6 Wirholzbauer Das Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz

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1 6 Wirholzbauer Das Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz Hightech aus Holz für die halbe W Schwer zu sagen, ob man Gossau kennen muss. Wohl eher nicht. Wer auf der Autobahn A1 von Zürich nach St. Gallen unterwegs ist, fährt daran vorbei. Und doch ist Gossau mehr als ein Geheimtipp. Zumindest bei Bauherren, Konstrukteuren und Architekten. Denn hier befindet sich die Firma Blumer-Lehmann, die mit gewagten Holzbauten international Furore macht. TEXT URS THALER

2 Ausgabe bauen 7 elt Katharina Lehmann, junge Chefin eines alten Unternehmens. Schweizer KMU-Perlen gibt es mehr als man glaubt. Doch kaum eine verbirgt sich so gut wie die Holzbaufirma Blumer- Lehmann. In Gossau selber sucht man sie vergebens. Wer die Stadt mit Einwohnern in Richtung Norden verlässt, gelangt rasch ins grüne Umland. Auch hier weit und breit kein Industriegebiet. Lindenhof, Enggetschwil, Albertschwil heissen die Weiler und Höfe. Satte grüne Wiesen, blühende Obstbäume und nur wenig Verkehr auf der ruhigen Landstrasse. Doch dann tauchen hinter einer Anhöhe unverhofft zwei Silotürme auf. Gleich daneben erkennt der Besucher weitere Gebäude, darunter einige langgestreckte Werkhallen. Beim Näherkommen dann unverkennbarer Sägereilärm und der kräftige Geruch von frisch zugeschnittenem Holz. Der Betrieb, der sich in einer Senke versteckt, ist mit einer Fläche von 6,5 Hektaren grösser und weitläufiger als man denkt. Mehrere Erweiterungsbauten sind hier in den letzten Jahren entstanden. Neue Maschinen und neue Technologien haben Einzug gehalten. Keine Frage: Das Unternehmen läuft, in den Büros tüfteln Konstrukteure an ihren Plänen, in den Hallen wird gesägt, geschnitten, geformt, geleimt, gedreht. Grossartige Freiform-Projekte Über die Grenzen der Schweiz hinaus ist das Unternehmen vor allem mit jenen Holzbauten bekannt geworden, die in Freiform-Technik erstellt worden sind. Katharina Lehmann ist die Verwaltungsratspräsidentin der Firma. Es ist offensichtlich, dass die jugendlich wirkende Chefin von den freien Formen im Holzbau fasziniert ist. Und es ist kaum ein Zufall, dass im Gespräch rasch der Name des japanischen Stararchitekten Shigeru Ban fällt. Mit ihm haben die Gossauer schon mehrmals zusammengearbeitet. «Unter den Architekten ist Shigeru Ban derzeit wohl jener Architekt, der den Werkstoff Holz am besten versteht», sagt Katharina Lehmann. «Er weiss, dass der Werkstoff Holz für eine Architektur, die mit Freiformen arbeiten will, besser geeignet ist als alles andere.» Voraussetzung sind dabei allerdings Konstrukteure und Holzbauer, die in der Lage sind, die anspruchsvollen Entwürfe der Architekten handwerklich-technisch umzusetzen. Als Shigeru Ban beispielsweise 2009 in Südkorea das Golfclubhaus Nine Bridges plante, fand er dort im ganzen Land keinen Holzbauer, der in der Lage war, die technisch schwierige Konstruktion zu meistern. Das Unvermögen der einen, wurde zur Chance der andern. Und so kamen die Gossauer ins Spiel, die auf dem Feld der Freiformen zusammen mit einigen wenigen europäischen Holzbauern zur Spitzenliga zählen. Katharina Lehmann erinnert sich noch gut an das verrückte Projekt in Südkorea: «Nine Bridges war unglaublich anspruchsvoll. Es warf alle heiligen Grundsätze der Holzbaubranche über Bord. Das Umfeld war komplex, technisch forderte uns das Projekte bis an die äussersten Grenzen des Machbaren und dann kam

