Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Meissen um 1730

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1 Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Meissen um 1730 Keine Marke Vergoldete Silbermontierung Formnummer 2 (nach Beaucamp-Markowsky 1985) L. 7,5 cm / T. 4,8 cm / H. 5,4 cm Innerhalb des großen Bereichs der Meissener Tabatièren nehmen die frühen Chinoiserie-Dosen eine Sonderrolle ein. Sie sind ebenso rar wie begehrt. Die ovale Tabatière mit leicht gebauchter Wandung und leicht gewölbtem Deckel gehört zu den frühen Dosenformen der Meissener Manufaktur, die in den 1720er und -30er Jahren beliebt war. Sie geht wohl auf Silber- und Golddosen-Vorbilder zurück (Pietsch 2013 S. 153). Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 1

2 In dem gelben Fond sind auf allen Seiten (mit Ausnahme des Bodens) goldgerahmte, vierpassige Kartuschen ausgespart, deren weiß gehaltene Binnenfläche den Malgrund für die feinen Chinoiserie-Szenen bilden. Die Chinoiserien zeichnen sich durch Frische und Lebendigkeit aus und gehen vielfach auf Vorbilder aus dem Höroldt schen Skizzenbuch, dem sog. Schulz-Codex zurück, der seiner Malerwerkstatt als Vorlage diente. Unser Maler hat wie in Höroldts Werkstatt üblich verschiedene Blätter und Szenen aus dem Codex freihändig zu neuen Kompositionen zusammengefügt. Je besser der Maler, umso freier und vielfältiger die Kombinationen neuer Arrangements. Deckelinnenseite linke Hälfte (T. 43 I 1 & T. 65 I 3) Der kniende Verehrer mit dem Präsentierkorb vor der Chinesin am Tisch mit Obstschale findet sich auf den Blättern T. 43 I 1 u. T. 65 I 3. Die gleiche Szene schmückt eine Unterschale der Sammlung Arnhold (Cassidy-Geiger Nr. 78 A Exotische Welten Nr. 43a) aus dem berühmten Guggenheim-Service.* Der Gesichtsausdruck der Chinesin unter der Palme (siehe Anhang S. 11) sehr ähnlich bei unserer Dame lässt Cassidy-Geiger (a.a.o.) vermuten, dass es sch um den Maler Schindler handele. Die gleiche Szene findet sich auch auf einer Kaffeekane in der Sammlung Schneider, Schloß Lustheim (Exotische Welten Nr. 43 b u. Behrends Textband T. VII Nr. 78). * Die Vergleichsstücke sind im Bildanhang abbgebildet Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 2

3 Deckelinnenseite Mitte rechts (T. 75 I 2) Deckelinnenseite rechte Hälfte (T. 47 ii 2) Der gedankenverlorene Gesichtsausdruck des Mannes rechts der Palme gleicht jenem auf der Dose aus der Sammlung Axel Heine (Pietsch 1996 Nr. 127? Heine Nr. 8). Beide ähneln mehr oder weniger dem sich an den Stuhl anlehnenden Zuschauer auf Blatt T. 75 I 2. Die ganze Szene erscheint auf dem berühmten Berliner Höroldt Krug (Bursche Nr. 57). Der Chinese mit dem breitkrempigen Hut und den flatternden Hutbändern, der neben der Vase an der rechten Bildseite steht, ist recht genau aus dem Schulz-Codex Blatt T. 47 II 2 übernommen. Das Blatt diente auch als Vorlage für eine Szene, die sich auf der Unterschale eines Schokolade-Bechers im Museum für Kunsthandwerk, Frankfurt (Bauer Nr. 25 u. Exotische Welten Nr. 47b) ebenso wie auf einem Gelbfond-Becher bei Van Ham ( Nr. 1025) wiederfindet. Die Malerei auf unserer Dose ist jedoch kräftiger und bewegter. Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 3

4 Vordere Dosenwand (T. 15 I 6 & T. 48 ii 1 & T. 102 ii 4) Die Szene erscheint gleich auf drei verschiedenen Blättern des Schulz-Codex: T. 15 I 6 & T. 48 II 1 & T. 102 II 4 Der große Schirm des stehenden Chinesen spricht für T. 48 II 1 (hier abgebildet) als direkte Vorlage. Das Blatt ist zwar nicht komplett erhalten, aber die Deckelschüssel des Museums für Kunst und Gewerbe Kopenhagen (Woldbye T. 2 Nr. 3), bei dem sich alle sechs Kartuschen-Bilder auf T. 48 wiederfinden, lässt den Schluss zu, dass sich hier offensichtlich die komplette Szene erhalten hat. Beide Schirme, die auf den anderen Schulz-Codex Blättern nicht erscheinen, sind sehr ähnlich. Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 4

5 Hintere Dosenwand (T. 7 I 4 & T. 18 I 3) Die Szene erinnert an die Blätter T. 7 I 4 (rauchender Chinese beim Teetrinken) und T. 18 I 3 (Chinese mit verschränkten Armen). Letzterer findet sich auch auf einem frühen Höroldt-Becher mit Vermeil-Montierung (Christie s Nr. 5). Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 5

