Ankerreiz 2008 /2011, mehrteilig, Andeer-Granit, Esche, Fichte, Silikon, teilweise bemalt, Karton, Masse variable, Höhe 280 cm

Transkript

1 Alex Herzog

2 Ankerreiz 2008 /2011, mehrteilig, Andeer-Granit, Esche, Fichte, Silikon, teilweise bemalt, Karton, Masse variable, Höhe 280 cm

3 Ankerreiz

4 Alex Herzog Ankerreiz Auftakt der Ausstellung bildet eine 280 cm hohe Skulpturengruppe von beeindruckenden Dimensionen. Auch wenn sie eine Ansammlung von Material zu sein scheint, hat Alex Herzog sie aus den bildnerischen Konstanten entwickelt, die sein Schaffen der letzten Jahre geprägt haben: aus roh behauenen Holzstelen und -stäben aus Eiche und Fichte und diversen gebrochenen Blöcken aus Maggia- und Andeer-Granit. Die gespaltenen Granitblöcke sind aneinander gefügt und zueinander disponiert. Die zum Teil weiss angestrichenen Holzstäbe stehen gebündelt an die Granitblöcke angelehnt oder liegen am Boden. In einer nonchalant hingestellten Kartonschachtel ruht ein grob bearbeiteter Kopf. Einzelne Objekte und Skulpturen in Gruppen zusammenzustellen, hat Strategie und ist von Alex Herzog schon lange erprobt. Doch vor lauter Materialien in unterschiedlichen Zuständen ist es unmöglich, die Arbeit in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Man fragt sich auch, ob die Skulptur fertiggestellt ist oder nicht. Doch dies steht für den Künstler ausser Frage, sieht er doch in dieser offenen, mehrdeutigen Skulpturendisposition eine Möglichkeit, das Statische einer ausgearbeiteten Skulptur zu relativieren. Gleichzei- tig wirkt das Non-finito als dynamisches Agens. Dies verleiht ihr eine sinnliche Ausstrahlung und archaische Kraft und erinnert in ihrer unmittelbaren Präsenz an Wesen mit einem intensiven Eigenleben. Während die gebrochenen Granitquader eine architekturale Zeichenhaftigkeit zeitigen, verhelfen die Bearbeitungsspuren von Holz und Stein jedem Skulpturenelement zu einem eigenen Ausdruck. Die monumentale Wirkung der Skulptur ist nicht nur ihren Dimensionen zuzuschreiben, sondern auch ihrer Verdichtung mit additiven und repetitiven Elementen. Sensorium für Stimmungen Durch das Prinzip des Aneinanderreihens ist das einzelne Element in ein übergeordnetes Ganzes eingebunden. Beim Betrachten des Werkes ist der Blick permanent in Bewegung, von einer Figur zur andern. Auf dieses Phänomen treffen wir auch bei den zweidimensionalen Arbeiten. Etwa wenn sich in den dreiteiligen Bildern «Ankerreiz I + II» ( cm), , eine zirkuläre Bewegung einstellt dank den da und dort akzentuierten Rändern oder dem über die Bildoberflächen schweifenden Auge, dem sich die Farben auf der Netzhaut vermischen. Herzog trägt die dünnen Farben schichtweise mit eher leichten Pinselstrichen, seltener mit heftigen Gesten auf, bis die Bildoberfläche zu flimmern beginnt und sich Tiefe einstellt. Durch lasierende Eingriffe erzielt er eine noch fliessendere und dünnere Farbwirkung. Es entstehen eigentliche, teilweise glimmende Farbräume. Der Blick schweift über diese abstrakten Bildräume und bleibt immer wieder an den farbig leuchtenden Flecken in tachistischer Manier hängen, welche die Bildränder hervorheben. So ist im grauweissen Bildteil mit graublauen Tönen der linke Rand mit kadmiumroten Tönen betont, welche als kleine Wellen im Bild verlaufen. Kaum hat man auf der Bildfläche kreisförmige Konfigurationen ausmachen können, die durch energische Striche geformt sind, zerfliessen sie auch schon wieder. Auf der obersten Schicht erkennen wir etliche Durchbrüche aus unteren Schichten. Die unteren Schichten wirken wiederum auf die oberen, insbesondere auf ihre Konsistenz. Sie wirken wie Fenster, welche den Blick auf die unteren Malschichten frei geben. Jedenfalls kann man sich den Farbraum über die Bildgrenzen hinaus weiterdenken. Die Farbräume sind durch schwebende, zeichnerische Notationen rhyth misiert, welche einer

