzt, der sich eine Reihe von Jahren ärmlich durchgeschlagen hat, wird durch baren Zufall auf die Bahn des Forschungsreisenden gebracht, auf welche er sich nie vorbereitet hat, und meistert die seiner harrenden Aufgaben - die ihm aber keineswegs aufgetragen waren, sondern die er sich selber steckte - mit vollendeter Sicherheit. Er macht gute Kartenaufnahmen, er gibt eingehende Schilderungen der durchwanderten Landschaften, der angetroffenen Völker nebst ihrer Geschichte und Sprache. Und er begnügt sich nicht damit, wie Barth und Rohlfs, seine Tagebücher in lesbare Form zu bringen, o nein, er behandelt am Ende jedes Reiseabschnittes sowohl das Land wie das Volk in ausgezeichneten Monographien zusammenfassend und abschließend. Nach Beendigung der sechs Jahre währenden, fast immer nahezu mittellos zurückgelegten Reise durch Sahara und Sudan arbeitet er sich erst in den ganzen Aufgabenkreis der Geographie und ihrer Hilfswissenschaften ein, ehe er sein Werk zu schreiben beginnt. Und es ist freilich das beste Werk wissenschaftlichen Afrikaschrifttums geworden, sachlich getreu und künstlerisch eindringlich - ein Genuß für jeden, der die Schwierigkeiten des Schaffens aus dem Nichts heraus zu werten und die Schönheit einer großartigen Komposition zu würdigen versteht. Gustav Nachtigal wurde am 23. Februar 1834 in dem altmärkischen Kirchdorfe Eichstedt im felderreichen Flachtale der Uchte nördlich von Stendal unterm hohen Strohdache geboren. Er war das zweite von vier Kindern des dortigen Pfarrers. Der Vater starb schon 1839 im Alter von nur vierunddreißig Jahren an Tuberkulose - auch zwei der drei Söhne starben früh daran - allworauf die Mutter mit ihren Kindern nach Stendal übersiedelte, wo sie in bescheidenen Verhältnissen lebte. Gustav war als Kind schwächlich und schüchtern, gradezu ängstlich; irgendeine Begabung trat anfangs nicht hervor. Wußte er mit seinem Aufsatze nicht voranzukommen, so eilte er zur Mutter, die als klug geschildert wird, und sagte zu ihr: "Mutter, gib mir Gedanken" - eine Ausdrucksweise, die für ein Kind durchaus ungewöhnlich ist. Erst vom fünfzehnten Jahre an entwickelte der Gymnasiast sich körperlich und geistig besser, wurde ein bildhübscher Junge mit dunkelblondem Lockenkopfe und sprühenden Augen, den jeder gern hatte und der sich jetzt auch in der Schule hervortat. Vom erdkundlichen Unterricht blieb ihm später eine große Wandkarte Afrikas in Erinnerung, aus deren gewaltiger Leere ihn der unförmige Tschadsee geheimnisvoll anblickte, und der Knabe träumte sich dorthin und begehrte jenen See einmal mit eigenen Augen zu schauen. Oder er wünschte sich, später Leibarzt des Beïs von Tunis zu werden. Beides sollte tatsächlich in Erfüllung gehen. Mit sechzehn Jahren machte der Knabe seine erste Reise, und zwar nach Köln, wo ihm ein Bruder

60 des Vaters lebte. Dieser gewann ihn schnell lieb und wandte ihm von da an seine Aufmerksamkeit zu, finanzierte später auch seine Übersiedlung nach Afrika. Im Alter von achtzehn Jahren kam die erste ernsthafte Liebe über den jungen Mann; das Mädchen starb aber bald, und Nachtigal verwand den Schmerz darüber nur schwer. Es ist uns wenig Nachricht über seine Jugendjahre erhalten geblieben, da ja der Vater schon in Nachtigals fünftem, die Mutter in seinem zweiunddreißigsten Jahre starb, als er noch völlig unbekannt war; beide Eltern haben ebensowenig wie der Sohn selber Aufzeichnungen über sein Leben hinterlassen. Nach der Abschlußprüfung ging Nachtigal im Herbst 1852 auf Universitäten, um Medizin zu studieren, wozu er die für damals sehr lange Zeit von zehn Semestern benötigte. Denn er war ein flotter Student, ja er trieb es in den ersten Semestern reichlich wild, ergab sich mehr dem Kneipen und Ulkmachen als dem Kollegbesuche und wütete, wie sich später herausstellen sollte, auf seine Gesundheit los. In Ansehung des sehr mageren Geldbeutels der Mutter bezog er zuerst das Friedrich-Wilhelm-Institut in Berlin, die sogenannte Pepinière, allwo junge Mediziner zu Militärärzten ausgebildet wurden. Der kasernenmäßige Zwang gefiel dem Studenten so wenig, daß er seiner Mutter anlag, ihn als freien Studenten studieren zu lassen. Besorgt gewährte sie ihm seinen Wunsch und ließ ihn nach Halle ziehen, von wo er später nach Würzburg und zuletzt nach Greifswald ging. In Halle sofort bei den Palaiomarchen oder Altmärkern aktiv geworden, lernte er das richtige Couleurleben in wünschbarstem Ausmaße kennen. Bergschänke und Rabeninsel, Giebichenstein und Döhlau streifte er in Mütze und Band ab und machte feucht-fröhliche Bootsfahrten auf der Saale. Seine Hauptstärke waren die Bierreden, die er in vorgerückter Stunde vom Stapel ließ und in denen er sich, angefeuert vom Beifall der Zuhörer, von einem Witz zum andern steigerte. Mit Vorliebe trat er dabei als Abgesandter eines Negerstammes auf, dem er, gleichzeitig Europäer, etwa eine Forderung des Korps Palaiomarchia überbrachte. Es soll überwältigend gewesen sein, und - allen unbewußt - Afrika spukte doch immer in seinem Kopfe herum. Als das ältere Semester, der inaktive Korpsbursch Nachtigal, in Greifswald erschien, da kam leider an den Tag, daß es mit seiner Wissenschaft recht schlecht bestellt war. Dem jungen Professor der Pathologie Niemeyer fiel der hübsche und intelligente Kopf des fremden Studenten auf, er holte ihn aus der Masse heraus und forderte ihn auf, einen Kranken zu untersuchen - es wurde sofort offenbar, daß der Mensch keine Ahnung hatte. Aber der Professor hatte nun einmal eine Vorliebe für ihn gefaßt und gab sich Mühe mit ihm, ja machte ihn, zu Nachtigals Schrecken, sogar zu seinem Assistenten. Nach einiger Zeit sagte er ihm eine glänzende Zukunft als Arzt voraus. Im Herbst 1857 promovierte Nachtigal zu Greifswald, im Wintersemester 1857/58 machte er das Staatsexamen. Der Titel der Dissertation ist uns nicht überliefert worden. Jetzt wandte er sich nach Köln, wo er liebe Verwandte hatte, und trat beim Infanterieregiment 30 ein, um Militärarzt zu werden. Im Jahre 1859 wurde er zum Assistenzarzt befördert und dem ebenfalls dort stehenden Infanterieregiment 32 zugeteilt. In dieser Stellung verblieb er bis Ende August 1861 und schied dann aus dem Militärdienste aus, da eine vielleicht durch das wilde Studentenleben ausgelöste Lungentuberkulose ihm die Ausübung des Dienstes unmöglich machte. Die Krankheit verschlimmerte sich mit Blutstürzen bald so sehr, daß er sich nach Untersuchung durch seinen Lehrer Professor Niemeyer veranlaßt sah, ein wärmeres Klima aufzusuchen. Sein Oheim gab ihm die Mittel dazu. - In trübster Stimmung kam Nachtigal, jetzt achtundzwanzig Jahre alt, im Oktober 1862 nach der kleinen Küstenstadt Bona in Algerien. Er glaubte, daß sein Aufenthalt in Afrika ein halbes Jahr dauern würde - es wurden aber dreizehn Jahre daraus. Die Sorge um seinen bedenklichen Gesundheitszustand quälte ihn ebenso wie der Gedanke an seine völlig ungewisse Zukunft; dazu

61 kam, daß er sich daheim mit einer aus Rußland stammenden Dame verlobt hatte, die ihm jetzt mitteilte, daß sie die Verlobung von sich aus auflöse. So wollte es mit seiner Genesung nicht vorwärtsgehen. Doch war es ihm unmöglich, das Leben eines Nichtstuers zu führen, vielmehr beschäftigte er sich ein wenig mit der französischen und arabischen Sprache, sammelte Meerestiere, las Bücher über Nordafrika und suchte in das Wesen der fremden orientalischen Welt einzudringen. Als sich seine Genesung immer mehr hinauszog, gedachte er, um seinem Oheim nicht länger auf der Tasche liegen zu müssen, die ärztliche Praxis auszuüben, doch erkannte er sehr bald, daß er damit in Bona nicht weiterkommen werde. Deshalb entschloß er sich auf den Rat eines englischen Judenmissionars hin, im Juni 1863 nach Tunis überzusiedeln. In Tunis hat Gustav Nachtigal vom Juni 1863 bis zum Dezember 1869 gelebt. Es war ein jämmerliches Leben, denn die Praxis, die er sofort auszuüben begann, hat ihm immer nur wenig oder gar nichts eingebracht. Namentlich der Anfang war schwierig, mußte er sich doch, des Arabischen noch nicht mächtig, einen Dragoman halten und den Armen, die nichts zahlten, noch die Arzneimittel dazu schenken. Aber trotz der unangenehmen Winterkälte und der Luftfeuchtigkeit des Küstenklimas besserte sich sein eigener Gesundheitszustand jetzt zusehends, auch lernte er Italienisch und Englisch und vervollkommnete sich im Arabischen. Vor allem aber legte er in diesen sechs Jahren den Grund zu seiner vollendeten Kenntnis des orientalischen Lebens und bildete sich zu einem hervorragenden Kenner der arabischen Volksseele aus. Ohne eine solche würde er die großen Schwierigkeiten, die seiner auf der späteren Reise harrten, sicherlich nicht überwunden haben. Trotz manchem, was er an dem Leben in Tunis auszusetzen hatte, verhielt er sich aber gegenüber dem oft geäußerten Wunsche der Mutter, in die Heimat zurückzukehren und dort sich als Landarzt niederzulassen, durchaus ablehnend, denn er fühlte das Zeug zu weit Besserem in sich und erwartete in unklarem Ahnen von Afrika irgend etwas Besonderes, etwas Außergewöhnliches und Großes, das zuletzt doch einmal kommen konnte und kommen mußte. Im August 1864 trat eine Veränderung seiner Verhältnisse ein. Damals war eine Empörung gegen die Mißwirtschaft des Beïs ausgebrochen, und Nachtigal schloß sich dessen Truppen als freiwilliger Militärarzt an. Als solcher, natürlich ganz schlecht bezahlt, hat er fast ein ganzes Jahr lang das Lagerleben eines kleinen orientalischen Heeres mitgemacht, das im Lande umherzog, um die Aufständischen einzuschüchtern und vor allem Steuern einzutreiben. Wenn er nicht Verwundete oder Kranke zu behandeln hatte, ritt er ein wenig aus oder lag in seinem Zelte, von Hitze oder Kälte, von Fliegen oder Langeweile gequält - eine gute Vorübung für ähnliche unendlich lange Monate auf seiner späteren Forschungsreise. Nach Tunis heimgekehrt, wurde Nachtigal vom Beï empfangen und mit der Offiziersklasse des Nischam Iftichar ausgezeichnet. Der allmächtige Wesir ernannte ihn zum Marinearzt, freilich ohne Gehalt, und zog ihn in seine nähere Umgebung. Diese Ehre war nicht ohne Dornen, denn sie bedeutete endloses ödes Herumhocken in den Vorzimmern. Erst als ihm die Heilung eines Sohnes des Wesirs von schwerer Krankheit gelungen war, erhob der Wesir ihn zu seinem Hausarzte, womit sich Nachtigals Privatpraxis hob, besonders im Gefolge einer schweren Choleraepidemie, die über Tunisien hinwegzog. Der Beï beförderte ihn nunmehr sogar zu seinem Leibarzte - aber natürlich wieder ohne Gehalt. Doch das Heimweh nach Deutschland quälte ihn jetzt immer stärker, besonders auf die Nachricht vom Tode der Mutter hin. Endlich gelang es ihm im Jahre 1868, wenigstens vorübergehend nach Deutschland zu kommen. Der Beï von Tunis schickte nämlich eine Gesandtschaft an europäische Höfe, um eine Anleihe für sein zerrüttetes Land zu erlangen, und Nachtigal wurde der Gesandtschaft als Dolmetscher beigegeben. Er sah sich in der Heimat um, ob er sich dort in der

62 Augenheilkunde vervollkommnen und dann als Augenarzt niederlassen könne. Es war ihm klargeworden, daß er in Tunis niemals auf einen grünen Zweig gelangen werde. Nach Tunis zurückgekehrt, gab ihm ein Hungertyphus, der hier inzwischen sein Wüten begonnen hatte, viel Arbeit, so daß er nicht so schnell, wie er gehofft hatte, nach Deutschland übersiedeln konnte. Aber er war dazu fest entschlossen. Den erkrankten Wesir in dessen Landhause zu Karthago behandelnd, saß er auf den Trümmern der alten punischen Stadt, blickte auf ihre beiden Hafenbecken und zerquälte sich danach, mehr zu leisten "als der große ärztliche Haufe". Er ahnte nicht, daß die ganz große Gelegenheit schon vor der Tür stand. Die Krankheit des Wesirs, soviel sie ihn langweilen mochte, wurde tatsächlich der Anlaß, daß er nicht so früh nach Deutschland abreiste, um nicht dem außerordentlichen Zufall und Glücksfall seines Lebens aus dem Wege zu gehen. Während er sich darauf vorbereitete, Tunis endgültig zu verlassen, traf im Dezember 1868, auf der Fahrt nach Tripolis begriffen, der Afrikareisende Gerhard Rohlfs in Tunis ein. Er hatte Auftrag, zur Überbringung der vom Könige von Preußen dem Sultan von Bornu zugedachten Geschenke einen geeigneten Mann, und sei dieser ein verläßlicher Eingeborener, ausfindig zu machen. Rohlfs hat Tunis Anfang Dezember 1868 berührt, ist aber nur eine Nacht geblieben und hat Nachtigal dort nicht kennengelernt. Dagegen machte er im Gasthofe die Bekanntschaft des Orientreisenden Heinrich von Maltzan und erzählte ihm von seiner Aufgabe, einen Mann zu suchen. Erst kurz danach erinnerte sich Maltzan, im Vorzimmer des Beïs einen deutschen Arzt Dr. Nachtigal kennengelernt zu haben, sprach mit ihm und schrieb nach Tripolis, wo Rohlfs inzwischen angekommen war, daß Nachtigal geneigt sei, die Geschenke nach Bornu zu bringen. Rohlfs holte sofort auf dem Drahtwege die notwendige Genehmigung der preußischen Regierung ein und forderte dann Nachtigal zu schleuniger Abreise auf. Dieser fuhr kurz vor Altjahr 1868 aus Tunis ab und langte Anfang Januar 1869 in Tripolis an. Dies ist, entgegen den üblichen biographischen Angaben, der wirkliche Verlauf der Angelegenheit, wie ihn Rohlfs selber in seinem Buche Von Tripolis nach Alexandrien (S. 80) schildert. So ist tatsächlich Maltzan, nicht aber Rohlfs der Entdecker Nachtigals! Dieser selber stellt die Angelegenheit nur sehr beiläufig und unklar dar. Sahara und Sudan ( ) Gustav Nachtigal war knapp fünfunddreißig Jahre alt, als er seine große Forschungsreise antrat, die einzige seines Lebens, die dafür aber fast sechs Jahre dauerte. Er hatte schon mehr als sechs Jahre Morgenland hinter sich, sprach gut Arabisch und verstand sich auf die Lebensgewohnheiten und Anschauungen der Araber. Er war durch Krankheit geläutert, durch schwierigsten Daseinskampf unter ungünstigen Verhältnissen gehärtet, und dazu beseelte ihn die sichere Erwartung, zu Größerem berufen zu sein und nunmehr endlich die eigentliche Linie seines Lebens gefunden zu haben. Er hatte Geduld gelernt und die schwierige Gabe erlernt, nichts zu überstürzen, sondern den richtigen Augenblick abzuwarten, zu erkennen und dann voll Energie zu benutzen, um das Ziel mit unerschütterlicher Zähigkeit zu verfolgen. Die tunisische Leidenszeit hatte ihm Selbstbeherrschung verliehen und ihm dazu Vertrauen in die eigene Kraft geschenkt, ohne daß er auch nur im geringsten dieserhalb seine Bescheidenheit gegen Übermut aufgegeben hätte. Seine Lungen waren vollkommen gesund, aber er sah älter aus, als seine Jahre erwarten ließen, und die ersten grauen Haare drängten sich schon hervor. Und doch fühlte er sich für den Beruf eines Forschungsreisenden, was das Wissenschaftliche anlangt, gar nicht vorbereitet. Es war ihm klar, daß er keine einzige Naturwissenschaft ausreichend beherrschte und von Geologie überhaupt nichts wußte; selbst von der Kunst großer Überlandreisen

63 mit Kamelen verstand er nichts. Zeit zu irgendwelcher geistigen Vorbereitung blieb auch nicht, und die Ausrüstung mit Beobachtungsinstrumenten, in deren Gebrauche Rohlfs ihn schnell unterrichtet haben mag, war sehr bescheiden. Aber man darf eines nicht übersehen: die ihm gestellte Aufgabe war durchaus keine wissenschaftliche, sondern bestand nur in der Überbringung der preußischen Geschenke nach Bornu! Wenn Nachtigal sich mit dieser rein karawanentechnischen Aufgabe, die auch der alte Fesani Mohammed el Gatruni hätte erledigen können, nicht begnügt hat, so ist das allein sein persönliches Verdienst, und wenn er trotz bitterster Geldnot die größten Entdeckungen machte, so ging das weit über seine Pflichten hinaus und muß als das höchstpersönliche Geschenk seines nordischen Leistungswillens an die Kulturwelt gewertet werden. Tripolis war in jenem Januar 1869 äußerst fesselnd durch die Anwesenheit des berühmten Afrikareisenden Gerhard Rohlfs, des angehenden Afrikareisenden Gustav Nachtigal, der ebenfalls berühmten holländischen Afrikareisenden Alexandrine Tinne und des ihr vom Gymnasium zugelaufenen Knaben Adolf Krause, der später Ruf als Erforscher der Sudansprachen erlangte und den der Schreiber dieser Zeilen vierzig Jahre später in Tripolis als älteren, einsamen Mann gesehen hat. Kurz nach der Abreise dieser Deutschen kam auch Heinrich von Maltzan nach Tripolis, um sich dort etliche Monate aufzuhalten. Keiner der Beteiligten hat die Abende in einem Landhause am Rande der Oase von Tripolis jemals vergessen. Nachtigals Reise begann in Tripolis am 18. Februar 1869 und endete am 10. August 1874 zu El Obeïd im Lande Kordofan, wo schon ägyptische Behörde war. Von hier an hat Nachtigal nicht mehr beobachtet, sondern ist über Chartum und Dongola durch erforschtes Gebiet nach Kairo gereist. Die Reise zerfällt in folgende Abschnitte: Karawanenreise auf bekannter Straße von Tripolis nach Mursuk im Februar und März 1869; anschließend mehr als zweimonatiger Aufenthalt in Mursuk. Sodann vom 6. Juni bis 7. Oktober die gefährliche Expedition in das noch völlig unbekannte Gebirgsland Tibesti. Hierauf nochmals langer Aufenthalt in Mursuk bis Ende April 1870, um eine günstige Gelegenheit zur Weiterreise abzuwarten. Endlich Karawanenreise von Mursuk nach Kuka vom 18. April bis zum 5. Juli 1870, wieder auf schon mehrfach begangener Straße; vgl. Karte S. 55. In Kuka überreichte Nachtigal dem Sultan Omar von Bornu die Geschenke des Königs von Preußen und verweilte am Orte dreiviertel Jahre lang, bis zum 18. März Sodann unternahm er in Begleitung des räuberischen Beduinenstammes der Aulad Solimahn eine abenteuerliche [Vergrößern]

64 Reise durch die nordöstlich des Tschad gelegenen Räume Kanem, Manga, Egeï und Bodele bis nach Borku, von denen die letzten vier noch nie von Europäern waren betreten worden; diese Expedition beanspruchte die lange Zeit vom 19. März 1871 bis zum 9. Januar Nach ausreichender Erholung in Kuka wanderte Nachtigal am 22. Februar 1872 nach dem Lande Barhirmi und gelangte hier im Schariflußnetze wesentlich weiter südostwärts als sein Vorgänger Heinrich Barth; ungefähr am 5. September war er wieder in Kuka. Nachdem er hier auch den Winter 1872/73 verbracht hatte, nahm er am 1. März 1873 endgültig Abschied und trat seine große Wanderung gen Osten zum Nil an. Dieser Weg führte durch Wadai und Darfor nach Kordofan und nach Chartum; er dauerte bis El Obeïd, wo Nachtigal am 10. August 1874 anlangte, anderthalb Jahre, und erschloß die Übergangsgebiete vom mittleren zum östlichen Sudan der Kenntnis des Abendlandes. Zwar war schon Eduard Vogel 1856 bis Wadai gelangt, aber er war dort ermordet worden und hatte keine Berichte über Land und Leute in die Heimat senden können. Die Ergebnisse der Reise waren ganz außerordentlich. Es war das erstemal, daß ein Europäer in dem Gebiete zwischen dem Nordrande der Libyschen Wüste und dem Sambesi, d. h. in einem Raume von vierzig Breitengraden, eine Querverbindung von West nach Ost legte und dadurch die schon leidlich bekannten Teile des mittleren Sudans mit den recht gut bekannten des östlichen Sudans verknüpfte. Hiermit war der ganze Raum zwischen dem Tschad und Kordofan, von dem man vorher gar nichts wußte, plötzlich in helles Licht gerückt, und sowohl Wadai wie Darfor waren forthin nicht mehr düstere Namen von grausigem Schrecken. Auch Barhirmi, mit den Flüssen Schari und Logon war fortan ein klarer geographischer Begriff. Hierzu kamen noch die beiden Expeditionen nach Tibesti und Borku, die einen beträchtlichen Teil der mittleren Sahara mit ihren Gebirgs- und Oasenländem dem Gesichtskreise öffneten, und sowohl das Dasein eines unerwartet hohen Gebirges wie die Wasserverhältnisse und Tiefenlage des Tschadbeckens mit Depression Egeï- Bodele klärten. Und weit über die eigentlichen Reisewege hinaus erstreckten sich Nachtigals Erkundigungen bei Eingeborenen, die er sorgfältig prüfte und kritisch verarbeitet in Karten eintrug, so daß diese ein Bild von einer gewissen, wenngleich natürlich anfechtbaren Vollständigkeit bieten. Zum Unterschiede von Rohlfs und mehr noch als selbst bei Barth war die Vereinigung gesehener und erfragter Dinge zu richtigen oder doch wahrscheinlichen Kombinationen Nachtigals Stärke, und hierin wurzelt die verblüffende Allseitigkeit und vielseitige Abgerundetheit seiner Landesschilderungen. Er beschränkt sich nämlich in seinem Werke nicht darauf, Weg und Verlauf der Reise zu beschreiben, sondern er hält nach Zurücklegung einer in sich abgeschlossenen Wegstrecke inne und entwirft jedesmal einen umfassenden geographischen Überblick über Natur, Bevölkerung und Geschichte des besonderen Raumes. So entstanden die umfangreichen Monographien von Fesan (80 Seiten), von Tibesti (90), von Borku (35), von Ennedi (32), von Kanem (34), vom Tschad (33), von Bornu (100), von Barhirmi (70), von Wadai (125) und von Darfor (110). Es ist erstaunlich, daß ein Mann, der ohne jede geographische Vorbereitung hinauszog, sich unterwegs und abgeschlossen von allen wissenschaftlichen Hilfsmitteln geistig so entwickeln konnte, daß er imstande war, Beobachtungen von solcher Genauigkeit zu machen und sie später zu so großartigen Gesamtbildern zu komponieren. Der gelehrteste Fachgeograph hätte das nicht viel besser machen können. Er verliert sich nie in unwesentlichen Kleinigkeiten, sondern was er nennt, das gehört irgendwie als bezeichnend in das Gesamtbild hinein, und darüber hinaus versteht er alle großen Linien zu erkennen, zusammenzufassen und zu einem gewaltigen Gemälde zusammenzufügen. In der Darstellung des Landes, der Völker, der Geschichte, der Sprachen, der Wirtschaft fehlt nichts, was damals zu wissen möglich war. Selbst den Charakter der Völker, unter denen er so lange lebte, hat er erfolgreich zu ergründen gesucht, und man muß seine psychologischen Analysen etwa der Tibbus lesen, mit denen er in Tibesti zu tun hatte, wie genau er ihre Gefühlsregungen erkannte, wie er kühl abwägend ihre Beweggründe erfaßte und wie er ihre Tücken abzuwehren suchte.

65 So bildet sein dreibändiges Reisewerk Sahara und Sudan, Ergebnisse sechsjähriger Reisen in Afrika (Berlin und Leipzig Seiten nebst Karten) wohl das bestdurchgearbeitete und anschaulichste Werk im ganzen Afrikaschrifttum und ist darüber hinaus ein Glanzstück deutscher Geographie überhaupt. Seine Schilderungen sind unvergänglich. Analytische Schärfe und synthetische Größe gehen in ihm zu einem höheren Ganzen zusammen. - Wenn Nachtigal geglaubt hatte, daß der drückende Geldmangel, der seine Reise so sehr erschwert hatte, mit der Rückkehr in die Zivilisation zu Ende sei, so hatte er sich wenigstens anfangs bitter getäuscht. Zwar wurde er in Kairo ehrenvoll aufgenommen, aber als er, von allen Mitteln entblößt, sich an den deutschen Generalkonsul in Alexandrien um Hilfe wandte, da erhielt er die damals für alle mittellosen Deutschen übliche Antwort, für dergleichen Anliegen seien keine Mittel vorhanden. Hierauf schrieb Nachtigal an die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, erhielt aber auch hier erstaunlicherweise keinerlei Hilfe. Damals erfuhr der Verleger L. Friederichsen in Hamburg von der Notlage des Reisenden und veranstaltete an der Börse eine Sammlung, die in kürzester Frist die ansehnliche Summe von 2600 Mark ergab. Dieses Geld half dem Forscher aus der Not und setzte ihn instand, den Winter in dem heilsamen Klima von Heluan zu verbringen und sich von allen Leiden und Mühen zu erholen. Im April 1875 fuhr Nachtigal von Ägypten durch Italien nach der Heimat. Anfangs war er viel unterwegs, um durch Vorträge Geld zu verdienen, stand er doch mit seinen einundvierzig Jahren vor dem Nichts. Es kamen die üblichen goldenen Medaillen und Ehrenurkunden der geographischen Gesellschaften von Berlin, London, Paris, Rom und vielen anderen Städten. Die Heimatstadt Stendal empfing ihn mit Fahnen und Girlanden, mit Blumen und Weißgekleideten, mit Musik und Bankett sowie schließlich mit einem Fackelzuge. Der Kaiser setzte ihm eine Unterstützung aus, damit er sein Reisewerk ausarbeiten konnte. Im Dezember 1875 ließ er sich zu Berlin in einer bescheidenen Junggesellenwohnung nieder, schrieb Aufsätze und schuf ganz geruhig und gründlich, ohne sich durch zudringliche Frager beirren zu lassen, an seinem Werke. Noch im Jahre 1875 wurde ihm der Vorsitz der "Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland" übertragen, und ihr widmete er viel Zeit und Mühe. Nachdem er 1876 in Brüssel an der Gründung der "Association internationale" teilgenommen hatte, baute er die Afrikanische Gesellschaft als deutschen Zweig jener aus und überführte auch die 1873 gegründete "Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des äquatorialen Afrikas" trotz vieler Widerstände in sie. Alle afrikanischen Expeditionen, die bis 1882 finanziert wurden, hat er eingehend und liebevoll betreut. Von solchen, die hier nicht zum Zuge gelangten oder nicht genug Geld bekommen zu haben glaubten, wurde er übrigens viel angefeindet, so daß der Ehrenposten nicht ohne Dornen war. Im Jahre 1879 wurde Nachtigal als Nachfolger des großen Chinaforschers und Geographen Ferdinand von Richthofen zum ersten Vorsitzenden der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin gewählt, was er bis 1882 blieb. Als solcher und als Vorsitzender der Afrikanischen Gesellschaft war er damals ein Mittelpunkt geographischer Forschungen in Deutschland. Er selber hielt es für seine Pflicht, sich gründlich in den gesamten Fragenkreis der Geographie einzuarbeiten, die damals den wichtigen Schritt von der geschichtlichen Bindung zur naturwissenschaftlichen Beobachtung im Felde tat. In dieser Zeit (1879 und 1881) erschienen auch die beiden ersten Bände seines großen Werkes, der dritte blieb leider unvollendet und erschien erst mehrere Jahre nach seinem Tode. Sein Lieblingswunsch war damals, alle deutschen geographischen Gesellschaften zu einer einzigen in Berlin sitzenden zusammenzufassen und die anderswo bestehenden nur als deren Ortsgruppen zu belassen. Wenn dieser Gedanke auch manches Bestechende hat, so ist es doch nicht dazugekommen; die nach Richthofens Tode einsetzende Papstherrlichkeit seines Lehrstuhles hätte

66 das geographische Leben in Deutschland gar zu sehr gegängelt. Nachtigal brachte damals nur ein Kompromiß zustande, indem der Deutsche Geographentag gegründet wurde. Im Jahre 1881 hat er den ersten nach Berlin eingeladen. Generalkonsul und Reichskommissar Dieses der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Organisation hingegebene Leben scheint Nachtigal auf die Dauer doch nicht befriedigt zu haben, oder vielleicht ist es ihm aus gesundheitlichen Gründen wünschenswert erschienen, in einem wärmeren Klima zu wohnen, oder schließlich wollte er einfach in eine gesicherte Lebensstellung gelangen - wir wissen es nicht. Uns ist nur bekannt, daß er sich um Verwendung im Konsulardienste bemühte und daß er, nach Überwindung vieler Widerstände, zum Generalkonsul in Tunis ernannt wurde, wohin er im April 1882 abreiste. Nach verschiedenen Angaben soll er nicht gern dorthin gegangen sein, sondern hätte Marokko vorgezogen. Das Beïlik Tunisien hatte im vorhergehenden Jahre den Einzug französischer Truppen erlebt, und an verschiedenen Stellen tobte der Freiheitskampf gegen die Eindringlinge. Die Lage war deshalb sehr gespannt, denn auch Italien hatte ein Auge auf das Land, und hinter den Beï hatte sich die Hohe Pforte gestellt. Ob angesichts so verzwickter Verhältnisse, in denen Bismarck der französischen Besetzung gnädig zublickte, in Tunis ein deutscher Vertreter mit eingehender Kenntnis des Hofes, des Landes und der Leute anwesend sein sollte, oder weshalb Nachtigal dorthin gesandt wurde, wissen wir nicht. Es heißt, er habe sich durch Takt, Liebenswürdigkeit und Landeskenntnis allgemeine Achtung erworben, und das Auswärtige Amt habe seine Berichte allen Gesandtschaften als Muster zugesandt. Doch finden sich in dem Reiseschrifttum jener Jahre auch anderslautende Angaben. So bemerkt W. Kobelt, Nachtigal habe kein Verständnis für die Belange des deutschen Ausfuhrhandels und der dortigen deutschen Kaufleute gehabt. Aber es wäre ja möglich, daß solche Zurückhaltung in der Linie seiner amtlichen Aufgaben gelegen hat. Mit dem Leben in Tunis fand er sich anscheinend bald ganz gut ab, doch bedauerte er, daß ihm nicht genug Zeit zur Ausarbeitung seines dritten Bandes blieb. Im März 1885 erhielt Nachtigal als Reichskommissar für Westafrika mit weitgehenden Vollmachten den Auftrag, an einigen Stellen der afrikanischen Westküste die Errichtung deutscher Schutzgebiete durchzuführen. Es heißt, er habe diese ehrenvolle Sendung nur ungern und lediglich aus strengem Pflichtgefühl übernommen. Er scheint Besorgnis vor Tropenkrankheiten gehabt zu haben, und außerdem plagte ihn die Furcht vor andauernder Seekrankheit, die ihm erfahrungsgemäß auf das schrecklichste zusetzte und die ihn denn auch auf dem Atlant fast nie verlassen hat. Zu dem französischen Kardinal Lavigerie, mit dem Nachtigal in Tunis verkehrte, sagte er bei seinem Abschiedsbesuche mit bewegter Stimme: "Ich komme, um Ihnen Lebewohl zu sagen. Und Ihnen zugleich meinen baldigen Tod anzuzeigen. Ich habe heute morgen mein Testament gemacht. Ich reise nach Ginea und weiß, daß ich von dort nicht mehr wiederkehre." Als der Kardinal erschüttert ihm zuredete, von der Sendung zurückzutreten, und sich erbot, bei der deutschen Regierung dieserhalb vorstellig zu werden, da lehnte Nachtigal mit den Worten ab: "Es ist meine Pflicht, und ich will keinen Versuch machen noch machen lassen, mich ihr zu entziehen." Gustav Nachtigal, mit der am 24. Mai vom Kaiser genehmigten Vollmacht in der Tasche, trat seine letzte Reise an und begab sich in Lissabon an Bord des Kanonenbootes "Möwe". Seine Aufgabe bestand darin, an der Sklavenküste, an der Kamerunküste und an der Küste Südwestafrikas die Flagge zu hissen, wo deutsche Kaufleute um den Schutz des Reiches gegen die Nebenbuhlerschaft englischer Kaufleute und gegen eine befürchtete englische Besitzergreifung gebeten und ferner vorgeschlagen hatten, Verträge mit einheimischen Häuptlingen abzuschließen und jene Gebiete

67 unter deutschen Schutz zu stellen. Es galt also einmal den Engländern zuvorzukommen und andermal die Häuptlinge durch geschicktes Zureden zur Anerkennung der deutschen Schutzherrschaft zu bewegen. Beides hat Nachtigal in anerkennenswerter Weise getan. Die beabsichtigte Reise wurde dem Foreign Office am 20. April 1884 angezeigt, und es wurde um die Ausstellung amtlicher englischer Empfehlungsbriefe gebeten - dies war ein Trick, um den eigentlichen Zweck von Nachtigals Reise zu verschleiern und die Engländer nicht zu einem früheren Erscheinen an den gewählten Küstenplätzen zu veranlassen. Am 2. Juli 1884 landete er an der Togoküste und schloß hier am 5. und 6. des gleichen Monats an zwei Orten Verträge ab. Bagida hieß der Ort, wo zum erstenmal die deutsche Kriegsflagge auf afrikanischem Boden in die Höhe ging. Gegenüber englischen und französischen Ansprüchen glich er dann sehr geschickt die Erstreckung des deutschen Küstenanteils aus. An der Kamerunküste traf Nachtigal am 11. Juli ein, schloß sofort mit drei Häuptlingen die ersten Verträge ab und ließ am 14. Juli die Flagge hissen. Am 19. Juli erschien ein englisches Kanonenboot, das den gleichen Auftrag hatte. Es mußte aber, nach Einlegung eines Protestes, abziehen. Vom 21. bis 23. Juli folgten andere Schutzverträge. Einleitend fand jedesmal ein sehr langes Palaver statt, an dessen Schluß die Häuptlinge ihr Zeichen unter die Akte setzten. Dann ging die Flagge hoch, die Nationalhymne wurde gesungen (wobei die Neger durch Schweigen glänzten), und es wurden ein paar Gewehrsalven abgegeben. Nachtigal liebäugelte in Kamerun sehr mit dem Gedanken, seine Amtspflichten mit seiner Forschungslust zu verbinden, und plante eine Expedition ins Innere bis zum Kongo. Leider hat seine Erkrankung, die nach einer Fahrt an die sumpfige, fieberverseuchte Küste des Nigerdeltas in Gestalt schwerer Malaria auftrat, die Ausführung verhindert, sonst hätte unser Schutzgebiet eine wesentlich größere Ausdehnung erhalten, denn das Hinterland war damals noch nicht in französischem Besitz. Weniger schwierig als in Kamerun war Nachtigals Aufgabe in Südwestafrika, wo er im Herbst 1884 die durch Adolf Lüderitz mit eingeborenen Häuptlingen geschlossenen Kaufverträge bestätigte und die Häuptlinge, natürlich wiederum in langen Palavern, zur Unterzeichnung von Schutzverträgen veranlaßte. Den ersten Schutzvertrag schloß er in Bethanien ab. Im Frühjahr 1885 hatte Gustav Nachtigal seine Aufgabe gelöst und trat auf seinem Marterkasten, wie er die "Möwe" nannte, die Heimreise an. Von Malaria und Seekrankheit geschüttelt, wurde er an der Obergineaküste bei schönem Wetter auf Deck unter dem Sonnensegel gebettet. Am 19. April erkannte er, daß es zu Ende ging und diktierte seinen letzten Willen. Und am 20. April 1885 frühmorgens verstarb er, seines Alters einundfünfzig Jahre, 160 Seemeilen entfernt von Kap Palmas. Auf dem Friedhofe von Kap Palmas ist er beigesetzt worden, doch wurde der Sarg 1887 nach Kamerun überführt, dessen Erwerb hauptsächlich seinem schnellen und geschickten Eingreifen zu verdanken ist. Erinnerungen an Gustav Nachtigal veröffentlichte Dorothea Berlin Das Charakterbild Gustav Nachtigal ist allen, mit denen er in Berührung trat, als ein ganz außergewöhnlicher Mensch erschienen, auffallend durch Liebenswürdigkeit ebenso wie durch geistige Begabung. Aller Herzen flogen ihm zu, Männer wie Frauen bekamen in seiner Gesellschaft hellere Augen, jene weil sie einem witzigen, diese weil sie einem artigen Gespräch entgegensahen. Er war ein Bezwinger der Gemüter, und dort, wo der Zauber seiner Persönlichkeit keinen Widerhall fand, wußte sie durch

68 zähe Beharrlichkeit sich wenigstens zu behaupten. Im Gegensatze zu Heinrich Barth war er kein Individualist und zum Unterschiede von Gerhard Rohlfs kein Abenteurer, er hatte nichts von der mürrischen Gewaltsamkeit des ersten und ebensowenig von der stürmischen des andern. Er war ein Mann von zartestem Gefühl, von zäher Willenskraft und von hoher Geistigkeit. Viele seiner Eigenschaften waren im Superlativ ausgebildet, aber sie alle vereinigten ihre Spitzen zu einem geschlossenen Bündel von Höchstleistung, sie widersprachen einander ebensowenig wie sie einander aufhoben. Mit einem Worte, Nachtigal war eine ungemein harmonische Persönlichkeit, in der alle Gegensätze reibungslos zusammengingen. Mochte er noch so heiter sich geben, sein Grundzug blieb doch gemessener Ernst, der nach dem Ziele des Lebens ausschaute und sich durch keinen Erfolg aus seiner bescheidenen Haltung herausbringen ließ. Hiermit paarte sich eine Gustav Nachtigal unerschütterliche Menschengüte, die durch eine in vielen bitteren Erfahrungen gewonnene Menschenkenntnis durchaus nicht zu beirren war. Der gleiche Mann, der nichts lieber tat als sich in der Abgeschiedenheit einer Studierstube oder einer Wüstennacht philosophischem Denken und Grübeln hinzugeben, konnte ebenso freudig an bunter und lauter Geselligkeit teilnehmen und in munterer Witzlaune deren Führung an sich reißen. Dieser Mann mochte kein Tier töten und zuckte doch vor keiner Gefahr zurück; er verlangte von sich alles und sah anderen alles nach; empfindsam wie nur ein lyrischer Dichter, war er nie empfindlich wie ein launisches Weib. Innerlich frei und unabhängig, gewohnt auf sich selbst gestellt zu handeln, entzog er sich nie einer übernommenen Pflicht. Sein Charakter, in langen Jahren afrikanischer Einsamkeit und Entsagung gehärtet, war eigentlich ein großer und gewaltiger Läuterungsvorgang, in dem alles auf Ausscheidung der negativen und auf Stärkung der positiven Seiten ausging, bis eben jener harmonische Mensch fertig dastand, der als Erster des Reiches Kriegsflagge am Palmenstrande hissen durfte. - Wie das biographische Material über Nachtigal überhaupt recht dürftig ist, so stehen uns leider auch nur wenige Bildnisse zur Verfügung. Die Gestalt war etwas unter Mittelgröße, hatte zarten Knochenbau und war schlank, erst in den letzten Jahren stärker beleibt. Die Hände und Füße waren klein und zierlich, der Schritt straff, die Haltung kündete von vornehmer Ruhe - sie war seine arteigne Form des Ausdruckes von Selbstbewußtsein. Er hatte eine seltsam leise Art, in ein Zimmer zu treten und dann plötzlich da zu sein. Der Kopf fesselte durch den Ausdruck hoher Intelligenz und durch bezwingenden Scharm, der ihm aller Herzen gewann. Das Gesicht zeigte feine Linien, war aber während der großen Reise und noch lange nachher hart umschnitten und nahm erst später eine weichere, gefälligere Rundung an. Die Stirn stach durch auffallende Breite und Offenheit von dem Untergesicht ab, das zudem durch einen langen Schnurrbart und eine Fliege verschattet wurde. Das Haar war stark gewellt, gradezu gelockt und wird als kastanienbraun, von einem Biographen sogar als schwarz geschildert; in Wirklichkeit scheint es ein sehr dunkles Blond gewesen zu sein. Bei der Rückkehr von der großen Reise, also im Alter von einundvierzig Jahren, war der Bart schon recht grau, das Haupthaar aber zeigte noch die

69 ursprüngliche Lebensfarbe. Die Haut scheint nie eine frische, im germanischen Sinn gesunde Farbe gehabt zu haben, jedenfalls wird sie in seinem fünften Jahrzehnt immer als von fahlem, bräunlichem Grau geschildert, das nach der großen Reise dunkelbraun aussah. Sie war anfangs von Furchen und Fältchen wie zerknittert, glättete sich aber etliche Jahre nach der Heimkehr wieder. Die Augen waren nach Ausweis der Photographien hell und nach Angabe der Dorothea Berlin blau (jener eine Biograph nennt auch sie unverständlicherweise schwarz). Sie hatten einen freundlichen, verstehenden Blick und etwas Strahlendes, das alle Menschen wie in einen Mantel der Güte einhüllte und gleichzeitig geistigen Ausgriff in die Weite ankündigte. Sie konnten aber auch undurchdringlich blicken und dann der Härte des Stahls gleichen. Die rassische Analyse ist nicht leicht. Die fahle Haut und die Tatsache, daß sich auf einem am Ende der großen Reise aufgenommenen Bilde breite Jochbogen abzuzeichnen scheinen, könnten auf einen Tropfen ostbaltischen Blutes hindeuten, falls nicht einfach der abgemagerte Zustand des Reisenden für die Jochbögen verantwortlich zu machen ist; die Herkunft aus der Altmark würde an sich nicht gegen ostbaltische Beimischung sprechen. Fälisches Bluterbe ist körperlich nicht wahrzunehmen, seelisch aber könnte es sich in der unzerstörbaren Ruhe, in der zähen Beharrlichkeit und in der ganzen Ausgeglichenheit Nachtigals anzeigen. Die gleichmäßige Dreiteilung des Gesichtes, in dem das Nasendrittel ungefähr ebenso hoch wie das Stirn- und Munddrittel ist, die grade, feingebildete Nase, das ziemlich schmale Antlitz, die ebenmäßige Gestalt, der ganze Drang in die Weite und die Lebhaftigkeit seiner geistigen Reaktionsfähigkeit - dies alles will uns vorwiegend nordrassisch erscheinen. Im tiefsten Untergrunde von Nachtigals Wesen lag etwas Weltschmerzliches, dem der große Jammer aller Kreatur und das letzthin Nutzlose des menschlichen Daseins gegenwärtig ist. Auch mit seiner Leistung war er nie zufrieden, in Berlin fand er sich in zu verschiedene Arbeiten zersplittert, in Tunis durch Amtspflichten von der Vollendung seines Werkes abgehalten, der westafrikanischen Sendung ging er voll Mißtrauen entgegen. Die Lustigkeit seines Wesens war nur das Gegengewicht gegen seinen Hang, die Dinge schwer zu nehmen, sie bedurfte auch eines Gegenübers, um sich zu entzünden. Aus dieser seiner Grundstimmung heraus umfing er alles mit einer großen Liebe. Diese begann bei den Tieren. Wo auch in Afrika er einige Zeit weilte, schaffte er sich alle möglichen Tiere an und lebte mit ihnen als seinen Freunden. Nie ging er auf die Jagd, und selbst als er von Hunger gefoltert einmal auf einen Affen anlegte, brachte er es nicht fertig abzudrücken, da der Blick des Tieres ihm ans Herz griff. Ebenfalls liebevoll stand er den Kindern gegenüber, und es tat ihm besonders weh, als er wahrnehmen mußte, daß in Bardai grade ein kleines Mädchen es war, das die anderen Kinder auf ihn hetzte und den ersten Stein gegen ihn aufhob. Seine Mutter liebte er abgöttisch, er vergaß ihr nie, daß sie sich, um ihn außerhalb der Pepinière studieren zu lassen, die größten Entbehrungen auferlegt hatte, und er hat es wohl nie ganz verwunden, daß er sie schon nach seiner ersten Rückkehr aus dem Orient nicht mehr unter den Lebenden traf. Aber auch allen anderen Menschen trat er aus starker Gefühlswärme mit großer Herzensgüte entgegen, ja es fiel ihm stets schwer, Nein zu sagen, lieber nahm er Ungemach und Zeitverlust auf sich, als daß er anderen eine Enttäuschung bereitete. Im Verhältnisse zu seinem Volke offenbarte sich seine Menschenliebe als ausgeprägtes Nationalgefühl. Er empfand 1872 in Kuka, als er von dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges vernahm, auf das tiefste, daß er nicht hatte dabei sein und seine Pflicht tun können. Und als Bismarck ihn als Reichskommissar nach Westafrika sandte, da gab es, trotzdem sein Gefühl dagegen sprach und dunkle Todesahnungen ihn befielen, keinen Augenblick des Schwankens. Die Gründung unserer drei westafrikanischen Kolonien hat er mit seinem frühen Tode bezahlt. Sein ausgeprägtes Pflichtgefühl überwand stets seine zufällige Wunschstimmung und seine friedfertige Veranlagung, die ihn abgeneigt gegen Gewaltanwendung und Waffengebrauch machte. Als er 1868 während der tunisischen Gesandtschaftsreise durch Europa von seinen Freunden in der

70 Heimat bestürmt wurde, er solle gleich jetzt in Deutschland bleiben und den undankbaren Dienst in Tunis aufgeben, um so mehr als ein schrecklicher Hungertyphus dortzulande wüte, da erklärte er, daß es seine Pflicht sei, erst einmal nach Tunisien zurückzukehren. Sein ausgeprägtes Empfinden für Treue erlaubte ihm nie, eine Person oder eine Sache zu verraten und sich etwas anderem zuzuwenden. Die Schuldanerkenntnisse, welche die Tibbus in Tibesti von ihm erpreßt hatten, hat er später in Mursuk bezahlt, trotzdem sie nach europäischem Rechtsgefühl kaum Gültigkeit beanspruchen konnten. Seinen Freunden bewahrte er stets große Anhänglichkeit und besuchte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Selbst in der ausgelassensten Weinlaune wurden ihm Witz und Ironie nicht zu Waffen, die verletzen konnten. Dazu war seine Gesinnung zu nobel und sein Gefühl für Recht und Billigkeit zu tief eingewurzelt. Obwohl er sehr gut wußte, daß Eigennutz, Niedertracht und Intrige zu Erfolg führen können, war er fest überzeugt, daß dies nur Augenblickserfolg sei und daß auf die Dauer einzig die Rechtlichkeit den Sieg behält - eine schöne, aber leider nicht ganz zutreffende Ansicht. Inmitten des Volkes von Tunis, das, wie die meisten Orientalen, nur an Geld und Überlistung denkt, bewahrte er sich seine anständige Gesinnung; er hatte deshalb keine Feinde, kam wirtschaftlich aber auch nicht vorwärts, besonders da er von den ärmeren Patienten kein Geld verlangen mochte. Ein reicher Levantiner sagte ihm: "Mein lieber Herr, Sie sind nicht für dieses Land und seine Menschen gemacht, Sie verstehen nicht zu raffen und zu intrigieren." Verstandesmäßig begriff er dies alles sehr gut, aber seine Rechtlichkeit ließ ihn nicht mitmachen; er schrieb damals: "Wer nichts aus sich macht, aus dem macht die Welt nichts." Er war ein lauterer und reiner Mensch, konnte nicht lügen und nicht trügen, blieb selbstlos und bescheiden, wohin er auch kam und wie groß auch seine Erfolge werden mochten. Die jeweilige Umgebung wirkte in keiner Weise verändernd auf seine innere Grundhaltung, sie entzündete höchstens seinen Witz; er blieb stets er selber, immer sich selber treu, spielte nie eine Rolle, gefiel sich nie in Absonderlichkeiten, die ihn hätten "interessant" machen, also in falschem Lichte erscheinen lassen können. Die innere Echtheit und Wahrhaftigkeit seines Wesens läßt sich auch in seinen Briefen und Schriften nachprüfen. Bei einer Schilderung seines Lebens im tunisischen Heerlager verschweigt er keineswegs, daß von zehn Verwundeten, die er behandelte, fünf starben; "die übrigen genasen, ohne daß ich behaupten möchte, es sei dies durch meine Hilfe geschehen." Und wieviel Gelegenheit zur Großtuerei hätte ihm die sechsjährige Reise durch Sahara und Sudan geboten! Aber er erscheint dort nie als waffenklirrender Held, sondern nur als zäher Dulder, der durch Langmut und Beharrlichkeit alle Anfechtungen überwindet. Bei so ausgeprägter Entwicklung seiner Gefühligkeit kann es nicht wundernehmen, daß Nachtigals Empfindsamkeit ebenso tief wie zart ausgebildet war. Er war nicht nur feinfühlig und taktvoll im Verkehr, sondern besaß in hohem Maße die Gabe, sich in die Mentalität anderer Menschen hineinzuversetzen. Ohne auch nur das geringste von seiner Eigenart aufzugeben, vermochte er ihr Fühlen und Denken mitzuerleben und ihre Handlungsweise vorauszuerkennen. Indem er auf andere einzugehen wußte, wirkte er auf sie als vollendet liebenswürdig. Und indem er die Gedanken fremder Volksangehöriger mitlas, verstand er solche richtig zu behandeln. Diese Gabe ließ ihn manche Gefahren vermeiden, in die z. B. ein Rohlfs hineintappte, und machte ihn geschickt zu diplomatischen Sendungen, denen mancher Berufsdiplomat nicht gewachsen war. Die Engländer und Franzosen hatten 1884/85 in ganz Westafrika keinen Mann, der dem deutschen Reichskommissar Nachtigal gewachsen war. Vergleicht man ihn mit Rohlfs, so muß die Vermutung ausgesprochen werden, daß Nachtigal in Kufra und auch in Sansibar wahrscheinlich nicht gescheitert wäre. In die Reihe dieser Gaben gehört auch seine eigenartige Fähigkeit, kommende Ereignisse vorauszuahnen. Denn es ist doch sonderbar, daß er sich als Gymnasiast grade nach dem Tschad und in die Stellung eines Leibarztes des Beïs von Tunis sehnte. Und während er seine große innerafrikanische Reise gutes Mutes antrat, wollten vor und während der Sendung nach Westafrika die Todesahnungen den erst Fünfzigjährigen nicht verlassen. In einem Briefe schrieb er aus Tunis: "Es ist mir, als ginge ich meiner Verurteilung entgegen." Beide Male täuschte er sich nicht.