6 Oberseite Deckel (T. 12 iii 2 & T. 102 ii 5) Der niederkniende Chinese auf der Oberseite des Deckels erinnert an das Blatt T. 12 III 2, die Ausschau haltende Chinesin befindet sich auf T. 102 II 5. Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 6

7 Ein besonderes Merkmal unserer Tabatière ist deren Bodenunterseite, die ein dekoratives Kakiemon Blumenmuster ziert. Das ist äußerst selten: Sammlung Joseph (Bonhams Nr. 1) Seegrüner Fond, ähnliche Form und ähnliche Chinoiserien = Beaucamp-Markowsky 1985 Nr. 24; Beaucamp-Markowsky 1988 Nr. 6; Katalog Röbbig Nr. 6 Katalog Röbbig (2013 Nr. 17) Aus der Sammlung Mr. Charles W. Engelhard (Christie s New York Nr. 39) mit Konsolchinesen Collection Marquis de F. (56. Stuker Nr T. 22) Gelbfond Tabatière ähnlichen Formats, ähnlichen Chinoiserien und ähnlichen Szenen Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 7

8 Vergleichsstücke Es gibt zwei Schwesterdosen, die oben bereits erwähnt worden sind. Beide haben die Formnummer 2 (nach Beaucamp-Markowsky), den besonderen dekorativen Bodenuntersatz und ähnliche Chinoiserien auf Gelb- oder Seladonfond. Dosen aus Sammlung Joseph und Collection Marquis de F. Weiterhin gibt es eine Gelbfonddose in Form einer Vierpasskartusche mit ähnlichen Chinoiserien, die Pietsch dem Maler Christian Friedrich Herold zuschrieb (Katalog Röbbig 2013 Nr. 16). Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 8

9 Literatur Bauer, Margrit: Deutsches Porzellan des 18. Jahrhunderts. Museum für Kunsthandwerk Frankfurt 1983 Beaucamp-Markowsky, Barabra: Porzellandosen des 18. Jahrhunderts. München 1985 Collection of 18th Century Porcelain Boxes. Amsterdam 1988 Bursche, Stefan: Meissen Steinzeug und Porzellan des 18. Jahrhunderts. Kunstgewerbemuseum Berlin 1980 Cassidy-Geiger, Maureen: The Arnhold Collection of Meissen Porcelain London 2008 Heine, Axel: Porcelaens-Tabatièren i det 18. Aahundrede. Kopenhagen 1937 Pietsch, Ulrich: Johann Gregorius Höroldt ( ) und die Meissener Porzellanmalerei. Dresden 1996 In: Meissener Tabatieren des 18. Jahrhunderts. Röbbig München 2013 Woldbye, Vibeke: Höroldt Chinoiserien und ihre Vorbilder im Schulz-Codex. Ein praktische Versuch mit Meissenporzellan im Museum für Kunst und Gewerbe, Kopenhagen. In KFS Mitteilungsblatt Nr. 99 / 1984 Schulz-Codex: Behrends, Rainer: Das Meissener Musterbuch für Höroldt-Chinoiserien. Musterblätter aus der Malstube der Meisener Porzellanmanufaktur (Schulz-Codex). München 1978 Exotische Welten: Der Schulz-Codex und das frühe Meissener Porzellan. Ausstellungskatalog Grassi Museum für Angewandte Kunst. Leipzig 2010 Auktionskatalog A Distinguished Collection of Early Meissen Porcelain. Christie s Auktionskatalog The Helmut Joseph Collection. Bonhams Auktionskatalog 56. Stuker Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Seite 9

10 Anhang Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Anhang Seite 10

11 Zu T. 43 I 1 & T. 65 I 3 Kaffekanne aus der Sammlung Dr. Schneider, Schloß Lustheim (Exotische Welten Nr. 43 b) u. Unterschale aus der Sammlung Arnhold (Cassidy-Geiger Nr. 78 A u. Exotische Welten Nr. 43 a). Zu T. 47 ii 2 Unterschale eines Schokolade-Bechers im Mueseum für Kunsthandwerk, Frankfurt (Bauer Nr. 25 u. Exotische Welten Nr. 47b). Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Anhang Seite 11

12 Zu T. 75 I 2 Tabatière aus der SammlungHeine (1937 Nr. 8 oben u. Pietsch 1996 Nr. 127 unten) u. Höroldt-Krug aus dem Kunstgewerbemuseum Berlin (Bursche Nr. 57). Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Anhang Seite 12

13 T. 15 I 6 & T. 48 ii 1 & T. 102 ii 4 Deckelschüssel aus dem Museum Kunst und Gewerbe, Kopenhagen (Woldbye T. 2 Nr. 3). Auch die Szene auf der Schüssel geht wohl direkt auf das nicht ganz vollständig erhaltene Blatt T. 48 II 1 zurück (oben rechts abgebildet). Seltene Gelbfond-Dose mit Chinoiserien Anhang Seite 13