Der Dreh mit den Havannas

Transkript

1 360 Die GEO-Reportage Sprechertext Der Dreh mit den Havannas Kommentar Eine gute Zigarre ist ein echtes Kunstwerk. Über 200 Arbeitsschritte machen aus einer Hand voll getrockneter Tabakblätter einen der begehrtesten Luxusartikel der Welt Die Havanna gilt als die Königin der Zigarren. Aber immer mehr Habanos sind nicht das, was sie scheinen. In kubanischen Hinterzimmern lebt eine ganze Dynastie von professionellen Zigarrenfälschern. TITEL: Der Dreh mit den Havannas Havanna ist die Hauptstadt der Zigarren. Seit Jahrhunderten werden hier die legendären Havannas produziert - der einzige internationale Markenartikel Kubas. Über 100 Millionen Zigarren werden jedes Jahr für den Export gerollt Auf Kuba selbst ist eine Zigarre jedoch kein Statussymbol, sondern ein alltägliches Genussmittel. Die Kubaner rauchen allerdings billige Inlandszigarren und nicht die edlen Cohibas oder Montechristos Offiziell gibt es die Kisten mit den Luxuszigarren nur gegen Devisen in staatlichen Läden. Doch gewinnversprechende Markenartikel rufen immer auch Markenpiraten auf den Plan Inoffiziell bekommt man jede Zigarre auch für wenige Dollar auf der Straße gerollt von professionellen Zigarrenfälschern. (02.03)

2 02.06 O-Ton MIGUEL NUNEZ, Betreiber einer illegalen Zigarrenfabrik Ich heiße Miguel Nunez, aber das ist nicht mein richtiger Name. Ich bin 36 und habe mein eigenes Unternehmen - ich betreibe eine Chinchales, eine illegale Zigarrenfabrik. Ich habe drei Dreher, und das Geschäft läuft bisher gut. Ein Freund vermittelt mir Käufer aus dem Ausland oder ich lasse die Zigarren auf der Straße verkaufen. Ich arbeite meist auf Bestellung - aber ich bin kein Betrüger. (02.41) Ein Freund besorgt mir den Tabak aus Pinar del Rio. Deswegen sind meine Zigarren so beliebt - denn der beste Tabak Kubas kommt aus der Provinz Pinar del Rio Kommentar In den grünen Tälern der Provinz im Westen Kubas liegt das wichtigste Anbaugebiet der Insel: die Region Vuelta Abajo. Der Boden und das feuchtwarme Mikroklima bieten Bedingungen, unter denen der beste Tabak der Welt wächst Etwa 90 Tage dauert es, bis die Tabakpflanzen erntereif sind. Dann werden die Blätter einzeln und in Handarbeit gepflückt. Zuerst die untersten Blätter und vierzig Tage später die oberen Blattspitzen Nach der Ernte werden die Blätter an der Luft getrocknet und danach unter Wärmezufuhr fermentiert. Dadurch entsteht das klassische Zigarrenaroma Don Alejandro Robaina ist auf diesem Gebiet eine lebende Legende - er wird von Zigarrenliebhabern aus aller Welt als Deckblatt-Papst verehrt. Seine Familie ist schon seit fünf Generationen im Geschäft. (04.19)

3 04.28 O-Ton Don DON ALEJANDRO ROBAINA; Deckblatt-Papst von Havanna Dieses Blatt ist gerade durch die erste Fermentation gegangen. Dabei ist es ein wenig geschrumpft und ist spröde geworden. Aber dieses hier hat die erste Fermentation gut überstanden daraus ist ein herrliches Blatt geworden. Das wird der beste Tabak den man kriegen kann. (04.50) Dieses Blatt eignet sich perfekt für eine Cohiba. (05.06) Das ist auch ein wunderschönes Blatt. Das wäre auch perfekt für eine Cohiba. (05.14) Professionelle Tabaqueros versuchen immer den besten Tabak zu finden Kommentar Zigarrenfälscher brauchen nicht nur guten Tabak, sondern auch einen sicheren Ort für ihre Werkstätten denn das Betreiben einer Chinchales ist kein Kavaliersdelikt. Im sozialistischen Kuba gilt diese Form der Privatwirtschaft als Schädigung des Kollektivs und wird hart bestraft. Die meisten Chinchales sind deshalb Familienbetriebe und selbst die nächsten Nachbarn wissen oft nichts von der Existenz einer solchen Fälscherwerkstatt O-Ton MIGUEL NUNEZ, Betreiber einer illegalen Zigarrenfabrik In diesem Haus ist meine Werkstatt. Meine Zigarrendreher wohnen und arbeiten hier. Da hinten ist die Chinchales Kommentar Auch die Chinchales von Miguel ist ein Familienunternehmen. Einer der Dreher ist Miguels Schwager. Zu zweit arbeiten sie hier wie in einer staatlichen Zigarrenfabrik: Sie rollen etwa 100 Zigarren pro Tag. Die beiden verstehen ihr Geschäft: Schließlich haben sie ihr Handwerk in einer staatlichen Zigarrenfabrik gelernt. Manche Dreher arbeiten tagsüber noch immer dort - und verdienen sich nach Feierabend etwas dazu. Für sieben bis zehn Dollar pro Tag nehmen sie das Risiko der illegalen Arbeit in Kauf.

