REPORTAGE LEEZENLUST

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1 REPORTAGE LEEZENLUST 86

2 Linksabbiegen aber sicher! In den Fahrradschleusen der Stadt Münster können sich die Radfahrer vor den Autos einordnen. In der Fahrradstraße zählt die gesamte Fahrbahn als Radweg: Autos passen ihre Geschwindigkeit an. Die Radampel lässt Radfahrer früher starten und erhöht so deren Sicherheit. Viele Einbahnstraßen sind für Radfahrer in der Gegenrichtung geöffnet. Für Münsteraner ist das Fahrrad ein ständiger Begleiter. Studenten, Banker und sogar die Leute vom ambulanten Pflegedienst treten täglich in die Pedale. Warum? Um das herauszufinden, sind wir durch die Stadt gefahren. Mit der Leeze, wie denn sonst!

3 Freie Fahrt in der Fußgängerzone: Weil die Radfahrer bequem zu den Innenstadt-Geschäften gelangen, freuen sich die Kaufleute. Allerdings: Das historische Kopfsteinpflaster ist nur bedingt gemütlich. CYRUS SEYFI (30), kommt zu seinen Patienten mit dem Rad. ANGELIKA URBACH text STEPHAN BÖHME, Verkehrsplaner im Amt für Stadtentwicklung DANIEL SIMON fotos WAS TUT MÜNSTER FÜR DIE RADFAHRER? Bereits in den 70er Jahren gab die Stadt grünes Licht für den Radverkehr. Stephan Böhme zählt wichtige Maßnahmen auf, die seitdem umgesetzt wurden: In Münster dürfen Radfahrer in vielen Einbahnstraßen in beide Richtungen fahren; wir haben Busspuren und die Fußgängerzone für Räder geöffnet Unsere Ampelschaltungen orientieren sich an radfahrerfreundlichen Grünzeiten In den Fahrradstraßen müssen Autofahrer sich der Geschwindigkeit von Radfahrern anpassen Fahrradschleusen bieten Linksabbiegern Vorrang vor den Autofahrern Eine Satzung schreibt vor, dass bei Neubauten Fahrradparkplätze geschaffen werden müssen Wir haben ein nahezu lückenloses Radverkehrsnetz mit spezieller Wegweisung für Radfahrer MOBILER PFLEGER Auf einer Tour besuche ich circa acht Patienten und lege zehn bis 20 Kilometer zurück. Mit dem Dienstrad bin ich schneller als mit dem Auto, obwohl ich meistens gemütlich fahre. Es macht keinen Sinn, außer Atem bei den Patienten anzukommen. Einzige Ausnahme: Manchmal belastet mich ein Dienst psychisch. Dann nutze ich die Strecke zum Auspowern. Kaum Kraft rausnehmen, Abstand abschätzen und mit Schwung durch die Lücke! Wer einem Münsteraner wie Stephan Böhme auf der Promenade folgen will, gerät ganz schön ins Schwitzen. Denn der Verkehrsplaner beherrscht die Ökonomie der kühnen Platzausnutzung inmitten einer unberechenbaren Masse anderer Radfahrer perfekt. Und erreicht dadurch auf seinem behäbig wirkenden Velo erstaunliche Geschwindigkeiten. Die Promenade ist das Herzstück der Fahrradstadt Münster. Der beschauliche Weg entstand im 18. Jahrhundert auf der Fläche der geschleiften Stadtbefestigung und ist heute ein komfortabel geteerter Straßenring um die Altstadt, den ausschließlich Radfahrer und (mutige) Fußgänger benutzen dürfen. Auf ihr ist der Stadtkern flink umrundet, und über viele Grünzüge lassen sich die Vororte gut erreichen. Mancher Autofahrer hatte deshalb, so erzählen die Münsteraner, beim Zeitfahren gegen einen Radler schon das Nachsehen. RUSHHOUR FÜR RADFAHRER Kein Wunder, dass es im Berufsverkehr manchmal eng wird: Schüler teilen sich den Weg mit Bankern im feinen Zwirn und Sekretärinnen in schicken Kostümen. Wie die Damen bei Nieselregen wohl das Frisurproblem lösen? Selbst bei schlechtem Wetter verschmähen viele den Bus. Es gibt ja Regencapes. Bis zu 1350 Radfahrer haben die Verkehrsplaner auf der Promenade gezählt. In einer einzigen Stunde. Für viele von ihnen bedeutet Radfahren ein Stück Lebensqualität. Auf dem Rad kann ich reflektieren, erfreue mich an der Natur und kann mich in Ruhe auf meinen nächsten Termin vorbereiten, beschreibt Verkehrsplaner Böhme. Allein die Stadtfahrten füttern seinen Tacho jedes Jahr mit rund 4000 Kilometern. Münster gilt als Fahrradmetropole Deutschlands. Obwohl das Fahrrad hier eigentlich Leeze heißt. Der Begriff stammt aus einem westfälischen Dialekt, der so genannten Masematte. Jedenfalls ist die Leeze aus dem Stadtbild nicht wegzudenken. In Münster gibt es mehr Leezen als Einwohner, jeder dritte Weg wird per Velo zurückgelegt. Zu Problemen kommt es höchstens bei der Suche nach einem Parkplatz: Bisweilen verkeilen sich die Lenker, weil ganze Massen von Drahteseln in den Abstellplätzen stehen. Doch das soll sich ändern.