71 Seinem Lebensernst und seiner Güte tritt als zweite Gruppe seiner Gefühligkeit seine Lebenskraft gegenüber. Sie wurzelt in einem ausgeprägten Verlangen nach Freiheit und Ungebundenheit. Die militärische Zucht auf der Pepinière gefiel ihm nicht, und er sehnte sich nach einem fessellosen Studentenleben, trotzdem die schmalen Einkünfte der Mutter sehr dagegen sprachen. Und dann ging ein tolles Leben los, das seiner Gesundheit schweren Schaden tat und ihn in manche Klemme brachte. Er sprudelte von Übermut und kneipte mit Hingebung. Diese jugendliche Frische ist ihm bis in die letzten Jahre hinein geblieben, sie strahlte noch in Kamerun öfter aus seinen Augen, sprach aus seiner frisch klingenden Stimme und umwehte den ganzen flott aussehenden Lockenkopf. Bei allem tiefen Ernst war nichts Grämliches noch Sauertöpfisches an diesem ewigen Jüngling. Die Elastizität seiner Natur war so stark, daß er sich in jeder Lage wieder zurechtfand, sich stets erneut aufraffte und aus der Nacht zum Tage emporstieg. Er war unverwüstlich. Auf der Flucht von Tibesti, als sie sich fast nackt, ohne Habe und Nahrung durch den Wüstensand schleppten, vom Tode des Verschmachtens umdroht, brachte er es fertig, beim Anblick seiner abgerissenen Leute und seiner selber belustigt aufzulachen. Dies lag nicht nur an seinem Humor, sondern auch an seiner Phantasie und an seinem Ahnungsvermögen. Letzteres ließ ihn den guten Ausgang vorausfühlen, erstere zeigte ihm das kümmerliche Häufchen Mensch in dem großen Zusammenhange der weiten Wüste und ihrer Überwindung. Seine Phantasie war grenzenlos und setzte sich über alle Schranken des Verstandes hinweg; dies erwies sich schon früh in den ausgelassenen Bierreden des Studenten und später in den großen Kompositionen der in sein Reisewerk eingeschalteten geographischen Monographien. Die beiden hervorstechenden Züge Güte und Lebenskraft flossen unserm Gustav Nachtigal zu einer wundervollen Ausgeglichenheit zusammen. Er wirkte stets einheitlich und geschlossen, von vornehmer Ruhe und vollendetem Gleichmaß. Hatte noch in dem Knaben das Temperament sich durch jähe Ausbrüche kundgetan, und hatte noch der Student, von Bier und Beifall angefeuert, die tollsten Reden losgelassen, so hatte sich während der algerischen und tunisischen Dornenjahre eine starke innere Umsetzung vollzogen, aus der ein ruhiger aber zäher, ein bescheidener aber selbstsicherer Mann geworden war, der genau wußte, was er wollte und was er konnte. Es war dann schon ein sehr starker äußerer Reiz notwendig, um ihn aus seiner Gelassenheit herauszulocken. Diese überlegene Haltung dem Leben gegenüber hatte seine Veranlagung für Witz und seinen Sinn für komische Lagen zu einem reifen und gesättigten Humor geläutert. Als junger Student hatte er auf einer mit Kommilitonen unternommenen Omnibusfahrt das Pferd eines nebenher fahrenden Wagens geneckt. Als dessen Kutscher sich bei einem Schutzmanne beklagte und dieser den Studenten nach seiner Ausweiskarte fragte, hielt Nachtigal hoch vom Omnibus herab eine schwungvolle Rede an das versammelte Volk: "Was, Sie kennen mich nicht? Ich bin Zögling des Kgl. Friedrich-Wilhelm-Institutes, meine Schwester ist die Frau Pastor Prietze in Uechtenhagen, bäckt die berühmtesten Zwetschenkuchen der Welt usw. usw." Der Heiterkeitserfolg bei den Zuhörern veranlaßte den Schutzmann, es mit einer lächelnden Ermahnung bewenden zu lassen. Dies hätte Nachtigal später natürlich nicht mehr gemacht, aber sein Humor verließ ihn selbst in den gefährlichsten Lagen nicht, stets blieb er über der Situation und wußte sie in einen größeren Zusammenhang empor- und damit, wenigstens für sein eigenes Gefühl, aufzuheben. Voll Humor ertrug er auch die ihm später widerfahrenden Ehrungen. So schrieb er nach dem fabelhaften Empfang, den ihm seine Vaterstadt Stendal bereitet hatte, dieser habe ihm den Beweis geliefert, daß es bisweilen schwerer sei, aus Afrika zurückgekehrt zu sein, als daselbst zu reisen. Seine launige Auffassung der Menschen und Dinge machte auch vor der eigenen Person nicht halt; im Gegenteil erfreute er sich einer starken Selbstironie, die immer ein Ehrenzeichen wirklich großer und innerlich freier Männer ist. Der äußere Ausdruck seines ganzen gefühligen Wesens war sein Scharm, der ihn etwa vom sechzehnten Lebensjahre an zum Liebling seiner Freunde, zum Mittelpunkte jeder Gesellschaft und zum Abgotte der Frauen machte. Nicht nur, daß er ein äußerst angenehmer, anregender, im Erzählen

72 unerschöpflicher Gesellschafter und in Damenreden unübertrefflich war, nein, er wirkte auf Frauen bestrickend, so daß sie ihn leuchtenden Auges anblickten, dem Reize seines Wesens mehr oder weniger verfallend. Freilich erlag auch er selber oft den Frauen und geriet dann häufiger und stärker in Sehnsüchte und Unruhen, als ihm eigentlich gut war. Geheiratet hat er aber nicht, sei es, daß dann doch irgend etwas nicht zusammenstimmte, oder daß er sich für zukünftige weite Reisen freihalten wollte. So war er doch ein großer Einsamer, wie sein von ihm hochverehrtes Vorbild Heinrich Barth, der nun freilich sehr wenig Beziehung zum weiblichen Geschlecht unterhielt. Bei den Orientalen scheint ein gut Teil seiner Wirkung auf seiner Freigebigkeit beruht zu haben, die ja in dortigen Landen von denen, die sie nicht besitzen - und das sind die meisten - hoch geachtet wird. - Wir denken Nachtigals Willensstärke nicht zu unterschätzen, wenn wir sagen, daß sie nicht in stürmischer Aktivität, sondern in einer zähen, unbeirrbaren Beharrlichkeit bestand. Schon als älterer Gymnasiast gewann er eine mit seiner Base eingegangene Wette, daß er vierundzwanzig Stunden lang nicht essen noch trinken werde; obwohl er die ganze Nacht vor Hunger und Durst nicht schlafen konnte, hielt er doch durch. Im Orient litt er namenlos unter seelischem Alleinsein und geistiger Öde, er hatte Hunger und Durst, Hitze und Ungeziefer, Hinterlist und Todesangst zu erdulden, aber das alles hielt ihn nicht eine Stunde lang ab, zu beobachten und zu notieren; und mochten Heimweh und Schwermut ihm noch so sehr zusetzen, so bewog ihn dies nicht im mindesten, die Reise abzubrechen oder abzukürzen, er nahm alles mit, was er erreichen konnte. Selbst erbärmlichste Mittellosigkeit hielt ihn von seinem Ziele nicht ab, er lieh sich ein paar Dutzend Mariatheresientaler und pilgerte bescheiden weiter - die in Wüste und Steppe verschlagene Antenne Europas, die immer nur empfing, um später einmal, viel später in der Heimat zu senden und dann freilich immer und immer zu senden. Durch den Erfolg von Tibesti in seinem Selbstvertrauen gekräftigt, schrak er fortan vor nichts mehr zurück und brachte das unmöglichst Scheinende fertig, selbst die Bezwingung des gefährlichen Wadai. Er war immer unermüdlich, auf Kamelreisen oder Fußwanderungen von zehn bis fünfzehn Stunden, bei kümmerlichster Ernährung, und aber auch am Schreib- oder Biertische. Der Erfolg hing auf seiner großen Reise wer weiß wie oft an einem ganz dünnen Faden, seine zähe Energie hat dennoch den Faden erfassen oder Fäden, die schon zerrissen waren, wieder knüpfen können. Die klare Erkenntnis hiervon machte einen Teil seiner Bescheidenheit aus. Diese Zähigkeit schloß natürlich auch Selbstzucht und Fleiß ein. Selbstbeherrschung hatte er schon in den tunisischen Wartejahren gelernt; und er bewunderte sie bei den Orientalen immer wieder, wie er es tief bedauerte, wenn er sie einmal verlor. Aber im allgemeinen wußte er seine Empfindungen zu bändigen, sich schnell in eine veränderte Lage hineinzufinden und ihr die beste Seite abzugewinnen. Auf der Flucht von Tibesti bezwang er trotz überlegener Bewaffnung seinen glühend erwachten Durst nach Rache, nicht nur weil er den einzigen verbliebenen Tibbu als Führer zu den Brunnen von Tümmo brauchte, sondern auch weil er späteren Forschern den Weg durch eine Bluttat nicht versperren wollte. Er hatte sich so vollkommen in der Gewalt, daß er über den brennenden Augenblick kühl in weite Zeitenferne zu blicken vermochte. Die richtige Zeit abwarten und dann aus scheinbarer Untätigkeit heraus den richtigen Schlag tun; sein Ziel nach den Umständen wählen, nicht blindlings auf ein vorher gestecktes Ziel losrennen, sondern sorgsam wählen - das war das Geheimnis seiner Reiseerfolge, und darin hat ihn wohl kein anderer erreicht. Als Muster gewissenhafter Pflichterfüllung lag er den erforderlichen Arbeiten mit Eifer und Hingabe ob. Als er 1869 in Mursuk längere Monate auf eine zum Sudan gehende Karawane warten mußte, unternahm er trotz glühender Sommerhitze die gefahrvolle Expedition nach Tibesti, wohin zu gelangen sowohl v. Beurmann wie Rohlfs nicht gelungen war; untätig in Mursuk zu sitzen brachte er nicht fertig. Er bedurfte einer laufenden Tätigkeit, die ihn voll beschäftigte und die nicht eine ganz gewöhnliche war; die Sucht nach Geld spielt als Ansporn gar keine Rolle dabei. Damit gelangen wir zu der Frage des Ehrgeizes. Daß er etwas Besonderes würde leisten können, scheint ziemlich früh in ihm festgestanden zu haben, und auch sein Universitätslehrer Professor

73 Niemeyer war davon überzeugt. Ein Hang zur Auflehnung gegen Herkömmliches, ein Verlangen nach Absonderlichem kennzeichnete schon den Studenten, und der junge kölnische Militärarzt empfand einen Widerwillen, lebenslang nichts anderes tun zu sollen, als Rekruten zu untersuchen oder einer von Zehntausenden von Landärzten zu werden. Der Gedanke, in einer Brot- und Alltagsstellung zu verkümmern, bereitete ihm ein furchtbares Grauen. In Tunisien verstärkte sich das Empfinden, zu mehr berufen zu sein. Gequält durch inständige Bitten der Mutter, heimzukehren und sich als Landarzt behaglich niederzulassen, schrieb er damals: "Wie oft überrede ich mich durch Vernunftgründe, mich damit zufrieden zu geben, wie so viele sich damit begnügen; doch das dauert nicht lange, und ich würde mich in der Tat darin unglücklich fühlen." Und an seinem dreißigsten Geburtstage schrieb er in Tunis: "Der rapide Verfall der Zeit erfüllt mich oft mit fieberhaftem Schrecken. Wie kurz erscheint die Lebenszeit, die nach menschlichem Ermessen noch bleibt, wenn man schon dreißig Jahre zählt; wie wenig hat man getan, wieviel bleibt noch zu tun, wenn man doch gern zum Nutzen der Mitmenschen und zum eigenen Glück wirklich gelebt haben möchte." Empfand er auch schon lange den Hang zu größeren Reisen, so lag es doch in der Natur seiner besonderen Willenhaftigkeit, daß er von sich aus nichts zu tun vermochte, um eine grundlegende Änderung herbeizuführen. Aber zwei Eingriffe des Schicksals kamen ihm zu Hilfe und bereiteten ihm den Weg zu dem Felde, auf das einmal gestellt, er sein Bestes voll auszugeben vermochte. Der erste Eingriff war die Lungenerkrankung, die ihn nach dem Orient führte und damit die Vorbedingung für Weiteres schuf. Der zweite Eingriff war die ganz zufällige Bekanntschaft des Afrikareisenden Gerhard Rohlfs mit Heinrich von Maltzan an einem Hotelabend in Tunis, an den sich eine Empfehlung Nachtigals durch Maltzan an Rohlfs schloß, daß Nachtigal bereit sei, die preußischen Geschenke nach Bornu zu überbringen. Ein Unglück und ein zufälliger Glücksfall stehen an der Wiege von Nachtigals Erfolg und Ruhm, ohne daß er selber vorläufig das geringste dabei zu tun brauchte. Dann aber tat er um so mehr und erhob eine bloße Botenreise zu einer der bedeutendsten Entdeckungsreisen. Durch den Erfolg von Tibesti scheint ihm mit dem Selbstvertrauen der Ehrgeiz gekommen zu sein, immer noch mehr zu entdecken. Im Februar 1870 schrieb er von Mursuk aus: "Ruhmsucht, wer hätte gedacht, daß du auch meine harmlose Seele erkrallen würdest?!" - Schon Nachtigals Kopf wie auch sein ganzes Auftreten zeigten jedem an, daß ihm ein besonders intelligenter Mensch entgegentrat; dies fiel schon an dem Studenten auf. Er beobachtete scharf und begriff schnell, fand sich auch in Veränderungen der geistigen Lage ebenso rasch wie in solche jeder anderen. Geistige Reaktionen verliefen bei ihm in kürzester Frist, und mit großer Elastizität fand er sich in ganz neue geistige Anforderungen, die an ihn herantraten. Aus einem kleinen Arzte wurde er ein großer Forschungsreisender und aus solchem ein bedeutender Geograph, und dieser Wandel vollzog sich in etwa sieben oder acht Jahren, ohne daß ihm jemand als Lehrer an die Hand gegangen wäre. In Berlin fand er sich aus einer geistigen Ödenei von mehr als einem Dutzend Jahren ungemein schnell in das Leben eines tiefschürfenden und vielseitig arbeitenden Gelehrten, das ihm bis dahin völlig fremd gewesen war. Und er wurde in der Wissenschaft der Geographie vollkommen sattelfest; es ist zu bedauern, daß er damals nicht einen Lehrstuhl erhielt, die Entwicklung dieser Wissenschaft hätte einen Nachtigal zwischen so verschiedenartigen, ja gegensätzlichen Männern wie Richthofen und Ratzel gebrauchen können. Die Grundlage seiner Geistigkeit war neben leichter Auffassungsgabe eine ausgesprochene Klarheit, welche die Dinge ruhig ins Auge faßte und ihre Verwendungsfähigkeit kühl prüfte. Hierbei ließ er sich weder durch Überanstrengung noch durch Leiden noch durch Gefahr beirren. So beobachtete er in der Sahara an sich selber die Anzeichen des nahenden Dursttodes wissenschaftlich genau und sandte später nach glücklicher Rettung ihre Schilderung an seinen Lehrer Professor Niemeyer zur Benutzung und Verwendung. Ohne je dazu geschult zu sein, beobachtete er Natur und Mensch scharf und richtig. Die Orientalen erkannte er in allen ihren Schwächen und Vorzügen mit

74 vollendeter Sicherheit, wie er sie auch meisterhaft zu behandeln verstand. Er durchschaute einen Menschen sehr bald und setzte sich seine Seele aus deren Äußerungen zusammen. Man lese nur, wie scharfsinnig er auf der Flucht von Tibesti die verschiedenen Beweggründe der einzelnen Tibbus erkannte, die doch alle auf das gleiche Ziel, ihn auszuplündern, hinausliefen. Man darf sagen, daß er sich auf der großen Reise, die er völlig unvorbereitet antrat, selber eine Betracht- und Arbeitsweise ausdachte, die es ihm erst ermöglichte, sich mit dem, was ihn umgab und ihm begegnete, geistig auseinanderzusetzen. Die ausgesprochene Originalität seines Geistes erlaubte ihm stets, das Zufällige vom Typischen zu unterscheiden und das Einzelne in einen größeren Zusammenhang einzureihen, mochte es sich um länderkundliche oder völkerkundliche, um geschichtliche oder sprachwissenschaftliche Dinge handeln. Er erfaßte stets den springenden Punkt, den Kern einer Angelegenheit, und schälte ihn aus seinem Zusammenhange heraus. Aber er blieb nicht, wie die meisten Gelehrten, bei der Analyse der Erscheinungen stehen, sondern baute eine in ihren Elementen klar erkannte Gesamtheit als solche wieder auf und stellte sie anschaulich dar. Ebenso wie er ein tüchtiger Analytiker war, bewährte er sich auch als glänzender Synthetiker. Er brachte es nach der Reise nicht über das Herz, seine Tagebücher einfach umzuschreiben und in Druck zu geben, sondern er verarbeitete sie zu großen zusammenfassenden Übersichten über Land und Leute jedes besonderen Raumes. Während bei Rohlfs von geistiger Schöpferkraft keine Rede sein kann und während bei Barth sein früher Tod ihre volle Offenbarung verhindert hat, ist sie bei Nachtigal klar erkennbar und unter Beweis gestellt. Es ist zwar sonderbar, daß er trotz sechs Jahren Algerien und Tunisien nicht den Drang verspürt hat, über diese doch fesselnden und nicht sonderlich gut geschilderten Länder etwas zu veröffentlichen. Anscheinend ist ihm als Arzt etwas Derartiges zu fremd und fernliegend erschienen. Auch daß er, ohne noch seinen dritten Band fertiggestellt zu haben, Generalkonsul wurde, zeugt nicht grade von einem starken Gefühl einer inneren Berufung zu wissenschaftlicher und literarischer Arbeit. Man könnte fast zu der Annahme kommen, daß Nachtigal das große Reisewerk, mit dem er ja auch nur sehr langsam vorwärts kam, weniger aus Produktionsdrang als aus Pflichtgefühl geschrieben hat und daß er auch bei längerer Lebensdauer ein Homo unius libri geblieben wäre. Aber sei dem, wie ihm wolle: so wie das Werk nun einmal ist, zeugt es von ansehnlicher Schöpferkraft auf originaler Grundlage, denn ein Muster ähnlicher Art, nach dem er sich hätte richten können, lag nicht vor. Georg Schweinfurth Der unglücklichste Tag seines Lebens (von ihm selber geschildert) Die große Handelsniederlassung der Firma Rhattas, in der ich, des Aufbruches der Karawane gewärtig, mit allen meinen Vorräten weilte, bestand aus einer dichtgedrängten Masse von einigen sechzig Hütten und Schuppen, die fast durchweg nur aus Stroh und Bambus erbaut waren. Dazwischen erhoben sich, aus gleichem Material errichtet, die umfangreichen Sonnendächer, sog. Rokuba, während hohe Strohzäune zur Umfriedung der einzelnen Gehöfte dazwischen schmale, nur wenige Fuß breite Gassen freiließen. Man wird sich vorstellen können, wie mit dem Beginn der regenlosen Zeit die drohende Feuersgefahr für mich bei Tag und Nacht eine Quelle der Sorge sein mußte. Immer dichter war, meiner Vorstellungen ungeachtet, in dem engen Bezirk der Pfahlumzäunung eine Hütte neben der andern entstanden. Es ließ sich voraussehen, daß im Falle eines Brandunglückes das ganze von tropischer Sonne gedörrte Hüttenlager unrettbar verloren sein würde. Dies war das nicht ungeahnte Verhängnis, das mich am 1. Dezember 1870 um die Mittagsstunde ereilte.

75 Der unglücklichste Tag meines Lebens hatte in dem gewohnten Gleis der letzten Zeit begonnen. Ich war den Vormittag über mit Briefschreiben beschäftigt gewesen, um meine Erlebnisse seit Abgang der letzten Nachrichten zusammenzustellen. Eben hatte ich mein bescheidenes Mahl zu mir genommen und das Briefschreiben wieder begonnen, als mich plötzlich der Ruf eines Bongo: "Poddu, Poddu" (d. h. Feuer) erschreckte. Dieses schreckliche Wort wird zeitlebens in meinen Ohren widerhallen. Beständig auf dem Sprunge, es zu vernehmen, erkannte ich in demselben Augenblick die ganze Tragweite des Unglücks, ich eilte vor die Tür und erblickte auch schon, nur durch drei Hütten von der meinigen getrennt, die unheilvolle Lohe aus der Spitze eines Kegeldaches emporschlagen. Um jene Tageszeit erreichte der beständig wehende Nordost stets seine größte Heftigkeit, die Windrichtung führte die Flammen unmittelbar zu meiner Behausung, da blieben mir kaum zwei Minuten Zeit zum Retten. Sofort kamen alle meine Leute herbeigesprungen, und ohne viel Worte zu machen, griff ein jeder nach dem, was ihm grade unter die Hände fiel. Die Negerknaben machten sich zuerst an die Zeuge und ihre eigenen Kleider, als dem in ihren Augen Wertvollsten. Auf diese Art wurde auch mein Bettzeug und zwei der Lederkoffer außerhalb der Seriba in Sicherheit gebracht. Ich selber schleuderte die für einen solchen Fall bereits zurechtgelegten Manuskripte in einen großen Holzkasten; es war ein eitles Bemühen. Allerdings gelang es meinen Dienern im Handumdrehen, noch fünf von den Koffern und zwei Kasten hinauszuschaffen und auf den nahen Freiplatz der Seriba zu schleppen, wo sie auch bei der herrschenden Windrichtung genügend gesichert zu sein schienen, allein nur zu bald begann der glühende Luftstrom planlos nach allen Seiten hin umzuschlagen und fegte die Lohe über den ganzen Platz. Da hätte kein Mensch mehr standzuhalten noch Hand zum Retten anzulegen vermocht. Der schleunigste Rückzug war vornehmlich durch die Gefahr geboten, der man zwischen den von allen Seiten aufflammenden Strohmassen, besonders in den von hohen Zäunen eingefriedigten schmalen Gassen ausgesetzt war. Da schlugen die Flammen hundert Fuß lang aus den mit dürrem Grase überhäuften Sonnendächern hervor und züngelten Verderben bringend weithin über den Boden, während ein Regen von brennenden Halmen durch die Lüfte brauste. Auf der Flucht vor der ungeheuren Gewalt der Flammen - die Menschen erschienen wie Mücken an einer brennenden Kerze - warf ich noch einen Blick auf den angeblich geretteten Rest meiner Habe, mit Entsetzen aber nahm ich schon wahr, daß die Kasten zu rauchen begannen und daß lange Flammensäulen sie bezüngelten. Es war für mich ein herzbrechender Anblick, enthielten doch diese Kasten alle meine Manuskripte, die Reisejournale und Notizbücher. Im Vergleich zu diesem Verlust erschien die Einbuße der von vornherein den Flammen preisgegebenen Effekten in meiner Hütte selbst sehr unbedeutend, und doch waren es zusammen über hundert Trägerlasten! In meiner Aufregung achtete ich nicht des vom Winde umhergetragenen Funkenregens, der mir das Haar versengte, heulend, mit verbrannten Füßen, folgten mir die Hunde, und atemlos hielten wir endlich unter einem großen Baume, um vor der allseitigen Flammenglut und dem Sonnenbrande aus der Höhe Schutz zu suchen. Bei der Überstürzung unserer Flucht hatte ich nicht einmal zu meinem Hute greifen können. Hinter uns aus dem prasselnden Gewoge der Flammen erscholl das Krachen der zusammenbrechenden Dächer, ab und zu übertönt von dem dumpfen Schall der explodierenden Munitionsballen, während die in den brennenden Häusern zurückgelassenen Gewehre sich entluden und die Fliehenden von allen Seiten bedrohten. Überraschend ruhig und gelassen benahmen sich die Nubier. Hatten doch die meisten von ihnen nur wenig oder nichts zu verlieren, mußte doch auch so manches Schuldbuch in den Flammen verschwinden, da war für viele noch auf Gewinn zu hoffen. Nur die mohammedanischen Priester heulten und schrien vor ihren Hütten die gewohnten Beschwörungsformeln, mit denen sie dem Feuer seinen Weg vorzuschreiben wähnten; merkwürdigerweise blieb grade der Betplatz mit der weißen Fahne eines daselbst begrabenen Fagi's verschont. Der Platz war nur wenige Schritte von der Stelle entfernt, wo meine Kisten lagen. Der

76 Verstorbene war da ein echter Heiliger geworden, denn er hatte sich bewährt als ein Schech comme il faut. Die ganze Seriba stand nun in vollem Brande, und die Flammen vollendeten ihren unaufhaltsamen Rundlauf nach jeder Richtung. Ganze Bündel von glimmendem Stroh führte der Sturmwind mit sich und entzündete in wenigen Minuten auch die außerhalb des Pfahlwerkes gelegenen Hüttengruppen. Die längst ausgedörrte Steppe, bisher absichtlich geschont, weil die Kornernte noch nicht beendet war, fing ebenso leicht Feuer, und selbst die alten Bäume entflammten sich - das ganze Land schien zu brennen, als sollte alles untergehen in einem Meere von Flammen. Die Katastrophe währte indes kaum eine halbe Stunde; nach Verlauf dieser Frist konnte man bereits zwischen den verkohlenden Gerüsten der Hütten ins Innere der Seriba eindringen, allerdings nur für wenige Augenblicke, da der glühende Boden und die unerträgliche Hitze für die ersten Stunden kein längeres Verweilen an dieser Unglücksstätte erlaubten. Die Leute brachten Wasser in Krügen herbei, um wenigstens einen Teil der glimmenden Kornvorräte, die in den tönernen Gugas, den großen Krügen, enthalten waren, zu retten. Ich ließ mich schließlich in meinem Garten nieder, der, größtenteils seiner neuen Bambusumzäunung beraubt, einen trostlosen Anblick gewährte. Als die Sonne sank, wurde das Nachsuchen nach den etwa noch brauchbaren Resten in der glimmenden Asche meiner Hütte begonnen. Ich hatte wenig mehr als das nackte Leben gerettet: ohne Kleider, ohne Waffen und Instrumente, ohne Tee und Kinin stand ich jetzt vor dem Haufen Kohle und Asche, der, unwiederbringlich verloren, die Frucht mehrjähriger Anstrengungen und im übrigen so beispiellos günstiger Konjunkturen barg. Meine schöne Ausrüstung für die vorhabende Njam-Njam- Expedition, die jüngsten Sammlungen, unter denen der Verlust der gesamten entomologischen Ausbeute und vieler wertvoller Erzeugnisse des afrikanischen Kunstfleißes am meisten zu beklagen war, dann die Handschriften mit allen meteorologischen Beobachtungen, die ich von meinem Aufbruche von Suakin an täglich gebucht hatte und die allein gegen 7000 barometrische Ablesungen enthielten, die Reisejournale mit den Erlebnissen und Wahrnehmungen der 825 Tage, die mühsam erlangten Körpermessungen und Vokabularien schließlich - alles war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen geworden. Die Tagebücher und die Insektensammlung hatte ich aus Furcht vor den Gefahren einer weiten Versendung von Anfang an bei mir behalten, jetzt lägen sie freilich ebenso sicher in den Fluten des Nils. Da saß ich nun zwischen meinen Tabakstauden auf dem geretteten Bettzeug in stiller Ergebung, vor mir als einziger Rest meiner Habseligkeiten die zwei mir übriggebliebenen Koffer (mit drei geretteten holosterischen Barometern und einem Azimutkompaß) und das der Asche entnommene Eisengerät der Werkstätten der Mangbattu und Njam-Njam. Der Abend kam und mit ihm wie gewöhnlich die Kuh mit dem Kalbe, um mir zwei Gläser Milch zu spenden. Etwas Jams, dem Innern einer verkohlten Riesenknolle entnommen, die sich noch in der Asche vorgefunden, ferner ein ähnlicher Rest von einem großen Stück von mir zubereiteten Pökelfleisches vervollständigte mein Mahl, ich zehrte von den letzten Überbleibseln meiner Vorräte. Um mich herum heulten die Hunde mit ihren verbrannten Füßen, als jammerten sie über das allgemeine Elend. Die Diener und die Sklaven waren so vergnügt wie je zuvor, denn was hätten diese zu verlieren gehabt. Ich konnte die Häupter meiner Lieben zählen, sieben Vierbeinige und sieben Zweibeinige. Die Entwicklung eines Botanikers In Georg Schweinfurth, dem vierten unserer großen Afrikareisenden, tritt uns wieder eine ganz andere Persönlichkeit entgegen. Ähnlich wie Heinrich Barth ging er von vornherein mit einer großen leitenden Idee nach Afrika, nämlich mit dem Ziele einer botanischen Erforschung der

77 Nilländer, aber diese Idee war längst nicht von so großartigem, originalem und geistig bedeutendem Umfange wie Barths Mittelmeeridee, sondern blieb in den Rahmen eines einzigen Faches gespannt, eines naturwissenschaftlichen Faches, das genaueste Einzelbeobachtung und emsiges Sammeln zur Grundlage hat, dessen Bearbeiter aber, seltener als gut ist, zu großen Synthesen gelangen. Und im Gegensatze zu Gustav Nachtigal, der ohne fachliche Einengung seine gewaltige Reise antrat, ist er nicht zur geographischen Synthese von dessen Wert und Weitsicht gelangt. Nicht daß er nur Botaniker geblieben wäre, weit gefehlt, er hat sich in topographischen und geologischen, in vorgeschichtlichen und völkerkundlichen, in ägyptologischen und sprachlichen Zweigen versucht, aber dieser zu seinen Lebzeiten weitaus beste Kenner der Nilländer ist uns das schuldig geblieben, was wir billig von ihm erwarten durften: die große, umfassende, allseitige Länderkunde des Nilgebietes. Entwickelte Nachtigal sich zu einem bedeutenden und schöpferischen Geographen, so ist Schweinfurth ein solcher niemals gewesen, wenn er auch viel, sehr viel von Geographie verstand. Er blieb stets der eifrige Sammler, der aus universalem Blickwinkel heraus alles beobachtete und einordnete, dessen schöpferische Kraft aber dieser Interessiertheit nachstand. Wissen in überquellender Fülle, mehr als es jemals ein Afrikareisender von seinem Arbeitsgebiete besessen hat, und Fleiß von nie ermattender Nachhaltigkeit, beide waren vorhanden, doch es fehlte das letzte zur schöpferischen Größe. Georg Schweinfurth wurde am 29. Dezember 1836 in der deutschen Stadt Riga im damals russischen Livland geboren. Der Vater war aus Wiesloch - am Fuße des Kraichgaus, südlich von Heidelberg gelegen vor der französischen Aushebung geflüchtet und in Riga gelandet. Hier eröffnete er eine Weinhandlung, die deutsche und französische Weine in Rußland einführte und dadurch schnell zu großer Blüte gelangte. Die Mutter stammte von einem um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus Stendal in der Altmark eingewanderten Manne namens Mauer ab. Die Familie zählt also nicht zu den altbürtigen Balten. Der Vater war für geistige, namentlich künstlerische Dinge interessiert, und sein Haus, in dem der älteste Sohn Alexander, sein späterer Nachfolger, durch musikalische Begabung hervorragte, bildete dann einen Anziehungspunkt für geistige Menschen; wir haben gesehen, daß Gerhard Rohlfs 1870 auf einer Vortragsreise hier wohnte und seine künftige Frau, eine Nichte Georgs, kennenlernte. Der junge Georg war zeitweise in einer Erziehungsanstalt im Innern Livlands untergebracht und besuchte zuletzt die oberen Klassen des Rigaischen Gymnasiums, dessen Unterrichtssprache, ausgenommen das Fach der Fremdsprache Russisch, deutsch war. Das Lesen von Reisebeschreibungen und die Erzählungen eines in Südafrika geborenen Lehrers erweckten früh eine starke Teilnahme für Afrika und für Forschungsreisen, auf die der Knabe sich durch ausgedehnte Fußwanderungen unauffällig vorzubereiten suchte. Sein fachliches Interesse erstreckte sich auf Pflanzenkunde, wofür die erste Anregung die riesige Handelsgärtnerei eines Verwandten geboten haben dürfte. Nach einem Schulausfluge vermochte der zwölfjährige Knabe als einziger die Vertreter aller Klassen des Linnéschen Pflanzensystems vorzulegen. Endgültig für die Botanik aber wurde Georg gewonnen, als er nach bestandener Reifeprüfung Ostern 1857 mit den Eltern nach Gastein kam und die Gebirgsflora der Hohen Tauern kennenlernte. Er machte zahlreiche Wanderungen und erstieg auch - als achter in der Reihe der Gipfelstürmer - mit mehreren Bergführern den Großglockner; ein kleiner Aufsatz, den er darüber veröffentlichte, war seine erste gedruckte Arbeit. Im Herbst 1857 ging er auf Universitäten, und zwar bezog er zuerst die in der Heimat seiner Väter gelegene Universität Heidelberg, wo er vier Semester weilte, und studierte dann zwei Semester in München und vom Herbst 1860 an weiter in Berlin. Seine Studien erstreckten sich vorwiegend auf Botanik und Paläontologie, daneben auch auf Zoologie, Chemie und Mineralogie; Geographie hat er nicht gehört. Die Ferien benutzte er für ausgedehnte botanische Wanderungen, von denen eine solche im Sommer 1838 kreuz und quer durch die Insel Sardinien - damals noch ein kleines

78 Abenteuer - am meisten hervorsticht; geschrieben hat er darüber aber erst nach sechsundzwanzig Jahren. Stellen wir diese studentische Italienreise mit jener Heinrich Barths in Vergleich, so erkennen wir sofort den Unterschied in der geistigen Struktur der beiden Männer. Während Barths Geistigkeit einen außerhalb seines archäologischen Fachstudiums liegenden großen Zielpunkt gewann, wurde Schweinfurth nur in seinem botanischen Sammeleifer bestärkt. In Berlin schloß Schweinfurth sich vornehmlich an die Botaniker A. Braun und P. Ascherson an und wirkte eifrig in dem Botanischen Verein für die Provinz Brandenburg, in dessen Verhandlungen damals auch seine ersten botanischen Aufsätze erschienen. Schließlich hat er mit einer Arbeit über die von R. Hartmann in den Nilländern gesammelten Pflanzen 1862 in Heidelberg promoviert. Die Arbeit trägt den Titel: "Plantae quaedam niloticae quas in itinere cum divo Adalberto libero barone de Barnim facto collegit Rob. Hartmann, cum tabulis XV" und erschien, 55 Seiten stark, bei G. Reimer in Berlin. - Als der junge Schweinfurth in Berlin mit der Bearbeitung von Pflanzen der Reisenden Hartmann, Ehrenberg und v. Beurmann aus den Nilländern beschäftigt war, kam ihm der Gedanke, sich die botanische Erforschung dieses weiten Länderraumes als Lebensaufgabe zu erwählen. Auch der Verkehr mit C. G. Ehrenberg und Heinrich Barth, die beide dort gereist waren, wirkte in dieser Richtung anregend. Deshalb wandte der junge Doktor sich an seine inzwischen verwitwete Mutter und bat um Auszahlung der Summe von Rubeln aus seinem Erbteil. Er empfing sie und hielt damit einen Betrag im Werte von damals etwa Mark in Händen. Nachdem er sich in Wien noch mit dem bedeutenden Orientbotaniker Th. Kotschy beraten hatte, fuhr er nach Ägypten, wo er Ende Dezember 1863 ankam. Das in Aussicht genommene Arbeitsfeld - die östlichen Randgebiete Ägyptens, Nubiens und des Ostsudans - waren zu jener Zeit noch wenig bereist und botanisch völlig unbekannt. Er fuhr den Nil aufwärts bis Kenneh und ging dann mit Kamelkarawane nach dem Städtchen Kosseer am Roten Meere, wo ihn der Quarantänearzt C. B. Klunzinger, der selber ein sehr gutes Buch Bilder aus Oberägypten, der Wüste und dem Roten Meere (Stuttgart 1877) geschrieben hat, gastfreundlich aufnahm. Von Kosseer segelte er im März, April und Mai 1864 in einem Boote an der Küste entlang bis Suakin, machte aber eine ganze Anzahl von Abstechern in die Küstenebene und auf die Küstenberge hinauf, wobei er eine je mehr nach Süden um so erfreulicher wachsende Fülle von unbekannten Pflanzen sammelte. Nach gründlicher Erholung von diesen Anstrengungen segelte er im Sommer nach Kosseer zurück und begab sich über Kenneh wieder nach Kairo. Die Schönheit Kairos genoß er nach dem in einem engen Segelboote verbrachten halben Jahre voller Entzücken. Im Januar 1865 begab er sich auf dem gleichen Wege wieder nach Suakin und ging von hier im April ins Innere nach Kassala, Metamma, Gedaref und auf dem Blauen Nil nach Chartum. Von hier marschierte er am linken Nilufer bis Berber und von da quer durch die Halbwüste nach Suakin. Die Heimreise erfolgte über Dschidda, Kairo und Wien nach Riga, wo er im Juli 1866 anlangte. Der junge Forschungsreisende hatte seine erste Expedition durch wenig bekannte Gebiete hinter sich, freilich nicht ganz ohne gesundheitliche Schädigung, denn er brachte eine ungewöhnlich vergrößerte Milz heim, die ihm oft arges Seitenstechen bereitete; auch Malaria hatte ihn manchmal geschüttelt; aber es ist sonderbar, auf seiner zweiten Reise hat er von beidem nichts mehr verspürt.

79 Wenn er auch die Karte durch topographische Einzelheiten bereichert, über die Begavölker manches berichtet und auf der Wanderung nach Kassala ihre alte Gräberstadt Maman entdeckt hat, so liegt doch der Schwerpunkt seiner Erfolge auf botanischem und pflanzengeographischem Gebiete. Er hat

80 damals etwa 2500 Pflanzen gesammelt und viele neue Arten besonders in den hohen Küstengebirgen am Roten Meer entdeckt - am Gebel Schurba, am Gebel Abu Tjur, am Gebel Uaratab - und auch in der baumreichen Landschaft Gallabat. Die Berichte über diese seine erste Reise ( ) erschienen damals in Fachblättern, vor allem in der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde zu Berlin, in der sie von 1865 bis 1867 etwa 140 Seiten umfassen. In einer 1868 in Petermanns Mitteilungen veröffentlichten "pflanzengeographischen Skizze der gesamten Nilländer und der Küstenländer des Roten Meeres" unternahm er es auch, eine synthetische Ausdeutung seiner und anderer Erkenntnisse zu geben - einer seiner wenigen Versuche in dieser Richtung. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dieser Reise hat er etliche jener Aufsätze - leider nicht einmal alle wichtigsten - zu dem Buche Auf unbetretenen Wegen in Ägypten zusammengefaßt und 1922 bei Hoffmann und Campe zu Hamburg im Umfang von 330 Seiten erscheinen lassen; als Ergänzung sei hier auch sein Büchlein An der Küste des Roten Meeres genannt, das 1925 herauskam. Die große Afrikareise ( ) Georg Schweinfurth ließ sich nach seiner ersten Reise in Berlin nieder und arbeitete seine Beobachtungen und Sammlungen aus. Hierbei wuchs in ihm das Verlangen, seine Kenntnis der Pflanzenwelt der Nilländer weiter nach Süden ins Unbekannte hinein auszudehnen, wo noch niemals ein Botaniker gereist war. Im Abendlande wollte es ihm viel zu eng vorkommen, und er sehnte sich in die Ungebundenheit und in das Schweigen der afrikanischen Weite zurück. Freilich fehlte es ihm diesmal an eigenem Gelde, deshalb wandte er sich an die ihm wohlgesinnten Professoren A. Braun, C. G. Ehrenberg und E. du Bois-Reymond, die ihm denn auch die für fünf Jahre zur Verfügung stehenden Zinsen der von der Kgl. Akademie der Wissenschaften verwalteten Humboldtstiftung für Naturforschung und Reisen sowie der Karl-Ritter-Stiftung der Gesellschaft für Erdkunde verschafften. Hauptaufgabe war die botanische Erforschung des Stromgebietes des Bachr el Rhasal, wo auch topographische und völkerkundliche Arbeiten ausgeführt werden sollten. Das Gebiet des Bachr el Rhasal war jener Teil der Nilländer, der damals nur ganz wenig von Europäern gestreift worden war und von dem die arabischen Sklavenjäger, die hier ihr Hauptjagdbereich besaßen, jeden Europäer fernzuhalten suchten. Hier mußte sich der Übergang von der Steppe über die Baumsawanne zum dichten tropischen Regenwalde vollziehen, und überreicher Pflanzenbeute durfte ein unternehmender Botaniker von vornherein gewiß sein. In dieser Alleinherrschaft der Sklavenhändler, die auch die ägyptische Regierung fernzuhalten wußten, lag aber auch eine große Gefahr für das Gelingen der Reise, das von einer gütlichen Verständigung mit den arabischen Händlern abhing. Schweinfurth aber, durch seine erste Reise mit arabischen Verhältnissen gut vertraut geworden, brachte das zustande. Um nicht wie seine Vorgänger in Abhängigkeit von den Händlern zu geraten, die allein Mundvorrat und Träger beschaffen konnten, machte er sich geschickt den einzigen Punkt zunutze, wo die Händler verwundbar waren, nämlich ihre Abhängigkeit von der ägyptischen Regierung in Chartum, wo ihre Zentrale war. Er vermochte die ägyptische Regierung durch Vermittlung der preußischen Vertretung, dem Generalgouverneur des Sudans die striktesten Anweisungen zu seiner Unterstützung zu geben. Und dieser wiederum verpflichtete den bedeutendsten Sklaven- und Elfenbeinhändler, den Kopten Rhattas, eine unbedingte Haftung für Schweinfurths Leib und Leben, Hab und Gut zu übemehmen. Rhattas hatte mit seinem Vermögen für alles Unglück, das den Reisenden treffen könnte, aufzukommen, und er konnte sich wohl denken, daß der Gouverneur ihn mit Vergnügen zum armen Manne machen würde, falls seinem Schutzbefohlenen Ernstliches zustieß. Und wirklich ist der Reisende in allen Seriben oder Niederlassungen des Rhattas in Bachr

81 el Rhasal auf das aufmerksamste aufgenommen und gefördert worden. Er erhielt ein Schiff zur Fahrt auf dem Nil gestellt und durfte sich später nach Belieben allen Zügen der Leute des Rhattas anschließen. So konnte Schweinfurth gutes Mutes in das unbekannte Land aufbrechen, und in der Tat hatte er es nur seiner tiefen Einsicht in die Verhältnisse und seiner Vorsicht zu danken, daß seine Unternehmungen von Erfolg gekrönt waren. Seine Vorgänger waren stets in Abhängigkeit von den Händlern geraten, waren geldlich von ihnen ausgebeutet worden und hatten trotzdem nicht viel zu sehen bekommen. Von seiner ersten Reise her mit ausreichenden arabischen Sprachkenntnissen ausgerüstet, trat Schweinfurth seine zweite Reise an, die ihn von Juli 1868 bis Oktober 1871 in Afrika festhielt. Für diese Reise, die drei Jahre und vier Monate dauern sollte, standen ihm Mark zur Verfügung, eine bescheidene Summe, die denn auch ohne die Hilfe des Sklavenhändlers längst nicht ausgereicht hätte. Zuerst fuhr er im August und September von Kairo auf dem ihm vertrauten Wege über Suakin nach Chartum; er bevorzugte diesen Umweg, weil er schneller und billiger als der Weg über Assuan und die Nubische Wüste war. Nach länger als zweimonatigem Aufenthalte in Chartum, wo er die seine Reise sichernden Abmachungen mit Rhattas traf, segelte er mit einem Nugger nilaufwärts durch die Steppe und zuletzt zwischen Papyrusdschangeln zum Unterlaufe des Bachr el Rhasal; Ende Februar 1869 langte er in der Meschra e'rek an, dem Endpunkte der Schiffahrt. Hier botanisierte er in der Umgebung, wartete die erforderlichen Träger ab und begab sich Ende März zu Fuß nach der Hauptseriba des Rhattas, die ihm durch etliche Jahre als Station für seine Studien und Wanderungen dienen sollte. Von hier aus hat er vor allem zwei weiter ausgreifende und wichtige Reisen unternommen. Die erste Reise führte durch den Süden von Bachr el Rhasal und dauerte vom 17. November 1869 bis zum 13. Juli 1870, währte also acht Monate. Schweinfurth wanderte in Gesellschaft einer Sklavenjägerkarawane des Händlers Abd e'sammaat und gelangte über Sabbi, von wo er einen östlichen Abstecher bis zum Rohlflusse machte, über den Oberlauf des Tondsch und über den Uellefluß ins Mangbattuland, um dann auf ungefähr gleichem Wege zurückzukehren. Auf dieser Unternehmung, welche den Hauptabschnitt der ganzen Expedition darstellt, lernte er nicht nur das Negervolk der Njamnjam gut kennen, sondern entdeckte auch ein neues Negervolk und eine neue Rasse, die mit den Negern blutlich nichts gemein hat. Das neue Volk waren die Mangbattu, die eine eigenartige und ansehnliche Kultur besaßen und unter ihrem Herrscher Munsa ein selbständiges, abgeschlossenes Dasein zwischen den Galeriewäldern der Baumsawanne führten, das sie sich übrigens gelegentlich durch Menschenbraten noch mehr zu verschönen pflegten. Die neue Rasse aber waren die Pygmäen vom Völkchen der Akka, hellbraune Menschlein von rund 1,40 m Körperhöhe und großer Wildheit, die der Forscher sofort und ganz richtig zu den Buschmännern Südafrikas in Beziehung setzte. Eine dritte wichtige Entdeckung dieser Reise war die Auffindung des vorher völlig unbekannten Stromes Uelle, der nach Westen fließt und den der Wanderer für den Oberlauf des in den Tschad gehenden Schari hielt, denn man hatte damals noch nichts vom Dasein des Kongo gehört, in den der Uelle in Wirklichkeit einmündet. Immerhin hatte Schweinfurth damit die südwestliche Grenze des Nilstromnetzes erkannt. Das vierte Hauptergebnis war dann noch die Festlegung der Aufeinanderfolge von drei Vegetationsgürteln, die einander von Nord nach Süd folgen und ebendorthin mit dem Regen an Pflanzenfülle zunehmen: Dorngebüschsteppe mit Akazien - Baumsawanne von parkartigem Aussehen und mit dem Butterbaum als Leitmotiv - Galeriewälder in den Flußtälern der Baumsawanne, die schon tropische Fülle zeigen. Wäre der Wanderer noch etliche Tagereisen weiter nach Süden vorgedrungen, so wäre er in den vierten und letzten Vegetationsgürtel gelangt, den des dichten Regenwaldes, dessen Ausläufer eben jene Galeriewälder waren. Die Bezeichnung Galeriewald hat sich durch Schweinfurth in der Pflanzengeographie eingebürgert.

82 Die zweite Reise führte im Januar und Februar 1871 nach Westen und brachte in das Gewirr der Nebenflüsse Pongo, Biri und Kuru Ordnung, so daß auch hier die Abgrenzung des Nilnetzes durchgeführt werden konnte. Leider traf ihn in der zwischen beiden Reisen liegenden Zeit, nämlich am 1. Dezember 1870, jenes schreckliche Unglück, daß fast seine ganze Habe und ein großer Teil seiner Sammlungen und Aufzeichnungen bei dem Brande der Seriba des Rhattas verlorenging. Eingangs haben wir ihm selber das Wort darüber gegeben. Die Hauptergebnisse von 825 Tagen Reise und Arbeit waren verloren! Fast zum Bettler geworden, siedelte er nach der Seriba Kutschuk Ali über und verblieb dort bis Anfang Mai Im Frühling 1871 erfuhr er dort vom Deutsch-Französischen Kriege, aber so wenig, daß er sich kein klares Bild davon machen konnte. Zur gleichen Zeit saß Gustav Nachtigal auf nicht viel nördlicherer Breite in Kuka. Anfang Juni 1871 trat Schweinfurth die Rückreise vom Bachr el Rhasal an und gelangte zu Schiff Ende Juli nach Chartum. Er landete hier gegen Abend in so abgerissenem Zustande, daß er, ehe er sich weiter in den Ort hineinwagte, bei einem deutschen Schneider einen Anzug beschaffte. Dann drahtete er an seine Auftraggeberin, die Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Im August von Chartum weiterreisend, erreichte er über Suakin und Sues am 2. November 1871 Messina. Georg Schweinfurth erschien in Europa als berühmter Mann, denn die Berichte, die er unterwegs heimgeschickt hatte - zusammen etwa 500 Druckseiten der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin - waren nicht ohne Wirkung geblieben, waren es doch eigentlich die ersten wissenschaftlich genauen und eingehenden Arbeiten aus den südlichen Nilländern. Seine botanische Ausbeute bestand in mehr als 4500 Pflanzen, die einen floristischen Querschnitt durch sechs Breitengrade im Übergang von der Steppe zum Regenwalde legten. Sonderbarerweise aber hat er diese Sammlung nie selber ausgewertet, denn außer seinem Reisewerke und etlichen Aufsätzen hat er über die Pflanzenwelt von Bachr el Rhasal nichts veröffentlicht. Der Sammler begann über den schöpferischen Menschen zu obsiegen. Das Hauptergebnis der Reise bildet sein stattliches zweibändiges Werk Im Herzen von Afrika, das 1874 bei Brockhaus in Leipzig und kurz vorher unter dem Titel The heart of Africa in London erschien. Georg Schweinfurth war erst sechsunddreißig Jahre alt, als er den Ruhm des afrikanischen Entdeckers zu genießen begann. Von den geographischen Gesellschaften in London, Paris und Rom erhielt er sofort die goldene Medaille; die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin aber bekam er höchst sonderbarerweise erst in seinen letzten Lebensjahren. In London wurde er übrigens von Stanley, der von seiner "Entdeckungsreise" auf Livingstone zurückgekehrt war, in einem Vortrage wegwerfend behandelt. Stanley berichtete nämlich davon, daß Livingstone, Englands afrikanischer Liebling, den Lualaba für den Quellfluß des Nils halte, und deshalb könne der Uelle, den "a Herr of some sort" entdeckt haben wolle, gar nicht vorhanden sein. Als Schweinfurth im Sommer 1872 im Hotel Rheinischer Hof in Berlin wohnte, fragte ihn ein ebenfalls dort abgestiegener Deutschamerikaner, Berichterstatter des New York Herald, ob er schon einen Verleger für sein geplantes Reisewerk gefunden habe. Als Schweinfurth erwähnte, daß ein deutscher Verleger ihm 600 Taler geboten habe, lachte der Fremde aus dem Dollarlande und erbot sich, einen englischen Verleger aufzutreiben, der ihm gewiß 2000 zahlen werde. Und so geschah es Mark gegenüber 1800 Mark ist doch ein erstaunlicher Abstand.

83 Von 1874 bis 1888 hat Schweinfurth seinen Wohnsitz in Kairo gehabt und hier ein der Arbeit gewidmetes Junggesellenleben geführt, wozu ihn eine Familienrente instand setzte. Im Jahre 1875 gründete er, von dem Ägyptologen Heinrich Brugsch dem Khediven dazu empfohlen, die Société Khediviale de Géographie, die er aber nur ein Jahr lang leitete, und 1887 war er ein Jahr lang Vorsitzender des Institut égyptien. Seine Hauptarbeit aber bestand in der Ausführung einer großen Anzahl von Studienreisen und in der Verwertung ihrer Ergebnisse in zahlreichen Aufsätzen. Gleich im Jahre 1874 arbeitete er in der Oase Chargeh, wo er mit Gerhard Rohlfs, seinem Schwippneffen, zusammentraf. Von 1876 an machte er zehn größere Reisen durch die östlich und westlich des Niltals gelegenen Wüsten, wofür ihm das Preußische Kultusministerium ansehnliche Summen überwies; dreißig Routenkarten und Beschreibungen waren das topographische Ergebnis, wozu noch große Mengen gesammelter Pflanzen kamen. Im Jahre 1887 gab er zusammen mit Ascherson eine Illustration de la Flore d'égypte im Umfange von 235 Seiten in Kairo heraus. Seine geologisch-paläontologischen Aufsammlungen füllen in Berlin vierzehn Schränke. Im Jahre 1880 durchwanderte er, immer vorwiegend botanisierend, den Libanon, 1881 die Insel Sokotra, die ihm 826 Pflanzen erbrachte, 1882 ganz Oberägypten, 1883 an Bord S. M. K. Cyklop, der dort Schiffsübungen veranstaltete, das Gestade der Libyschen Küstenplatte bis Tobruk. Schweinfurth hatte sich in dieses unabhängige, behagliche Wanderleben so tief hineingefühlt, daß er nicht mehr davon lassen konnte. So lehnte er 1876 einen ehrenvollen Ruf auf den geographischen Lehrstuhl der Universität Leipzig als Nachfolger Oskar Peschels ab; er fühlte sich auch wohl zu sehr als Botaniker und mochte Sorge haben, den neuen Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Übrigens erhielt er 1880 vom Preußischen Kultusministerium den Titel Professor. Dagegen entsprach er im gleichen Jahre der Einladung des Königs der Belgier, die wie an Rohlfs, Nachtigal und Wissmann, so auch an ihn erging, Mitglied der Association internationale zur Erforschung und Erschließung Mittelafrikas zu werden. Im Jahre 1882 machte er das Bombardement Alexandriens durch die englische Flotte mit durch und geriet dabei in höchste Lebensgefahr, so daß er sich nur mit genauer Not vor dem arabischen Pöbel retten konnte. Es war übrigens das einzige Mal, daß er in Afrika um sein Leben fürchten mußte. Nachdem er 1879 die deutsche Reichsangehörigkeit erworben hatte, setzte er sich eifrig, wenn auch nur theoretisch, für den deutschen Kolonialgedanken ein. Er betätigte sich in der Kolonialgesellschaft, die ihn 1886 zum Ehrenmitgliede ernannte, und errang im gleichen Jahre auf der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte einen großen Rednererfolg, als er gegen die damals übliche Verächtlichmachung unserer ersten Kolonialpioniere eintrat. Vier Jahre darauf hielt er in der Kolonialgesellschaft bei der Rückkehr des Carl Peters von der Emin-Pascha- Expedition die Festrede. Er war dann Vorsitzender des Komitees der Petersstiftung und brachte als solcher ansehnliche Summen für die Entsendung eines deutschen Dampfers zum Viktoriasee zusammen. Endlich im Jahre 1888, jetzt zweiundfünfzig Jahre alt, ließ er sich dauernd in Berlin nieder, wo er im alten Botanischen Garten Platz für sein riesiges Herbar und sich selber eingeräumt bekam. Diese Wohnung behielt er bis zum Abbruch des Häuschens 1909, worauf sein Herbar, das 102 Schränke füllt, im Botanischen Museum zu Dahlem in zwei Zimmern aufgestellt wurde, während er selber eine Privatwohnung mietete. Er übereignete seine Sammlung dem preußischen Staate und erhielt dafür aus dem kaiserlichen Dispositionsfonds ein Jahrgeld. Das Herbar umfaßt heute von ihm gesammelte Pflanzen, die er selber äußerst sorgfältig getrocknet und zubereitet hat. Mit Hilfe der rigaischen Familienstiftung und des preußischen Jahrgeldes hatte er auskömmlich zu leben und konnte nach Belieben Reisen machen. Solche führten ihn bis 1914 in jedem Winter und Frühling nach Ägypten, in den Jahren 1901, 1906 und 1908 nach Algerien und Tunisien, wobei er stets Gelegenheit fand, sein geliebtes Herbar zu

84 ergänzen. Im Winter 1888/89 wanderte er in dem selten besuchten Jemen, wo er über 800 Nummern zusammenbrachte. Zwischen 1891 und 1894 bereiste er dreimal die junge italienische Kolonie Eritrea und stellte deren enge Florenverwandtschaft mit dem gegenüberliegenden Jemen fest; mehr als 4000 Pflanzen waren die Ausbeute. In den Jahren wandte er sein Augenmerk der Steinzeit Ägyptens zu und sammelte, vor allem in der Umgebung von Theben, viele Eolithen und andere altsteinzeitlich bearbeitete Quarzitsteine; an vierzig Museen und Privatleute verschenkte er Mustersammlungen. Er klärte durch diese Arbeit die bis dahin strittige Frage, ob der Mensch schon zur Steinzeit in Ägypten gelebt habe, in bejahendem Sinne. In Algerien und Tunisien brachte er fast 2500 Nummern Pflanzen zusammen. Unter den Beigaben altägyptischer Gräber bestimmte er fast 200 Pflanzenspezies; dergleichen war von den Altertumsforschern bisher kaum beachtet worden. Zu Beginn des Jahres 1914 ist er das letztenmal in seinem geliebten Ägypten gewesen. Während des Jahres 1891 wurde Schweinfurth in den Kolonialrat zu Berlin berufen, dem er bis zu seiner Auflösung 1908 angehörte. Von da an war er Mitglied der Kommission zur landeskundlichen Erforschung der deutschen Schutzgebiete, die dem Kolonialamte Vorschläge zur Unternehmung von Studienreisen machte. Die letzte Sitzung der Kommission fand im Juni 1919 statt. Mit dem Weltkriege begann das Leben für den damals Achtundsiebzigjährigen trüber auszusehen, denn das rigaische Legat fiel von jetzt an fort, nach dem Kriege ging er auch des kaiserlichen Jahrgeldes verlustig, und so stand Schweinfurth mit zweiundachtzig Jahren dem Nichts gegenüber, angewiesen auf die Gaben seiner Freunde und Verehrer, die ihn wenigstens vor dem Hunger schützten. Erst nach Festigung der deutschen Währung erhielt er wieder bescheidene Bezüge vom Staate. Am 19. September 1925 ist er, neunundachtzig Jahre alt, gestorben, allgemein verehrt als der Nestor der Afrikareisenden, der aus der längst verklungenen Zeit der klassischen Entdecker in unsere Tage hineinragte. Im Botanischen Garten von Dahlem hat er die seiner würdige Ruhestätte gefunden. Nachrichten über Schweinfurths Leben finden sich in seinem Buche Auf unbetretenen Wegen in Ägypten (1922) sowie im Schweinfurth-Heft der Naturwissenschaften (1926). Das Charakterbild In Georg Schweinfurth hat die klassische Zeit der Afrikareisen, die Zeit der Barth, Rohlfs und Livingstone, noch in unsere Tage hineingereicht. Sein afrikanischer Ruhm, 1870 erworben, also noch vor Stanleys Entdeckung des Kongos, war längst Geschichte geworden, und doch lebte sein Name immer noch im Munde der Gebildeten, ja er gewann von Jahrzehnt zu Jahrzehnt noch an Klang. Eine sonderbare Erscheinung. Vergleicht man Schweinfurths Entdeckerleistung, den Bachr el Rhasal, etwa mit der seines Freundes Rohlfs, so erweist sie sich rein räumlich als viel kleiner, freilich in der wissenschaftlichen Auswertung als größer. Setzt man sie aber zu jener Nachtigals in Beziehung, so verblaßt sie stark, sowohl räumlich wie wissenschaftlich. Nachtigal ist 1885, Rohlfs 1896 gestorben, beide haben zu ihrem Nachruhme von sich aus nichts weiter tun können, Schweinfurth dagegen hat bis 1925 gelebt und hat durch mehrere hundert gediegene Aufsätze dafür gesorgt, daß sein Name immer wieder in der Öffentlichkeit erschien und den Gelehrten einer ganzen Anzahl von Wissenschaften wohlgefiel. Überblickt man seine Tätigkeit von 1874 bis 1925, also eines halben Jahrhunderts, ohne Voreingenommenheit, so tritt einem da nichts Außergewöhnliches entgegen - hingebende, anständige Gelehrtenarbeit gewiß, doch sie entspricht nicht recht dem Ruhme des Sechsunddreißigjährigen. Aber Schweinfurth war bei den Fachgelehrten beliebt, regelrecht beliebt, denn er war durch seine vielen Aufsätze in deren Reihen hinabgestiegen, hatte gewissermaßen auf seine Ausnahmestellung als Entdecker verzichtet und war einer der ihrigen geworden, ohne doch durch Polemik unbequem zu werden oder gar als Nebenbuhler bei der