4 07.20 O-Ton Dreher 1 Wenn ich erwischt werde, muss ich kubanische Pesos Geldstrafe bezahlen, knapp 1700 Euro. Vielleicht komme ich aber auch ins Gefängnis, und man nimmt meiner Familie alles weg: Elektrogeräte, Werkzeug und alles, wovon die Polizisten glauben, dass es aus illegalen Einkünften stammt. Das stimmt zwar nicht, aber der Polizei ist das egal Kommentar Um eine echte Havanna zu produzieren braucht man nicht viel. Wenn der Tabak stimmt und die Dreher wissen, was sie tun, dann entsteht immerhin eine kubanische Zigarre Das Werkzeug dafür ist leicht zu beschaffen: Messer, Presse und Holzböcke organisiert man - wie viele andere Materialien - meist aus der Fabrik. Die Fingerfertigkeit kommt vom jahrelangen, harten Training: Die Dreher haben bereits unzählige Rohlinge in Form geschnitten und mit makellosen und samtweichen Deckblättern umwickelt. So verwandeln sie eine Hand voll Laub zu Geld Die Fälscher arbeiten dabei streng nach den Regeln von Angebot und Nachfrage: Produziert wird, was die Touristen kaufen. In der Regel sind das Zigarren der legendären Marke Cohiba O-Ton MIGUEL NUNEZ, Betreiber einer illegalen Zigarrenfabrik Das sind die letzten Schritte beim Fertigstellen einer Kiste Cohiba Esplendido. Diese Zigarren haben die selbe Qualität wie das Original. Wir sind zwar in einer illegalen Chinchales, aber die Qualität ist ausgezeichnet, weil wir mit professionellen Drehern arbeiten. Meine Dreher bekommen von mir außerdem mehr Geld. Sie bekommen viel mehr bezahlt. (09.24) Wenn diese Kiste fertig ist, kann man sie leicht mit einer echten verwechseln. (09.34) Und wenn man beide Zigarren raucht, merkt man keinen Unterschied zwischen unseren und dem Original.

5 Kommentar Armando Chil ist Fälschungsexperte des kubanischen Zolls und der staatlichen Exportfirma Habanos. Er hält gar nichts von gefälschten Zigarren O-Ton Armando Chil, Fälschungsexperte von HABANOS S.A Nur aus Neugier habe ich schon mal eine gefälschte Zigarre geraucht. Einfach um festzustellen, ob sie aus der Fabrik kommt, oder in irgendeinem Hinterzimmer gerollt wurde. Ich wollte probieren, wie so eine Fälschung schmeckt. Um festzustellen, ob die Zusammensetzung einer Zigarre richtig ist, muss man sie auseinandernehmen. Meistens haben mir die Stimmbänder wehgetan, wenn ich eine probiert habe - und ich bekam einen Krampf vom ständigen Ziehen, weil die Zusammensetzung einfach nicht stimmte. (10.46) Oft bestehen die gefälschten Havannas nur aus Ligero-Blättern - und die sind sehr stark. Wenn du so eine rauchst, glaubst du, dich tritt ein Pferd. Denn sie hat nicht die richtige Zusammensetzung und sie wurde auch nicht fachmännisch gerollt Kommentar Einzelne gefälschte Zigarren an Ausländer zu verkaufen, ist aber nicht besonders lukrativ. Nur mit der repräsentativen Kiste wird aus den Puros ein prestigeträchtiger Markenartikel. Rund um die staatlichen Kistenfabriken haben sich viele kleine Fälscherwerkstätten heimlich auf die Zigarrenkisten-Produktion spezialisiert. Auch sie versuchen, dem Original so nahe wie möglich zu kommen O-Ton Kistenfälscher Wir benutzen das gleiche Material wie die Fabrik. Das Holz ist das gleiche, und der Verschluss und die Scharniere sind es auch. Wir versuchen natürlich, dass es so gut wie möglich aussieht. Ich glaube nicht, dass man unsere Kisten als Fälschung erkennt.