4 Platzsparer vor dem Mietshaus: Wo früher ein Auto stand, ist heute der Leezen-Parkplatz. Wie viele Räder auf den Stellplatz eines einzigen Autos passen? Zehn Mal mehr! Stadtführung: Norbert Stegemann (links) erzählt viel über die Geschichte und so manches über die (Rad-)Verkehrsregeln in Münster. Dafür hat die Stadt sogar eine eigene Satzung erlassen. Sie schreibt vor, dass bei Neubauten Fahrradstellplätze errichtet werden müssen. Ein anderes Vorzeigeobjekt ist die Radstation am Hauptbahnhof. Dorthin führt die Tour mit Stephan Böhme. Wo sich früher ein einziges Blechchaos ausbreitete, steht ein gläserner Palast mit Stellplätzen für 3300 Fahrräder. Für sieben Euro kann man sein Rad einen Monat lang bequem in dem Parkhaus abstellen; eine Tageskarte kostet 70 Cent. Vor allem Pendler nutzen die Einrichtung, sagt Cyrus Seyfi, der stundenweise in der Radstation arbeitet. Seyfi stellt sicher, dass die Tageskunden schnell ein- und auschecken können. Das ist bei knappen Umsteigezeiten wichtig. Ein Auto besitzt Cyrus Seyfi nicht. Allerdings: Mit seiner Frau und der dreijährigen Tochter kommt die Familie immerhin auf fünf Fahrräder plus ein Laufrad. Ein stolzer Schnitt, selbst für Münsteraner. In der hellen Radstation gibt es Schließfächer für Regenbekleidung und sogar eine Waschanlage, die in fünf Minuten ein blitzsauberes Fahrrad hervorbringt. Vor allem Pendler nutzen gerne den Service. Endlich hat die morgendliche Suche nach der eigenen Leeze im Fahrradmeer ein Ende! Seit Jahren fördert Münster konsequent den Radverkehr (s. nebenstehenden Kasten). Die Schaffung von Bike&Ride-Anlagen wie der Radstation ist dafür nur ein Beispiel. Bereits 1946 forderte das erste Gutachten zur Stadt- und Verkehrsentwicklung: Gehwege mit gesonderten Spuren für Erste Hilfe für Drahtesel: der Leezen-Doc. Radfahrer sind in einem wohldurchdachten Netz für das gesamte Stadtgebiet vorzusehen. Allerdings beabsichtigten die Stadtväter damals, den Autoverkehr zu fördern und von störenden Radfahrern zu befreien, merkt Verkehrsplaner Stephan Böhme schmunzelnd an. Das Umdenken setzte im Jahr 1974 ein, berichtet er, und man beschloss, das Fahrrad als Verkehrsmittel künftig mehr zu fördern. Damit begann die Karriere der Fahrradfreundlichsten Stadt Deutschlands. DEN ASIATEN EIN VORBILD Dieser Titel wurde Münster bereits mehrfach vom ADFC und dem Bund für Umwelt und Naturschutz verliehen. Der Ruf der fahrradfreundlichen Münsteraner reicht inzwischen um die ganze Welt: Bis aus Amerika, Norwegen und Japan reisten bereits Delegationen an, um sich direkt vor Ort Anregungen für ihre eigene Verkehrsplanung Abenddämmerung: So viel Ruhe genießen Radfahrer auf der Promenade selten. 89