3 8 Wirholzbauer Das Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz Katharina Lehmann und Shigeru Ban weihen Nine Bridges ein. Spitzenleistung von Blumer-Lehmann: Golfclub Nine Bridges. ein extremer Zeitdruck hinzu eigentlich eine tödliche Kombination.» Blumer- Lehmann überlebte. Den Ostschweizer Holzbauern war von Anfang an klar: «Wir haben bei jedem Teilschritt immer nur einen Versuch. Wenn ein einziger Versuch misslingt, stürzt das ganze Projekt ab.» Es gab damals viele schlaflose Nächte im Erlenhof. Katharina Lehmann überlegte immer wieder, was passieren würde, wenn dies oder jenes nicht klappen würde. Fertig musste das Gebäude Ende Februar 2010 sein also rund acht Monate nach Auftragserteilung. Das war mehr als sportlich, denn von den acht Monaten gingen allein drei für die Verschiffung der vorproduzierten Bausätze nach Südkorea drauf. Im Erlenhof standen also nur vier Monate zur Verfügung, um das ganze Material vorzubereiten, zuzuschneiden, zu bearbeiten und millimetergenau fertig zu machen. Als die Bausätze in Südkorea angekommen waren, arbeiteten während Wochen bis zu 30 Gossauer Monteure vor Ort und bauten die Teile mit höchster Präzision zusammen. Der menschliche Faktor Ist es für eine Holzbaufirma schwierig mit einem Stararchitekten zusammenzuarbeiten? Neben dem südkoreanischen Golfclubhaus Nine Bridges und dem Mitte 2013 vollendeten Tamedia-Gebäude in Zürich stand Katharina Lehmann auch bei andern Projekten mit Shigeru Ban in Kontakt. Sie findet durchaus, dass den Japaner einiges von andern Architekten unterscheidet. Er sei ein Mensch, sagt sie, der nichts Privates von sich preisgebe und seine Privatsphäre schütze. Sein ganzes Leben stelle er in den Dienst der Architektur und fliege permanent zwischen seinen Büros in Tokio, New York und Paris hin und her und besuche seine Baustellen. Auch den Erlenhof in Gossau kennt Shigeru Ban unterdessen gut. Immer dann, wenn es galt, Bemusterungen anzusehen und Modelle der Holzkonstruktion zu beurteilen und mit den Holzbauern zu diskutieren, war er sehr präsent. «Ich habe ihn dabei nie als Dogmatiker erlebt», sagt Katharina Lehmann. «Man kann mit ihm über alles reden und alles zur Diskussion stellen. Aber bei allen Aspekten, die ihm bei seinen Entwürfen wichtig sind, bleibt er standfest.» Die Holzbauerin ist beeindruckt von der Kreativität des Japaners: «Er entwickelt permanent Ideen, zeichnet Entwürfe, skizziert Projekte.» Shigeru Ban führt seine Teams in Tokio, Paris und New York über die Konzeption und die Idee. Das gefällt der Gossauerin, die in ihrem eigenen Betrieb ebenfalls auf die Vielfalt der Ideen setzt. Bei grossen Bauprojekten sind immer sehr viele Personen involviert beim Architekt, beim Holzbauer, bei allen übrigen Handwerkern. Auch ein Stararchitekt ist auf viele Spezialisten angewiesen, wenn sein Entwurf gelingen soll. Er braucht qualifizierte Fachleute, denen er vertrauen kann. Auch bei Shigeru Ban ist dies so. Dennoch hat Katharina Lehmann immer den Eindruck gehabt, dass er alle seine Bauten sehr nah und eng begleitet. «Er sieht