85 Besetzung von Lehrstühlen lästigzufallen. Georg Schweinfurth stammte väterlicherseits von Pfälzern, mütterlicherseits von Altmärkern ab. Diese Mischung erklärt wohl die sonderbare Gegensätzlichkeit seines Wesens, die darin lag, daß er gemessene Ruhe in der äußeren Haltung mit feuriger Leidenschaft im Wesen verband. Diese innere Gegensätzlichkeit scheint nicht zur Harmonisierung gelangt zu sein, was an Einflüssen seiner baltischen Jugendumgebung gelegen haben könnte, die eine dritte Komponente zwar nicht in sein Blut, so doch in seine Entwicklung und sein Verhalten zur Welt gebracht hat. Versuchen wir uns nach den vorliegenden Bildern, deren frühestes den Achtundzwanzigjährigen darstellt, ein Urteil über sein rassisches Aussehen zu machen. Dieses frühe Bild, das freilich in einem sehr schlechten Autotypiedruck vorliegt, zeigt ein schmales, weich umrissenes Antlitz mit dunklen Haaren und Augen, das keineswegs sehr deutsch wirkt. Eine französische Zeichnung des Sechsunddreißigjährigen bringt einen heroisierten Kopf mit energisch vorspringendem Kinn, kühnem Weitenblick unter gerunzelten Brauen und über gesträubtem Schnurrbart. Etliche Altersbilder des Mittsiebzigers zeigen eine z. T. gradezu wilde Energie mit tiefen Falten über der Nasenwurzel, zusammengezogenen buschigen Augenbrauen und vorgebautem Kinn. Auffallend ist hier die kurze knollige Nase, das Gestraffte der Muskulatur und Mimik trotz so hohem Alter sowie die Größe der etwas abstehenden Ohren. Ein sicheres Urteil zu gewinnen ist kaum möglich, doch will uns Georg Schweinfurth scheinen, daß hinter einem solchen Gesichte kein Langkopf gesessen hat, und ferner, daß sich mehrere Rassen in ihm durchkreuzten und keine ausgesprochene Harmonie des Knochenbaus und der Züge zustande kommen ließen. Den Charakter angehend, fallen Lebhaftigkeit und Willenhaftigkeit selbst noch in hohem Alter auf, in dem meistens der Lebenswille schon erloschen ist. Auch Intelligenz tritt uns entgegen, doch ohne daß sich von einer eigentlichen Vergeistigung des Antlitzes sprechen ließe. Schweinfurths Körpergröße scheint nicht unbeträchtlich unter Mittelgröße gewesen zu sein, denn er gibt einmal die Länge seines Schrittes, je nach dem Gelände mit cm an; oder aber er ist, falls er wirklich Mittelgröße erreicht haben sollte, sehr kurzbeinig gewesen. Schweinfurths Gefühligkeit war tief und echt, spaltete sich aber in einen Gegensatz von Einspännertum und Liebenswürdigkeit. Er empfand Glück und Unglück sehr stark und kam schwer über Schicksalsschläge hinweg, so über den Tod eines Akkaknaben, den er mit nach Europa nehmen wollte und der ihm in Berber an der Ruhr wegstarb. Er schrieb damals: "Noch nie war mir ein Tod so zu Herzen gegangen wie dieser, und mein eigener Zustand wurde infolge des erlittenen Kummers derartig geschwächt, daß ich mich kaum fähig fühlte, eine halbe Stunde auf den Beinen zu bleiben, ohne die äußerste Ermattung zu empfinden." Wir müssen freilich gestehen, daß uns dies reichlich übertrieben vorkommt, aber für unsere Untersuchung läßt sich doch daraus auf ein stark ausgeprägtes Mitgefühl schließen. Er hatte ein Herz für alle Kreatur, für Mensch und Tier, und auch die Pflanzen, die er zu vielen Tausenden auf das sorgsamste wissenschaftlich behandelt hat, werden ihm seelisch sehr nahe getreten sein. Er war gutherzig und hilfsbereit, liebenswürdig und gastfrei,

86 wobei er unter den Angehörigen der verschiedenen Völker kaum einen Unterschied machte. In Rußland aufgewachsen, aber deutsch erzogen, in Ägypten lebend und in vier Sprachen schreibend, hat er lange Zeit etwas Kosmopolitisches gehabt, doch hat sich seine Deutschheit mit den Jahren immer mehr gefestigt und ausgesprochen; im Weltkriege hat er unbedenklich die ihm von wissenschaftlichen Gesellschaften verehrten goldenen Medaillen dem Vaterlande geopfert. Treu gegenüber seinen Freunden und bescheiden trotz großer Leistung, lebte er stets in vornehmer Gesinnung und Haltung. Er kam mit allen Völkern in Güte aus und errang sich eine ausgesprochene Beliebtheit. Schwierige Lagen, denen er entgegenging, beeinflußten sein Gemüt wohl mehr, als er merken ließ; so befiel ihn bei Antritt der ins Unbekannte führenden großen Reise in Ägypten eine sehr schwermütige Stimmung. Er schrieb darüber: "Vor mir die ungewisse Zukunft, die erprobten Tücken dieses ungastlichen Weltteils, hinter mir Europa, unerträglich, darin zu leben, ohne das gewünschte Maß meiner Forschungen gefüllt zu sehen." Doch konnte solch eine Stimmung schnell einer andern Platz machen, denn schon in Sues, als er an Bord ging, wich sie unter dem Einfluß eines Ärgers und eines Scherzes einer aufgeräumteren. Mit dieser labilen Gemütslage in Verbindung stand seine hohe Empfänglichkeit für Stimmungsreize von seiten der Natur und eintretender Zufälle. In seinem großen Reisewerke hat er eine feine Kunst der Landschaftsschilderung bewiesen, die nicht nur sachlich richtig ist, sondern auch in einem starken Empfinden wurzelt und die er durch gewählte Worte auszudrücken verstand. Ebenso vermochte er sich ausgezeichnet in die Seelen fremder Völker hineinzufinden. Auch hier neigte er zu milder Beurteilung und hat manches Volk, das von seinen Vorgängern schlechtgemacht wurde, in Schutz genommen. Der Antisklavereibewegung huldigte er mit Hingebung. Er vermochte sich überhaupt leicht für etwas zu begeistern und zeigte dann im Gespräch, auch noch als ganz alter Mann, eine so feurige Leidenschaft, daß jeder Besucher ihn beglückt verließ. Sein Lebensgefühl und seine körperliche Elastizität waren bis in seine letzten Jahre bewundernswert. Noch ein Jahr vor seinem Tode schrieb er an einen Gleichaltrigen, auch das Sterben wolle gelernt sein, vorläufig aber fehle es ihm an jeglicher Vorschule dazu, so daß er mit jenem für einige Zeit um die Wette leben wolle, aber doch um den Vorzug zum Sterben bitte und sich seinem gütigen Gedenken empfehle. In der Tat eine ebenso überlegene wie witzige Stellungnahme zu Leben und Tod. Hinter seinem oft etwas grimmig aussehenden Gesicht verbarg sich überhaupt ein Schalk. Er verblüffte gern durch paradoxe Behauptungen, die den andern erschrecken und völlig irre machen konnten. So behauptete er während einer Wüstenreise auf einmal, die Läuse hätten eine große hygienische Bedeutung, indem sie unreinliche Menschen zu kräftiger Hautmassage zwängen. Wenn nun der andere ernsthaft auf solche Eulenspiegelei einging und die vorgebrachte Ansicht zu widerlegen suchte, dann freute er sich diebisch, bis er schließlich lachend das Gespräch abbrach. Gelegentlich auch fing er an, durch irgendeine komische Lage veranlaßt, Knittelverse zu reimen, die jedermann höchlichst erheiterten. Dieser mäßig lebende, bescheidene Mann ist unverheiratet geblieben und hat auch sonst durch seltsam krause Ansichten sein Einspännertum bezeugt, das aber nicht so ausgesprochen war wie etwa das Heinrich Barths. Er pflegte immer irgendein Steckenpferd im Stalle stehen zu haben, das er eine Zeitlang ritt und das stets höchst sonderbar aussah. So aß er zeitweise immer eingemachte Oliven und pries deren Fettgehalt, dann wieder kaute er ohne Unterlaß Kolanüsse, weil diese angenehm anregen. Bei allem Einspännertum hatte er aber doch Bedürfnis nach Verkehr, weshalb sein Freundeskreis ausgedehnt war. Schweinfurths Willenhaftigkeit war ausdermaßen groß. Sie spricht sich in allen seinen Bildern aus, in dem vorspringenden Kinn, den gerunzelten Brauen, dem Ausdruck der Augen. Schon als Schüler bereitete er sich durch lange einsame Fußwanderungen auf die Anstrengungen vor, die ihn dermaleinst auf den ersehnten Forschungsreisen erwarten würden, und auch als Student gab er sich diesem Sport eifrig hin. Am bemerkenswertesten erscheint uns dabei nicht einmal so sehr der Wille zur Strapaze, als die unbeirrbare Zielsicherheit des Willens, der durch viele Jahre hindurch ein

87 bestimmtes Berufs- und Lebensziel im Auge behält und verfolgt. Mit wie überlegtem, klar durchgeführtem Wollen hat er sein Verhältnis zu den Sklavenhändlern, die doch gewiß unabhängige und abgünstige Menschen waren, mit allen möglichen Sicherungen in die Wege geleitet und erfolgreich gestaltet! Sein Wille war stark genug, um seine Gefühligkeit dahin zu leiten, gegebenen Verhältnissen und landesüblichen Vorstellungen sich geschickt anzupassen. So vermied er bei der Abfahrt von Chartum den Mittwoch und Sonnabend, die als Unglückstage gelten, nur damit ihm die Eingeborenen später bei eintretendem Unglücksfall nicht nachsagen sollten, er habe diesen selber verschuldet; lieber verlor er etliche Zeit, als daß er das Heft aus der Hand und dem Schicksal gegeben hätte. Eine ganz zähe Energie beseelte ihn. Nach dem durch den plötzlichen Brand der Seriba veranlaßten Verlust fast seiner ganzen Habe und Arbeiten war er der Verzweiflung nahe, trotzdem aber kehrte er nicht, wie die meisten getan hätten, in die Heimat zurück, sondern hielt durch, indem er seine Arbeiten mit Ersatzmitteln fortsetzte. Aus Mangel an einer Uhr zählte er fortan bei der Routenaufnahme die Schritte - eine fürchterliche Anspannung des Geistes, der Aufmerksamkeit und des Willens, ohne Unterlaß in Gefahr sich zu verzählen und über dem Zählen jedes einzelnen Schrittes andere Beobachtungen zu versäumen. Es kann dem Reisenden nicht verübelt werden, daß ihn mit dem Brande doch eine gewisse Lähmung befiel, denn der frühere Schwung war geschwächt, da er unersetzliche Verluste erlitten hatte und jede fernere Arbeit doch nur halbe Sache war. Er selber schrieb darüber: "An Stelle der Begeisterung trat die Geduld, die jedes Unglück bemeistert." Während der ersten Tagereisen, auf denen er den neuen Versuch machte, hätte er fast aufgegeben, aber dann wurde es ihm doch Gewohnheit, und er setzte seinen Willen durch. Auch sein Ehrgeiz war gewiß nicht gering, denn er legte Wert darauf, in der vorderen Reihe der Afrikareisenden zu bleiben, und seine zahlreichen Arbeiten sowie ein großer Freundeskreis sorgten dafür, daß er im hellen Blickpunkte blieb. Über Ehrungen empfand er eine reine und fast kindliche Freude, aber es scheint, daß er ihnen nicht nachgelaufen ist. Er faßte seine Stellung als eine Verpflichtung auf, die Erforschung Afrikas und besonders seiner Pflanzenwelt nach dem Maße der ihm zugeteilten Kräfte zu fördern; dem weihte er sein Leben und, ordnungsliebend wie er war, richtete und etikettierte er säuberlich alles, was damit zusammenhing. - Georg Schweinfurths Leben vollzog sich im Dienste der Wissenschaft, dem er, abgesehen von wenigen Spätjahren, in vollkommener Sorgenfreiheit sich hingeben konnte. Im Mittelpunkte seines Denkens stand zwar die Botanik, aber sein Blick richtete sich auch auf eine ganze Anzahl anderer Wissenschaften, und sein Geist fand sich voll Gründlichkeit darin zurecht, wobei ihm ein erstaunliches Gedächtnis und damit ausgedehnte Schriftenkenntnis zu Hilfe kamen. So vermochte er Querverbindungen zwischen einer ganzen Anzahl von Wissensfächern zu schlagen und sie alle irgendwie zu befruchten. Er veröffentlichte Arbeiten in vier verschiedenen Sprachen, redete gern und anregend über seine Kenntnisse und Ansichten, wobei er freilich nicht selten so schnelle und unerwartete Gedankensprünge machte, daß ein Zuhörer von weniger hurtiger Reaktionsfähigkeit ihm nicht mehr folgen konnte. Seine geistige Frische und Lebendigkeit blieb ihm bis zuletzt erhalten. Und trotz allem Reichtum und aller Vielseitigkeit des Wissens - etwas stimmte da nicht, etwas sehr Wichtiges fehlte. Georg Schweinfurth war im Grunde kein spekulativer Kopf, er war und blieb den Tatsachen verhaftet, Botaniker, der er war. Sein Geist schweifte nicht auf die große Gesamtmenge der Erscheinungen hinaus, er faßte die Einzelheiten nüchtern und klar ins Auge. Und weiter: Georg Schweinfurth blieb zeitlebens Analytiker, wenngleich man Ansätze zur Synthese nicht wird verkennen dürfen. So kletterte er schon auf seiner ersten Afrikareise keineswegs als einseitiger Botaniker durch die Bergsteppen, o nein, er beobachtete auch andere Erscheinungen, namentlich des Tier- und Völkerlebens, und sah recht wohl das Gemeinsame, das aus sämtlichen Elementen eine Landschaft, ein Volk aufbaut. Aber diese Erkenntnis blieb doch theoretisch und ging ihm nicht in niedergeschriebene Praxis über. Er reiste nicht, um das Gesamtgebilde eines Raumes aus allen beobachteten Einzelheiten literarisch nachzuschaffen, sondern er reiste, um für einen bestimmten Großraum Rohstoffe einzusammeln, in erster Linie natürlich Pflanzen, dann aber auch

88 Routenkarten, klimatische Ablesungen, Volksbeobachtungen, vorgeschichtliche Altertümer, stets jedoch nur das, was ihn grade besonders anzog. Aber beim Material blieb es, die gedankliche Nachgestaltung eines ganzen Raumes hat er niemals versucht. Das Einsammeln von Pflanzen für sein Herbar ist zeitlebens seine liebste und wesentlichste Beschäftigung gewesen und geblieben, aber es ist bezeichnend, daß er schon die von der großen Reise heimgebrachten 4500 Pflanzen nicht mehr selber bearbeitet, sondern nur sauber geordnet und bezeichnet hat. Es gibt kein Werk von seiner Hand, das eine schöne Schilderung der Pflanzenwelt der Nilländer enthält, die er doch wie keiner sonst kannte, oder eine Völkerkunde dieses Raumes, die ebenfalls niemand in gleichem Maße beherrschte, ganz zu schweigen eine großangelegte Länderkunde der Nilländer! Als er zum ersten Male nach Ägypten reiste, ging er zwar von einer Idee aus, die fast den Eindruck einer weitgefaßten Synthese macht, nämlich die Flora der Nilländer zu erforschen und diesem Zwecke sein Leben zu widmen, aber es blieb doch in der Hauptsache beim Botanisieren. So erscheint Schweinfurth uns als ein wohl sehr produktiver, aber im Grund unschöpferischer, ungenialer Gelehrter. Was er veröffentlichte, war immer gut, aber selten bedeutend und niemals groß. Zum Unterschied von Gustav Nachtigal gelangte er nicht dazu, selbst nur über den ihm doch so vertraut gewordenen Raum des Bachr el Rhasal eine geographische Monographie in seinem Reisewerke zu bringen; über Beschreibungen der einzelnen Völker ist er nicht hinausgekommen. Obwohl er viel von Geographie verstand, so ist er doch nie ein schaffender Geograph geworden, und er scheint das selber gefühlt zu haben, als er mit vierzig Jahren die Berufung auf den geographischen Lehrstuhl der Universität Leipzig ausschlug. Er war eine Sammlernatur, die, um ihre Zwecke zu erfüllen, immer und immer erneut reisen mußte. Er sagte in höheren Jahren einmal: "Ich wurde ein Botaniker im guten alten Sinne des Wortes, und meine Muse, nicht in der Gestalt einer schwächlichen Brüterei über geschliffenen Gläsern, sang frisch und frei im großen Tempel der Natur." Hier zeigt sich, was er war und daß er gar nicht mehr sein wollte. Unterzieht man Schweinfurths Leistungen aus der Ferne der Zeiten heraus einer kritischen Beurteilung, so bleibt nur seine zweite Afrikareise als große Leistung und damit seine Durchforschung von Bachr el Rhasal, einem Gebiete von mehr als qkm Flächenraum. Daß von hier aus dem Weißen Nil gewaltige Wassermengen zuströmen, wies erst Schweinfurth nach, denn Speke und Baker hatten den Bachr el Rhasal noch für einen unbedeutenden Nebenfluß gehalten; ja in diesem besonderen Flußgebiete wies er in 4 35' Nordbreite die Quelle des Dschur- Sueh als die erste wirklich aufgefundene Flußquelle innerhalb des Stromnetzes des Weißen Nils nach. Sodann gelang ihm der sehr wichtige Nachweis der Wasserscheide, welche das Nilsystem im Südwesten begrenzt (gegen das Kongobecken also, von dem er aber noch nichts wissen konnte). Durch gute Kartenaufnahme seiner Reisewege hat er die Topographie von Bachr el Rhasal in ihren Grundzügen festgelegt; und durch sorgsame Beobachtung der Vegetation hat er deren Zonenfolge erkannt und geordnet, auch durch fein empfundene und gut gesehene Schilderungen das Landschaftsbild dem Leser nahegebracht; die Bezeichnung Galeriewald hat er als jetzt allgemein gebräuchlichen Fachausdruck in die Wissenschaft eingeführt. Sodann hat er als erster recht eingehende, wissenschaftlich haltbare Beschreibungen der Völker von Bachr el Rhasal (Bongo, Mittu, Njamnjam, Mangbattu, Akka) gegeben und die beiden letzteren überhaupt ganz neu entdeckt. Angesichts einer so hervorragenden Leistung können wir im Belange der Wissenschaft nur bedauern, daß seine Arbeit sich bald nach der großen Reise vom Gesamtbereiche der Nilländer auf das so viel kleinere Ägypten zurückzog. Je mehr seine in späten Jahren in den ägyptischen Wüsten gemachten Kartenaufnahmen an Verständnis für die Landform und an Feinheit der Technik gewannen, um so mehr verloren sie an Bedeutung für die große Erforschung Afrikas. Sie waren schließlich doch nur Spielereien eines berühmten Mannes, der sich von dem "Elend unserer unerträglichen Kultur", wie er sich ausdrückte, in die Einsamkeit und Weite der Wüste zurückzog.

89 Karl Mauch Die beiden Weißen ließen ihre farbigen Begleiter weit zurück, als sie den Berg erstiegen. Render, der aus Transvaal entwichene Übeltäter, der aber wenige Tage vorher dem Forschungsreisenden das Leben gerettet hatte, wies lächelnd hinunter: "Sie trauen sich nicht recht herauf, denn dieser Berg ist für sie ein Ort böser Zauberer." Schließlich aber standen die Schwarzen doch neben den beiden Weißen auf der kahlen Kuppe, und plötzlich zeigte der eine mit dem elfenbeinberingten Arme gen Osten und flüsterte mit belegter Stimme: "Dort hinten, ganz in der Ferne, jener kleine Hügel, da stehen große Mauern, die sind voreinst von weißen Männern gebaut. Das ist Simbabje." Wie verzaubert hingen die Augen des weitgewanderten Forschers an jenem winzigen hellen Punkt. Simbabje - sollte das aller Mühen und Plagen und Durste und Schmerzen endlicher Lohn sein? Klopfenden Herzens kehrte er in des Häuptlings Pika Kraal zurück, auf nichts mehr bedacht, als zu jenem fernen Hügel zu gelangen. Am übernächsten Tage wanderte er dahin. Und dann genoß er die Freude des Entdeckens tiefer und glückflutender als jemals bei seinen Aufnahmen oder bei der Auffindung der ersten Goldfelder Südafrikas. Uralte steinerne Ringbauten mitten in Afrika, wo die Eingeborenen nichts als Hütten aus Reisig, Schilf und Stroh zu errichten verstanden! Da ragte ein Hügel aus Granit empor, die schrägen Hänge nur dürftig mit Busch bestockt, und oben lief um seine Krone eine 9 m hohe dicke Ringmauer, innerhalb deren sich die Mauerreste eines Gebäudes und Ansätze unterirdischer Gänge fanden. Auch eine Höhle war da, in der eine in zwei Teile zerbrochene Steinschüssel lag. Am Fuße des Berges erhoben sich die Reste eines eirunden Baues von 137 m Länge mit Mauern, die 7,20 m hoch waren. Im Innern standen noch andere Mauern und dazwischen ein kegelförmiger Turmbau von 9 m Höhe. Hügelwärts lagen Mauerreste viereckiger Gebäude. Inschriften waren nicht zu entdecken, wohl aber etliche geometrische Muster und ein paar steingemeißelte Vögel. Ein dort hausender alter Neger, der einzige Bewohner der einsamen Stätte, erzählte, noch vor einem Menschenalter habe hier alle paar Jahre geheimer Gottesdienst stattgefunden, zu welchem Menschen von weither gepilgert seien. Sein Vater sei der letzte Priester gewesen. Der Forscher, von seiner Seminarzeit her bibelgläubig, war sofort der Überzeugung, die Ruine auf dem Berge stelle eine Nachbildung des salomonischen Tempels dar, und jene in der Ebene eine solche des salomonischen Schlosses. Und daraus folgerte er, daß dies die Stätte des in der Bibel genannten Landes Ophir sein müsse, von wo die Phönizier und Israeliten große Mengen von Gold geholt haben sollen. Er war unsagbar glücklich über die Entdeckung und vermeinte, daß er von all seinen Erfolgen auf sie allein stolz sein könne. Auch Carl Peters bekannte sich dreißig Jahre nachher ebenfalls zu dieser Beantwortung der Ophirfrage. Spätere eingehende Untersuchungen haben gezeigt, daß es in jenem Teile Afrikas noch viele andere ähnliche Bauten gibt. Und man glaubt jetzt eher daran, daß sie alle in dem einstmals blühenden Negerreiche Monomatapa errichtet worden und höchstens tausend Jahre alt sind. Es dürfte sich in der Hauptsache um steinerne Kraale handeln.

90 Ein tragischer Lebensgang Haben wir in Barth und Rohlfs, in Nachtigal und Schweinfurth Männer kennengelernt, die zu großen Erfolgen und damit auch zu allgemeiner Anerkennung gelangten, so tritt uns in Mauch ein Unglücklicher entgegen, der sich unter gewaltigen Anstrengungen und ungeheueren Entbehrungen aus dem Dunkel emporkämpft und in dem Augenblicke, da er die Höhe erklommen hat, für seine Person in ein Dämmerlicht zurückgleitet, das schnell gradezu zu düsterm Vergessen wird. Dieses kurze Leben wird ausgefüllt von Eifer zur Leistung, von Ertragen unvorstellbarer Mühsal, von schlichter Arbeit um geographische Erkenntnis des weiten Länderraumes zwischen Vaal und Sambesi, dem er die erste kartenkundliche Grundlage gab und in dem er, die ersten Goldfelder entdeckend, den Weg zu einer gewaltigen Goldausbeute wies, von welcher ihm kein einziges Körnchen in die Hände rollte. Ein tragisches Leben, dem seine Landsleute die mit eisernem Fleiß durchgeführte Leistung mit Unverständnis und Vorenthaltung selbst einer bescheidenen Lebensstellung vergalten, weshalb er vorzeitig aus dem Leben schied, ein unvollendetes Werk zurücklassend. Karl Mauch wurde am zu Stetten im Tale des rechten Neckarnebenflusses Rems im württembergischen Oberschwaben geboren. Der Vater, dem Unteroffizierstande angehörend, war eine biedere, tiefreligiöse Natur, die Mutter war lebensfroh und als Kasernenmutter bei den Soldaten beliebt. Der Knabe wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf und wurde in seinem zwölften Lebensjahre nur deshalb auf die Ludwigsburger Realschule geschickt, weil die Lehrer sich bei den Eltern für den begabten Sohn dafür einsetzten. Fast immer den ersten Klassenplatz behauptend, ging er Ostern 1854, ohne daß eine Prüfung von ihm verlangt wurde, auf das Lehrerseminar in Gmünd. Auch hier war er weitaus der beste Schüler und zeichnete sich vor allem in Mathematik und Naturkunde, in Grammatik und Musik aus. Im Herbst 1856 kam er als Hilfslehrer an die Stadtschule zu Isny. Hier aber, in seinem zwanzigsten Lebensjahre, zeigte sich, daß Neigung und Beruf ihm auseinandergingen. Sein Unterricht litt unter dem Eifer, mit dem er sich privaten Studien in Sprachen und Mathematik hingab, so daß er unter Aufsicht eines älteren Lehrers gestellt wurde. Um freier zu sein und einen Blick in die Welt tun zu können, bewarb er sich 1858 um Hauslehrerstellen, die er zuerst in Teschen und dann in Marburg i. St. antrat. In Marburg blieb er zwei Jahre lang und trieb eifrig Studien, die ihm für Forschungsreisen wichtig zu sein schienen. Er sammelte Gesteine, Pflanzen und Kerbtiere, lernte Englisch und Arabisch, las Reisewerke sowie Petermanns geographische Mitteilungen und suchte sich sogar ärztliche Kenntnisse anzueignen. Mauchs württembergische Vorgesetzte sind gewiß von dieser Wendung seiner Laufbahn enttäuscht gewesen, aber in Wirklichkeit handelte es sich gar nicht um eine solche, sondern um den Durchbruch seines eigentlichen Wesens und Strebens, das sich nicht im Einerlei der Volksschule wollte verschütten lassen. Die erste Anregung zu Entdeckungsreisen hatte die Afrikakarte in einem Schulatlas geboten, den der Zehnjährige zu Weihnachten bekommen hatte; die Leere innerhalb des einförmigen Küstenumrisses reizte seine Phantasie, und er hätte gar zu gern gewußt, was es dort wohl zu sehen gab. Später kannte er nichts Schöneres und Aufregenderes als das Lesen von Reisebeschreibungen, in denen die Jagdabenteuer natürlich am stärksten fesselten. Und mit fünfzehn Jahren war er schon so weit gelangt, daß ihm der Beruf des Afrikareisenden als die selbstverständliche und nie mehr aus den Augen verlorene Erfüllung seines Lebens galt. Wenn er auch keinem Menschen davon zu sprechen wagte, so stand dieser Entschluß doch für ihn persönlich fest und sicher. Es ist bewundernswert, mit welcher Zähigkeit er ihn entgegen allen Hindernissen zur Ausführung gebracht hat. Schon früh sagte er: "Wenn ich fortkomme, sieht man mich so bald nicht wieder." Von Marburg nach Trient gereist, richtete er im September 1863 ein Gesuch an die

91 württembergische Schulbehörde um Entlassung, da er sich als Lebensaufgabe den Dienst der Wissenschaft erkoren habe und eine Expedition nach Innerafrika unternehmen wolle. Die Entlassung ward ihm unverzüglich, freilich nur unter der bitteren Bedingung der Rückzahlung der für seine Berufsausbildung dem Staate erwachsenen Unkosten im Betrage von 235 Gulden. Karl Mauch war sechsundzwanzig Jahre alt und arm wie eine Kirchenmaus, als er alle Bindungen zerschnitt und entschlossen auf sein Lebensziel lossteuerte. Es war nicht Leichtsinn, sondern wohl die innere Angst, das Leben könne entrinnen, ehe er seinen großen Traum in Wirklichkeit umgesetzt und die Leistung vollbracht habe, zu der er sich berufen fühlte. Aus einer in Kairo erhofften Stellung wurde nichts. Darauf begab der Abenteurer sich nach London und weilte hier fünf Monate lang, trotz bitterster Armut bestrebt, im Britischen Museum, im Tierund Pflanzengarten sein Wissen zu erweitern. Dann lag er ein Jahr lang, wohl als Matrose, auf See, und schließlich im Januar 1865 gelang es, das heißersehnte Afrika in Durban zu betreten. Siebeneinhalb Jahre Afrika ( ) Der Erdteil seines Herzens empfing ihn wenig freundlich, denn Mauch entging vor der Landung mit genauer Not einem Schiffbruch - ein schlechtes Vorzeichen. Und in der Tat begann sofort ein hartes Leben, Kampf um das tägliche Brot und eine klägliche Unterkunft. Zuerst machte er drei Wochen lang in einer kleinen deutschen Siedlung Landarbeit, ohne Entgelt, aber mit wachsender Verzweiflung. Dann wanderte er mit seinem Bündelchen Habseligkeiten landein nach Pietermaritzburg, wo er fast zweieinhalb Monate in irgendwelcher Beschäftigung verblieb. Aber die Gegend war schon vermessen und bot seinem Forscherdrange nichts. Als er deshalb Gelegenheit fand, mit einem Ochsenwagen nach Rustenburg und damit in das noch wenig bekannte Hochland jenseits des Vaals zu gelangen, verließ er Ende April Pietermaritzburg sofort. Auf der sechsundfünfzigtägigen Wanderung über eine Strecke von etwa 650 km bemühte er sich schon eifrig um die Erkundung des Landes, um durch Heimsendung von Wissensmaterial eine Unterstützung zu erlangen. Hatte er doch inzwischen eingesehen, daß er durch seiner Hände Arbeit viel zuviel Zeit brauchen würde, um Geld zu Reisen zu verdienen. In Rustenburg hielt er sich sieben Wochen lang auf und begab sich dann südwärts nach Potchefstroom, hier wie dort eifrig bemüht, die Umgegend kennenzulernen. Im Mai 1866 trat Mauch seine erste Forschungsreise an, auf der er freilich nur einen Taschenkompaß als einziges Instrument besaß. Er schloß sich dem bekannten Elefantenjäger Hartley an. Sie brachen von der mittwegs Rustenburg und Pretoria gelegenen Hofstelle Hartleys auf und zogen mit Ochsenwagen nordwärts über das Veld, teilweise am Krokodilfluß abwärts, setzten über den Limpopo und gelangten schließlich über die Wasserscheide zwischen Limpopo und Sambesi nach Maschonaland, wo sie in 17 Breite umkehrten, um auf ungefähr gleichem Wege zurückzuwandern. Im Januar 1867 langten sie wieder in Hartleys Hofstelle an. Die zurückgelegte Wegstrecke betrug mehr als 3500 km, sie war so gut wie ganz unerforscht und ist von Mauch erstmalig aufgenommen worden. Von März bis Dezember 1867 unternahm Mauch in Hartleys Begleitung nochmals einen Zug dorthin auf ziemlich gleichem Wege und versuchte seine Anschauung vom Lande wesentlich zu vertiefen. Diesmal entdeckte er drei Goldfelder, zwei in Maschonaland und eins im Tatigebiet; es war das erste Gold, das in Südafrika gefunden wurde. Er fuhr dann nach Pietermaritzburg und erstattete der Behörde Bericht. Damit wurde die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam, und es bildete sich eine Gesellschaft, die er dorthin führen sollte. Unser Landsmann aber - verzichtete, denn er

92 wollte Forschungsreisen machen, nicht Gold suchen. Außerdem fand er Geld vor, das aus der Heimat für ihn angekommen war. Ein schon nach der ersten Reise unternommener Versuch, durch Anfertigung einer Karte von Transvaal - eigentlich die erste Karte des jungen Freistaates - etwas Geld zu verdienen, schlug fehl, da die in Kapstadt vorgenommene Vervielfältigung so schlecht ausgefallen war, daß die Karte nicht in den Handel gegeben werden konnte. Das für Mauch eingetroffene Geld, 3460 Mark, war durch einen von dem gothaischen Kartographen und Redakteur August Petermann zugunsten des Reisenden veranstalteten Aufruf zusammengekommen. Jetzt endlich sah er sich in die Lage versetzt, einige wissenschaftliche Instrumente anzuschaffen, und zwar bestanden diese in der Hauptsache aus einem Taschensextanten mit künstlichem Horizont zur Vornahme von Breitenbestimmungen und einem guten Peilkompaß. Die vier Hauptreisen Seine vier Hauptreisen hat Mauch in den Jahren ausgeführt. So haushälterisch er auch mit dem Gelde umging, lange konnte es nicht reichen, deshalb blieben es im ganzen doch Jahre der Entbehrung und der Plage. Aber sie waren äußerst lichtbringend für die karten-, länder- und völkerkundliche Erkenntnis des weiten Raumes zwischen Vaal und Sambesi, also Transvaals und Südrhodesiens, die beide erst durch Mauchs Arbeiten wissenschaftlich erschlossen wurden. [Vergrößern] Die dritte Reise dauerte vom Mai 1868 bis zum Juni 1869 und bewegte sich durch den Osten

93 Transvaals sowie bis ins Matabeleland. Es war z. T. ein langer Kampf mit Hunger, Durst und Ermüdung in einer ungewöhnlich trostlosen Trockenzeit, infolge deren großer Mangel an Wild und deshalb auch an Kost herrschte. Nicht selten dünkte dem Wanderer ein Stückchen Büffelfell ein köstlicher Leckerbissen. Mauch ging nämlich nicht wieder mit Hartley, sondern ganz allein, weil er neue Wege kennenlernen und auf der Suche nach altägyptischen Ruinen, von denen geredet wurde, bis zum Gleicher vordringen wollte. Nachdem er sich von Pietermaritzburg über Potchefstroom nach Pretoria begeben hatte, trat er am 10. Juli 1868 seine Wanderung an - zum erstenmal mit ein paar Schwarzen und zwei Tieren - und ging nach Nylstroom, mußte hier aber umkehren, da zwischen Buren und Kaffern Krieg ausgebrochen war. Dann wandte er sich von Pretoria ostwärts zu den Drakensbergen bis nach Lydenburg, in dessen Nähe er ein Steinkohlenlager entdeckte. Von dort führte der Weg über den Olifantfluß und den Limpopo zur Quelle des Bubyeflusses, wo er von Kaffern gefangen und als Spion verdächtigt wurde; sie ließen ihn schließlich frei, verboten ihm aber die Weiterreise über Injati, das heutige Bulawayo, hinaus. Nach längerem Aufenthalt in Injati, den er zum Studium der Gegend und der Matabele benutzte, kehrte er im Mai und Juni 1869 auf der ihm von den beiden ersten Reisen bekannten Fahrstraße nach Potchefstroom zurück. Die vierte Reise trat Mauch Ende September 1869 an, nachdem er die jüngst erschlossenen Diamantfelder in der Gegend des jetzigen Kimberley besucht hatte, in seiner Hoffnung auf schnellen Gewinn aber enttäuscht worden war. Die eigentliche Forschungsreise, die er wieder in Potchefstroom begann, führte nordwärts zum Witwatersrand, dessen erst später festgestellter Goldreichtum ihm verborgen blieb, dann nach Nylstroom und zu den Zoutpansbergen. Nach topographisch sehr erfolgreicher Tätigkeit langte er Ende Dezember wieder in Potchefstroom an. Im Januar 1870 versuchte er zum zweiten Male sein Glück in den Diamantfeldern, doch blieb auch diesmal ein Erfolg aus. Die fünfte Reise unternahm Mauch im Auftrage der Transvaalregierung und der portugiesischen Kolonialbehörde von Februar bis Oktober 1870 von Pretoria aus an die Delagoobai und nach Lourenço Marques, um Grenzvermessungen auszuführen. Hier in dem heißfeuchten Küstenlande erlitt er seine ersten Malariaanfälle, die ihn längere Zeit quälten. Die sechste Reise war sehr kurz und fiel in den Dezember 1870 und Januar In dieser Zeit nämlich führte Mauch eine Bootsfahrt auf dem Vaal aus, und zwar von südlich Potchefstroom bis zur Mündung des Mooi bei Hebron in Nähe der Diamantfelder. Er benutzte ein kleines ungefüges Flachboot, mit dem er in mühsamster Arbeit die dreiunddreißig Schnellen des Flusses überwand. Es war das erstemal, daß der Vaal befahren wurde, und das Ergebnis war die Feststellung der Unschiffbarkeit des Flusses. Mit Diamanten hatte er auch bei einem dritten Versuche kein Glück. Nachdem Karl Mauch nunmehr Transvaal genau kennengelernt hatte, wollte er es verlassen und seine Forschungen weit nach Norden hinaus verlegen. In diesem Sinne trat er seine siebente und letzte Reise in Afrika an, die von Ende Mai 1871 bis Juli oder August 1872 währte. Von Botschabelo fuhr er mit einem Wagen nach Matlala und wanderte von dort zu Fuß nach Abbasini, von wo er mit einigen Negern zum Limpopo marschierte. Dann durchquerte er das Gebiet zwischen Limpopo und Sambesi, das er schon auf den beiden ersten Reisen im Westen kennengelernt hatte, jetzt im Osten, und erschloß damit völliges Neuland. Knapp mittwegs der beiden Strome, bevor er den Sabifluß überschritt, geriet er in Gefangenschaft von Negern, aus der ihn aber ein Buer namens Render befreite. In dessen Gesellschaft brachte er in Pikas Kraal die Zeit vom September 1871 bis Mai 1872 zu und lernte währenddessen u. a. die Ruinen des unfernen Simbabje als erster Europäer kennen. Ende Mai 1872 endlich verließ er Pikas Kraal und zog weiter durch Südrhodesien, entdeckte ein Goldfeld, das er nach dem alten Kaiser benannte, und gelangte schließlich über Makombes Stadt an den Sambesi oberhalb von Senna, von wo aus er im Juli 1872 den portugiesischen Hafen Quelimane erreichte.

94 Die letzte Frist Karl Mauch langte, von Malaria geschüttelt, abgerissen und völlig mittellos in Quelimane an. Er war zermürbt, und er sehnte sich nach der Heimat. Afrika lag hinter ihm, und damit die siebeneinhalb wichtigsten Jahre seines kurzen Lebens. Er war müde geworden, und es verlangte ihn wohl, nunmehr sich der wissenschaftlichen Welt Europas ausführlicher mitzuteilen, als er bisher in kurzen Aufsätzen getan hatte. Aber wie die Ankunft in Afrika, so stand auch der Abschied von ihm unter einem düsteren Sterne. Mauch besaß keinen Pfennig Geld und mußte den Kapitän eines französischen Seglers bitten, ihn ohne vorherige Bezahlung des Fahrpreises mitzunehmen; und der Franzose ging, ein Jahr nach verlorenem Kriege, darauf ein. Die Entdeckung von Goldfeldern hatte dem Reisenden ebensowenig Mittel zum Leben eingebracht wie seine geographische Arbeit. Nach einer langen Schiffsreise kehrte Mauch im Januar 1872 nach Deutschland zurück, einem Deutschland, das inzwischen die Einigungskriege durchgemacht, die Franzosen geschlagen, einen Kaiser erhalten hatte und das nunmehr Geld umsetzte in einem Maße, das vorher unvorstellbar gewesen war. Zuerst besuchte der Heimkehrer seinen Gönner Petermann in Gotha und dann seine Eltern in Camburg bei Hall. In Stuttgart hielt er drei Vorträge über seine Reisen und machte sich damit seiner engeren Heimat bekannt. Der König empfing ihn und bewilligte die einmalige Gabe von 800 Gulden. Dann aber ließ sich alles schlecht an. Mauchs Bemühungen um eine staatliche Anstellung, etwa am Kgl. Naturalienkabinett, blieben erfolglos, da er kein akademisches Studium aufzuweisen hatte. Deshalb war er froh, eine von Dr. Otto Kuntze geplante botanische Studienreise nach Westindien mitmachen zu können. Man fuhr von Bremerhaven im Februar 1874 nach St. Thomas, Trinidad und Caracas, wo man sich aber wegen Unstimmigkeiten trennte. Schon im Juni kehrte Mauch wieder heim. Was nun? Der Staat kümmerte sich nicht im geringsten um ihn. Schließlich erbarmten sich die Besitzer einer Zementfabrik in Blaubeuren, die Brüder I. und G. Spohn, des Bedauernswerten und beschäftigten ihn auf ihrem Büro. Damit sah Mauch sich in die Lage versetzt, einen zusammenfassenden größeren Bericht über seine afrikanischen Reisen zu schreiben. Er erschien Ende 1874 unter dem Titel Karl Mauch's Reisen im Innern von Süd-Afrika , und zwar als Ergänzungsheft von Petermanns Geographischen Mitteilungen bei J. Perthes in Gotha. Es ist sein erstes und einziges Buch geblieben, und der Umfang ist mit 52 Quartseiten recht bescheiden. Mauch muß das letzte Jahr seines Lebens in einer tiefen Verbitterung verbracht haben, eingesperrt in einen engsten Kreis, aus dem er keinen Ausweg zu finden vermochte. Dazu plagten ihn Leberleiden, Asthma und Rheuma, weshalb er an Schlaflosigkeit litt. So bleibt nicht mehr viel zu vermelden. Am frühen Morgen des , einem dem Karfreitage folgenden Tage, fand man ihn auf der Straße vor dem Bahnhofsgebäude liegen, in dem er ein Zimmer des zweiten Stocks bewohnte. Das offenstehende Fenster verriet, daß er während der Nacht heruntergestürzt war. Die Wirbelsäule, das Hinterhauptsbein, das rechte Schläfenbein und mehrere Rippen waren gebrochen. Nach Stuttgart ins Ludwigskrankenhaus überführt, ist er am im Delirium gestorben, seines Alters erst achtunddreißig Jahre. Er wurde auf dem Pragfriedhofe in Stuttgart beigesetzt. Daß der König der armen Mutter durch

95 einen Lakaien ein Beileidsschreiben übersandte und daß bei der Beerdigung das Ministerium und die Technische Hochschule vertreten waren, hat die Unterlassungssünde, die man an dem lebenden Afrikareisenden begangen hatte, dem toten nicht wettgemacht. Das Charakterbild Ebenso früh wie Barth und Schweinfurth hat Mauch seinen Lebensweg zum Afrikareisenden betreten, aber sein ganzes Dasein stand unter einem ungünstigen Stern. Er war und blieb immer Autodidakt, aber wenn er auch als Forscher vom Dilettanten zum Fachmann emporstieg, so blieb er dem Leben gegenüber doch Dilettant, der Schwierigkeiten im Bereiche der Widerwärtigkeiten zwar zu überwinden vermochte, der aber das große Auf und Ab des Daseins nie zu meistern verstand. In ängstlichem, um nicht zu sagen kleinlichem Bemühen, nicht von seinem wissenschaftlichen Ziele abgebracht zu werden, ging er der großen Gelegenheit, sein Dasein auf wirtschaftlich gesunde Füße zu stellen, aus dem Wege, indem er es nach seiner zweiten Reise ausschlug, an die Spitze einer Gesellschaft zur Ausbeutung der von ihm entdeckten Goldfelder zu treten. So anerkennenswert es vom geistigen Standpunkte aus zu sein scheint, daß er sich dem Geldmachen versagte, aus größerer Schau gesehen hätte er seiner Forscherarbeit doch mehr gedient, wenn er in etlichen Jahren so viel Geld verdient hätte, um reisen, arbeiten und leben zu können. Indem er groß zu sein glaubte, war er klein. Drei Jahre an der Spitze einer Goldminengesellschaft zu stehen, wäre besser gewesen als später ein Jahr kleiner Angestellter einer Zementfabrik, zu früher Tod und eine unvollendete Lebensarbeit. Betrachten wir Mauchs Kopf, so erblicken wir, soweit der blonde Vollbart eine Analyse erlaubt, ein biederes, ehrenfestes Gesicht von eindeutig fälischer Rassenprägung, blauäugig, etwas dicklich und geistig noch nicht recht durchgearbeitet, da der Dargestellte wohl erst Mitte Dreißig war. Der Körper war hochgewachsen und breitgebaut, dazu von bedeutender Muskelkraft und gewandt in turnerischen Übungen. Sonderbar ist freilich, daß er als Einundzwanzigjähriger bei der Musterung als "bedingt untüchtig" bezeichnet wurde. In Afrika aber erwies er sich als allen Strapazen, denen er sich als Einzelgänger und mit seinem ganzen Gepäck auf dem Rücken unterzog, trotz kümmerlicher Ernährung als hervorragend leistungsfähig. Er stammte aus dem Bauerntum am Nord- und Südrande der Baar, aus der Gegend von Rottweil und Tuttlingen, offenbar aus einem kernigen Geschlecht. Karl Mauch Der Grundzug von Mauchs Gefühligkeit war die schlichte Einfalt eines in sich beruhenden fälischen Menschen. In Gestalt einer tiefen Frömmigkeit gab sie ihm den inneren Halt im Unglück und befähigte ihn zum Ausharren. Eine ausgesprochene Harmonie der Empfindungen beseelte ihn und ließ ihn schon von seiner älteren Knabenzeit an als gefestigte Persönlichkeit mit einer nachtwandlerisch sicher erkannten Lebenslinie erscheinen. Er nahm das Leben schwer, wühlte und bohrte sich in die Probleme, die es ihm stellte, hinein, faßte die Dinge sachlich ins Auge und wußte mit den unmittelbaren Gegebenheiten zu rechnen. Diese Art fühlt sich der Natur eng verbunden und

96 liebt es, ihr durch Wandern so nahe wie möglich zu kommen, wie denn sein Leben eigentlich als eine einzige große Wanderung dahinrann. Mit Vorliebe trug er draußen eine Blume zwischen den Lippen; dies war so bezeichnend für ihn, daß man noch dem Toten, als er in den Sarg getan wurde, eine Blüte auf den Mund legte. Er war ein großzügiger und edel gesinnter Mensch, ohne Falsch und vollkommen uneigennützig, wie allein sein Verzicht auf die Ausbeutung seiner Goldfelder zeigt. Sein Ich galt ihm gegenüber der wissenschaftlichen Forschung nichts, ohne Besinnen setzte er Leib und Leben dafür ein. Seine ideale Gesinnung befähigte ihn, der gewiß frei von Leichtsinn war, ohne einen Pfennig Geld nach Afrika zu gehen und dort alle Mühsal und Plage tapfer durchzustehen. Dabei war er durchaus kein finsterer und abweisender Mensch, sondern lustig, musik- und gesangliebend, ein anregender und beliebter Gesellschafter, der von ausgestandenen Mühen und Plagen mit köstlichem Humor zu erzählen wußte. In diesem einfachen und gutmütigen Menschen nun lebte eine nicht zu zerbrechende Willenhaftigkeit. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahre stand ihm als Ziel die Tätigkeit eines Afrikareisenden unverrückbar fest. Zu diesem Zwecke war er ein fleißiger Schüler, trotzdem ihm in seiner Seminarzeit schon klar war, daß er kein Lehrer werden wollte. Später befliß er sich des Erwerbes kaufmännischer und sprachlicher Kenntnisse, weil er sich Nutzen davon versprach, leichter nach Afrika zu gelangen. Dieses Verlangen trieb in dem immer noch durch Armut Behinderten wunderliche Blüten; so nahm er beim Schlafengehen Ringelnattern mit ins Bett, um sich an Schlangen zu gewöhnen! Als er sich einmal auf dem Schulwege verspätet hatte, überkletterte er schnell entschlossen die Stadtmauer, weil ihre Umgehung zu viel Zeit gekostet haben würde. Während seines Aufenthaltes in Marburg unternahm er Fußwanderungen von km am Tage zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter, oft ohne etwas zu essen und zu trinken. Um überhaupt nach Afrika zu gelangen, heuerte er schließlich als Matrose an, und drüben in Afrika nahm er es als selbstverständlich hin, daß er zu Fuß gehen und seine Ausrüstung auf dem Rücken schleppen mußte - in Hitze und Kälte, bei Hunger und Durst. Da geschah es denn auch nicht selten, daß er auf den einsamen Burenhöfen als abgerissener Stromer von der Schwelle gejagt wurde und die Nacht draußen im Regen zubringen mußte, durchnäßt und zähneklappernd. Eine Nacht überstand er nur auf einem Baume hockend, während unten Löwen umgingen. Er schrieb selber: "Auf solche Weise ein Land zu erforschen, ist schlimmer als Zuchthausarbeit." Wer derart reisen mußte und trotzdem den Mut nicht verlor, der hatte die Willensprobe wahrlich bis zum Letzten bestanden, den konnte nichts mehr schrecken. Ein gewaltiges Selbstvertrauen und eine alles überwindende Leidenschaft zum Forschen beseelten ihn und machten dem Sechsundzwanzigjährigen den Entschluß leicht, ohne Geld und ohne Hilfsmittel nach Afrika zu gehen. In dem Verlangen, etwas Tüchtiges zu leisten, setzte er alle Rücksichten einer kleinlichen Lebensvernunft hintan. Er verlor niemals den Mut, selbst in den schlimmsten Lagen - Not oder Gefangenschaft - belebte ihn die Zuversicht, daß es doch einmal besser gehen müsse. Eiserne Ausdauer befähigte ihn, sein gestecktes Hochziel nicht eine Sekunde lang aus den Augen zu verlieren. Als er aus der Heimat etwas Geld erhielt, verzichtete er sofort auf die verheißungsvolle Ausbeute seiner Goldfelder, um ja nicht von seiner wissenschaftlichen Arbeit abgelenkt zu werden. Daß seine Armut ihn verhinderte, noch mehr zu leisten, als er unter Entbehrungen geleistet hat, lag außerhalb seines Willens. Er war eine Entweder-Oder-Natur, wie er schon 1863 in seinem an die württembergische Schulbehörde gerichteten Entlassungsgesuch schrieb: "... ich kenne hierin nur das aut-aut: entweder für dieses erhabene Ziel zu leben oder aber für die Welt abzusterben." Bei der Frage nach Mauchs Geistigkeit und Leistungen müssen wir davon ausgehen, daß er über die Schulbildung eines Realschülers und Seminaristen verfügte, die er durch Selbstlernen nach der mathematischen, naturwissenschaftlichen und sprachlichen Seite ergänzt hatte. So sah er sich in Südafrika in der Lage, nicht nur Wegaufnahmen mit Kompaß und Uhr, sondern astronomische

97 Breiten- und Längenbestimmungen sowie geologische Untersuchungen zu machen, Anforderungen, denen Barth, Rohlfs und Nachtigal teilweise nicht in dem Maße gewachsen waren. Man kann diese seine Leistungen wirklich nur bewundern, mögen seine Breiten auch nicht den letzten Ansprüchen genügen. Er wurde von einer unbändigen, geradezu fanatischen Liebe zur Wissenschaft beseelt und ging mehr als mancher Gelehrte im wissenschaftlichen Denken auf; dies beweist schlagend sein Verzicht auf Ausbeutung der Goldfelder. Sein Reise- und Arbeitsgebiet umfaßte den ganzen Südosten Afrikas vom Vaal bis zum Sambesi. Hier hat er in siebenjähriger harter Arbeit die astronomischen, topographischen und geologischen Grundlagen der Karte geschaffen, die eine spätere Zeit dann ausgebaut hat; das Land zwischen Limpopo und Sambesi, das heute den Namen Südrhodesien trägt, hat er überhaupt als erster wissenschaftlicher Beobachter, und zwar viermal durchwandert. Daß der weiße Fleck, der zur Zeit seiner Ankunft in Afrika den weiten Raum zwischen Vaal und Sambesi auf der Karte einnahm, von Punkten und Linien durchgittert erschien, als er Afrika verließ, das ist in allererster Linie Mauchs Verdienst. Gewiß, er ist kein Vollender geworden, sondern nur ein Vorläufer geblieben, aber er begnügte sich nicht damit, einzelne Reisewege zu erkunden, sondern strebte nach Schaffung einer flächenhaft ausgefüllten Karte, und hierin steht er allen Afrikareisenden seiner Zeit voran; seine große Zweiblattkarte von Transvaal in Petermanns Mitteilungen beweist das ganz klar. Außer ihr gibt es eine Anzahl Aufsätze und Sonderkarten von Mauch in Petermanns Mitteilungen sowie das oben erwähnte Ergänzungsheft zu dieser geographischen Zeitschrift. In Anbetracht eines siebeneinhalbjährigen Arbeitens in Afrika ist das nicht viel, aber wir wollen nicht vergessen, daß es ihm aus Geldmangel an ruhiger Arbeitszeit gebrach und daß er schon mit achtunddreißig Jahren starb. Die Frage, ob Mauch die Fähigkeit besessen hätte, gleich einem Nachtigal sein Wandergebiet in einer zusammenfassenden Länderkunde zu behandeln, müssen wir mit Ja beantworten. Man braucht nur den Abschnitt "Das Gebiet zwischen Limpopo und Sambesi" seines einzigen Buches zu lesen, um zu erkennen, daß in Mauch ein geborener Geograph gelebt hat, der sogar schon - vor Richthofen - morphologische Probleme erkannte und vollkommen richtig löste. Auch ein Volk wußte er gut zu behandeln, wie die dort gegebene Monographie der Makalaka zeigt. So können wir nur voller Trauer von Karl Mauch Abschied nehmen, dem der Unverstand einer vergangenen Zeit die Mittel vorenthielt, sich selbst und sein Lebenswerk zu vollenden. An Unternehmungsgeist und Ausdauer war er Livingstone, der weiter westlich und nördlich arbeitete, vollkommen gewachsen, an wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit war er ihm überlegen, an Glück freilich (und das heißt hier nur Geld) blieb er ihm unterlegen, weil er in der Heimat nicht die Unterstützung fand, auf die er Anspruch erheben konnte und die der Schotte in so reichem Maße erhielt. Das damalige Deutschland hat in ihm ein Talent zerrieben, das ihm in der kaum zehn Jahre nach seinem Tode anhebenden Zeit der Kolonialgründung von allergrößtem Nutzen hätte sein können. Mauchs literarischer Nachlaß, bestehend aus fünf Tagebüchern und drei Zeichenheften, kam nach seinem Tode an seinen in Neuyork als Apotheker lebenden Bruder, befindet sich aber jetzt im Linden-Museum zu Stuttgart. E. Mager hat ihm in dem Buche Karl Mauch, Lebensbild eines Afrikareisenden 1889 ein Denkmal gesetzt, Hans Offe hat sein Andenken 1937 in dem zu Mauchs hundertstem Geburtstag erschienenen Büchlein Carl Mauch, Leben und Werk eines deutschen Afrikaforschers wachgerufen.