6 (12.35) Ich produziere für die Chinchales. Wir verkaufen nur leere Kisten. Ich schätze, dass es viele Leute gibt, die Zigarrenkisten bauen. Und jeder produziert andere Kisten - oder vielleicht sogar alle. (12.55) Je nach Bestellung werden manchmal auch Kisten erfunden - also Kisten die es in staatlichen Fabriken gar nicht gibt O-Ton Armando Chil, Fälschungsexperte von HABANOS S.A Das ist die berühmte Cohiba-Kiste mit dem Glasdeckel, sie heißt klangvoll Cohiba Kristall. Seit vielen Jahren werden diese Kisten hergestellt und sind sehr beliebt. Aber im Original hat es diese Kiste nie gegeben. Sie ist eine Erfindung der Fälscher. Die Cohiba Kristall hat mal einen Glas-, mal einen Plastikdeckel - was gerade verfügbar ist. Manchmal verwenden die Fälscher sogar die Sichtfenster von Särgen als Glasscheiben für die Kisten. Sie werden meist zuhause in irgendwelchen Hinterzimmern produziert. (13.55) Das, was sie hier auf der linken Seite sehen, wird als eingebauter Humidor angepriesen. Dieses Ding soll die Zigarren feucht halten - sagen zumindest die Verkäufer. Beim zweiten Blick entdecken wir, dass unter dem Holz eine kleine, völlig nutzlose Ampulle zum Vorschein kommt. Wahrscheinlich stammt sie aus einem Krankenhaus und enthält destilliertes Wasser. Oder sie kommt aus einer Zahnarztpraxis und enthält ein Betäubungsmittel, das zum Ziehen von Zähnen verwendet wird. etc. etc. (14:35) Ich kann Ihnen nur sagen, dass diese Cohiba-Kisten hundertprozentige Fälschungen sind. Darin werden Sie wahrscheinlich Zigarren finden, die mit Bananenblättern oder Viehfutter gedreht wurden. Da kann eigentlich alles drinnen sein! Kommentar In den über 60 Zigarrenfabriken Kubas überwacht der Staat die Qualität seines wichtigsten Exportartikels. Die Fabrik Romeo y Julieta ist eine

7 der ältesten Zigarren-Manufakturen Havannas. Seit 1875 werden hier Zigarren gedreht. Die Arbeitsmethoden haben sich bis heute kaum verändert Über 500 Arbeiter rollen hier im Akkord 7 Millionen Zigarren pro Jahr für den Export In den Fabrikhallen herrschen Arbeitsbedingungen wie vor der Industriellen Revolution. Die meisten Zigarrendreher verbringen sechs Tage pro Woche in der großen Halle, die Galera genannt wird. Und wie unter Deck eines Sklavenschiffs ist der Rhythmus der Arbeit vorgegeben: Etwa 100 Zigarren am Tag sind das sozialistische Plansoll O-Ton CATHERINA VALDEZ; Zigarrendreherin Romeo y Julieta Ich drehe hier das Zigarrenformat Corona Gorda. Das wird auf dem Markt unter dem Namen Siglo Nr. 4 verkauft. Ich muss 95 Zigarren pro Tag schaffen. Aber in der Regel drehe ich hundert bis hundertzehn Zigarren pro Tag. Wenn ich die Norm übererfülle, ist das natürlich gut für mich und meine ganze Familie. Denn dann bekomme ich mehr Geld sowohl in Pesos als auch in US-Dollar. Wenn ich die Norm um zehn bis vierzig Prozent übererfüllt habe, bekomme ich außerdem mehr Devisen ausbezahlt Kommentar Die marktwirtschaftliche Bezahlung nach Leistung - und mit Devisen - ist für kubanische Verhältnisse gut. Aber mit rund 270 Pesos umgerechnet etwa 300 Euro im Monat und einer Handvoll Dollar als Prämie, verdienen die staatlichen Zigarrendreher trotzdem weniger als die Fälscher O-Ton ELISA BARRAIRO; Zigarrendreherin Romeo y Julieta Ja, wir müssen hier ganz schön viel arbeiten. Aber es bleibt uns trotzdem noch ein wenig Freizeit. Und wir werden ja auch in der Fabrik unterhalten: Jeden Vormittag kommt eine Vorleserin zu uns, außerdem gibt es jeden Donnerstag ein Kulturprogramm für die Arbeiter in der Zigarrenfabrik.