erstaunlich vieles und kümmert sich auch in der Umsetzung um viele Details», sagt sie. Sein Team ist gut auf ihn eingespielt und weiss genau, was sie ihm vorlegen müssen und was nicht. Ein weiterer Vorteil: Der Japaner entscheidet schnell. Das ist in der Baubranche wichtig, wenn die Prozesse nicht ins Stocken geraten sollen. «Shigeru Ban ist ein guter Zuhörer», sagt Katharina Lehmann. «Er hält sich in Diskussionen oft sehr zurück. Aber in dem Moment, wo es wichtig wird, schaltet er sich ein und wird aktiv. Weil er keinerlei Starallüren hat, ist es sehr angenehm mit ihm zu arbeiten. Ich schätze ihn sehr.» Konstruieren, nicht bloss Zeichnen Wohl alle Architekten haben in ihrer Ausbildung schon einmal den Satz gehört: «Holzbauten müssen konstruiert werden, Steinhäuser können gezeichnet werden.» Deshalb braucht es Holzbau-Ingenieure wie den Herisauer Hermann Blumer. Er macht es möglich, dass Shigeru Ban seine Freiformen-Projekte so realisieren kann, wie es ihm vorschwebt. Blumer ist für den japanischen Architekten eine eminent wich tige Person. Nicht erstaunlich, dass Shigeru Ban dem Ingenieur seine Design- Skizzen schon in einem sehr frühen Stadium zeigt. Danach versenkt sich Hermann Blumer völlig in die Materie und überlegt hin und her, wie sich die Sache konstruk-

4 Ausgabe bauen 9 «In den Hallen wird gesägt, geschnitten, geformt, geleimt, gedreht.» Katharina Lehmann

5 10 Wirholzbauer Das Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz tiv realisieren liesse bis er eine technische Lösung findet. Shigeru Ban hat schon mehrfach öffentlich bestätigt, dass seine Projekte ohne den genialen Herisauer Konstrukteur nicht möglich wären. Katharina Lehmann sagt, Blumer habe die seltene Begabung genau jene technische Lösung zu finden, welche der Vorstellung des Architekten so nah wie möglich komme. Sobald es jeweils soweit ist, führen die Ingenieure der Gossauer Holzbaufirma die Arbeit weiter und rechnen die Statik bis ins letzte Detail, legen eine Geometrie über das Gesamtprojekt und diskutieren mit den Montagespezialisten. Das Ganze muss schliesslich ja auch montierbar sein. Der flexible Werkstoff Holz ist für Architekten, die mit Freiformen arbeiten wollen, besser geeignet als alles andere. Er verschafft Möglichkeiten für eine neue Formensprache, welche die Architekten und auch die Holzbauer erst nach und nach zu entdecken beginnen. Die digitalen Technologien der Holzbearbeitung machen heute Dinge möglich, die bis vor kurzem undenkbar waren. Katharina Lehmann sieht darin für die Holzbaubranche ein enormes Potenzial. Manchmal fragt sie sich, warum bestimmte Architekten den Sprung zum Holz nicht längst gemacht haben. Das beeindruckende Stadion «Bird s Nest», das die Basler Stararchitekten Herzog & de Meuron 2008 für die Olympischen Sommerspiele in Peking gebaut haben, wäre in Holz viel einfacher zu bauen gewesen als in Stahl, meint die Gossauerin. Es freut Katharina Lehmann, dass Frank O. Gehry, der mit seinen architektonischen Entwürfen die freien Formen schätzt, darüber nachdenke, ob und wie er Holz einsetzen will. Bislang werden bei seinen Bauten oft Standard-Metallprofile zusammengeschweisst. Das findet die Holzbauerin suboptimal: «Das ist nicht im Ansatz konstruiert. Da könnten wir Holzbauer viel mehr. Wir haben ein ausgefeilteres