98 Die politische Besitzergreifung Hermann von Wissmann Die erste deutsche Kolonialtruppe kämpft und siegt Der zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutz der deutschen Belange in Ostafrika als Reichskommissar ernannte Hauptmann und Forschungsreisende Wissmann ritt am Morgen des 8. Mai 1889 aus den engen Gassen der fast menschenleeren Hafenstadt Bagamojo zum Exerzierplatz hinaus, wo seine Truppe mit Sonnenaufgang bereitstehen sollte. Sein scharfes Auge überflog die Aufstellung. Die fünf Sudanesenkompanien standen stumm und eisig bei ihren Gewehren, der Scharfschützentrupp der vierzig deutschen Unteroffiziere unterhielt sich leise, die fünfzig eingeborenen Askari und die Mannschaften der drei kleinen Geschütze machten ebenfalls einen ganz guten Eindruck. Aber die Sulukompanie da, die Kerls schnatterten aufgeregt durcheinander, und jetzt fingen wahrhaftig zwei von ihnen einen Kriegstanz an! Der Soldat in Wissmann runzelte die Brauen, der Afrikaner in ihm aber lächelte und beruhigte jenen mit dem Gedanken, daß man diese noch kaum gedrillten Wilden gewähren lassen müsse, um ihnen die Kampfesfreude nicht zu nehmen. Jetzt ritt der Adjutant an den Führer heran: "Herr Reichskommissar, die Boote der Marine setzen eben erst von den Schiffen ab, es wird noch eine Stunde dauern, bis die Matrosen marschbereit stehen." Wissmann murmelte etwas und rief: "Wenn sie doch nur wegbleiben wollten, wir schaffen es mit unseren Leuten ganz allein. Aber der Admiral will natürlich für die Marine auch etwas Lorbeer pflücken. Hätte ich ihm doch nur keine Mitteilung gemacht, daß ich heute Buschiris Lager angreifen will! Schickt er da noch gestern abend spät den Korvettenkapitän und läßt mir 200 Matrosen zur Unterstützung anbieten. Ich lehne natürlich dankend ab und erkläre, daß meine Truppe völlig ausreiche und ich seit zehn Jahren mit afrikanischen Verhältnissen vertraut sei. So streiten wir eine Stunde lang hin und her, bis mir der Herr sehr kühl eröffnet, der Admiral werde, ich möge wollen oder nicht, am nächsten Morgen um sechs Uhr zu meiner Unterstützung 200 Mann landen." Der Adjutant verzog sein Gesicht, als ob er Essig verschluckte. Er sagte: "Und der Korvettenkapitän steht im Range höher als Sie, Herr Reichskommissar." "Hab ich mir natürlich auch gesagt, bin ja nur Hauptmann. Kann ihm auf dem Marsch und im Gefecht keine Befehle erteilen, sondern muß ihn ergebenst ersuchen. Und passen Sie auf, das bringt uns noch irgendwelche Nachteile. Ich will bekennen, ich habe einen Augenblick überlegt, ob wir nicht schon früher, bei Nacht und Nebel abrücken sollten, aber es schien mir dann doch richtiger, unser ohnehin schon etwas gespanntes Verhältnis zur Marine nicht noch stärker zu belasten, nur damit wir allein den Ruhm des Siegers erwerben. Der alte Seebär von Admiral hat allerhand Verdienste und meint es bei aller Schroffheit ja schließlich gut." Endlich landeten die Boote, und die Matrosen setzten sich unter Führung jenes Korvettenkapitäns zum Exerzierplatz in Bewegung, so daß die Truppe in Marschordnung zu einem antreten konnte. Voran als Spitze die fünfzig Askari und hinter ihnen Wissmann mit seinem Stabe; dann zwei Kompanien unter von Gravenreuth, hinter denen die drei kleinen Geschütze kamen; jetzt die vierzig deutschen Unteroffiziere als Scharfschützenkorps und hinter ihnen die 200 deutschen Matrosen unter Hirschberg; sodann wieder zwei Sudanesenkompanien unter Schmidt, weiter eine Sudanesenund eine Sulukompanie unter von Zelewski; zuletzt Träger und Irreguläre. Ohne die letzteren waren

99 es zusammen gegen 900 Mann. Wissmann klopfte das Herz bis zum Halse, als er um sieben Uhr den Befehl zum Abmarsch gab. Er war sich bewußt, daß hier die erste deutsche Kolonialtruppe ins Gefecht zog und daß das ganze Schicksal seiner Sendung von diesem Tage abhing. Die Truppe entbehrte noch jeder richtigen Schulung, der Feind war tapfer und grausam, sein befestigtes Lager mußte erst aufgespürt werden, denn man hatte noch keine genaue Nachricht über seine Lage erhalten können. Aber man würde es schon schaffen, nur keine Sorge, es war ja nicht sein erster Zusammenstoß mit Arabern und Negern. Der Marsch ging zunächst eine Stunde lang durch verödete Felder und an zerstörten Häusern und Hütten vorbei, dann über welliges Land, aus dessen hohem Grase vereinzelte Bäume und Büsche aufragten. Am Himmel zogen weiße Wolken und spiegelten sich in den Wasserlachen der Niederungen, denn man war noch in der Regenzeit. Nach anderthalb Stunden Marsch meldete die Spitze, daß sie Buschiris Boma auf 700 m Entfernung dicht vor einem Walde von Kokospalmen zwischen Büschen gesichtet habe. Wissmann ließ die Spitze halten und die Kolonnen aufschließen. Dann gab er Befehl, daß von Gravenreuth mit seinen beiden Sudanesenkompanien und den drei Geschützen als Zentrum vor der Vorderseite der Boma haltmachen und daß dahinter die Matrosen als zweites Treffen Aufstellung nehmen sollten. Schmidt mit zwei Sudanesenkompanien und den Unteroffizieren hatte sich links, von Zelewski mit der Sudanesen- und Sulukompanie rechts in die Flanken der Boma vorzuschieben, mit dem besonderen Auftrage, ihre Aufmerksamkeit der Rückzugslinie der Verteidiger zuzuwenden und diese an der Flucht zu hindern. Wie sich später herausstellte, war die Boma sehr stark befestigt. Sie war ein großes Viereck mit pallisadengekröntem Erdwall und tiefem Graben, innen mit Flachdachhäusern und Spitzhütten bebaut. Die Besatzung war dem Angreifer zahlenmäßig ungefähr ebenbürtig und bestand überwiegend aus Arabern und Beludschen, die sich zäh verteidigten und erst nach schweren Verlusten wichen. Sie waren fanatische Mohammedaner und überzeugt, daß sie den Islam gegen verächtliche Ungläubige, ihr Dasein als Sklavenhändler gegen unberechtigte Unterdrückung verteidigten. Ihr Führer, der Araber Buschiri, hatte sie aufgehetzt und galt unter der arabischen und negerischen Bevölkerung des Küstengürtels als eine Art Glaubensheld. Er war mit großer Grausamkeit gegen alles vorgegangen, was Europäer hieß oder sich zu den Europäern hielt. Langsam rückte das Zentrum vor. Auf 400 m Entfernung bemerkte Wissmann, daß ein großer weißer Maskatesel, Buschiris Reittier, von seinem Weideplatze zur Boma geleitet wurde. Ha, das war ja für Buschiri die Möglichkeit, rasch zu entkommen, aber die wollte er ihm versalzen. Anerkannt guter Schütze und Jäger, legte Wissmann die Büchse an, zielte kurz und ließ fliegen - der Reitesel sprang getroffen hoch und wurde schnell abgeführt. Erstaunliches Bild: der junge Feldherr eröffnet den Kampf durch einen wohlgezielten Schuß! Jetzt aber begann die Pallisade Feuer zu speien, und auch ihre drei alten Vorderladerkanonen quälten sich etliche Schüsse ab. Da das Feuer zu hoch ging, ließ Wissmann die Sudanesen sprungweise noch weiter vorrücken, und auch die Geschütze wurden vorgezogen, weil sie wegen ihrer niedrigen Bauart in dem hohen Grase nicht zum Richten gelangen konnten. Der junge Hauptmann freute sich, eine wie eiserne Feuerdisziplin die von ihm selber in Ägypten angeworbenen Sudanesen hielten. Die Granaten der Geschütze saßen gut und richteten in der Umwallung einigen Schaden an, brachten auch Buschiris alte Böller zum Schweigen. Jetzt aber trat etwas ein, was Wissmanns Plan, zunächst mit seinen beiden Flügeln die Boma rechts und links zu umfassen und dann erst mit dem Zentrum den Hauptsturm zu unternehmen, durchkreuzte. Der Korvettenkapitän erkannte dies nicht, oder er wollte den Haupterfolg des Tages

100 für die Marine buchen, jedenfalls ließ er Wissmann mitteilen, er werde in das Feuergefecht eingreifen und die Sudanesen mit sich fortreißen. Wissmann, der, ganz vorne stehend, keinen Augenblick lang Übersicht und Ruhe verlor, erkannte sehr wohl, daß es zum Sturm noch zu früh war, denn sein rechter Flügel (von Zelewski) lag noch mit Arabern, die ihm entgegengetreten waren, im Kampfe und konnte deshalb nicht schnell genug vorwärtskommen. Deshalb bat er den Korvettenkapitän dringend, noch zu warten, aber dieser ließ sich nicht mehr halten, sondern schob sich in die Schützenlinie von Gravenveuths Sudanesen ein. Aus diesem Nebeneinander von Deutschen und Afrikanern zweier verschiedener Waffengattungen und selbständiger Truppenteile ergab sich sofort ein blindeifriger Wettbewerb, an den Feind zu kommen. Da blieb Wissmann nichts anderes übrig, als das Signal "Seitengewehr pflanzt auf" blasen zu lassen, dann ein letztes rasendes Schnellfeuer auf die Boma, und in wildem Rennen ging es, Weiße und Schwarze, Schutztruppe und Marine durcheinander, über die letzten 300 m Entfernung gegen den feuerspeienden, pulverqualmverdunkelten Wall. Schmidt und von Zelewski eilten jetzt gegen die beiden Seiten der Boma, da sie keine Zeit mehr zu finden glaubten, deren Rückseite zu umfassen. Zum ersten Male in der Geschichte stürmte eine deutsche Truppe unter deutscher Flagge und mit deutschem Hurra auf afrikanischer Erde. Der erste, der sich durch eine von den Granaten gerissene Lücke durch die Pallisaden drängte, war Leutnant Sulzer von Gravenreuths Sudanesen, als zweiter überkletterte Leutnant zur See Schelle den Zaun, freilich um drinnen sofort den Heldentod zu sterben. Dann begann ein furchtbares Würgen und Morden in den Lagergassen und Hütten, deren jede einzeln gestürmt werden mußte, denn die Araber und Beludschen setzten sich wie wilde Tiere zur Wehr. Zuletzt fing ein Teil aber doch an zu weichen, und vielen von ihnen gelang es, in den Palmenwald zu entkommen. Die nachgeschickten Verfolger kehrten bald zurück, da es zwecklos war, den Fliehenden, die sich zwischen den Bäumen sofort zerstreuten, weiter nachzusetzen. Die Befestigung der Boma wurde sofort zerstört, ihre Häuser und Hütten nach afrikanischer Sitte in Brand gesteckt. Buschiri war zwar entkommen, aber sein Ansehen blieb seitdem bei den Eingeborenen erschüttert, und viele Anhänger fielen von ihm ab; noch im gleichen Jahre wurde er gefangen und gehängt. Die junge Wissmanntruppe hatte sich glänzend bewährt und zusammen mit der Marineabteilung nur 12 Tote gehabt, während der Feind 106 Tote zurückließ. Tragikomisch entwickelte sich der noch am selben Tage angetretene Rückmarsch. Während die farbigen Truppen und ihre großenteils in Afrika schon bewährten weißen Offiziere frisch zurückmarschierten, litten die Matrosen unsäglich unter der Marschanstrengung in der feuchten Tropenhitze. Viele von ihnen mußten von Schwarzen getragen werden, und Wissmann selber bot dem Korvettenkapitän sein Reitpferd an, das dieser seufzend annahm. Wissmann und sein Adjutant blickten sich lächelnd an. Vom Kadetten zum Afrikaforscher Während wir uns bisher mit Afrikareisenden beschäftigt haben, die ihrem Leben eine wissenschaftliche Richtung gaben, wenden wir uns jetzt solchen zu, für welche die Wissenschaft nur eine Nebenrolle spielte oder in gar keiner Weise in Betracht kam. Konnte Barth überhaupt noch keine Beziehung zum Kolonialgedanken haben, so hat Schweinfurth nur theoretisch mit ihm zu tun gehabt, und auch für Rohlfs und selbst für Nachtigal hat der deutsche Kolonialgedanke erst in ihrer letzten Lebenszeit eine größere Rolle gespielt. Aber jetzt gelangen wir zu wirklichen Kolonialpionieren, denen es mit dem deutschen Kolonialreiche blutiger Ernst ist, die mehr und mehr ihre Gedankenwelt auf ein solches einstellen und die ihr Leben dafür ohne Besinnen in die Schanze schlagen. Der eine, Adolf Lüderitz, gründet aus kaufmännischem Denken heraus

101 Südwestafrika, der andere, Carl Peters, gründet, anfangs wohl von Geltungsbedürfnis getrieben, Ostafrika. Der dritte, Hermann Wissmann, beginnt als Forschungsreisender im Stile der älteren Entdecker, wird dann aber Kolonialpionier, wenn auch in kongostaatlichen Diensten, und sichert schließlich durch siegreiche Niederwerfung des Araberaufstandes Ostafrika dem Reiche. Der letzte endlich, von Lettow, verteidigt diese selbe Kolonie mehr als vier Jahre lang mit einer Handvoll Leute gegen erdrückende Übermacht. Weder Lüderitz noch Peters noch Lettow haben in Afrika wissenschaftliche Zwecke verfolgt, und auch Wissmann ist bald von solchem Streben abgekommen. Der wagende Geschäftsmann Lüderitz wie der ehrgeizige Abenteurer Peters und ebenso die beiden hervorragenden Kolonialsoldaten Wissmann und von Lettow - alle vier sind Zeugen deutscher Unternehmungslust und Leistungshaftigkeit, aber auch deutschen Dranges und Zwanges, in Übersee jenen Lebensraum zu schaffen und zu erhalten, der unserem Volke in Europa fehlte. Dem geistigen Anspruche der ersten Reihe von Reisenden fügen sie den politischen Anspruch Deutschlands auf freie Bahn in Afrika hinzu. Hermann Wissmann kam am 4. September 1853 als ältester Sohn eines Regierungsrates in Frankfurt a. d. O. zur Welt. Da im gleichen Augenblicke draußen die Wachtparade den Präsentiermarsch spielte, so rief der Vater aus: "Du, Lieschen, aus dem Jungen wird was Großes werden." Der Vater wurde oft versetzt, zuerst nach Langensalza, dann nach Erfurt, sodann nach Kiel und zuletzt nach Berlin ins Ministerium. Hermann war ein lebhaftes und begabtes Kind und deshalb aller Leute Liebling, die ihn das kleine hübsche Lockenköpfchen nannten. Unter seinen Spielgefährten zeichnete er sich bald durch ausgelassene Munterkeit und Waghalsigkeit aus, weshalb er oft ihr Führer wurde. In Kiel kam er mit dreizehn Jahren aufs Gymnasium; hier hatte sich der kleine Altpreuße gegen die Hänseleien der Neupreußen mit Wort und Faust zu wehren, aber er setzte sich schließlich durch. Im Jahre 1869 nach Berlin versetzt, starb der Vater sehr bald darauf. Der Sechzehnjährige kam nach Neuruppin in Pension und aufs Gymnasium. Mit den Wissenschaften war es bei ihm nicht sonderlich bestellt, mit Erdkunde und Geschichte ging es, und im Turnen war er noch besser, aber sonst... Als der Siebziger Krieg ausbrach, meldete er sich, knapp siebzehn Jahre alt, freiwillig, wurde jedoch zu seinem Schmerze als zu jung zurückgewiesen. Nun aber stand in ihm felsenfest, was wohl die aus altadliger Offiziersfamilie stammende Mutter schon manchmal gewünscht hatte: du mußt Offizier werden. Um dies zu beschleunigen, trat er sofort in das Kadettenkorps ein. Hier sagte ihm die Beschränkung seiner freien Zeit zwar nicht recht zu, aber um so besser gefiel ihm der männliche Ton und das militärische Element. Sein Übermut brachte ihn allerdings mehr als einmal in Arrest. Es folgten die Fähnrichsprüfung und der Eintritt in das Füsilierregiment Nr. 90 in Rostock. Nach Besuch der Kriegsschule wurde er 1874 zum Leutnant befördert. Die Leutnantszeit in Rostock währte sechs Jahre lang. Er war seinen Leuten im Turnen, Fechten und Schwimmen ein Vorbild. Derb aber freundlich, streng aber gerecht packte er die Rekruten an und flößte ihnen durch seine Gutherzigkeit Vertrauen ein. Doch so stramm er im Dienst war, so wild schlug er außerhalb seiner über die Stränge, daß er bald den Spitznamen "der tolle Wissmann" erhielt. Gleich im ersten Jahre gab es ein Pistolenduell mit einem bekannten Raufbolde, der dabei schwer verwundet wurde. Die Folge waren vier Monate Festung auf der Zitadelle zu Magdeburg, wo es dann besonders hoch herging. Im zweiten Jahre rettete er drei Menschen vom Ertrinken, was ihm die Rettungsmedaille und den Kronenorden eintrug. Im dritten Jahre, oder war es im vierten, verhaftete er nachts, als er lärmend von einer Kneipe heimkehrte, einen Herrn, der ihn zur Ruhe ermahnte und behauptete, er sei der Polizeipräsident. Leider konnte der Herr seine Behauptung nicht gleich beweisen, weshalb er zur nächsten Militärwache mitgehen mußte, von wo der Leutnant Wissmann ihn seiner eigenen Polizeibehörde zuführen ließ. Der Regimentskommandeur dürfte von

102 dem tollen Wissmann oft nicht sehr erbaut gewesen sein, soll aber eines gewissen Verständnisses für seine Sonderart nicht ermangelt haben. Von seiner militärischen Tüchtigkeit jedenfalls war er offenbar überzeugt, sonst hätte er ihm nicht die Ausbildung der Einjährigen, großenteils Studenten, anvertraut. Aber es sollte alles ganz anders kommen, als Vorgesetzte und Kameraden, ja als Wissmann selber gedacht hatte. Im Jahre 1879 nämlich lernte der Leutnant in Rostock den Afrikareisenden Dr. Paul Pogge kennen und erlangte im Umgang mit ihm die plötzliche Erkenntnis, daß der Militärdienst allein ihn nicht völlig ausfüllte und daß sein Sehnen nach einer Betätigung als Afrikaforscher ging. Was er früher beim Lesen von Reisebeschreibungen schon immer dunkel geahnt hatte, das wurde ihm nunmehr Gewißheit, und er lag Pogge an, ihn auf seiner nächsten Reise mitzunehmen. Und jetzt geschah das Unerwartete - der wilde Leutnant setzte sich auf die Hosen und begann seine Wissenslücken auszufüllen. Auf der Seemannsschule hörte er Astronomie und Meteorologie, an der Universität belegte er Zoologie und Geologie, übte sich in topographischen Aufnahmen und eignete sich sogar bei verschiedenen Handwerkern gewisse Fertigkeiten an. Einen Oheim, früheren Mitschüler des Kriegsministers, spannte er erfolgreich für seinen Wunsch ein, auf zwei Jahre beurlaubt zu werden. Mit einem Worte, aus dem tollen Leutnant wurde in Frist eines halben Jahres ein ernster Mann, der ein erstrebenswertes Lebensziel vor Augen sah und an diesem über sich selber hinauswuchs. Die Afrikanische Gesellschaft, damals von Gustav Nachtigal geleitet, bewilligte dem Dr. Paul Pogge und seinem Begleiter Hermann Wissmann Mark, damit sie von Angola aus in das Lundareich vordringen und von einer dort zu errichtenden Station aus Vorstöße nach Norden in den großen und vollständig unbekannten Bogen des erst kurz vorher von Stanley entdeckten Kongostromes ausführen konnten. Wissmann fiel dabei die Aufgabe der Routenaufnahme zu. Im Dezember 1880 in dem Hafen São Paulo de Loanda angelangt, begab Pogge sich mit seinem Begleiter sofort ins Innere nach Malange, wo die Trägerkarawane zusammengestellt und das Ende der Regenzeit abgewartet werden sollte. Die Ausrüstung war, um das Reisegeld zu schonen, sehr dürftig, selbst auf Zelt, Bett und Moskitonetz war verzichtet worden. In Malange bekam Pogge ein schweres Zahn- und Kieferleiden, das im Verein mit Malaria und Ruhr seine Leistungsfähigkeit stark herabsetzte und später auf der Reise oft ganz ausschaltete, so daß Wissmann, obwohl Neuling in afrikanischen Unternehmungen, bald viel selbständiger wurde, als eigentlich vorgesehen war. [Vergrößern]

103 Erst Anfang Juni 1881 wurde der Vormarsch angetreten. Von Kimbundu aus wanderte man durch unbekanntes Land, erreichte den Kassaistrom, kam in das Land der Baschilange und über den Lulua in das der Lubuku, wo ein längerer Erholungs- und Studienaufenthalt genommen wurde. Weiter ging es zu dem sagenhaften Munkambasee, der sich als viel kleiner denn erwartet herausstellte, sodann in das Land der Bassonge und zum Sankuru- (Lubilasch-) Strome. Endlich Mitte April 1882 wurde der obere Kongo oder Lualaba bei Njangwe erreicht, von wo Stanley seine Bootsfahrt den Kongo hinab angetreten hatte und wo die äußerste Station der arabischen Sklaven- und Elfenbeinhändler der Ostküste war. Mit der Strecke von Kimbundu bis Njangwe war ein gewaltiges Stück Innerafrika, schräg über sieben Längenkreise und quer durch den Süden und Osten des Kongoflußnetzes reichend, zum ersten Male der geographischen Erkenntnis erschlossen worden, aber man darf nicht vergessen, daß dies Pogges geistige Leistung war, während Wissmann mehr durch Tatkraft seinem fünfzehn Jahre älteren Lehrer in afrikanischen Dingen unter die Arme griff. In Njangwe trennten sich die beiden Gefährten, Pogge kehrte in das Gebiet seiner eigentlichen Aufgabe, ins Lundareich zurück, Wissmann aber wandte sich Anfang Juni 1882 zur Ostküste. Er war fast mittellos, besaß nur wenig Träger, bekam Ruhr und hatte keinerlei Arzneimittel bei sich. Mit Mühe erreichte er das Westufer des Tanganjikasees, vermochte hier aber doch dessen zum Kongo führenden Ausfluß genauer zu untersuchen. Über den See nach Udschidschi gelangt, wanderte er durch die verrufene Landschaft Uha, besuchte den berühmten Häuptling Mirambo, der ihn gut aufnahm, lernte in Tabora den einflußreichen arabischen Händler Tippu Tip kennen, mit dem er sich ebenfalls gut zu stellen wußte, und langte Mitte November 1882 in der Küstenstadt Saadani, kurz darauf in Sansibar an - fast in Lumpen, mit langen Haaren, mehr einem Wegelagerer ähnelnd. Auf seinen Wunsch erhielt er aus Berlin einen Kredit von Mark, so daß er seine in Njangwe und Udschidschi bei arabischen Händlern gemachten Schulden bezahlen und sich neu ausstatten konnte. Ende Dezember erreichte er Kairo, wo er einen längeren Aufenthalt nahm, um dem deutschen Winter aus dem Wege zu gehen. Eine angeborene asthmatische Veranlagung, dazu Malaria und Ruhr hatten ihm viel zu schaffen gemacht und sollten ihn in Afrika auch später noch genug quälen. Erst im April 1883 war er wieder in der Heimat, wo er zuerst der Afrikanischen Gesellschaft Bericht erstattete. Mit dieser seiner ersten Reise ( ) wurde Wissmann der erste Deutsche, der das tropische Afrika durchquerte, und der erste Europäer überhaupt, der es von West nach Ost durchwanderte; freilich hatten die Engländer Cameron und Stanley es kurz vorher von Ost nach West durchzogen. Pogge und Wissmann hatten zusammen nicht mehr als Mark verbraucht, waren allerdings auch sehr bescheiden gereist. - Wissmann hatte sich schnell den Ruf eines tüchtigen Afrikareisenden erworben, obwohl er sich gar nicht die Zeit nahm, sein Reisewerk auszuarbeiten; dieses erschien vielmehr erst 1889, betitelt Unter deutscher Flagge quer durch Afrika. Schon ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr ging er wieder nach dem dunklen Erdteil, und zwar diesmal im Auftrage Leopolds II., Königs der Belgier und Herrschers des Kongostaates, der eine Festlegung des Laufes des Kassai wünschte, des größten linken Nebenflusses des Kongo. Da der König reiche Mittel zur Verfügung stellte, so vermochte Wissmann, damals erst einunddreißig Jahre alt, die Expedition glänzend auszustatten und vier Deutsche als wissenschaftliche Mitarbeiter einzustellen; es waren dies L. Wolf als Anthropologe, C. von François (der spätere Besieger Hendrik Witboois) als Topograph, F. Müller als Meteorologe und H. Müller als Zoologe und Botaniker. Die Gesellschaft ging Mitte November 1883 von Hamburg ab und langte Mitte Januar 1884 in Loanda an, von wo man landein wieder nach Malange vorrückte; hier traf Wissmann seinen afrikanischen Lehrer Paul Pogge, der todkrank aus dem Lundareiche zurückkam, um kurze Zeit darauf in Loanda zu sterben.

104 Von Malange brach die Expedition, diesmal mit 320 Trägern, Mitte Juli 1884 nordostwärts auf; zum Überschreiten der zahlreichen Ströme führte sie ein Stahlboot mit. Nach Überfahren der Flüsse Kuango und Kongollo gelangte man Mitte Oktober an den Kassai und ging weiter bis zum Lulua, wo im Lande der Baschilange die befestigte Station Luluaburg angelegt wurde. Ende Mai 1885 trat die Expedition in Booten die Fahrt zum Kongo an. Der Lauf des Kassai wurde dabei von der Einmündung des Lulua an bis zu seiner Mündung in den Kongo befahren und unter vielen Gefechten mit anwohnenden Negerstämmen als ein gewaltiger Strom festgestellt, dessen Breite zwischen 300 und m wechselt. Auch die Einmündungen des Sankuru und Kuango, die Pogge und Wissmann auf der ersten Reise weiter oberhalb überschritten hatten, wurden festgelegt. Nach einer Fahrt von sechs Wochen liefen die Boote in den Kongo ein und fuhren nach Leopoldville weiter. Mit dieser zweiten Reise von 1884/85 hatte Wissmann dem europäischen Handel ein Netz wichtiger Wasserstraßen erschlossen, auf denen Gummi und Elfenbein in großen Mengen ausgeführt werden konnten. Die Gewässerkunde des südlichen Kongobeckens, vorher ganz unbekannt, war jetzt in großen Zügen festgelegt worden. Wissmann, zuletzt kaum noch transportfähig, begab sich zur Erholung seiner wieder stark angegriffenen Gesundheit nach Madeira. Zur Ausarbeitung seines Reisewerkes fand er auch jetzt wieder nicht genug Zeit; es erschien erst 1888 und trug, mit Beiträgen von Wolf, François, und Müller versehen, den Titel Die Erforschung des Kassai. Als Wissmanns Flottille in den Kongo einlief, hörte er von dort lebenden Engländern, daß das Deutsche Reich inzwischen Kolonien in West- und Ostafrika erworben habe. Er freute sich hierüber unsäglich und erhoffte, bei dem Mangel an erprobten Afrikanern, auch für sich Mitarbeit am Werke des Kolonialaufbaus. Von Madeira aus schrieb er an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm und bot seine Dienste zur Verwendung in einer der jungen Kolonien an. Aber zu seiner schmerzlichen Enttäuschung erhielt er den Bescheid, daß dort vorläufig noch keine Verwendung für ihn bestehe - eine im Belange der Sache recht unverständliche, leider aber nicht untypische Entscheidung. Wer an der richtigen Stelle nicht einen guten Freund hat, der mag noch soviel wert sein, er wird nicht zum Zuge kommen. Da war einmal ein Orientkenner von Ruf - aber das ist eine andere Geschichte. Wissmann blieb nichts weiter übrig, wollte er nicht gleich wieder in den Kasernendrill zurückkehren, als sich fernerhin dem Dienste Leopolds II. zu widmen. Der König, großzügig wie immer, ließ ihm die Wahl zwischen der Verwaltung des ganzen inneren Kongostaates von Stanley- Pool aufwärts oder der Fortführung seiner Forschungs- und Erschließungsarbeiten im Süden des Kongobeckens. Wissmann zog die letzte Aufgabe vor, weil er dabei keinen Vorgesetzten vor der Nase und also völlig freie Hand hatte. Mitte März 1886 fuhr er mit einem Flußdampfer von Leopoldville ab, bog in den Kassai ein und gelangte bis nach Luluaburg hinauf; unterwegs stellte er durch Messungen fest, daß nicht der Sankuru, wie manche meinten, sondern der Kassai der Hauptfluß dieses Netzes ist. Der Sankuru war übrigens inzwischen von seinem früheren Mitarbeiter Wolf mit einem kleinen Dampfer befahren worden. Die Station Luluaburg, unter dem Gefährten seiner zweiten Reise, dem Schiffszimmermanne Bugslag stehend, fand er in erfreulicher Entwicklung. Mit Wolf zusammen befuhr er den Kassai von der Luluamündung aus im Stahlboote noch ein Stück weiter aufwärts, bis große Wasserfälle, die Wolf Wissmannfälle taufte, Halt geboten. Ende November 1886 verließ Wissmann Luluaburg endgültig und wanderte auf einem Wege, der z. T. von dem auf der ersten Reise verfolgten abwich, ostwärts nach Njangwe am oberen Kongo, wobei er unterwegs das Zwergvolk der Batua entdeckte. In Njangwe wurde er diesmal von den Arabern, die sich durch den Kongostaat schon in ihren Sklavenjagden beeinträchtigt fühlten, recht

105 unfreundlich aufgenommen, ja es wurde ihm der beabsichtigte Marsch nach Sansibar verwehrt. So wich er südlich aus, anfangs auf dem Tanganjika fahrend, dann zum Njassasee marschierend, und reiste auf diesem, dem Schirefluß und Sambesi nach der Hafenstadt Kilimane in Portugiesisch- Ostafrika, wo er Anfang August 1887 ankam. Auf der Rückfahrt nach Europa lernte er in Sansibar Carl Peters kennen, der ebenso wie die übrigen Angestellten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft froh und stolz am Bau der jungen deutschen Kolonie Ostafrika arbeitete. Wissmann, der die arabischen Sklavenhändler vom tiefsten Innern her besser kannte, warnte vor möglichen Gefahren, traf aber taube Ohren. Wieder mußte der Forscher sich in Ägypten und Madeira erholen, hier sogar besonders lange, da er durch Sturz vom Pferde schwer verletzt wurde. Auch das über diese dritte Reise von 1886/87 verfaßte Werk Meine zweite Durchquerung Äquatorial-Afrikas erschien erst später, nämlich im Jahre In und um Deutsch-Ostafrika Wissmann weilte im Jahre 1888 wiederum nicht lange in der Heimat, aber in dieser Zeit trat eine entscheidende Wendung in seinen Verhältnissen ein: das Reich rief ihn! Während er noch mit dem Emin-Pascha-Komitee über Teilnahme an der von Carl Peters geplanten Expedition zur Aufsuchung Emins verhandelte, traf in Deutschland die Nachricht vom Aufstande der Araber gegen die Deutsch- Ostafrikanische Gesellschaft ein. Der Binnenhandel Ostafrikas bis in das Kongogebiet hinein wurde von arabischen Kaufleuten beherrscht, die zum Sultanat Sansibar gehörten und ihren Hauptgewinn in Sklavenjagd und Sklavenhandel fanden. Als sie sich durch die Antisklavereibewegung und durch die Tätigkeit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft in ihrer Bewegungsfreiheit und ihrer Gewinnsucht beeinträchtigt fühlten, wiegelten sie die Küstenneger auf und fielen über die Faktoreien und Missionen der Europäer her, sengend und plündernd, mordend und Greuel verübend. Auch die indischen Handelshäuser an der Küste fürchteten als Geldgeber der Araber, daß sie durch deren Geschäftsverluste um ihr bei diesen angelegtes Geld kommen würden, und unterstützten deshalb insgeheim die fremdenfeindliche Bewegung. Die Negerhäuptlinge aber, die den Arabern Sklaven, Elfenbein und Gummi lieferten, waren ebenfalls um ihr Auskommen und außerdem um ihre Selbständigkeit besorgt. Diese wirtschaftlichen Belange gewisser handelbeherrschender Gruppen waren die treibenden Kräfte der Bewegung, und die große Masse der Neger schloß sich der von jenen ausgegebenen Losung an, denn welches Volk sieht gern eine Fremdherrschaft in seinem Lande? Selbstverständlich war auch der arabische Sultan von Sansibar, dem das Küstengebiet staatsrechtlich immer noch gehörte, der Aufstandsbewegung im geheimen zugeneigt. Wieweit englische Einflüsse, die ja 1884 der Hissung der deutschen Flagge auf dem Festlande sehr entgegengearbeitet hatten, jetzt auch noch beteiligt waren, und sei es nur durch Lieferung von Waffen und Schießbedarf, mag hier unerörtert bleiben. Gegen die Vernichtung deutschen Lebens und Gutes sowie gegen die Beschimpfung der deutschen Flagge einzuschreiten, war für das Reich ein zwingendes Gebot der Selbstachtung und seines Ansehens in der Welt. Da die Ostafrikanische Gesellschaft selber ihre Belange nicht zu schützen vermochte und da auch der Sultan von Sansibar dazu weder in der Lage noch willens war, so mußte das Reich seine Macht einsetzen. Dies geschah anfangs nur durch eine Blockade der Küste mit etlichen Kriegsschiffen unter Führung des Admirals Deinhardt, wodurch die Ausfuhr von Sklaven und die Einfuhr von Kriegswerkzeug unterbunden werden sollte; der Erfolg war, trotz Mitwirkung einiger englischer Kriegsschiffe, bescheiden. Es wurde schnell klar, daß der Aufstand sich nur durch

106 Landtruppen unterdrücken ließ. Aber wer sollte der Führer des Unternehmens sein? Dr. Carl Peters kannte zwar die Verhältnisse in Ostafrika, wo er ja die deutsche Flagge gehißt hatte, gut, und an seiner Energie war nichts auszusetzen, aber er war kein Soldat. Blieb also der Oberleutnant Wissmann, der zwar besser im Innern als an der Ostküste Afrikas Bescheid wußte, der sich aber als Expeditionsführer und Kolonialorganisator bestens bewährt hatte und dazu auch Soldat war. Freilich verfügte auch er nur über sechs Jahre aktiver Leutnantszeit, und die lagen schon wieder neun Jahre zurück. Trotzdem war er der beste Mann, den Deutschland für den Zweck besaß, und Bismarck entschloß sich Anfang 1889 ganz richtig, Wissmann, der schnell zum Hauptmann befördert wurde, zum Reichskommissar "für die Maßregeln zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutz der deutschen Interessen in Ostafrika" zu ernennen. Wissmann erhielt volle Selbständigkeit der Entschlußfassung, die Oberaufsicht über die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft und das Recht, eine Polizei- und Schutztruppe anzuwerben und auf seinen Namen zu verpflichten. Zur Durchführung gedachter Maßnahmen bekam Wissmann einen Kredit von 2 Millionen Mark, eine Summe, die ihm sonderbarerweise ausreichend zu sein schien, die aber schließlich auf 9,5 Millionen Mark erhöht werden mußte. Wissmann, damals erst sechsunddreißig Jahre alt, war sich der Bedeutung seiner Sendung voll bewußt, denn in seine Hände war jetzt Deutschlands koloniales Ansehen in der Welt gelegt. Zuerst ging er daran, eine Truppe, für die keinerlei Stamm vorhanden war, aufzustellen. In der Ansicht, daß weiße Soldaten in Masse in den Tropen nicht lange verwendungsfähig bleiben würden, beschloß er, in der Hauptsache nur Farbige anzuwerben. Dies waren größtenteils Sudanesen, und zwar entlassene Soldaten der ägyptischen Armee, die sich in Ägypten brotlos herumtrieben, kleinerenteils aber Sulus aus Portugiesisch-Ostafrika. Dazu nahm er für das Offizier- und Unteroffizierkorps eine Anzahl deutscher Kameraden mit, die zu diesem Zweck aus dem Heeresverbande des Reiches entlassen wurden. Als der junge Reichskommissar Ende März 1889 in Sansibar eintraf, fand er als Besitz der Deutsch- Ostafrikanischen Gesellschaft nur noch die fast menschenleeren Hafenplätze Bagamojo und Daressalam vor. Seine Truppe brachte er schnell auf einen Bestand von 81 Deutschen und 872 Farbigen, von denen 600 Sudanesen und 100 Sulus in sieben Kompanien eingeteilt wurden. Die Artillerie setzte sich aus 13 kleinen Geschützen zusammen, von welchen aber die meisten unbeweglich waren. Die infanteristische Bewaffnung bestand aus der Jägerbüchse Modell 71, einem einschüssigen Hinterlader. Die Truppe war, abgesehen von den Sudanesen, ganz unausgebildet, und die Deutschen, meist Neulinge auf afrikanischem Boden, waren mit der Behandlung von Negern nicht vertraut. Aber diese Wissmanntruppe wurde die Keimzelle jener kleinen Kolonialarmee, mit welcher der General von Lettow ein Vierteljahrhundert später das Schutzgebiet so erfolgreich verteidigt hat. Wissmann hat in fünf militärischen Unternehmungen und innerhalb der kurzen Zeit eines Jahres den Aufstand niedergeschlagen und das Küstengebiet wieder unter deutsche Gewalt gebracht. Zuerst griff er, wie eingangs (S. 194) erzählt, am 8. Mai den Araberführer Buschiri an, der unweit von Bagamojo eine befestigte Boma besaß und dadurch die ins Innere führende Haupthandelsstraße sperrte. Durch schnelles Zupacken und kühnes Draufgehen schlug er Buschiri in die Flucht und stellte damit in einem Tage das Ansehen des deutschen Namens wieder her. Außerdem hatte er erkannt, daß er sich auf seine Truppe verlassen konnte, besonders wenn er sie erst besser ausbildete. Sodann besetzte und eroberte er die Küstenplätze Saadani, Pangani und Tanga. Die zweite Unternehmung war, in Verfolg des über Buschiri erstrittenen Sieges, im Herbst von Bagamojo auf der großen Karawanenstraße gegen Mpapua gerichtet. Von einer befestigten Boma aus, die er dort anlegte, konnte die Straße gesichert und die unruhigen Stämme der Umgebung im

107 Zaume gehalten werden. Buschiri selber, der noch mehr Vorstöße machte, wurde erst später von einem Dorfhäuptling, der den auf seinen Kopf gesetzten Preis verdienen wollte, nach Pangani ausgeliefert und wegen seiner Missetaten gehängt. Eine andere Unternehmung richtete sich Ende 1889 gegen den mächtigen Negerhäuptling Bana Heri, den Sultan von Useguha, der sich inzwischen Saadanis bemächtigt hatte. Anfangs Januar wurde seine schwer aufzufindende Boma trotz erbitterter Verteidigung erstürmt. Bana Heri ward erst im April 1890 gefangengenommen, wegen seines ritterlichen Verhaltens aber nicht wie Buschiri gehängt, sondern sogar in deutschen Dienst genommen, in dem er sich dann mit leidlicher Zuverlässigkeit bewährte. Der letzte Schlag richtete sich Anfang Mai 1890 gegen den Süden der Küste, wo die Hafenplätze Kilwa und Lindi erobert wurden, während Mikindani sich ohne Kampf ergab. Als Zwischenziel schob sich in die blutige Unterdrückung des Aufstandes der friedliche Kampf um Emin Pascha ein. Dieser traf Anfang Dezember 1889, von seinem "Retter" Stanley geführt, aus dem Innern in Bagamojo ein. Er war Gouverneur der ägyptischen Äquatorialprovinz, die aber durch die Mahdibewegung seit Jahren von Ägypten abgeschlossen war, so daß über Emins Schicksal keine Kunde nach Europa drang. Deshalb waren zwei Rettungsexpeditionen ausgesandt worden, eine englische unter Stanley und eine deutsche unter Peters. In Wahrheit handelte es sich dabei nicht allein oder nicht so sehr um rein menschliche Barmherzigkeit, als vielmehr um kolonialpolitische Unternehmungen; wer Emin Pascha sagte, meinte Äquatorialprovinz. Nachdem nun Stanley bei dem Rennen als erster durchs Ziel gegangen war, erhob sich in Sansibar ein stiller Kampf darum, Emin für den deutschen oder englischen Kolonialdienst zu gewinnen. Hierbei siegten schließlich Peters und Wissmann, während Stanley unterlag. Aber greifbaren Gewinn hat das Reich doch nicht davon gehabt. Emin, im Mai 1890 von Wissmann zum Viktoriasee ausgesandt, tat dort für die junge Kolonie nicht viel, ja er wandte sich sogar, entgegen seinem Auftrage, über die Westgrenze in das Gebiet des Kongostaates, wo er nichts zu suchen hatte und wo er dann der Rache der Araber, die er nicht zu behandeln verstand, erlag. Wissmann selber begab sich Ende Mai 1890 in Urlaub nach Deutschland und wurde hier mit großen Ehren aufgenommen. Schon im November des vorhergehenden Jahres zum Major befördert - er war nur ein Jahr lang Hauptmann gewesen - erhielt er jetzt den erblichen Adel und natürlich eine nicht geringe Anzahl Orden. Sonst aber sah er sich einer Lage gegenüber, die seinen künftigen ostafrikanischen Plänen sehr wenig günstig war. Bismarck, der ihm den Auftrag als Reichskommissar erteilt hatte, war inzwischen verabschiedet worden, und sein Nachfolger Caprivi hatte für Kolonien nichts übrig. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug am 1. Juli 1890 die Nachricht vom Sansibarvertrage ein, in welchem Caprivi den Engländern Uganda und Witu sowie die Oberherrschaft über die Inseln Sansibar und Pemba gegen die Rückgabe Helgolands auslieferte. Wissmann erlaubte sich Caprivi gegenüber eine bescheidene Kritik vom kolonialpolitischen Standpunkte aus und wurde seitdem von ihm sehr kalt behandelt. Außerdem setzte eine heftige Kritik des Auswärtigen Amtes gegen die Geschäftsführung der Wissmanntruppe ein, einmal, weil sie den Voranschlag von 2 Millionen Mark um das fast Fünffache überschritten hatte (kein Mensch in Deutschland hatte vorher eine Ahnung, was ein großes afrikanisches Unternehmen verschlingen würde), und andermal, weil von den verbrauchten 9,5 Millionen Mark Mark nicht belegt werden konnten. Erst im Jahre 1895 ließ sich das Auswärtige Amt vor dem Reichstage zu einer Ehrenerklärung für Wissmanns Untadelhaftigkeit herbei und gestand, daß der winzige Fehlbetrag wahrscheinlich auf Kursschwankungen der Rupie zurückzuführen sei. Wissmann persönlich verscherzte sich Caprivis Wohlwollen weiter noch dadurch, daß er den gestürzten Kanzler in Friedrichsruh besuchte, weil er sich moralisch verpflichtet fühlte, seinem Auftraggeber persönlich Bericht zu erstatten.

108 Ende November 1890 kehrte Wissmann, der immer noch Reichskommissar für Ostafrika war, dorthin zurück. Er fand alles friedlich und in guter Entwicklung vor. Am 1. Januar 1891 hißte er in Verfolg des Sansibarvertrages in den Küstenplätzen die deutsche Reichsflagge, während die des Sultans von Sansibar niedergeholt wurde. Sodann beruhigte er noch in harten Kämpfen das Gebiet des Kilimandscharo und legte die feste Station Moschi an. Und nun? Was geschah weiter? Am 1. April 1891 wurde der Reichskommissar Major von Wissmann, Ritter hoher Orden, durch Caprivi seines Postens enthoben - um zum Gouverneur ernannt zu werden, nicht wahr? Nein, weit gefehlt, Gouverneur wurde ein Herr, der Ostafrika noch niemals gesehen hatte und der sich denn auch so wenig bewährte, daß er nach fünfviertel Jahren wieder abberufen wurde. Wissmann, von seiner Übergehung tief gekränkt, verließ Ostafrika, das er dem Reiche zurückgewonnen hatte, sofort, nachdem er die Geschäfte dem neuen Gouverneur übergeben hatte. Für einen willensstarken, fähigen, ehrgeizigen Mann gibt es nichts Schlimmeres, als von seinem Werke, seiner Schöpfung durch fremden, durch höheren Eingriff getrennt zu werden, besonders dann, wenn er sich sagen muß, daß weniger leistungsfähige Männer ihm vorgezogen wurden. Was fängt solch ein Mann mit seiner Zeit an? Er versucht die entscheidenden Stellen aufzuklären, und wenn das nicht hilft, macht er sich Beschäftigung, die freilich nur ein kümmerlicher Ersatz sein kann. Wissmann, erst siebenunddreißig Jahre alt und doch schon eine weltgeschichtliche Persönlichkeit, war am 1. April 1891 zum Reichskommissar zur Verfügung des Gouverneurs ernannt worden - eine Verlegenheitslösung und Kaltstellung zugleich, zumal der Gouverneur sich hütete, seinen Vorgänger nach Ostafrika zu ziehen. Da kam Wissmann auf den Gedanken, zur Begründung der deutschen Stellung im Südwesten des Schutzgebietes und zur Unterdrückung des dort noch immer unangetasteten Sklavenhandels einen kleinen Dampfer zum Njassasee zu bringen. Mit reichlichen Mitteln versehen, die durch Sammlung aufgebracht waren, führte er 1892/93 den nach ihm benannten Dampfer vom Sambesi an seinen Bestimmungsort und legte am Nordende des Njassasees die Station Langenburg an. In die Heimat zurückgekehrt, erhielt er von der Universität Halle den Dr. h. c. und beschäftigte sich mit Aufsätzen kolonial-militärischen Inhaltes, die er 1895 in Buchform unter dem Titel Schilderungen und Ratschläge zur Vorbereitung für den Aufenthalt und den Dienst in den deutschen Schutzgebieten herausgab. Im November 1894 heiratete er die Tochter des Kölnischen Kommerzienrates Langen, der als Vorsitzender des Deutschen Antisklavereikomitees die Dampferexpedition durch namhafte Geldbeträge ermöglicht hatte. Plötzlich aber wandelte sich die Lage für Wissmann durch die allen unerwartet plötzliche Entlassung Caprivis Ende Oktober Dessen Nachfolger, der rechtlich und unparteiisch denkende Fürst Hohenlohe, bot dem Kolonialhelden, dem er sehr wohlwollte, den Posten des Gouverneurs von Ostafrika an! Im Juli 1895 trat Wissmann die Ausreise nach Daressalam an, wo er voller Freude empfangen wurde, da jeder einsah, daß hier ein altes Unrecht gutgemacht wurde. Leider aber hat Wissmann dort kaum ein Jahr gewirkt, dann mußte er im Mai 1896, angeblich wegen seiner angegriffenen Gesundheit, in Urlaub gehen. Er hatte die Sicherheit der immer noch sehr unruhigen Kolonie gefestigt, hatte eine ganze Anzahl Aufständische geschlagen und manche zweckentsprechende Verordnung erlassen. Unangenehm empfand er die Einengung seiner Kommandogewalt durch den Kommandeur der Schutztruppe.

109 Mitte Mai 1896 verließ er sein Ostafrika in trüber Stimmung, ahnend, daß er es nicht wiedersehen werde. - In der Heimat im Sommer 1896 angekommen, wurde er auf sein Ersuchen als Gouverneur z. D. mit dem Range eines Rates erster Klasse in den einstweiligen Ruhestand versetzt und der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes zugeteilt. Er zählte erst dreiundvierzig Jahre. Seine Gesundheit besserte sich bald, aber eine aktive Verwendung hat Wissmann sonderbarerweise weder im Kolonial- noch im Heeresdienste mehr gefunden. Er kaufte sich ein großes Gut zu Weißenbach bei Liezen im Ennstal an der Nordgrenze der Steiermark. Hier in den nördlichen Kalkalpen trieb er Ackerbau und Viehzucht und besonders eifrig die von ihm seit jeher so geliebte Jagd. Einige wenige Male fand er Gelegenheit, der Reichsregierung koloniale Ratschläge zu erteilen. Besonders wirkte er für Wildschutz in den afrikanischen Tropenkolonien, der auf einem hauptsächlich von ihm angeregten internationalen Kongreß zu London im Jahre 1900 beschlossen wurde. Im Jahre 1897 unternahm er eine Jagdreise nach Sibirien, besonders in den Altai, 1898 eine solche nach Südwest- und Südafrika. Über seine Jagderfahrungen schrieb er das Buch In den Wildnissen Afrikas und Asiens, das W. Kuhnert reich bebilderte. Das stille Leben eines Gutsherrn dürfte den tatkräftigen Mann nur wenig ausgefüllt und befriedigt haben. Im Winter 1900 auf 1901 sah er Afrika zum letzten Male, und zwar in Tunisien. Am 15. Juni 1905 hat er abends neun Uhr, auf einen Rehbock ansitzend, durch einen Schuß aus dem eigenen Gewehr einen plötzlichen Tod gefunden, seines Alters erst zweiundfünfzig Jahre - trauriger Ausgang eines heldischen Lebens. Seine sterblichen Überreste wurden in Köln, dem Geburtsorte seiner Frau, mit militärischen Ehren bestattet. Zu Lauterberg im Harze und in Daressalam wurden ihm Denkmäler gesetzt. A. Becker, C. v. Perbandt, G. Richelmann, R. Schmidt und W. Steuber veröffentlichten 1906 eine ausführliche Lebensbeschreibung. Das Charakterbild Man wird nicht leugnen können, daß Barth, Rohlfs, Nachtigal, Schweinfurth, Mauch tatkräftige Männer waren, aber sie waren doch nicht Tatmenschen in dem Sinne, daß die Tat bei ihnen in allem voranstand, vielmehr blieb sie ihnen stets Helferin geistigen Vorhabens. In Wissmann aber überschattet die Tat alles andere, und der Verstand ist ihm nur Diener des Handelns. Ihm kam es nicht so sehr darauf an, das geistige Wissen um Afrika zu vermehren, ihm ging es darum, militärische Leistungen durch afrikanisches Wissen im Werte zu steigern. Nicht die Festlegung und Befahrung des mittleren und unteren Kassai galt ihm als schönste Tat seines Lebens, sondern das war die Niederwerfung des Araberaufstandes, für die ja auch kein anderer Deutscher soviel militärisches und afrikanisches Können aufzuweisen hatte. So steht er in unserer Erinnerung nicht so sehr als Forschungsreisender, obwohl die Durchquerung des südlichen Kongobeckens und die Lösung des Kassaiproblems hochachtbare Leistungen waren, sondern als Kolonialsoldat, als Deutschlands erster großer Kolonialsoldat, der eine schlagkräftige Eingeborenentruppe aus dem Boden stampfte, mit ihr die aufständische Araber- und Negerbevölkerung des ganzen Küstengürtels in kurzer Frist besiegte, damit das schon verloren scheinende Schutzgebiet für uns rettete und die militärischen Richtlinien für die Weiterentwicklung des Landes und seiner Schutztruppe schuf. Der beste Kenner des innerafrikanischen Sklavenhandels wurde auch sein Überwinder. Wissmann war der vielseitigste der deutschen Afrikareisenden, denn er hat sich als Forscher und Kolonialorganisator, als Heeresschöpfer und Feldherr bewährt, und dies alles in recht jungen

110 Jahren, zusammengedrängt zwischen sein siebenundzwanzigstes und siebenunddreißigstes Lebensjahr. Wissmann entstammte ostelbischen Offiziersund Beamtenfamilien, von denen die der Mutter, einer geborenen Schach von Wittenau, zum pommerschen Adel gehörte. Der Vater hatte ein sehr nordisches, aber etwas kränkliches Gesicht, er ist ja auch früh gestorben. Die Mutter war wesentlich robuster, hatte ein breites Antlitz, dunkle Augen und, freilich auf einem Altersbilde, eine große vornüberhängende Nase. Hermann Wissmann selber, von dem zahlreiche, wenn auch stark retuschierte Bilder vorliegen, erweist sich als nordisch-fälischer, anscheinend dunkelblonder Mensch, nur seine Augen waren braun und standen zwischen verdickten Lidern etwas vor, so daß eine kleine Beimischung andern Blutes nicht von der Hand zu weisen ist. Das Gesicht wird als frei und offen, in Leutnantsjahren als ausgesprochen keck, später als zusammengerissener oder auch nachdenklicher geschildert, auf manchen Bildern zeigt sich um den Mund ein Zug, der auf Erlebnisse durch Hermann von Wissmann Intrigen und auf dadurch gewonnene Vorsicht und Mißtrauen hinzudeuten scheint. Nach etlichen Berichterstattern trug sein Antlitz einen energischen und zugleich fröhlichen Ausdruck, die großen braunen Augen wirkten lebendig und beherrschend, das Mienenspiel war ununterbrochen in Bewegung, die Stimme von lebhaftem Tonfall. Die Gestalt war kräftig und gewandt, der Gang elastisch, die ganze Konstitution schien unverwüstlich zu sein und sich jede Anstrengung zuzumuten, jeder Schonung entraten zu können. In späteren Jahren, von Mitte Vierzig an, wurde Wissmann sehr dick. Und trotz allem, der gewaltig gewölbte Brustkorb dieses muskelstarken, unerschrockenen Mannes litt von Jugend auf an Bronchialasthma, das ihm namentlich in den Tropen und auf Bergen arg zusetzte. Dazu bekam er immer wieder Malaria und Ruhr, die selber zu kurieren er sich gewöhnt hatte. Die Krankheitszustände, die nach jeder Reise längere Erholungsaufenthalte auf Madeira oder in Ägypten nötig machten, setzten ihm auf Reisen oft so stark zu, daß er vor besonderen Anstrengungen oder Unternehmungen Morphium nahm, um den Anforderungen gerecht zu werden. In späteren Jahren kam als Folge von mehrmaligem Gelenkrheumatismus ein Herzleiden dazu. Die Grundlage von Wissmanns Gefühlsleben war eine frohsinnige Natürlichkeit und Unbekümmertheit, die sich mit einer nicht selten verblüffenden, unvorsichtigen Offenheit gab. Dieses schlichte, freimütige, ganz ungekünstelte Empfinden, das kein Großtun kannte, liebte ein offenes Wort und nannte die Dinge beim richtigen Namen. Er hatte das Herz auf dem rechten Flecke und den Mund auf der rechten Stelle. Ebenso wie er uneingeschränkt zu loben verstand, so konnte er auch seine Mißbilligung in harten Worten ausdrücken, mochte es sich um bewiesene Unfähigkeit oder begangene Rohheit handeln. Anständigkeit der Gesinnung galt ihm hoch genug, um nach der Niederschlagung des Araberaufstandes den inzwischen gestürzten Bismarck zu besuchen, obwohl er sich sagen mußte, daß er sich Caprivis Wohlwollen dadurch verscherzte. Sein Verhältnis zum Leben war lange Jahre das eines überschäumenden Übermutes. Als Leutnant trieb er die tollsten Streiche, segelte grade bei recht stürmischem Wetter und ging keiner Gefahr aus