8 17.54 Kommentar Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sitzt in jeder Galera eine Vorleserin, um die Zigarrendreher zu unterhalten. Der Legende nach gaben sie auch zwei der berühmtesten Havanna-Zigarren ihren Namen: Der Montechristo nach dem Helden aus Alexandre Dumas Roman, und der Romeo y Julieta nach Shakespeare. Seit der Revolution ist der Tag geteilt: vormittags wird aus Zeitungen vorgelesen, und am Nachmittag gibt es Kultur O-Ton Maria Antonia Maciesta-Alvarez; Vorleserin und Kulturbeauftragte, Romeo y Julieta Aussprache und Ausdruck sind sehr wichtig, wenn man als Vorleserin arbeitet. Aber wenn man Kultur vermitteln will, braucht man vor allem Charisma. (18.44) Ich nehme mal die Zeitungen von heute her, um ein Beispiel für meine Arbeit zu geben: Zuerst suche ich mir jene Artikel, die für unsere Arbeiter von Bedeutung sind. Und dann streiche ich mir die wichtigsten Nachrichten an. Zum Beispiel diese: Fidel Castro sprach heute im Kongress vor den Journalisten. (19.09) Außer Nachrichten kommen auch Kriminalromane von kubanischen Autoren sehr gut an. (19.20) Ich habe keine Angst, dass mein Beruf ausstirbt. Ich bereite mich immer gut auf meine Texte vor. Die Arbeiter hören zwar gerne Radio und sehen auch gerne fern, aber sie interessieren sich doch mehr für Nachrichten. Das Vorlesen ist für die Dreher in der Fabrik sehr wichtig - und deshalb gebe ich mir große Mühe und mache meine Arbeit mit viel Liebe...

9 20.00 Kommentar Die staatlich verordneten Kulturprogramme sind dagegen eher leichte ideologische Kost: Einmal pro Woche präsentieren sich Tropicana- Tänzerinnen und Schlagersänger mit den Schnulzen aus kubanischen Seifenopern Kommentar Das Leben der Zigarrenfälscher ist meist weniger unterhaltsam. Offiziell sind sie arbeitslos, viele haben nicht einmal eine eigene Wohnung. Auch Miguel übernachtet noch oft bei seinen Eltern O-Ton MIGUEL NUNEZ, Betreiber einer illegalen Zigarrenfabrik Ich mache das in erster Linie für meine Mutter. Ich weiß, dass Zigarrenfälschen eine illegale Sache ist, aber ich muss eine große Familie finanzieren. Es gibt kaum Möglichkeiten, legal zu arbeiten, aber ich will meine Mutter unterstützen. Sie würde ziemlich darunter leiden, wenn ich ins Gefängnis komme - wahrscheinlich mehr als ich selbst Natürlich mache ich mir Sorgen. Was ich mache ist ein Verbrechen und das weiß ich Kommentar In den Wohnungen von Freunden oder der Familie läuft dann auch das eigentliche Geschäft ab: Der Verkauf der Zigarren an Touristen oder an Jineteros, die Straßenverkäufer Die bieten ihre Ware zu einem unschlagbaren Preis auf dem Schwarzmarkt an: Eine Kiste fast echter Havannas kostet 20 bis 30 Dollar - also ein Zehntel des offiziellen Preises Die Straßenverkäufer machen die höchsten Gewinne, aber sie tragen auch das größte Risiko. Wer mehrfach erwischt wird, landet im Haifisch, einem der berüchtigten Gefängnisse von Kuba. Trotzdem werden Ausländer in der Altstadt von Havanna an jeder Ecke von "Jineteros" angesprochen.

10 23.36 Auch Miguels Risiko ist hoch, obwohl er nicht mehr selbst auf der Straße verkauft. Zoll und Polizei verfolgen die Fälscher immer schärfer. Denn die illegalen Billig-Produzenten werden der staatlichen Exportfirma Habanos langsam lästig: Die Fälscher schädigen das Image So wie Miguel leben die meisten Kubaner von dem, was sich an Geschäften bietet. Und der Luxusartikel Zigarre lässt sich billig herstellen - und teuer verkaufen. Viele Ausländer kaufen sogar bewusst gefälschte Zigarren - hauptsache sie stammen aus Kuba O-Ton MIGUEL NUNEZ, Betreiber einer illegalen Zigarrenfabrik Im Moment sehe ich keine Zukunft. Dazu habe ich zu viele Probleme. Ich habe wenig Geld und nicht einmal eine eigene Wohnung. Ich wohne ständig woanders, aber ich hoffe, dass die Dinge in Zukunft besser werden. Im Moment läuft es nicht so gut. (24.59) Wenigstens habe ich meine Havannas. Eine gute Zigarre ist und bleibt etwas Besonderes für mich. Sie bedeutet mir fast alles und es macht mich glücklich, diese Zigarre zu genießen. Ich rauche eine Havanna, trinke einen Kaffee dazu - und der Stress geht weg. Eine gute Zigarre ist, als würde man ein junges Mädchen in den Armen halten:... einfach ein Genuss. ENDE

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