5 DAUER- PARKER NADINE EVERS (28) pendelt täglich mit Zug und Rad zur Uni. Für mich eignet sich die Radstation perfekt: Ich bin froh, dass mein Rad nachts nicht draußen steht. Mit abgestellten Rädern wird manchmal viel Unfug getrieben. Am meisten schätze ich den Reparaturservice der Radstation. Luft kann ich selbst nachfüllen. Doch alles andere lasse ich von den Mechanikern erledigen. Praktisch: Man gibt das Rad morgens ab und bekommt es abends fertig zurück. Erfolgsstory: Bereits nach einem Jahr hatte das Parkhaus für Fahrräder 2300 Dauerkunden. zu holen. Die Asiaten wollen den Radverkehr fördern, um die Luftverschmutzung in den Griff bekommen, berichtet Stephan Böhme. Was Wunder: Im Vergleich zu anderen deutschen Städten besitzt Münster eine hervorragende Umweltbilanz. EIN WICHTIGER WIRTSCHAFTSFAKTOR Für die Stadt Münster und ihre Bürger zahlt sich der Trend zum Rad in vielerlei Hinsicht aus. Niedrige Abgaswerte und regelmäßiges Ausdauertraining fördern die Gesundheit. Außerdem hat sich das Rad zum Wirtschaftsfaktor entwickelt. Die Kaufleute der Innenstadt sind zufrieden, dass die Käufer direkt vor ihre Geschäfte rollen. Das Rad schafft Arbeitsplätze: Rund 60 Läden bieten Serviceleistungen rund ums Rad an. Eine Münsteraner Besonderheit ist der Leezen-Doc: Sein VW-Bus ist vollgepackt mit Ersatzteilen. Unterwegs liegengebliebene Drahtesel macht er flugs wieder flott. Feste Service-Zeiten hat der Leezen-Doc, der mit bürgerlichem Namen Jürgen Rohnstock heißt, lediglich an der Münsteraner Uni: Die meisten Studenten bringen Räder mit einem Platten oder verrosteter Bremsbacke. Es müssen viele sein. Für Rohnstock lohnt sich das Geschäft seit elf Jahren. Viele Münsteraner Unternehmen nutzen das Rad. 50 Fahrradkuriere stellen innerhalb der Stadtgrenzen Briefe zu. Die Mitarbeiter der Comfort Pflege Ostviertel kommen ausschließlich mit dem Rad. Einer von ihnen ist Cyrus Seyfi von der Radstation, ein gelernter Pfleger. In seiner wasserdichten Fahrradtasche sind sämtliche Pflegematerialien sicher untergebracht. Darüber hinaus lässt der Trend zum Radurlaub den Tourismus boomen. Der Radelpark Münsterland ist ein beliebtes Ziel. Bis zu 6000 Arbeitsplätze im Münsterland sollen indirekt vom Fahrradtourismus Einparken ohne Kraftaufwand: Durch die Unterstützung von Gasdruckfedern lassen sich die Räder ganz leicht nach oben bringen. abhängen. Davon profitiert auch Münster. Was wäre ein Besuch in der traditionsreichen Bischofsstadt ohne eine Stadtführung per Rad? Norbert Stegemann führt Touristen an die historischen Plätze der Stadt. Flickzeug und etwas zu Trinken gehören zu seiner Grundausstattung. Die Münsteraner Verkehrsregeln lernen die meisten Touristen schnell, berichtet der Stadtführer. 1. Blickkontakt zum Autofahrer suchen, 2. Losfahren. Stegemann: Wenn der Autofahrer den Radfahrer wahrnimmt, hat er die moralische Verpflichtung anzuhalten und die Vorfahrt zu gewähren. Feine Sache. Aber bitte vorher das Kennzeichen kontrollieren. Denn auswärtige Autofahrer halten sich freilich nicht an das ungeschriebene Gesetz. Es liegt wohl am Fingerspitzengefühl der Münsteraner Radfahrer, dass wir bei unserem Besuch keinen Zusammenstoß miterleben. Jedenfalls beherrschen sie den Promenaden-Slalom im Schlaf. Und reagieren in brenzligen Situationen mit westfälischer Gelassenheit und einem kurzen Augenzwinkern: Hat ja noch geklappt. Vorreiterrolle in Sachen Radverkehr: Die wegweisenden Verkehrsideen locken sogar Delegationen aus dem Ausland an. Sie wollen am Münsteraner Beispiel lernen. 90 TREKKINGBIKE 5/2008