5 mäandrieren den Linie über die einzelnen Bildgevierte hinweg folgen. Das ocker-kadmiumrote Bild «Teich» ( cm), 2011, wird von einer diagonalen, dunkelblauen Linie durchzogen, welche einen Schatten bildet. Es ist von filigranen Linien durchzogen, die sich im braunen Teil zu einem Band verbreitern. Imaginiert wird ein Biotop, in dem sich fortlaufend wechselwirkende Prozesse zwischen Leben und Lebensraum vollziehen, was an der Berührung der Bildteile aufscheint. Gleichzeitig zeigt sich hier das subtile Sensorium des Künstlers für Stimmungen, Zwischenräume und -töne. «Katzengeschrei» und «Ankerreize» Alex Herzog entwickelt seine Kompositionen von den Bildrändern her. Von den Rändern der Wahrnehmung und des Phänomenologischen. Den Künstler reizt es, den Zustand des Randes zu erforschen, weil er dort die spannendsten Sachen aufspürt. In diesem Zusammenhang erwähnt er den Text «Katzengeschrei» von Herta Müller, der seiner Meinung nach auf eine feine, stille Weise von seinen Arbeiten handelt. Herta Müller erzählt darin von ihren Kindheitsfantasien, die im Glauben bestanden, dass Katzen nachts miteinander sprechen würden, die Blumen und die Möbel jeweils nachts woanders hingingen. So schlüpfte sie ins Schlafzimmer ihrer schlafenden Grosseltern, um die Möbel bei ihren Streifzügen zu ertappen. Dies gelang ihr allerdings nie, denn jedes Mal, wenn sie die Türe öffnete, rückten die Möbel gerade wieder an ihre gewohnte Stelle, obwohl die Autorin zutiefst überzeugt war, dass die Möbel noch kurz zuvor woanders standen. «Es hat sich für mich nie herausgestellt, dass es nicht so ist, sondern es hat sich immer bestätigt, dass es so ist.» 1 Geleitet von dieser inneren Gewissheit konzentriert sich Alex Herzog auf den präzisen Moment, in dem sich eine sinnliche Wahrnehmung einstellt. Dieses Phänomen bezeichnet er als «Ankerreiz», eine aus der Psychophysik bekannte Bezeichnung für einen Bezugsreiz, also einen Reiz, der zum Anhaltspunkt für die Beurteilung der Intensität oder Grösse anderer Reize wird. Damit meint der Künstler einen Moment, in dem wir in die Welt schauen und unsere Augen sich an etwas haften; respektive einen Reiz, der sich einstellen muss, damit das Wahrzunehmende im Gedächtnis haften bleibt, unser Denken mobilisiert und sich mit unseren Geschichten verwebt. Zum Beispiel, wenn aus «Sudden Death», 2011, einem dreiteiligen Wasserbild mit einer flirrenden Oberfläche ein schwarzer Keil herausragt, ist man sich nicht sicher, ob der Keil nun rauskommt oder ob er langsam im Spalt versinkt. So gewiss der Reiz erscheinen kann und hier ein Spiel zwischen der Zwei- und Dreidimensionalität anregt, so fraglich ist auch, ob seine Wahrheit oder sein Sinn vielleicht nicht eine Täuschung sei. Tröstlich dabei ist, dass man sich auf die Wahrnehmung selbst verlassen kann, die das ursprünglichste Moment der Wahrheit ist, das ein Mensch für sich haben kann. Dr. Dominique von Burg Alex Herzog Geboren in Olten, aufgewachsen im Aargau und Engadin, Ausbildung zum Goldschmied in Bern und seit 1982 in Zürich als Künstler tätig. Zahlreiche Reisen in Westafrika und Südostasien. Residencies in Tschechien und Westafrika. Das Werk beinhaltet heute Zeichnung, Malerei und Skulptur. Seit 1985 zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland. Atelier in der Roten Fabrik Zürich. 1 Herta Müller «Die Nacht ist aus Tinte gemacht» CD, 2009, «supposé» Berlin

6 Aerial View 2008 /2011, 12-teiig, Pigmente, Binder, Aquarellpapier auf Holz, 150 /126 cm

7 Beben / Quake 2011, 4-teilig, Pigmente, Binder, Aquarellpapier auf Holz 144 /48 cm

8 Ankerreiz / 2011, 3-teilig, Pigmente, Binder auf Baumwolle 230 /165 cm

9 Ankerreiz , 3-teilig, Pigmente, Binder auf Baumwolle 230 /165 cm

10 Teich 2011, 3-teilig, Pigmente, Bin

11 der, Graphit auf Jute 70 / 300 cm

12 Steinbruch , Pigmente, Graphit, Aquarellpapier auf Holz 30 /42 cm

13 Steinbruch , Pigmente, Graphit, Aquarellpapier auf Holz 30 /42 cm

14 Sudden Death , 3-teilig, Pigmente, Binder, Aquarellpapier auf Holz 42 / 90 cm

15 Sudden Death , 3-teilig, Pigmente, Binder, Aquarellpapier auf Holz 90 /42 cm

16 Zustand der Ränder 2011, 3-teilig, Pigmente, Binder, Aquarellpapier auf Holz 108 /42 cm

17 Tracking / Spurenlese 2010, 2-teilig, Pigmente, Binder auf Jute 150 /100 cm

18 Zentrale der Falter 2008 / 2011, Pigmente, Binder, Graphit, Buch aus Büttenpapier 57/ 75 cm

19 Wegmarken / Milestones 2011, 8-teilig, Andeer-Granit, Eiche 8 / 8 / 90 cm

20 scherrercom.ch ausstellung 27. oktober bis 26. november 2011 öffnungszeiten mittwoch bis freitag uhr samstag uhr und nach vereinbarung sam scherrer contemporary kleinstrasse zürich