geometrisches Vorstellungsvermögen. Wir können jedes Bauwerk individuell konstruieren.» Für alle nicht- regulären Bauten und das sind die Gehry- Bauten wären das ideale Voraussetzungen, meint die Gossauer Holzbauerin. Wie geht es weiter? Den ersten Grossauftrag im Ausland realisierte Blumer-Lehmann im Jahr 2000 für die Expo-Weltausstellung in Hannover. Davor und danach hatte die Firmenchefin Katharina Lehmann mit ihren Mitarbeitern immer wieder intensiv darüber nachgedacht, wie man am besten im Ausland Fuss fassen könnnte. «Wenn wir passiv bleiben und uns im Heimmarkt Schweiz einigeln, werden wir langfristig verlieren», meint die Ostschweizerin. Ihr war schon früh klar, dass es bloss eine Frage der Zeit ist, bis ausländische Holzbauer das Hochpreisland Schweiz als Absatzmarkt entdecken. «Wenn wir schon im eigenen Land mehr Konkurrenz erhalten, müssen wir im Gegenzug im Ausland interessante Nischen finden.» Pro Jahr realisiert Blumer-Lehmann ein bis zwei anspruchsvolle Freiform-Projekte im Ausland, meistens in Europa. Die Erfahrungen, welche die Gossauer Holzbauer bei diesen Aufträgen machen, sind immer sehr lehrreich. «Wir haben drei Bereiche, die uns derzeit sehr beschäftigen», sagt Katharina Lehmann. Der eine Bereich ist die Fördertechnik, die eine gute Ergänzung zum Geschäft mit den Holzsilos werden könnte. Der andere Bereich sind die Temporärund Modulbauten, die gegenwärtig enorm nachgefragt werden. Der dritte Bereich sind die Freiform-Projekte. Hier spielt die digitale Technologie und die Frage der Maschinenkapazitäten eine zentrale Rolle. In diesem Bereich mit hoher Wertschöpfung werden über kurz oder lang immer mehr Mitbewerber auftauchen. Also müssen die Gossauer innovativ bleiben, sagt Katharina Lehmann. «Weil ich vom Werkstoff Holz absolut überzeugt bin, will ich natürlich herausfinden, wo die Grenzen des Materials liegen und wie weit wir in der Entwicklung noch gehen können. Was alles möglich sein wird, weiss ich noch nicht. Aber ich weiss, dass wir bei allen Entwicklungsschritten mit dabei sein wollen. Insofern freut mich jedes realisierte Freiformprojekt enorm, weil es dem Werkstoff Holz neue Aufmerksamkeit und neue Freunde bringt.» Es gibt in der Tat einen Trend zum Werkstoff Holz. Immer mehr Bauherren zeigen sich am nachhaltigen Material interessiert. Ein explizites Bekenntnis zum Holz hat vor kurzem Swatch-Chef Nick Hayek abgelegt. Als er bekanntgab, dass die Swatch Gruppe in Biel einen neuen Hauptsitz des Konzerns bauen wolle, fügte er hinzu, dass sein Unternehmen dabei den Hightech-Werkstoff Holz verwenden wolle. «Das finde ich eine wunderbare Formulierung», sagt Katharina Lehmann. «Hightech-Werkstoff Holz das gefällt mir. Das ist eine Botschaft, die hinaus wirkt in die Welt der Unternehmen, Bauherren und Architekten. Das tut der Schweizer Holzbaubranche gut.» BLUMER-LEHMANN AG Standort: Erlenhof in Gossau SG rund 200 Mitarbeiter, davon 20 Lehrlinge 60 bis 70 Mio. Umsatz pro Jahr Integrierte Produktionskette (Sägerei, Hobelwerk, Holzbau, Silobau, Reststoffverwertung) Eigenes Kraftwerk produziert Strom für Betrieb und 1200 Haushalte Bekannte Bauten der Gossauer: Golfclubhaus Nine Bridges in Südkorea, Kilden Performing Arts Centre in Kristiansand (Norwegen), Tamedia-Gebäude in Zürich. blumer-lehmann.ch