6 Foto: Daniel Simon TESTABO JETZT 2 TREKKINGBIKE E TESTEN + GESCHENK NUR 6,50 (statt 9,80 ) TREKKINGBIKE-GLASBECHER-SETR-SET n aus gefrostetem Glas TREKKINGBIKE-TRINKFLASCHE n passt in alle gängigen Flaschenhalter n Füllmenge: 750ml AUCH INKLUSIVE digital FÜR NUR 1 EURO MEHR! HIER DIREKT BESTELLEN: abo.trekkingbike.com/5071b qja, ich teste die nächsten 2 Ausgaben TREKKINGBIKE für 6,50 qzusätzlich bestelle ich das Digital-Abo für nur 1, mehr. Wenn ich bis 10 Tage nach Erhalt der zweiten Ausgabe nichts Gegenteiliges von mir hören lasse, bin ich damit einverstanden, TREKKINGBIKE für mindestens ein Jahr (6 Ausgaben) zum derzeit gültigen Preis von 27, (Deutschland), 36,30 (sonstiges Ausland), inklusive Porto und Versandkosten zu erhalten. Nach diesem Jahr kann ich die Lieferung jederzeit stoppen. Wichtig: Kurzabo-Angebote sind zum persönlichen Kennenlernen der Zeitschrift und können daher nur ein Mal pro Haushalt genutzt werden (Geschenkabos sind ausgeschlossen). Als Geschenk erhalte ich (bitte nur ein Geschenk ankreuzen): das TREKKINGBIKE-Glasbecher-Set (ZTR11) die TREKKINGBIKE-Trinkflasche (ZTR13) der TREKKINGBIKE-Sattelschutz (ZTR05) das TREKKINGBIKE-Buff-Tuch (ZTR18) Aktion: P-5071/B-5072 Anschrift des Auftraggebers Ich zahle per: Bankeinzug (nur mit deutscher Bankverbindung möglich) IBAN BIC D E MASTERCARD VISA Card Gültig bis: Card-Nr. 1 HEFT GRATIS (bei Bankeinzug/Kreditkarte) Rechnung Einzugsermächtigung/SEPA-Lastschriftmandat: Ich ermächtige die Delius Klasing Verlag GmbH (DK) widerrufl ich, den Betrag bei Fälligkeit durch Lastschrift von meinem Konto einzuziehen. Ich ermächtige DK, Zahlungen von meinem Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von DK auf mein Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. Hinweis: Innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, kann ich die Erstattung des Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit DK vereinbarten AGB. Gläubiger-ID: DE03ZZZ *Lieferung solange der Vorrat reicht. TREKKINGBIKE-SATTELSCHUTZ n bei jedem Wetter sicherer Witterungsschutz n wasserdicht n mit patentierter Befestigung zum Schutz gegen Diebstahl BUFF-TUCH n 12 verschiedene Arten zum Tragen n dient bei Bedarf blitzschnell als Mund- und Nasenschutz n die atmungsaktiven Materialien schützen vor Wind und Wasser n hoher Tragekomfort Name, Vorname Straße, Nr. PLZ, Ort Telefon Geburtsdatum Datum und Unterschrift Wichtig: Kurzabo-Angebote sind zum persönlichen Kennenlernen der Zeitschrift und können daher nur einmal pro Haushalt genutzt werden (Geschenkabos sind ausgeschlossen). abo.trekkingbike.com/5071b +49 (0) abo.trekkingbike@delius-klasing.de Delius Klasing Verlag, Postfach , D Bielefeld +49 (0)