SWR2 DIE BUCHKRITIK SWR2 MANUSKRIPT. Florence Williams: Der Busen. Meisterwerk der Evolution. Aus dem Englischen von Anne Emmert.
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- Michael Gottlob Hochberg
- vor 8 Jahren
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1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Florence Williams: Der Busen. Meisterwerk der Evolution. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Diederichs Verlag München Seiten 19,99 Euro Rezension von Claudia Kramatschek Dienstag, (14:55 15:00 Uhr)
2 Claudia Kramatschek Zitat 1/Sprecherin: Ich stillte gerade mein zweites Kind und schwebte unbekümmert auf der Wolke namens Mutter-Kind-Bindung, als mir ein Bericht in die Hände fiel, der meine Sicht der weiblichen Brust für alle Zeiten veränderte. Wissenschaftler, so las ich, hatten im Gewebe von landund Meeressäugern sowie in menschlicher Muttermilch industrielle Chemikalien nachgewiesen. Auch dieses Buch geschrieben in einer Mischung aus persönlicher Betroffenheit und wissenschaftlicher Präzision könnte die eigene Sicht auf die weibliche Brust nachhaltig verändern. Denn es wartet nicht nur mit erstaunlichen, sondern auch erschreckenden Fakten über den Busen auf. Nach ihrem Aha-Erlebnis begriff Williams nämlich eins: Der Busen ist nicht nur eine Schnittstelle zwischen Mutter und Kind, sondern auch eine zwischen dem Menschen und der Umwelt. Zitat 2/Sprecherin: Dieses Buch ist im Wesentlichen die Umweltgeschichte eines Körperteils. Es erzählt, wie die Umwelt den Busen zunächst vervollkommnet und ihn dann geschädigt hat.
3 Wie können Chemikalien in die Muttermilch gelangen? Welche Auswirkungen haben sie auf das Baby und auf nachfolgende Generationen? Gibt es einen Zusammenhang mit der steigenden Rate von Brustkrebs, mit Fehlgeburten und der in Industrieländern auffallend verfrühten Pubertät? Das sind nur einige der Fragen, denen Williams wie eine Detektivin nachgegangen ist, indem sie diverse Fachmänner, vor allem aber Fachfrauen befragt hat. Denn zugleich erteilt ihr Buch aber das sei nur am Rande erwähnt auch einer allzu männlich geprägten Sicht auf den Busen eine deutliche Absage. Sie spricht mit Zellforscherinnen, begibt sich ins Ground Zero der Brustvergrößerung in Houston und sie trifft Timmie Jean: Zitat 3/Sprecherin: Timmie Jeans Brustvergrößerung im Jahr 1962 löste nacheinander zwei Kulturtsunamis aus: zunächst den lautstarken Ruf nach Implantaten und dann, in den 1990er Jahren, den lautstarken Protest gegen sie. Bald nämlich zeigten sich erste körperliche Beschwerden und man fand heraus, dass das verwendete Silikon chemisch hochgradig gefährlich war aber, so erinnert uns Williams, erscheint auch Rachel Carsons Sachbuch Der stumme Frühling. Carson macht das Wort Ökologie zu einem geläufigen Begriff und verortet den menschlichen Körper innerhalb dieser Ökologie. Williams schreibt letztlich auf ihren Spuren, wenn sie im Laufe ihrer eingängigen, da mit flotter Feder formulierten Abhandlung auf den hochbrisanten Cocktail zu sprechen kommt, der durch künstlich erzeugte Hormone Eingang in den menschlichen Organismus findet. Zitat 4/Sprecherin: Wäre Muttermilch die perfekte Nahrung der Natur, mit einer Liste von Inhaltsstoffen versehen, so wäre in etwa zu lesen: 4 Prozent Fett,
4 Vitamine A, C, E und K, Zucker, lebenswichtige Mineralien, Proteine, Enzyme und Antiköper... Aber wenn man zum Kleingedrucken kommt, ist die Zutatenliste schon weniger appetitlich: DDT, PCB, Trichlorethylen, Perchlorate, Dibenzofurane, Quecksilber, Blei, Benzol, Arsen.... Wir füttern es, auch in winzigen Dosen, mit Farbverdünner, chemischen Reinigungsmitteln, Holzschutzmitteln, Raumdeos, kosmetischen Zusatzstoffen, Benzin-Nebenprodukten, Raketentreibstoff, Termitengift, Fungiziden und Flammschutzmitteln. Dieser giftige Mix bildet das traurige Endkapitel eines eigentlich sagenhaften Vorgangs: der Evolution des Säugens. Williams die sich in ihrer Abhandlung eher auf die bio-ökologischen Fragen konzentriert umreißt dieses Thema in knappen Zügen zu Beginn ihres Buches. Dass die Brust entscheidende Schlüsselsignale an männliche Partner aussendet, hält sie für einen Irrtum der männlich dominierten Forschung. Aber sie folgt der quasi Darwinschen Theorie, dass die Milchdrüsen die Laktation soll naturgeschichtlich über 300 Millionen Jahre zurückreichen den Säugetieren einen entscheidenden Vorsprung im Wettbewerb des Lebens lieferten: eine fein abgestimmte Nahrung, die das Immunsystem stärkte und so zugleich ein Lernfenster bildete, das es erlaubte, Kultur im umfassendsten Sinne weiterzugeben. Zitat 5/Sprecherin: Das Saugen beförderte die Ausbildung des Gaumens und der Zungenmuskulatur. Diese Entwicklungen wiederum bereiteten bei bestimmten höheren Primaten, sprich, den Menschen den Weg für die Evolution der Sprache. Die Laktation machte komplexe Kommunikation erst möglich.
5 Willkommen im chemischen Flammschutzland, lautet daher Williams sarkastischer Kommentar zur aktuellen Lage des Busens. Der ist eben mehr als nur ein äußeres Attribut. Wir sind der Busen, mahnt Williams eindringlich denn der Busen ist zugleich Abbild und Produkt einer Welt, die wir verändern und die ergo uns verändert. Williams abschließenden Appell, ein umfassenderes, sprich: ökologisches Wissen vom Busen zu erarbeiten, kann man und frau daher nur unterschreiben. Zitat 6/Sprecherin: Der Busen ist ein Ökosystem, geleitet von Funktionen, die im Lauf der Evolution entstanden sind, von wandernden Molekülen und miteinander verbundenen teilen.... Er öffnet uns ein Fenster in die sich rasch verändernde Welt und bietet uns Anlass, diese Welt besser zu verwalten.
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