111 dem Wege. Der sonnige Frohsinn des Kindes schäumte über und wandelte sich in ausgelassenes Anpacken der schnell verrauschenden Tage. Es entwickelte sich ein derb herzhaftes Verhältnis zu den Menschen, das nie den Untergrund freundlich-heiterer Gutherzigkeit verlor und alle, die mit ihm zu tun hatten, für ihn einnahm. Er war stets ein fesselnder Unterhalter und munterer Gesellschafter, der einem guten Tropfen nicht aus dem Wege ging und Humor zu entwickeln verstand. Nach seiner ersten Durchquerung Afrikas telegraphierte er aus Sansibar an die Mutter: "Ik bün all hier" - die Worte des Swinegels gebrauchend, der den Hasen überlistete. Und als er Emin Paschas Art schnell und sehr genau erkannt hatte, sagte er, um ihn auf die Probe zu stellen: "Pascha, wenn ich Sie recht freundlich bitte, mir meinen Koffer hinunter zum Boote zu tragen, Sie tun es." Und Emin verzog sein semitisches Gesicht, spreizte die Hände auseinander und erwiderte: "Nu, warum sollte ich nicht, Herr Kommandant?" Daß Wissmanns Gefühligkeit auf einer tiefen Gläubigkeit ruhte, beweist die Tatsache, daß er vor Antritt seiner ersten Afrikareise mit Mutter und Schwester das Abendmahl nahm. Seiner Familie stand er stets mit zärtlicher Liebe gegenüber, seinen Freunden hielt er die Treue, sein Vaterland liebte er so heiß, daß er selbst nach seiner Kaltstellung mehrere verlockende Auslandangebote ausschlug. Wie heiß sein Gefühl aufwallen konnte, ersieht man daraus, daß ihm, als er seinen Offizieren 1891 von seiner Absetzung als Reichskommissar und von den gegen ihn erhobenen Anfeindungen der Linkspresse Mitteilung machte, die Tränen aus den Augen schossen. Das erschütternde Bild eines Mannes, den seine Regierung trotz aller seiner Verdienste preisgibt. Er war ein Mann ohne kastenmäßige Einengung, großzügig und nie kleinlich, derb aber gerecht. Ein Mann, der bei allem Tatsinn ein feines Einfühlungsvermögen in fremde Völkerseelen besaß und Araber oder Neger wie nur einer zu behandeln verstand. - Wissmanns eigentliche Stärke erweist sich in seinem Willen zur Tat. Er war ein ausgemachter Tatmensch, der ohne lange Überlegung blitzschnell zupackte, energisch handelte und dann bis zu Ende durchschlug, denn er machte nie halbe Arbeit. Er besaß eine Überfülle von Kraft und Tatlust, die immer erneut nach Entladung drängte und im Soldatendienste des Friedens keine Befriedigung fand. Mit dieser Tatkraft paarte sich eine ungemein schnelle Entschlußkraft, die auf eine plötzlich eintretende Lage ohne Zaudern durch Gegenhandlung zeichnete. Pogge kennenlernen und den Entschluß zu Afrikareisen fassen, war dem Sechsundzwanzigjährigen eins. Und als am fünften Marschtage der ersten Reise einer der Träger die anderen in einer großen Rede zur Forderung höheren Lohnes anstacheln wollte, da machte der angehende Afrikareisende den schwarzen Hetzer durch eine gewaltige Ohrfeige mundtot, was sofort alle Lacher auf seine Seite brachte und der Expedition viel Geld ersparte. So machten Tat- und Entschlußkraft Wissmann zu einer ausgesprochenen Führernatur, als welche er schon in den Knabenjahren auffiel und als welche er sich auf Forschungsreisen und als Überwältiger des Araberaufstandes bis an sein Ende erwiesen hat. So umgänglich und liebenswürdig er war, spaßen ließ er nicht mit sich, und verblüffen ließ er sich ebensowenig. Dies trat schon bei dem Kinde hervor, denn als die Mutter dem kleinen Hermann drohte, er werde nicht in den Himmel, sondern in die Hölle kommen, da antwortete er trotzig und schlagfertig: "So baue ich mir dort ein Haus." Trat in Afrika die Gefahr an ihn heran, dann blieb er vollkommen eisig und bei Besinnung und machte, selbst über Aufforderung der eigenen Schwarzen, nicht gleich von der Waffe Gebrauch, wenn ein Negerstamm in kriegerischem Aufzuge heranstürmte - allwomit er meistens auch Erfolg hatte. Dabei war er von Natur äußerst kampffreudig und einsatzbereit, was durch sein Pistolenduell und die Rettung dreier Ertrinkender ja schon der Leutnant bewies. Ging es nicht anders, so zögerte er keinen Augenblick, sein Leben in die Waagschale zu werfen, und er hat dies in Afrika unzählige Male getan. Er besaß einen ausgeprägten Willen zur Selbstbehauptung. Das zeigte sich in dem Kinde als Trotzkopf, in dem Leutnant durch tolle Streiche, in dem Afrikaner dann als Herr über Schwarze. Als der Gymnasiast in Kiel gegenüber seinen neupreußischen Klassenkameraden einen schweren Stand hatte und die Mutter dies dem Direktor melden wollte, wehrte er sich heftig dagegen mit den Worten: "Mutter, das wirst

112 du mir doch nicht antun und so etwas petzen." Lieber ließ er sich von der Übermacht wieder verprügeln, als daß er etwas von seinem trotzigen Ich aufgegeben hätte. Im Konfirmandenunterricht verblüffte er den Pfarrer durch die Hartnäckigkeit, mit der er den Satz nicht anerkennen wollte, der Mensch könne nicht aus eigener Kraft selig werden. Von den Alten fesselten ihn auf dem Gymnasium eigentlich nur die Spartaner, und er suchte es ihnen in Abhärtung und Kriegssinn gleichzutun, und sobald er es nur halten konnte, begann er mit des Vaters hinterlassenem Fechtgerät zu pauken. Bei aller Entschiedenheit des Wollens und Handelns bewahrte Wissmann doch, solange es nur anging, stets die verbindliche Form, die seiner Gutherzigkeit eigen war. Mit großer Geduld lernte er schon auf der ersten Reise die langen Palaver der Neger anhören, ohne aufzubrausen oder, was vielleicht noch schlimmer gewesen wäre, ohne des lieben Friedens willen schnell nachzugeben. Sein Wille war stark und seine Besonnenheit groß genug, um sich jeder neuen Lage anzupassen und ihr die beste Seite abzugewinnen. Auf der ersten Reise bewog er die Bassonge, als sie ihn nicht über den Lubilasch gehen lassen wollten, durch ein in der gewünschten Marschrichtung abgebranntes Feuerwerk, ihn ziehen zu lassen. Als er die Schutztruppe aus dem Nichts zu schaffen hatte, da fand er sich schnell in diese ihm neue Tätigkeit mit klarer Klugheit und ungemeiner Arbeitskraft, die kein Ermüden kannte und äußerst schnell zum Ziele kam. Und als er dann den gefährlichen Bana Heri von Useguha überwältigt und gefangen hatte, da knüpfte er ihn nicht auf, sondern nahm ihn in deutsche Dienste, weil er sich davon Nutzen versprach. - Wissmann war ein gut begabter Mann, ohne doch überragende geistige Befähigung zu besitzen. Er lernte als Knabe leicht, sobald ihn der Stoff sachlich fesselte, und neigte dann mehr zu innerem Verstehen als zu mechanischem Auswendiglernen; Geschichte und Erdkunde waren neben Turnen die einzigen Fächer, die ihm Vergnügen bereiteten, während Latein, Griechisch und Mathematik Schreckgespenster für ihn waren. Auch später las er gern und sammelte eine ansehnliche Bücherei. Auf Forschungsreisen betätigte er sich anfangs hauptsächlich durch Routenaufnahmen. Die Landschaft blickte er vornehmlich mit den Augen des leidenschaftlichen Jägers an, wobei er die Eigenarten von Natur und Menschheit schnell und richtig erkannte. In seinen Reisewerken aber ist er über eine flüchtige Ausarbeitung seiner Tagebücher nicht hinausgekommen. Zu eingehender Verarbeitung seiner Beobachtungen ins Wissenschaftliche, gar ins eigentlich Geographische nahm er sich nie die Zeit, der allerletzte Grund freilich mag Mangel an tiefergehendem Wissen und geistiger Schöpferkraft gewesen sein. In keinem seiner Bücher findet sich ein Versuch, einen größeren Raum in geographischer Synthese darzustellen. Selbst in seinem letzten Lebensjahrzehnt, als es doch nicht mehr an Zeit gebrach und das Hinstürmen von Erfolg zu Erfolg beendet war, hat er diesem Mangel seiner geistigen Produktion nicht abgeholfen. Ein Mann von tieferer Geistigkeit hätte sich damals an tüchtigen Buchwerken wieder aufrichten können. Aber Wissmann, der Mensch der äußeren Tatleistung, war zu sehr auf das Urteil der Welt und besonders der regierenden Kreise eingestellt, als daß er in philosophischer Gelassenheit an seinem inneren Gehalt Genüge hätte finden können. Akili tenâschera, den Mann mit dem zwölffachen Verstande, nannten ihn die Araber und Neger Ostafrikas. Er war es in der Tat für alle afrikanischen Verhältnisse, bei denen es auf übersichtliche Ordnung und Inordnungbringung ankam, aber auf höherer geistiger Ebene genügt eben bloßer Verstand nicht zu außergewöhnlicher Leistung.

113 Adolf Lüderitz Mit den Diamanten aber ist es folgendermaßen bestellt. Zieren sie die Frisur einer schönen Frau, oder tropfen sie von den Ohrläppchen einer solchen, oder zielen sie mit beredtem Finger in den Ausschnitt eines zart gewölbten Busens hinab, dann bannt ihr lebhafter Glanz, ihr unerhörtes Farbenspiel den Blick eines jeden und überträgt die Bewunderung von der toten Kostbarkeit auf die lebendige ihrer Trägerin. Und dabei ist es doch nur ein Stückchen reinen Kohlenstoffes, das zwar von allen Gesteinen die größte Härte besitzt, bei starker Glühhitze und Zutritt von Sauerstoff aber ohne jeden Rückstand verbrennt. Jedoch das wunderbare Farbenspiel, das auf einem fabelhaften Lichtbrechungsvermögen und erstaunlicher Fähigkeit der Farbenzerstreuung beruht, gibt dem wasserklaren Mineral einen ausdermaßen hohen Wert. Und wollen wir noch einige gelehrte Ausdrücke anfügen, dann sagen wir, daß die Diamanten meist rhombendodekaedrisch auftreten und dem Spinellgesetze folgen, im Rohzustande aber, also ungeschliffen, gewöhnlich sehr unscheinbar aussehen, so daß ihre Erkennung in der Natur nicht so leicht ist, wie mancher denkt. Seitdem im Jahre 1870 in Kimberley Diamanten entdeckt worden waren, kam auf und erhielt sich in Südafrika hartnäckig das Gerücht, am unteren Oranjeflusse gäbe es ebenfalls reiche Diamantenlager. Die Grubenleute abends vor ihren Zelten und die Burenfrächter an ihren Lagerfeuern erzählten sich mit solchen Märchen die Augen groß und flackernd, und ihre Phantasie träumte von unverhofften Freuden, von Reichtum und Glück. Die abenteuerlichsten Geschichten gingen um. Da hätten Männer in der öden Namib ungeheure Diamantenlager gefunden und wagten sich nicht wieder von ihnen fort, aus Furcht, bei der Rückkehr Fremde als Ausbeuter zu finden. Lieber ließen sie sich die Bärte bis zum Gürtel wachsen und verwilderten zu halben Tieren. Ja, in den sechziger Jahren schon sollen Männer in einem Boot von einer jener Guanoinseln, die der öden Küste Südwestafrikas vorliegen, nach Kapstadt gekommen sein und ein Säckchen voll Diamanten mitgebracht haben. Aber schon in der ersten Nacht, als sie das Leben hochnahmen und den Sekt und die Weiber, da ist ihnen der Schatz entwendet worden, und sie mußten in doppelter Verkaterung den weiten Seeweg zurückrudern. Man sah und hörte in Kapstadt nie wieder von ihnen. Und im Jahre 1907 tauchte in der Lüderitzbucht ein englischer Dampfer Xema auf, von dem es in Kapstadt hieß, er fahre auf Diamantensuche. Ein alter Seemann habe von einem Manne, der jahrzehntelang auf einer der Guanoinseln gearbeitet habe, auf dessen Sterbebette das Geheimnis erfahren, wo Diamanten haufenweise zu finden seien. Der Seemann habe dann wertvolle, durch einen Lageplan vervollständigte Kunde an eine Gesellschaft verkauft, die jetzt mit der Xema unterwegs sei. Nachdem dem Dampfer von der Kapregierung eine Landung auf den Inseln verboten worden war, lag er längere Zeit vor Lüderitzbucht, ohne den deutschen Schlepper in Anspruch zu nehmen. Nach einiger Zeit verschwand das geheimnisvolle Schiff, tauchte in Kapstadt auf und gelangte dort zur Versteigerung. Alle Welt wunderte sich über die gewaltige Menge ganz neuzeitlicher Feuerwaffen. Vielleicht war es nur ein Schmuggler, der den aufständischen Eingeborenen Waffen zubringen wollte und diese Absicht durch das Diamantensuchen zu verschleiern strebte. Vielleicht aber, wer weiß, hatten sie wirklich von Diamanten in Südwest Wind bekommen und gedachten die Fundstätte mit Handstreich zu nehmen und gegen deutsche Obrigkeit zu verteidigen. Wer weiß das? Die Beteiligten pflegen sich auszuschweigen. Aber Diamanten waren tatsächlich da, schon ein Jahr später wurden sie gefunden! Es gab einen Mann, einen Deutschen, der hieß Strauch und beaufsichtigte eine Strecke der zwei Jahre vorher gebauten Bahn, die von Lüderitzbucht in Richtung Keetmanshoop führte. Von seiner Wellblechbude in Grasplatz aus leitete er einen farbigen Arbeitertrupp an, die Strecke vom Dünensande der Namib freizuhalten. Hier waren früher immer Ochsenwagen und während des Aufstandes auch Soldaten in Menge durchgezogen, von Lüderitzbucht zum Hochlande hinauf und vom Innern zum Meere hinab. Dieser Mann Strauch nun langweilte sich fürchterlich und blickte mit ungünstigen Augen auf die

114 kahle Wüste, die ihn umgab. Manchmal war ihm zumute, als wolle sie von allen Seiten auf ihn eindringen, ihn umhüllen und gänzlich zu Tode drücken. Um sich seelisch von dieser Naturangst zu befreien, redete er sich vor, der liebe Gott könne so etwas Schreckliches, solche absolute Leere nicht gewollt haben, sondern habe irgendwie einen Ausgleich dafür geschaffen, etwa indem er im Sande Gold oder Edelsteine verborgen habe. Diese kindfromme Vorstellung setzte sich in des Bahnmeisters Strauch Kopfe immer fester und erfüllte ihn bald so gänzlich, daß er überzeugt war, er habe nur noch zu suchen, denn die Schätze seien unbedingt da. Um sich über das Sachliche solcher ihm völlig neuer Dinge zu unterrichten, wußte er sich ein Büchlein zu verschaffen, um (er war doch ein Deutscher) erst einmal nachzulesen, was ein Prospektor wissen muß. Er wurde von seiner Idee immer mehr besessen und besorgte sich sogar schon amtliche Schürfscheine, um ja nichts zu versäumen, wenn der große Tag kommen würde und müßte. Auch seinen schwarzen und gelben Streckenarbeitern befahl er, auf hübsche Steine achtzugeben. Und wirklich, eines schönen Tages im April 1908 kam der Kapneger Levita angelaufen, hielt seine rotgraue Handfläche hin und rief: "Master, ek denk, dit moet en Demant wees." Er hatte das Steinchen dicht neben der Bahn und ganz nahe dem Rastplatze der Ochsenwagen gefunden. Daraufhin dankte Strauch seinem Gotte und schlug an der Stelle, die unweit der Kolmanskuppe lag, eilig seinen Schürfpfahl ein. Das war am 14. April des Jahres Nun muß man aber nicht glauben, daß jetzt ein fieberhaftes Rennen nach den Diamantfeldern anhub, durchaus nicht. Zuerst einmal glaubte niemand daran. Erst nach vollen zwei Monaten setzte das Wettrennen ein, und die Schürfscheine kletterten im Werte auf das Hundertfache. Die Suche war furchtbar mühsam, denn die Diamanten fanden sich in dem z. T. ziemlich harten, sandigen Kieselbelag der Wüste verstreut oder eingebacken. Die diamantführenden Sande und Kiese liegen, was man anfangs nicht wußte, in Streifen, die zur Küste parallel laufen, zwischen 10 m und 100 m Breite schwanken und ganz verschieden lang sind. An manchen Stellen lagen die Diamanten so dicht, daß der glückliche Finder sie nur zusammenzufegen brauchte, an anderen waren sie sehr spärlich oder fehlten ganz. Man hat die Lagerstätten vom 26. bis zum 28. Breitenkreise, also über eine Länge von mehr als 200 km, freilich mit mancher Unterbrechung durch Dünen, verfolgt. Im Gegensatze zu Südafrika sind die südwester Diamanten nicht an Blaugrund gebunden. Die Ausbeute in der wasserlosen Wüste wurde anfangs von einzelnen Suchern vorgenommen - unter denen übrigens keineswegs ein kalifornisch-wildes Leben mit Saufen und Totschlagen anhub - ging aber allmählich meist in die Hand geldkräftiger Gesellschaften über. Die Arbeit fand so statt, daß man den Wüstensand in ein Handsieb warf und dieses unter Wasser so lange schüttelte, bis die schweren Steine sich am Boden zusammengefunden hatten. Jetzt wurde das Sieb umgekippt, und man konnte die Edelsteine mit der Pinzette herauspicken. Die gefundenen Steine zeichneten sich nicht durch Größe, wohl aber durch vorzügliche Klarheit und leichte Schleifbarkeit aus. Die mittlere Größe hielt sich zwischen einem viertel und zwei Karat, größere waren selten. Die jährliche Ausbeute stieg schnell in die Millionen. Dies Diamantenland ist das gleiche Gebiet, das der deutsche Kaufmann Adolf Lüderitz im Jahre 1883 von dem Hottentottenhäuptling Joseph Frederichs für den Preis von 2000 Mark und 60 Gewehren kaufte, da er hier eine Siedlungskolonie für deutsche Auswanderer gründen wollte. Zwei Jahre darauf war Lüderitz, nachdem er Mark, eine sein eigenes Vermögen übersteigende Summe, in den Wüstensand von Südwestafrika gesteckt hatte, so weit, daß er verkaufen mußte. Mit Hängen und Würgen bekam er Mark heraus, die er an seine Verwandten für ihre Darlehen zurückzuzahlen hatte. Und er ahnte nicht, daß sein Besitz einen Milliardenwert darstellte! Im Jahre 1886 suchte er im Hochlande des Innern nach Kupfererzen, die sich aber nicht finden ließen, und ist dann auf einer gefährlichen Bootfahrt entlang der Küste dort umgekommen, wo zweiundzwanzig Jahre später andere, die seinen Unternehmungssinn und Opfermut nicht gehabt hatten, reiche Beute ernteten. Dies war das Schicksal des ersten deutschen Kolonialgründers.

115 Der Lebensweg eines Kaufmannes Nicht nur der Gelehrte, nicht nur der Abenteurer, nicht nur der Offizier hat eine Rolle bei der Aufschließung Afrikas und bei der Vorbereitung unserer Kolonien gespielt, nein, auch der Kaufmann fehlt nicht in dieser Reihe, ja, um es gleich von Anfang an klar zu sagen, er hat sogar den tatsächlichen Anstoß gegeben - nicht allein zur Gründung von Deutsch-Südwestafrika, nein, sogar zu dem bedeutungsvollen und weltgeschichtlichen Schritte, daß Deutschland überhaupt in die Reihe der Kolonialmächte eintrat. Gewiß war es ein ganz persönlicher Zufall, daß der schon achtundvierzigjährige Bremische Tabakhändler Lüderitz auf die Idee kam oder besser gebracht wurde, an der wegen ihrer Wüstenhaftigkeit noch von keiner Macht besetzten Küste von Südwestafrika Land zu erwerben, um dort - wie groß war doch seine Unkenntnis des Gebietes - eine deutsche Siedlungskolonie anzulegen. Aber es war sein Glückstreffer, daß sein privater Wunsch zeitlich mit dem Verlangen des jungen Reiches und des geeinten Volkes nach neuem Raum in der Welt zusammentraf und ihn so zum Mundwalte allgemeiner Wünschbarkeit erhob. Ja, der Glückstreffer ging noch weiter, indem Bismarck grade in jener Zeit von 1883 und 84 einer ausnehmend günstigen politischen Lage gegenüberstand, da England, die einzige Gefahr im Süden und in der Mitte Afrikas, mit Frankreich und Rußland in so ernste Schwierigkeiten geriet, daß es, um sich die Gunst des Reiches zu erhalten, dessen kolonialen Wünschen nicht allzu stark entgegentreten durfte. Gewiß war Lüderitz nur Anreger dafür, daß Bismarck damals in die Kolonialpolitik eintrat, und Bismarck selber war es, der diesen gefährlichen Schritt vorsichtig und fest durchführte, aber Lüderitz ist nun doch der erste gewesen, und dies wird sein Ruhm bleiben immerdar. Er war es, der mit seiner wagemutigen Tat des Ankaufes von Land um Angra Pequena anderen Kolonialpionieren die Gasse brach - ein zweiter Winkelried, denn wahrlich, er hat sich die Speere dabei in die eigene Brust gebohrt und mit seinem Vermögen, ja sehr bald mit seinem Leben gezahlt. Mit Lüderitz setzte eine neue Epoche deutscher Außenpolitik ein, die nach Übersee griff, eine starke Flotte baute, schließlich mit England in Zwist geriet und hierdurch die von Bismarck so sehr gefürchtete Gefahr der europäischen Mittellage ins Ungeheure erweiterte. So steht der einfache Kaufmann Adolf Lüderitz aus Bremen am Anfange der deutschen Überseeund Weltgeltungspolitik. Und lange bevor diese vom Weltkriege verschlungen wurde, ward er selber von seiner eigenen Gründung verschlungen. Ohne Politiker zu sein, ohne einen wirklich weitumfassenden politischen Blick zu besitzen, wurde er doch eine Persönlichkeit von weitesttragender politischer Auswirkung. In dem Manne Lüderitz hielt - ohne daß außer Bismarck und etlichen englischen Politikern es jemand gemerkt hatte, und er selber auch nicht - in diesem Manne hielt die Weltgeschichte den Atem an. Die Götter in Walhall blickten auf die Sterblichen hinab und sannen, wem wohl die Waage des Schicksals sich zuneigen würde. Anfangs neigte sie sich Deutschland zu, dann aber blieb sie bei England - vorläufig... Adolf Lüderitz kam am 16. Juli 1834 in Bremen als Sohn eines Tabakhändlers zur Welt. Der Vater entstammte einer niedersächsischen Offizierssippe, die Mutter, eine Schüßler, einer Lehrers- und Küsterfamilie der Niederweser und des Oldenburgischen. Der Vater, in Hannover geboren, gründete in Bremen ein Tabaksgeschäft, dem er durch Fleiß und Sparsamkeit guten Absatz im Binnenlande, ja selbst in Holland verschaffte; er wird als engherziger Pedant und jähzorniger Mensch geschildert. Der Knabe, von vornherein für das Geschäft bestimmt, besuchte die einer Oberrealschule gleichkommende Handelsschule und lernte dann seine drei Jahre in der väterlichen Handlung. Abenteuerlustiger und weitherziger als sein Vater, fand er keinen Gefallen an den engen Verhältnissen und beschloß nach Amerika zu gehen, um sich den Wind um die Ohren wehen zu lassen. Zwanzig Jahre alt fuhr er, es war im April 1854, auf einem Segelschiff nach Neuyork, besuchte die Tabakmärkte in Virginia und Kentucky und begab sich dann über Vera Cruz nach dem

116 Landstädtchen Colima hinter der Westküste Mexikos. Hier fand er in einem Bremischen Hause Anstellung und führte eine Weile das Leben eines jungen Auslandsdeutschen, der sich unter Farbigen als Herr fühlt und im Reiten über Stock und Stein seine Ausspannung sucht. Er hat sich dort allerhand geleistet, so wenn er einer Wette wegen in einem der beliebten Stierkämpfe als Fechter auftrat. Das Geschäft, in dem er Arbeit gefunden hatte, hielt sich aber nicht lange, sondern ging in die Brüche, so daß der junge Mann allein und verlassen im großen Lande Mexiko stand. Doch nach Hause zurückkehren, wie der verlorene Sohn mit leeren Taschen? Schon jetzt auf dem Kontorbocke hinter Debet- und Kreditfolioseiten hocken, die Kundschaft in Stadt und Land besuchen und zur Börse gehen? Um alles in der Welt nicht. Allein was tun - ein kleiner Clerk im kleinen Colima sein, ist auch nichts, was einen jungen Menschen von Tatlust und Phantasie befriedigen kann; aber da bietet sich plötzlich Gelegenheit, einen heruntergewirtschafteten Rancho draußen auf dem Lande zu pachten, nahe am Gebirge, unfern dem Urwalde, wo der Jaguar lauert und der Puma schleicht. Da züchtet man Pferde und Maultiere und Rinder, reitet im schattenden Sombrero umher, schwingt den Lasso und zielt nach ausladenden Hörnern, geht auf die Jagd und kehrt abends köstlich ermüdet auf den Rancho zurück, wo der Halbblutindianer mit erfrischenden Früchten und Getränken wartet. Das wäre ja nun alles ganz schön gewesen, aber eines Tages, während einer der üblichen Revolutionen, erschien eine starke Bande von Räubern oder Soldaten - wer konnte das noch unterscheiden - und begann zu plündern. Sie führten die Tiere fort und steckten die Gebäude in Brand. Der junge Ranchero selber setzte sich mit Büchse und Tomahawk tapfer zur Wehr, wurde aber durch eine Kugel, die ins Knie traf, umgeworfen und mußte froh sein, daß er mit dem nackten Leben davonkam. An Entschädigung war natürlich nicht zu denken, denn wo war die Macht, die einem hansischen Kaufmanne in Übersee Genugtuung hätte verschaffen können? Jetzt also blieb wirklich nichts anderes übrig, als heimzukehren. Das war 1859, und fünf Jahre Mexiko lagen hinter dem Abenteurer, der nun ein ehrsamer Kaufmann zu Bremen werden sollte. Der strenge Vater war wenig erbaut von solchen Erlebnissen und ermahnte den Sohn, fortan die Nase eifrig in die Kontobücher zu stecken und die Kunden zu besuchen. So lernte Lüderitz Ostfriesland, Westfalen, Rheinland und Holland kennen; in diesem Lande ahnte er nicht, daß ihm das Erlernen der holländischen Mundart ein Vierteljahrhundert später im Umgange mit Buren und Hottentotten gute Dienste leisten sollte. Geschäftsreisen, Börsengänge und Familientage waren sein Leben, und er fand sich mit der Zeit hinein, denn er war von Natur frohsinnig und verstand es, einer unangenehmen Lage immer noch die beste Seite abzugewinnen. Wie sehr er dies verstand, zeigt seine Heirat, die er im Alter von zweiunddreißig Jahren vollzog. Seine Frau nämlich, eine geborene von Lingen aus alter Bremischer Familie, brachte ihm reiches Heiratsgut zu. Von da an durfte er sich von seinem Vater unabhängig fühlen und sich sein Leben angenehmer einrichten. Aber erst 1878, nachdem der Alte gestorben war und er das Tabaksgeschäft geerbt hatte, richtete er sich alles nach seinen Wünschen ein. Der nunmehr Vierundvierzigjährige kaufte außerhalb der Stadt ein Landgut von 200 Morgen Umfang, baute dort und führte nun ein Leben halb als Tabakhändler und halb als Gutsherr. Jetzt konnte er wieder reiten und jagen, schießen und segeln und edle Pferde züchten - ganz wie zwanzig Jahre vorher in Mexiko. Er war wieder Ranchero, wenn auch Sombrero und Lasso fehlten und wenn einem auch nicht der großkalibrige Revolver am Gürtel hing. Lüderitz lebte als reicher Mann, unabhängig und sorglos - wie mancher mochte ihn beneiden. Und doch - dieses Leben war zu bequem, zu satt, und so etwas sollte nun noch zwanzig oder dreißig Jahre weitergehen, immer ohne Wünsche, ohne Sorgen, ohne Erregungen? Es fehlte etwas, eine große Tat, die einen kräftig aufrüttelte und zwischen die ehrbaren Handelsherren von Bremen wie ein Blitz einschlug. Diese ewige Unruhe, wer hatte denn Verständnis dafür? Die Frau war sanft und zart, eine ganz passive Natur. Die Söhne waren noch zu jung. Der Prokurist, der das Tabaksgeschäft

117 leitete, hatte nur Sinn für sein Hauptbuch. Ah, da kam endlich etwas Anderes, etwas Neues, wenigstens etwas. Das Bremische Handelshaus Bellois brauchte Geld für seine Faktoreien an der Goldküste und an der Sklavenküste. Das klang verheißungsvoll, das roch doch mal wieder nach Abenteuer. Lüderitz beteiligte sich sofort und durfte schon 1882 die Faktorei in Lagos so gut wie sein Eigen nennen. Die Spekulation glückte derart, daß er drei kleine Segelschiffe kaufen konnte, die Tabak, Salz, Pulver, Schnaps und Eisenwaren luden und koloniale Rohstoffe dafür zurückbrachten. Aber auch dies war für Lüderitzens unruhigen Sinn, in dessen Ahnenreihe nicht bremische Kaufherren, sondern hannoversche Offiziere spukten, noch lange nicht genug. Und da begrüßte er es denn sehr, als er 1882 Vogelsang und Timpe kennenlernte. Die Erwerbung von Südwestafrika (1883/84) Heinrich Vogelsang war ein zwanzigjähriger Kaufmannsgehilfe, er stand also in dem gleichen Alter, in dem Lüderitz damals nach Mexiko gegangen war, und dies mag ihn an seine eigene Jugend erinnert haben. Vogelsang, für sein Alter ungewöhnlich umsichtig, hatte aber schon etliche Faktoreijahre in West- und Südafrika hinter sich. Er berichtete Lüderitz, der ja durch Lagos sehr daran interessiert war, von den Handelsverhältnissen an der Westküste. Schließlich fragte Vogelsang den Älteren gradezu, ob er nicht Lust habe, ihn nach Westafrika hinauszuschicken, damit er für seine Rechnung eine gewinnbringende Faktorei anlege. Lüderitz bezeigte aber wenig Lust, denn er glaubte an einer Faktorei genug zu haben. Zur selben Zelt, also ebenfalls im Jahre 1882, machte Lüderitz noch eine zweite Bekanntschaft, nämlich die des Kapitäns Karl Timpe. Der war als Schiffer an der Westküste gefahren und lag augenblicklich schwer auf Legerwall, ohne daß sich Aussicht auf ein neues Kommando bot. Auch Timpe hatte einen Vorschlag vorzubringen, den nämlich, daß Lüderitz eine schmücke Brigg kaufen und ihn mit ihr an die Küste von Südwestafrika senden solle, damit er von den Wilden Landesprodukte gegen billige europäische Waren eintauschen könne. Das Land sei dort ja sehr trocken, aber durch Mitnahme von Bier und Genever lasse sich diesem Übelstande befriedigend abhelfen, meinte der Seemann listig blinzelnd. Es erhob sich nun ein Streit zwischen Timpe und Vogelsang, indem Timpe für Südwest war, das Vogelsang aber als öde Wüste ablehnte, während Vogelsang selber sich für den tropischen Teil der Westküste aussprach, der unendlich viel lohnender sei. Lüderitz saß dabei, rauchte seine Zigarre, amüsierte sich, wie beide sich die Köpfe heiß redeten, und wurde gar nicht recht gewahr, daß er innerlich schon ebensosehr danach lechzte, etwas zu leisten. Eines Tages aber fiel die Entscheidung. Lüderitz nämlich entfaltete die neueste Karte von Afrika, die er soeben gekauft hatte, und alle drei steckten ihre Köpfe darüber zusammen. Plötzlich wurde es Lüderitz bewußt - er muß wohl keine große Kartenkenntnis gehabt haben - daß an der Südwestküste noch keine Farbe verzeichnet war, die auf Besitznahme durch einen europäischen Staat hindeutete. Und da blitzte die Eingebung in ihm auf: hier müßtest du eine deutsche Kolonie gründen, damit der jährlich wachsende Auswandererstrom deines Volkes nicht auf fremdem Boden verlorengeht! Eine Siedlungskolonie, nicht eine Faktorei - ein Volksunternehmen, nicht ein Geschäft. Als er diesen Einfall lautwerden ließ, riet Vogelsang sofort davon ab und sprach sich wieder für eine Faktorei im tropischen Afrika aus, West oder Ost, wo sich glänzende Geschäfte tätigen ließen. Aber Lüderitz stand schon mitten im Weiterspinnen seiner Eingebung, sagte, daß es dort zu ungesund sei, und rief aus: "Und wenn wir eine Kolonie gründen und aus der Kolonie mal was werden sollte, will

118 ich auch, daß der Deutsche dort leben kann." Diese Worte zündeten endlich auch in dem jungen Vogelsang, er stimmte begeistert zu und erklärte sich bereit, nach Südwestafrika zu gehen und den dortigen Häuptlingen Land abzukaufen. Gesagt getan, wie Lüderitzens Art war. Durch das von seiner Frau eingebrachte Vermögen völlig Herr seiner Entschlüsse, kaufte er die Brigg Tilly, 260 t, belud sie mit Tauschwaren und stellte sie unter Kapitän Timpes Kommando. Im ganzen sollte dieses sein erstes eigenes Kolonialunternehmen ihn Mark kosten. Über das genauere Ziel freilich konnten die drei Männer nicht klarkommen, denn auf einer Karte standen die Buchten Walfischbai und Angra Pequena als englisch verzeichnet. Es erschien ihnen deshalb am besten, mit dem Tilly erst einmal Kapstadt anzulaufen und dort möglichst vorsichtig Erkundigungen einzuziehen, wie das neue Land beschaffen und wieweit es noch frei sei. Da war England, das immer noch die Meere beherrschte und das Kapland besaß. Würden sich von ihm aus Schwierigkeiten ergeben? Wahrscheinlich. Deshalb setzte Lüderitz sich hin und entwarf Mitte November 1882 sein erstes Gesuch an das Auswärtige Amt in Berlin, dem in den nächsten Jahren noch so viele andere folgen sollten. Aber er war auch hier vorsichtig, sprach nicht von seiner Absicht, eine deutsche Kolonie zu gründen, sondern bat um Schutz des Reiches nur für eine anzulegende Faktorei. Das noch vorsichtigere Amt zog aber erst einmal Erkundigungen über ihn selbst ein und schwieg sich aus. Dies dauerte dem in seinem Briefwechsel an Pünktlichkeit gewöhnten Kaufmanne zu lange, und er sandte deshalb Vogelsang am 10. Dezember über London nach Kapstadt voraus, damit er, wenn Kapitän Timpe mit dem Tilly nachfolgte, schon einigermaßen mit den Verhältnissen Bescheid wisse. Heinrich Vogelsang kam Anfang Januar 1883 in Kapstadt an, gab sich hier sehr klug als wohlhabender junger Weltenbummler aus und suchte viel Verkehr. Er erfuhr leicht, daß die ganze Küste zwischen Oranjefluß und Kunene mit Ausnahme der englischen Walfischbai niemandem gehöre und daß insbesondere auch die Bucht Angra Pequena Niemandsland sei. Er machte sofort einen Versuch, zu Lande dorthin zu gelangen, mußte aber aus Wassermangel umkehren. Er brachte weiter in Erfahrung, daß sich in Nama- und Damaraland schon seit Jahrzehnten deutsche Missionare aufhielten, daß die dortigen Handelsaussichten augenblicklich sehr schlecht seien, da die Hottentotten und Hereros sich blutig bekämpften, und schließlich, daß Elefanten und Strauße fast ausgerottet seien, so daß auch auf Elfenbein und Federn nicht zu rechnen wäre. Einige Aussichten beständen für den Handel mit Rindern sowie für Gewinnung von Kupfer, und der beste Hafen für Namaland sei die Bucht Angra Pequena, die zwar einem Hottentottenkapitän in Bethanien gehöre, aber wohl käuflich zu erwerben sein werde. Der Auskunfterteiler, ein Dr. Th. Hahn, empfahl, in den Kampf zwischen Hottentotten und Hereros einzugreifen, indem Vogelsang den ersteren durch Lieferung von Schußwaffen zum Siege verhelfe und dadurch friedliche Zustände herbeiführe. Im übrigen, meinte Hahn, seien dies alles ja recht schöne Phantasien, aber doch auch recht gefährliche Geschichten, und er rate dem jungen Weltreisenden, hübsch in Kapstadt zu bleiben und hier sein überflüssiges Geld in einer zu gründenden Schnapsfabrik anzulegen. Abenteuer - Gefahr - Eingreifen in einen Krieg - grade dies reizte Heinrich Vogelsang, und er brannte darauf, möglichst bald nach Angra Pequena zu kommen. Endlich am letzten Märztage lief der Tilly in die Tafelbai ein, und Vogelsang brachte sofort eine kleine Schar junger Abenteurer an Bord, die er für sein kühnes Unternehmen gewonnen hatte, während er selber ihren Chef spielte. Außerdem ließ er Ochsenwagen, Zelte, Wasser, Mundvorrat laden. Dem neugierigen englischen Hafenkapitän gab er ein ganz anderes Reiseziel an. So jung er war, hatte er doch nicht geschwatzt, so daß keine Menschenseele in Kapstadt etwas ahnte - ganz anders als Lüderitzens zweiter Agent, der anderthalb Jahre später den gleichen Streich auf der Ostküste Südafrikas unternehmen sollte und durch seine großsprecherische Geschwätzigkeit von vornherein alles verdarb.

119 Am 5. April stach der Tilly wieder in See, machte einen schönen Bogen nach Süden und wandte sich dann außer Sichtweite nordwärts. Vier Tage darauf, am 9. April, ließ er in der Außenbucht von Angra Pequena Anker fallen. Vogelsang sprang als erster aus dem Boote an Land, und seine Gefährten folgten ihm mit Hurra. Dies war sozusagen die Gründung der ersten deutschen Kolonie. Nun waren aber ein paar Engländer da. Die freuten sich anfangs über die Abwechslung in ihrer Einsamkeit, doch einer von ihnen, Redford mit Namen, erhob bald Einspruch, als er sah, daß die Deutschen Zelte, Baugerät, Wagen und Wasser an Land schafften und sich häuslich einrichteten. Aber gegen die Übermacht konnte er nichts ausrichten und zog sich grollend zurück. Vogelsang beeilte sich nunmehr, ins Innere nach Bethanien zu kommen und erbat von dort Pferde. Nach fünftägigem Ritte, der ihm die Öde und Leere des Landes zeigte, traf er oben ein, nahm in der deutschen Mission Quartier und begann sofort unter Mithilfe eines mitgenommenen Buren, mit dem Hottentottenkapitän Joseph Fredericks zu verhandeln. Und schon am nächsten Tage, dem 1. Mai des Jahres 1883, hatte Vogelsang den unterschriebenen Kaufvertrag in Händen, nach dem die Bucht Angra Pequena nebst fünf Meilen Land im Umkreise seinem Herrn Adolf Lüderitz, Kaufmann in Bremen, zu erb und eigen gehörte, wofür er dem Joseph Fredericks in Bethanien 100 und 60 Gewehre zu zahlen hatte. Alles war über Erwarten leicht gegangen. Am 21. Mai tauchte Vogelsang in Angra Pequena wieder auf und hißte noch am selben Nachmittage an hohem Mast unter begeisterten Hurrarufen seiner Mannen die deutsche Flagge, die zum ersten Male über deutscher Erde in Afrika im Winde knatterte. Die jungen Leute waren überzeugt, daß ihre Firma jetzt der Vertreter des Reiches in Südwest sei, und blieben sich der Wichtigkeit ihres Tuns vollkommen bewußt. Waren sie es doch, welche soeben die erste deutsche Kolonie gegründet hatten. Am 15. Juni 1883 empfing Lüderitz in Bremen ein Kabel Vogelsangs aus Kapstadt: "Land von Chief gekauft gegen einmalige Zahlung." Jetzt fühlte Lüderitz sich im Sattel und beeilte sich, den Schutz des Reiches für seine Erwerbung zu erlangen. Er hatte schon im Januar persönlich im Auswärtigen Amte vorgesprochen, hatte aber nur eine ganz allgemein gehaltene Zusage auf Reichsschutz erhalten, auf die schließlich jeder Deutsche im Auslande Anspruch hatte. Gleichzeitig ließ Bismarck dem Foreign Office mitteilen, daß das Reich dem Kaufmanne Lüderitz in der üblichen Weise seinen Schutz gewähre und gleichzeitig Aufklärung über Lüderitzens Pläne gäbe für den Fall, daß England jetzt, entgegen früheren Angaben, Hoheitsrechte über jene Gegenden beanspruche. Deutschland hege keine überseeischen Pläne und habe nicht die Absicht, sich in ältere britische Belange in Südafrika einzumischen, ja es sehe es sogar gern, wenn England dortigen deutschen Ansiedlern Schutz gewähren würde. Das Reich behalte sich diesen Schutz selber vor, falls die Ansiedlungen Deutscher außerhalb des britischen oder eines anderen Einflusses lägen. Das Foreign Office gab eine dilatorische Antwort und glaubte wohl, sich damit alle Türen offenzuhalten. Nun aber erschien Lüderitz im August mit seinem vollzogenen Kaufvertrage im Auswärtigen Amte, wozu er ausführte, er wolle sein Gebiet durch neue Ankäufe noch erweitern und wirtschaftlich aufschließen, außerdem wolle er ein paar Engländer, die sich als Besitzer der Guano- und Robbeninseln gebärdeten, dort verdrängen, denn der Hottentottenkapitän von Bethanien bestreite ihnen jedes Recht dazu. Er wurde aber dahin belehrt und verwarnt, er könne aus seinem Landkaufe keine Hoheitsrechte ableiten und dürfe sein Gebiet nicht als Teil des Reiches betrachten, wie ein voreiliger Artikel der Weserzeitung soeben noch ausgeführt habe. Von einer Kolonie wolle das Amt überhaupt nichts wissen. Dies war ein recht kalter Wasserstrahl auf Lüderitzens optimistische Erwartungen. Aber die

120 Angelegenheit war namentlich durch den Artikel der angesehenen Weserzeitung in Fluß gekommen. Bismarck ließ bekanntgeben, daß das Reich dem Kaufmanne Lüderitz Schutz gewähre, soweit er nicht in ältere fremde Rechte eingreife. Gleichzeitig ließ er ebenso vorsichtig wie geschickt durch einen Artikel der offiziösen Post die öffentliche Meinung Deutschlands abtasten und erfuhr, daß Lüderitzens Unternehmen schon eine starke Kolonialbegeisterung entfacht hatte. Damit hatte Bismarck den Klangboden gefunden, der ihm bisher, namentlich im Reichstage, bei der Linken und beim Zentrum gefehlt hatte, und in dessen Ermangelung er bislang jede koloniale Unternehmung abgelehnt hatte. Er sah jetzt die Bahn für koloniale Politik frei, um so mehr als die politische Lage sich grade damals für das Reich günstig, für England aber ungünstig gestaltete. Mit Frankreich stand England wegen der ägyptischen Staatsschulden und wegen des Kongostaates auf gespanntem Fuße und hatte am Nil durch den Mahdiaufstand wachsende Schwierigkeiten; Rußlands Vorrücken in Turan und gegen die Grenzen von Afghanistan beobachtete es mit nicht geringer Beklemmung, da die Richtung auf Indien gar zu klar angedeutet wurde; schließlich drohte nicht nur eine Erneuerung des Dreikaiserbündnisses zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland, sondern auch eine Annäherung Frankreichs an Deutschland. Das war eine Lage, wie sie sich Bismarcks klugem Handeln lange nicht geboten hatte, und wenn einer, so war er der rechte Mann, eine solche Gunst energisch wahrzunehmen. Verstimmt durch einige Erfahrungen über Englands Mangel an gutem Willen, dem Reiche in Überseeangelegenheiten entgegenzukommen - es handelte sich vor allem um jahrelange Verschleppung von Beschwerden deutscher Kaufleute in Fidschi - drängte Bismarck jetzt auf eine klare Stellungnahme des Foreign Office in der Angelegenheit Lüderitz. Er hielt dafür, daß durch die Tatsache, daß England von Bismarcks mittelbarer Einladung, die Südwestküste sich einzuverleiben, keinen Gebrauch gemacht hatte, sowie durch die andere, daß Lüderitz seinen Besitz durch Kauf inzwischen ganz bedeutend erweitert hatte - daß also im Spätsommer 1883 eine neue Lage entstanden sei. Hierzu kam, daß der sehr tätige und kolonialfreundliche Geheimrat von Kusserow in dieser Zeit die handelspolitische Abteilung des Auswärtigen Amtes übernommen hatte, der sofort die Kolonialpolitik des Reiches vorwärtstrieb und Bismarck mit zahlreichen Ausarbeitungen und Vorschlägen zusetzte. Am 6. September wiederholte das Reich in London seine bisher nicht beantwortete Frage, ob England die Oberhoheit über Angra Pequena beanspruche und, wenn ja, worauf ein solcher Anspruch sich gründe. Auch diesmal wurde die Antwort verschleppt und traf erst Ende November in Berlin ein. Aber dafür ließ sie an Unverfrorenheit nichts zu wünschen übrig. Das Foreign Office erklärte nämlich, die englische Oberhoheit sei zwar nur über Walfischbai und die der Bucht Pequena vorgelagerten Inseln erklärt worden, aber trotzdem sei die englische Regierung der Ansicht, daß Ansprüche irgendwelcher Macht auf die Küste zwischen dem englischen Kaplande und Portugiesisch-Angola in ihre Rechte eingreifen würden. Trotzdem habe sie gegen die Teilnahme deutscher Kaufleute an der Besiedlung von Angra Pequena nichts einzuwenden. Diese Erwiderung brachte Bismarck in Harnisch. Solche Kaltschnäuzigkeit durfte das Reich sich nicht bieten lassen. Darauf konnte es nur durch Erklärung seines Schutzes über Lüderitzens Erwerbungen antworten. Die deutsche Gegenfrage in London ging denn auch dahin, mit welchem Rechte die englische Regierung ein Protektorat über Südwestafrika behaupte und welche Vorkehrungen sie getroffen habe, den dort weilenden Deutschen Rechtsschutz zu gewähren. Auch diese Anfrage blieb monatelang unbeantwortet, da der englische Kolonialminister die Kapregierung zur sofortigen Einverleibung der ganzen Küste Südwestafrikas zu veranlassen suchte. Inzwischen war Lüderitz selber nach Angra Pequena gereist, um sich Vogelsangs Erwerbungen anzusehen, die dieser am 25. August 1883 auf das ganze Gebiet zwischen Oranjefluß und 26 Südbreite mit einer Tiefe von 150 km erweitert hatte - dies war schon ein Besitz etwa von der Größe Bayerns. Er fuhr im September 1883 über London nach Kapstadt, wo er hörte, daß ein Engländer

121 Spence die Küsteninseln und sogar Teile der von Lüderitz gekauften Küste beanspruche und gegen Lüderitzens Anspruch in Kapstadt und in Berlin Beschwerde eingelegt habe. Lüderitz suchte sofort den Gouverneur der Kapkolonie auf. Dieser erklärte ihm, ein englischer Kapitän habe 1864 von elf Küsteninseln für England Besitz ergriffen, und die Kapregierung habe sie an die englische Firma de Passy, Spence & Co. verpachtet. Auf Lüderitzens Frage, von wem denn jener Kapitän die Inseln gekauft habe, erhielt er die Antwort, von niemandem, denn sie seien Nobody's Land gewesen. Der deutsche Konsul in Kapstadt, ein sehr englandfreundlicher Herr, gab Lüderitz den Rat, dem Mr. Spence doch einfach seine Ansprüche abzukaufen. Lüderitz aber lehnte dies ab, da er sich in seinem Recht fühlte und da auch Joseph Fredericks Spences Ansprüche bestritt - vielleicht war dies nicht klug, denn die Guano- und Robbeninseln wären schließlich das einzige gewesen, das ihm Einnahmen gesichert hätte. Jetzt fuhr Lüderitz auf einem kleinen englischen Dampfer nach Angra Pequena und langte dort am 11. Oktober an. Als der Dampfer auch Waren für englische Rechnung löschen wollte, da verbot dies Lüderitz so lange, als ihm nicht Zoll gezahlt worden wäre; auch einem etwas später eintreffenden englischen Dampfer ging es so; ja Lüderitz drohte sogar zu feuern, denn er fühlte sich als Souverän eines Landes. Auch ließ er den Flaggenmast des Mr. Spence umhauen. Jetzt schickte die Kapregierung ein Kanonenboot nach Angra Pequena, doch begnügte dieses sich mit einem (recht freundlich gehaltenen) Proteste - anscheinend nahm sein Kommandant, den Lüderitz nebst seinen Offizieren und Kadetten zum Essen eingeladen hatte, die ganze Angelegenheit mehr von der erheiternden Seite - Lüderitz gegen Großbritannien und Irland! Sogar einen schriftlichen Protest Lüderitzens an die Kapregierung nahm das Kanonenboot mit. Nachdem er sich derart in seiner Bucht behauptet hatte, fuhr Lüderitz im Ochsenwagen ins Hochland nach Bethanien hinauf. In diesen vierzehn Tagen mühseliger Wanderung lernte er sein Reich kennen, und er scheint davon nicht erfreut gewesen zu sein, denn es wurde ihm klar, daß hier von einer deutschen Siedlungskolonie keine Rede sein konnte. Damals schon mag in ihm der Gedanke aufgekeimt sein, in einer ganz anderen Ecke Afrikas neues Land zu kaufen. Mit den Hottentottenhäuptlingen kam er leicht zurecht, ja sie baten ihn sogar, in Bethanien einen Kaufladen anzulegen, und

122 schenkten ihm sieben Morgen Land, damit er durch einen Sachverständigen die Eingeborenen im Landbau unterrichten lasse. Besonders befriedigte Lüderitz die Erklärung des Kapitäns Joseph Fredericks, daß er dem Engländer Spence niemals Land verkauft, sondern ihm nur gewisse Nutzungsrechte überlassen habe, die nunmehr durch den förmlichen Verkauf an Lüderitz ihr Ende gefunden hätten. Nach diesen Aussagen behielt Spence bis 1904 lediglich das Recht, am Naubberge Kupfererz zu brechen und über die Angra- oder Pomonabucht zu verschiffen. Alles in allem kehrte Lüderitz in guter Stimmung nach seiner Bucht zurück, stolz im Bewußtsein, unabhängiger Herr eines so riesigen Landes zu sein. Auf den Gipfel aber stieg seine Freude, als er sehr bald das deutsche Kriegsschiff Nautilus einlaufen und ankern sah. Auf der Diazspitze, wo Bartolomeu Diaz 1486 seinen Gedenkstein gesetzt hatte, errichtete jetzt Lüderitz ein mächtiges, schwarzgeteertes Holzkreuz, an dem auf einer Zinkplatte die Worte standen: Errichtet von F. A. E. Lüderitz auf Diaz-Point. Nach Kapstadt abgefahren, suchte Lüderitz wiederum den Gouverneur der Kapkolonie auf, wurde aber nur von dessen Sekretär empfangen. Dieser teilte ihm mit, es hätten sich jetzt Dokumente gefunden, daß nicht allein die Küsteninseln, sondern daß auch die Bucht Angra Pequena schon seit längerer Zeit englischer Besitz sei. Auf seine Frage, wann England die Bucht gekauft habe, antwortete der Sekretär, man habe sie nicht gekauft, denn die Hottentotten seien Wilde, weshalb das Land von jeder Macht in Besitz hätte genommen werden können. Der Deutsche empfahl sich mit der ausgesprochenen Absicht, er werde an Bismarck berichten, der es schon herausbekommen werde, mit welchem Rechte England das von ihm, Lüderitz, rechtmäßig gekaufte Gebiet beanspruchen dürfe. Der Zweikampf Lüderitz-England nahm jetzt schroffere Formen an, und ohne Bismarck als Sekundanten würde Lüderitz natürlich zweiter Sieger geblieben sein. Mitte März 1884 stellte er sich im Auswärtigen Amte zu Berlin ein und legte Kusserow seine Ansichten und Wünsche dar. Zu seiner freudigen Überraschung erfuhr er, daß die Reichsregierung jetzt kolonialen Plänen näher getreten sei und den Wunsch habe, er möge auch noch die ganze Küste von 26 Südbreite nordwärts bis zur portugiesischen Grenze in einer Tiefe von 150 km ankaufen. Zum Zwecke der Flaggenhissung in Westafrika habe das Amt schon einen Reichskommissar bestimmt, der dann auch nach Südwestafrika gehen solle. Nunmehr machte Lüderitz, nach vorhergehender Beratung mit Kusserow, eine große Eingabe, in der er nochmals um Reichsschutz bat und seine Wünsche im einzelnen darlegte. Bismarck war jetzt, nachdem das Foreign Office ihn drei Monate lang hatte warten lassen, entschlossen zu handeln und den Schutz des Reiches durch den Reichskommissar Dr. Nachtigal an Ort und Stelle unter Hissung der Flagge aussprechen zu lassen. Was Lüderitzens besondere Angelegenheit anging, so empfing Bismarck den Kaufmann am 19. April 1884 und versicherte ihn des ausgedehntesten Schutzes des Reiches. Er sagte: "Man muß der englischen Bulldogge gelegentlich die Peitsche zeigen; sie knurrt wohl, aber sie beißt nicht." Dann stellte er ihm für Juni den Besuch der Möwe mit Nachtigal in Aussicht und fragte lächelnd, wer nun eigentlich Souverän von Südwestafrika sein solle: Lüderitz I. oder Kaiser Wilhelm I. oder der König von Bethanien? Dann tranken beide ein Spatenbräu auf das Gedeihen des neuen Gebietes. Lüderitz kehrte in gehobenster Stimmung nach Bremen zurück. Alle Sorgen zerstreuten sich, und alle Unkosten würden sich verzinsen. Er sah sich als eine Art souveräner Lehensträger des Kaisers an. Am 24. April dies ist der denkwürdige Tag von Deutschlands Eintritt in die Kolonialpolitik - erging an den deutschen Konsul in Kapstadt folgende Drahtung des Auswärtigen Amtes: "Nach

123 Mitteilung des Herrn Lüderitz zweifeln die Kolonialbehörden, ob seine Erwerbungen nördlich des Oranje auf deutschen Schutz Anspruch haben, Sie wollen amtlich erklären, daß er und seine Niederlassungen unter dem Schutze des Reiches stehen." Gleichzeitig wurde das Foreign Office zu London im selben Sinne verständigt. Sonderbarerweise fand die Drahtung weder in Kapstadt noch in London ernstliche Beachtung, soweit waren die Engländer von dem Gedanken entfernt, Deutschland könne jemals Kolonien erwerben wollen. Der bekannt englandfreundliche Konsul in Kapstadt verweigerte Lüderitzens Vertreter jede Unterstützung, und Mr. Spence verlangte in der Presse schleunige Inbesitznahme der ganzen Südwestküste. Und der Kolonialminister in London schwieg das Telegramm amtlich tot. Bismarck selber unternahm vorläufig nichts weiter, denn er wollte Zeit gewinnen, bis Reichskommissar Dr. Nachtigal erst einmal in Westafrika eingetroffen und zum Handeln, d. h. zum Hissen der Flagge, gelangt war. Innerlich aber fühlte er sich in seinem Nationalstolze durch Englands verächtliches Verhalten tief gekränkt. Als im Anfang Juni bekannt wurde, daß die Kapregierung die Absicht habe, die Südwestküste vom Oranje bis zur Walfischbai als englisches Hoheitsgebiet zu erklären, da ließ er dem Foreign Office vertraulich mitteilen, das Reich sei nicht in der Lage, eine solche Besitzergreifung anzuerkennen und bestreite das Recht zu ihr. Diese wortkarge Mitteilung erregte in London große Bestürzung, ja der Außenminister gestand am 17. Juni zu, daß in der Angelegenheit nichts weiter unternommen werden solle. Er sah ein, daß die örtlichen Belange der Kapkolonie hinter den größeren des Britischen Reiches in seinem Verhältnisse zu Deutschland zurückstehen mußten. Vorläufig freilich fügte sich die Kapregierung noch nicht den Wünschen des Foreign Office, vielmehr meldete ihr Gouverneur am 23. Juli dem Kolonialminister in London die Einverleibung der ganzen Küste nördlich von Walfischbai. Daraufhin ließ Bismarck den deutschen Kriegsschiffen Wolf, Leipzig und Elisabeth den Befehl zugehen, an allen Punkten der Küste nördlich von Angra Pequena, wo nicht die englische Flagge wehe, die deutsche zu hissen. Für Bismarck war es vorläufig nur noch ein ungelöstes Problem, in welchem Rechtsverhältnisse die neuen Gebiete zum Reiche stehen sollten. Er war dafür, daß sie im Besitze von Privatleuten oder noch besser Gesellschaften blieben und daß das Reich diesen nur seinen Schutz gegenüber anderen Mächten gewähre. Es leitete ihn dabei die Absicht, dem Reiche Unkosten für Verwaltung und Militär zu ersparen, und er dachte an die Vorbilder jener großen Handelsgesellschaften, die im 17. und 18. Jahrhundert besonders bei der Erschließung Indiens eine so wichtige Rolle gespielt hatten. Er dachte sogar an ein Syndikat aller in den drei geplanten westafrikanischen Schutzgebieten beteiligten Handelsunternehmen, mit dem allein dann die Reichsregierung zu tun hätte. Diesen Gedanken lehnten jedoch sowohl der in Kamerun beanteiligte Reeder Woermann wie auch Lüderitz ab. Vor allem aber kam es erst einmal darauf an, möglichst schnell zu handeln. Während jene drei Schiffe durch den Atlant fuhren, verlebte Lüderitz Wochen schrecklichster Unruhe. Er hatte im Mai eine Expedition zur Erwerbung der zwischen Walfischbai und der portugiesischen Grenze gelegenen Küste ausgesandt und mußte befürchten, daß alle Opfer umsonst gebracht waren, wenn englische Schiffe den deutschen zuvorkamen; hatte doch Bismarck ihm gesagt, daß er für solchen Fall auf Reichsschutz nicht zu rechnen habe. Aber alle Sorge stellte sich als überholt heraus, denn am 7. August 1884 hatten Leipzig und Elisabeth in Angra Pequena zum ersten Male die deutsche Kriegsflagge gehißt und mit einundzwanzig Kanonenschüssen begrüßt. Wolf hißte dann die Flagge an der ganzen Küste Südwestafrikas zwischen Sandwichhafen und der portugiesischen Grenze. Anfang September war die deutsche Besitzergreifung von Südwest aller Welt bekannt geworden, und England nahm die vollzogene Tatsache schweigend hin, denn es konnte es sich damals nicht leisten, die ohnehin etwas gespannten Beziehungen zum Deutschen Reiche noch weiter zu belasten.

124 Am 22. September erkannte es das deutsche Schutzgebiet Südwestafrika an. Adolf Lüderitz, Kaufmann zu Bremen und Herr von Südwestafrika, war mit einem Schlage einer der volkstümlichsten Männer Deutschlands geworden; die Presse feierte ihn in schwungvollen Aufsätzen, die ganze Welt kannte seinen Namen. Bitternis in den Wein schüttete nur die Linkspresse, die nach ihrer materialistischen Art behauptete, daß in jenem Sandloche nichts zu holen sei. Ein gutes Wort sprach Carl Alexander von Weimar, als er Lüderitz bei einer Wagenfahrt rechts zu sitzen nötigte: "Sie haben mehr Land als ich, und wenn von mir niemand mehr spricht, so werden Sie in der Geschichte Deutschlands als großer Mann dastehen, und Ihnen werden Denkmäler gesetzt." Scheitern in Südost und Südwest Adolf Lüderitz stand, fünfzig Jahre alt, auf dem Gipfel seiner Erfolge. Er hatte im zufälligen Erhaschen einer ausnehmend günstigen politischen Lage ein Stück Erde in seinen Besitz gebracht, mit dessen Größe verglichen das angelegte Geld lächerlich klein war. Aber wie stand es mit der Ertragsfähigkeit? Würde die öde Wüste die für einen Privaten ja doch ungeheuren Opfer jemals lohnen? Sollten die Linksparteien doch recht behalten? Jedenfalls war es Lüderitz schon im Winter 1883 auf 84 bei seiner Reise klargeworden, daß Südwest sich nicht als Siedlungskolonie großer deutscher Auswanderermengen eignete. Deshalb richtete er seinen Blick noch anderswohin, und zwar auf das Sululand und die an dessen Küste liegende Bai Santa Lucia, auf welche ihn ein Mann namens Einwald Anfang 1884 aufmerksam machte. Dies war durchaus keine neue Idee mehr, denn schon 1875 hatte der Afrikareisende E. von Weber dem Auswärtigen Amte in einer Denkschrift den Vorschlag gemacht, die Delagoabai zu besetzen, eine Bahn nach Pretoria zu bauen und die deutsche Auswanderung in die zukunftsreiche Burenrepublik Transvaal zu lenken. Nachdem dies abgelehnt worden war, trat Weber in seinem 1878 erschienenen Werke Vier Jahre in Afrika öffentlich dafür ein, Deutschland solle an der West- und Ostküste Afrikas einige Buchten in Besitz nehmen, um von ihnen aus allmählich in das Innere einzudringen. Aber Südafrika hatte durch die 1870 erfolgte Entdeckung von Gold- und Diamantengruben für England eine viel größere Bedeutung erlangt, als es vorher besessen hatte, wo es kaum mehr als ein Stützpunkt auf dem Seewege nach Indien gewesen war. Es war England klargeworden, daß es in Südafrika, wo es ohnehin die beiden Burenfreistaaten gegen sich hatte, unter keinen Umständen einen europäischen Wettbewerber zulassen dürfe. Und schon seit 1872 erschienen in der südafrikanischen Presse immer wieder Warnungen vor dem jungen Deutschen Reiche und dem deutschen Militarismus, die auch auf viele Buren nicht ohne Eindruck blieben. Als nun Deutschland die Südwestküste zu seinem Schutzgebiet erklärt hatte, marschierte England, von Cecil Rhodes angetrieben, Ende 1884 in das Betschuanaland ein, um die neue deutsche Kolonie von dem Burenfreistaate Transvaal abzusperren, und im folgenden Jahre erklärte es sogar die öde Kalahari als seinen Besitz. Zu Beginn des Jahres 1884 begann Adolf Lüderitz, der junge Souverän von Angra Pequena, seine Aufmerksamkeit der Ostküste Südafrikas zuzuwenden. Der Abenteurer August Einwald, ein Pfälzer und seines Zeichens Photograph, hatte sich fünf Jahre lang in Südafrika herumgetrieben und wandte sich jetzt an Lüderitz. Dieser ließ ihn nach Bremen kommen und sich seinen Plan auseinandersetzen. Einwald schlug vor, ihn zu beauftragen, das noch von keiner Macht besetzte Sululand nebst der Bai Santa Lucia sowie die Konzession für eine von hier nach Pretoria zu bauende Bahn zu kaufen. Lüderitz, der den ihm völlig fremden Mann Einwald nicht durchschaute, erteilte ihm am 21. Mai 1884 den Auftrag, mit den Suluhäuptlingen bindende Kaufverträge abzuschließen, die alle Hoheitsrechte auf Lüderitz übertrügen und eine Schutzerklärung des Reiches ermöglichen würden. Lüderitz nahm in seiner Unkenntnis an - und Einwald klärte ihn aus Unkenntnis oder Gewinnsucht auch nicht anders auf - daß Sululand Nobody's Land sei, auf welches

125 England wie Transvaal keinerlei Anspruch hätten. Einwald erhielt 6000 Mark und wertvolle Geschenke für die Suluhäuptlinge; außerdem wurden ihm Mark für den Fall des glücklichen Gelingens zugesichert. In seinem Optimismus und seiner Phantasie sah Lüderitz schon von der Westküste bis zur Ostküste und über Transvaal hinweg deutsches Kolonialgebiet reichen, und er ahnte nicht, daß grade der Erfolg, den er auf der Westseite des Festlandes errungen hatte, die Engländer auf der Ostseite inzwischen sehr hellhörig gemacht hatte. Noch bevor Einwald sein Ziel, das Sululand, erreichte - er nahm sich Zeit und vergaß nicht, sich allerorten seiner wichtigen Sendung zu rühmen - war das Unternehmen eigentlich schon gescheitert, denn es war England klargeworden, daß es auch auf dieser Seite den Burenfreistaat Transvaal umklammern und durch Besetzung der Bai Santa Lucia vom Meere und damit von jeder Berührung mit deutschem Gebiete abschnüren müsse. Als Einwald endlich im Herbst 1884 in Sululand eintraf, da fand er hier die politische Lage völlig anders, als sie noch im Jahre vorher gewesen war. England hatte 1879 den mächtigen Sulukönig Ketschwajo besiegt und sein Reich in dreizehn untereinander verfeindete Häuptlingschaften aufgeteilt, deren keine ihm mehr gefährlich werden konnte. Bald darauf mischten sich Buren ein und gründeten in einem Teile des Gebietes im August 1884 die Neue Republik, die zu dem einflußreichsten der Suluhäuptlinge, Dinisulu, sofort in starken Gegensatz geriet. Einwald, Ende Juni in Durban gelandet, erkannte allmählich, daß die Lage inzwischen sehr bedrohlich geworden war, und richtete im September an das Auswärtige Amt die dringende Bitte, sofort einzugreifen und ein Kriegsschiff in die Bai Santa Lucia zu entsenden. Er glaubte jetzt, daß Lüderitz keine Aussicht mehr hätte, Land zu erwerben, da die Neue Republik und Dinisulu, jeder für sich, als Herren des Sululandes sich betrachteten, so daß für Landkäufe eines Privatmannes keine Möglichkeit mehr bestehe. Bismarck, dem Einwalds Schreiben am 10. Oktober vorgelegt wurde, verhielt sich aber durchaus ablehnend, denn es war sein Grundsatz, nur vollzogene Kauferwerbungen unter Reichsschutz zu stellen. Schon kurz vorher, am 28. September, hatte er Lüderitz, der ihm in Friedrichsruh von Einwalds Sendung sprach, leise gewarnt. Inzwischen war Einwald in der Neuen Republik angekommen, wurde aber von deren Präsidenten abgewiesen. Jetzt ging er zu Dinisulu und traf Mitte November bei ihm ein. Dieser, von seinem Staatssekretär Schiel, einem guten Deutschen und bewährten Burenkämpfer, beraten, schenkte ihm gern Gehör; denn er sah hier einen Weg, die Buren loszuwerden und auch gegen England Schutz zu finden. Schiel aber, ein in allen Sätteln gerechter Abenteurer, der Einwald als unzuverlässigen Schwätzer durchschaute und ihm nicht glaubte, daß er Lüderitzens Beauftragter sei, ließ von Dinisulu am 13. November 1884 die Bai Santa Lucia nebst 245 qkm Land an sich selber urkundlich übereignen und erlangte außerdem Vollmacht, die Schutzhoheit des Deutschen Reiches über Sululand herbeizuführen! Einwald erkannte dies zu seiner größten Verblüffung erst, als der Akt schon vollzogen war, doch Schiel suchte ihn zu beruhigen, indem er ihm sagte, er werde seinen Vertrag an Lüderitz abtreten. Dies wollte Schiel aber persönlich ausführen, deshalb ritt er schleunigst nach Durban, von wo Einwald eine Drahtnachricht an Lüderitz senden mußte: "Mission ended successful details orally by Schiel." Damit hatte letzterer seine Einführung in Bremen erlistet und empfahl sich zu Einwalds neuer Bestürzung mit dem nächsten Dampfer. Lüderitz war hocherfreut, als er Einwalds Drahtung erhielt und setzte sich sofort mit dem Auswärtigen Amte um Erklärung des Schutzes für seine neue Erwerbung ins Benehmen, glaubte er doch, Bismarcks Bedenken würden durch einen unanfechtbaren Kaufvertrag ohne weiteres überwunden werden. Bismarck aber erkannte sofort, daß der Vertrag nicht unbedingt einwandfrei war, da die Rechtslage zwischen Dinisulu und der Neuen Republik als sehr ungeklärt, ja als äußerst verwickelt erschien. Aber er sagte sich, daß diese Bai Santa Lucia recht wohl als Druckmittel und Tauschgegenstand gegenüber England in Rücksicht auf Zugeständnisse desselben in Kamerun zu verwenden sei, wo englische Agenten fieberhaft arbeiteten, um den deutschen Besitz möglichst

126 einzuengen. Er gab Ende November unverzüglich Befehl, daß der Gneisenau die Bai anlaufen und dort die Flagge hissen solle. Aber wenige Tage später lief eine Depesche des deutschen Konsuls in Kapstadt beim Auswärtigen Amte ein, die folgenden erstaunlichen Inhalt hatte: "Einwald hier, seine Meldung an Lüderitz am 24. November falsch. Warnung vor Schiel." Daraufhin ließ Bismarck ohne weiteres den Befehl für Gneisenau rückgängig machen und jenem Konsul drahten: "Vorgehen in Sululand einstellen." So hatte Einwalds Eifersucht auf Schiel, der ihn geschickt ausgeschaltet hatte, noch im letzten Augenblicke die schöne Aussicht zerstört, auf der Ostseite Südafrikas eine deutsche Kolonie zu gründen. Und für Adolf Lüderitz begann der Abstieg! Allerdings bleibt zweifelhaft, ob Gneisenau noch rechtzeitig in der Bai Santa Lucia eingetroffen wäre, denn am 18. Dezember wurde dort die britische Flagge durch ein Kriegsschiff gehißt. Einwald hatte allerorten gar zu offenherzig und großtuerisch von seiner Aufgabe geschwatzt. Am 29. Dezember 1884 traf Schiel bei Lüderitz in Bremen ein und legte den Kaufvertrag in seine Hände. Er hörte zu seinem Erstaunen, daß Einwald doch Lüderitzens Beauftragter gewesen war, was er ihm nicht geglaubt hatte, da Einwald seine Behauptung nicht hatte beweisen können. Und zu seinem Ärger vernahm er auch von der Hissung der englischen Flagge, während er selber damals noch in der Biskaja die allerschönsten Luftschlösser gebaut hatte. Lüderitz sandte jetzt die von Schiel empfangenen Vertragsurkunden nebst einem Bericht Schiels über den Vorgang an das Auswärtige Amt und bat um Reichsschutz, denn die Flaggenhissung der Engländer sei ungültig, da sie nicht in einem Niemandslande, sondern auf seinem eigenen, rechtskräftig gekauften Grund und Boden erfolgt sei. Dem Fürsten Bismarck schien zwar die Rechtmäßigkeit der Erwerbung unanfechtbar zu sein, er wollte aber, ehe er weitere Schritte einleitete, über die Stellungnahme der Buren zu diesen Fragen unterrichtet sein, damit sie nicht etwa durch ein deutsches Vorgehen an Englands Seite gedrängt würden. Nur wenn Transvaal zustimmte, gedachte er die Schutzerklärung über Sululand auszusprechen; im andern Falle wollte er Sululand lediglich als Druckmittel gegen England in Hinblick auf Zugeständnisse in Kamerun und Neuguinea verwenden. Damit war den Buren die Entscheidung über die Zukunft Südafrikas in die Hand gegeben. Erklärten sie sich mit einer deutschen Festsetzung an der Bai Santa Lucia einverstanden, dann waren sie der englischen Umklammerung ledig, und es stand ihnen hier immer ein englandfreier Hafen offen. Der Ausblick auf ein deutsch-burisches Südafrika, das den Transvaalkrieg nicht erlebt und den Weltkrieg an dieser Stelle der Erde schnell zu Deutschlands Gunsten entschieden hätte, öffnete sich einen Augenblick. Aber der Augenblick fand in den Buren ein kleines Geschlecht, das Angst vor dem angeblichen deutschen Militarismus hatte und der englischen Propaganda schon viel mehr erlegen war, als es selber ahnte. Die Transvaalburen wollten ebensowenig die deutsche wie die englische Nachbarschaft, aber sie erkannten nicht, daß die stammverwandte deutsche immer noch das kleinere Übel war. Denn die englische Flaggenhissung in Santa Lucia wurde der Anfang von Transvaals und Oranjes Ende. Der bauernschlaue Paul Krüger bildete sich ein, er könne einen Mann wie Bismarck gegen England ausspielen, um die Bai selber zu bekommen; aber damit mutete er sich zu viel zu, Bismarck einigte sich auf Krügers Kosten mit England, und Krüger selber bekam - nichts. Hatte Transvaal auf einen Vertrag vom Jahre 1840 gepocht, in dem ihm ein längst verschwundener Suluhäuptling die Bai zugesichert hatte, so wies England nach, daß jener durch den englisch-burischen Vertrag von 1884 hinfällig geworden sei, der die Grenzen Transvaals neu festlegte und Sululand nicht in sie einschloß. Jedenfalls erkannte Bismarck klar, daß von den Buren keine Unterstützung eines deutschen Vorgehens gegen England wegen der Bai zu erwarten sein würde.

127 Um Lüderitzens Erwerbung aber wenigstens als Austauschwert auszunutzen, ließ Bismarck in der Öffentlichkeit das mangelnde Recht Englands auf das Gebiet kräftig herausstreichen und die englische Flaggenhissung wegen älterer Rechte sowohl der Buren wie Lüderitzens als voreiligen Schritt brandmarken. Lüderitz ahnte nicht, daß er schon nichts anderes mehr war als ein kleiner Bauer auf Bismarcks Schachbrett. Er war von seinem Rechte felsenfest überzeugt, aber was ist Privatrecht gegenüber der Macht der Großen! Es entspann sich Mitte Januar 1885 ein diplomatischer Streit zwischen Auswärtigem Amt und Foreign Office, in welchem Bismarck langsam von der von ihm nur vorgeschobenen Luciabai auf Kamerun und Neuguinea hinüberspielte, und schließlich kam im März ein Einvernehmen zustande, in welchem Bismarck die Bai Santa Lucia preisgab, während England in Kamerun und Neuguinea Zugeständnisse machte. Aber die Bai war für England das wichtigere, denn sie bedeutete die endgültige Abschnürung Transvaals vom offenen Meere. Es war für Bismarck ein Übersee-Erfolg in allerletzter Stunde, denn schon kurz darauf befreite der Sturz des französischen Ministerpräsidenten Ferry durch den grimmen Clemenceau, der eine Zeit des Revanchegeschreis gegen Deutschland einleitete, die englische Regierung von der Sorge einer Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich. Adolf Lüderitz aber, Kaufmann zu Bremen und Herr von Südwestafrika, war das Opfer der großen Politik geworden. Er hatte Gold und Hoffnung einer Schimäre geopfert. Dem Reiche freilich hatte er unbewußt einen großen Dienst erwiesen, denn Kamerun und Deutsch-Neuguinea wären ohne seinen Ankauf der Luciabai wesentlich kleiner ausgefallen, als sie fortan waren. Südwestafrika Lüderitz sah sich auf Südwestafrika zurückgeworfen und machte sich erneut daran, dessen wirtschaftliche Möglichkeiten besser zu erkennen und zu entwickeln. Das einzige freilich, was eigentlich sofort Ertrag abwarf, die Küsteninseln mit Guano und Robben, die hatte das Reich preisgegeben und als außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes liegend anerkannt. Lüderitz schickte seit 1884 mehrere Expeditionen in das Innere, teils um Kaufverträge mit Häuptlingen abzuschließen, teils um nach nutzbaren Lagerstätten zu forschen. So ließ er dem Häuptling Piet Haibib im Sommer 1884 die Küste zwischen 22 und 26 Südbreite in 150 km Landtiefe abkaufen. Der Hererohäuptling Kamaherero von Okahandja freilich verhielt sich gegen alle Versuche ablehnend und einigte sich mit dem Leiter der Walfischbai sogar auf Annahme englischer Schutzherrschaft, wobei der deutsche Missionar Hahn ihn erstaunlicherweise noch unterstützte. Dagegen verkauften die Häuptlinge von Berseba und Rehobot. Im Spätherbst 1884 kam der Reichskommissar Nachtigal, prüfte die Kaufverträge nach und veranlaßte mehrere Häuptlinge auch zur Annahme der deutschen Schutzherrschaft. Kamaherero aber verstand sich erst Ende Oktober 1885 dazu, sie anzuerkennen. Lüderitz selber kaufte 1885 noch eine ganze Anzahl von Gebieten. Adolf Lüderitz hatte dem Reiche ein Gebiet von etwa qkm mit Bewohnern zugebracht und besaß selber weite Teile davon zu eigen. Aber er wurde darüber ein armer Mann. Der ursprünglich geplante Tauschhandel mit den Eingeborenen erbrachte nichts Nennenswertes, da diese durch ständige Kriege verarmt waren und da die damals noch geringwertigen deutschen Waren gegen die besseren englischen nicht aufkommen konnten. Lüderitz begann einzusehen, daß nur durch Auffindung und Abbau von nutzbaren Mineralien aus dem angelegten Kapital noch etwas herauszuholen blieb. Zu Anfang 1885 traf ihn der Schlag, daß der Tilly mit allen Waren und mit

128 teuren Bohrmaschinen an der Küste unterging. Lüderitz begann nur noch an Erze zu denken und sandte mehrere kostspielige Expeditionen aus, die in dem Riesenlande in kürzester Zeit greifbare Erfolge hereinbringen sollten. Ein Ertrinkender schon, klammerte er sich wie an einen Strohhalm an Kupfer oder dergleichen, hatte doch auch der vielgereiste Afrikaforscher Nachtigal sofort erkannt, daß in diesem Ödlande nur Mineralschätze großen Gewinn abwerfen konnten. Und die Expeditionen kehrten allesamt ohne Ergebnis zurück! Schon im Herbst 1884 mußte Lüderitz begreifen, daß er sein Unternehmen aus eigener Kraft nicht lange mehr würde aufrechterhalten können. Er sah sich nach Kredit um, aber welche Bank hätte ihm solchen gewährt, nachdem die Reichstagslinke nur zu oft über das unergiebige Sandloch geschimpft hatte. Bloß seine nächsten Verwandten liehen ihm Mark. Aber das nützte alles nichts, er mußte versuchen, seinen südwestafrikanischen Besitz unter Wahrung gewisser Rechte an eine Gesellschaft abzutreten. Die Diskontogesellschaft hätte wohl gekauft, aber sie wollte bedingungslose Abtretung, worauf Lüderitz nicht einging, da er wenigstens die Minenrechte seinen Kindern erhalten wollte. Erst als englische Geldleute sich meldeten, griff das Auswärtige Amt ein und gab etlichen Finanzkreisen einen Wink. Aber diese wußten nur zu genau, in wie großen Schwierigkeiten Lüderitz schon stak, und jedermann war überzeugt, daß es sich hier um ein reines Verlustgeschäft handle. Lüderitz hatte Mark in Südwestafrika hineingesteckt - für die Entwicklung einer großen Kolonie lächerlich wenig, für einen Privatmann zu viel. Er mußte mit seiner Forderung immer mehr heruntergehen, und schließlich mußte er sich mit der baren Zahlung von Mark zufriedengeben, grade die Summe also, die er seinen Verwandten schuldete; hierzu kamen noch Mark in Anteilscheinen. Käufer war die zu diesem Zwecke gegründete Südwestafrikanische Gesellschaft, deren Aktionäre sicherlich alle überzeugt waren, daß sie einem verkrachten Kaufmanne ein fettes Almosen schenkten. Das war am 4. April Etliche Wochen vorher hatte Deutschland die Luciabai preisgegeben. Lüderitz ahnte nicht, daß er ein Milliardenvermögen verschenkt hatte, und die Käufer hatten ebensowenig eine Ahnung davon, wie reich sie plötzlich geworden waren. Ein Jahr darauf, im Mai 1886, fuhr Lüderitz ein zweites Mal nach Südwest. Er wollte im Süden, in dem Lande zwischen Angrabucht und Oranje, selber nach Lagerstätten forschen und außerdem die Nordseite des Oranje auf ihre Besiedlungsfähigkeit untersuchen sowie die Mündung des Flusses auf ihre Schiffbarkeit hin prüfen. Er war und blieb felsenfest überzeugt, daß sein ehemaliges Land eine große wirtschaftliche Zukunft haben werde, und er fühlte sich mit seinen zweiundfünfzig Jahren noch nicht zu alt, um nicht noch selber daran teilzuhaben. Sein Vermögen war schon so weit heruntergegangen, daß er sich von der Südwestafrikanischen Gesellschaft 6000 Mark leihen mußte, um die geplante Reise ausführen zu können. Auf See schrieb er an seine Frau: "Ohne günstige Resultate komme ich nicht zurück, und wenn ich ein Jahr lang herumreisen muß." Am 13. Juni lief sein kleiner Schoner Meta, von Kapstadt kommend, in die Angrabucht ein. Einen Monat später brach er mit zwei Ochsenwagen sowie mit etlichen weißen und farbigen Begleitern ins Innere nach Bethanien auf. Von hier ritt er am 30. August südwärts und erreichte den Oranje Mitte September bei Nabas Drift. Am 20. September fuhr er mit drei weißen Begleitern in zwei Segeltuchbooten den Fluß abwärts, wobei sie innerhalb von siebenundzwanzig Tagen zweiundfünfzig Schnellen umgehen mußten. Am 17. Oktober langten die vier Männer bei Aries Drift an. Sie hatten zwar das Nordufer des Oranje als zur Ansiedlung geeignet, Mineralschätze aber nicht gefunden.

129 In Aries Drift beschloß Lüderitz, in einem der Boote und mit nur einem Begleiter, einem ehemaligen Schiffssteuermanne namens Steingröver, den Strom bis zur Mündung hinabzufahren und dann entlang der Küste nordwärts nach Angra Pequena zu segeln. Er hatte keine Lust, viele Wochen lang der Ankunft seiner Wagen, die er in Bethanien zurückgelassen hatte, zu harren. Die anderen beiden Weißen dagegen sollten die Wagen erwarten und derweilen in der Gegend prospektieren. Am 21. Oktober lief Lüderitzens Boot in die Mündung des Oranje ein und landete bei dem Hause eines Buren. Hier übernachteten die beiden Reisenden. Als der Bur von der Absicht hörte, in dem winzigen und gebrechlichen Boote nach Angra Pequena zu fahren, erschrak er, warnte Lüderitz ernstlich und ermahnte ihn, lieber längere Zeit auf seinen Ochsenwagen zu warten. Aber die beiden Deutschen ließen sich nicht abraten. Am 22. Oktober trugen fünf Eingeborene das Boot an die Alexandrabucht und zu Wasser. Am nächsten Tage schoben sie frühmorgens das Boot ein Stück hinaus, hierauf ruderten Lüderitz und Steingröver es noch etwa einen Kilometer weiter, um dann das kleine Segel zu setzen. Die See war ruhig, es wehte ein leichter Südwest, Lüderitz hoffte, in zwei Tagen in der Angrabucht anzukommen. Seitdem hat man nie wieder etwas von Adolf Lüderitz gesehen noch gehört. Man weiß nur, daß am andern Tage, am 24. Oktober 1886 also, der Wind umsprang und sich schnell in einen starken Nordweststurm verwandelte, der hohe Wogenberge gegen den Strand wälzte. Hieraus ergeben sich zwei Möglichkeiten der Erklärung von Lüderitzens Schicksal an diesem Tage. Entweder ist das Boot vollgeschlagen und gekentert, so daß die beiden Insassen den Tod in den Wellen fanden; aber der eine war Seemann von Beruf, und auch Lüderitz hatte auf der Weser viel gesegelt, so daß sie doch wohl rechtzeitig gelandet sein werden. Oder aber, und dies dünkt uns wahrscheinlicher, sie haben sich noch glücklich an die öde Küste gerettet und haben hier auf besseres Wetter gewartet oder sind zu Fuße nach Norden gewandert. Da sie nur wenig Trink- und Eßvorrat bei sich hatten, werden sie mindestens am nächsten Tage die Wanderung vorgezogen haben, denn sie mögen nur noch 100 km von der Angrabucht entfernt gewesen sein. Eine solche Strecke läßt sich im Wüstensande notfalls in zwei Tagen zurücklegen, und das hätten die beiden Männer unter furchtbarer Entbehrung - aber es dürfte ja Ende Oktober noch nicht allzu heiß gewesen sein - wohl grade noch schaffen können. Wir denken an Nachtigals Flucht aus Tibesti (S. 114). So will es uns am wahrscheinlichsten vorkommen, daß jene Erzählung, die ein deutscher Offizier 1909 von einem alten Buschmanne gehört hat, auf Lüderitz und seinen Begleiter zutrifft: daß nämlich vor Jahren einmal zwei weiße Männer an den Strand getrieben und dann von Buschmännern getötet worden seien. Ein Absuchen der Küste durch den Schoner Meta, der in alle Buchten hineinlief, blieb ergebnislos. Es ist anzunehmen, daß der Mann, der sich als Fünfundzwanzigjähriger mit Büchse und Tomahawk gegen die mexikanischen Banden verteidigte, auch in Afrika sein Leben an Wellen oder Buschmänner teuer verkauft hat. Enttäuscht von seinen kühnen Unternehmungen, fand er in dem Lande seinen Tod, das bald den Namen Lüderitzland erhielt, grade wie Angra Pequena auf Vorschlag der Deutschen Kolonialgesellschaft in Lüderitzbucht umgetauft wurde. Es wurde dem unternehmenden Manne ein Alter in Verzicht und Gram erspart, er hätte es schwer ertragen, bei Lebzeiten vergessen zu werden. Um so heller klingt sein Name in währender Zeit, da alles verloren ist, was er dem deutschen Volke gewann. Wilhelm Schüßler gab 1936 seine Lebensbeschreibung heraus.

130 Das Charakterbild Neben den Kolonialsoldaten Hermann Wissmann ist jetzt in unserer Betrachtung der Tatmensch und Kolonialgründer Adolf Lüderitz getreten. Er ist der einzige unter den Männern dieses Buches, der in gereiftem Alter nach Afrika kam und der nur vier Jahre mit der schwarzen Sphinx rang. Er erstritt den schnellsten Sieg, aber er erlag auch am schnellsten. Lüderitz hat keine Bücher über Afrika geschrieben, denn er war ein Kaufmann, der anfangs in der Hoffnung auf bessere und interessantere Geschäfte in den westafrikanischen Handel Geld steckte, dann aber sehr bald auf eine höhere Ebene stieg, indem er seinem Volke die langersehnte Siedlungskolonie schaffen wollte. Es war wohl Schuld seiner kaufmännischen Einstellung zum Leben, daß er sich nicht rechtzeitig aus dem Schrifttum über Südwestafrika und dessen dürftige Natur unterrichtete, er würde sein Augenmerk sonst vermutlich anderswohin gerichtet haben. Aber wenn wir von diesem Fehler seiner Geistigkeit absehen, dann steht er als deutscher Mann von bestem Wollen vor uns Adolf Lüderitz und bleibt ewig der, welcher den Eintritt des Reiches in die Kolonialpolitik erwirkt und die erste deutsche Kolonie erworben hat. Das ist wahre Tatleistung, deren über jeden Verdacht erhabene Reinheit der Absichten er mit seinem Vermögen und bald darauf mit seinem Tode unter gültigen Beweis gestellt hat. Adolf Lüderitz entstammte niedersächsischen Familien, von denen die väterliche Seite anscheinend mehr in der Südhaide, die mütterliche an der Niederweser wurzelte. Damit stoßen innerhalb des Gesamtrahmens manche Gegensätze in ihm aufeinander, und der Winkel der Möglichkeiten erscheint weiter gespannt, als er es bei einheitlicherer Stammesprägung sein müßte. So war er äußerlich dunkler und innerlich lebhafter, als man dies von einem bremischen Kaufmanne alten Schlages erwartet; ja er war überhaupt keine eigentliche Händler-, sondern eine Heldennatur, er wagte mehr als er wägte. Diese Zwiespältigkeit seines Wesens ist ihm zum Verhängnis geworden, denn der Held in ihm grub, rein geschäftlich gesehen, dem Händler das Grab. Leider sind wir über Lüderitzens Äußeres nur wenig unterrichtet, hier versagt selbst sein trefflicher Biograph Wilhelm Schüßler, der in seinem Buche Adolf Lüderitz (Bremen 1936) auf Grund tiefschürfender Aktenstudien seinen Lebensgang und dessen Verflechtung in die große Politik so eingehend aufgedeckt hat. Lüderitz war hochgewachsen und hatte blaue Augen, doch scheint das Haar ziemlich dunkel gewesen zu sein, wohl tiefdunkelblond, auf dem Haupte etwas gelockt. Das Antlitz war schmal und hoch, seine Züge zeigten eine dem nordischen nahekommende Regelmäßigkeit, ohne doch grade nordischen Ausdruck zu haben - soweit das von Schüßler gegebene Bild ein Urteil erlaubt. Unter der großen und freien Stirn sitzt ein Gesicht, das in den hinter goldener Brille scharf und nadelspitz beobachtenden Augen verhaltene Ruhe und verborgene Bereitschaft zum Losbrechen anzuzeigen scheint. Ein eigenartiges Antlitz, das durch den prüfenden, fast stechenden Blick und durch die Ahnung einer verborgenen großen Leidenschaft auf manche Menschen einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht haben dürfte.

131 Suchen wir uns in Lüderitzens Charakter zu vertiefen, so offenbart uns seine Gefühligkeit folgendes Bild. Sein Antlitz verrät, daß viel Ernst in ihm wohnte, etwas, das auf absolute Erkenntnisse drängte und sich nicht mit Nebensächlichkeiten abgab. Er hatte einen einfachen und graden Sinn, der bis zur Derbheit ging und Freude an unkomplizierter Tätigkeit fand, an der des Bauern oder Handwerkers etwa. Durchaus kein Stadt- und Kontormensch, liebte er Felder und Tiere. An solchen Dingen freute er sich in naiver Heiterkeit, wie er überhaupt vieles mit Humor auffaßte. Er fand für alles den richtigen Namen und scheute sich nie, ihn auch auszusprechen. Als Carl Alexander von Weimar ihn fragte, wie eigentlich die Hottentottenweiber aussähen, da hockte Lüderitz auf dem Boden nieder und sagte: "Sehen Sie, Königliche Hoheit, bei uns ist immer noch Luft zwischen, bei den Hottentottinnen aber nicht - bis auf die Erde." Er war ein guter Gesellschafter, liebte Neckereien und belebte die langweiligen Familientage durch Vortrag eigener launiger Verse. Auf der Grundlage dieser angeborenen Heiterkeit entwickelte sich ein nicht totzukriegender Lebensmut und ein unverwüstlicher Optimismus, eine rege Phantasie und eine ungewöhnliche Begeisterungsfähigkeit. Faßte er einen Plan, so übersprang seine Phantasie erst einmal den weiten Weg, der zum Gelingen führte, und ergötzte sich wie an einem schon glücklich zu Ende gebrachten Werke. So arbeitet das Gehirn eines Schwelgers, nicht eines nüchternen Rechners. Ohne feurige Anteilnahme seines innersten Wesen reizte ihn kein Geschäft, kein Unternehmen, wogegen die Unmöglichkeit einer genaueren Berechnung der Ertragsfähigkeit keinerlei Schrecken für ihn barg. So war er das Gegenteil eines eisig prüfenden hansischen Kaufmannes, der ein Geschäft nur mit vollkommener Nüchternheit und rein verstandesmäßig anfaßt, während es ihm anders nicht mehr als Geschäft, sondern als abenteuerliches Glücksspiel erscheint. Aber für gar zu lange Erwägungen zeigte Lüderitzens sprühendes Temperament wenig Neigung. So schnell und deshalb oft schwer verständlich wie er sprach, so hastig pflegte er zuzupacken, wenn etwas Neues ihn reizte, laut und unruhig, nicht selten unbedacht und verletzend redend, rückhaltlos alles herausschleudernd, was er meinte. Seine bremischen Landsleute, die gemessensten Kaufleute in deutschen Landen doch, dachten deshalb nicht allzu hoch von ihm und seinen afrikanischen Geschäften. Als es mit seinem Vermögen bergab ging, sprang ihm kein einziger bei, denn sie fürchteten seine kaufmännische Unbedachtheit. Aber die Meinung seiner engeren Landsleute machte Lüderitz nichts aus, darüber lachte er, denn er fühlte sich als freier und unabhängiger Mann, besonders wenn er auf seinem Landgute weilte, wo er die beste Zeit seines Lebens genoß. Innere Bindungen empfand er nur gegenüber seinem Volke, das er hingebend liebte und auf dessen Größe im jungen Reich er stolz war. Diese Größe noch zu mehren, setzte er Vermögen und Leben ein. Die Grundlagen von Lüderitzens Willenhaftigkeit waren Energie und Mut, die zur Tatlust zusammenrannen und entweder in Erfolg oder in Scheitern ausmündeten. Immer nach etwas Neuem aus, nie zufrieden mit Vorhandenem, nicht ausgefüllt von einem behaglichen Leben, dürstete Lüderitz nach Taten, nach Leistungen, mit denen andere sich nicht messen konnten. Es mußte aber Abenteuer, Gefahr dabei in Aussicht stehen, sollte ein Ziel den Offizierssproß reizen, dessen ewige Unruhe die bürgerliche Welt einer Hansestadt nicht zu befriedigen vermochte. Er war ein ländersuchender Wiking im Kaufmannsrock, der statt des Meerdrachens den Kontorbock zu besteigen verurteilt war. Daß solch eine Natur von der bescheidenen Ebene kolonialer Handelsbetätigung auf die höhere des Kolonialgründers emporstieg, mag da nicht allzu verwunderlich erscheinen. Ein Stürmer und Dränger, ein Mann, der von der Gegenwart in die Zukunft hinaus dachte, wuchs er vom Kaufmanne, der an Geldverdienen, also nur an sich selber denkt, zum Kolonialpolitiker empor, dem sein Volk immer mehr vor ihn selber tritt. Schnelle Entschlossenheit ermöglichte ihm, ja sie trieb ihn, von der Fassung einer Idee sofort an ihre Verwirklichung zu gehen, seine Beharrlichkeit ließ ihn dann nicht von dem eingeschlagenen Wege abweichen, und seine Energie war stets zum letzten Einsatze bereit. Daß sein Mut vor nichts zurückschreckte, beweist die Teilnahme des jungen Menschen an einem Stiergefecht und die Verteidigung seines Ranchos gegen mexikanische Räuberbanden; das beweist auch seine Todesfahrt

132 an der gefährlichen Küste seines Landes, von der er sich nicht abraten ließ. Durch Einspruch oder Widerstand nur gereizt und von Gemüt aus zu Unvorsichtigkeiten geneigt, artete sein Mut leicht in Tollkühnheit aus und hörte auf keinerlei Gründe der Vernunft mehr. Wenn das Auswärtige Amt ihn bei Beginn seiner beiden kolonialen Unternehmungen warnte, so bedeutete das nichts für seine gradezu dämonische Unternehmungslust. Sein Optimismus und seine Beharrlichkeit bewahrten ihn vor Verzichtleistung, so daß diese sogar dann nicht in ihm aufkam, wenn für die Augen anderer schon alles verloren war. Ebenso wie seine Beharrlichkeit ihn nicht von der Verfechtung seines Rechtstitels auf die Angrabucht nebst deren Inseln sowie auf die Luciabai zurückweichen ließ, ebenso unwandelbar war seine Zuversicht auf endliches Gelingen und auf die Zukunft seines kolonialen Wirkens. Irgendwann einmal mußte Südwestafrika alle ihm gebrachten Opfer lohnen, und eines Tages würde er, Lüderitz, dies aller Welt beweisen können. Sein Selbstvertrauen, das ihn schon als junger Mensch in Mexiko vom Kaufmann zum Landwirt hinüberwechseln ließ und das sich in dem Wahlspruch prägte: Nec aspera terrent, sed per aspera ad astra - dieses Selbstvertrauen steigerte seine Fähigkeiten, besonders wenn Sorge und Not auf ihn eindrangen, so sehr, daß er einer an ihn herantretenden großen geschichtlichen Aufgabe gerecht zu werden vermochte; und zu einer solchen mußte einer mehr als Nur-Kaufmann sein, wie denn der große Adolf Woermann, der bloß Geschäfte machen wollte, grade in jenen Tagen an einer solchen Aufgabe hinsichtlich Kameruns vorbeigegangen ist. Lüderitz war von einer besonders starken, durchaus niedersächsischen Ichheit erfüllt. So sehr er, auf das ganze deutsche Volk und das Reich angesehen, ihnen zu dienen bereit war, als Person fühlte er sich völlig selbständig und unabhängig und hatte als Hanseat für preußische Unterordnung wenig Sinn. Auch unter seinen engeren Landsleuten in Bremen stand er ziemlich vereinsamt, Landwirt aus Neigung und Abenteurer von Wünschen; man sah ihn dort als Sonderling an, ja er hatte für den ehrbaren Kaufmann etwas von einem Don Quichote. Am wohlsten fühlte er sich in dem Gedanken, als Souverän über ein großes, sei es auch armes Ländergebiet zu herrschen; am liebsten hätte er eine eigene Landesflagge geführt und Zölle erhoben. Was ein Wunder, daß er dann in den Tagen der Not einsam und verlassen dastand. So erwuchs ihm aus seiner Tollkühnheit und aus seiner Ichhaftigkeit, freilich auch aus seiner Unkenntnis der Verhältnisse, über die er sich nicht rechtzeitig unterrichtete, die Tragik seines Lebens. Aus der Welt bürgerlicher Gesichertheit in die des patriotischen Abenteurers heraustretend, begann er ein privates Unternehmen, das sich schnell zu politischer Bedeutung ausweitete und dessen bergeschwere Last sein Vermögen überstieg. Die Wogen schlugen plötzlich über ihm zusammen und stellten Anforderungen an Arbeitskraft und Geld, denen er als einzelner nicht mehr gerecht werden konnte und denen nur ein Staat gewachsen war. So hat die übergroße Aufgabe ihn verschlungen, aber wahrlich, es war ein tapferes und schönes Kämpfen, das dem Deutschen Reiche den Durchbruch zur Kolonialpolitik ermöglichte! Carl Peters Blockadebrecher Welcher Schreck befiel den trotz seiner jungen Jahre schon so berühmten Begründer von Deutsch- Ostafrika, als er am 31. März des Jahres 1889 in Sansibar eintraf und von seinem dortigen Vertreter hörte, daß der Sultan seinen in Aden angeworbenen hundert Somalis nebst deren Führer, Kapitänleutnant Rust, die Ausschiffung in Witu und Sansibar verboten hatte, so daß ihnen nichts anderes übriggeblieben war, als in Bagamojo zu landen. Die Lage an der Küste Ostafrikas hatte sich in allerletzter Zeit durch den Araberaufstand grundlegend geändert. Was war geschehen?

133 Carl Peters setzte sich hin, bezwang seinen Ärger und seine Ungeduld und überdachte die ganze Geschichte. Da hatte er sich nun ein volles Jahr lang bemüht, diese sogenannte deutsche Emin- Pascha-Expedition zusammenzutrommeln und durch ein Komitee Mark sammeln zu lassen, doch eine recht hübsche Summe. Nun ja, man tat so, als dürfe man hinter dem Engländer Stanley nicht zurückstehen, jenen Pascha da hinten in seiner Äquatorialprovinz zu befreien. In Wahrheit war es ja so, daß beide, Stanley wie er selber, mit dem Namen Emin Pascha die schöne Provinz Äquatoria meinten. Deutschland hätte diese Abrundung seines ostafrikanischen Schutzgebietes am obern Nil gebrauchen können, und England - nun, wem gönnte England auch nur ein Stückchen überseeischen Bodens? War es Zufall, daß der Araberaufstand grade dann ausbrach, als die Deutschen immer tiefer zum Seengebiet vordrangen und als Stanley freie Hand im Hinterlande so bitter nötig hatte? Oh, sie gönnten der deutschen Konkurrenzunternehmung Stanleys keineswegs den Durchbruch von der Ostküste ins Binnenland, und sie brachten es durch die so auffallend passend aufflammenden Araberunruhen fertig, daß keinerlei Karawanen mehr von der Küste aufbrechen konnten. Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft verlor in kürzester Frist ihr gesamtes Gebiet mit Ausnahme der beiden Küstenplätze Bagamojo und Daressalam. Hier saß zwar jetzt Wissmann, aber vorläufig war auch er vom Lande noch vollständig abgeschlossen. Zudem hatten Deutschland und England über die ganze Küste die Blockade verhängt und ließen allen Verkehr durch Kriegsschiffe überwachen, damit den Eingeborenen keine Waffen zugeschmuggelt werden konnten. Zum Lachen, als ob Admiral Fremantle nicht so manche Dhau ununtersucht vorbeigelassen hätte! Aber ihm gegenüber, der deutschen Emin-Pascha-Expedition gegenüber wurde von dem Engländer genau nach dem Wortlaute der Blockade verfahren. Der Admiral verbot den Petersleuten das Betreten aller Küstenorte, mit Ausnahme jener beiden deutschbesetzten, wo der Admiral nichts zu sagen hatte, die aber ihm, Peters, nichts nützten, denn in das aufständische Gebiet durfte er auch von hier aus nicht hinein. Was nun tun? Von Wissmann war keine tätige Hilfe zu erwarten, er hatte seine Weisungen von Berlin. Blieb als einzige Möglichkeit nur noch, das Blockadegebiet im Norden zu umgehen, wo es in 2 Südbreite endete. Freilich bedingte dies eine völlige Umgestaltung des Unternehmens, z. B. Einkauf neuer Tauschwaren und Verkauf schon vorhandener, denn es ging dort wenigstens anfangs durch ganz anderes Gebiet. Der ungestüme Mann sprang erregt auf. Er mußte selber nordwärts nach Lamu reisen und dort die Verhältnisse im Witulande in Hinsicht eines Eindringens von da aus erkunden. Und schon am nächsten Tage fuhr er auf einem Dampfer des Sultans von Sansibar nach Lamu, mußte aber hier die Überraschung erleben, daß die Britisch-Ostafrikanische Gesellschaft die Landung verbot. Nach Sansibar zurückgekehrt, erfuhr er eine neue Schreckenskunde. Seine von Aden mit einem englischen Dampfer abgegangenen Jagdwaffen waren inzwischen in Sansibar angelangt und hier sofort von dem englischen Admiral Fremantle als Konterbande beschlagnahmt worden. Da Peters befürchten mußte, daß es seinen noch unterwegs befindlichen Kriegswaffen ebenso ergehen würde, so wandte er sich an das deutsche Generalkonsulat in Sansibar mit der Bitte, der zweiten Beschlagnahme vorzubeugen, doch wurde ihm hier jede Unterstützung verweigert. Kurz darauf wurden auch diese zur Bewaffnung seiner Farbigen bestimmten Waffen beschlagnahmt. Aber es folgte sofort noch ein neuer Schlag, indem der Sultan von Sansibar ein Verbot erließ, daß sich Träger von Peters anwerben ließen; er werde jedem Neger den Kopf vor die Füße legen, der bei Peters Dienst nähme. Jetzt wurde es Peters klar, daß er ein eigenes Schiff, und zwar einen Dampfer haben müsse, um von den englischen Schiffen unabhängig zu werden und Bewegungsfreiheit zu erlangen. So ging er hin und charterte schweren Herzens, denn er hatte bei einem halbjährigen Vertrage Mark zu zahlen, den unter englischer Flagge fahrenden kleinen Dampfer Neera, sich bewußt bleibend, daß er nunmehr die eigentliche Expedition wesentlich bescheidener werde einrichten müssen. Statt 100 Somalisoldaten und 600 Trägern würde er jetzt nur etwa 30 Soldaten und 150 Träger unterhalten

134 können. Immer mehr griff diese Enttäuschung in ihm Platz, und ihr Tiefpunkt war erreicht, als ihm auf seine nach Berlin gerichtete Bitte um diplomatische Hilfsstellung die Antwort wurde: "Auswärtiges Amt verweigert jede Vermittlung und Unterstützung." Das war unmißverständlich! Dieser schwarze Tag war der 13. Mai. Peters mußte sich die Frage vorlegen, ob es überhaupt noch Zweck habe, die Expedition weiterzuführen. Er kam sich von seiner Regierung verlassen vor, denn diese hatte sich vor Antritt der Reise noch durchaus günstig geäußert. Aber es war nie seine Art, die Flinte ins Korn zu werfen. Allein und auf sich selbst gestellt, bäumte sich sein Wille auf, er ballte die Fäuste, knirschte mit den Zähnen und preßte hervor: "Nun grade! Sie sollen nicht über mich lachen, hier in Ostafrika nicht und daheim erst recht nicht. Ich werde, koste es was auch immer, aufs Festland gelangen." Im Besitze der Neera fühlte er sich unabhängig und glaubte allen Schwierigkeiten trotzen zu können. Zuerst ließ er die Neera für die Wissmanntruppe eine Fahrt ausführen und verschaffte sich in Bagamojo einiges Waffenmaterial. Um nun auch noch seine beschlagnahmten Waffen freizubekommen, begab sich Peters zu Admiral Fremantle, erlebte hier aber nicht nur eine schroffe Abweisung, sondern erhielt auch die wertvolle Auskunft, er sei den Engländern in Ostafrika sehr unbequem, ja es bestehe gegen ihn gradezu Kriegszustand. Er dürfe keinesfalls darauf rechnen, das gleiche Recht wie ein anderer zu finden! Sobald aber Peters außerhalb des Blockadebereiches sich befinde, werde ihm nichts in den Weg gelegt werden. Jetzt endlich sah Peters klar. Es bestand also Krieg zwischen ihm und England, folglich durfte ihm jedes Mittel recht sein, was den Engländern für sie selber billig dünkte. Zuerst mußte er aus dem Blockadegebiet heraus und dann irgendwo im Norden eine Landung versuchen. Er schiffte alle Somali und Träger, soweit er solche bekommen hatte, sowie seine Ausrüstung auf der Neera ein und stach am 9. Juni von Daressalam in See. Der Kurs wurde, um alle Welt glauben zu machen, er wolle in Mosambik Träger werben, gen Süden genommen. Außer Sicht der Küste aber wurde er nach Osten und später nach Nordnordosten umgesetzt. Jetzt ging es auf Lamu und die Nordgrenze der Blockade zu, außerhalb deren er in der Kwaihubucht landen wollte. Aber die Kwaihubucht anzusteuern sollte sich als eine äußerst schwierige nautische Aufgabe herausstellen, denn da die Neera bis 1 Südbreite gedampft war, so mußte sie wieder südwärts steuern, um die unter 2 liegende Bucht zu erreichen. Und ihre Maschine war nicht leistungsfähig genug, um gegen den heftig wehenden Südwestmonsum und gegen die starke Küstenströmung anzukommen. So dauerte es volle fünf Tage, bis sie, immer wieder auf ihren unter 1 gelegenen Ausgangspunkt zurückgeworfen, endlich den Eingang in die Kwaihubucht faßte. Der englische Kapitän hatte längst aufgeben wollen, aber Peters hatte ihn gezwungen, es immer erneut zu versuchen. (Möglicherweise lag einfach böser Wille von seiten des Engländers vor?) Als der Wasservorrat zur Neige ging, wußte Peters sich zu helfen, indem er Segel ausspannen und den Regen auffangen ließ. Endlich am 15. Juni konnte die Neera nach Überwindung der schweren Brandung in fünf Seemeilen Entfernung von dem Küstenorte Siju vor Anker gehen. Nun handelte es sich aber noch darum, Mannschaften und Gepäck an Land zu bringen, was nur mit Hilfe einheimischer Segelboote möglich war. Peters erfuhr, daß es solche lediglich in einem anderen Küstenorte namens Pasa zu mieten gab. Dort gelang es ihm, da die Bevölkerung ihn für einen Engländer hielt, drei Dhaus zu bekommen. Nach Übernehmen der Leute und des größten Teiles der Ladung fuhr er mit den Dhaus westwärts tiefer in die Bucht hinein, doch plötzlich weigerten sich die eingeborenen Schiffer weiterzufahren, denn sie hatten inzwischen erkannt, daß sie es nicht mit Engländern, sondern mit Deutschen zu tun hatten, und wollten über deren Schicksal erst die Bestimmung des englischen Admirals abwarten.

135 Dieser war nämlich mit drei Kriegsschiffen ganz in der Nähe, da ihm das spurlose Verschwinden der Peters-Expedition verdächtig geworden war. Peters aber verlor nicht einen Augenblick mit langen Überlegungen. Er ließ die eingeborenen Schiffer und deren Matrosen aus den Booten jagen und segelte ohne sie weiter, der Festlandküste zu. Es war Fremantles Fehler, daß er angenommen hatte, die Kwaihubucht sei wegen ihrer durch Riffe schwierigen Einfahrt vor der Neera sicher. So kam es, daß die Expedition am 17. Juni bei Schimbije an Land gehen konnte. Carl Peters durfte sich mit berechtigtem Stolze seiner Leistung freuen, die englische Blockade in neun Tagen durchbrochen und alle ihm bereiteten Schwierigkeiten aus eigener Kraft überwunden zu haben. Der Weg nach Äquatoria lag frei vor ihm. Aber der kühne Mann ahnte nicht, daß sein kolonialpolitisches Streben, den deutschen Besitzstand nördlich des Viktoriasees auszudehnen, schon im Keime fruchtlos bleiben mußte, da die deutsche Regierung kurz vor Antritt seiner Reise in einem geheimen Abkommen mit England auf jede Ausdehnung nordwärts von 1 Südbreite verzichtet hatte. Daher die Weigerung des Auswärtigen Amtes, der Peters-Expedition Hilfe zu leisten, daher auch Fremantles Bestreben, sie von der Küste fernzuhalten, damit sie nicht, wie nun einmal britische Art ist, doch noch durch Zuerstkommen jenes Gebiet für Deutschland in Besitz nähme. So blieb der tapfere Zug ohne politische Auswirkung. Emin wurde nicht gerettet, da Stanley zuvorgekommen war, und das schnell erworbene Uganda wurde vom Reiche preisgegeben. Ein tragischer Lebensweg Jetzt tritt vor unsere Augen neben den Kolonialeroberer Wissmann und neben den kaufmännischen Kolonialgründer Lüderitz der Kolonialpolitiker Carl Peters. Er kam vom Gelehrtenberufe her, denn er war, als er anfing sich mit Afrika zu beschäftigen, Privatdozent für Philosophie. Aber er war alles andere als eine Gelehrtennatur, er war ein ehrgeiziger und tollkühner Abenteurer vom Schlage der alten britischen Adventurers, eine echte Wikingernatur, die sich auf ein erkanntes Ziel stürzte und unbekümmert um Einspruch oder Widerstand dabei verharrte. Ein Mann, der sich in der Unbekümmertheit seines anspruchsvollen Ichs allerhand Blößen gab, die seine Widersacher geschickt zu benutzen wußten, um ihn, heimlich von England unterstützt, aus der Bahn zu werfen. Ein Nationalist, der gewaltsam von seinem Volke, seinem Staate getrennt wurde und als Privatmann im Auslande ein unbedeutendes Leben führen mußte. Ähnlich wie Lüderitz, nur noch weit mehr ist Peters ein Opfer der großen Politik und dazu der kleinen politischen Intrigen geworden, in die er sich als ein einzelner zu weit hineingewagt hatte. Im Zusammenprall Deutschlands und Englands ist er zerrieben und dann von Linksparteien und Zentrum in die Ecke geschleudert worden. Und doch hatte das Reich dem Unternehmungsmute dieses Mannes seine wertvollste Kolonie, Ostafrika, zu verdanken! Die Lose des Lebens werden sonderbar gemischt, und es bleibt immer nur ein sehr magerer Trost, erst nach dem Tode Anerkennung zu finden. Carl Peters wurde am 27. September 1856 in Neuhaus an der unteren Elbe als Sohn eines Pfarrers geboren. Beide Eltern stammten aus dem Süden Niedersachsens, der Vater aus der Gegend von Peine, die Mutter aus der des Deisters, aus Gebieten also, wo voreinst cheruskisches Stammestum von sächsischem überlagert worden ist. Das elterliche Haus war ein behäbiges Landpastorat, dessen Überfluß an Lebensmitteln einen Wohlstand vortäuschte, der mit den geldlichen Einnahmen nicht ganz übereinstimmte, was - ähnlich wie bei Gustav Nachtigal - nach dem frühen Tode des Vaters höchst unangenehm in Erscheinung treten sollte.

136 Der Knabe zeigte schon früh alle Veranlagung zu einem Manne der Tat. Im Turnen, Schwimmen und Schlittschuhlaufen übertraf er alle Kameraden, und seine Ringerkunst, seine Kampfeslust waren so groß, daß er allein auf die Dörfer zog, um dort größere und ältere Jungen herauszufordern. Aber auch seine Schulleistungen waren gut, denn sein ausgeprägter Ehrgeiz zwang ihn, sich selbst mit langweiligen Lehrstoffen abzufinden. Sein Lieblingsfach war Geschichte, weil die Taten großer Männer ihn reizten, ihnen nachzueifern, aber auch die Erdkunde fesselte ihn in ihren großen Entdeckern, von denen besonders Livingstone auf ihn wirkte. Und wie der Politiker schon jetzt in seinem Kopfe spukte, mag man daraus ersehen, daß er sich bereits als Knabe eine eigene Anhängerschaft zu bilden suchte, mit deren Hilfe er eine Art Alleinherrschaft unter der Jugend seines Heimatortes aufrichtete. Mit vierzehn Jahren kam er in die Tertia des Gymnasiums zu Lüneburg, ein Jahr später aber schon auf die vornehme Klosterschule zu Ilfeld am Südharze, die er bis zur Reifeprüfung 1876 besuchte. Im Vorgefühl seines nahenden Todes scheint ihn der Vater nach Ilfeld geschickt zu haben, weil der dortige Direktor ein Verwandter war und weil es dort etliche Freistellen gab. In die Zeit des Lüneburger Aufenthaltes fiel der Krieg mit Frankreich, der in ihm die Vaterlandsliebe zum Nationalstolz entfachte und damit der Ausgangspunkt seines später so flammenden Nationalismus wurde. Unter den adligen Schülern der Ilfelder Klosterschule lernte Carl Peters jene gesellschaftlichen Formen und jene Selbstbeherrschung, die er später in London zu großer Weltläufigkeit entwickelte. Seine Schulleistungen waren dauernd gut, besonders in Mathematik und Deutsch, aber sonst suchte er den Zwang des Internates durch allerlei Streiche und durch verbotenes Kneipen zu würzen. Da der schon 1872 erfolgte Tod des Vaters die Witwe mit schmaler Pension in eine schwierige Lage brachte, so wäre Carl Peters beinahe von der Schule genommen und in die - untere Zollaufbahn gesteckt worden. Aber jetzt setzte sich der Untersekundaner zur Wehr und entwickelte einen nicht unbeträchtlichen Erwerbssinn, indem er in der Stadt Nachhilfestunden gab - morgens vor Beginn des Unterrichtes, damit die adligen Mitschüler nichts davon merkten. Von Obersekunda an verdiente er sich sogar durch - Schriftstellerei Geld, indem er Aufsätze und Romane an Zeitungen schickte. So lernte er schon früh, daß es möglich sei, jede Schwierigkeit durch Energie zu überwinden, und er lernte ferner, daß man keinem Menschen merken lassen dürfe, wie schwer einem ums Herze sein kann. Er hatte natürlich auch in Ilfeld seine feste Anhängerschaft und wußte mit witzigen, beißenden Reden deren Standpunkt gegen die beiden Gegenparteien zu verteidigen. Sein Bedürfnis nach Geltung und Macht trieb ihn dazu, eine Rolle zu spielen und, da er es von sich allein aus nicht hätte erreichen können, sich eine Partei zu schaffen, um seinen Grundsatz "Ich bin Ich" anderen gegenüber durchzusetzen. Sein trotziges, aufrührerisches Wesen machte ihn dem Lehrkörper unbequem, trotzdem an seinen Schulleistungen nichts auszusetzen war. Und wie sehr die Lehrerschaft sein Wesen verkannte, ersieht man aus seinem übrigens guten Reifezeugnis, in dem ihm bescheinigt wurde, daß man ihn zu einer wissenschaftlichen, insonderheit mathematischen Laufbahn für hervorragend geeignet halte. In Wahrheit war er nur zu politischem Leisten befähigt. Von Ostern 1876 bis Ende 1880 hat Carl Peters an den Universitäten Göttingen, Tübingen und Berlin den Studien obgelegen. Seine geldliche Grundlage war ein auf 489 Mark aufgezinster Patentaler, denn die Mutter konnte ihm keinen Pfennig geben, aber er glaubte an seinen Stern und nahm den Kampf mit dem Leben auf. In der juristischen Fakultät eingeschrieben, belegte er fast nur Fächer der philosophischen, besonders Chemie, Griechisch, Geschichte und Philosophie, in Berlin auch Geographie und Staatsrecht. Den größten Einfluß auf ihn hatte nicht einer der Professoren, sondern Schopenhauer, dessen trübe und bissige Weltweisheit seinen Trotz gegenüber Leben und Menschheit stärkte. Natürlich verfehlte er auch als Student nicht, seinem Bedürfnis nach Gelten und Herrschen genüge zu tun. Das erste, was er gleich nach Ankunft in einer Universitätsstadt tat, war die Gründung einer Verbindung, deren erster Präside natürlich er selber sein mußte. Nebenher

137 paukte und focht er und tummelte sich nach Kräften, aber auch dem Geldverdienen lag er mit gleichem Fleiße ob. Nachhilfestunden und Stipendien rief er zu Hilfe, für Blätter dritten Ranges schrieb er politische Leitartikel, und unter dem durchsichtigen Decknamen C. Fels veröffentlichte er einen Roman Entrissen und errungen. Hätte er damals diese Worte umgestellt, so hätte er den tieferen Sinn seines eigenen Lebens voraus gedeutet. In Tübingen glückte es ihm, durch eine Preisarbeit über den Kreuzzug von 1101 ein auf drei Jahre lautendes Stipendium von 1200 Mark zu erringen, und in Berlin gewann er durch Bearbeitung einer Preisaufgabe über den Frieden von Venedig (1177) die von der Philosophischen Fakultät ausgesetzte goldene Medaille. Dieser Erfolg hob sein Selbstgefühl so sehr, daß er sich eiligst einen - Pelzrock und einen Zylinder machen ließ, mit denen er in den Pausen im Vorhofe der Universität gemessenen Schrittes umherwandelte. In den Vorlesungen dagegen ließ er sich kaum noch blicken. Er hatte vor nichts mehr Angst und war überzeugt, sein Leben unter allen Umständen meistern zu können. Im Jahre 1879 promovierte er mit einem Teile seiner letzten Preisarbeit, und im folgenden Jahre legte er seine Oberlehrerprüfung in Geschichte und Erdkunde ab. Als Carl Peters Ende 1880 die Universität verließ, gedachte er die akademische Laufbahn einzuschlagen und sich für Philosophie zu habilitieren. Zunächst begab er sich nach Hannover und suchte hier durch Privatunterricht für junge Damen seinen Lebensunterhalt zu verdienen, um wissenschaftlich arbeiten zu können. Nach wenigen Wochen aber schon erhielt er eine Einladung seines in London lebenden Oheims Karl Engel zu einem längeren Besuche, und nur zu gern folgte er ihr. Der Besuch dehnte sich auf drei Jahre aus und gab dem jungen Doktor den letzten Schliff, den ein Selfmademan großen Formates nötig hat. Er wurde in England dem wissenschaftlichen Denken stark entfremdet, geriet aber dafür in welt- und kolonialpolitische Gedankengänge, die für seinen ferneren Lebensgang bestimmend wurden. Der Oheim, Musiker von Ruf, war ganz Engländer geworden und machte ein großes Haus. Mit einem Schlage sah Peters sich von allen Geldsorgen befreit, ja er erhielt sogar ein eigenes Bankguthaben, was nicht ohne Eindruck auf ihn blieb. Er fühlte sich jetzt in englisches Leben und Denken ein und lernte die Selbstsicherheit eines Volkes kennen, das die Welt beherrschte, sich überall zu Hause wußte und mit Leichtigkeit Geld verdiente. Er begann zu begreifen, was Kolonialbesitz und Welthandel für ein Volk zu bedeuten haben und daß beide die Schlüssel zu Wohlstand, Macht und Unabhängigkeit sind. In Akten studierend, arbeitete er sich in die Geschichte der englischen Kolonialausbreitung während des 16. und 17. Jahrhunderts ein, und immer mehr klärte sich in ihm die Idee, zur Nutzanwendung dieser Erkenntnisse für das deutsche Volk zu schreiten. Aber bis dahin sollte noch einige Zeit vergehen. Vorläufig trieb er geschichtliche und philosophische Studien zur Vorbereitung für die geplante Habilitation. Im Jahre 1882 ließ er zu diesem Zwecke ein Buch des Titels Willenswelt und Weltwille erscheinen, mit dem er Schopenhauers Philosophie fortzusetzen gedachte. In dieser Zeit trat die Versuchung an ihn heran, ganz zum Engländer zu werden. Der Oheim suchte ihn dahin zu bereden und versprach, ihn zu seinem Alleinerben einsetzen zu wollen. Peters aber stand viel zu fest in seinem Deutschtum, als daß er nachgegeben hätte. Er selber sagte später, daß er sich mit diesem Schritte für ein Leben des Leidens und des Entsagens entschieden habe. Im November 1883 kehrte Peters nach Deutschland zurück, ein fertiger und weltläufiger Mann von siebenundzwanzig Jahren, der gelernt hatte, wie man die Engländer behandeln muß: mit betonter Selbstbehauptung und robuster Rücksichtslosigkeit, nicht aber mit zager Bescheidenheit.

138 Die Gründung von Deutsch-Ostafrika In Berlin beschäftigte sich Peters mit der Ausarbeitung seiner Habilitationsschrift "Inwiefern ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?" und reichte sie bei Wundt in Leipzig ein. Aber es scheint ihm nicht mehr recht ernst damit gewesen zu sein, vielmehr liebäugelte er schon stark nach kolonialer Betätigung. In London hatte Peters 1883 von den Unternehmungen Lüderitzens in Südwestafrika und von der Gründung eines Deutschen Kolonialvereins gehört. Ein frisch aus Maschonaland gekommener Amerikaner hatte ihm von dortigen Goldfunden erzählt, und Peters schlug ihm vor, sie wollten nach Art der alten englischen Adventurers eine Expedition dorthin unternehmen. Dies gefiel dem Amerikaner, doch als er vernahm, daß er zwar alles gefundene Gold erhalten solle, Peters dagegen dort die deutsche Flagge hissen wolle, da verlor er plötzlich jede Lust. Jetzt in Berlin trat Peters sofort zu kolonialfreundlichen Kreisen in Beziehung und gründete im März 1884 die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation, deren Vorsitzender er natürlich wurde. Als solcher beantragte er, zwecks Gründung einer deutschen Kolonie Anteilscheine zu 5000 Mark auszugeben, setzte es durch und hatte schon nach wenigen Wochen eine ausreichende Summe in Händen, die zur Anlage einer Kolonie an der noch freien Ostküste Afrikas gegenüber der Insel Sansibar benutzt werden sollte. Dann ließ er sich zum Führer der auszusendenden Expedition ernennen. Da ihm bewußt war, daß keine Zeit verloren werden durfte, und da es auch seine Art war, blitzschnell zu handeln, so fuhr Peters schon im Oktober mit seinem Freunde Dr. Karl Jühlke nach Sansibar, und beide durcheilten in Begleitung des Grafen Pfeil im November und Dezember 1884 die Landschaften Useguha, Usagara, Nguru und Ukomi, um mit deren Häuptlingen Verträge über Anerkennung der deutschen Oberhoheit abzuschließen. (Das war die gleiche Zeit, als Wissmann aus seiner Kassai-Expedition die Station Luluaburg einrichtete und Lüderitzens Agent Einwald im Sululande weilte.) Peters, der die Wachsamkeit der Engländer überlistet hatte, vollbrachte sein Werk in Zeit von vier Wochen, sicherte aber dem deutschen Volke ein Gebiet von der Größe Niedersachsens. Im Januar 1885 war er schon wieder in Berlin, und im Februar wurde ihm für die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation ein kaiserlicher Schutzbrief ausgestellt. Die Kühnheit und die rasche Durchführung des Unternehmens verdienen größte Anerkennung. Denn man wolle bedenken, daß ein Laie, der von afrikanischen Dingen rein gar nichts verstand, an die Aufgabe heranging, Gebiete, die eigentlich kein Mensch den Engländern streitig zu machen wagte, vor deren Nase wegzuschnappen. Es war das ähnlich, wie wenn ein Sperling auf einen Happen zuspringt, der dicht vor dem aufgesperrten Rachen der Kobra liegt. Sehr viel Glück war bei unseres Carl Peters Unternehmen, aber der Erfolg hat ihm schließlich doch recht gegeben. Daheim in Deutschland allerdings sah man in weiten Kreisen nicht auf das unbezweifelbare Ergebnis, sondern man hielt sich an den dahin führenden Weg, nämlich die Art und Weise der Vertragsabschlüsse mit den Negerhäuptlingen. Man höhnte und spottete, Peters habe diese schwarzen Herren betrunken gemacht und sie dann ein Kreuz unter ein ihnen unverständliches Schriftstück malen lassen. Die so sprachen, kannten freilich den Neger nicht, der längst nicht so dumm wie schwarz ist und der durchaus nicht der politischen Witterung entbehrt. Und sie bedachten nicht, daß sie - die gleichen, die über Lüderitzens "Sandloch" schimpften - mit ihren Witzeleien über Peters den Grund legten zu jener Auffassung von der kolonialen Unfähigkeit des deutschen Menschen, die später in Versailles so grausam triumphieren sollte. Peters hatte sich durch seine Tat - d. h. also durch sein dem Reiche dargebrachtes Geschenk einer Kolonie nebst Anwartschaft auf unbemessene Erweiterung derselben - nicht allein den Haß eines großen Teiles des eigenen Volkes zugezogen, sondern er hatte außerdem noch die Aufmerksamkeit

139 eines anderen Volkes erregt, nämlich des englischen. Dieses merkte, daß in dem bisher durchaus ungefährlichen Festlandsvolke der Deutschen neben Lüderitz noch ein Mann von weltpolitischem Format, von eisernem Willen und von unbezähmbarer Energie heranwuchs, der dem Britischen Weltreiche dereinst gefährlich werden konnte. Die Sicherheit und damit das ganze Dasein dieses Reiches beruht auf der ungestörten Lage und Verbindung seiner über alle Erdteile und Meere verstreuten Besitzungen. Jeder, der solche gefährdet oder später einmal die Möglichkeit dazu erlangen könnte, ist der Feind des Briten, und dieser geht schon sehr früh darauf aus, ihn lahmzulegen und als Nebenbuhler auszuschalten. Peters war nun der zweite Deutsche, der den Engländern Unruhe machte, als er sich ihnen 1884 in Ostafrika vor die Nase setzte. Im April 1885 gründete Carl Peters in Berlin die "Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Carl Peters und Genossen" und erhielt von ihr Generalvollmacht zur Leitung ihrer sämtlichen Geschäfte. Zweck der Neugründung war, die jungen Erwerbungen zu erweitern und zur Kolonie auszubauen. Peters sandte deshalb eine Anzahl Expeditionen hinaus und erwarb damit den größten Teil des mittleren Ostafrika für das Reich. Im März 1886 aber wurde die Gesellschaft aufgelöst, und ihr gesamtes Soll und Haben fiel an Peters, der damit tatsächlich persönlicher Besitzer Ostafrikas geworden war! Man kann sich denken, wie stolz der erst Dreißigjährige war, da er sich als Inhaber eines Länderraumes sah, der fast sechsmal so groß war wie das Reich selber. Er war noch landreicher, als Lüderitz gewesen war, aber er hatte nicht einen Pfennig eigenes Geldes hineinzustecken brauchen. Carl Peters mochte freilich erkennen, daß ihm der persönliche Besitztitel über Ostafrika nicht viel nützte, denn dieser stand schließlich doch nur auf dem Papier. Die Entwicklung und Sicherung der Kolonie erforderte aber Geld. Deshalb gründete er schon 1887 eine zweite Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft und wurde für fünfzehn Jahre ihr Direktor. Noch im gleichen Jahre ging Peters zum andern Male nach Ostafrika. Sein Auftrag lautete, mit dem Sultan von Sansibar, der noch auf der ganzen Küste seine Hand hatte, über eine Abfindung für die Übernahme der Zollverwaltung der Häfen Pangani und Daressalam zu verhandeln. Er löste diese Aufgabe in der Weise, daß der Sultan ihm die Zollverwaltung der ganzen Küste vom Umbaflusse bis zum Kap Delgado abtrat. Durch diesen Akt erst war die Küste tatsächlich in deutsche Gewalt gekommen. Noch im Sommer 1887 ließ Peters, weitschauend wie er war, die von Daressalam ins Innere zu bauende Mittellandbahn, die Vorbedingung zur Behauptung und Erschließung des Hinterlandes, abstecken. Ende 1887 wurde Peters zurückgerufen, da man mit seiner Finanzwirtschaft nicht einverstanden war, und erhielt einen Kaufmann als Nachfolger. Ostafrika aber war in zweieinhalb Jahren (November 1884 bis Juli 1887) in seinem späteren Umfange erwachsen und zur deutschen Kolonie gemacht worden. Freilich handelte es sich durchaus nicht um einen gefestigten Besitz. Der Sultan sowohl wie die arabischen und indischen Händler waren durch die Herrschaft und durch den wirtschaftlichen Wettbewerb der Gesellschaft auf das tiefste verstimmt und aufgereizt. Fehlgriffe der Gesellschaftsbeamten, geheime Aufhetzung der Leidenschaften durch den von England beratenen Sultan von Sansibar, der in solchen Fällen überall und immer leicht zu schürende Fremdenhaß - dies alles führte schließlich im Herbst 1888 zu dem sogenannten Araberaufstande, der die Herrschaft der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft über den Haufen warf und in dem nur die beiden Hafenplätze Bagamojo und Daressalam durch deutsche Kriegsschiffe behauptet werden konnten. Angesichts der Ohnmacht der Gesellschaft sah sich die Reichsregierung veranlaßt, die Niederwerfung des Aufstandes in die eigene Hand zu nehmen und beauftragte Wissmann mit ihr. Carl Peters hat den Araberaufstand nicht unmittelbar miterlebt und war auch an seiner Niederwerfung nicht beteiligt. Er lebte derweil in Deutschland und war vom Sommer 1888 an

140 fieberhaft tätig, die Mittel für eine von ihm zu führende Expedition zur Rettung Emin Paschas zusammenzubringen. Wir haben schon an anderer Stelle geäußert, Stanley und Peters sagten Emin Pascha und meinten die damals durch die Mahdibewegung von Ägypten getrennte und eigentlich herrenlos gewordene Äquatorialprovinz. Wie wenig ernst Stanley es mit der Rettung Emins vorhatte, geht klar daraus hervor, daß er seine Träger zwar in Sansibar anwarb, aber nicht von hier aus den kürzesten Weg nach Äquatoria wählte, sondern nach der - Westküste dampfte und von dort aus den doppelt so weiten Weg durch den noch fast unbekannten Kongourwald antrat, zu dem er denn auch, am 30. April 1887 aufbrechend, genau ein Jahr Zeit brauchte. Als Stanley schon mit Emin zusammengetroffen war, wovon aber in Europa niemand etwas wußte, begann in Deutschland erst die Werbung für eine deutsche Emin-Pascha-Expedition. Welche Schwierigkeiten Peters zu überwinden hatte, um durch die englische Blockade überhaupt auf das ostafrikanische Festland zu gelangen, haben wir eingangs berichtet. Seine Reise ins Innere selber dauerte von Mitte Juni 1889 bis Mitte Juli 1890 und führte von Witu den Tanafluß aufwärts sowie am Südfuße des Kenia und am Baringosee vorbei zum Nordufer des Viktoriasees und nach Uganda. Nachdem man hier den inzwischen vollzogenen Abmarsch Emins und Stanleys festgestellt hatte, kehrte man über den Viktoriasee zurück und ging über Mpapua, wo man den Gesuchten einholte, nach Bagamojo zur Küste; vgl. Karte S Diese Expedition war der heldische Höhepunkt in unseres Carl Peters Leben. Er schlug sich mit nur einem weißen Begleiter, dem Leutnant Adolf von Tiedemann, und einer Handvoll Farbiger durch sehr schwierige Landstrecken, hatte eine Anzahl Gefechte zu bestehen und setzte sich allerorten durch. Draufgänger der er war, ließ er bei jedem Hindernisse sofort die Schußwaffe sprechen, auch wenn er durch kluge Vorsicht manche blutige Auseinandersetzung hätte vermeiden können. Er war ganz in seinem Element eines Ländereroberers und Kolonialgründers - und doch war alles umsonst. Nicht deshalb, weil er den Gesuchten nicht mehr vorfand, wohl aber da der Schutzvertrag, den er mit dem unabhängigen Negerreiche Uganda abgeschlossen hatte, wegen des schon vorhergehenden Verzichtes der Reichsregierung sowie durch den Sansibarvertrag hinfällig wurde. Über das diplomatische Spiel hinter den Kulissen nicht unterrichtet, war Peters einem Phantom nachgejagt. Anstatt seiner kolonialen Schöpfung Deutsch-Ostafrika den Zugang zum oberen Nil und zu dessen reichen wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten zu erschließen, hatte er nur erreicht, daß England auf ihn als einen gefährlichen Widersacher britischer Belange in Ostafrika aufmerksam geworden war. Der Erwerb Ugandas für Deutschland hätte Englands ostafrikanischen Besitz vom Nilgebiete abgeschlossen und z. B. im Weltkriege begründete Aussichten geboten, Englands Machtstellung am Nil, ja in Zusammenarbeit mit den Türken selbst am Sueskanal zu erschüttern oder gar zu vernichten. Daß wir den Besitz der Insel Helgoland billiger hätten haben können, erscheint heute kaum noch zweifelhaft, aber ein Mann wie Caprivi hielt nichts von Kolonien und gab ohne viel Bedenken hin, was ihm ja doch nicht als rechter deutscher Besitz erschien. Und er hat nicht einmal die Entschuldigung für sich, daß er Helgolands Erwerb als für einen zukünftigen Krieg mit England lebenswichtig erkannt hätte. Was sollte man nun im Jahre 1890 mit Carl Peters anfangen? Der junge Kaiser sprach den Wunsch aus, er möge in den Reichsdienst übernommen werden, und Caprivi hatte vor, ihn zum Gouverneur Deutsch-Ostafrikas zu ernennen. Seine Beamten aber wußten dies zu verhindern und schoben jenen mit Ostafrika völlig unbekannten Herrn auf diesen Posten, den wir schon bei Wissmann kennengelernt haben. Und genau wie Wissmann wurde auch Peters zum Reichskommissar zur Verfügung jenes Gouverneurs ernannt. Während aber der Sieger im Araberaufstande schleunigst die Kolonie verließ, blieb Peters dort und übernahm den Auftrag, die immer noch unruhige Bevölkerung des Kilimandscharogebietes, etwa Menschen, zu befrieden und mit der deutschen Herrschaft zu versöhnen. Mit nur einer einzigen Askarikompanie suchte er 1891/92 diese schwierige Aufgabe zu bewältigen. Sodann befaßte er sich mit der endgültigen Regelung der deutsch-englischen Grenze am Kilimandscharo und sicherte uns den größten Teil desselben.

141 Im Jahre 1893 aber wurde Peters nach Berlin abberufen und hier der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes zur Beschäftigung zugewiesen. Er fühlte sich kaltgestellt und von wichtigen Beratungen über koloniale Angelegenheiten ausgeschlossen. Der Auftrag, ein Buch Das Deutsch- Ostafrikanische Schutzgebiet zu schreiben, das 1895 in München herauskam, dünkte ihn nicht eine hinreichend große Aufgabe. Und er scheint es nur dem persönlichen Eingreifen des Kaisers verdankt zu haben, daß er im Mai 1894 in eine planmäßige Beamtenstelle einrückte. Der Fall Peters Während seiner Tätigkeit als Reichskommissar im Kilimandscharogebiet 1891/92 hatte Peters einen Neger und eine Negerin hinrichten lassen, wozu er im Belange der Sicherheit seiner Truppe bevollmächtigt war. Daraufhin erstattete die englische Mission zu Moschi, welche deutschfeindlicher Umtriebe unter den Eingeborenen hinreichend verdächtig war, an den deutschen Gouverneur Anzeige mit der Beschuldigung, Peters habe die beiden Neger einer persönlichen Rache geopfert. Ein von Peters sofort gegen ihn selber beantragtes Disziplinarverfahren ergab die Haltlosigkeit der Verleumdung. Im Frühjahr 1895, als Peters sich in einem mitteldeutschen Wahlkreise als Reichstagsabgeordneter aufstellen ließ, wärmten die Sozialdemokraten die alte Geschichte erneut auf, um ihren eigenen Kandidaten durchzubringen, was dann auch gelang. Zum zweiten Male beantragte Peters eine Untersuchung des Falles, diesmal durch das Auswärtige Amt, das wiederum seine Schuldlosigkeit feststellte. Wie einwandfrei das Ergebnis war, ersieht man schon daraus, daß grade das ihm durchaus nicht geneigte Auswärtige Amt diese Feststellung traf und daß der Kaiser ihn weiter zur Tafel zuzog. Es kam aber im nächsten Jahre, im März 1896, zu einer neuen Hetze gegen Carl Peters, indem die Linksparteien (Sozialdemokratie und Freisinn), unterstützt vom Zentrum, in Reichstag und Presse die alte Negergeschichte zum dritten Male aufwärmten. Bebel zog dabei einen Brief hervor, den Peters an den englischen Bischof Tucker in Uganda geschrieben haben sollte und in dem er selber sich der persönlichen Rache an den beiden Negern bezichtigte, sie auch zu entschuldigen suchte. Daraufhin wurde Peters in dreitägiger Redeschlacht im Reichstage nach allen Regeln der parlamentarischen Kunst umgebracht, das Auswärtige Amt aber tat nichts, um ihn zu decken. In tiefster Erbitterung verließ Peters Deutschland und siedelte nach England über. Erst ein Jahr später, im März 1897, leitete das Auswärtige Amt ein drittes Disziplinarverfahren ein, fand zwar die Anschuldigung falsch (Peters bestritt die Echtheit des Tuckerbriefes), sprach ihn aber eines Mißbrauches der Amtsgewalt schuldig und entließ ihn ohne Titel und Pension aus dem Dienste. Die Mission liebte den energischen Mann von vornherein nicht, denn er behandelte den Neger nicht als schwarzen Bruder, sondern er schoß ihn bei dem geringsten Widerstande über den Haufen. Die katholische Mission in Ostafrika vergaß ihm nicht, daß er sie früher einmal durch persönliche Verhandlung mit der Kurie in Rom der französischen Flagge beraubt hatte, jener allerchristlichsten Flagge im gesamten Auslande. Die ausgesprochene Feindschaft des deutschen Zentrums aber zog Peters sich dadurch zu, daß er Anfang 1896 den katholischen Prinzen von Arenberg aus dem Vorsitze der Abteilung Berlin der Deutschen Kolonialgesellschaft verdrängte und sich selber hinein wählen ließ; der Prinz hatte sich als Gegner der Flottenpläne erwiesen, die Peters damals angefangen hatte zu unterstützen. Die Mission war es auch, freilich die englische in Moschi, welche die Lüge von der mißbräuchlichen Amtsführung gegenüber jenen beiden Negern erfand und dem deutschen Gouverneur hinterbrachte. Und damit gelangen wir gleich zu den Machenschaften Englands gegen den Deutschen Carl Peters. Über diese Umtriebe entrüsten wir uns, das sei gleich hier bemerkt, nicht im geringsten, denn Peters, eine Cecil-Rhodes-Natur, war tatsächlich der einzige Mann, der eine Gefahr für die britische

142 Vormachtstellung im Osten Afrikas bedeutete, und es lag zweifellos im englischen Belange, ihn unschädlich zu machen. Peters hatte das Mittelstück Ostafrikas mit schnellem und unerwartetem Zugriffe für Deutschland gesichert, er hatte den Sultan von Sansibar durch geschickte Schachzüge in dessen eigenem Küstenbereich mattgesetzt, ja er hätte beinahe durch die Emin-Pascha- Expedition Deutsch-Ostafrikas Raum verdoppelt. Man darf wohl annehmen, daß Peters durch dieses kühne Unternehmen den Engländern das Eingehen auf die Abtretung Helgolands wesentlich erleichtert hat. Aber damals schon kamen englische Versuche vor, ihn auszuschalten: die englische Blockadeflotte trachtete, ihn von der Küste Ostafrikas fernzuhalten, und eine Inderkompanie hatte Befehl, ihn, nachdem er das Innere doch erreicht hatte, ums Leben zu bringen. Peters erzählt, jemand habe 1889 im Londoner Foreign Office zu englischen Herren gesagt, man würde ihnen sehr dankbar sein, wenn Dr. Peters nicht lebendig aus Afrika zurückkäme. Und in Auswirkung davon habe der englische Hauptmann Bateman Auftrag erhalten, Peters während der Emin-Pascha- Expedition mit einer Inderkompanie zu verfolgen. Eingeborene hätten Bateman eine entfernte Stelle als das Peterssche Lager bezeichnet, worauf er 50 bis 60 Granaten habe dorthin feuern lassen, in der Hoffnung, ihn dieserart zu erledigen; dann sei er umgekehrt. Peters hat dies später aus Batemans eigenem Munde und vor Zeugen gehört, und er meint, daß er an jener Stelle wohl vorher einmal gelagert hatte. Daß Peters noch lebte und für sein Vaterland eifrig tätig war, bekamen die Engländer bald erneut zu spüren, als er 1892 das unruhige Kilimandscharogebiet befriedete und die Grenzregelung gegen Britisch-Ostafrika zugunsten Deutschlands durchführte. Grade dieses schöne und reiche Bergland wollte England gern vollständig besitzen, und es ist von seinem Standpunkt aus verständlich, daß es die Gelegenheit der Negergeschichte durch die englische Mission Moschi mit Freuden aufgriff, um den hartnäckigen und gefährlichen Gegner auszuschalten, dessen Unbeliebtheit beim Auswärtigen Amte in Berlin ihm zur Genüge bekannt gewesen sein wird. Wenngleich die deutsche Regierung nicht so schwach war, vor einem Stirnrunzeln Englands in die Knie zu knicken, so hat doch Englands Unzufriedenheit mit Peters sicherlich dazu beigetragen, ihn dem Auswärtigen Amte noch unbequemer und mißliebiger zu machen, als er ihm ohnehin schon war. Neben der Mission und England erwuchs unserem Carl Peters aber noch eine andere Gegnerschaft: die Sozialdemokratie. Deren Mißfallen hatte Peters durch seine nationale Tätigkeit schon lange erregt. Die Kolonialspielerei mochte ihm noch hingehen, als er aber in den neunziger Jahren alldeutsche Gedanken zu äußern sich unterfing und für Flottenvermehrung sich einsetzte, da begannen die Sozialdemokraten mit ihm zu rechnen und sannen auf seine Vernichtung. Bei Gelegenheit seiner Reichstagskandidatur im Februar 1895 holten sie zum Schlage aus, indem sie die alte Negergeschichte wieder ausgruben und damit tatsächlich ihren eigenen Gegenkandidaten durchbrachten. Sein Einsatz für Flottenvermehrung, worauf Peters sich Ende 1895 in der Erkenntnis legte, daß Deutschland seine Stellung in Übersee ohne starke Flotte nicht würde halten können, brachte sie noch mehr gegen ihn auf. Und daraufhin holten sie zum letzten Schlage gegen Peters aus, indem Bebel vor dem Reichstage im März 1896 den Tuckerbrief verlas und damit einen vollständigen Sieg errang, in dessen Auswirkung Peters vom Auswärtigen Amte fallen gelassen wurde und außer Landes ging. Dieser Tuckerbrief aber war eine ganz gemeine Fälschung! Peters hat ihn niemals geschrieben. Seiner Abwehr glaubte die Hetzmeute ebensowenig wie die deutsche Öffentlichkeit, ausgenommen einen kleinen Kreis alldeutsch gesinnter Männer, die ihren Peters kannten. Peters hatte vom Dasein eines englischen Bischofs Tucker nie etwas gehört und auch nie einen Brief an ihn gerichtet. Ja, der Bischof selber sagte bei eidlicher Vernehmung aus, daß Peters ihm völlig unbekannt sei und daß er nie einen Brief von ihm erhalten habe. Bebel selber hat drei Jahre später im Reichstage gestanden, er sei mit dem Tuckerbriefe hereingefallen und die gegen Peters erhobenen Anschuldigungen seien unwahr, aber er hat niemals den Namen des Fälschers verraten.

143 Mit dem Tuckerbriefe nun hatte es - was freilich erst nach dem Kriege herauskam, so daß Peters des Rätsels Lösung nicht mehr erfahren hat - folgende Bewandtnis. Die Inhaber einer deutschen Firma in Witu, die Peters bei Beginn der Emin-Pascha-Expedition kennengelernt hatte, die Brüder Denhardt, die damals nicht schlecht an ihm verdienten, haben das Material an Bebel geliefert. Sie schrieben freilich an Bebel: "Peters soll einen Brief an Bischof Tucker geschrieben haben." Bebel aber in seiner parteifeindlichen Gewissenlosigkeit machte im Reichstage daraus: "Peters hat einen Brief an Bischof Tucker geschrieben." Man weiß nicht, wer der größere Schurke war: die Denhardts oder Bebel. Da nun ein längerer Briefwechsel zwischen Bebel und den Denhardts stattgefunden hat, so ist gar nicht ausgeschlossen, daß Bebel den Brief überhaupt in Auftrag gegeben hat, um den Führer der ersten deutschen Nationalisten noch rechtzeitig zu vernichten. Auf das Verhältnis des Auswärtigen Amtes zu Carl Peters wollen wir nicht näher eingehen und uns darauf beschränken zu sagen, daß es schlecht war, daß eine starke Gruppe gegen den energischen, selbstbewußten Außenseiter arbeitete und es durchsetzte, daß man ihn fallen ließ, als der Tuckerbrief die Gelegenheit dazu bot. Fest jedenfalls steht, daß das Reich selber sich ziemlich widerstandslos des Begründers seiner größten und wertvollsten Kolonie und eines Mannes berauben ließ, der die Engländer hervorragend gut kannte. Auch eine volle Genugtuung ist dem Gestürzten nie geworden, trotzdem seine Schuldlosigkeit zutage lag. Zwar gab ihm der Kaiser 1905 auf dem Gnadenwege den Titel eines Reichskommissars a. D. zurück und ließ ihn Anfang 1914, also nach vollen achtzehn Jahren, in den Genuß der ihm zustehenden Pension eintreten, aber das Disziplinarurteil von 1897 ist niemals aufgehoben worden. - Im Jahre 1896 in England angelangt, stand der vierzigjährige Carl Peters wieder da, wo er dreizehn Jahre vorher gestanden hatte - in England also und vor einem Nichts. Der Unterschied gegen damals war nur, daß es mit den Hoffnungen der Jugend zu Ende war. Und dazu die furchtbare Enttäuschung, von seinem ureigensten Werke, der Kolonie Deutsch-Ostafrika, getrennt zu sein! Carl Peters ist mit blutendem Herzen nach England gezogen, und er hat dort mit blutendem Herzen gewohnt, freilich nur gewohnt - denn gelebt hat er in und mit Deutschland. Mochte sein Groll gegen seine deutschen Zeitgenossen noch so tief sein - mit dem deutschen Volke fühlte und dachte er ohne Unterlaß und immerdar. Und heiß ist es oft in ihm aufgewallt, wenn er sehenden Auges miterleben mußte, wie das Reich nach 1900 immer tiefer auf der Bahn des Unheils hinabglitt - und er vermochte nichts dagegen zu tun! Es waren achtzehn bittere Jahre freiwilliger Verbannung, die er außerhalb des Reiches verbrachte, die schwerste Zeit seines Lebens. Seine innere Bedrücktheit, ja Verzweiflung kam nicht allein daher, daß er zu Unrecht mißhandelt worden war, sondern ebensosehr aus der Erkenntnis, nicht mehr für Deutschland arbeiten zu können, nicht dessen Untergange, den er früh erkannte, sich entgegenstemmen zu dürfen. Nur Deutschland sich verpflichtet wissend und ihm sich bewahrend, widerstand er allen Anregungen und Lockungen, die englische Staatsangehörigkeit zu erwerben - eine Tat, die wir ihm nach seiner Mißhandlung in Deutschland gar nicht hoch genug anrechnen können. Diese Ausführungen bestehen zu Recht, wenn auch Peters in seinen Lebenserinnerungen schreibt, er habe sich von Deutschland frei, jeder Verpflichtung ledig gefühlt. Nein, dieser Nationalist war seinem Vaterlande verschrieben für Zeit und Ewigkeit. Auch wenn er gelegentlich im Aufwallen seines gerechten Zornes so empfunden haben mag, auf seine Handlungen hatte das keinerlei Einfluß. Immerhin brach er erst einmal alle Beziehungen zur Heimat ab, um Ruhe zu haben, mußte er doch wegen des Disziplinarverfahrens ohnehin noch mehrmals nach Berlin fahren. Die Engländer kamen ihm, dem Manne von Weltformat, achtungsvoll entgegen, auch war sein Name besonders durch

144 seine Emin-Pascha-Expedition sehr bekannt geworden. Da er nur mit Engländern verkehrte und jahrelang kein Wort Deutsch sprach, so vergaß man mit der Zeit, daß er Deutscher war, und nahm ihn für einen englischen Gentleman. Von seinem Werke getrennt und aller Geldmittel beraubt, mußte Peters sich aber bald nach einem Wirkungskreise umsehen. Eintritt in englische Dienste lehnte er ab, um nicht Engländer werden zu müssen, trotzdem er die Möglichkeit hatte, Gouverneur von - Uganda zu werden, also der Nachbarkolonie Deutsch-Ostafrikas, die er auf der Emin-Pascha-Expedition erworben, auf die aber die deutsche Regierung verzichtet hatte. Seine Feinde in Deutschland freilich gingen mit der Behauptung hausieren, Peters sei in englische Dienste getreten. Kein Wort davon entsprach der Wahrheit. Nein, wenn Carl Peters auch in England wohnte, so tat er es doch nur, weil er dessen Verhältnisse gut kannte und weil diese ihm die beste Möglichkeit zum Erwerb seines Lebensunterhaltes boten. Nun hatte er schon 1895, also noch in seiner deutschen Zeit, eine alte Karte von Afrika aus dem Jahre 1705 gefunden, auf welcher die portugiesischen Goldmärkte des 16. und 17. Jahrhunderts eingetragen waren. Quellenstudien brachten ihn auf den Gedanken, daß die Goldfundstätten Südostafrikas das biblische Ophir Salomos sein müßten. Zur Untersuchung und Ausbeutung derselben gründete er eine Gesellschaft, die trotz ihres englischen Namens Dr. Carl Peters Estates and Exploration Co. vorwiegend mit deutschen Anteilscheinen arbeitete. Von 1899 an führte er sechs Expeditionen zwischen Sambesi und Sabi aus, wo er zwar zahllose antike Minen, aber nur wenig Gold entdeckte. So schön diese Zeit ruhiger Studierarbeit und hoffnungsfrohen Reisens auch war, sie brachte ihm doch mehr Unkosten als Gewinn, weshalb er die Gesellschaft 1910 an eine englische Geldgruppe verkaufte. Trotzdem sagte er von dieser Zeit, niemals in seinem Leben habe er sich glücklicher gefühlt, und er habe sich in ihr zu sich selber zurückgefunden. Literarischen Niederschlag fanden seine Bemühungen in dem Werk Im Goldlande des Altertums. Forschungen zwischen Sambesi und Sabi, das 1902 in dem alldeutschen Verlage von J. F. Lehmann zu München erschien. In die gesellschaftlichen, kultürlichen und politischen Verhältnisse Englands drang er in jenen Jahren, die er teils in England, teils in Südafrika verlebte, immer tiefer ein, wie er auch die führenden Politiker des Weltreiches kennenlernte. Zeugnis hiervon ist sein Buch England und die Engländer, das 1904 gleichzeitig deutsch und englisch erschien. Es ist neben seinen Lebenserinnerungen sein bestgeschriebenes Buch. Über seinen englischen Aufenthalt bleibt nur noch zu sagen, daß Peters im Jahre 1909 heiratete, eine Deutsche natürlich. Der Weltkrieg sollte auch das Verhältnis Englands zu Peters auf die Probe stellen, indem er den Engländern erst bewußt machte, daß Peters nicht zum Engländer geworden, sondern Deutscher geblieben war. Peters aber erlebte auch hier eine Enttäuschung, denn auch er hatte sich in der Anständigkeit der Engländer insofern geirrt, als er ihnen einen Raub deutschen Privateigentums nicht zugetraut hatte. Sie plünderten auch ihn aus, nachdem er sich auf der Polizei als Deutscher gemeldet hatte - worob man dort aus allen Wolken fiel. Da er das militärpflichtige Alter längst überschritten hatte, ließ man ihn nach Beschlagnahme seines Bankguthabens zwar auf freiem Fuße, aber nach einiger Zeit fing man doch an ihn zu überwachen, ja zweimal wurde zwecks Durchwühlung seiner Papiere bei ihm eingebrochen. Selbst jetzt lehnte er die an ihn herangetragene Versuchung ab, sich als Engländer naturalisieren zu lassen. Mehr als je fühlte er sich seinem gefährdeten Volke verbunden. Im Oktober 1914 erbat und erhielt er Erlaubnis, nach Deutschland zu übersiedeln, wobei ihm freilich sein Vermögen mit Ausnahme einer kleinen Summe vorenthalten wurde. Aber selbst hiermit war seine Leidenszeit noch nicht beendet. Man sollte denken, dem feindumdrohten Reiche, welchem England mit seiner Aushungerungsblockade und seinem Lügenfeldzuge der

145 gefährlichste Gegner war, hätte ein Englandkenner wie Peters hoch willkommen sein müssen. Weit gefehlt! Peters brachte sogar einen privaten Auftrag aus den Kreisen des Foreign Office mit, den nämlich: in Berlin eine Beendigung des Krieges mit Wiederherstellung des alten Zustandes, aber mit einer Abtretung belgischen Gebietes ans Reich vorzuschlagen. Leider fand Peters erst im Winter 1916/17 Gelegenheit, mit einer verantwortlichen deutschen Persönlichkeit darüber zu sprechen - daß es nicht früher geschah, sei nicht seine Schuld gewesen, sagte er. Denn obwohl Carl Peters Versuche gemacht hat, in Deutschland für Deutschland an verantwortlicher Stelle mitzuarbeiten, so hatte er doch nicht den geringsten Erfolg. Er hat, wie so mancher tüchtige Mann, untätig zur Seite stehen müssen und hat nur eine Reihe politischer Aufsätze veröffentlichen können. Seine politischen Schriften sind in zwei Büchern gesammelt erschienen: Zur Weltpolitik (Berlin S.) und Zum Weltkrieg (Hamburg S.). Sie haben das Los der Vergessenheit, dem sie anheimgefallen sind, nicht verdient. Sie beweisen, daß Peters einer der klügsten und weitestschauenden Köpfe der wilhelminischen Zeit war und das Heraufziehen des Ungewitters klaren Auges beobachtet hat; es sind Perlen politischer Vorausschau darin. ( Scriptorium merkt an: einen kurzen Auszug aus Carl Peters' Buch Die Gründung von Deutsch-Ostafrika finden Sie hier! ) Zuletzt in Bad Harzburg lebend, ist er am 10. September 1918 in der Kuranstalt Woltorf bei Peine gestorben - ganz in der Nähe der Heimat seines Vaters. Er ist nur zweiundsechzig Jahre alt geworden. Den Zusammenbruch seines Vaterlandes hat er nicht mehr mit ansehen müssen. Im Jahre 1918 erschienen seine Lebenserinnerungen, 1934 hat Richard Wichterich sein Leben geschildert. Das Charakterbild Lassen wir die Reihe der in diesem Buche behandelten Afrikaner an uns vorüberziehen, so fällt uns die kleine drahtige Gestalt von Carl Peters durch das unverhüllte Bedürfnis nach Geltung seiner Ichheit sowie durch das Ungestüm und die Bedenkenlosigkeit der Einsatzbereitschaft auf. Nicht aus einem tiefen Wissen um Afrika konnte er seine Erfolge ableiten - darin war er Lüderitz ähnlich - sondern lediglich aus seinem Willen als Ich und aus seinem Müssen als deutscher Nationalist. Und was Lüderitz seinem Ziele an Geld zubrachte, das war bei Peters eine rührige Geschäftigkeit, die nicht müde wurde, fördersame Gründungen zustande zu bringen. Ein Wissmann, der wohl der bessere Afrikakenner war, mutet neben Peters fast ein bißchen spießbürgerlich an. Wie denn auch seine Tragik in viel stilleren, allerdings in vorzeitigen Tod ausmündenden Formen sich abspielte. Tragisch ist das Leben aller drei Männer ausgegangen, die um die Gründung unserer Kolonien größere Verdienste als irgendwer sonst erworben haben: der eine auf verzweifelter Suche nach einem letzten Gelingen verschollen, der andere kaltgestellt und in Gram auf der Jagd verunglückt, der dritte geächtet und verbannt - getrennt aber alle drei von ihrem Werke. - Carl Peters

146 Die Vorfahren von Carl Peters stammten aus dem mittleren Niedersachsen, von dort, wo die Ebene an bewaldete Hügelketten grenzt und der Charakter der Bevölkerung sich etwas aufzulockern beginnt. Die Mutter hatte ein breites fälisches Gesicht; im Vater, blauäugig wie seine Frau, weisen schwere Augenlider und knochige Jochbögen auf einen anderen, vielleicht ostbaltischen Einschlag. Begabt und interessiert, energisch und selbstbewußt, verfolgte er eine liberale kirchliche Richtung und stellte sich dadurch zur hannoverschen Landeskirche in Gegensatz. Die uns von Carl Peters selbst überlieferten Bilder zeigen uns eine unter Mittelgröße bleibende, drahtige, gewandte und sehr muskelkräftige Gestalt. Als Student erlangte er auf einem allgemeinen deutschen Schauturnen den zweiten Preis im Ringen, und als Siebenundzwanzigjähriger versuchte er zweimal den Kanal zu durchschwimmen, wenn auch beide Male nicht mit vollem Erfolg. Er hatte einen rein nordisch gebildeten Kopf mit schöner, rückwärts weit ausladender Schädelwölbung, schmalem Antlitz und leicht gebogenen Nasenrücken. Die Augen waren blau, das Haar scheint mittelblond gewesen zu sein. Auffallend ist an dem Gesichte der ganz stark ausgeprägte nordrassische Ausgriff in die Weite, der stets gewillt und sich bewußt war, mit dem Gegenüber seines Ichs in Auseinandersetzung zu treten. Es ist das Antlitz eines Wikings und Frondeurs, der gar nicht anders kann, als sich, und sei es in Widerspruch zu allem Hergebrachten, durchzusetzen, koste es, was es wolle. Das Innere dieses Mannes spiegelte sich so getreu in seiner äußeren Erscheinung wider, wie man es nicht oft zu sehen bekommt. Versucht man das Charakterbild unseres Carl Peters auf eine möglichst einfache Formel zu bringen, so muß man etwa sagen: Er war ein geistig unterbauter Tatmensch, der auf unablässige Auseinandersetzung mit der Außenwelt bedacht war, soweit diese ihm Problem wurde, also vornehmlich innerhalb des Gegensatzes Deutschlands zur übrigen Welt. Auseinandersetzung mit der Außenwelt bietet leicht Gelegenheit zu Kampf und Streit, besonders aber dann, wenn sie angeborener Dauerzustand, sozusagen eingeborenes Protestantentum ist. Kommt bei einem derart veranlagten Menschen noch eine Unbeugsamkeit hinzu, die ihre Ansicht namentlich gegenüber einer starren Beamtenhierarchie heftig verteidigt, dann sind alle Vorbedingungen zum Fallen gegeben, die eine zahlreiche Gegnerschaft jetzt nur noch geschickt zu nutzen braucht. Die Natur des Carl Peters ist ohne innere Kompliziertheit und Problematik, sie ist vollkommen eindeutig. Die Schwere des Lebensganges führt lediglich auf seinen allzu feurig vertretenen Ichstandpunkt zurück. Wäre er eine geschmeidige Natur gewesen, die sich den Anforderungen des Auswärtigen Amtes williger angepaßt hätte, so hätte Peters es "weit bringen" können. Durchaus nordisch ist der Grundzug seines Charakters: der Ausgriff möglichst nur aus sich heraus, und zwar möglichst in die Weite. Peters beruhte nicht in sich selber, er ermangelte innerer Weisheit - und wenn solche im Alter aufzutreten schien, dann war sie in Wirklichkeit doch nur Verzicht und Entsagung. Er brauchte stets ein Gegenüber, dem er sich stellen konnte, um es anzugehen. Es lag ihm nicht so sehr daran, dessen Problematik zu lösen (von philosophischer, überhaupt rein geistiger Arbeit kam er früh ab), sondern er wollte es erobern, in Besitz nehmen. Mochte es sich um einen Menschen, um ein Volk, um ein Land handeln, er begehrte, sie sich zu eigen zu machen. Seine Taktik dabei war nicht die, zu überzeugen, ja auch nur zu überreden zu suchen, nein, er forderte heraus, holte in die Schranken, um als alter Ringer und Fechter, der er war, alle Welt zu seinen Füßen zu legen. Und auch dann, wenn es nicht darum ging, den oder das andere zu erobern, dann wollte er doch wenigstens sein Ich gegenüber dem andern Ich erweisen, vor sich selber und vor den Augen der Zuschauer. Ja, in jüngeren Jahren, solange das eigentliche Ziel des Lebens noch nicht erkannt ist, verbleibt jenes Bedürfnis nach Kampf oft in der niedrigeren Ebene des großen Geltungsbedürfnisses, das sich zufrieden gibt mit dem Siege an sich, ohne daß dieser schon der Ausdruck einer tatsächlichen Eroberung und Machterrungenschaft ist. Aber selbst dann handelt es sich nie um leeren Blöff, sondern wirkliches Mehrkönnen hat sich gegenüber dem geringeren Können Anderer durchgesetzt.

147 So nahm der für Carl Peters charakteristische Ausgriff in die Weite in seiner Entwicklung folgenden Weg. In der Jugend zeigte er sich nur als Geltungsbedürfnis, das sich mit der Idee des Sieges und dem ausströmenden Selbstgefühl begnügte, so wenn er für die Schule nur lernte, um in den Leistungen als Erster dazustehen, oder wenn er als Student nach erfolgreicher Preisarbeit mit neugekauftem Pelzrock und Zylinder vor der Berliner Universität einherstolzierte. Im Mannesalter wuchs sich der Ausgriff in Tat aus, nämlich in die Gründung Ostafrikas und dessen Schenkung als Kolonie an das deutsche Volk. Ausgriff in die Weite ist stets Kampfstellung. Nur wer mutig und entschlossen, hartnäckig und unbeugsam ist, vermag solche auf die Dauer zu halten. Carl Peters ist niemals vor etwas zurückgeschreckt, mochten es blutgierige Neger oder verständnislose Beamte sein. Schon früher empfand er Examensfieber als höchst lächerlich. Die Durchführung der gefährlichen Emin-Pascha- Expedition zeigt seinen Mut, um nicht zu sagen seine Tollkühnheit in allerhellstem Lichte. Und es gab nichts in der Welt, durch das er sich hätte kleinkriegen lassen. Schon als älterer Schüler gab er ja Nachhilfestunden und schriftstellerte, um sich nach des Vaters frühem Tode auf der Klosterschule halten zu können. Widerstände härteten nur seine Unternehmungslust und Tatkraft, etwa wenn englische Kriegsschiffe ihm die Landung an der afrikanischen Küste zu verbieten suchten - was ihn fast in übermütige Stimmung brachte. Nun grade! war dann sein Wahlspruch. Schon 1884, als ihm die Reichsregierung durch das Generalkonsulat in Sansibar eröffnen ließ, er habe keinen Anspruch auf ihren Schutz, da gab er nicht auf, sondern führte den Plan der Begründung Ostafrikas trotzdem aus. Auf der Emin-Pascha-Expedition hatte er sich zum Grundsatze gemacht, stets selber anzugreifen, sobald er den Eindruck gewann, daß Kampf doch nicht vermeidbar sei; er wollte sich die moralischen Vorteile der Initiative sichern. Und in der Tat hat er Stanley, den wegen seiner eisernen Energie berühmten englischen Afrikaner, an unbezähmbarer Energie und kalter Entschlossenheit mindestens erreicht, an tollkühnem Mute weit übertroffen. Das Abenteuer suchend, ja es gradezu erzwingend und ihm stets gewachsen, blickte er den schwierigsten Lagen fest ins Auge. Obwohl nie Soldat gewesen, führte und kämpfte er gleich einem alten Troupier, schnauzbärtig und adleräugig. Aber er besaß weit mehr als Militärcourage; er hatte auch Zivilcourage. Freilich daß er sie grade Bismarck gegenüber zur Anwendung brachte, bedeutete doch den allerersten Beginn seines Falles. So war Carl Peters der geborene Tatmensch, der Typus des modernen Eroberers, der wikinghaft in die Welt hinausstürmt, seinem Volke neues Land zu erobern - seinem Volke oder, wenn dieses es nicht mag, sich selber. Man kann ihn nur mit den Konquistadoren der Zeit um 1500 vergleichen. Zum bloßen Geschäftsmanne größten Stiles hatte er zuviel Belastung mit nationalen und geistigen Dingen in seinem Lebensgepäck, zum Feldherrn fehlte ihm die militärische Schulung und die Gelegenheit (obwohl er den Araberaufstand in Ostafrika vielleicht nicht schlechter als Wissmann niedergeschlagen haben würde). So blieb für die Ausweitung seiner Tatkraft nach dem Maße seiner Zeit nur noch die Gründung und Eroberung einer Kolonie. Ja, seine Pläne gingen zeitweise noch weiter, nämlich nach der Errichtung eines eigenen Reiches in Afrika. Er erzählt, daß er auf der Emin-Pascha-Expedition angesichts der ihm vom Reiche bereiteten Schwierigkeiten den Plan erwogen habe, die Äquatorialprovinz und Uganda sich selber zu unterstellen und ein eigenes Petersreich zu gründen. Hätte er Emin noch in Äquatoria angetroffen, so würde er das wohl versucht und auch durchgeführt haben, und eine Reihe von Jahren hätte er sich gegen die Engländer ganz wohl behaupten können. Aber er war nicht nur Eroberer, sondern auch Politiker, und zwar beides schon früh, von Jugend auf gleichzeitig. Als Schüler gründete er eine Partei und ging nebenher auf Ringkämpfe mit anderen älteren Jungens aus; als Student setzte er dieses planvolle und zugleich hitzige Leben fort. Sein Vorgehen war stets so, daß er einen Anhang, eine Partei um sich scharte und dann mit dieser den

148 Gegner erschütterte, so daß er Herrschgewalt erlangte. In dem Ringen um Ostafrika stellte die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft seinen Anhang dar, aber dieser war doch nicht stark und einflußreich genug, um ihn gegen seine Widersacher ausreichend zu stützen. Das ganze deutsche Volk zu seiner Anhängerschaft zu machen, ist ihm mißlungen. Er selbst hat später von sich gesagt, die Veranlagung und Neigung zur Politik sei die wichtigste Seite seines Wesens gewesen, hinter welcher alle anderen zurückgetreten seien. Er war ein hervorragender Rechner, der scharf genug die Möglichkeiten abzuwägen verstand, und er war gleichzeitig ein glühender Patriot, der heiß genug zur Ausführung solcher Berechnungen sich ins Zeug zu legen vermochte. Und da seine politische Neigung ganz ausschließlich auf Mehrung und Stärkung des Deutschen Reiches ausging, so waren in ihm die allerschönsten Vorbedingungen gegeben zum erfolgreichen Politiker großdeutschen Formates. Schon der Vierzehnjährige geriet unter dem Eindrucke des Siebziger Krieges in die Bahnen des Patriotismus. Der Übergang von der Gefühlsmäßigkeit zur Bewußtheit, vom Patriotismus zur Nationalgewilltheit vollzieht sich dem Dreiundzwanzigjährigen während seines ersten Englandaufenthaltes, indem er sich seines Gegensatzes zum Engländertum und zu dem verengländerten Oheim bewußt wurde. Zum Aktivismus wurde die gefühlsmäßig unterlegte Erkenntnis nach der Rückkehr in die Heimat und im Ringen um Ostafrika. Zu fanatischem Nationalismus flammte dies alles in ihm zusammen, als er ausgangs der achtziger Jahre erkannte, wie wenig Verständnis weite Kreise des deutschen Volkes für seine nationalen Belange aufbrachten und wie sehr es nötig sei, solches in ihnen zu erwecken und zu vertiefen. Man darf sagen, daß Carl Peters die Keimzelle des neudeutschen Nationalismus geworden ist, aus welcher die beiden Blüten Alldeutsch und Deutschvölkisch ersprossen sind. Er war eigentlich der erste moderne Deutsche, der schon in Festländern und Meeren dachte, als Deutschland noch in Europa dachte. Aber er dachte kolonial zu früh für sein Volk und für seine Regierung. Derartige Vorläufer werden immer von ihren Zeitgenossen verfolgt, unterdrückt, ausgestoßen. Die nationale Linie war in Peters so fest eingebettet, daß sie durch nichts, weder durch englische Verlockung noch durch Schmähung von seiten des eigenen Volkes in ihm ausgetilgt werden konnte. Er war und blieb der vorbildliche Deutsche. Die bittere Enttäuschung seines Nationalismus durch das eigene Volk setzte sich ihm nicht in das Koriolanschicksal des Abtrünnigen um, sondern nur in Verbittertheit und dann in Entsagung - ein erschütterndes Beispiel des verkannten und verbannten Patrioten. Betrachten wir die Geistigkeit dieses politischen und wehrhaften Tatmenschen, so bewundern wir die Verbindung eines scharfen, klaren Verstandes mit eisernem Willen und stürmischem Drange. Wenn er sich auch anfangs als Schriftsteller und als Gelehrter auf geschichtlichem, ja philosophischem Gebiet versuchte, so waren dies doch nichts als Irrwege des Jünglings, der den roten Faden seines Lebens noch nicht gefunden hatte; in Wirklichkeit war er durchaus kein Denker, d. h. nicht ein Mann, der das Denken des Denkens halber betreibt. Denken war ihm, nach der Inspiration, nur das Mittel, um den Weg zur Tatleistung freizulegen. Konzeption der Idee - Durchdenken von deren politischen (später geschäftlichen) Möglichkeiten - Ausführung durch Tat - dies ist stets die Kette seiner schöpferischen Entfaltung gewesen. Denker war er nur, soweit er als Tatmensch davon Nutzen hatte, das Denken war ihm Diener der Tatleistung. Erst später, als er notgedrungen Geschäftsmann wurde, da scheint das Denken nicht unbedingt Beförderung des Leistens gewesen zu sein, denn es bannte ihn wohl zu sehr an die auf dem Denkwege gewonnene Überzeugung, daß, wo antike Goldminen gewesen seien, auch moderne sich müßten anlegen lassen. Als Schriftsteller nicht bedeutender, als die Darlegung seiner Taten es grade erforderte, war Peters doch der geistig am besten unterbaute, der kultivierteste aller Wikinge und Konquistadoren, von denen wir wissen. Schon als zwanzigjähriger Student hat er klar erkannt, daß nicht Schriftstellerei, sondern Tat sein eigentliches Lebenselement sei. So verfügte Carl Peters als geistig unterbauter Tatmensch mit politischer, nationalistisch gefärbter Zielsetzung über ausgezeichnete Eigenschaften, die ihn hoch hätten emportragen können. Sein Denken und Trachten war doppelt zentriert: Zuerst im Ich-Gedanken, der ihn zur Geltendmachung

149 seiner Person trieb und seinen ganzen Lebenswillen ausrichtete; sodann im Wir-Gedanken, der jenen auf Volk und Reich erweiterte. Er sah sein Ich im Wir gespiegelt und wollte das Wir mit dem Ich erfüllen. Und trotzdem lehnte das Wir, wenn es auch Ostafrika annahm, das Ich ab, ja stieß es sogar von sich. Sein angeborener Trotz und seine Heftigkeit, letztere sowohl im Wollen wie im Sichgeben, errichteten eine Schranke zwischen Ich und Wir, mit welcher dieses letztere sich nicht abfinden konnte. Sein ungestümes Wesen wandte sich in jedem Falle und bei jeder Gelegenheit auf die letzte Wahrheit und nahm in deren Erreichung keinerlei Rücksicht. Damit aber mußte er zu der Beamtenhierarchie seiner Zeit in Gegensatz geraten, denn er war Entweder-Oder-Mensch, der alles wollte oder nichts. Auf diese Eigenschaft führten seine Erfolge als freier und in der Selbständigkeit seiner Entschlüsse unbehinderter Mann zurück, in der gleichen Eigenschaft aber gründete sein frühes Zerwürfnis mit dem Auswärtigen Amte, besonders dann, als er diesem unterstellt wurde. Namentlich daß er Politik auf eigene Faust machen wollte, das erschien dort unerträglich. Damit dürfte der Charakter von Carl Peters in seinen wesentlichen Zügen umrissen sein, und es ist nur wenig hinzuzufügen. Er besaß eine rasche geistige Reaktionsfähigkeit, die blitzschnell auf Eindrücke zeichnete und ihn auch in den schlimmsten Lagen nicht verließ, sondern zu unmittelbarem Handeln befähigte. Als Mensch zu Mensch war er schneidig und bestimmt im Auftreten, forderte, daß man auf ihn hörte und ihm gehorchte. Aber er blieb höflich, solange das anging. Gegen Gleichgestellte und Untergebene freundlich, machte er ein steifes Rückgrat vor Höhergestellten oder Vorgesetzten. Mit einem Worte: er war eine ausgesprochene Führernatur. Sein Leben war Ausgriff und Abwehr, er ging niemals einer Schwierigkeit aus dem Wege, sondern faßte sie klar ins Auge und griff sie an. Er handelte schnell, aber er unterhandelte nicht lange. Paul von Lettow-Vorbeck Der deutsche Soldat Die Moskitos begannen jetzt ihr sirrendes Lied, aber durch die heiße Luft wehte ein leichter Hauch, der von naher Abkühlung flüsterte. Hoch oben reckten sich die phantastisch verrenkten Zweige eines Affenbrotbaumes, und ihre Schmarotzerpflanzen hingen gleich Seilen fast bis zum Boden herab. Die zehn Soldaten des Goldküstenregiments hockten schwatzend um ihr Feuer, und abseits schnatterten die sechzig Träger durcheinander. Dicht an dem ungeheuren Stamme stand das grüne Zelt, und vor seinem Eingange saß ein südafrikanischer Soldat auf seinem Tropenstuhle, während auf einer Bahre ein gefangener deutscher Soldat lag, der im letzten Gefecht einen Beinschuß abbekommen hatte. Beide hatten gegessen, der eine viel, der andere wenig, und jetzt rauchten sie zu dampfendem Tee ihre Pfeifen. Der Deutsche sog den Duft des Navy Cut als langentbehrten Genuß ein. "Well," meinte der Südafrikaner, "mein Großvater ist auch einmal einer von euch Germans gewesen. Er kam mit der German Legion nach South Africa, das war nach dem Krimkriege. Er hatte sich in Helgoland anwerben lassen und erhielt eine Farm in einem Dorfe in Kaffraria, das sie Brunswik nannten. Feines Land sage ich dir, good hunting. Vor der Ausreise von London mußte mein Großvater, wie alle seine companions, die noch keine Lady hatten, eine Engländerin heiraten, und so bin ich Englishman geworden. Ist auch besser so, lieber selber jagen, als gejagt werden, und du weißt wohl auch, trotzdem du nur ein damned German bist, daß the world is rapidly becoming English."

150 Der Verwundete regte sich: "Das wollen wir erst einmal abwarten. Hier in Deutsch-Ost scheint sie es gar nicht so eilig zu haben." Der Südafrikaner zischte den Tabaksaft haarscharf an des andern Nase vorbei - es war das so seine Art, und er war stolz darauf, daß er niemals aus Versehen einen Menschen traf. Er knurrte: "Du meinst, weil ihr uns immer schlagt? Never mind. Zurück müßt ihr doch stets. Was willst du, jetzt haben wir ihn schon über die Grenze zu den Dagos, zu diesen verfluchten Portugiesen abgedrängt. Eure Kolonie seid ihr los, und ihr bekommt sie nie wieder. Ich habe mir schon bei Moschi eine Farm gesichert, so groß wie halb Kaffraria und noch viel schöner. Ich bin Monteur von Beruf, aber sobald der Krieg aus ist, werde ich farmer und reite auf einem Pferde über die Felder und schwinge den Kiboko. Das allein ist eines Englishmans würdig. Und du? Du kommst erst nach Indien hinter Stacheldraht, und dann wirst du irgendwann einmal nach Germany ausgeliefert, wo ihr euch vor Hunger gegenseitig auffressen müßt. That's so, yes." Wieder ein wunderbar gezielter Spritzer schräg über die Bahre hinweg auf die Spitze eines Grashalmes, der sich schwer vornüberbog. Beide stopften die Pfeifen neu. Der Südafrikaner rief mit barscher Kolonialstimme: "Boy, whisky!" Dann schänkte er zwei Gläser voll, drückte das eine dem Deutschen in die Hand und sagte: "Trink, stranger, es ist die beste Arzenei für weiße Männer in heißem Lande. Meide das Wasser, du wirst krank davon. Sieh mich an, ich habe es seit zwanzig Jahren nicht mehr getrunken, selbst die Zähne putze ich mir frühmorgens schon mit Whisky. Dann bekommst du nicht Typhus, nicht Dysenterie." Der Deutsche seufzte, denn er bedachte, wie sie vor Durst sich oft über eine Lache grünbraunen Wassers gestürzt und sich den Tod an den Hals getrunken hatten - gehetzt, umstellt, ausgepumpt vom Stürmen und Schießen, vom Rennen und Ausweichen vor der Übermacht. Der redselige Sieger fing wieder an: "Well, ihr dauert mich, denn, die Wahrheit zu sagen, ihr hättet ein besseres Los verdient. Wenn ich dich ansehe, dann erbarmt es mich. Du hast doch eigentlich nur noch Lumpen an, und ich sehe, daß es sogar eine englische Uniform ist. Dein Tropenhelm ist englisch, dein Gewehr ist englisch, dein Lederzeug ist englisch, deine Beinwickel scheinen portugiesisch zu sein, deine Stiefel auch. Sag mal, was ist eigentlich noch deutsch an euch?" Der Verwundete sog stärker an seiner Pfeife. "Wir selber sind deutsch", stieß er hervor, "und das werden wir bleiben." Der Gegner lachte überlegen: "Du jedenfalls, wie ich dich daliegen sehe, bist jetzt nur ein englischer Gefangener. Oder bist du etwa nicht?" "Der General ist noch da, und die anderen. Den werdet ihr nie kriegen." "Euer general - ja wirklich, das ist ein fellow! Wenn wir an den denken, dann lachen wir über unsere generals. Krieg zu führen, das versteht ihr wirklich besser, viel besser als unsere damned bloody generals. Eure Hindenburg und Mackensen und eure Lettow - so etwas gibt es bei uns really not. Aber wir sind euch doch zu viele. Hör einmal her. Your general ist ein fine old boy, er muß the second sight haben, denn er sieht immer voraus, wie unsere generals marschieren, um ihn einzukreisen. Er läßt sie ruhig herankommen, und dann stürzt er sich auf einen von diesen blockheads, verhaut ihn und bricht im letzten Augenblick aus. Wir aber haben das Nachsehen. Haha, das ist very splendid indeed. Weißt du, stranger, ich war vor zwei Jahren mit in Südwest und habe da geholfen, euch zusammenzuhauen, es war das ein Picknick, machte uns plenty of jokes. Aber hier in Ostafrika - damned, das hatten wir uns anders vorgestellt. It's a long way. Du trittst an und rückst ab. The enemy steckt irgendwo im bush, einer eurer Träger hat es uns verraten. Diesmal

151 müssen wir euch abfassen. Sikhs und Cape Rifles und Boers und Goldcoasts, und was du noch willst. Du trottest durch den bush, die rifle umgehängt, die Hemdsärmel aufgekrempelt und die Pfeife frisch gestopft. Auf einmal gehts tack-tack-tack - eure damned bloody machine guns, ganz tief und ernst, genau so pedantisch wie ihr Germans alle. Und dann keckern unsere los, hastig, aufgeregt - na ja, wir haben ja auch plenty of munition. Und schon fällt dein companion links, dann der rechts, und die niggers reißen aus. Hinter ihnen drein springt so ein German devil in Khakiuniform und schreit Hurra und reißt die Askari mit, die wie die Tiere brüllen und nur danach lechzen, uns die Hälse abzuschneiden. Aber dazu empfangen wir unsern Sold nicht, wir wollen lebendig aus diesem Kriege herauskommen und die Farm am Kilimandscharo erben." Der deutsche Soldat hörte verwundert zu und stöhnte: "Von Begeisterung ist bei euch wohl keine Rede?" "Begeisterung? What do you mean? I wish to make my fortune in this little war, nothing else. Ich will Land und Vieh. Ich will keinen Ruhm, der ist was für euch. Your general ist viel berühmter als unsere Smuts und Deventer und Bever und Edwards und alle die anderen, aber paß auf, die bekommen hinterher viel Geld, und er, euer Lettow, wird in Gefangenschaft abgeführt werden. Will you bet? I bet you ten to one. Lettow gewinnt die Schlachten und Deventer den Krieg. Be sure, my boy." Der deutsche Soldat hüllte sich in eine Rauchwolke und schloß die Augen. Er sah den General in fleckiger Hose und Negersandalen, den verdrückten Hut über dem tiefernsten Gesichte, die Linke am Gewehrriemen, den Urwaldpfad daherschreiten, mitten in seiner immer mehr sich lichtenden Truppe, die in Reihe zu einem sich nach Süden bewegt. Alle sind vom letzten Gefecht und Marsch todmüde, aber sie schleppen sich dahin. Ein kleiner schwarzer Signalschüler liegt zur Seite, er kann nicht mehr. Aber jetzt hebt er sich empor und ruft mit seiner schrillen Knabenstimme: "Bana Generali, ich nach Berlin!" Der General lächelt zerstreut. Er hat scharf nachzudenken, wo er erneut Stellung nehmen kann. Er ist sehr müde, aber seine Augen blitzen und schauen durchbohrend, in seinem Geiste ordnen sich die wirren und einander widersprechenden Meldungen zu einem geschlossenen Ganzen, das ihm taktische Klarheit gibt. Und alle, die vor ihm und hinter ihm durch die afrikanische Nacht humpeln, wissen, daß nur sein Wille es ist, der sie aufrecht hält und rücksichtslos immer wieder weiterschiebt, immer wieder ins Gefecht führt, immer wieder aus den schwierigsten Lagen herausreißt. Deutschland? Wie weit ist es fort, fast schon wesenlos. Aber hier, Lettow, der ist für sie Deutschland, der ist Kaiser und Hindenburg und Familie und Vaterland, der ist alles für sie, der ist der hoch über ihnen stehende Führer. Dem Südafrikaner wird das Schweigen seines Gefangenen langweilig. Er klopft seine Pfeife aus, reckt sich mit knackenden Knochen und deckt jenen warm zu. Der sagt kein Wort, er muß sich innerlich festklammern, so stark ist seine Bewegung. Die Laufbahn Neben die Forschungsreisenden und neben die Kolonialgründer tritt nun als letzter unserer Reihe der koloniale Stratege, der Verteidiger unserer größten und schönsten Kolonie Deutsch-Ostafrika. Dieser Mann hat gar nichts mit Wissenschaft zu tun, er hat sich auch nicht in der Erforschungsgeschichte Afrikas ausgezeichnet, er ist auch nicht Gouverneur gewesen - er war nur Kommandeur der Schutztruppe und bekleidete damit einen vergleichsweise bescheidenen Posten, denn die Truppe zählte 1914 nicht mehr als 2750 Mann. Wäre der Weltkrieg nicht gekommen, nie hätte die Öffentlichkeit den Namen Lettow gehört. Es ist das Schicksal der Generale, daß der Friede ihren Namen der Nachwelt verborgen hält und die Feldherrneigenschaften auch des Tüchtigsten nicht zur

152 Auswirkung gelangen läßt. Dem Oberstleutnant von Lettow sind die Lose glücklicher geworfen worden. Das Geschick stellte ihn ein halbes Jahr vor Ausbruch des Krieges auf eine so exponierte Stelle, daß es dann nur noch an ihm selber lag, ob er aus dieser Gunst etwas zu machen verstand oder nicht. Und er hat es verstanden! Wäre es nach anderen gegangen, dann hätte die Schutztruppe wohl in absehbarer Zeit den aussichtslosen Kampf gegen Übermacht aufgegeben, aber er setzte sich über alle behördlichen Hemmungen hinweg, nahm das Geschehen entschlossen und immer mehr in seine eigenen Hände und führte den Krieg länger als vier Jahre gegen einen, nehmt alles nur in allem, zwanzigfach überlegenen Gegner, ohne daß sein eiserner Wille auch nur einen Augenblick ermattet wäre. Ganz auf sich selber gestellt, denn er überragte alle seine Kameraden turmhoch, und mit denkbar schlechter und unmoderner Bewaffnung hat er sich geschlagen und immer wieder geschlagen, hat angegriffen und ist ausgewichen und hat sich wieder und wieder gestellt - wo sonst hat der Weltkrieg, hat Afrika je solches Heldentum, solche klare Strategie, solche taktische Sicherheit gezeitigt wie hier! In diesem Manne streckt die große Welt- und Kriegsgeschichte ihr Haupt ganz persönlich in unser Buch hinein. Lettow ist es, der bewiesen hat, was auch der ganz auf sich allein gestellte deutsche Mensch in der Welt zu leisten vermag, und daß er zu verteidigen versteht, was er einmal gewonnen hat. Paul von Lettow-Vorbeck ist am 20. März 1870 in Saarlouis als Sohn des Kompaniechefs Paul von Lettow-Vorbeck, späteren Generals, geboren. Während der Vater nach dem Kriege mit der Okkupationsarmee etliche Jahre in Frankreich blieb, wohnte die Mutter mit dem Kinde in der hinterpommerschen Heimat. Im Jahre 1874 wurde der Vater als Bataillonskommandeur nach Brandenburg versetzt, wo der Knabe im Alter von fünf Jahren in eine Privatschule kam. Im Jahre 1877 mußte die Familie nach Königsberg in der Neumark übersiedeln, und schon im folgenden Jahre nach Berlin, wo der Vater den Landwehrregimentsbezirk erhielt und der Knabe auf das Französische Gymnasium eingeschult wurde. Nach wiederum zwei Jahren wurde der Vater Regimentskommandeur in Frankfurt a. d. O., und der Sohn besuchte hier das Gymnasium. Endlich im Jahre 1881 kam Stetigkeit in die Entwicklung, denn der Knabe trat in das Kadettenkorps zu Potsdam ein und nach zwei Jahren in Lichterfelde. In Potsdam wurde er Leibpage beim Kronprinzen Friedrich Wilhelm, auch wirkte er als Thronpage am neunzigsten Geburtstage des alten Kaisers. Im Jahre 1888 bestand er in Lichterfelde mit allerhöchster Belobigung die Reifeprüfung. Die Schulleistungen waren gewöhnlich gut; Lieblingsfächer waren Geschichte, auch Erdkunde, worin er gerne Karten zeichnete, aber im Turnen war er nur mittelmäßig. Daß er Offizier werden würde, galt ihm wie auch der Familie von vornherein als selbstverständlich. Im Februar 1888 trat er als Portepeefähnrich in das 4. Garderegiment zu Fuß ein und wurde im folgenden Jahre, wegen guter Prüfung ein Jahr vorpatentiert, zum Leutnant befördert. Unter Leitung seines Regimentskommandeurs, des im Weltkriege anfangs so vielgenannten K. von Bülow, konnte er sich trefflich in die Aufgaben der Taktik einarbeiten. Nachdem er die Kriegsakademie besucht hatte, wurde er 1899 zum Großen Generalstab kommandiert, wo er mehrere kleine Länder und auch die Kolonien zu bearbeiten hatte. Im August 1900 trat der Oberleutnant von Lettow - nicht so sehr von einem Verlangen nach fremden Ländern getrieben, als vielmehr aus rein soldatischem Interesse - als Brigadeadjutant zu dem nach China abgehenden Expeditionskorps und wurde später Ordonnanzoffizier beim Oberkommando. Nachdem er in Peking den großen Brand des Kaiserpalastes erlebt hatte, trat er im April 1901 als Adjutant zur 1. Ostasiatischen Brigade. Zum ersten Male ins Feuer kam Lettow bei dem nächtlichen Überfall auf einen Boxerort. Im August 1901 in die Heimat zurückgekehrt, wurde er Hauptmann und erhielt eine Kompanie im 3. Gardegrenadierregiment, das unter Befehl des Obersten Fritz von Below stand, eines guten Taktikers und späteren Armeeführers im Weltkriege.

153 Wie Bülow, so hielt auch Below auf starke Initiative und Aktivität; aber hier besonders ging dem Hauptmann von Lettow ein Licht darüber auf, was eigentlich Kampf ist, und diese Schule hat er später in Ostafrika glänzend bewährt. Im Jahre 1904 kam Lettow als Adjutant in das Oberkommando des Generals von Trotha, der in Peking sein Brigadekommandeur gewesen war und ihn jetzt dazu ermunterte, nach Deutsch- Südwestafrika in den Herero- und Hottentottenaufstand zu ziehen. Nach einem Jahre erhielt er eine Kompanie und führte sie im Süden des Schutzgebietes. Hier erhielt er bei Duurdrift im Januar 1906 einen Schuß ins linke Auge und war ein Vierteljahr lang blind, da die Entzündung auch auf das rechte übergriff. Auf einem Eselskarren wurde er eine Woche lang über Upington zur Eisenbahn und dann nach Kapstadt gefahren. Hier kam er in Behandlung eines deutschen Augenarztes, der ihn nach vierzehn Tagen für transportfähig erklärte. Über Daressalam und Tanga, wo er zum ersten Male Schauplätze seiner späteren Tätigkeit sah, fuhr er heim nach Deutschland. Lettow hatte in Ostasien Truppen anderer Länder, namentlich auch englische, kennengelernt, in Südwest war ihm afrikanischer Kleinkrieg in Busch und Steppe vertraut geworden, und mit Buren und Negern wußte er jetzt auch umzugehen. Er brachte die Empfindung mit heim, ein tüchtiges Stück von der Welt gesehen und Weitblick erworben zu haben. Vor allem aber ließ er die Heimat auf sich wirken und wurde sich ihrer Schönheit und ihrer Bedeutung noch mehr als vorher bewußt. Nachdem der Hauptmann von Lettow im Winter 1906/07 im Generalstabe in der französischen Abteilung tätig gewesen war, wurde er im Frühling 1907 als Major und Korpsadjutant zum 11. AK. nach Kassel versetzt. Auf zahlreichen Besichtigungsreisen des Generals von Scheffer-Boyadel konnte er hier sein kritisches Urteil durch Vergleich der verschiedenen Truppenteile entwickeln. Besonders aber lernte er viel Grundsätzliches über taktischen Einsatz der Truppe, Verwendung der Reserven und Führung des Gefechtes. Von Frühling 1909 bis Ende 1913 kommandierte er in Wilhelmshaven das 2. Seebataillon - eine besondere Auszeichnung, da er dort eine ganz selbständige Stellung einnahm. Hierin fand seine innere Selbstheit große Befriedigung, freilich kam sein Wunsch nach höherer militärischer Fortbildung schließlich nicht ganz auf seine Rechnung. Dafür aber gewann er guten Einblick in die Kriegsmarine, nahm an vielen Fahrten teil und lernte die norwegische Fjordlandschaft kennen. Im Oktober 1913 wurde Lettow durch A. K. O. zum Kommandeur der Schutztruppe für Kamerun ernannt, aber noch vor seiner Ausreise, nämlich im Dezember, wurde er zur Vertretung des beurlaubten Kommandeurs der Schutztruppe für Ostafrika kommandiert; die eigentliche Ernennung zum Kommandeur dieser Schutztruppe erfolgte erst im April Die Drahtung des Kaisers über die Versetzung nach Ostafrika kam für Lettow völlig überraschend. Möglicherweise hatte er diese Auszeichnung dem damaligen Chef des Militärkabinetts, dem Grafen Hülsen-Haeseler, zu verdanken, den er selber übrigens nicht näher kannte. Wenn je eine Kommandierung, dann war diese am richtigen Platze. In Deutsch-Ostafrika trat Oberstleutnant von Lettow eine Stellung an, in der er sich manches anders gedacht hatte. Wie alle zur Schutztruppe übergehenden Soldaten, hatte er aus dem Heeresdienst ausscheiden und unter Befehl des Oberkommandos der Schutztruppe im Reichskolonialamte treten müssen. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war nicht ein Soldat, sondern ein Zivilist, nämlich der Gouverneur, der Generalsrang bekleidete. Diese Unterstellung eines Kommandeurs unter eine Zivilperson mußte einem Soldaten von Lettows Selbständigkeitsgefühl unnatürlich erscheinen, und er bemühte sich sehr bald, über das Verhalten der Schutztruppe im Kriegsfall in Berlin eine Klärung herbeizuführen. Die Mobilmachungsvorschriften, die Lettow vorfand, sahen eine im allgemeinen passive Verteidigung des Schutzgebietes vor, wobei die weit

154 über das Riesengebiet verteilten einzelnen Kompanien in ihren Bezirken verbleiben sollten, da man mit Aufständen der Eingeborenen rechnete. Lettow hielt diese Pläne für verfehlt und schlug Zusammenziehung des größten Teiles der Truppe sowie angriffsweises Vorgehen vor, weil er das Schutzgebiet dadurch am besten glaubte sichern zu können. Der Gouverneur, der sich zunächst streng an die bestehenden Vorschriften der Mobilmachung hielt, lehnte Lettows Vorschläge ab. Hierauf suchte Lettow die Entscheidung des Reichskolonialamtes herbeizuführen, doch traf eine solche bis Kriegsausbruch nicht mehr ein. Aus dem Gegensatze zwischen den Ansichten des Gouverneurs und des Kommandeurs ergaben sich schwere Zerwürfnisse, welche die militärischen Entschließungen zu hemmen geeignet waren; aber seit der siegreichen Schlacht von Tanga hat der Gouverneur unmittelbare Eingriffe fast durchweg vermieden; der Papierkrieg freilich schlief selbst nach Überschreiten der portugiesischen Grenze nicht ein. Im Januar 1914 in Daressalam eingetroffen, fand Lettow eine schwache Schutztruppe von nur 215 Weißen und 2540 farbigen Soldaten vor, die vorwiegend noch mit dem völlig veralteten, rauchstarken Einzelladegewehr Mod. 71 bewaffnet und wegen ihrer Verteilung über das riesige Gebiet in Bewegung größerer Verbände ganz ungeübt war; auch die ausschließlich auf den Eingeborenenkampf abgestellte Schießausbildung ließ viel zu wünschen übrig. Für grundlegende Veränderungen, wenigstens soweit sie über die Fragen eines Krieges mit den Eingeborenen hinausgingen, war der Gouverneur nicht leicht zu haben, da er an einen Krieg mit England, der an die Truppen ganz andere Anforderungen stellen mußte, nicht glaubte. Es war dem Oberstleutnant von Lettow sehr wohl bewußt, daß in einem großen europäischen Kriege das Schicksal der deutschen Kolonien auf den dortigen Schlachtfeldern würde entschieden werden, Ostafrika konnte nur die Rolle eines Nebenkriegsschauplatzes spielen. Aber er lebte der Ansicht, daß die Kolonie trotzdem tun müßte, was sie nur tun konnte, um dem Vaterlande in seiner gewaltigen Not einige Erleichterung zu verschaffen und um dem Feinde beim Friedensschlusse nicht als sichere Beute zu gehören. Für ihn gab es nicht die Frage: soll die Kolonie sich hübsch stillverhalten oder selber fechten, sondern nur die andere: durch welche Kampfmaßnahmen kann die Kolonie die europäische Entscheidung für Deutschland günstig beeinflussen, indem sie möglichst viele Feindtruppen auf sich zieht und ihnen Abbruch tut? Der Heldenkampf Deutsch-Ostafrikas Oberstleutnant von Lettow, der noch im Frieden auf der Nordbahn und auf der Zentralbahn einen leidlichen Einblick in Landschaft und Bevölkerung der Kolonie getan hatte und bis zum Tanganjika- und Njassasee gelangt war, gab sich über die Ungunst der militärgeographischen Lage keinem Zweifel hin. Es handelte sich um ein Gebiet von qkm Fläche mit einer Umgrenzung von etwa 5000 km Luftlinie, wovon über 800 km auf die Küste und mindestens 700 km auf die Nordostgrenze, die beiden durch die Engländer am meisten gefährdeten Einfallspforten, entfielen. Würde Lettow - es sei als rein statistische Spielerei angeführt - die gesamte Grenze im August 1914 mit seinen Leuten haben besetzen wollen, so würde er auf jedem Kilometer Luftlinie einen Mann haben aufstellen können. Es würde ihm aber unmöglich geworden sein, diese Leute an einem besonders bedrängten Punkte der Grenze rasch zusammenzuziehen, denn dazu fehlte es an modernen Verkehrsmitteln. Es waren nur zwei Eisenbahnen vorhanden und wenig Kraftwagen. Die Nordbahn erschloß vom Hafen Tanga aus das fruchtbare, gesunde und dicht besiedelte, auch an europäischen Pflanzungen reiche Kilimandscharogebiet; ihr parallel und sie westwärts schon weit überflügelnd lief jenseits der Grenze die britische Ugandabahn. Die Zentralbahn erschloß das Innere der Kolonie und war bei Kriegsanfang grade bis zum Tanganjikasee fertig geworden. Aber es fehlte eine Bahnverbindung zwischen beiden; die im Frieden hierfür Ersatz bietende Küstenschiffahrtslinie Daressalam-Tanga fiel natürlich im Kriege sofort aus, und die Karawanenstraße Morogoro-

155 Korogwe zwischen beiden Bahnen stellte an Kraft und Zeit sehr starke Anforderungen. Trotzdem faßte Lettow den Entschluß, die Kolonie angriffsweise zu verteidigen, und als bestes Mittel hierzu sah er den Angriff auf Britisch-Ostafrika an, dessen Ugandabahn ein sehr empfindliches Angriffsziel bot. Der Gouverneur aber wies solche Ideen weit von sich und verhinderte, daß Lettow gleich von Anfang an seine Truppen im Kilimandscharogebiete zusammenzog; er gestattete nur, daß der Kommandeur die Mehrzahl der Kompanien in Pugi, westlich von Daressalam, aufstellte. Der Gouverneur wünschte, daß eine Beschießung der Küstenplätze durch die englische Flotte vermieden werde, und ließ sie deshalb räumen, doch wußte Lettow es schließlich durch schnelles Zugreifen zu verhindern, daß Daressalam und Tanga, d. h. die Kopfpunkte der beiden Bahnlinien, vom Feinde besetzt werden konnten. Lettows Streitkräfte waren lächerlich gering. Die Schutztruppe hatte einen Bestand von 215 Weißen und 2540 farbigen Askari. Hierzu trat die Polizeitruppe, die, unter ziviler Verwaltung stehend, anfangs geringen Kampfwert hatte; sie zählte 45 Weiße und 2140 Farbige. Dazu kamen die Besatzungen der beiden Kriegsschiffe Königsberg und Möwe mit 424 Weißen sowie der Beurlaubtenstand und die Kriegsfreiwilligen der weißen Ansiedler. Die Höchstzahl betrug etwa 3000 Weiße und Askari. Demgegenüber hat der Feind - Engländer, Belgier und später auch Portugiesen - insgesamt 33 Generale und Mann aufgeboten! Die in Lettows Buche angegebenen viel höheren Feindzahlen beruhen auf Annahmen der Kriegszeit, sind aber inzwischen durch amtliche englische Veröffentlichungen richtiggestellt worden. Dadurch, daß er sehr häufig Ablösungen vornahm, hatte der Feind stets frische Truppen im Felde, während das deutsche Häuflein, das im November 1918 nur noch aus 155 Weißen und 1168 Askari bestand, den ganzen Krieg bei Hitze und Tropenregen, bei Malaria und Ruhr pausenlos durchzustehen hatte! Es scheint, daß der Feind sein Abenteuer mit rund weißen und farbigen Toten, mit verreckten Pferden und Maultieren und etlichen Milliarden Mark Kosten bezahlt hat. Würde England die deutsche Kolonie nicht angegriffen haben, dann hätte es an der Westfront oder in der Türkei erfolgreicher auftreten können. Es hatte sich das Picknick am wunderschönen Kilimandscharo wohl etwas leichter vorgestellt. Die erste Kampfhandlung ging von England aus, indem zwei kleine Kreuzer am 8. August 1914 den Funkturm von Daressalam beschossen; als sie ihn nicht trafen, wurde er von der Zivilverwaltung selber gesprengt. Als Antwort auf die englische Geste drangen am 15. August mehrere Kompanien unter dem alten Kolonialhelden Hauptmann a. D. von Prince im Kilimandscharogebiete nach Tavete; Gouverneur Schnee stimmte der Verlegung der Hauptstreitkräfte nach Norden zu, so daß die Nordbahn ausreichend gesichert werden konnte. Die erste Schlacht - neben Mahiva das erfolgreichste von mehr als tausend Gefechten - fand am 4. November 1914 in Tanga statt. Am 1. November erschienen zwei englische Kreuzer und 14 Transportdampfer in der Hafenbucht und begannen nach wenigen Tagen mindestens 8000 Mann zu landen. Lettow hatte aber schon mit der Nordbahn eine Anzahl Kompanien herangezogen und schob sie an den Ostrand der Stadt vor; freilich standen ihm nur ungefähr 1000 Mann zur Verfügung. Nach anfänglichem Erfolge wichen das Lancashireregiment und eine indische Brigade vor zwei Europäer- und einer Askarikompanie zurück. Und als Lettow nunmehr eine Kompanie umfassend auf die linke Flanke des Feindes ansetzte, da warf sich die ganze deutsche Front mit wildem Hurra auf den Feind, der in flankierendem MG.-Feuer in völliger Auflösung zu seinem Ausschiffungsplatze am Kap Kasone zurückfloh. Namentlich die indischen Regimenter hatten den Anforderungen eines Waldgefechtes in einbrechender Dämmerung nicht standgehalten. Die Engländer hatten gewiß über 1000 Tote, wir zählten nur 16 Europäer und 48 Askari tot. Die Beute war groß - dies war für die von der Heimat abgeschnittene Truppe stets von höchster Wichtigkeit; so konnten 3 Kompanien sofort mit modernen Gewehren bewaffnet werden, und der Truppe fielen Patronen in die Hände. Die Schutztruppe hatte ihre Feuertaufe bestanden, und jeder ihrer Angehörigen fühlte sich fortan als alter Krieger, dem solch ein Feind nicht mehr imponieren konnte.

156 Lettow selber hatte sich zum ersten Male als Truppenführer bewährt, die Leute begannen mit Vertrauen zu ihm aufzusehen, und auch dem Gouverneur gegenüber hatte er fortan leichteres Spiel. Der Angriff auf Tanga war übrigens keine vereinzelte Kampfhandlung der Engländer, sondern nur ein Teil von auch am Longidoberge und am Viktoriasee einsetzenden Angriffen. Von jetzt an fanden an der Nordgrenze zahlreiche Unternehmungen statt, die meistens erfolgreich waren. Im Januar 1915 nahm Lettow, trotz Abratens wegen anfänglich hoher Verluste, das stark befestigte Jassini in der Nordostecke der Kolonie, aber er zog hieraus doch die Lehre, daß er mit seinen Kräften haushalten und größeren Gefahren ausweichen müsse. So beschloß er, mehr den Kleinkrieg zu pflegen und dem Feinde durch Patrouillen Schaden zuzufügen. Er wandte sein Augenmerk jetzt auch den Versuchen zu, die fehlende Einfuhr durch neue Industrien zu ersetzen. Er führte Spinnerei und Weberei ein, für welche die einheimische Baumwolle und auch andere Faserpflanzen den Rohstoff und die Baumwurzel Ndaa die Farbe liefern mußten. Das Pflanzengummi wurde durch Schwefelzusatz vulkanisiert und zur Bereifung von Kraftwagen und Fahrrädern verwertet. Aus Kokos wurde ein benzolähnliches Treibmittel namens Trebol hergestellt, für Schuhwerk gab es genügend Vieh- und Wildhäute, deren Gerbstoff den Mangroven der Küste entnommen wurde. Korn und Gemüse, Butter und Käse, Wurst- und Räucherwaren wurden geliefert. Sogar Kinin lernte man aus Kinarindenbäumen des Nordens anzufertigen, denn ohne solches hätten die Europäer die lange Kriegszeit gesundheitlich nicht durchhalten können. Trotz manchem günstigen Gefechte - das bei Makatau am 14. Juli 1915 lieferte wieder reiche Beute, die eine feindliche Brigade zurückließ - mußte Lettow aber vom August an seine Bestände langsam auf der Nordbahn abtransportieren, da ein englischer Großangriff an mehreren Stellen der Nordgrenze drohte. Immerhin erreichte die Stärke der Schutztruppe Ende 1915 ihren höchsten Stand mit 3000 Europäern und Askari in 60 Kompanien. Aber was half das alles gegen die

157 feindliche Übermacht! Stets mußte Lettow in Sorge sein, daß der Feind irgendwo bis an die Nordbahn vorstieß und damit die Verbindung zur Küste abschnitt. Um sich gegen die beiden vom Longidoberge und von Makatau heranmarschierenden Gruppen zu halten, sah er nur die Möglichkeit, über jede einzeln herzufallen und zu versuchen, sie zurückzudrängen; er hoffte, daß es ihm dank der unverkennbar ungewandten feindlichen Führung gelingen würde. Bei Reata glückte dieser Plan am 11. März 1916, so daß der Feind nach einem sehr blutigen Nachtgefecht im Busch auf Tavete zurückwich. Trotzdem aber mußte Lettow seine Stellung räumen, weil ihm die vom Longido vorgehende Division in den Rücken kam. Auch gegenüber der anderen Feindgruppe, die vom Longido heranrückte, mußte zurückgegangen werden, hierdurch aber wurde dem Feinde der Karawanenweg von Aruscha nach Süden freigegeben. Um hier die Zentralbahn zu sichern, mußte Lettow den Hauptteil seiner Kräfte, 17 Kompanien, jetzt nach Süden werfen und im Mai 1916 gegen Kondoa-Irangi führen. Doch jetzt im Sommer 1916 rückten feindliche Streitkräfte von Westen, Südwesten und Nordwesten gegen Tabora heran, und auch gegen die nur noch schwach besetzte Nordbahn fühlte der Feind vor. Lettow erkannte rechtzeitig, daß er vor solcher konzentrisch auf ihn zukriechenden Übermacht nach Süden ausbiegen müsse, etwa in den wegen seiner Zerrissenheit für Kleinkrieg günstigen Raum von Mehange. Vorher aber mußte er versuchen, die an der Zentralbahn aufgestapelten Lagerbestände gegen den an der Nordbahn vorrückenden Feind zu schützen und ihren Abtransport nach Süden zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke beließ er vor Kondoa nur 5 Kompanien und warf seine Hauptkräfte in die Gegend von Morogoro. Jene schwache Truppe wurde von der Division des Generals van Deventer bald südwärts gedrängt, so daß der Feind am 31. Juli 1916 bei Dodoma die Zentralbahn erreichte. Lettow selber vermochte sich gegen den von der Nordbahn anrückenden General Smuts ebenfalls nicht auf die Dauer zu halten, zumal Deventer von Westen nachdrückte und im Osten Bagamojo besetzt wurde. Nach verschiedenen Rückzugsgefechten bezog Lettow bei Kissaki Stellung, um hier möglichst lange Widerstand zu leisten, und schlug hier am 7. September 1916 Teile der Division des Generals Brits, die ihn umfassend angriffen, dabei aber selber in eine geschickt gestellte Zange gerieten. Und schon am folgenden Tage schlug er eine andere von Norden heranrückende Brigade vollständig. Hierauf bezog er weiter südwärts im Gebiete Kiderengwa für mehrere Monate ein befestigtes Lager. Der weit ausholenden konzentrischen Bewegung des Feindes war er geschickt entschlüpft. Als General Smuts ihn jetzt aufforderte, sich zu ergeben, wußte Lettow, daß der Feind am Ende seines Könnens und seiner Kräfte war. Lettow benutzte die Ermattung des Gegners, nun mit der Haupttruppe zum unteren Rufidschi zu marschieren, um sich dieses wichtige Verpflegsgebiet zu sichern. Hier brachte er in die Etappe Schwung, ließ Nahrungsmittelpflanzen aussäen, um sich für weiteres Ausweichen nach Süden zu verproviantieren, stieß etliche tausend Träger und Arbeiter sowie zahlreiche Europäerboys als unnütze Esser ab und setzte schließlich, zum Mißvergnügen mancher Leute, die Verpflegssätze herunter, ein grade Farbigen gegenüber nicht unbedenkliches Verfahren. Für wie wichtig er diese Sparmaßnahmen ansah, zeigt sich daran, daß er eigenhändig von Tag zu Tag die Bestände der Magazine notierte. Im Sommer 1917 verschob er Teile der Truppe südwärts in das reiche Verpflegsgebiet von Lindi und hatte eine Anzahl glücklicher Gefechte. Am 18. Oktober 1917 schlug er in viertägigem Gefechte die vierfach überlegene Division des Generals Beves bei Mahiva vollständig. In diesem neben Tanga glänzendsten Siege Lettows verloren die Engländer weit über 1500 Tote, während er selber nur 14 weiße und 81 schwarze Gefallene hatte. Wegen anderweitiger Bedrohung von Süden her vermochte er den Sieg leider nicht auszunützen. Ja, er mußte sofort nach Lukuledi marschieren, um dort zu fechten. Anfang November 1917 stand Lettow bei Chiwata, im Besitz von nur noch Patronen für 2500 Gewehre und 50 Maschinengewehre, die grade für ein ernsthaftes Gefecht

158 einigermaßen ausreichten. Und dabei rückte der Feind von Norden, Westen und Süden heran! Nochmals setzte er die Kopfzahl der Weißen und Farbigen herab, so daß er von ersteren nur noch 300, von letzteren 1700 bei sich behielt. Es blieb nichts anderes übrig, als jetzt auf portugiesisches Gebiet, das sich ja auch im Kriege mit Deutschland befand, überzutreten. Hier fehlten natürlich alle festen Magazine sowie jeder Nachschub, und die verfügbaren Karten waren ganz schlecht. Aber für eine entschlossene kleine Truppe gab es dort mehr Bewegungsfreiheit gegenüber einem schwerfällig operierenden Feinde, so daß sich allerhand taktische Erfolge würden ableiten lassen. Der weite Raum mußte auch Gelegenheit bieten, überlegenem Feinde leichter auszuweichen. Schließlich mußten die portugiesischen Lager hinreichend Waffen und Schießbedarf liefern können, wenn man sie energisch angriff. Noch einen Vorteil ersah er aus dem Übertritt auf das Portugiesische: dort hatte die oberste Befehlsgewalt des Gouverneurs, der bei der Truppe war, ein Ende, so daß Lettow vollständig unumschränkt befehlen konnte. Am 25. November 1917 überschritt Lettow - zur Enttäuschung des Generals van Deventer - mit 300 Weißen, 1700 Askari und 3000 schwarzen Trägern den Grenzfluß Rovuma. Drüben erstürmte er sofort das befestigte portugiesische Lager Ngomano, das viele Gewehre und eine Viertelmillion Patronen lieferte. Sehr bald nahm er noch drei andere portugiesische Lager. Verpflegung suchend, marschierte er den Lujendafluß aufwärts, gelegentlich mit dem Feinde fechtend, der zu Beginn des Jahres 1918 anfing, zersetzende Propaganda unter den Farbigen der Truppe zu treiben, die sich jetzt fern der Heimat recht verlassen fühlten, so daß verschiedentlich Desertionen vorkamen. Um sich erneut drohender Einkreisung zu entziehen, wich Lettow nach Osten aus und sicherte dadurch der Truppe etliche Wochen Ruhe. Einer im Mai 1918 bevorstehenden Einschließung von Westen und Osten her entzog er sich dadurch, daß er sich auf die westliche Gruppe warf und sie am Kirekaberge so entscheidend schlug, daß sie sich zurückzog. Auf dem Weitermarsche gegen Süden wurden jetzt von Zeit zu Zeit Kranke und Verwundete unter ärztlicher Aufsicht zurückgelassen, deren sich dann der nachrückende Feind annehmen mußte; die eigenen Transportmittel reichten nicht mehr aus. Anfang Juli 1918 nahm Lettow den portugiesischen Platz Kokosani und erreichte damit seinen südlichsten Punkt, schon nicht mehr weit vom Sambesi entfernt; hier erbeutete er große Munitionsvorräte, viele Waffen und reichlich Verpflegung; leider besaß er zu wenig Träger. Jetzt wandte er sich Anfang Juli nordostwärts in Richtung Mosambik, um den Feind für den Verlust dieses wichtigen Hafenplatzes besorgt zu machen und von seinem wirklich geplanten Wege zurück nach Norden abzulenken. Deshalb bog er, von drei feindlichen Kolonnen bedroht, am 7. August hinter Chalou westwärts, nahm den Engländern in Numarroe gute Beute ab und rückte dann wieder gen Norden, mehrfach von feindlichen Truppen bedrängt. Er zog jetzt durch die Gebiete östlich des Njassasees möglichst schnell hindurch, da sie nur wenig Verpflegung lieferten und da der Feind auf dem Njassasee Truppen nach Norden beförderte, um ihm dort den Weg abzuschneiden. Die Truppe war jetzt auf 176 Weiße und 1487 Askari zusammengeschmolzen, von denen viele an Lungenseuche und Luftröhrenkatarrh litten. Am 28. September 1918 überschritt Lettow abermals den Rovuma und betrat wieder den Boden Deutsch-Ostafrikas. Von Westen her durch Engländer angegriffen, holte er weit nordwärts um das Nordende des Njassasees aus und marschierte dann mitten zwischen Njassa- und Tanganjikasee gen Südwesten auf das Gebiet von Britisch-Rhodesien, jetzt schon sehr bemüht, größere Gefechte zu vermeiden. Am 9. November nahm er noch den Ort Kasema und war auf dem Weitermarsche zum Sambesiflusse begriffen, als ihn am 13. November 1918 die Nachricht vom Waffenstillstand in Frankreich erreichte. Und kurz darauf erhielt Lettow ein Schreiben des Generals van Deventer, daß

159 in dem Waffenstillstand bedingungslose Übergabe aller in Ostafrika fechtenden Truppen einbegriffen sei. Deventer verlangte im Siegertone sofortige Freigabe der englischen Gefangenen und den Abmarsch der Schutztruppe nach dem unweit vom Südende des Tanganjikasees gelegenen Orte Abercorn, wo sie die Waffen abliefern sollten. Lettow fügte sich in die Notlage des Vaterlandes und erkannte, daß er sich in die Bedingungen werde schicken müssen. Am 14. November sandte er dem Kaiser eine Drahtnachricht, daß er entsprechend verfahren werde, hörte dann aber, daß in der Heimat Revolution ausgebrochen sei und der Kaiser abgedankt habe. Allein monatelang hat er diese Ungeheuerlichkeit nicht glauben wollen und erst auf der Rückreise sich darein gefunden. Die Schutztruppe wurde auf dem Tanganjikasee zur Zentralbahn und dann auf dieser ostwärts gebracht. Die Weißen kamen nach Daressalam hinter Stacheldraht, die Askari wurden anderswo interniert. Die Stärke der Truppe in Abercorn bei der Waffenabgabe am 25. November 1918 betrug: 155 Europäer, 1168 Askari und 3000 andere Farbige. Die Zahl der abgegebenen Waffen belief sich auf: 1 portugiesisches Geschütz, 37 Maschinengewehre, worunter nur noch 7 deutsche, 1071 Gewehre ausschließlich englischer und portugiesischer Herkunft sowie Patronen und 40 Schuß Artilleriemunition. Lettow meint, er hätte den Krieg noch wenigstens ein Jahr lang fortsetzen können. Am 17. Januar 1919, am gleichen Tage, an dem er fünf Jahre vorher hier gelandet war, konnte der Generalmajor von Lettow auf einem von den Engländern gestohlenen deutschen Dampfer die Heimkehr über Kapstadt und Rotterdam antreten, wo er Ende Februar eintraf. - Lettow heiratete gleich nach der Heimkehr, trat in die Reichswehr über, stellte eine Freiwilligendivision auf und warf im Juni 1919 den in Hamburg ausgebrochenen Kommunistenaufstand nieder. Im März 1920 nahm er am Kapp-Putsch teil und siegte zu Schwerin in Straßenkämpfen über die Gegner. Infolgedessen erhielt er im Mai des gleichen Jahres den Abschied. Er zog sich dann auf das Gut Nieder-Görne in der Altmark zurück, das einem Freunde gehörte. Da das Vermögen von der Inflation verschlungen war und die Pension verspätet und entwertet ausgezahlt wurde, so fand sich der im Anfang der fünfziger Jahre stehende General einer verzweifelten Lage gegenüber. Aber er war nicht der Mann dazu, den Mut sinken zu lassen, sondern fühlte sich frisch und willensstark genug, sein Leben auf neue Füße zu stellen. Bremer Freunde luden ihn 1923 ein, nach Bremen zu übersiedeln, und bauten ihm dort ein Haus, das er später für ein Ei und ein Butterbrot erwerben konnte. Dann ging der Verteidiger Deutsch- Ostafrikas zum Bremer Bank-Verein und lernte von der Pike auf, bis er nach einem halben Jahre Abteilungschef wurde. Aber im Frühling 1924 bot sich etwas Besseres, er trat in die Großhandelsfirma Konrad Keller, wo er die Filialen einer weiten Umgegend bearbeitete. Im Jahre 1928 stellte der Wahlkreis München-Angsburg ihn als Kandidaten für den Reichstag auf, weshalb Lettow aus jener Firma austrat. Er gehörte dem Reichstage bis zu dessen Auflösung 1930 an. Seine Tätigkeit galt in jenen Jahren der Politik, der Erneuerung Deutschlands aus nationalem Geiste heraus. Seit 1930 lebt Lettow in Bremen, von seinen Mitbürgern hochgeehrt, und beschäftigt sich mit kolonialen Fragen.

160 Das Charakterbild General von Lettow ist nicht nur der tüchtige afrikanische Soldat wie Major von Wissmann, sondern er ist der große afrikanische Feldherr, unser größter afrikanischer Feldherr und, wir möchten das hier ungescheut aussprechen, seit Bonaparte der bedeutendste Feldherr auf afrikanischem Boden überhaupt. Kitchener ist gar nicht mit ihm zu vergleichen, denn seine Erfolge führen nicht auf höhere Strategie und auf Kampf gegen Übermacht zurück, sondern lediglich auf die schwerfällige Lösung einer militärischen Organisationsaufgabe gegen einen sowohl im Mahdiwie im Burenkriege nach Zahl und Bewaffnung weit unterlegenen Feind. Nie hat ein Feldherr in Afrika mit so wenigen und so schlecht ausgerüsteten Truppen und unter so ungünstigen Verhältnissen gegen konzentrisch auf ihn eindringende Übermacht kämpfen müssen wie Lettow, dem aus der Heimat fast nichts zukam. Das Stärkeverhältnis zum Feinde war im Durchschnitte das von einer oder zwei Kompanien zu einer Brigade. Aber er verstand den Gegner psychologisch ausgezeichnet einzuschätzen, und er stellte dessen ungewandtem Operationsdilettantismus seine eigene strategische Meisterschaft, seine Gabe des Erkennens und blitzschnellen Ausnutzens gegebener Lagen sowie seinen rücksichtslos stürmischen Angriffswillen entgegen. Während der Feind weitausholende langsame Umgehungsmanöver in Gang brachte, vermochte Lettow sich sofort auf neue Lagen umzustellen und ihre sich bietenden Möglichkeiten zu durchdenken. Stets handelte er, bevor es dem Gegner gelungen war, seine aus verschiedenen Richtungen heranmarschierenden Abteilungen zu vereinigen, warf sich auf eine von ihnen, schlug sie und öffnete sich auf diese Weise in letzter Minute einen Ausweg. Die erfolgreiche Verteidigung Deutsch-Ostafrikas war einzig und allein das Werk dieses seltenen Mannes. Paul von Lettow stammt sowohl in väterlicher wie in mütterlicher Reihe aus altem pommerschen Adel, und zwar vorwiegend aus der Gegend von Naugard. Die Lettows sind um 1300 mit dem Deutschen Ritterorden aus Mähren gekommen; sie können ihre Abstammung urkundlich bis auf die Zeit von 1200 zurückführen. Später waren sie Gutsbesitzer, denen es aber zeitweise nicht gut ging, bis sie durch die preußischen Könige wieder zu Wohlstand gelangten. Seitdem waren sie meistens Offiziere; einer, der sich in den Schlesischen Kriegen ausgezeichnet hatte, gehörte als Flügeladjutant des Großen Königs sogar dessen Tafelrunde an. In jener Zeit erhielt die Familie zu Naugard in Pommern neuen Landbesitz. Infolge von Heirat ist unter den Vorfahren des Generals so ziemlich der ganze pommersche Adel vertreten. Was die Vorbecks anlangt, so sind sie schon im 14. Jahrhundert ausgestorben, die letzte Vorbeck heiratete damals einen Lettow. Die mütterliche Familie des Generals sind die Eisenhart-Rothe. Die Eisenharts können ihre Herkunft vielleicht auch auf Österreich zurückführen; Ende des 18. Jahrhunderts erhielt einer von ihnen als Polizeipräsident von Berlin den Adel; sein Sohn wurde Offizier und heiratete eine von Rothe. Lettow selber ist ein hochgewachsener, gut gebauter Mann von noch heute blendender militärischer Erscheinung, ganz das Vorbild eines nordrassischen preußischen Offiziers. Kopf und Gesicht sind ziemlich lang, das Hinterhaupt ausladend, der Nasenrücken ganz leicht gebogen, was neben den großen blauen Augen, die noch Paul von Lettow-Vorbeck

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